Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 17. Okt 2012, 00:40

AgentProvocateur hat geschrieben:Was macht den Evolutionsmechanismus wertvoll und anerkennenswert? Wieso folgt daraus eine Norm?

Der Evolutionsmechanismus ist deshalb wertvoll und anerkennenswert, weil er der einzige Mechanismus ist, dem alle Lebewesen, mit denen wir uns in der heutigen Frage vergleichen wollen, unterworfen sind. Nur aus einem Mechanismus, dem alle unterworfen sind, können wir vergleichende und wertende Kriterien ableiten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wäre der Evolutionsmechanismus anders, müssten wir den auch anerkennen? Und falls so: würde das nicht bedeuten, dass wir etwas Arbiträres anerkennen müssten, grundlos, einfach so, einfach nur deswegen, weil es so ist, wie es zufällig gerade ist?

Wenn er anders wäre, aber er die von mir geschilderte Eigenschaft nach wie vor hätte, dass alle Vergleichskandidaten über ihn in Bezug stehen, dann müsste man ihn auch in veränderter Form anerkennen. Und diese Anerkennung ist ja eben nicht grundlos. Den Grund nenne ich doch die ganze Zeit.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Der Ausgang des Spiels wird unter anderem dadurch beeinflusst, wie viele Menschen ebenfalls diese Marotte haben oder wie viele Menschen welche anderen Vorlieben hegen. Die Marottenverteilung unter den Menschen müsste ein wichtiger Entscheidungsfaktor sein, wer bei dem Spiel die Nase vorne hat.

Aber ist nicht genau das die "egozentrische Emotionalität", die Du weiter oben angeprangert und als falsch verworfen und statt dessen eine objektive Bewertung ohne eine solche gefordert hast?

Welche Weltanschauung ein Mensch hat, wird unter anderem mit seinen Emotionen zusammenhängen. Die Wahl meiner eigenen Weltanschauung mag daher ein Akt egozentrischer Emotionalität sein. Die Feststellung, dass Religionen in dem Spiel "Weltanschauungsschach" gewonnen haben, hat jedoch nichts mehr mit meinen Emotionen zu tun (und deshalb gewinnt auch nicht die Weltanschauung, die ich selber habe und die ich emotional bevorzuge, sondern im Gegenteil). Es ist eine objektive Feststellung.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mi 17. Okt 2012, 07:01

Ich denke, du ruderst ziemlich hin und her, @ganimed, und weißt am Ende überhaupt nicht mehr WAS du eigentlich wolltest. Die Festlegung in Hierarchien gibt es, da stimme ich @Nanna vollkommen zu, nur abstrakt in unserer Sprachwelt. Die Natur selbst kennt sie freilich nicht.

ganimed hat geschrieben:Nur aus einem Mechanismus, dem alle unterworfen sind, können wir vergleichende und wertende Kriterien ableiten. (...)

Dieser Mechanismus Evolution (Auslese) führt nach kurzer Zeit dazu, dass nur noch Teilnehmer im Spiel sind, die sich der Wertung "Fortpflanzung ist gut" anschließen. Dadurch wird diese Wertung zu einer dem Spiel immanenten Regel. Jedem bleibt es unbenommen, aus dem Spiel auszusteigen. Aber solange man mitmacht muss man sich dieser Wertung unterwerfen. Und aus dieser Wertung folgen dann sofort die objektiven Kriterien zur Bewertung der erfolgreichsten, besten Teilnehmer.

Wer sich am besten, meisten und am schnellsten fortpflanzt muss nicht am erfolgreichsten sein, weil er seine Recourcen die sein Überleben sichern am schnellsten verbraucht. In die Natur regelt sich das mit den Populationen deswegen automatisch.
Der Mensch, das eingreifende, bewusste Wesen, muss schon etwas Überlegung einbringen und sich selbst beschränken, weil wir den natürlichen Ablauf (verhungern, verdursten) nicht als Populationsbremse akzeptieren wollen.

Ich denke, wir beide sprechen hier von ganz unterschiedlichen Dingen. Wir unterscheiden uns darin, dass du Hierarchien (Fußball, Glaubenssysteme ect.) nur innerhalb einer Spezies anerkennst aber Spiezie übergreifend keinen Vergleich zulassen möchtest. Ist es das?
Also Fisch mit Mensch in Position bringen geht nicht. Das hätte ich verstanden.

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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Vollbreit » Mi 17. Okt 2012, 09:42

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es gibt keine objektiven Maßstäbe

Was ist mit dem Zählen von erzielten Toren in Bundesligaspielen? Ist das kein objektiver Maßstab?

Nanna hat geschrieben:Man kann nicht "objektiv werten"

Was ist mit der objektiven Feststellung, dass Bayern München in der Bundesliga die meisten Tore geschossen hat? Ist das keine Wertung? Da beim Fußball das Tore schießen genau als Ziel definiert ist, also als "gut", ist diese Wertung dem Spiel und seinen Regeln gemäß eine objektiv richtige.


Hier ist ja auch der Kontext klar.
Aber wenn Du Deinem Sohn Fußballspielen beibringen willst, wirst Du ihn vermutlich nicht dreistellig deklassieren, weil beim Fußball ja nur zählt: Viele Tore = gut.

Zudem ging es ja darum, was den Verein zum Lieblingsverein macht und man muss nicht den besten = aktuell erfolgreichsten Verein gut finden.
Denn was nun der beste Verein ist, ist ja gar nicht klar:

Der, mit den meisten Toren?
Der, mit dem besten Einkommen?
Der, mit der solidesten Planung?
Der, der aus seinen Mitteln das Maximale herausholt?
Der, mit den meisten Fans?
Der, der die meisten Dauerkarten verkauft?
Der, der die entscheidenden Spiele gewinnt?
Der, mit dem Underdog-Image des ehrlichen Malochers?
Der, der auf heimische Spieler setzt?
Der, mit den besten Fanprojekten?


Die Zahl der geschossenen Tore ist zwar ein objektives Kriterium, aber warum sollte genau dieses Kriterium das sein, auf das wir uns beziehen?

Und für das Spiel des Lebens gilt das noch in weitaus größerem Maße.

Nachkommen zu zeugen, die Nachkommen zeugen, ist das das einzige Kriterium für ein erfolgreiches Leben? Für Darwin, ja, aber warum muss mich das jucken?

Wenn ich gar keine Kinder will, was dann?
Warum nicht dieses Ziel: Ein glückliches Leben?

Oder jene: Viel Geld, viel Sex, viele Bücher lesen, weite Reisen unternehmen, fleißig und sparsam sein, Selbstverwirklichung, ein hoher IQ, ein hoher EQ, ein anständiger Mensch zu sein, einmal Ferrari fahren, Venedig sehen und sterben, Gesundheit, ein gottgefälliges Leben führen, so lange es geht Sport machen, der Gerissenste sein, Bundeskanzler werden, den Nobelpreis bekommen, das Weltklima retten, ein nützlicher Mensch sein, ein freundlicher Mensch sein, unauffällig durchs Leben gehen, um jeden Preis auffallen, das Maximale aus sich rausholen, klug mit den eigenen Kräften haushalten, viele Freunde haben, wenig arbeiten, umweltverträglich leben, ein ungelöstes Probleme der Menschheit lösen, einflussreiche Freunde haben, unabhängig sein …?

Wenn man mich zwingt finde ich noch 500 weitere.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mi 17. Okt 2012, 10:40

Vollbreit hat geschrieben:Venedig sehen und sterben,
:erschreckt: ich hoffe nicht...!

@Vollbreit, das wäre aber wieder genau der Vergleich innerhalb einer Spezies.

Um mal das Beispiel mit den Fußballvereinen aufzugreifen:

Die Aussage: Der Mensch die höchste Lebensform! wurde von @ganimed (vielleicht) zurecht kritisch betrachtet, weil es Tiere gibt, die sich ebenso spezialisiert haben und damit auch bis heute überleben konnten.

Kommen wir zum Fußballverein.
Die Aussage: FC Bayern die höchste Form des Sportlerlebens? müsste dann (vielleicht) zurecht kritisch betrachtet werden, weil es andere Sportvereine (Handball, Schwimmen...) gibt, die sich ebenso spezialisiert haben und damit auch bis heute überleben konnten.

Hab ich das jetzt richtig geschnallt?

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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Vollbreit » Mi 17. Okt 2012, 11:41

@ stine:

Das ist einfach – an der Wurzel – ne Willkürnummer.
Was die „höchste“ Lebensform ist, kann einem niemand sagen, bzw. es kann einem genau dann jemand sagen, wenn man für die „Höhe“ der Entwicklung bestimmte Kritierien angibt, anhand derer man das ablesen können soll.

Ich könnte sagen, dass die Höhe der Entwicklung sich an der Fähigkeit zu sprechen erkennen lässt, aber jemand anderer könnte sagen, dass es für ihn eine Frage der Anpassung ist oder der Länge der Zähne oder Zahl der Nachkommen oder was auch immer.

Ist halt dann eine Frage welche Kriterien angenommen werden.
Wenn ich von sowas sie „Entwicklungshöhe“ spreche, kann ich auch sagen: „Hoch entwickelt ist für mich alles was gelb ist. Mehr gelb = höher entwickelt." Daraus könnte man ableiten, dass gelbe Tulpen höher entwickelt sind als Bienen und diese höher als Elefanten.

Es könnte nur die Frage aufkommen, warum sich Entwicklungshöhe gerade an einem solchen Kriterium fest machen lassen soll.

Wenn diese Frage/Kritik aber aufkommt, mit dem Gefühl, Farben hätten doch nun nichts mit Entwicklungshöhe zu tun, dann ist das bereits ein Anzeichen dafür, dass wir „Entwicklungshöhe“ nicht mit irgendwas Beliebigem verbinden, sondern damit schon irgendwie finden, dass z.B. der IQ ein besseres Kriterium ist, als der Gelbanteil.

Das hat den Grund, dass wir nicht einfach nur „Worte“ lernen, sondern „Begriffe“. Und zu Begriffen gehört ein Kontext, in dem diese angemessenerweise gebraucht werden.

„Ich fühle mich heute so salzig“ ist en komischer Satz, der zu Nachfragen berechtigt. Das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen.

Wir lernen mit Begriffen stets bestimmte Bedeutungen und Assoziationsketten zu verbinden, tun wir das nicht erscheinen wir komisch, wirr oder man kann uns nicht mehr verstehen.
Wie auch immer man das nennt: Anschlussfähigkeit, die Unmöglichkeit einer Privatsprache, deontischer Kontostand und so weiter.

Für uns – und auch für ganimed – hat „Höher“ oder „Qualität“ durchaus einen Sinn.
Was ganimed tut, ist einfach zu fragen, ob diese alltagssprachlichen Zuschreibungen eigentliche eine tiefere Berechtigung oder Bedeutung haben.
Die Antwort, die man geben kann, ist ein klares Jein.
Berechtigung im Sinne einer ontologischen Berechtigung ( das heißt, dass es ein objektives, erst- oder letztgültiges Kriterium gibt, anhand dessen man ablesen kann, was „Höherwertigket“ oder „Qualität“ ist): Nein!
Im Sinne der sprachpragmatischen oder sozialperspektivischen Zuschreibungen (das heißt, wie der Begriff üblicherweise gebraucht wird): Ja!

