Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Teh Asphyx » So 18. Dez 2011, 19:20

Aufgrund einer im Thema Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus aufgekommenen Diskussion, die den dortigen Rahmen sprengte, setze ich das Thema in einem separaten Thread fort. Es geht um die Ursachen von Gewalt und anderem kriminellen Verhalten sowie um das Justizsystem im Allgemeinen.

Zur Einleitung möchte ich zwei Texte vom bremer Pädagogikprofessor Freerk Huisken empfehlen, die ziemlich gut den Stand der Dinge analysieren:
http://www.fhuisken.de/gewalt.htm
http://www.fhuisken.de/Jugendgewalt.htm

Ansonsten werde ich hier einfach die Diskussion fortsetzen und es kann sich gerne einklinken wer möchte (zumindest das vorherige Lesen des Ursprungsthreads sei hier aber empfohlen).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Na ja, Polizisten, Soldaten etc. üben Gewalt im Namen des Staates aus, weswegen das in Ordnung ist. In der Gewaltausübung selbst ist aber kein Unterschied, auch in der „Gewaltbereitschaft“ nicht. Hier wird also nur durch das Recht des Stärkeren die Gewalt legitimiert (weil der Staat am Ende immer der Stärkere ist).


Nö, aber das ist ein anderes Thema, was Dir Nanna vermutlich besser erklären kann.


Da braucht er mir nichts zu erklären, er sieht das aus der Brille der Politikwissenschaft, ich weiß wie diese Sicht aussieht, teile sie aber aus guten Gründen nicht, deswegen will ich gar nicht erklärt bekommen, was ich schon weiß.
Der Staat als Herrschaft legitimiert sich nunmal durch Gewalt, daran ändert auch eine Demokratie nichts (nicht solange der Begriff so unpräzise bleibt, weil es eben Formen gibt, die das verhindern, de facto aber nicht existieren und welche, die es nicht verhindern und davon haben wir einige), ebenso ändert auch die Gewaltenteilung nicht viel, da sich doch alle Parteien der Gewaltenteilung in einigen grundlegenden Dingen einig sind und dazu gehört auch, dass es Formen von Gewalt gibt, die in Ordnung sind.
Eine wirklich demokratische Gesellschaft müsste komplett auf Gewalt verzichten (was nicht heißt, dass keine Gewalt auftreten kann, aber sie würde sich in minimalem Rahmen halten und vor allem wäre sie immer abzulehnen!).

Vollbreit hat geschrieben:Locker bleiben, niemand muss Boxer werden.


Doch, im Prinzip muss in dieser Gesellschaft, um bestehen zu können, jeder ein Boxer werden. Vielleicht nicht auf die direkte Art, aber auf gewisse Art schon. Und gleichzeitig wird einem gepredigt, dass solches Verhalten aber nicht in Ordnung sei (aber das nur dann, wenn es nicht mehr in dem vorgesehenen Rahmen bleibt).
Es geht außerdem nicht darum, ob man tatsächlich den Kampfsport Boxen ausüben muss, sondern es geht um die Idealisierung der dort getätigten Handlungen, die überall stattfindet. Ich muss diese Idealisierung sogar mit Zwangsgeldern unterstützen (GEZ). Also komm mir bitte nicht mit so was.

Vollbreit hat geschrieben:Gewalt fasziniert und Boxen und Co. sind ritualisierte und reglementierte Formen von inszenierter Gewalt, ausgeübt von Menschen die das freiwillig machen. Das wird ja nicht verherrlicht, sondern ritualisiert und im Grunde ist das kein schlechter Weg mal mit den „niederen“ Trieben in sich selbst in Kontakt zu kommen und sich einzugestehen, dass einen Gewalt auch fasziniert. Wenn man das weiß, kann man vielleicht sogar bewusster damit umgehen.


Das ist eine Illusion. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass Leute, die Kampfsportarten (und auch andere Sportarten, die damit verbundenen „Werte“ sind prinzipiell die gleichen, dabei sein ist eben nicht alles, sondern gewinnen um jeden Preis) ausführen eine viel niedrigere Hemmschwelle haben, auch außerhalb des für sie vorgesehenen Wettkampfes zuzuschlagen.
Dass es die immer noch vielfach gepriesene Katharsis gäbe ist längst widerlegt, nur kommt es bei den wenigsten an (weil es vielleicht auch gar nicht ankommen soll).
Wieso „inszenierte“ Gewalt? Es ist einfach Gewalt. Die Bewusstlosigkeit, in die jemand beim Boxen geprügelt wird, ist nicht inszeniert, die ist echt.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Meinst Du das ernst? Symptome mit Symptomen bekämpfen? Au weia …
Es gibt da so eine schöne Analogie mit einem Fluss in dem ein Baby rumtreibt, das wohl jemand da ausgesetzt hat. Wenn Du das siehst, wirst Du wahrscheinlich beschließen, es retten zu wollen. Nur blöderweise kommen, sobald Du es gerettet hast, zwei weitere Babys angeschwommen. Und so geht es immer weiter und es werden immer mehr, sodass Du schon bald nicht mehr in der Lage sein wirst alle zu retten. Wirst Du weiter versuchen, so viele Babys wie möglich aufzufangen oder wäre es vielleicht besser, da die Situation so ohnehin aussichtslos ist, den Fluss weiter hoch zu laufen und festzustellen, was die Ursache dafür ist und die Sache dort zu stoppen (also dafür zu sorgen, dass keine Babys mehr in den Fluss geworfen werden)?


Ich sehe die Lage nicht (aus diesen Gründen) als aussichtslos an.


Ich sehe sie ja auch nicht als aussichtslos an, aber Du musst zu der Quelle hochgehen und Du wirst so oder so nicht alle retten können.

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn Du einen Menschen therapiert hast, verhindert das aber nicht, dass der nächste wieder zu einem solchen „Monster“ wird und auch wieder eine Therapie braucht.


Doch, der Millersche Knoten ist an einer Stelle durchtrennt.
Der Rest wäre ein politischer Ansatz, der der Idee folgt, Gewalt wäre vollkommen einzudämmen, wenn man lieb zu einander ist, es kein Eigentum mehr gibt, wir alle wieder zurück zur Natur kommen und was sonst noch so auf der Agenda steht.


Dass der ganz durchtrennt ist, ist noch nicht gesagt, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, die Bedingungen, die ihn dazu gemacht haben, was er wurde, zu verändern (wenn auch nur für sich, selbst das geht nicht einfach ohne weiteres). Aber natürlich ist dieser Schritt deswegen nicht wertlos, aber er reicht alleine nicht.
Zurück zur Natur ist erstens Quatsch und zweitens unnötig, ebenso kommt Eigentum nicht von ungefähr, aber um zu bestimmen, was eigentlich Eigentum ist fehlen in sämtlichen politischen Diskussion bisher die Kriterien (Eigentum erklärt sich nämlich eigentlich aus der Beziehung, die jemand zu einer Sache hat, Eigentum eines einzelnen an Produktionsmitteln sind somit ziemlicher Quatsch, da jeder Arbeiter dazu auch eine Beziehung hat), Eigentum an sich zu verteufeln bringt aber auch nichts. Man muss auch nicht lieb zueinander sein, aber man sollte natürlich schon eine Wertschätzung dem anderen gegenüber haben, das geht aber auch nur, wenn man selbst wertgeschätzt wird.

Vollbreit hat geschrieben:Denn wie die Welt in 5 Jahren aussieht, weißt Du’s?


Ich weiß wie die Welt vor fünf Jahren aussah und wie sie jetzt aussieht. Daraus kann ich schon ein paar Schlüsse ziehen. Ansonsten könnte man aus der Geschichte ja gar nichts lernen.

Vollbreit hat geschrieben:Das beschreibt einen Menschen, der ziemlich von seinen momentanen Affekten gesteuert ist und damit nach der Definition der Kompatibilisten unfrei ist. Der kann nicht innehalten und überlegen.
Die Psychotherapeuten würden das ähnlich deuten.


Stimmt schon, aber das trifft auf eine ganz schön große Menge von Menschen zu. Nur führt das nicht immer zu kriminellen Verhalten (das heißt Verstöße gegen aktuell geltende Gesetze). Das Problem lässt sich aber nicht lösen, wenn man es nur bei kriminellen angeht und dann auch nur, damit die ihre Neurosen anschließend gesetzestreu pflegen (ja, ich übertreibe hier ein wenig).

Vollbreit hat geschrieben:Die Ursache wäre hier die Fähigkeit eine Affektkontrolle zu etablieren, psychologisch ausgedrückt ein stabiles Ich auszubilden.


Das Problem geht tiefer. Dazu gleich mehr.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist eine mögliche Deutung, eine andere ist, dass es Menschen gibt, die ungeheuer geschickt täuschen können, so geschickt, dass auch viele Therapeuten und Gutachter nicht dahinter kommen.


Das ist für die Therapeuten natürlich die einfachere Variante damit umzugehen. Es ist immer einfach etwas nicht zu können, weil es so schwer ist, dass es niemand können kann.
Allerdings frage ich mich dann, wozu ein Psychologe ein Studium braucht, wenn ein Jugendlicher, der wohl allem Anschein nach nichtmal besonders schlau ist, mal eben einfach sämtliche seiner Methoden durchschauen und umgehen kann. Dann kann ich da auch irgendwen hinsetzen.

Vollbreit hat geschrieben:Zu wissen, dass es Menschen gibt, die so ticken, heißt nicht, dass man sie im Zweifel auch erkennt.
(Auch wenn es ganz gute Kriterien gibt und Menschen, die diese besser und schlechter erkennen.)
Das heißt aber nur, dass man die Welt nicht in allen Belangen im Griff hat und das ist wohl auch so, auch wenn es schmerzlich ist, sich das einzugestehen.


Das schmerzt mich eigentlich weniger.
Das ist nur der falsche Grund für das Versagen der Therapeuten in dem geschilderten Fall.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist ziemlich genau die Definition für Zwang.
„Zwang“ heißt, ich weiß, dass es Unsinn (oder schlecht) ist, muss es aber tun.
Es bei Gelegenheit zu erkennen, dass es Unsinn ist und in anderen Situationen dann doch zu glauben, es sei rational die 50 mal am Tag die Hände zu waschen, schließlich sind überall Bakterien, nennt man „überwertige Idee“.
Vollkommen überzeugt zu sein, dass man das einzig Richtige tut ohne Möglichkeit, dass jemand zu einem durchdringt, so dass man noch mal kritisch prüfen und zeigen kann, dass man die Gegenargumente verstanden hat (man muss sie nicht teilen, nur verstehen), wird als „Wahn“ bezeichnet


Gut, die Definition akzeptiere ich, aber da muss ich wieder darauf pochen, dass fast alle Menschen unter Zwang handeln, es nur bei vielen einfach deswegen nicht stört, weil dadurch kein geltendes Recht übertreten wird oder sie sich sonst irgendwie trotzdem passend in die Gesellschaft einfügen können. Ist nicht sogar das Einfügen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung, obwohl man dem eigentlich kritisch gegenübersteht nicht selbst schon ein Zwang? Das trifft nämlich auf fast alle Menschen zu, die mir je begegnet sind (das sind eben die, die wir in einem anderen Thread hatten, die dauernd am Nörgeln sind, aber trotzem jeden Tag um 8:00 Uhr zur Arbeit fahren und sich den ganzen Tag bis zur Erschöpfung anstrengen, dafür zu sorgen, dass alles ja so bleibt, wie es ist).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Er kennt auch die Folgen, aber tut es trotzdem. Und die Triebe sind ihm, wenn er darüber nachdenkt, nicht wichtiger, weil er genau weiß, dass es nur ein kurzer Moment einer Befriedigung ist, und was er dafür aufs Spiel setzt. Mag sein, dass das eine Zwangshandlung ist, aber dann sind fast alle Handlungen, die die Menschen jeden Tag so machen solche Zwangshandlungen.