Aus Aussagen, ergeben sich weitere logische Folgen und zwar (fast) immer.
Sie ergeben sich deshalb, weil Begriffe eben nicht irgendwas meinen, sondern bestimmte weitere logische Festlegungen mit sich bringen.
„Das Ding da ist rot“ heißt z.B. dass man eine Aussage über eine Farbe gemacht (und nicht über den Geschmack) hat, dass man die Kompetenz hat, Farben zu unterscheiden, dass etwas nicht grün ist und so weiter.
Man traut jemandem, der eine solche Aussage macht zu, auch gelbe Dinge erkennen zu können.
So stehen Aussagen immer in einem sprachlogischen Gitter.
Diesen Hintergrund fragen wir nicht aber, aber wir verstehen ihn intuitiv (aber dadurch, dass wir ihn erlernt haben). Gewissen Assoziationen können auch archetypische Muster darstellen, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie wirklich nur kulturell erlernt sind oder ob sie noch eine vorsprachliche Bedeutung haben, z.B. im Sinne biologischer Universalien oder ob es eine andere, numinose Bedeutung gibt.

Ein durchaus ergiebiges Thema.

Zu Deiner Frgage noch:
Der FC Bayern ist gar keine Form der Sporterlebens, sondern die Bezeichnung für einen Verein, wobei zunächst unklar/unbestimmt ist, was alles unter diesen Begriff fällt.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 17. Okt 2012, 22:02

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was macht den Evolutionsmechanismus wertvoll und anerkennenswert? Wieso folgt daraus eine Norm?

Der Evolutionsmechanismus ist deshalb wertvoll und anerkennenswert, weil er der einzige Mechanismus ist, dem alle Lebewesen, mit denen wir uns in der heutigen Frage vergleichen wollen, unterworfen sind. Nur aus einem Mechanismus, dem alle unterworfen sind, können wir vergleichende und wertende Kriterien ableiten.

Ich meine, daran stimmt nun rein gar nichts. Erstens stimmt es nicht, dass man nur aus einem Mechanismus, dem alle zu vergleichenden Dinge unterworfen sind, Vergleichskriterien ableiten könnte. Wir können auch Roboter mit Lebewesen vergleichen bezüglich bestimmter (z.B. funktionalen) Kriterien, obgleich das Lebewesen einem evolutionären Mechanismus unterliegt, der Roboter aber nicht. Fraglich ist auch, ob es überhaupt stimmt, dass der einzige Mechanismus, dem alle Lebewesen unterworfen sind, der Evolutionsmechanismus ist. Dann stimmt es nicht, dass ein Mechanismus wertvoll und anerkennenswert wäre, weil man daraus Kriterien ableiten könne, (bzw. s.u. das Maßband). Und außerdem fehlt immer noch die Begründung, wie man aus empirischen Kriterien (lebt länger, ist größer, der Art gehören in einem bestimmten Zeitraum oder auch insgesamt gesehen mehr Individuen an etc. pp.) auf normative, also wertende Kriterien kommt, die auch außerhalb des angelegten/postulierten/vereinbarten/akzeptierten Bewertungsmaßstabes (mehr Tore ist besser/größer ist besser etc.) Bestand haben sollen.

Wir stellen uns nun vor, einen Planeten mit Lebewesen, aber einem anderen Evolutionsmechanismus zu finden. Nach Deiner Behauptung könnten wir diese Lebewesen nicht mit unseren Lebewesen vergleichen. Aber wir müssten den anderen Evolutionsmechanismus ebenfalls als wertvoll anerkennen, einfach, weil er existiert.

Das ergibt für mich einfach keinen Sinn, es ergibt keinen Sinn, zu sagen: "X ist wertvoll" ohne aber dazuzusagen, für wen oder was und in Bezug auf welche Ziele, in Bezug auf welchen Bewertungsmaßstab X wertvoll sein soll.

Wenn Du das aber lediglich so meinst: "wir wollen Lebewesen bezüglich ihrer Eigenschaften vergleichen und eine Rangliste aufstellen bezüglich eines Kriteriums, der Größe, und daher ist ein Maßband dann wertvoll, weil es uns erlaubt, diese Rangliste aufzustellen", dann, okay, dann ist das Maßband für denjenigen, der das messen will, zu diesem Zwecke wertvoll, weil hilfreich zum Erreichen dieses Zieles.

Aber irgendwie habe ich den Verdacht, dass Du es nicht so meinst, sondern dass Du hier Werte unabhängig von Bedürfnissen, Ansichten und Zielen festlegen willst, ohne zu fragen, für wen etwas wertvoll sei. Aber ich denke, das geht nicht. Etwas ist nicht "an sich" wertvoll, ein Wert ist immer etwas von jemandem (oder vielen) Zugeschriebenes, d.h. Wert ist keine intrinsische Eigenschaft eines Dinges, (wie z.B. Größe, Masse, Volumen etc.), sondern eine zugeschriebene Eigenschaft.

Du könntest nun vielleicht sagen: "stimmt zwar, aber es könnte doch sein, dass alle hinreichend rationalen Wesen X einen höheren Wert zuschreiben als Y". Und, ja, das mag sein, aber bin mir nicht sicher, ob das dann immer noch das wäre, was Du eigentlich suchst und willst.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 17. Okt 2012, 22:28

AgentProvocateur hat geschrieben:Erstens stimmt es nicht, dass man nur aus einem Mechanismus, dem alle zu vergleichenden Dinge unterworfen sind, Vergleichskriterien ableiten könnte.

Das ist wahr. Habe ich aber auch nie anders behauptet. Ich meinte lediglich, dass der Evolutionsmechanismus der einzig Mechanismus ist, aus dem Vergleichskriterien für alle Lebewesen abgeleitet werden können. Daneben kann es noch andere Dinge geben, aus denen Kriterien abgeleitet werden können, und die kein Mechanismus sind. Mir wollen nur keine naheliegenden einfallen. Dir? So ähnlich wie man alle Vereine der Bundesliga am besten mit Kriterien vergleicht, die man aus dem Fussballspiel ableitet und nicht den Skat-Regeln. Natürlich könnte so ein Schlaumeier darauf kommen, kühn festzustellen, dass es noch andere Dinge gibt, aus den man Vergleichsregeln ableiten könnte. Bundesligavereine könnte man nach durchschnittlicher Temperatur der Duschkabinen während des Spiels vergleichen, abgeleitet aus der Physik. Aber das wäre einfach kein gutes Kriterium, da Bundesligavereine über ihr Fußballspiel definiert sind. Ebenso wie Lebewesen über ihre Teilnahme am Evolutionsspiel charakterisierbar sind.

AgentProvocateur hat geschrieben:Fraglich ist auch, ob es überhaupt stimmt, dass der einzige Mechanismus, dem alle Lebewesen unterworfen sind, der Evolutionsmechanismus ist.

Was ist das denn für eine Argumentation? Fraglich ist alles, jedenfalls stellst du offensichtlich alles in Frage, was ich so von mir gebe. Aber das ist doch noch kein Argument. Beantworte deine Frage dann doch auch gleich. Also: welchen Mechanismus gibt es denn sonst noch?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und außerdem fehlt immer noch die Begründung, wie man aus empirischen Kriterien (lebt länger, ist größer, der Art gehören in einem bestimmten Zeitraum oder auch insgesamt gesehen mehr Individuen an etc. pp.) auf normative, also wertende Kriterien kommt, die auch außerhalb des angelegten/postulierten/vereinbarten/akzeptierten Bewertungsmaßstabes (mehr Tore ist besser/größer ist besser etc.) Bestand haben sollen.

Außerhalb des Maßstabes soll das plötzlich auch noch Bestand haben? Wieso das denn? Wo kommt denn diese Idee auf einmal her?

Nein, wir wollen Lebewesen miteinander vergleichen. Getreu dem Ausgangszitat von stine, wer wohl das höchste, freieste, beste Lebewesen ist. Und der Bewertungsmaßstab muss objektiv (also am besten quantifizierbar) sein und er muss naheliegend sein, sich also aus Charakteristika von Lebewesen ergeben. Ich gebe zu, da gibt es mehrere Kandidaten, wie angedeutet (Anzahl Individuen, Anzahl Generationen, Zeitraum der Existenz einer Spezies, ...). Aber dein Maßband oder stines Trikotfarbe (wir haben gelbe Bewusstseine und deshalb gewonnen) gehören jedenfalls nicht hierher.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das ergibt für mich einfach keinen Sinn, es ergibt keinen Sinn, zu sagen: "X ist wertvoll" ohne aber dazuzusagen, für wen oder was und in Bezug auf welche Ziele, in Bezug auf welchen Bewertungsmaßstab X wertvoll sein soll.

- für wen oder was? Für alle Lebewesen
- in Bezug auf welche Ziele? Den Zielen der Evolution
- in Bezug auf welchen Bewertungsmaßstab? Alle quantitativen, biologischen Bewertungsmaßstäbe
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Nanna » Mi 17. Okt 2012, 22:58

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es gibt keine objektiven Maßstäbe

Was ist mit dem Zählen von erzielten Toren in Bundesligaspielen? Ist das kein objektiver Maßstab?

Ja, natürlich ist er das, aber er misst halt nur die Tore. Er misst nicht, wer besser war, wer schöneren Fußball gespielt hat, wer den Sieg "verdient" hat oder ob Fußball gesund für die Gelenke ist. Wir reden aber hier eben darüber, wer qualitativ "höhere" Fähigkeiten hat, wir oder die Fische, nicht, wer mehr Schuppen hat.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Man kann nicht "objektiv werten"

Was ist mit der objektiven Feststellung, dass Bayern München in der Bundesliga die meisten Tore geschossen hat? Ist das keine Wertung? Da beim Fußball das Tore schießen genau als Ziel definiert ist, also als "gut", ist diese Wertung dem Spiel und seinen Regeln gemäß eine objektiv richtige.

Nein, das sind Zuschreibungen und Interpretationen, keine objektiven Wertungen. "Objektiv" kannst du nicht mehr sagen als "XYZ hat mehr Tore als ABC geschossen", schon der Zusatz "deshalb ist XYZ besser" enthält implizite Prämissen, die aus einer Zählung der Tore nicht folgerbar sind. Mathematik kann keine Wertungen.

ganimed hat geschrieben:Dieser Mechanismus Evolution (Auslese) führt nach kurzer Zeit dazu, dass nur noch Teilnehmer im Spiel sind, die sich der Wertung "Fortpflanzung ist gut" anschließen.

Das wird langsam etwas eintönig. Die Evolution hat mit dem Anerkennen von Regeln nichts zu tun. Ich kann sagen "Ich weigere mich zu sterben" und dann dennoch sterben. Regeln anzuerkennen ist ein bewusster, reflektiver Akt und hat nichts mit biologischen Mechanismen zu tun. Evolution führt dazu, dass immer nur Teilnehmer im Spiel sind, die überleben, mehr muss niemand tun. Es ist nicht nötig, sich zu irgendeiner Wertung zu bekennen, um zu überleben oder zu sterben. Ein Stein, der auf den Boden fällt, hat auch keine Wertung akzeptiert, er tuts halt einfach.

ganimed hat geschrieben:Dadurch wird diese Wertung zu einer dem Spiel immanenten Regel. Jedem bleibt es unbenommen, aus dem Spiel auszusteigen. Aber solange man mitmacht muss man sich dieser Wertung unterwerfen. Und aus dieser Wertung folgen dann sofort die objektiven Kriterien zur Bewertung der erfolgreichsten, besten Teilnehmer.

Evolution ist kein Spiel und hat keine Gewinner. Das sind menschliche Begriffe einer subjektiv menschlichen Perspektive. Du versuchst das händeringend zu naturalisieren, aber alles, was du damit erreichst, ist einen naturalistischen Fehlschluss nach dem anderen zu produzieren.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es geht um die qualitative Fähigkeit, zu unterscheiden, und darin sind nunmal wir die besten, möglicherweise sogar die einzigen.

Wieso geht es plötzlich darum? Es stimmt wohl, dass wir die einzigen sind, die beim Wettbewerb "wer kann am besten unterscheiden" mitmachen. Aber um diesen Wettbewerb geht es mir jedenfalls hier nicht. Es geht mir um den Wettbewerb "Leben". Was soll ich da mit deinen angeblichen qualitativen Fähigkeiten?

Leben ist kein Wettbewerb. "Wettbewerb" ist ein menschlich erdachtes und konzipiertes Modell zur Beschreibung natürlicher Vorgänge. Beschreibungen (Deskriptionen) sind, naja, deskriptiv. Deskriptionen stellen immer nur wertungslos Zusammenhänge (modellhaft) dar, nehmen aber keine Wertungen vor. Wertungen (Normen) sind normativ und können wiederum nicht aus Deskriptionen abgeleitet werden. Warum das so ist hat der gute alte Hume schon vor Jahrhunderten ziemlich umfassend dargelegt und ich habe wenig Lust, das Argument hier noch zu wiederholen.

Nochmal: Hierarchiebildung im Sinne von "besser vs schlechter" sind normativ und nur innerhalb des Sprachsystems möglich. Sie sind Bestandteile der Menge der diskursiven Elemente und daher an den sprachlichen Diskurs gebunden. Außerhalb des sprachlichen Diskurses können sie nicht existieren. Innerhalb des Diskurssystems sind zuallererstmal diejenigen die "besten", die das Diskursystem am umfassendsten verstehen und zu bedienen wissen, also wir Menschen. Natürlich können wir auch andere Hierarchien bilden, z.B. wer mehr Seitenlinienorgane hat, bestimmen, aber das ändert nunmal nichts daran, dass wir nach wir vor auf der Ebene von Reflektieren und Verstehen allen anderen etwas qualitativ voraus haben. Innerhalb eines Diskurssystems ist die Beherrschung des Diskurses nunmal die alles entscheidende Eigenschaft. Analog könnte man natürlich sagen, dass innerhalb des Evolutionssystems "Überleben" die alles entscheidende Eigenschaft ist, schon klar, aber das ist keine qualitative Größe, sondern lediglich eine quantitative. Man kann daraus keine qualitative Hierarchie ableiten, was das ganze ziemlich unergiebig und langweilig macht, vor allem, wenn man qualitative Hierarchien bilden will.

Oder, vielleicht wird es so nochmal deutlicher: Wenn du qualitativ werten willst, musst du auch qualitativ argumentieren. Du argumentierst aber quantitativ, und deshalb kann das einfach nicht hinhauen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 17. Okt 2012, 23:33

Nanna hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es gibt keine objektiven Maßstäbe
Was ist mit dem Zählen von erzielten Toren in Bundesligaspielen? Ist das kein objektiver Maßstab?
Ja, natürlich ist er das, aber er misst halt nur die Tore. ... Wir reden aber hier eben darüber, wer qualitativ "höhere" Fähigkeiten hat

Ach, es gibt also nur deshalb bei dir keine objektiven Maßstäbe, weil du hier über etwas reden willst, was deiner Meinung nach nicht mit quantifizierbaren Maßstäben gemesssen werden kann? So nach dem Motto: es gibt zwar X, aber bei mir gibt es kein X, weil ich jetzt über Y so rede, dass X ausgeschlossen ist?
Beim Fußball ist derjenige besser, der mehr Tore schießt. So kann man die Regeln interpretieren. Du willst das nur jetzt nicht auf Biegen, Brechen und Selbstwidersprechen.

Nanna hat geschrieben:Nein, das sind Zuschreibungen und Interpretationen, keine objektiven Wertungen.

Das ist pedantisch. Gut, dann definiere ich eben: eine objektive Wertung ist eine Zuschreibung, die aufgrund von objektiven, quantifizierbaren Maßstäben erfolgt. Und meine objektive Wertung ist eine Zuschreibung, die viel besser ist als stines nicht objektive, nicht mal vernünftig begründete Wertung. Ist das so richtig?

Nanna hat geschrieben:Regeln anzuerkennen ist ein bewusster, reflektiver Akt und hat nichts mit biologischen Mechanismen zu tun.

Das ist Quatsch. Nur weil ich aus sprachlicher Ungenauigkeit das Verb anerkennen benutzt habe mir daraus dieses Argument zu drehen. Als Lebewesen bist du dem Mechanismus unterworfen und damit auch seinen Regeln. Nun zufrieden? Die Regel lautet: wer sich nicht fortpflanzt, dessen Gene sind draußen = Spielende. Und jetzt komm mir bitte nicht mit weiteren Haarspaltereien, dass das kein Spiel wäre. Man kann es mit dem Begriffereiten auch übertreiben.

Nanna hat geschrieben:aber alles, was du damit erreichst, ist einen naturalistischen Fehlschluss nach dem anderen zu produzieren.

Ah, das ist der Begriff, den ich schon wieder vergessen hatte. "Naturalistischer Fehlschluss". Das war das, wo ich dir schon einmal widersprochen hatte. Na und da wäre es doch unhöflich, das jetzt nicht zu tun. Ich widerspreche hiermit also. "Naturalistischer Fehlschluss" ist meiner Ansicht also Unsinn.
Begründe lieber mal, wieso meine Schlüsse fehl sind.

Nanna hat geschrieben:Leben ist kein Wettbewerb. "Wettbewerb" ist ein menschlich erdachtes und konzipiertes Modell zur Beschreibung natürlicher Vorgänge. Beschreibungen (Deskriptionen) sind, naja, deskriptiv.

Das sind alles Feststellungen. Ich vermute, Versatzstücke aus irgendwelchen Quellen, die du sehr gekonnt zitierst und handhabst. Wie diese Geschichte mit dem angeblichen "naturalistischen Fehlschluss". Ich bin da weit weniger informiert, geübt und gebildet. Wie wäre es, wenn du nicht nur die Witznummer runterratterst, sondern die Witze doch nochmal erzählst, für mich nicht eingeweihten. Sonst kann ich nicht lachen. Also: wieso ist Leben kein Wettbewerb? Leugnest du etwa die Regel, dass wer sich nicht fortpflanzt draußen ist? Oder welches andere Charakteristikum eines Wettbewerbs fehlt dem Leben? Und wieso soll das Leben kein Wettbewerb sein, nur weil "Wettbewerb" ein Wort aus der menschlichen Sprache ist? Ich habe den Eindruck, deine Begriffs-Argumentation geht auch manchmal mit dir durch.

Nanna hat geschrieben:Innerhalb des Diskurssystems sind zuallererstmal diejenigen die "besten", die das Diskursystem am umfassendsten verstehen und zu bedienen wissen

Diesen Umstand nennst du immer wieder. Ich dachte zuerst wirklich, du hättest dich nur verschrieben. Wie kann man nur solchen Unsinn so oft wiederholen? Wer der beste ist hängt vom Maßstab bzw. dem Vergleichskriterium ab, denn genau dazu sind sie da. Willst du etwa behaupten, dass es nicht nur keine objektiven Maßstäbe gäbe, sondern jetzt plötzlich nur noch ein einziger Maßstab für alles übrig ist, nämlich wer das Diskurssystem am besten versteht?

Nanna hat geschrieben:Oder, vielleicht wird es so nochmal deutlicher: Wenn du qualitativ werten willst, musst du auch qualitativ argumentieren. Du argumentierst aber quantitativ, und deshalb kann das einfach nicht hinhauen.

Du hast jetzt nur noch vergessen, zu erklären, wieso das so ist. Wieso muss ich qualitativ argumentieren wenn ich qualitativ werten will? Wieso kann ich für meine qualitative Wertung nicht quantitative Maßstäbe heranziehen? Am besten, du demonstrierst das vielleicht am mir gut verständlichen Beispiel Bundesliga. Wenn es geht. Danke!
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Nanna » Do 18. Okt 2012, 00:45

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Leben ist kein Wettbewerb. "Wettbewerb" ist ein menschlich erdachtes und konzipiertes Modell zur Beschreibung natürlicher Vorgänge. Beschreibungen (Deskriptionen) sind, naja, deskriptiv.

Das sind alles Feststellungen. Ich vermute, Versatzstücke aus irgendwelchen Quellen, die du sehr gekonnt zitierst und handhabst. Wie diese Geschichte mit dem angeblichen "naturalistischen Fehlschluss". Ich bin da weit weniger informiert, geübt und gebildet. Wie wäre es, wenn du nicht nur die Witznummer runterratterst, sondern die Witze doch nochmal erzählst, für mich nicht eingeweihten. Sonst kann ich nicht lachen.

Ok, ehrlicher Versuch.

ganimed hat geschrieben:Also: wieso ist Leben kein Wettbewerb? Leugnest du etwa die Regel, dass wer sich nicht fortpflanzt draußen ist?

Nein, aber ich sehe dies nicht als Wettbewerbsregel, sondern als Mechanismus. Regeln sind etwas, was man vereinbart und wozu man sich bekennt und sich hält. Mechanismen funktionieren einfach, sobald man sie aktiviert hat. Natürlich kann man Evolution als Wettbewerb modellieren, aber das ist etwas anderes, als zu behaupten, dass Evolution einer ist. Ich weiß schon, dass das erstmal unheimlich nach Erbsenklauberei aussieht, deshalb würde ich im Rahmen einer alltäglicheren Diskussion auch nicht beanstanden, wenn jemand sagt, dass irgendein Tier evolutionär wettbewerbsfähiger ist als ein anderes. Solange man das Bezugssystem und die impliziten Annahmen offenlegt, ist das auch alles kein Problem. Dann kann man natürlich definieren, dass mehr Nachkommen mit Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit gleichzusetzen sind. Man muss nur aufpassen, dass man das nicht sprachlich essentialisiert, also sagt, dass ein Tier den Wettbewerb gewonnen hat. Gewinnen bedeutet, z.B. im Sport, ja auch mehr als nur schneller gelaufen zu sein. Wäre es anders, würde in den Nachrichten mitgeteilt, dass Sprinter X die 100m heute in soundsoviel Sekunden gelaufen ist und nicht, dass er eine Leichtathletikmeisterschaft gewonnen hat.
Wir machen solche Unterscheidungen häufig instinktiv, wenn wir z.B. sagen "Kaninchen vermehren sich schneller als Pandas. Das bedeutet, dass sie evolutionär erfolgreicher sind." Mit dem Wort "bedeuten" wird schon impliziert, dass wir da eine modellhafte Zuschreibung machen, denn "objektiv" (in dicken Anführungszeichen) gibt es ja nichtmal Evolution. Objektiv leben und sterben einfach Tiere. Erst wenn wir darüber anfangen zu sprechen, kommen Konzepte wie die Evolution überhaupt in die Existenz, befinden sich dann aber sozusagen auf einem anderen layer der Wirklichkeit, der wiederum einen anderen, grundlegenderen abbildet. Wenn wir auf diesem sprachlichen layer über Dinge sprechen, die wir empirisch beobachten, sind das immer "nur" Repräsentationen und Modelle von Geschehnissen, nicht die Geschehnisse selbst. Deshalb sind "X ist so"-Aussagen ja, jetzt wirklich vom erkenntnistheoretischen und nicht vom Punkt der Alltagssprache aus gesehen, ja so problematisch, weil X eben nicht so ist, sondern "nur" von uns so gesehen wird.

Ich bin nicht sicher, ob ich jetzt wirklich zur Klarheit beigetragen habe, aber es war ein ehrlicher Versuch zur fortgeschrittenen Nachtstunde.

ganimed hat geschrieben:Oder welches andere Charakteristikum eines Wettbewerbs fehlt dem Leben? Und wieso soll das Leben kein Wettbewerb sein, nur weil "Wettbewerb" ein Wort aus der menschlichen Sprache ist? Ich habe den Eindruck, deine Begriffs-Argumentation geht auch manchmal mit dir durch.