Wieso denn das?


Siehe oben.

Vollbreit hat geschrieben:Damit entwertet er ja vollkommen seine Frau. Ein echtes Entsetzen darüber würde ich einem spätestens nach dem zweiten Mal nicht mehr abnehmen. Wer entsetz über sich ist, sollte sich helfen lassen und nicht erneut zuschlagen.


Sollte er ja, aber hier gehst Du von einem Ideal aus. Es ist aber eben oft so, dass Menschen sich ihrer Lage bewusst sind und sich trotzdem keine Hilfe suchen (auch da kenne ich mehr als genug) und dann sollte man lieber fragen, warum sie das nicht tun, anstatt es damit abzutun, dass man ihnen dann halt nicht glaubt, dass sie von ihrer Situation wissen. Den Fehler machen aber die meisten (oder man sagt dann „Na ja, anscheinend will er es dann doch nicht wirklich, sonst würde er es ja tun.“).
Was aber, wenn der Punkt genau der ist, dass er (ohne es zu wissen) es gerade tut, weil es ihn entsetzt? Weil das Teil des „Spiels“ mit dem Verbot und dem dadurch ausgelösten Begehren ist?
Das Wissen darum, dass Gesetze/Verbote ein Begehren nach dem Brechen dieses Gesetzes produzieren, gibt es schon seit mindestens fast 2000 Jahren (siehe die Paulus-Briefe, wo es um die Sünde geht, die erst dadurch ermöglicht wird, dass es ein Verbot gibt). Aber trotzdem hat noch keine Gesellschaft die daraus resultierenden Konsequenzen gezogen. Auch das Christentum hat es nicht geschafft, ebenso wenig hat die sekuläre Version von Marx funktioniert (es ist bei einer Negation geblieben, die Negation der Negation ist ausgeblieben).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, die Alternative wäre mal über die Prämissen der Therapie grundsätzlich nachzudenken und nicht der Wirklichkeit dafür die Schuld zu geben, dass die Theorie sich mit ihr nicht ganz verträgt.


Ich glaube Deine deutlich spürbare Empörung hat hier andere Gründe.


Nein. Sonst hätte ich andere Gründe genannt. Ich meine immer genau das, was ich sage. Es kann höchstens zu Missverständnissen kommen.

Vollbreit hat geschrieben:Zu meiner Zeit war die Stimmung eine andere.


Ich weiß ja nicht, wann Du zur Schule gegangen bist, aber bei meinen älteren Freunden sah es nicht so viel anders aus als jetzt.

Vollbreit hat geschrieben:Tendenziell geht es heute in die Richtung, das sehe ich auch so.
Unberechtigterweise übrigens Arbeitsplätze gibt es genung (und bald immer mehr) der Stress ist umsonst, aber leider real.


Der Stress ist nicht nur deswegen umsonst. Die Menschen brauchen ja nicht mal Arbeitsplätze, so wie sie jetzt definiert sind. Es sei denn jemand hat das Interesse, dass die Menschen (kontrolliert) beschäftigt sind, selbst wenn dieser Jemand nichts weiter als eine „Allgemeinheit“ ist (also einfach nur die Idee in vielen Köpfen rumspukt, es müsse so sein, ohne dass es jemanden gibt, der aktiv diese Idee vorantreibt).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:[…] Aber das Ideal des Konkurrenzkampfes, zu dem alle Menschen hinerzogen werden sollen, wird nicht in Frage gestellt und das ist das eigentliche Problem.


Doch, Du tust es ja, mit Dir genügend andere, dieser Teil der Diskussion ist für mich wie ein déjà vu.


Nein, nicht genügend. Es geht mir auch nicht nur darum, es theoretisch in Frage zu stellen, sondern auch in der Praxis. Und spätestens da hört es auf (es besteht oft nichtmal die Bereitschaft dazu, oder jemand müsste für die erst alles so weit organisiert haben, dass eine Verweigerung ganz angenehm möglich ist, ohne dass auf irgendwelche Bequemlichkeiten verzichtet werden müsste und darauf kann man warten bis zum Sanktnimmerleinstag).

Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Man muss aber weitergehen und es auch auf der Ebene moralisch ächten, wo es als Legitim gilt. Wir müssen den kapitalistischen Arbeitsmarkt ächten, wir müssen Gewaltmonopole ächten usw.


Aber nicht im Affekt und aus der Hüfte, ansonsten, durchaus.


Vor allem ist es wichtig, das wirklich eindringlich zu tun. Wenn wir die Handlung eines Kriminellen moralisch verurteilen, dann müssen wir explizit und nicht nur implizit alle anderen mit verurteilen, die ebenso handeln, dies aber im Rahmen des Gesetzes tun. Das wird eben kaum gemacht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ach, Mist, das hatte ich jetzt vergessen, dass Du das vorgeschlagen hattest und habe jetzt schon auf das Zeug geantwortet. Wir können das aber gerne ab jetzt woanders fortsetzen, ich habe nur gerade keine Idee, wie ich so ein Thema nennen soll.


Vollbreit hat geschrieben:„Was mir an der Welt nicht passt“? ;)


Ich habe nichts gegen die Welt. ;-) Meine Kritik betrifft ganz klar bestimmte Institutionen und Ideologien. Mit der Welt als solcher bin ich eigentlich zufrieden.

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin ab morgen ohnehin erst mal wieder offline, aber für die ganz ganz großen Räder, kann man sich ja Zeit lassen. Wenn wir den Weltrettungsplan dann haben, müssen wir nur noch die restlichen 7 Milliarden überzeugen. Da aber vielleicht schon wir schwer auch einen Nenner kommen, haben politischen Utopisten die unangenehme Neigung auf den Prozess der demokratischen Willensbildung großzügig – im Dienste der guten Sache – zu verzichten und totalitär den anderen – zu ihrem „Besten“ – das was „richtig ist“ überzustülpen.
Du müsstest eigentlich sehr große Empathie für Religionen haben.


Ich habe es schon gefühlte 10 Milliarden mal hier erklärt, werde es aber gerne noch mal tun. Es geht mir nicht darum, eine Utopie zu verbreiten oder irgendeine Revolution anzustacheln. Das habe ich auch nirgends in einem einzigen Satz erwähnt, dass ich das vorhätte. Man kann auch einfach unzufrieden mit etwas sein, ohne die Welt gleich retten zu wollen.
Andererseits muss es klar sein, dass heutzutage die einzige Utopie eigentlich die ist, zu wollen, dass es so weitergeht wie bisher.
Es gibt aber auch noch vieles zwischen Revolution und alles so erhalten, wie es ist. Es gibt ja die Möglichkeit der schrittweisen Veränderung, das haben ja sogar einige Marxisten inzwischen begriffen (jedenfalls seit Althusser). Die kann aber nicht stattfinden, wenn man nicht nach Ursachen guckt, sondern nur Symptome behandelt.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Nanna » Di 20. Dez 2011, 18:58

Teh Asphyx hat geschrieben:Da braucht er [Nanna] mir nichts zu erklären, er sieht das aus der Brille der Politikwissenschaft, ich weiß wie diese Sicht aussieht, teile sie aber aus guten Gründen nicht, deswegen will ich gar nicht erklärt bekommen, was ich schon weiß.
Der Staat als Herrschaft legitimiert sich nunmal durch Gewalt, daran ändert auch eine Demokratie nichts (nicht solange der Begriff so unpräzise bleibt, weil es eben Formen gibt, die das verhindern, de facto aber nicht existieren und welche, die es nicht verhindern und davon haben wir einige), ebenso ändert auch die Gewaltenteilung nicht viel, da sich doch alle Parteien der Gewaltenteilung in einigen grundlegenden Dingen einig sind und dazu gehört auch, dass es Formen von Gewalt gibt, die in Ordnung sind.
Eine wirklich demokratische Gesellschaft müsste komplett auf Gewalt verzichten (was nicht heißt, dass keine Gewalt auftreten kann, aber sie würde sich in minimalem Rahmen halten und vor allem wäre sie immer abzulehnen!).

Ich darf mich trotzdem einmischen, oder? ;-)

Woran ich mich hier nämlich gewaltig störe, ist dein Verständnis von Legitimation. Du störst dich am Gewaltmonopol des Staates und weil für dich jede Form von Herrschaft automatisch Gewalt und Verwerflichkeit bedeutet, siehst du nichts außer der Gewalt und reduzierst den Staat in seiner Legitimationsbasis auf diese. Der Staat legitimiert sich aber kaum bis gar nicht durch Gewalt, Gewalt ist für das demokratische Gemeinwesen, auch wie wir es hier vorfinden, Mittel zum Zweck. Die Legitimation liegt in der Akzeptanz der Bürger gegenüber dem Staat. Nur reine, offene Tyranneien legitimieren sich ausschließlich über Gewalt und diese Gewaltherrschaft ist derart kostspielig, dass sie selten über längere Zeiträume aufrecht erhalten werden kann. Selbst extreme Regime wie Syrien, Nordkorea oder Myanmar könnten nicht überleben, wenn die Einwohner oder ein signifikanter Teil von ihnen die Herrschaft nicht aus irgendwelchen Gründen akzeptieren würden. Und mach da jetzt bitte nicht gleich wieder einen Opferdiskurs draus, nicht jeder, der dein radikales Freiheitsideal nicht teilt, ist deshalb unterdrückt und ein Opfer. Ich weiß nicht, ob du das mitkriegst, aber du malst hier teilweise ganz schön schwarz-weiß. Würde ich deiner obigen Definition folgen, wären Stalinrussland und Hitlerdeutschland irgendwo auf einer Stufe mit der liberalen westlichen Demokratie.

Es gibt einen sehr empfehlenswerten Aufsatz von Helmut Dubiel namens "Unzivile Gesellschaften", in denen er die Entwicklungsstadien einer Gesellschaft von barbarischen Zuständen (Gewalt aller gegen alle) zur pluralistischen, zivilen Demokratie nachskizziert. Die Gewalt reduziert sich auf dem Weg nach oben immer weiter, genauso wie Konfliktlösungsmechanismen immer weniger auf externen Zwang zurückgreifen und stattdessen immer stärker auf gegenseitige Achtung und Lösungsbereitschaft abheben. Ich bestreite gar nicht, dass wir bei der Gewaltreduzierung nach oben noch viel Luft haben, aber ich sehe deine Entwertung der gegenwärtigen Zustände nicht gerne und würde mir etwas mehr Wertschätzung für den Weg wünschen, den die Menschheit, insbesondere die westlichen Gesellschaften, in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten zurückgelegt haben. Insbesondere möchte ich betonen, dass Gewalt nunmal immer am Anfang jeder Ordnung steht und diese Ordnung nötig ist, um so sichere Zustände zu erreichen, dass die Entwicklung hin zur Zivilität möglich ist. Vielleicht kann Gewalt eines Tages völlig verschwinden, aber wie man es auch dreht und wendet, der Weg hin zur Gewaltlosigkeit wird immer aus Gewalt heraus geboren und durch Gewalt geschützt. Nicht zuletzt ist die Deutung der Entwicklung der Menschenrechte als "unabgeschlossener Lernprozess, der durch Leiderfahrungen ausgelöst wurde", wie ich sie andernorts neulich schonmal nach Heiner Bielefeldt zitiert habe, sicherlich sehr treffend und fügt sich passend in diese Gesamtschau ein.

Ergo: Du musst Gewalt nicht befürworten, aber vielleicht kannst du anerkennen, dass sie zum Ausgangszustand und zum bisherigen Weg nunmal dazugehört hat und in diesem Kontext auch unvermeidbar und normal war. Ich sympathisiere sehr mit deinem Ziel, das in Zukunft zu ändern, aber das wird nicht über den Weg gehen, die gegenwärtigen Zustände als völlig unmenschlich und widerlich zu brandmarken. Das macht aus allem, was viel oder auch nur ganz wenig Gewalt beinhaltet, eine fürchterliche Einheitssoße, in der man völlig die Orientierung verliert. Es besteht nunmal ein Unterschied zwischen einem sadistischen Schlächter und einem Soldaten, der gegen die Nazidiktatur gekämpft hat. Mir ist in diesem ganzen Zusammenhang auch nach wie vor nicht so richtig klar, wogegen du eigentlich bist.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Locker bleiben, niemand muss Boxer werden.

Doch, im Prinzip muss in dieser Gesellschaft, um bestehen zu können, jeder ein Boxer werden. Vielleicht nicht auf die direkte Art, aber auf gewisse Art schon. Und gleichzeitig wird einem gepredigt, dass solches Verhalten aber nicht in Ordnung sei (aber das nur dann, wenn es nicht mehr in dem vorgesehenen Rahmen bleibt).

Warum verabsolutierst du so? Die Welt besteht aus Verläufen von Grau, nicht aus Schwarz oder Weiß. Natürlich machen Abstufungen da einen Unterschied! Ich frage mich, von was für Menschen du für deine ideale Gesellschaft ausgehst, die offenbar keinerlei Form von Durchsetzungsvermögen mehr zeigen dürfen.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Gewalt fasziniert und Boxen und Co. sind ritualisierte und reglementierte Formen von inszenierter Gewalt, ausgeübt von Menschen die das freiwillig machen. Das wird ja nicht verherrlicht, sondern ritualisiert und im Grunde ist das kein schlechter Weg mal mit den „niederen“ Trieben in sich selbst in Kontakt zu kommen und sich einzugestehen, dass einen Gewalt auch fasziniert. Wenn man das weiß, kann man vielleicht sogar bewusster damit umgehen.

Das ist eine Illusion...

Und das belegst du wie? Denn alles, was hinter den drei Punkten kam, war eine Aneinanderreihung von Behauptungen. Ich selber sehe es eigentlich genau wie Vollbreit und kann das auch besser mit meiner persönlichen Erfahrung in Einklang bringen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es gibt da so eine schöne Analogie mit einem Fluss in dem ein Baby rumtreibt, das wohl jemand da ausgesetzt hat. Wenn Du das siehst, wirst Du wahrscheinlich beschließen, es retten zu wollen. Nur blöderweise kommen, sobald Du es gerettet hast, zwei weitere Babys angeschwommen. Und so geht es immer weiter und es werden immer mehr, sodass Du schon bald nicht mehr in der Lage sein wirst alle zu retten. Wirst Du weiter versuchen, so viele Babys wie möglich aufzufangen oder wäre es vielleicht besser, da die Situation so ohnehin aussichtslos ist, den Fluss weiter hoch zu laufen und festzustellen, was die Ursache dafür ist und die Sache dort zu stoppen (also dafür zu sorgen, dass keine Babys mehr in den Fluss geworfen werden)?

An der Stelle hake ich mal eben länger ein, weil das Zitat ein ganz gutes Beispiel für einen zweiten Hauptschwachpunkt ist, den ich in deiner Argumentation finde:

Du gehst prinzipiell davon aus, dass die Ursache gefunden werden kann, überschaubar ist und im nächsten Schritt abgestellt werden kann. Das macht deine Herangehensweise an gesellschaftliche Missstände meiner Meinung nach potentiell äußerst unproduktiv, weil du (bisher) an keiner Stelle die Möglichkeit in Betracht ziehst, dass die Ursache entweder nicht auffindbar oder nicht abstellbar ist. Da wir uns als "Analysten" innerhalb des Systems bewegen und damit keine objektive Beobachtungsposition einnehmen und zudem durch unsere Analysen und Verhaltensweisen selbst das System beeinflussen, ist es nicht so einfach, wie du es häufig darstellst, dass wir "erstmal verstehen müssen, was passiert ist", um etwas ändern zu können. Verstehen ist wichtig, ja, aber Handeln unter zeit- und ressourcenkritischen Bedingungen erfordert noch ganz andere Voraussetzungen (Nebeneinwurf: Auch deshalb sind Herrschaftssysteme so resistent, weil sie einfach unter Druck schnelle Entscheidungen herbeiführen können).
In der Fernsehserie Dr. House (für alle, die sie nicht kennen: es geht um einen sehr begabten, aber auch persönlich schwierigen Diagnostiker in einem Krankenhaus und sein Team) wird, wenn zwischen verschiedenen Diagnosen nach dem Ausschlusskriterium gewählt werden muss, häufig alles von der Tafel gestrichen, was nicht behandelbar ist. Ich fand das anfangs immer befremdlich, aber im Grunde ist es höchst naheliegend: Wenn man eine nicht behandelbare oder eine behandelbare Krankheit hat, behandelt man für die behandelbare. Liegt man richtig, lebt der Patient, andernfalls stirbt er so oder so.
Ähnliches gilt auch für die "Verbesserung" der Gesellschaft: Wir müssen auf Verbesserungen setzen, die höchstwahrscheinlich Erfolg haben oder zumindest überhaupt Erfolg haben können. Du hast ja schon selbst zugegeben, dass deine ideale, gewaltlose Gesellschaftsutopie ein enorm instabiles Gebilde wäre. Die Frage ist, ob es dann noch Sinn macht, die Durchsetzung desselben zu verfolgen, oder ob es nicht vernünftiger wäre, zu akzeptieren, dass es manche Missstände gibt, die sich, im Mindesten bezogen auf unsere erwartete Lebensspanne, nie ausrotten lassen werden und ob man nicht auf workarounds setzen sollte, die die Probleme und Widersprüche zwar nicht auflösen, aber die Folgen mildern - man könnte in obigen Fluss z.B. erstmal ein Netz spannen und abwarten, ob das den Job nicht auch für weniger Aufwand macht. In den mathematischen Disziplinen vieler Naturwissenschaften nähert man sich ja auch häufig nur an eine bestimmte Berechnung an, weil die eigentlich mathematisch korrekte Lösung entweder nicht berechenbar ist oder die Rechenkraft fehlt. Kompromisse gehören halt dazu, wenn man Praxis machen will. So schlimm?

Teh Asphyx hat geschrieben:Dass der ganz durchtrennt ist, ist noch nicht gesagt, wenn der Mensch nicht in der Lage ist, die Bedingungen, die ihn dazu gemacht haben, was er wurde, zu verändern (wenn auch nur für sich, selbst das geht nicht einfach ohne weiteres).

Du schlitterst, nicht nur hier, hart am naturalistischen Fehlschluss entlang. Implizit sagst du nämlich nicht weniger, dass der Mensch, wäre er nur natürlich und würde in Ruhe gelassen von künstlichen bösen Ideen, sich ideal verhalten. Letztlich willst aber auch du den Menschen verändern in eine Richtung, die dir mehr passt. Ich kann schon verstehen, dass Vollbreit dir hier eine Romantisierung des Urzustandes unterstellt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Zurück zur Natur ist erstens Quatsch und zweitens unnötig, ebenso kommt Eigentum nicht von ungefähr, aber um zu bestimmen, was eigentlich Eigentum ist fehlen in sämtlichen politischen Diskussion bisher die Kriterien (Eigentum erklärt sich nämlich eigentlich aus der Beziehung, die jemand zu einer Sache hat, Eigentum eines einzelnen an Produktionsmitteln sind somit ziemlicher Quatsch, da jeder Arbeiter dazu auch eine Beziehung hat), Eigentum an sich zu verteufeln bringt aber auch nichts. Man muss auch nicht lieb zueinander sein, aber man sollte natürlich schon eine Wertschätzung dem anderen gegenüber haben, das geht aber auch nur, wenn man selbst wertgeschätzt wird.

Ja, volle Zustimmung. Aber was folgt jetzt für die Praxis daraus? Oder ist das irgendeine Form politischer Alexandertechnik (lass alles weg, was falsch ist, dann tust du das Richtige)?

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das ist eine mögliche Deutung, eine andere ist, dass es Menschen gibt, die ungeheuer geschickt täuschen können, so geschickt, dass auch viele Therapeuten und Gutachter nicht dahinter kommen.


Das ist für die Therapeuten natürlich die einfachere Variante damit umzugehen. Es ist immer einfach etwas nicht zu können, weil es so schwer ist, dass es niemand können kann.
Allerdings frage ich mich dann, wozu ein Psychologe ein Studium braucht, wenn ein Jugendlicher, der wohl allem Anschein nach nichtmal besonders schlau ist, mal eben einfach sämtliche seiner Methoden durchschauen und umgehen kann. Dann kann ich da auch irgendwen hinsetzen.