Wahrscheinlich hätte ich dir vor ein paar Jahren noch zugestimmt und mir selber vorgeworfen, dass ich banale Sachverhalte sprachlich verkomplizieren würde. Nur studiere ich dummerweise eine recht philosophielastigen Studiengang und bin mit der Zeit klüger und vorsichtiger geworden, oder bilde mir das zumindest ein. Erst vor zwei Tagen hat mir wieder ein Professor den recht kargen, aber wahren Satz gesagt, dass es nunmal einfach keine einzige sprachliche Aussage gibt/geben kann, die so eindeutig formuliert ist, dass sie keiner Interpretation bedarf (in dem Fall ging es um Koranexegese, aber die Aussage war allgemein gemeint). Es liegt sozusagen immer eine Schicht Interpretation und damit auch Wertung bzw. Abwägung zwischen uns und der physischen Wirklichkeit und auch zwischen uns und anderen diskursiven Wesen (vieles versendet sich einfach, wenn zwei miteinander reden, die nicht exakt dieselben Kommunikationsmuster pflegen, das merken wir beide ja auch gerade).
Was hat das jetzt mit dem Wettbewerb zu tun?
Also, das Entscheidene ist meines Erachtens, sich bewusst zu sein, dass Begrifflichkeiten NIE 1:1 die Wirklichkeit abbilden können. Wenn ich also vom Leben als Wettbewerb spreche, dann ist dem grundsätzlich eine metaphorische Komponente beigemengt. Im konkreten Fall "Wettbewerb" umso mehr, als dass Sieger und Verlierer menschliche, soziale Rollenzuschreibungen sind, die die Natur als solche nicht kennt - wie sie ja generell keine Begrifflichkeiten kennt oder nur insofern, als dass wir als Bestandteile der Natur sie kennen. Deshalb muss man eben schon unterscheiden zwischen der Aussage, dass man das Leben als Wettbewerb beschreiben kann und der, dass das Leben Wettbewerb ist. Letztere Aussage essentialisiert eine menschliche Zuschreibung, und das ist schlichtweg weder logisch noch empirisch haltbar.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Innerhalb des Diskurssystems sind zuallererstmal diejenigen die "besten", die das Diskursystem am umfassendsten verstehen und zu bedienen wissen

Diesen Umstand nennst du immer wieder. Ich dachte zuerst wirklich, du hättest dich nur verschrieben. Wie kann man nur solchen Unsinn so oft wiederholen? Wer der beste ist hängt vom Maßstab bzw. dem Vergleichskriterium ab, denn genau dazu sind sie da. Willst du etwa behaupten, dass es nicht nur keine objektiven Maßstäbe gäbe, sondern jetzt plötzlich nur noch ein einziger Maßstab für alles übrig ist, nämlich wer das Diskurssystem am besten versteht?

Klingt jetzt vielleicht irgendwie etwas verrückt, aber das Diskurssystem ist ja viel realer für uns als die physische Welt. Wir können da ja gar nicht raus, das sprachliche System strukturiert unsere Wirklichkeit (ich hatte da früher schonmal über das Thema geredet, dass es z.B. "Räume" oder "Gemeinschaften" im essentiellen Sinne gar nicht gibt, sondern diese immer vorgestellt sind; Raumtheorie ist z.B. fast schon eine eigene Disziplin in der Geografie, die sich ausschließlich mit dem Problem beschäftigt, was Räume eigentlich sind).
Was ich jetzt aber wegen der Frage, wer innerhalb des Diskurssystems am höchsten steht, meinte: Wir können uns der Welt nur diskursiv nähern. Auch wenn du sagst, dass Lebewesen mit vielen Nachkommen erfolgreich sind, ist das auch wieder eine Aussage innerhalb des sprachlich-analytisch/diskursiven System. Natürlich hast du Recht, Ordinaltabellen kann ich anhand beliebiger Kriterien bilden und dann z.B. empirisch die Zahl geschossener Tore messen, aber hier ging es doch eingangs um die Frage, inwiefern ein Bewusstsein (und im engeren Sinne würde ich sagen, die Fähigkeit zum Diskurs) uns "höher" oder "freier" macht. Da das diskursive System das einzige System ist, in dem wir überhaupt qualitative, normative Hierarchien bilden können, gelten natürlich die Regeln dieses Systems. Qualitativ gesehen "höher" ist hier der, der qualitativ differenzierter und reichhaltiger argumentieren kann, weil sich daran Qualität (oder müsste man "Qualitativität" sagen?) meines Erachtens einfach schon definitionsgemäß festmacht. Qualitative Bewertungen machen nunmal nur innerhalb eines qualitativen Systems Sinn. Wie schon gesagt hat das eine selbstreferentielle, vielleicht sogar tautologische Komponente. Trotzdem kommt man, soweit ich das sehe, nicht darum herum, sich für qualitative Bewertungen in ein qualitatives System zu begeben.

ganimed hat geschrieben:Wieso kann ich für meine qualitative Wertung nicht quantitative Maßstäbe heranziehen? Am besten, du demonstrierst das vielleicht am mir gut verständlichen Beispiel Bundesliga. Wenn es geht. Danke!

Ich bin nicht sicher, wie gut ich das demonstrieren kann, ich denke gerade sehr abstrakt. Ich hatte Zappa irgendwann mal versprochen, ihm den ewigen Konflikt zwischen Qualis und Quantis in der Soziologie zu erklären, vielleicht sollte ich das demnächst endlich mal nachholen, daran wird vielleicht manches deutlich.
Die simple Erklärung ist für den Einstieg erstmal, dass man, wenn man quantitativ Maßstäbe heranzieht, eben auch nur quantitativ arbeiten kann. So blöd es klingt, aber das sagt ja schon die Bezeichnung. Bei qualitativen Verfahren zählen eben nicht quantitative Maßstäbe, sonst würde man ja keinen begrifflichen Unterschied machen. Natürlich arbeitet man auch, wenn man z.B qualitativ forscht, im begrenzten Umfang mit quantitativen Methoden, aber nur, um die quantitative Verbreitung einer qualitativen Feststellung einzugrenzen. Z.B. würde man vielleicht Experten befragen, welche Bundesligamannschaft den schönsten oder technisch besten Fußball spielt und würde dann messen, ob die Zahl der gelungenen Pässe oder die Zahl der Tore oder die Zahl der Fans, die der Aussage zustimmt, das untermauert. Theoretisch könnten aber viele erfolgreiche Pässe auch am Unvermögen des Gegners oder an Schummeleien oder an purem Glück liegen und müssten nicht auf einen qualitativ besseren Fußball zurückführbar sein. Noch weniger ließe sich an der Zahl der Tore festmachen, wer leidenschaftlicher Fußball spielt und das ist ja auch eine wichtige Komponente, andernfalls würde es ausreichen, zur Bestimmung des Spielausgangs nur noch Elfmeterschießen durchzuführen und das Ergebnis schmucklos in einer Tabelle zu präsentieren. Über die qualitative Dimension eines Fußballspiels sagt die Quantität also erstmal nur begrenzt etwas aus. Es gibt zwar gewisse Korrelationen (in der Soziologie bedient man sich da einer Methodik namens Triangulation, die quantitative und qualitative Methoden verbindet), aber logisch kausale Schlüsse verbieten sich da.

Ich werde mir Mühe geben, da in besserer Tagesform nochmal eine Spur verständlicher darzustellen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Do 18. Okt 2012, 07:04

ganimed hat geschrieben:es mehrere Kandidaten, wie angedeutet (Anzahl Individuen, Anzahl Generationen, Zeitraum der Existenz einer Spezies, ...). Aber dein Maßband oder stines Trikotfarbe (wir haben gelbe Bewusstseine und deshalb gewonnen) gehören jedenfalls nicht hierher.
DAS würde ich so nicht sagen!

Wenn das gelbe Trikot dem Träger verhilft, besser zu spielen, weil es atmungsaktiver ist und den Gegner aufgrund der Farbe verwirrt, dann spielt es durchaus eine erhebliche Rolle.
Außerdem möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass eine Trikotfarbe eine ungeschickte Metapher für "Selbstbewusstsein" ist. Ich schrieb das ja schon mal vorher (vielleicht überlesen?) ich würde das Selbstbewusstsein in den Fußballspielbeispielen nicht mit dem Trikot, sondern mit der Fähigkeit der Mannschaft, alle ihre Stärken gekonnt zu bündeln, vergleichen.
Aber vermutlich ist die ungeschickte Wahl des Trikots kein Zufall, oder?

ganimed hat geschrieben:- für wen oder was? Für alle Lebewesen
- in Bezug auf welche Ziele? Den Zielen der Evolution
- in Bezug auf welchen Bewertungsmaßstab? Alle quantitativen, biologischen Bewertungsmaßstäbe
All das, schafft der Mensch bewusst, indem er seine Fähigkeiten bewusst bündelt.
Er kann alle Lebewesen auf dieser Welt vernichten oder erhalten, wie er möchte.
Er kann seine GEN-Strukturen selbst verändern und das Aussehen und die Fähigkeiten seiner Nachkommen bestimmen.
Er kann sich für alles, was er von Natur aus nicht kann Hilfsmittel schaffen.


LG stine
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Vollbreit » Do 18. Okt 2012, 11:23

Nanna hat geschrieben:Regeln sind etwas, was man vereinbart und wozu man sich bekennt und sich hält.


Der Begriff „Regel“ ist mehrdeutig.
Einmal kann man „Regel“ als etwas verstehen, was sich denkende Wesen bewusst geben, z.B. Verkehrsregeln.
Zum anderen kann man mit „Regel“ einfach eine Regelmäßigkeit bezeichnen, dass z.B. auf den Tag die Nacht folgt und so weiter.

Gegen bestimmte „Regeln“ die aus den Naturgesetzen folgen können wir gar nicht verstoßen, darum protestiert auch niemand gegen die Schwerkraft, den Darmperistaltik oder findet es ungerecht atmen zu müssen. Wir müssen es dennoch, sozusagen eine Regeln deren Sein uns zum Sollen ein Stück weit zwingt, wenn wir nicht sterben wollen. Wir können ja auch bewusst dafür sorgen, dass wir ersticken.

Gegen die Verkehrsregeln, die Mode, die demokratischen Gepflogenheiten oder die guten Sitten können wir verstoßen.

Der qualitative Unterschied (ich würde ihn so bezeichnen) ist z.B. dass der Mensch sich soziale Spielregeln geben kann (das kann das Tier nicht, auch wenn es im Sozialverband lebt) und diese eben auch qua Willensentschluss brechen kann.

D.h. wir haben (im besten Fall) ein inneres Modell von bestimmten gesellschaftlichen Erwartungen (wie ich mich hier und jetzt verhalten sollte) und die bewusste Möglichkeit diesen zu entsprechen oder dagegen zu verstoßen und auch noch die Bewusstheit in einigen Fällen die möglichen Konsequenzen zu antizipieren.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Do 18. Okt 2012, 20:22

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Fraglich ist auch, ob es überhaupt stimmt, dass der einzige Mechanismus, dem alle Lebewesen unterworfen sind, der Evolutionsmechanismus ist.

Was ist das denn für eine Argumentation? Fraglich ist alles, jedenfalls stellst du offensichtlich alles in Frage, was ich so von mir gebe. Aber das ist doch noch kein Argument. Beantworte deine Frage dann doch auch gleich. Also: welchen Mechanismus gibt es denn sonst noch?

Nun, man könnte so argumentieren: Menschen befinden sich auf einer solchen Entwicklungsstufe, dass für die die Evolutionsmechanismen (Vererbung, Mutation, Selektion) nicht mehr in dem Maße gelten wie für andere Tiere, (bzw. zumindest für die Tiere, die nicht durch den Menschen beeinflusst/verändert werden).

Wissenschaft, Medizin, Gentechnik, Züchtung: all das geht am Evolutionsmechanismus vorbei, wird nicht durch diesen beeinflusst.