Ein Studium macht einen Menschen nicht notwendigerweise klug und schon gar nicht lebens- oder menschenerfahren. Das Studium ist sicherlich eine notwendige, aber vielleicht eben keine hinreichende Bedingung für so eine Tätigkeit. Davon abgesehen hat man es hier aber auch mit einem asymmetrischen Verhältnis zu tun. Genauso wie man eine hochtechnologisierte Armee mit einer Garagenbastlerbombe sabotieren kann, kann man auch gut ausgebildete Gutachter belügen, wenn man ein Talent dafür hat. Nur den Aufwand (Studium gegen geschicktes Situationserfassen) aufzuwiegen, macht einen hier nicht klüger.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ist nicht sogar das Einfügen in die kapitalistische Gesellschaftsordnung, obwohl man dem eigentlich kritisch gegenübersteht nicht selbst schon ein Zwang? Das trifft nämlich auf fast alle Menschen zu, die mir je begegnet sind (das sind eben die, die wir in einem anderen Thread hatten, die dauernd am Nörgeln sind, aber trotzem jeden Tag um 8:00 Uhr zur Arbeit fahren und sich den ganzen Tag bis zur Erschöpfung anstrengen, dafür zu sorgen, dass alles ja so bleibt, wie es ist).

Vorsicht vor der Arroganz, dem Opferdiskurs und der Pauschalisierung! Hinter jedem Einzelschicksal, das du hier gesammelt kritisch betrachtet, können sehr unterschiedliche und häufig wahrscheinlich sogar höchst rationale Motive stehen, warum die Menschen genau so handeln und ich wäre vorsichtig mit der Unterstellung, dass sie das nicht reflektiert hätten. Übrigens gehst du mir auch an dieser Stelle wieder zu sorglos mit "krassen" Begriffen um. Wenn aus jedem Unwohlsein, das man mal runterschlucken musste, sofort Gewalt und Zwang werden, ist irgendwann alles Gewalt und Zwang, die definitorische Schärfe geht mit den Babys den Bach runter und immer mehr Kleinigkeiten werden aufgebauscht. Das führt zu nichts.


Teh Asphyx hat geschrieben:Das Wissen darum, dass Gesetze/Verbote ein Begehren nach dem Brechen dieses Gesetzes produzieren, gibt es schon seit mindestens fast 2000 Jahren (siehe die Paulus-Briefe, wo es um die Sünde geht, die erst dadurch ermöglicht wird, dass es ein Verbot gibt). Aber trotzdem hat noch keine Gesellschaft die daraus resultierenden Konsequenzen gezogen. Auch das Christentum hat es nicht geschafft, ebenso wenig hat die sekuläre Version von Marx funktioniert (es ist bei einer Negation geblieben, die Negation der Negation ist ausgeblieben).

Also nun werde mal bitte konkret: Was bedeutet es für ein Justizsystem oder, von mir aus noch allgemeiner, ein gesellschaftliches Konfliktlösesystem, die Konsequenzen daraus zu ziehen? Und warum sollte dieses Gebotsbrechbegehren (das im Grunde eine Ausformung von Reaktanz darstellt und sich keineswegs einheitlich manifestiert, sondern abhängig von Individuum und subjektiv empfundenen Kontext extrem unterschiedlich sein kann) ein Gegenargument zu Ge- und Verboten sein? Es ist ein Negativpunkt, aber ein Ausschlusskriterium? Wie beim Gewaltmonopol (s.o.) machst du aus einem arbiträr ausgewählten Kriterium ein Alleinentscheidungsmerkmal. Da sollte die Darstellung der "korrekten" Konsequenzen jetzt aber schon schlagend werden!

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, die Alternative wäre mal über die Prämissen der Therapie grundsätzlich nachzudenken und nicht der Wirklichkeit dafür die Schuld zu geben, dass die Theorie sich mit ihr nicht ganz verträgt.


Ich glaube Deine deutlich spürbare Empörung hat hier andere Gründe.


Nein. Sonst hätte ich andere Gründe genannt. Ich meine immer genau das, was ich sage. Es kann höchstens zu Missverständnissen kommen.

Warum sollte dir jemand glauben, dass du perfekte Selbstreflexion beherrscht?

Teh Asphyx hat geschrieben:Es geht mir auch nicht nur darum, es theoretisch in Frage zu stellen, sondern auch in der Praxis. Und spätestens da hört es auf (es besteht oft nichtmal die Bereitschaft dazu, oder jemand müsste für die erst alles so weit organisiert haben, dass eine Verweigerung ganz angenehm möglich ist, ohne dass auf irgendwelche Bequemlichkeiten verzichtet werden müsste und darauf kann man warten bis zum Sanktnimmerleinstag).

Wie sieht konkretes, praktisches In-Frage-Stellen denn hier aus? Vielleicht macht einfach nur praktisch keiner was, weil das in der Theorie so schön einfach klingende Ablehnen in der Praxis in Nullkommanichts an den Komplexitäten der Wirklichkeit zerschellt? Wenn es nur ein bisschen Überwindung braucht, was soll der, sagen wir mal, gebeutelte Angestellte denn nun praktisch tun?

Teh Asphyx hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Man muss aber weitergehen und es auch auf der Ebene moralisch ächten, wo es als Legitim gilt. Wir müssen den kapitalistischen Arbeitsmarkt ächten, wir müssen Gewaltmonopole ächten usw.


Aber nicht im Affekt und aus der Hüfte, ansonsten, durchaus.


Vor allem ist es wichtig, das wirklich eindringlich zu tun. Wenn wir die Handlung eines Kriminellen moralisch verurteilen, dann müssen wir explizit und nicht nur implizit alle anderen mit verurteilen, die ebenso handeln, dies aber im Rahmen des Gesetzes tun. Das wird eben kaum gemacht.

Viele "man"s, viele Allgemeinplätze. Wie ächte ich denn einen Arbeitsmarkt und was sage ich, wenn ich gefragt werde, was ich mir so alternativ vorstelle? Es ist ja nicht so, als täte sich wirklich die gesamte Arbeit von alleine.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich habe es schon gefühlte 10 Milliarden mal hier erklärt, werde es aber gerne noch mal tun. Es geht mir nicht darum, eine Utopie zu verbreiten oder irgendeine Revolution anzustacheln. Das habe ich auch nirgends in einem einzigen Satz erwähnt, dass ich das vorhätte. Man kann auch einfach unzufrieden mit etwas sein, ohne die Welt gleich retten zu wollen.
Andererseits muss es klar sein, dass heutzutage die einzige Utopie eigentlich die ist, zu wollen, dass es so weitergeht wie bisher.
Es gibt aber auch noch vieles zwischen Revolution und alles so erhalten, wie es ist. Es gibt ja die Möglichkeit der schrittweisen Veränderung, das haben ja sogar einige Marxisten inzwischen begriffen (jedenfalls seit Althusser). Die kann aber nicht stattfinden, wenn man nicht nach Ursachen guckt, sondern nur Symptome behandelt.

Das ist so schön allgemein formuliert, dass ich mich dem fast ohne weiteres anschließen kann. ;-) Das einzige, was ich nicht verstehe, ist, wo in unserer Gesellschaft so pathologische Symptombekämpfung stattfindet und wo so wenig Ursachenverständnis herrscht, dass alle wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Ich glaube relativ wenige Leute wollen, dass alles bleibt, wie es ist, aber gleichzeitig ist die Fallhöhe sehr hoch (man will nichts gefährden) und die Zahl der vorgeschlagenen Alternativen dünn. Und Sachen wie das bedingungslose Grundeinkommen, das einen ersten Schritt weg vom kapitalistischen Arbeitszwang darstellen könnte, werden schon seit Jahren in den Mainstreamparteien diskutiert, es ist also nicht so, als hätte man dort überhaupt keine Vorstellung von Schritt-für-Schritt-Verbesserungen.

Sorry, nicht böse gemeint, du machst dir viel Gedanken und bist unheimlich belesen, aber so leid es mir tut, ich kann das Originelle, Innovative deiner Gesellschaftskritik nach wie vor nicht so recht erkennen. :ka:
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 02:24

Könnte man in einer u- oder dystopischen hoch technologisierten Gesellschaft ein Rechtssystem denken, welches das Verbrechen das erfolgreich gegen alle technischen Hindernisse ausgeübt werden konnte nicht bestraft sondern noch belohnt ? Als sich selbst verbesserndes evolutionierendes Komplettüberwachungsschutzsystem, welches sogar körperliche Gewalt zwischen Menschen verhindert, ständig anwesend ist, ständig alles blitzschnell durch minimalschädigenden Gewalteinsatz unterbinden kann usw... ?
Frei nach dem Motto "Der Mensch den Du heute ermorden kannst schützt zahllose Menschen der Zukunft ! Trage Deinen Teil bei !" Strafe gibts nur wenn jemand den Trick mehrfach anwendet bevor er ihn meldet.. ist doch Ehrensache.. Ich stelle mir den Anruf bei der Polizei dann ungefähr so vor "Ja hallo Polizei ? Ich konnte eben einen Mord begehen !.. hmm. ja. Genau. Finde ich auch eine riesen Schweinerei, das System muss sofort nachgebessert werden ! Wie ? Welche Prämie.. ? Ich nehme den neuen Volkswagen-Gleiter, Danke ! Bis wann kann der denn geliefert werden ?"
Verdammt..schreiben wir ein cooles Drehbuch über die Story ! Wir brauchen Tom Cruise für den Protagonisten, oder hallt das zu sehr in den Ohren ?
Was für eine Vorstellung, die erste wirklich demokratische Gesellschaft, aber in ihr werden Mörder und Betrüger als sympatische Schlitzohren gelten, am Ende siegt wieder die Cowboyromantik, das hat Schmiss.. Und wenn dann im Zuge der Geschichte herauskommt, daß die Regierung das System heimlich steuert und so völlig verdachtslos politische Aufsteiger eliminieren kann (die haben ja erfahrungsgemäß immer die meisten Feinde in der "einfachen" Bevölkerung), wird aus der plausibel wahrgenommenen perfekten Demokratie per Knopfdruck die perfekte Despotie, ein Hirnkitzler vom Feinsten.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Vollbreit » Mi 28. Dez 2011, 10:54

Mark hat geschrieben:Was für eine Vorstellung, die erste wirklich demokratische Gesellschaft, aber in ihr werden Mörder und Betrüger als sympatische Schlitzohren gelten, am Ende siegt wieder die Cowboyromantik, das hat Schmiss...


Das wäre eine Gesellschaft, die vollkommen frei von Moral wäre.
Klingt kühn, wäre nur blöd, wenn ich das sympathsiche Schlitzohr bin, das Morgen Deine Freundin vergewaltigt und danach bei lebendigem Leib in Streifen schneidet, um das Sysmten zu optimieren und dafür Übermorgen einen Porsche bekomme, den Du mir händeschüttelnd und Orden anheftend überreichen darfst, mit den Worten: "Mensch Alter, haste toll gemacht." :down:

Davon mal abgesehen habe ich den Eindruck, dass das Szenario nur vor dem Hintergrund eines totalen Überwachungsstaates funktioniert und das wäre mein zweiter Einwand.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 22:50

Du denkst also nicht, daß die Menschen in der Lage sind ihr moralisches Empfinden so über den Haufen zu werfen, daß sie aus unserer hergebrachten Sicht völlig verquer erscheinen ?
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Vollbreit » Mi 28. Dez 2011, 22:53

Nein.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Mark » Mi 28. Dez 2011, 22:56

Niedlich ;-)
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Vollbreit » Mi 28. Dez 2011, 23:02

Menschlich. ;)
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 20:39

Nanna hat geschrieben:Ich darf mich trotzdem einmischen, oder? ;-)


Natürlich, das war jetzt nur darauf bezogen, dass mir die Politikwissenschaft nicht den psychologischen Unterschied (den es nicht gibt) der „Gewaltbereitschaft“ eines Jugendlichen oder eines Soldaten erklären kann. Die Politikwissenschaft kann nur das eine legitimieren und das andere verurteilen, deswegen war sein Ausweichen auf Dich in dem Fall, weil er ja damit sagen wollte, ich solle mir das von jemanden erklären, der sich mit Politikwissenschaft auskennt, nichts was mich irgendwie weitergebracht hätte. Aber ansonsten bist Du natürlich wie jeder hier herzlich eingeladen mit zu diskutieren.

Erstmal vorweg freut es mich sehr, dass Du mir eigentlich im Großen zustimmst, Dich lediglich an ein paar kleinen Missverständnissen störst. ;-)

Nanna hat geschrieben:Woran ich mich hier nämlich gewaltig störe, ist dein Verständnis von Legitimation.


Welches? Ich hab keins.

Nanna hat geschrieben:Du störst dich am Gewaltmonopol des Staates und weil für dich jede Form von Herrschaft automatisch Gewalt und Verwerflichkeit bedeutet, siehst du nichts außer der Gewalt und reduzierst den Staat in seiner Legitimationsbasis auf diese.


Wieso reduzieren? Ich versuche nur nur die Maske der Pseudoliberalität herunter zu reißen, damit man die fiese Fratze dahinter erkennen kann.

Nanna hat geschrieben:Der Staat legitimiert sich aber kaum bis gar nicht durch Gewalt, Gewalt ist für das demokratische Gemeinwesen, auch wie wir es hier vorfinden, Mittel zum Zweck.


Wenn Du glaubst, dass der Zweck irgendwelche Mittel heiligt, werden wir uns hier wohl nur schwer einig … ich bin sogar fast geneigt das radikale Gegenteil zu behaupten, nämlich dass nur die Mittel den Zweck heiligen können.

Nanna hat geschrieben:Die Legitimation liegt in der Akzeptanz der Bürger gegenüber dem Staat.


Ich akzeptiere ihn nicht … und jetzt? Wenn das die Legitimation sein sollte, dann verlange ich, zum Beispiel meinen eigenen Staat gründen zu können und zwar dort, wo ich bin. Darf ich nicht? Weil ich sonst was zu fürchten habe? Gewalt, genau. Also bleibt mir doch nichts anderes übrig, als formell meine Zustimmung abzugeben. Ich bitte Dich, das sind doch nichts als Floskeln, damit man glauben kann, das wäre alles so wunderbar.
Manchmal denke ich, dass Du (wie viele, was vielleicht auch am Inhalt des Studiums liegt, ich weiß es nicht) in politischer Hinsicht ein „Hume’scher Verrückter“ bist (der Begriff stammt von Nassim Taleb und bezeichnet Leute, die in einem in sich völlig konsistenten Universum leben, das aber mit der Realität nichts zu tun hat), das meine ich nicht böse und auch wirklich nur in politischer Hinsicht. Vielleicht sollte ich auch eher die Theorie, die dahintersteckt eine „Hume’sche Verrücktheit“ nennen, das ist weniger persönlich angreifend und trifft es eher.
Ein Beispiel dafür ist folgendes: Unterhalte Dich mit beliebigen Leuten über irgendeine Falschheit eines Politikers (wie zum Beispiel aktuell unser Bundespräsident) und es wird fast jeder in irgendeiner Form sagen, dass Politiker ja eh korrupt sind usw. Wenn Du die gleichen Leute dann aufs Wählen ansprichst, sind die aber überzeugt davon, dass sie wählen gehen müssten und werden Dir einen Haufen theoretisch plausibler Gründe dafür geben, obwohl ihnen die Realität zeigt, dass es nichts ändert und sie es sogar wissen. Und ich habe mit den unterschiedlichsten Leuten aus den unterschiedlichsten Klassen zu tun, das findet sich überall.

Nanna hat geschrieben:Nur reine, offene Tyranneien legitimieren sich ausschließlich über Gewalt und diese Gewaltherrschaft ist derart kostspielig, dass sie selten über längere Zeiträume aufrecht erhalten werden kann.


Stimmt, Hinterfotzigkeit bei der Gewalt gar nicht angewendet werden muss, weil die versteckte Drohung und die Freiheitsfassade drumherum so effektiv funktionieren, dass kaum jemand die Konfrontation herausfordert, ist wesentlich günstiger.
Aber ich nehme an, dass Du das auch sagen wolltest und deswegen von offenen Tyranneien sprichst in Abgrenzung zu unseren „freiheitlichen“ heimlichen Tyranneien. ;-)

Nanna hat geschrieben:Selbst extreme Regime wie Syrien, Nordkorea oder Myanmar könnten nicht überleben, wenn die Einwohner oder ein signifikanter Teil von ihnen die Herrschaft nicht aus irgendwelchen Gründen akzeptieren würden.


Das sehe ich auch als Bestätigung für das eben gesagte. Ich sag ja, wir sind uns ja eigentlich einig, es gibt nur ein paar kleine Missverständnisse. ;-)

Nanna hat geschrieben:Und mach da jetzt bitte nicht gleich wieder einen Opferdiskurs draus, nicht jeder, der dein radikales Freiheitsideal nicht teilt, ist deshalb unterdrückt und ein Opfer.
Ich weiß nicht, ob du das mitkriegst, aber du malst hier teilweise ganz schön schwarz-weiß. Würde ich deiner obigen Definition folgen, wären Stalinrussland und Hitlerdeutschland irgendwo auf einer Stufe mit der liberalen westlichen Demokratie.


Oh, tut mir leid, ich habe natürlich vergessen, dass es eine Rolle spielt, ob die Opfer innerhalb der nationalen Grenzen sind oder außerhalb. Außerhalb liegt das dann immer blöderweise daran, dass die anderen Länder so pfui sind und böse Regimes haben, womit man hier absolut nichts zu tun hat … Ja, ich würde diesen Vergleich sogar ernsthaft global betrachtet in Betracht ziehen. Es ist schön einfach, sich erst den Wohlstand aus der ganzen Welt zusammenzuklauen und dann auf andere mit dem Finger zu zeigen und zu sagen „Guckt mal, mit ihren komischen Regimes sind die ganz schön arm dran, was uns unsere liberale kapitalistische Demokratie hingegen für einen Lebensstandard geschaffen hat, ist ganz toll und das haben wir alles in eigener Leistung hinbekommen.“ Da denke ich irgendwie hieran: :lie:
Allerdings muss ich hier auch einräumen, dass es dafür auch Menschen gibt, die sich wirklich Gedanken machen, wie man diese Situation verbessern kann und die sich auch der Verantwortung in der Hinsicht bewusst sind. Aber leider haben die zu selten das Wort oder es geht unter bei der ganzen Selbstbeweihräucherung.

Nanna hat geschrieben:Es gibt einen sehr empfehlenswerten Aufsatz von Helmut Dubiel namens "Unzivile Gesellschaften", in denen er die Entwicklungsstadien einer Gesellschaft von barbarischen Zuständen (Gewalt aller gegen alle) zur pluralistischen, zivilen Demokratie nachskizziert.


Und es gibt eine noch empfehlenswertere Buchreihe von dem Ethnologen Hans Peter Duerr (nicht der Physiker, der heißt Hans-Peter Dürr) mit dem Titel „Der Mythos vom Zivilisationsprozeß“ (im dritten Band geht es um Gewalt) und zeigt ziemlich eindrucksvoll, das eben diese Idee, der Mensch sei durch den „Zivilisationsprozeß“ irgendwie „besser“ geworden, ziemlich falsch ist (und bei der Menge an Belegen, die er da aufführt, kann man nur noch von einer erdrückenden Beweislast sprechen).
Gerade beim zivilisierten Menschen kommt es erst zu den richtigen Grausamkeiten. Und wenn sich in unzivilisierten Gesellschaften mal welche die Rübe eingehauen haben, was ist das schon gegen zivilisierte Kriege in denen die Todeszahlen in die Tausende bis Millionen gehen und jedes noch so grausame Mittel zur Kriegsführung erlaubt ist, Vergewaltigungen und Folter an der Tagesordnung sind etc.?
Diese „barbarischen Zustände“ sind ein Mythos und sogar eher ziemlich unwahrscheinlich, allein schon biologisch und evolutionär betrachtet ist es eher sehr wahrscheinlich, dass der Mensch einen Hang zum sozialen Miteinander hat. Ich gehe sogar so weit anzunehmen, dass die reine Freundschaft die ursprünglichste und natürlichste Form des Miteinanders ist noch vor dem Handel und erst recht vor dem Kampf.
Dubiel scheint aber zumindest voll und ganz in der Linie der Frankfurter Schule zu stehen, auf falsche Prämissen einen Haufen Geschwafel aufzubauen (habe zumindest einen Teil lesen können, das komplette Dokument bleibt mir verwehrt, weil meine Uni wohl keinen Zugriff auf die Publikationsreihe hat). Das beeindruckt, klar, aber es bleibt falsch.
Diese „barbarischen“ vorzivilisatorischen Gesellschaften sind ein Produkt der Fantasie von Misanthropen, die irgendwie beweisen wollen, dass der Mensch domestiziert werden muss. Gerade das macht mir so Sorgen bei der ganzen Sache mit der Herrschaft. Die, die die Herrschaft befürworten sind immer latente Misanthropen, die glauben, der Mensch müsse zum Guten erzogen werden, ob er es will oder nicht und wenn das letzte Mittel zum Zweck die Gewalt ist, dann geht das auch klar. Diese typischen „barbarischen“ Zustände gab es immer nur, wenn Menschen schon in irgendeiner Weise durch Zivilisationen beeinflusst sind. Wenn eine strenge Regierung gewütet hat und auf einmal weg ist und das Chaos ausbricht, dann ist das letzte, was diesen Zustand adäquat beschreibt, der Begriff „Naturzustand“. Es ist allerhöchstens eine sehr pervertierte Form davon und rate mal, was sie hat pervertieren lassen …
In einem anderen Thread habe ich das auch anhand der Amischen und der Tradition des „Rumspringa“ versucht zu illustrieren.

Nanna hat geschrieben:Die Gewalt reduziert sich auf dem Weg nach oben immer weiter, genauso wie Konfliktlösungsmechanismen immer weniger auf externen Zwang zurückgreifen und stattdessen immer stärker auf gegenseitige Achtung und Lösungsbereitschaft abheben.


Gegenseitige Achtung und Lösungsbereitschaft war schon immer herrschaftsunabhängig. Ein Versuch, da einzuwirken hat eher eine destruktive Wirkung.