Es gibt nun Leute, die das nicht gut finden: "zurück zur Natur, keine Chemie" oder auch Sozialdarwinismus: "Kranke sollen sterben, damit der Genpool gesund bleibt" oder dergleichen.

Es mag nun ein "Evolutionsspiel" geben, aber es gibt mE keine Grund, dessen Regeln anerkennen zu müssen. (Wenn es aber gute Gründe gäbe, die Regeln der Evolution anzuerkennen und diese einzuhalten und nicht dagegen zu verstoßen, dann wäre folglich der Sozialdarwinismus richtig.)

Gehen wir wieder zum Fußball. Sagen wir mal, X und Y schauen gemeinsam ein Fußballspiel an. X sagt: "Mannschaft A ist besser, weil die eine bessere Bilanz an gewonnenen Spielen in der letzten Zeit hat". Y sagt: "Mannschaft B ist besser, weil die Spieler von B viel besser aussehen als die von A".

Nun schreitet das Spiel voran, am Ende geht es 4:4 aus. X sagt: "das war ein gutes Spiel, viele Tore und spannend von der ersten bis zur letzten Minute". Y sagt: "das war kein gutes Spiel, A hat 4:0 geführt, und hat dann doch noch unentschieden gespielt und ich hätte es besser gefunden, wenn A gewonnen hätte".

Wer hat jeweils recht? Jeweils werden unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe verwendet, innerhalb der jeweiligen Bewertungsmaßstäbe hat jeder recht. Unglücklicherweise sind aber die Bewertungsmaßstäbe inkommensurabel.

Man müsste nun, um die drüberstehende, einzig richtige Bewertung, die Du möchtest, zu finden, die Bewertungsmaßstäbe selber bewerten, in Beziehung zueinander setzen. Und dafür braucht man wieder einen Bewertungsmaßstab. Wie wählt man den? Man kann sich auf Bertungsmaßstäbe einigen, aber das bedeutet nur eine Einigung, nicht zusätzlich eine darüber hinaus gehende Richtigkeit.

Klar, Du kannst sagen: "für ein Fußballspiel ist es egal, wie schön die Spieler sind, wir sollten doch bitte im Rahmen der Regeln des Spieles bleiben". Aber Y sieht das anders, das ist für Y sehr wohl ein Faktor, der zu berücksichtigen ist. Y sieht nicht ein, wieso er in dem Rahmen bleiben soll, den Du als richtig ansiehst. Und ich glaube, Du kannst hier auch keinen Grund, der über "finde ich aber richtig so" herausgeht, nennen.

Und nun nochmal zum Maßstab: innerhalb eines Maßstabes kann man sich vielleicht einigen, wer besser ist. X sagt: "ja, stimmt, die Spieler von B sehen viel besser aus". Aber X sagt auch: "aber das ist doch unwichtig". Und das ist mE falsch. Warum soll das unwichtig sein? X steckt hier offensichtlich schon ungenannte Prämissen hinein, die Y aber nicht anerkennen muss.

Das bedeutet nicht, dass Bewertungen sinnlos seien, sondern es bedeutet nur, dass ich glaube, dass man sich auf Bewertungsmaßstäbe einigen muss. Wobei im Hinblick auf bestimmte Ziele bestimmte Bewertungsmaßstäbe besser sind als andere, aber auch auf die Ziele muss man sich wiederum einigen, auch die sind nicht von der Natur oder dem Evolutionsmechanismus oder Gott vorgegeben.

Und nun wieder zurück zur Evolution. "Evolution" ist die Beschreibung von Vorgängen, die wir beobachten. Die Evolution hat kein Ziel, evolutionäre Vorgänge finden einfach so statt. Sie sind nicht gut oder schlecht, sie sind erst mal nur so, wie sie sind. Was gut oder schlecht ist, müssen wir an Zielen und Prinzipien messen, die wir haben, finden, abwägen. Die Evolution gibt da gar nichts vor. Gut, wahrscheinlich sagst Du nun, das sei Wortklauberei. Nehmen wir also mal for the sake of Argument an, die Evolution sei eine Art Gott und hätte bestimmte Ziele. Aber auch dann stellte sich die Frage: warum sollte man eben diese Ziele gut finden?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Fr 19. Okt 2012, 01:06

@Nanna: vielen Dank für deine Bemühungen!
Also wenn ich recht verstehe, hätte ich nicht schreiben dürfen: "das Leben ist ein Wettbewerb, deshalb leite ich den objektiven, quantitativen Maßstab für Lebewesen aus den Regeln dieses Wettbewerbs ab". Sondern ich hätte schreiben müssen: das Leben ist in dem Begriffssystem, das ich jetzt meine, gleichbedeutend mit einem Wettbewerb. Und in diesem Wettbewerb, den es nicht in Wirklichkeit gibt sondern nur im sprachlich-gedanklichen Raum und der deshalb genau genommen (aber wer wollte es schon so genau nehmen) nur in Übereinkunft mit euch anderen in diesem diskursiven Bezugssystem existiert, gibt es Regeln, die es aber nicht wirklich gibt, in dem nicht existierenden Wettbewerb aber doch. Und deshalb ist die Schnake eben besser als der Mensch. War es so richtig?

Ich glaube auch nach deinem ausführlichen, klar formulierten Exkurs in deine Welt des philosophisch vorsichtigen Sprachumgangs, sind meine Äußerungen zwar ungenau und nach deinen Kriterien falsch formuliert, aber in der Sache habe ich genau recht. Was ich durch die Tatsache bestätigt sehe, dass du im Grunde auf die letzte Barrikade zurückgewichen bist, nichts substantielles an meinem Maßstab aussetzt, sondern nur sprachliche Ungenauigkeiten monierst. Und dabei schreibst du selber, dass nichts perfekt formuliert werden kann, sondern immer einer Interpretation bedarf. Ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, dass du in dem Versuch, Kritik zu üben, offenbar eine Interpretation meiner Worte gewählt hast, die oberflächliche Fehler hervorhebt und dich der Mühe enthebt, etwas zum Kern zu sagen.

Nanna hat geschrieben:Wahrscheinlich hätte ich dir vor ein paar Jahren noch zugestimmt und mir selber vorgeworfen, dass ich banale Sachverhalte sprachlich verkomplizieren würde. Nur studiere ich dummerweise eine recht philosophielastigen Studiengang und bin mit der Zeit klüger und vorsichtiger geworden, oder bilde mir das zumindest ein.

Ob du klüger und vorsichtiger geworden bist, kann ich nicht beurteilen. Aber auf mich wirkt es jedenfalls so, als habe deine Lust, banale Sachverhalte sprachlich zu verkomplizieren, zugenommen. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, vor was uns deine Vorsicht hier bewahren sollte. Was war denn jetzt so schlimm an meiner Formulierung? Welche Interpretation würde denn zu dem Ergebnis führen, dass ich unrecht hätte? Soweit ich sehe führen deine kritischen Interpretationen meiner Worte einfach nur zu Syntax-Errors? Zu einer inhaltlichen Kritik gelangst du auf diese Weise ja gar nicht erst, oder?

Nanna hat geschrieben:Also, das Entscheidene ist meines Erachtens, sich bewusst zu sein, dass Begrifflichkeiten NIE 1:1 die Wirklichkeit abbilden können.

Das ist ja dann also eben doch nicht das Entscheidende. Denn wenn es NIE abgebildet werden kann, brauchen wir ja nicht ausgerechnet bei meinem so schön dargelegten Argument mit dieser Erbsenzählerei anfangen. Ist doch unfair, wenn du diese Einwände bei JEDER Aussage machen könntest, sie aber nur bei meiner Aussage tätigst.

Nanna hat geschrieben:Da das diskursive System das einzige System ist, in dem wir überhaupt qualitative, normative Hierarchien bilden können, gelten natürlich die Regeln dieses Systems.

Gut, aber diese Regeln des Systems beziehen sich auf den Diskurs, nicht auf den Wettbewerb, den ich sprachlich beschreibe. Ich meine keinen Schreib-Wettbewerb, ich meine das Leben. Und als Maßstab wähle ich meinetwegen die Fortpflanzungsrate.

Nanna hat geschrieben:Qualitativ gesehen "höher" ist hier der, der qualitativ differenzierter und reichhaltiger argumentieren kann

Das ist jetzt einfach ein Maßstab, den du hier nennst. Ich habe meinen begründet (aus den Regeln des Lebens-Wettbewerbes hergeleitet). Jetzt bist du dran. Wieso ist dein Maßstab naheliegender?
Und auf die Bundesliga bezogen: ich würde als Maßstab die Tore zählen und sagen: die Mannschaft ist qualitativ höher, die mehr geschossen hat. Und dann würdest du auch einwenden, dass ja das diskursive System das einzige System ist, und deshalb der einzige Maßstab sei, wer differenzierter argumentieren kann, und du würdest dann allen Ernstes die Mannschaft als qualitativ höher werten, deren Mitglieder besser diskutieren können?

Nanna hat geschrieben:Die simple Erklärung ist für den Einstieg erstmal, dass man, wenn man quantitativ Maßstäbe heranzieht, eben auch nur quantitativ arbeiten kann. So blöd es klingt, aber das sagt ja schon die Bezeichnung.

Ja, das klingt wirklich blöd. Ich kann folgende Transformationsregeln definieren:
0-3 Punkte = ungenügend
4-9 Punkte = mangelhaft
10-20 Punkte = ausreichend
21-33 Punkte = befriedigend
34-49 Punkte = gut
50-70 Punkte = sehr gut
Jeder Lehrer schafft es, aus einem quantitativen Maßstab einen qualitativen zu machen. Dann kann es doch nicht so schwer sein, oder?

Nanna hat geschrieben:Z.B. würde man vielleicht Experten befragen, welche Bundesligamannschaft den schönsten oder technisch besten Fußball spielt und würde dann messen, ob die Zahl der gelungenen Pässe oder die Zahl der Tore oder die Zahl der Fans, die der Aussage zustimmt, das untermauert. Theoretisch könnten aber viele erfolgreiche Pässe auch am Unvermögen des Gegners oder an Schummeleien oder an purem Glück liegen und müssten nicht auf einen qualitativ besseren Fußball zurückführbar sein.

Die Aussage des Experten beruht eben darauf, wie viele gute Aktionen er gesehen hat und wie er die in seinem inneren Wertesystem wichtet. Theoretisch UND praktisch korreliert das nur unvollkommen mit der tatsächlichen, objektiven Anzahl an gelungenen Pässen, Toren oder Fans. Diese Ungenauigkeit liegt nicht daran, dass man angeblich nicht von quantitativ auf qualitativ schließen könnte. Dein Beispiel war einfach nur schlecht gewählt.

Nanna hat geschrieben:Noch weniger ließe sich an der Zahl der Tore festmachen, wer leidenschaftlicher Fußball spielt

Das ist die andere Richtung. Mag sein, dass sich viele Qualitäten nicht quantitativ ermitteln lassen (obwohl ich da in Richtung Hirnsonden und Hormonausschüttungspotentialen bei den Spielern schon eine Idee hätte). Aber trotzdem ist es doch Unsinn, zu behaupten, dass man aus einem quantitativen Maßstab keine qualitativen Aussagen ableiten könne.

Nanna hat geschrieben:Ich werde mir Mühe geben, da in besserer Tagesform nochmal eine Spur verständlicher darzustellen.

Ich will nicht ausschließen, dass die Verständlichkeit deiner Ausführungen für mich ein Problem darstellt. Aber mir kommt es so vor, als hätte ich dich ganz gut verstanden. Und was ich verstanden habe, finde ich nicht sehr stichhaltig. Vielleicht wäre es auch angezeigt, bessere Argumente zu liefern, statt die bisherigen besser zu erklären.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Fr 19. Okt 2012, 01:17

stine hat geschrieben:DAS würde ich so nicht sagen!