Nanna hat geschrieben:Ich bestreite gar nicht, dass wir bei der Gewaltreduzierung nach oben noch viel Luft haben, aber ich sehe deine Entwertung der gegenwärtigen Zustände nicht gerne und würde mir etwas mehr Wertschätzung für den Weg wünschen, den die Menschheit, insbesondere die westlichen Gesellschaften, in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten zurückgelegt haben.


Und warum genau soll ich dafür etwas übrig haben? Weil ich mich an dem Leid und den Tod von Milliarden von Menschen und der allmählichen Zerstörung des gesamten Lebensraums ergötzen soll?
Ich sehe schon ein, dass es kein Zurück gibt und will dies auch nicht, ich kann nur hoffen, dass der Prozess zu etwas besserem als jetzt und in der Vergangenheit führen kann, sehe aber die ganzen Grausamkeiten dafür nicht als Notwendig sondern als leider geschehen an und werde einen Teufel tun da in irgendeiner Form Wertschätzung für zu erbringen. Es gibt keinen ehrlichen Grund auf diese Geschichte stolz zu sein, es sei denn man erfreut sich aufrichtig an Leid und Zerstörung.

Kennst Du eigentlich die Charta von Mandén? Eine der ältesten bekannten Menschenrechtserklärungen, die nicht etwa aus weißen, westlichen Gesellschaften kommt, sondern aus dem „barbarischen“ Afrika des 13. Jahrhunderts: http://www.fr-online.de/kultur/-die-jae ... 60066.html
(für die, die Französisch können, kann ich die französische Übersetzung eher empfehlen: http://1libertaire.free.fr/CharteduManden.html).
Dass es diese Charta gibt, wird nur leider nie im Geschichtsunterricht erzählt …
Die Charta ist nach einigen Stammeskriegen entstanden, um zukünftig so etwas zu vermeiden und damit jedes menschliche Leben gleich geschätzt und behandelt wird.
Aber auffallend ist auch da, dass erst ziemlich schreckliche Kriege „nötig“ waren, damit so eine Charta zustande kommt. Vielleicht braucht die westliche Zivilisation also so etwas, um sich selbst zu zähmen und nicht, weil sie so furchtbar friedliebend ist?

Nanna hat geschrieben:Insbesondere möchte ich betonen, dass Gewalt nunmal immer am Anfang jeder Ordnung steht und diese Ordnung nötig ist, um so sichere Zustände zu erreichen, dass die Entwicklung hin zur Zivilität möglich ist. Vielleicht kann Gewalt eines Tages völlig verschwinden, aber wie man es auch dreht und wendet, der Weg hin zur Gewaltlosigkeit wird immer aus Gewalt heraus geboren und durch Gewalt geschützt. Nicht zuletzt ist die Deutung der Entwicklung der Menschenrechte als "unabgeschlossener Lernprozess, der durch Leiderfahrungen ausgelöst wurde", wie ich sie andernorts neulich schonmal nach Heiner Bielefeldt zitiert habe, sicherlich sehr treffend und fügt sich passend in diese Gesamtschau ein.


Gewalt als geschichtliche Notwendigkeit ist totaler Unsinn, unter anderem der Stalinismus hat auch mit diesem Argument gearbeitet.
Mich erinnert diese Rhetorik immer an den typischen Mafiosi, der dann ganz bedauern erklärt, dass er ja eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun möchte, aber leider aus Gründen, auf die er keinen Einfluss hat, ja darauf angewiesen ist, dies jetzt zu tun oder wenn der Angesprochene dies oder jenes nicht tut.

Nanna hat geschrieben:Ergo: Du musst Gewalt nicht befürworten, aber vielleicht kannst du anerkennen, dass sie zum Ausgangszustand und zum bisherigen Weg nunmal dazugehört hat und in diesem Kontext auch unvermeidbar und normal war.


Bis „dazugehört hat“ stimme ich zu, den Rest lehne ich aus gegebenen Gründen vehement ab.

Nanna hat geschrieben:Ich sympathisiere sehr mit deinem Ziel, das in Zukunft zu ändern, aber das wird nicht über den Weg gehen, die gegenwärtigen Zustände als völlig unmenschlich und widerlich zu brandmarken. Das macht aus allem, was viel oder auch nur ganz wenig Gewalt beinhaltet, eine fürchterliche Einheitssoße, in der man völlig die Orientierung verliert. Es besteht nunmal ein Unterschied zwischen einem sadistischen Schlächter und einem Soldaten, der gegen die Nazidiktatur gekämpft hat. Mir ist in diesem ganzen Zusammenhang auch nach wie vor nicht so richtig klar, wogegen du eigentlich bist.


Ja, der sadistische Schlächter ist der, der im Namen des Staates Gewalt anwendet, dies also legitim tut und der Soldat, der gegen die Nazidiktatur gekämpft hat ist der typische Terrorist, der den Zusammenhalt der herrschenden Ordnung bedroht. Mit Deiner ganzen Argumentation stellst Du Dich gerade auf die Seite des sadistischen Schlächters, falls Du das noch nicht gemerkt hast.
In der Retrospektive (also nach dem politischen Paradigmenwechsel) ist es einfach, sich auf die Seite des Revolutionären zu stellen und ihm die gute Seite zusprechen, aber vor dem Paradigmenwechsel ist die gute Gewalt die auf Seiten der Ordnung, selbst wenn es der sadistische Schlächter ist, weil man aufgrund des Paradigmas gar nicht sieht, dass er der sadistische Schlächter ist, weil er schließlich seine gute staatliche Pflicht ausführt. Die meisten erkennen das immer erst hinterher. Das erklärt ja auch Hannah Arendt mit der „Banalität des Bösen“.

Nanna hat geschrieben:Warum verabsolutierst du so? Die Welt besteht aus Verläufen von Grau, nicht aus Schwarz oder Weiß. Natürlich machen Abstufungen da einen Unterschied! Ich frage mich, von was für Menschen du für deine ideale Gesellschaft ausgehst, die offenbar keinerlei Form von Durchsetzungsvermögen mehr zeigen dürfen.


Kannst Du mir nicht einfach konkret sagen, warum es in Ordnung ist, wenn einer im Boxring den anderen einvernehmlich bewusstlos prügelt, auf dem Schulhof zum Beispiel aber nicht? Ich kann da leider keine Abstufung feststellen, bewusstlos prügeln ist bewusstlos prügeln. Und angefeuert wird man in beiden Fällen meistens auch.
Es geht mir auch darum, dass man die gleiche Sache nicht einmal als Ideal verkaufen und gleichzeitig verteufeln kann, ohne dass man sich hinterher über unbequeme Konsequenzen zu wundern hat.

Nanna hat geschrieben:Und das belegst du wie? Denn alles, was hinter den drei Punkten kam, war eine Aneinanderreihung von Behauptungen. Ich selber sehe es eigentlich genau wie Vollbreit und kann das auch besser mit meiner persönlichen Erfahrung in Einklang bringen.


Gegen die Katharsis-Hypothese gibt es konkrete wissenschaftliche Studien, die das widerlegen, indem das Aggressionsverhalten der Probanden verglichen wurde zum einen, wenn sie „Katharsis-Maßnahmen“ unternommen haben (also ihre Wut über aggressive Handlungen an anderen Dingen, zum Beispiel auf Kissen schlagen etc. ausgelassen haben) und zum anderen, wenn sie einfach nur einige Zeit hatten, sich zu beruhigen durch entspannende Aktivitäten (oder Inaktivitäten). Die Ergebnisse sind so eindeutig, dass die Katharsis-Maßnahmen das aggressive Verhalten steigern.
Sport macht als körperliche Betätigung körperlich fit und kann dementsprechend auch gut für den Geist sein in dem Sinne, dass ein müder Körper das Denken anstrengend macht. Aber eine andere positive Wirkung vom Sport, erst recht vom Leistungssport (also Sport als Wettkampf) ist nicht nur nicht nachgewiesen sondern sogar falsifiziert worden, sogar schon in den 60ern (siehe zum Beispiel Leonard Berkowitz, Agression: A Social Psychological Analysis, 1962). Das wird nur einfach von den meisten ignoriert …

Nanna hat geschrieben:Du gehst prinzipiell davon aus, dass die Ursache gefunden werden kann, überschaubar ist und im nächsten Schritt abgestellt werden kann. Das macht deine Herangehensweise an gesellschaftliche Missstände meiner Meinung nach potentiell äußerst unproduktiv, weil du (bisher) an keiner Stelle die Möglichkeit in Betracht ziehst, dass die Ursache entweder nicht auffindbar oder nicht abstellbar ist.


Doch, diese Möglichkeit ziehe ich sehr wohl in Betracht, da aber eine Möglichkeit allein keine Falsifizierung ist, sehe ich nicht, warum ich die Suche nach der Ursache deswegen lassen soll. Im übrigen wäre ich mit solchen Argumenten vorsichtig, da die meistens eher da gebraucht werden, wo die Ursache auf der Hand liegt, das Wissen darum aber für einige eher unbequem wird (meistens für die, die argumentieren und andere, die damit verbunden sind). Das ist keine Unterstellung an Dich, weil ich Dich hier gesetzt dem Fall ich selbst liege nicht total falsch, dann eher für etwas naiv halten würde (was ich grundsätzlich nicht als schlechte Eigenschaft sehe).
Jedenfalls bringt es mir nichts, so zu tun, als könnte ich an der Ursache nichts ändern, wenn die Symptombekämpfung ebenfalls nicht mehr zu bewerkstelligen ist (wie in dem Beispiel).

Nanna hat geschrieben:Da wir uns als "Analysten" innerhalb des Systems bewegen und damit keine objektive Beobachtungsposition einnehmen und zudem durch unsere Analysen und Verhaltensweisen selbst das System beeinflussen, ist es nicht so einfach, wie du es häufig darstellst, dass wir "erstmal verstehen müssen, was passiert ist", um etwas ändern zu können. Verstehen ist wichtig, ja, aber Handeln unter zeit- und ressourcenkritischen Bedingungen erfordert noch ganz andere Voraussetzungen (Nebeneinwurf: Auch deshalb sind Herrschaftssysteme so resistent, weil sie einfach unter Druck schnelle Entscheidungen herbeiführen können).


Aber gerade deswegen wäre ein innehalten ohne Aktionismus eben sinnvoll. Diese Angst davor, dass es zur Katastrophe käme, wenn mal nicht mehr alle dabei sind, durch lauter Tatendrang am sicheren Herstellen der nächsten Katastrophe zu arbeiten ist schon echt pathologisch.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Teh Asphyx » Di 3. Jan 2012, 20:40

Nanna hat geschrieben:In der Fernsehserie Dr. House […] Wenn man eine nicht behandelbare oder eine behandelbare Krankheit hat, behandelt man für die behandelbare. Liegt man richtig, lebt der Patient, andernfalls stirbt er so oder so.


Nur ist es in der Medizin wenigstens so, dass nach Ursachen grundsätzlich geforscht wird (hoffe ich) und wenn sich herausstellt ein Medikament Ursache einer anderen Krankheit ist, dann wird das im Idealfall nicht unter den Tisch gekehrt oder dieses Medikament sogar als vermeintliches Ideal hochstilisiert, sondern an einem besseren Medikament gearbeitet (ob das nun tatsächlich der Fall ist, sei mal dahingestellt, aber da würde ich auch dafür plädieren, dass es so gemacht wird).

Nanna hat geschrieben:Ähnliches gilt auch für die "Verbesserung" der Gesellschaft: Wir müssen auf Verbesserungen setzen, die höchstwahrscheinlich Erfolg haben oder zumindest überhaupt Erfolg haben können.


Es sieht doch aber eher so aus, dass darauf gesetzt wird, dass es zu möglichst kontrollierbaren Misserfolgen kommt, also produziert man die Misserfolge am besten selbst, da wo man sie schon kennt, dann fällt es auch leicht, damit umzugehen.

Nanna hat geschrieben:Du hast ja schon selbst zugegeben, dass deine ideale, gewaltlose Gesellschaftsutopie ein enorm instabiles Gebilde wäre.


Wo habe ich das? Und welche Utopie?

Nanna hat geschrieben:Die Frage ist, ob es dann noch Sinn macht, die Durchsetzung desselben zu verfolgen, oder ob es nicht vernünftiger wäre, zu akzeptieren, dass es manche Missstände gibt, die sich, im Mindesten bezogen auf unsere erwartete Lebensspanne, nie ausrotten lassen werden und ob man nicht auf workarounds setzen sollte, die die Probleme und Widersprüche zwar nicht auflösen, aber die Folgen mildern - man könnte in obigen Fluss z.B. erstmal ein Netz spannen und abwarten, ob das den Job nicht auch für weniger Aufwand macht.


Als ob ein Netz zu flechten oder von irgendwo zu holen nicht genauso viele Babys dem Untergang weihen würde, als zur Quelle des „Übels“ vorzudringen.
Leider sehe ich von Herrschaftsseite aus wenig Bemühungen, Missstände ernsthaft beseitigen zu wollen, meistens entspringt das eher dem Engagement einzelner oder kleiner Gruppen.
Außerdem: Um Folgen mildern zu können, muss man auch die Ursachen kennen, ansonsten kann man nur aufs Geratewohl handeln und das nennt man dann blinden Aktionismus. Das führt oft dazu, dass andere Komponenten dazukommen, die man unterschätzt oder nicht beachtet hat, die dann das nächste Übel mit sich bringt. Die Wirtschaftskrise ist ein exzellentes Beispiel, wie durch ständige Regulierung zur „Schadensminimierung“ die Katastrophe erst produziert wurde. Dazu hat Gandalf ja in dem Systemkrise-Thread ausführlich geschrieben.

Nanna hat geschrieben:In den mathematischen Disziplinen vieler Naturwissenschaften nähert man sich ja auch häufig nur an eine bestimmte Berechnung an, weil die eigentlich mathematisch korrekte Lösung entweder nicht berechenbar ist oder die Rechenkraft fehlt. Kompromisse gehören halt dazu, wenn man Praxis machen will. So schlimm?


Na ja, zwischen der mathematisch/naturwissenschaftlichen Annäherung und Kompromissen sehe ich aber doch einen ziemlichen Unterschied. Kompromisse sind meistens faule Kompromisse, die nur deswegen gemacht werden „müssen“, weil man an irgendwelchen ideologischen Firlefanz festhalten will und somit nicht die beste Lösung für die Beteiligten sucht, sondern die beste Lösung, die eine gewisse symbolische Ordnung nicht beeinträchtigt, auch wenn alle Beteiligten diese „Lösung“ nur mit Zähneknirschen annehmen und eigentlich alle unglücklich damit sind.

Nanna hat geschrieben:Du schlitterst, nicht nur hier, hart am naturalistischen Fehlschluss entlang. Implizit sagst du nämlich nicht weniger, dass der Mensch, wäre er nur natürlich und würde in Ruhe gelassen von künstlichen bösen Ideen, sich ideal verhalten. Letztlich willst aber auch du den Menschen verändern in eine Richtung, die dir mehr passt. Ich kann schon verstehen, dass Vollbreit dir hier eine Romantisierung des Urzustandes unterstellt.


Ich will den Menschen nicht verändern, sondern, dass er die Chance hat, sich zu ändern (wenn er das möchte) indem er die Möglichkeit hat, das was ihn formt, zu ändern (die symbolische Ordnung). Ich habe nie gesagt, dass ich eine bestimmte symbolische Ordnung als Ersatz hinstellen möchte. Ich sage auch nicht, dass der Mensch sich ideal verhalten wird (wie denn auch? was soll das denn für ein Ideal sein?), es sei denn, damit ist gemeint, dass er sich so verhalten kann, wie er es möchte in dem Rahmen, wie er andere Menschen an Selbigem nicht hindert. Das kann er tatsächlich nur, wenn er sein handeln nicht an einer übergeordneten symbolischen Ordnung ausrichtet, sondern an den defensiven Grenzen, die er von anderen Menschen gesetzt bekommt. Wer das so kennenlernt (indem ihm defensive Grenzen gesetzt werden, aber auch seine respektiert werden), kann im Prinzip gar nicht anders handeln.

Nanna hat geschrieben:Ja, volle Zustimmung. Aber was folgt jetzt für die Praxis daraus? Oder ist das irgendeine Form politischer Alexandertechnik (lass alles weg, was falsch ist, dann tust du das Richtige)?


Ich würde vorschlagen, das eigene Leben den Erkenntnissen anzupassen, gewaltfrei kommunizieren zu lernen und politische Agitation betreiben, wo es geht. Ich sehe an Agitation per se nichts schlechtes. Natürlich ist es mir lieber, einfach nur durch gute Argumente etwas bewegen zu können (die sollte man auch haben), aber das Wissen um etwas reicht meistens nicht, damit auch eine Handlung daraus erfolgt. Jeder weiß, dass in Afrika Kinder verhungern, aber wirklich etwas an der globalen Verteilung (und die Grundlage dazu) ändern werden Leute erst, wenn sie auch emotional aufgewühlt sind, dann erst ist eine Motivation da.

Nanna hat geschrieben:Ein Studium macht einen Menschen nicht notwendigerweise klug und schon gar nicht lebens- oder menschenerfahren.


Das stimmt zwar, aber wenn ein Psychologiestudium einen Menschen nicht adäquat auf den Beruf des Psychologen vorbereiten kann und dies eh von vornherein nicht mal im Zusammenhang steht, dann ist das Studium einfach gesagt für’n Arsch. Dann sehe ich keinen Grund, Respekt vor irgendwelchen Titeln zu haben.

Nanna hat geschrieben:Das Studium ist sicherlich eine notwendige, aber vielleicht eben keine hinreichende Bedingung für so eine Tätigkeit. Davon abgesehen hat man es hier aber auch mit einem asymmetrischen Verhältnis zu tun. Genauso wie man eine hochtechnologisierte Armee mit einer Garagenbastlerbombe sabotieren kann, kann man auch gut ausgebildete Gutachter belügen, wenn man ein Talent dafür hat. Nur den Aufwand (Studium gegen geschicktes Situationserfassen) aufzuwiegen, macht einen hier nicht klüger.


Diese Armee kann ich genauso wenig ernst nehmen. Allerdings kann man eine hochtechnologisierte Armee auf diese Weise kaum schaden, sonst wäre das längst gemacht worden. Wenn das eine Rechtfertigung für Versagen sein sollte (ich nenne es deswegen Versagen, weil ein Titel eine Erwartung mit sich bringt, die nicht erfüllt wurde), dann hat das nicht geklappt.

Nanna hat geschrieben:Vorsicht vor der Arroganz, dem Opferdiskurs und der Pauschalisierung! Hinter jedem Einzelschicksal, das du hier gesammelt kritisch betrachtet, können sehr unterschiedliche und häufig wahrscheinlich sogar höchst rationale Motive stehen, warum die Menschen genau so handeln und ich wäre vorsichtig mit der Unterstellung, dass sie das nicht reflektiert hätten.


Sag ich doch, sie wissen es, aber sie tun es trotzdem. Es ging ja um die psychologische Zwangshandlung und eben genau den Fall, dass jemand etwas sehr wohl zu reflektieren in der Lage ist, aber trotzdem etwas anderes tut.

Nanna hat geschrieben:Übrigens gehst du mir auch an dieser Stelle wieder zu sorglos mit "krassen" Begriffen um. Wenn aus jedem Unwohlsein, das man mal runterschlucken musste, sofort Gewalt und Zwang werden, ist irgendwann alles Gewalt und Zwang, die definitorische Schärfe geht mit den Babys den Bach runter und immer mehr Kleinigkeiten werden aufgebauscht. Das führt zu nichts.


Nein, es ist nicht irgendwann alles Gewalt und Zwang. Gewalt und Zwang ist immer dann vorhanden, wenn eine künstliche bzw. aggressive Einschränkung (auch über Hintertüren!) oder Manipulation stattfindet. Ich meine, dass ich hier auch zum Beispiel schonmal den Unterschied zwischen defensiven und aggressiven Grenzen erwähnt habe …

Nanna hat geschrieben:Also nun werde mal bitte konkret: Was bedeutet es für ein Justizsystem oder, von mir aus noch allgemeiner, ein gesellschaftliches Konfliktlösesystem, die Konsequenzen daraus zu ziehen?


Als erstes die Strafe abschaffen. Ich bin dafür, dass jegliche Konflikte durch zivile Lösungen bereinigt werden sollten (ich habe also nichts gegen Zivilgerichte an sich, weil es manchmal schwierig ist, dass zwei erhitzte Parteien selbst eine glückliche Einigung finden, wodurch ein neutraler Schlichter sehr hilfreich sein kann). Als Schlichter könnte zum Beispiel eine zufällig ausgewählte Gruppe von Bürgern in Frage kommen, um die Möglichkeit der Parteilichkeit oder dem Vorherrschen einer bestimmten Sichtweise möglichst einzuschränken. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, wie das aussehen kann. Das Ziel sollte aber auf jeden Fall sein, dass es allen Beteiligten hinterher besser geht, denn nur das wird langfristig zu einer friedlicheren Gesellschaft führen.
Es macht einfach keinen Sinn, einen Täter bestrafen zu wollen, davon hat auch das Opfer nichts. Im Gegenteil, zu bestrafen kultiviert die Wut nur weiter.
Das heißt ja noch lange nicht, dass man alles gutheißen soll.

Nanna hat geschrieben:Und warum sollte dieses Gebotsbrechbegehren (das im Grunde eine Ausformung von Reaktanz darstellt und sich keineswegs einheitlich manifestiert, sondern abhängig von Individuum und subjektiv empfundenen Kontext extrem unterschiedlich sein kann) ein Gegenargument zu Ge- und Verboten sein? Es ist ein Negativpunkt, aber ein Ausschlusskriterium? Wie beim Gewaltmonopol (s.o.) machst du aus einem arbiträr ausgewählten Kriterium ein Alleinentscheidungsmerkmal. Da sollte die Darstellung der "korrekten" Konsequenzen jetzt aber schon schlagend werden!