Stine, das ist doch genau mein Punkt. Natürlich würdest du das nicht so sagen, dass Dortmund einfach aufgrund der Trikotfarbe die beste Mannschaft ist. Deshalb habe ich ja genau dieses Beispiel gewählt. Deine "Argumente" in Sachen Bewusstsein (Menschen können bewusst planen, also sind sie besser) sind (meiner Ansicht nach) äquivalent zu dem Argument "die Trikotfarbe ist gelb, also sind die Dortmunder besser". Du nimmst als Argument einfach eine beschreibende Eigenschaft des Bewusstseins, so wie ich einfach eine beschreibende Eigenschaft der Dortmunder nahm. Und im Dortmund-Beispiel sieht jeder und jetzt auch du, dass dann dieses Argument aber einfach Blödsinn ist. Und genau das wollte ich über dein Argument zeigen, weswegen angeblich der Besitz eines Bewusstseins, mit dem man bewusst ist, höher macht.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Fr 19. Okt 2012, 01:40

AgentProvocateur hat geschrieben:Wissenschaft, Medizin, Gentechnik, Züchtung: all das geht am Evolutionsmechanismus vorbei, wird nicht durch diesen beeinflusst.

Du hast dich irgendwie verirrt. Ich behauptete, dass Evolution der einzige Mechanismus sei, dem alle Lebewesen unterworfen seien. Das fandest du fraglich. Statt jetzt einfach mal als Beleg einen anderen Mechanismus zu nennen, dem alle Lebewesen ebenfalls unterworfen sind, zählst du Dinge auf, die nicht dem Evolutionsmechanismus unterworfen sind. Knapp daneben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen befinden sich auf einer solchen Entwicklungsstufe, dass für die die Evolutionsmechanismen (Vererbung, Mutation, Selektion) nicht mehr in dem Maße gelten wie für andere Tiere

Doch doch, der Mechanismus gilt für uns noch. Aber wir können die genauen Wirkfaktoren beeinflussen. Der Mechanismus geht so: wenn du es nicht schaffst, dich fortzupflanzen, dann sind deine Gene weg. Und das gilt auch für Menschen. Dass sie den Selektionsdruck vermindert haben (weil Umweltgefahren vermindert wurden) stimmt ja durchaus. Wir können die Mutationsrate steuern, indem wir uns neben ein explodiertes Kernkraftwerk stellen oder nicht. Wir können die Vererbung beeinflussen. Aber dennoch: vererbt wird, fortgepflanzt wird. Und es bleibt beim Mechanismus: wer das Weitergeben der Gene nicht schafft, dessen Gene scheiden aus.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es mag nun ein "Evolutionsspiel" geben, aber es gibt mE keine Grund, dessen Regeln anerkennen zu müssen. (Wenn es aber gute Gründe gäbe, die Regeln der Evolution anzuerkennen und diese einzuhalten und nicht dagegen zu verstoßen, dann wäre folglich der Sozialdarwinismus richtig.)

Die Regeln anerkennen, sich dem Mechanismus unterwerfen, sind zugegebenermaßen irreführende Begriffe. Denn wir haben gar keine Wahl. Wir sind Lebewesen und deshalb haben wir Gene und die scheiden aus, wenn wir uns nicht fortpflanzen. Ein Lebewesen hat keine Möglichkeit, das nicht "anzuerkennen", in dem Sinne, dass es diesem Mechanismus folgt, unterworfen ist, ... wie auch immer man es formulieren möchte. Wir reden hier also nicht über ein "Anerkennen" im üblichen Sinne, wo man sich irgendwie was aussuchen könnte.

Zu deinem gelungenen X,Y-Beispiel:
AgentProvocateur hat geschrieben:Man müsste nun, um die drüberstehende, einzig richtige Bewertung, die Du möchtest, zu finden, die Bewertungsmaßstäbe selber bewerten, in Beziehung zueinander setzen.

Genial. Darauf war ich noch nicht gekommen. Man muss eine Ebene höher gehen und die Bewertungsmaßstäbe bewerten. Da stimme ich zu.

AgentProvocateur hat geschrieben:Klar, Du kannst sagen: "für ein Fußballspiel ist es egal, wie schön die Spieler sind, wir sollten doch bitte im Rahmen der Regeln des Spieles bleiben". Aber Y sieht das anders, das ist für Y sehr wohl ein Faktor, der zu berücksichtigen ist. Y sieht nicht ein, wieso er in dem Rahmen bleiben soll, den Du als richtig ansiehst. Und ich glaube, Du kannst hier auch keinen Grund, der über "finde ich aber richtig so" herausgeht, nennen.

Y erinnert mich sehr an dich. Ich nenne ständig Gründe, die du nur nie sehen, einsehen oder anerkennen willst. Aber ich kann durchaus mehr sagen als "finde ich aber richtig so". Habe ich ja auch schon gesagt. Das Zauberwort war "naheliegend". Und das könnte auch ein Teil des Meta-Bewertungsmaßstabes sein. Ein Bewertungsmaßstab ist dann besser, wenn er naheliegender ist, sachverwandt, sich aus dem Bezugssystem ableiten lässt.
Kann Y seine Kriterien auch irgendwie begründen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Was gut oder schlecht ist, müssen wir an Zielen und Prinzipien messen, die wir haben, finden, abwägen. Die Evolution gibt da gar nichts vor.

Ok, messen wir was gut oder schlecht ist an Zielen und Prinzipien. ABER da wir alle Lebewesen vergleichen wollen müssen das fairerweise natürlich auch Ziele und Prinzipien aller Lebewesen sein. Und dann sind wir genau wieder bei meinem Argument, dass mir außer der Evolution kein Mechanismus und kein Regelwerk einfällt, das für alle Lebewesen gleichermaßen gilt. Ergo: dein "die Evolution gibt da gar nichts vor" ist genau falsch.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Nanna » Fr 19. Okt 2012, 02:14

ganimed hat geschrieben:Was ich durch die Tatsache bestätigt sehe, dass du im Grunde auf die letzte Barrikade zurückgewichen bist, nichts substantielles an meinem Maßstab aussetzt, sondern nur sprachliche Ungenauigkeiten monierst.

Ne, ich bin nicht zurückgewichen, ich versuche eigentlich nur, dir irgendwie klar zu machen, dass aus quantitativen Messungen keine qualitativen Aussagen zu gewinnen sind. Ich sehe aber schon, dass ich das Problem offenbar von der falschen Seite her aufzäume. Wenn du die Rolle der Sprache nicht ernst nimmst, hat es natürlich wenig Sinn, die Problematiken im Umgang mit Sprache immer kleinteiliger auseinanderzunehmen, weil ja schon die Ausgangsbotschaft nicht bei dir angekommen ist.

ganimed hat geschrieben:Ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, dass du in dem Versuch, Kritik zu üben, offenbar eine Interpretation meiner Worte gewählt hast, die oberflächliche Fehler hervorhebt und dich der Mühe enthebt, etwas zum Kern zu sagen.

Das, was du als Oberflächlichkeiten ansiehst, stellt für mich den Kern deines Problems dar. Du versuchst qualitativ zu urteilen, ohne zu reflektieren, unter welchen Bedingungen das (nur) möglich ist. Bzw. eigentlich versuchst du qualitative Urteile zu entkräften, indem du Regeln der quantitativen Forschung auf die qualitative Forschung anwendest und dich dann munter freust, dass du jede Menge Widersprüche entdeckst.

Natürlich deute ich dabei deine Position. Du darfst mir gerne erklären, wo ich dich falsch verstanden habe, wenn du das Gefühl hast, dass das so ist.

ganimed hat geschrieben: Soweit ich sehe führen deine kritischen Interpretationen meiner Worte einfach nur zu Syntax-Errors? Zu einer inhaltlichen Kritik gelangst du auf diese Weise ja gar nicht erst, oder?

Nehmen wir mal als Beispiel das Reizthema Religion. Stell dir mal für einen Augenblick vor, Person A, Christ, würde von Person B (Atheist) verlangen, ein theologisches Argument nachzuvollziehen und es inhaltlich zu kritisieren. Atheist B hat darauf aber keine Lust, weil er gar nicht einsieht, warum er sich mit einer Argumentation auseinandersetzen soll, die auf Prämissen beruht, die er nicht als gegeben ansehen kann. Er wird deshalb Person A vorwerfen, eine Position zu formulieren, die schon prinzipielle Lücken und Ungereimtheiten in den Axiomen/impliziten Annahmen aufweist.

So ähnlich geht es mir mit dir. Eine inhaltliche Kritik erübrigt sich für mich schon deshalb in weiten Teilen, weil ich die Prämissen, auf denen der Inhalt konstruiert wird, für inkonsistent halte. Ob du jetzt "2 Bananen + 2 Bananen = 5 Bananen" oder dasselbe mit Bratwürsten rechnest, ist für das prinzipielle, strukturelle Problem der Aussage doch irrelevant.

ganimed hat geschrieben:Gut, aber diese Regeln des Systems beziehen sich auf den Diskurs, nicht auf den Wettbewerb, den ich sprachlich beschreibe. Ich meine keinen Schreib-Wettbewerb, ich meine das Leben. Und als Maßstab wähle ich meinetwegen die Fortpflanzungsrate.

Ok, das kannst du ja auch machen. Aber dann musst du transparent darlegen, dass du "Überlebenserfolg anhand der Fortpflanzungsrate" messen willst. Mit der Themenfrage, ob bewusste Lebewesen höhere Grade an Freiheit erreichen bzw. qualitativ höhere Stufen der Entwicklung erreichen, hat das dann halt einfach nichts zu tun.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Qualitativ gesehen "höher" ist hier der, der qualitativ differenzierter und reichhaltiger argumentieren kann

Das ist jetzt einfach ein Maßstab, den du hier nennst. Ich habe meinen begründet (aus den Regeln des Lebens-Wettbewerbes hergeleitet). Jetzt bist du dran. Wieso ist dein Maßstab naheliegender?

Gerne nochmal: Der "Lebens-Wettbewerb", wie du es nennst, hat nichts damit zu tun, wie ein Lebewesen qualitativ fühlt und denkt. Solange du deinen Maßstab für den Überlebenserfolg benutzt, ist er vollkommen angebracht, aber er hat eben nichts bei einer Bewertung (ist auch nicht dasselbe wie Messung) einer qualitativen Frage zu tun.

ganimed hat geschrieben:Und auf die Bundesliga bezogen: ich würde als Maßstab die Tore zählen und sagen: die Mannschaft ist qualitativ höher, die mehr geschossen hat. Und dann würdest du auch einwenden, dass ja das diskursive System das einzige System ist, und deshalb der einzige Maßstab sei, wer differenzierter argumentieren kann, und du würdest dann allen Ernstes die Mannschaft als qualitativ höher werten, deren Mitglieder besser diskutieren können?

:doh: *patsch*
Meine Güte... natürlich nicht. Aber danke für das Beispiel, denn es offenbart recht gut, wie du zwei Dinge durcheinanderschmeißt, die nicht in denselben Topf gehören. Aber der Reihe nach:
- Aus der Anzahl der Tore lässt sich nicht direkt die Qualität der Mannschaft ablesen. Man kann sicherlich begründet annehmen, dass Toranzahl und Qualität der Mannschaft miteinander korrelieren, aber eine Korrelation ist etwas anderes als eine Kausalität. Zudem hat der Begriff "Qualität" eben auch eine normative Komponente, insofern er zwischen "besser" und "schlechter" unterscheidet, was nicht dasselbe ist wie das rein quantitative "weniger" und "mehr". Die Transformation von "weniger" in "schlechter" und von "mehr" in "besser" ist nur unter Zuhilfenahme einer normativen Theorie möglich, die begründet, warum "mehr" dem "weniger" gegenüber vorzuziehen ist. Man könnte ja beispielsweise auch sagen, dass die Mannschaft am besten und fairsten ist, die immer Unentschieden spielt oder die die andere Seite gewinnen lässt. Bloß weil das dem Alltagsgefühl widerspricht, ist diese Sichtweise nicht logisch widerlegt (kann sie auch in dem Sinne prinzipiell nicht werden). Aus der Empirie lässt sich eben immer nur Faktisches, Deskriptives ableiten und "qualitativ höher" ist eben nunmal eine erweiternde Definition, die eine normative Komponente enthält. Und sorry, aber das IST wirklich einfach so.
- Akzeptiert man, dass mehr Tore begründet als Indikator für qualitativ besseren Fußball gelten können, dann kann man damit auch nur dieses eine betrachten. Es ist beispielsweise vollkommen irrelevant, ob die besseren Fußballspieler freier sind, ob sie überhaupt menschlich sind, ob sie Fischen in ihrer qualitativen Existenz überlegen sind oder ob sie besser diskutieren können. Mehr Tore = besserer Fußballer != qualitativ höheres, freieres Lebewesen
- Die Mannschaft, die besser diskutieren kann, also besser begründen, reflektieren und unterscheiden kann, hat tatsächlich eine qualitativ höhere Wahrnehmung und ist, weil sie besser begründet entscheiden kann, auch freier (die Details kannst du dir bei AgentProvocateur abholen, der weiß das besser als ich). Sie spielt aber nicht notwendigerweise besser Fußball, weil das nunmal zwei Paar Stiefel sind.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Die simple Erklärung ist für den Einstieg erstmal, dass man, wenn man quantitativ Maßstäbe heranzieht, eben auch nur quantitativ arbeiten kann. So blöd es klingt, aber das sagt ja schon die Bezeichnung.

Ja, das klingt wirklich blöd. Ich kann folgende Transformationsregeln definieren:
0-3 Punkte = ungenügend
4-9 Punkte = mangelhaft
10-20 Punkte = ausreichend
21-33 Punkte = befriedigend
34-49 Punkte = gut
50-70 Punkte = sehr gut
Jeder Lehrer schafft es, aus einem quantitativen Maßstab einen qualitativen zu machen. Dann kann es doch nicht so schwer sein, oder?

Ne, es ist weder schwer noch richtig. Vielleicht nicht jeder, aber doch die meisten Lehrer wissen übrigens, dass solche Punkteskalen keine tatsächliche Transformation qualitativen Könnens in quantitativ objektive Messwerte darstellen. Ich kenne eine ganze Reihe Lehrämtler im Studium, und ich habe selten engagiertere Kritiker dieser Bewertungssysteme getroffen, wobei auch denen klar ist, dass man aus Pragmatismus letztlich auf solche Skalen zurückgreifen muss. Rein formallogisch gesehen sind die Zuordnungen aber natürlich vollkommen willkürlich. Wie in jeder Ordinalskala stecken da Implikationen drin, die das Ausgangsmaterial stark reduktionistisch und verfälschend behandeln. Denn es ist schwer zu begründen, dass jemand mit 10 Punkten tatsächlich zehnmal so gut sein soll, wie jemand mit Null Punkten (was ist das überhaupt, Englisch zehnmal besser zu können? Zehnmal mehr Vokabeln beherrschen? Zehnmal mehr Sätze fehlerfrei sagen können? Zehnmal öfter von Muttersprachlern annähernd fehlerfrei verstanden zu werden?) und wieso jemand mit 20 Punkten dann nochmal doppelt so gut sein soll wie der mit den 10. Das ist, wenn man sich mal vor Augen führt, was das bedeuten würde, recht unsinnig, und stellt lediglich eine in der Alltagswelt pragmatisch akzeptierte Näherung dar, die sich bei logisch sauberer Aufarbeitung aber nicht halten ließe. Den Statistikern ist das übrigens klar, die behaupten gar nicht erst, da universelle Wahrheiten zu vermitteln. Die suchen nach Korrelationen, die theoretische Hypothesen untermauern oder widerlegen, aber hermeneutische Erkenntnisse versucht kein Statistiker mit quantitativer Datenanalyse zu gewinnen.

ganimed hat geschrieben:Die Aussage des Experten beruht eben darauf, wie viele gute Aktionen er gesehen hat und wie er die in seinem inneren Wertesystem wichtet. Theoretisch UND praktisch korreliert das nur unvollkommen mit der tatsächlichen, objektiven Anzahl an gelungenen Pässen, Toren oder Fans. Diese Ungenauigkeit liegt nicht daran, dass man angeblich nicht von quantitativ auf qualitativ schließen könnte. Dein Beispiel war einfach nur schlecht gewählt.

Mir dämmert langsam, dass du den Unterschied zwischen quantitativ und qualitativ tatsächlich grundlegend nicht begreifst, also nicht nur widersprichst, sondern anscheinend tatsächlich nicht erfasst, was damit gemeint ist. Da kann ich jetzt aber echt nichts machen.

ganimed hat geschrieben:Aber trotzdem ist es doch Unsinn, zu behaupten, dass man aus einem quantitativen Maßstab keine qualitativen Aussagen ableiten könne.

Ja, klar ist es Unsinn. Es ist auch nur Konsens im wissenschaftlichen Mainstream und wird einem in jeder Methodik- und Statistikeinführung ausführlich dargelegt. Natürlich haben die Statistiker von quantitativer Forschung generell wenig Ahnung, das sehe ich schon ein.

ganimed hat geschrieben:Und was ich verstanden habe, finde ich nicht sehr stichhaltig. Vielleicht wäre es auch angezeigt, bessere Argumente zu liefern, statt die bisherigen besser zu erklären.

Oder aber ich gehe schlafen und widme mich morgen einfach meinen Statistikhausaufgaben für nächste Woche. Ich muss nicht krampfhaft jeden mitziehen und Einleitungen aus Einführungsbüchern wiederkäuen macht auch nur so und so lange Spaß.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 19. Okt 2012, 02:49

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wissenschaft, Medizin, Gentechnik, Züchtung: all das geht am Evolutionsmechanismus vorbei, wird nicht durch diesen beeinflusst.

Du hast dich irgendwie verirrt. Ich behauptete, dass Evolution der einzige Mechanismus sei, dem alle Lebewesen unterworfen seien. Das fandest du fraglich. Statt jetzt einfach mal als Beleg einen anderen Mechanismus zu nennen, dem alle Lebewesen ebenfalls unterworfen sind, zählst du Dinge auf, die nicht dem Evolutionsmechanismus unterworfen sind. Knapp daneben.

Nun ja, ich war wohl schon eine Ebene weiter. Hatte doch oben auch schon was dazu gesagt. Wieso sollten wir nur Lebewesen vergleichen, wieso nicht auch Roboter hinzunehmen? Vielleicht können ja Roboter erfolgreicher im "Überlebensspiel" sein - oder was immer man auch als Kriterium hier annehmen will. Obgleich ja (hypothetische, sich selber reproduzierende) Roboter nicht den Evolutionsmechanismen unterlägen.

Aber gut, gehen wir also wieder eine Schritt zurück. Mechanismen, denen alle Lebewesen unterworfen sind: z.B. Gravitation, Raum, Zeit. Und irgendwelchen Quantendingsbumsen. Mechanismen, denen nicht alle (hypothetischen) Lebewesen unterworfen sind: Vererbung, Mutation, Selektion. Es braucht keine Vererbung, keine Nachkommen, (bzw. der Möglichkeit, sich fortzupflanzen), keine Mutation und keine Selektion, um ein Ding als Lebewesen zu klassifizieren. Ich denke nicht, dass zu der Definition von Lebewesen Evolutionsmechanismen hinzugehören, auch ein plötzlich aus dem Nichts hervorgeplopptes Ding, das sich nicht fortpflanzen kann, würde man ggf. als Lebewesen klassifizieren.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen befinden sich auf einer solchen Entwicklungsstufe, dass für die die Evolutionsmechanismen (Vererbung, Mutation, Selektion) nicht mehr in dem Maße gelten wie für andere Tiere

Doch doch, der Mechanismus gilt für uns noch. Aber wir können die genauen Wirkfaktoren beeinflussen. Der Mechanismus geht so: wenn du es nicht schaffst, dich fortzupflanzen, dann sind deine Gene weg. Und das gilt auch für Menschen. Dass sie den Selektionsdruck vermindert haben (weil Umweltgefahren vermindert wurden) stimmt ja durchaus. Wir können die Mutationsrate steuern, indem wir uns neben ein explodiertes Kernkraftwerk stellen oder nicht. Wir können die Vererbung beeinflussen. Aber dennoch: vererbt wird, fortgepflanzt wird. Und es bleibt beim Mechanismus: wer das Weitergeben der Gene nicht schafft, dessen Gene scheiden aus.

Ja, naja, klar, wenn ich (und meine Geschwister und weiter entfernten Verwandten) mich nicht fortpflanze, dann sind meine Gene weg.

Aber, na und, warum sollte es nun gut, wertvoll und wichtig und einzig richtig sein, seine Gene weiterzugeben und falsch, wenn die Gene nicht weitergegeben werden? Das ist doch die Frage hier. Das ist doch nicht einfach so selbstverständlich.

Jemand sagt nun: "ich habe keine Geschwister, keine sonstigen Verwandten, ich bin der letze in einer Reihe und wenn ich tot bin, sind meine Gene futsch. Und das ist mir völlig egal, wieso sollte es auch nicht?". Was antwortest Du dem, wieso ist seine Ansicht falsch, wieso sollte er auch darauf erpicht sein, seine Gene weiterzugeben?

Du hast ja nun wohl irgendwie schon die Prämisse hineingesteckt, dass ein Individuum, das seine Gene nicht weitergibt, weniger wertvoll sei als ein Individuum, das seine Gene weitergibt. Aber wieso sollte die gelten, richtig sein? Oder aber Du betrachtest generell keine Individuen, sondern nur nur Arten, machst eine statistische Erhebung der Anzahl oder zeitlichen Dauer einer Art. Aber auch wenn so: wieso sollte man das tun? Auch das ist doch keineswegs einfach so selbstverständlich; dass man daraus eine qualitative Bewertung ableiten könne.

ganimed hat geschrieben:Kann Y seine Kriterien auch irgendwie begründen?

Nein, nicht letztbegründet, so dass es Dich überzeugen würde. Y ist aber dennoch der Meinung, einen gerechtfertigten Maßstab zu haben. Der ebenso berechtigt ist wie Deiner. Letztlich beruht er auf Geschmackssache, ist auf die Ansichten, Interessen und Bedürfnisse von Y zurückzuführen, ist also nur für Y gültig. Y meint aber, dass Du nicht mehr zu bieten hast als das, keinen objektiveren Bewertungsmaßstab.

ganimed hat geschrieben:Ok, messen wir was gut oder schlecht ist an Zielen und Prinzipien. ABER da wir alle Lebewesen vergleichen wollen müssen das fairerweise natürlich auch Ziele und Prinzipien aller Lebewesen sein. Und dann sind wir genau wieder bei meinem Argument, dass mir außer der Evolution kein Mechanismus und kein Regelwerk einfällt, das für alle Lebewesen gleichermaßen gilt. Ergo: dein "die Evolution gibt da gar nichts vor" ist genau falsch.

Nun gut, wenn wir das anders formulieren würden, nämlich so: "die Gegebenheiten spielen keine Rolle für das, was wir gut und was wir falsch finden" dann wäre diese Aussage sicher falsch. Wir sind so und so, wir haben Bedürfnisse, haben Hunger und Durst, müssen essen und trinken, um überleben zu können und das Bedürfnis danach, überleben zu wollen, dabei nicht zu leiden, das ist uns (zumindest den meisten von uns) sozusagen eingepflanzt, das haben wir uns nicht ausgesucht, das ist evolutionär entstanden, (Grundbedürfnisse). Zusätzlich haben wir noch jede Menge mehr (höherer) Bedürfnisse und die splitten sich irgendwann auch auf, es kann sein, dass ich (in Bezug auf Bestimmtes) andere Bedürfnisse habe als Du.

In dem Sinne gibt die Evolution also schon etwas vor.

Aber wie man daraus eine objektiv übergeordnete Rangfolge von Lebewesen ableiten kann, ist mir immer noch unklar. Wie gesagt: eine willkürliche Rangfolge nach einem willkürlichen Kriterium (größer, schneller, kann länger tauchen, hat mehr Bewusstsein, kann besser reden, hat mehr Wissen, hat einen längeren Hals, hat mehr Nachkommen, hat mehr Geschlechtspartner, lebt länger, die Art bringt mehr Nachkommen hervor, die Art lebt über einen längeren Zeitraum etc. pp.) kann man natürlich erstellen. Aber man kann eben auch eine ganz andere Rangfolge erstellen. Und wieso die eine der anderen, inkommensurablen Rangfolge überlegen sein soll: das kann man mE nicht begründen - außer mit einem Hinweis auf ein bestimmtes Ziel. Aber auch das wäre nur ein Umweg, denn dann müsste man begründen, wieso dieses Ziel besser wäre als ein anderes Ziel. Und nochmal: ich meine nicht, dass man sich nicht auf gemeinsame Ziele einigen könnte, ich meine also nicht, dass alle Ziele gleichwertig seien, dass eh alles egal wäre. Ich bestreite lediglich, dass es ein (oder mehrere) objektiv richtiges Ziel gäbe, das abseits aller Vereinbarungen und Gegebenheiten wahr und richtig wäre.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Fr 19. Okt 2012, 10:14

ganimed hat geschrieben:
stine hat geschrieben:DAS würde ich so nicht sagen!

Stine, das ist doch genau mein Punkt. Natürlich würdest du das nicht so sagen, dass Dortmund einfach aufgrund der Trikotfarbe die beste Mannschaft ist. Deshalb habe ich ja genau dieses Beispiel gewählt. Deine "Argumente" in Sachen Bewusstsein (Menschen können bewusst planen, also sind sie besser) sind (meiner Ansicht nach) äquivalent zu dem Argument "die Trikotfarbe ist gelb, also sind die Dortmunder besser". Du nimmst als Argument einfach eine beschreibende Eigenschaft des Bewusstseins, so wie ich einfach eine beschreibende Eigenschaft der Dortmunder nahm. Und im Dortmund-Beispiel sieht jeder und jetzt auch du, dass dann dieses Argument aber einfach Blödsinn ist. Und genau das wollte ich über dein Argument zeigen, weswegen angeblich der Besitz eines Bewusstseins, mit dem man bewusst ist, höher macht.

Die beschreibende Eigenschaft eines Bewusstseins mit einer Trikotfarbe zu vergleichen ist Blödsinn und du weißt das auch.
Das ist als würde man sagen ich brauche keinen Computer, weil mein Sofa rot ist.
Schmarrn, @ganimed, der Vergleich hinkt!
Dann musst du mich schon ganz zitieren:
stine hat geschrieben:Wenn das gelbe Trikot dem Träger verhilft, besser zu spielen, weil es atmungsaktiver ist und den Gegner aufgrund der Farbe verwirrt, dann spielt es durchaus eine erhebliche Rolle.


LG stine
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Fr 19. Okt 2012, 10:58

Nanna hat geschrieben:Aus der Anzahl der Tore lässt sich nicht direkt die Qualität der Mannschaft ablesen.

Ich habe diesen Qualitätsmaßstab aber so definiert. Du zerpflückst ihn falsch. Entweder, du kritisierst meinen Maßstab (also genauer, die Wahl des Maßstabes, das macht AgentProvocateur gerade) oder du akzeptierst ihn und legst dar, wieso man mit diesem Maßstab nicht "die beste Mannschaft" = "die Mannschaft mit den meisten Toren" ermitteln kann. Aber es ist Unsinn, meinem Maßstab vorzuwerfen, dass man deine implizit gemeinte Definition von Qualität nicht daran ablesen kann, weil du ja scheinbar mit Qualität ständig eine andere Qualität meinst als ich sie mit meinem Maßstab definiert habe. Ja Kunststück, daran würde wohl jeder Maßstab scheitern, dass er nicht das messbar macht, was dir gerade vorschwebt. Meine Qualität, also das was ich mit dem Maßstab messen will, kann man jedenfalls sehr gut und auch sehr direkt ablesen.

Nanna hat geschrieben:Du versuchst qualitativ zu urteilen, ohne zu reflektieren, unter welchen Bedingungen das (nur) möglich ist.

Das sehe ich ja ein, dass ich da implizit, ohne mir das im einzelnen klar zu machen oder auch nur vollständig klar machen zu können, viele viele Annahmen und Prämissen habe, die ich nicht beschrieben habe. Aber deine Argumentation ist völlig unfair. Du kritisierst, dass ich nicht die Bedingungen angegeben habe, unter denen meine Maßstäbe anwendbar sind? Wieso nimmst du nicht einfach mal an, dass ich geeignete Bedingungen implizit meine? Du könntest meinen Maßstab kritisieren, wenn es dann logisch und prinzipiell gar keine Bedingungen gibt, unter denen er anwendbar wäre. Aber nein, du weist lediglich darauf hin, dass ich mögliche Bedingungen nicht vollständig und fehlerfrei formuliert hätte. Und das ist weder konstruktiv noch sinnvoll.

Nanna hat geschrieben:Aber dann musst du transparent darlegen, dass du "Überlebenserfolg anhand der Fortpflanzungsrate" messen willst. Mit der Themenfrage, ob bewusste Lebewesen höhere Grade an Freiheit erreichen bzw. qualitativ höhere Stufen der Entwicklung erreichen, hat das dann halt einfach nichts zu tun.

Ich habe das transparent dargelegt und rede seit ein paar Seiten davon, dass man einen objektiven, weil quantitativen Maßstab nehmen sollte, der durch die Herleitung aus den Regeln der Evolution begründet ist. Oder sagen wir jetzt (aus der Diskussion mit AgentProvocateur gelernt), wenigstens begründeter ist als der nicht objektive, willkürliche (oder zumindest weniger begründete) Maßstab von stine und Co mit dem Bewusstsein als qualitatives Kriterium.

Nanna hat geschrieben:Der "Lebens-Wettbewerb", wie du es nennst, hat nichts damit zu tun, wie ein Lebewesen qualitativ fühlt und denkt. Solange du deinen Maßstab für den Überlebenserfolg benutzt, ist er vollkommen angebracht, aber er hat eben nichts bei einer Bewertung (ist auch nicht dasselbe wie Messung) einer qualitativen Frage zu tun.

Wie kommst du nur darauf, dass es hier darum ginge, wie Lebewesen (du meinst vermutlich den Menschen und nicht alle Lebewesen) qualitativ fühlt und denkt?
Die Diskussion, wie ich sie erlebt habe, hatte als Thema, wer das höchste und freieste und beste Lebewesen von allen ist. Stine meinte der Mensch, weil er ein Bewusstsein hat. Und ich meine, dass stines Wahl des Maßstabes willkürlich und unbegründet ist. Wieso sollte man ausgerechnet das Bewusstsein als Maßstab nehmen? Als Gegenvorschlag habe ich dann versucht, objektivere Maßstäbe zu finden, die man auch irgendwie begründen kann. Ich stimme nämlich nicht deiner und anderer Aussage zu, dass jeder Maßstab in gleicher Weise willkürlich und unbegründet sei, immer nur Geschmackssache, immer nur individuell frei wählbar. Es gibt geeignetere und ungeeignetere, begründetere und weniger begründetere. Es ist nicht alles gleich. Wenn ich auch sofort einsehe, dass ich ebenfalls nicht den einen, den einzigen, den wahren Maßstab nennen kann. Aber die Maßstabsklasse der biologischen, quantitativen Indikatoren, die mit Fortpflanzung, Genweitergabe und dem Besetzen von Lebensräumen zu tun haben, sollte nach meiner Einschätzung die richtige Richtung sein.

Nanna hat geschrieben:Den Statistikern ist das übrigens klar, die behaupten gar nicht erst, da universelle Wahrheiten zu vermitteln. Die suchen nach Korrelationen, die theoretische Hypothesen untermauern oder widerlegen, aber hermeneutische Erkenntnisse versucht kein Statistiker mit quantitativer Datenanalyse zu gewinnen.

Da ist wieder deine Strategie. Wenn du schon nicht direkt an meinem Maßstab was aussetzen kannst, dann doch wenigstens das generelle Totschlagargument, dass die Anwendung des Maßstabes noch einer Interpretation bedarf und nicht direkt eine universelle Wahrheit enthält. Das ist ebenso wahr wie uninteressant, weil es ja auf praktisch jede Aussage in diesem Forum angewendet werden kann. Was soll das also bringen? Folge lieber meinem Gedanken in konstruktiver Kooperation soweit, dass durch eine naheliegende Interpretation deiner Wahl in etwa das heraus kommt, was ich behaupte. Und nur, wenn du keine solche Interpretation findest, wäre das Anlass für eine Kritik.

Nanna hat geschrieben:Denn es ist schwer zu begründen, dass jemand mit 10 Punkten tatsächlich zehnmal so gut sein soll, wie jemand mit Null Punkten (was ist das überhaupt, Englisch zehnmal besser zu können?

Entweder ich verstehe dich gerade falsch oder dein Umgang mit Wertebereichen bedarf mehr Übung. Wenn jemand 10 Punkte hat, dann ist er eben nicht zehnmal so gut wie jemand mit 1 Punkt. Nach meiner Zuordnung wird der mit 10 Punkten als "ausreichend" bewertet und der mit 1 Punkt als "ungenügend". Nach der Transformation in die Qualität macht ein quantitativer Vergleich natürlich keinen Sinn mehr ("wie viel mal ist ausreichend besser als ungenügend?"), und vorher ist er ebenfalls nicht möglich (vor der Transformation sind 10 Punkte einfach nur 10 mal mehr Punkte, ohne qualitative Wertung). Deine Argumentation scheint mir also irgendwie an dem Prinzip der Transformation aus quantitativem Maßstab in die qualitative Wertung vorbei zu gehen.

Nanna hat geschrieben:Wie in jeder Ordinalskala stecken da Implikationen drin, die das Ausgangsmaterial stark reduktionistisch und verfälschend behandeln.

Das mag ja sein. (Aber vielleicht ist die Reduktion und Verfälschung auch nur schwach? Im Vergleich zu was übrigens? Wendest du da etwa implizit quantitative Maßstäbe an?) Aber die Bottomline ist hier also, von dir zugegeben, dass man das machen kann. Man muss nur mit den Ungenauigkeiten leben, sich angeblich der Prämissen bewusst sein, usw. Dein platter Vor-den-Bug-Schuß, dass das prinzipiell nicht ginge, scheint mir jedenfalls vom Tisch zu sein.

Nanna hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Aber trotzdem ist es doch Unsinn, zu behaupten, dass man aus einem quantitativen Maßstab keine qualitativen Aussagen ableiten könne.

Ja, klar ist es Unsinn. Es ist auch nur Konsens im wissenschaftlichen Mainstream und wird einem in jeder Methodik- und Statistikeinführung ausführlich dargelegt.

Wie ich darlegte ist es aber auch Mainstream an Schulen, qualitative Aussagen aus quantitativen Werten abzuleiten. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch aufzulösen? Ich wette, deine wissenschaftlichen Statistiker sagen nirgendwo, dass man das niemals tun könnte, sondern sie sagen, dass man das nicht tun könnte unter den und den Bedingungen wenn man das und das erreichen will. Aber ist nur so ein Gefühl.
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