Wenn Ge- oder Verbote überhaupt erst die Handlungen, die dagegen verstoßen auslösen, also Ursache sind, dann ist das nicht nur ein Negativpunkt. Allerdings bin ich mir in diesem Punkt nicht sicher, ob es unbedingt immer so ist.
Dennoch denke ich, dass eine ver- oder gebietende Instanz nicht nötig ist, damit Menschen sich nicht gegenseitig zerfleischen, sowie solch eine Instanz nicht davor schützt, dass Menschen es tun (im Gegenteil ist solch eine Instanz sogar hinderlich dabei, tatsächliche Lösungen zu finden, weil man immer wieder auf sie zurückgreift, anstatt über die tatsächliche Situation zu reflektieren und Dinge zu verbessern).

Nanna hat geschrieben:Warum sollte dir jemand glauben, dass du perfekte Selbstreflexion beherrscht?


Warum sollte jemand es nicht? Ich jedenfalls gehe erstmal immer davon aus, dass mein Gegenüber meint, was es sagt. Es ist jedenfalls sehr anmaßend, jemanden zu sagen, dass er etwas ja gar nicht aus dem Grund sagt, den er selbst nennt, sondern man ja besser wüsste, was dahintersteckt. Jedenfalls habe ich im direkten Gespräch immer genug Respekt vor meinem Gegenüber, ihm so etwas nicht zu unterstellen (nachzufragen, ob nicht vielleicht auch dieser oder jene Grund mitschwingt ist was anderes, dann aber bitte auch konkret nachfragen und nicht sagen „ich glaube, das hat andere Gründe“).

Nanna hat geschrieben:Wie sieht konkretes, praktisches In-Frage-Stellen denn hier aus? Vielleicht macht einfach nur praktisch keiner was, weil das in der Theorie so schön einfach klingende Ablehnen in der Praxis in Nullkommanichts an den Komplexitäten der Wirklichkeit zerschellt? Wenn es nur ein bisschen Überwindung braucht, was soll der, sagen wir mal, gebeutelte Angestellte denn nun praktisch tun?


Man kann sein Leben ändern, man kann seinen Umgang mit seinen Mitmenschen verändern, man kann sich organisieren und sich organisiert weigern bestimmte Dinge zu tun (auch ohne den Segen irgendeiner Gewerkschaft), es gibt unzählige Möglichkeiten. Vor allem muss man aber erstmal anerkennen, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung kein Naturgesetz ist, das nicht überwunden werden kann und da hapert es oft schon.
Beispiel: Als BP das Öl im Meer ausgelaufen ist, wer hat in Frage gestellt, was BP dazu getrieben hat, so unverantwortlich zu handeln? Die Reaktion von einigen war, nicht mehr bei BP zu tanken, so als ob das nur ein Problem von BP wäre und andere Tankstellen so viel besser wären. Was bringt das aber? Hätte es nicht genauso Total, Shell, Aral oder sonst wer sein können? Eine angemessenere Reaktion wäre es, mehr öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, wenn möglich zu Fuß zu gehen und nicht zum Bäcker zwei Straßen weiter mit dem Auto zu fahren (es gibt tatsächlich viele, die das machen). Aber das wäre ein Verzicht auf Bequemlichkeiten und kostet tatsächlich Überwindung. Ich kann Dir keine Patentlösung für jede Situation geben, das habe ich mir auch gar nicht zur Aufgabe gemacht, mir geht es nur darum, Denkanstöße zu geben, auch eben indem ich sage, was falsch läuft.

Nanna hat geschrieben:Viele "man"s, viele Allgemeinplätze. Wie ächte ich denn einen Arbeitsmarkt und was sage ich, wenn ich gefragt werde, was ich mir so alternativ vorstelle? Es ist ja nicht so, als täte sich wirklich die gesamte Arbeit von alleine.


Doch, viel Arbeit tut sich heutzutage von alleine, weil vieles automatisiert ist (und anderes ist es nicht, weil man meint, man würde damit Arbeitsplätze zerstören, als ob es darauf ankäme, dass Menschen arbeiten müssen und nicht darauf, dass die Menschen versorgt sind).
Ich habe ein Problem damit, dass es einen Arbeitsmarkt gibt, damit ist Arbeit auch inzwischen zur Ware geworden. Ich habe hingegen kein Problem damit, Arbeiten zu verrichten, aber darum geht es kaum noch. Es geht darum, im Wettbewerb zu zeigen, warum man es verdient, dass man eine Existenzgrundlage bekommt und daran kann ich nichts tolles sehen. Schlimmer ist dabei noch, dass dann nicht mal die, die wirklich fleißig sind, belohnt werden, das also auch noch eine große Lüge dabei ist. So, geächtet.

Nanna hat geschrieben:Das ist so schön allgemein formuliert, dass ich mich dem fast ohne weiteres anschließen kann. ;-) Das einzige, was ich nicht verstehe, ist, wo in unserer Gesellschaft so pathologische Symptombekämpfung stattfindet und wo so wenig Ursachenverständnis herrscht, dass alle wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Ich glaube relativ wenige Leute wollen, dass alles bleibt, wie es ist, aber gleichzeitig ist die Fallhöhe sehr hoch (man will nichts gefährden) und die Zahl der vorgeschlagenen Alternativen dünn.


Ja, da ist wieder dieses falsche Bewusstsein mit im Spiel („Sie wissen es, aber sie tun es trotzdem“). Die Zahl der Alternativen ist aber auch deshalb dünn, weil es äußerst verpönt ist, wirklich etwas gegen das kapitalistische System insgesamt zu haben. Oder man wird mit der Erwartung konfrontiert, dass sich die Alternative mit der Paradies messen lassen können muss (Nirvana fallacy).
Für marxistische Äußerungen kommt man zwar nicht in den Knast (man wird nur vom Verfassungsschutz überwacht, jedenfalls in Bremen), letztlich kommt man damit aber immer in die Lage, dass man sich für den Realsozialismus des 20. Jahrhunderts rechtfertigen muss. Und das ist auch ein Problem. Bei Marx gibt es zumindest auch das Potential in die Richtung, auch wenn das nicht seine Absicht war. Deswegen habe ich mich auch immer damit schwergetan, Marxismus überhaupt zu akzeptieren, kam aber nicht daran vorbei, weil einige Leute, deren Ansichten ich zu einem Teil sehr schätze, Marxisten sind. Aber ich denke, dass es ein Fehler ist, zu viel mit Marx zu argumentieren, auch weil seine Ideen aus dem 19. Jahrhundert sind, zwar auf heutige Situationen übertragen werden können, aber sich nicht tatsächlich auf heute beziehen. Was man noch benutzen kann, ist Marx’ Methode aus „Das Kapital“, um zu analysieren und zu kritisieren, ohne dass man seine Inhalte oder sein Weltbild übernehmen muss. Jedenfalls ist das, was von Marx übrig bleibt, keine Alternative und zurück zu Marx ist auch keine.

Nanna hat geschrieben:Und Sachen wie das bedingungslose Grundeinkommen, das einen ersten Schritt weg vom kapitalistischen Arbeitszwang darstellen könnte, werden schon seit Jahren in den Mainstreamparteien diskutiert, es ist also nicht so, als hätte man dort überhaupt keine Vorstellung von Schritt-für-Schritt-Verbesserungen.


Ja, aber ich denke nicht, dass das gut geht, solange die Idee des Wettbewerbs um die eigene Leistungsfähigkeit und auch die damit verbundene Idee, dass man sein Existenzrecht auf die Art verdienen müsse, noch so stark vorhanden ist. Diese Idee wird durch das Grundeinkommen auch nicht aufgelöst. Es wäre zumindest ein Schritt weg davon, dass der Staat bei Sozialleistungen auch noch diese Ideen fördert (durch das „Fördern und Fordern“ wie es bei Hartz IV so schön heißt).
Mir gefällt ja immer noch Sloterdijks Idee der „gebenden Hand“. Nicht, dass ich und auch andere die Idee nicht auch schon vorher gehabt hätten, aber er hat es in letzter Zeit halt populär gemacht. Die Idee ist ja dabei, den Prozess der Umverteilung zu demokratisieren (es geht ihm nicht darum, dass keiner mehr Steuern zahlen muss), indem die Steuer nicht als Schuld, sondern als Gabe des Bürgers, also eine echte Beteiligung vom Bürger an den Sozialstaat betrachtet wird.
Viele Kritiker (die allesamt sicherlich noch nie von ALG-II gelebt haben) meinen, dass es die Arbeitslosen demütigen würde, wenn sie dann neuerdings auf diese Art Almosen erhalten würden und auf die „Gnade“ der Leistungsträger angewiesen wären. Was denen aber entgeht ist – und da spreche ich aus Erfahrung, weil ich selbst ALG-II empfangen kenne –, dass die Schuld auch auf der anderen Seite da ist. Auch der ALG-II-Empfänger hat eine Schuld, nämlich die, möglichst zügig, egal wie, der Gemeinschaft nicht mehr „auf der Tasche zu liegen“.
Sloterdijk schlägt vor, an den Stolz zu appellieren und auch das funktioniert auf beiden Seiten (was wieder diesen Kritikern entgangen ist – ich habe da so viel gelesen, keiner hat es bemerkt), nicht nur gibt der Leistungsträger aus Stolz, etwas zur Gesellschaft beizutragen, sondern auch der Sozialhilfeempfänger kann nun einen Stolz entwickeln, zu sagen „Gut, diesen Monat bin ich darauf angewiesen, dass andere arbeiten, sodass ich meine Existenz fortsetzen kann, nächsten Monat möchte ich selbst auch etwas beitragen und auch einem anderen damit helfen können.“ Da sieht die Motivation ganz anders aus und das ist der springende Punkt. Es motiviert viel mehr, etwas beitragen zu wollen, als eine Schuld erfüllen zu müssen. Das funktioniert auf beiden Seiten. Dazu kommt dann, dass der gebende Bürger auch mehr demokratische Rechte haben sollte zu entscheiden, wie sein Geld verwendet wird.

Nanna hat geschrieben:Sorry, nicht böse gemeint, du machst dir viel Gedanken und bist unheimlich belesen, aber so leid es mir tut, ich kann das Originelle, Innovative deiner Gesellschaftskritik nach wie vor nicht so recht erkennen. :ka:


Mir geht es auch nicht darum, innovativ zu sein (jedenfalls nicht jetzt und hier). Ich will nur zu etwas beitragen. ;-)
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Nanna » Di 17. Jan 2012, 02:31

Teh Asphyx hat geschrieben:Erstmal vorweg freut es mich sehr, dass Du mir eigentlich im Großen zustimmst, Dich lediglich an ein paar kleinen Missverständnissen störst. ;-)

Ich denke, wir haben was das Wünschenswerte angeht in weiten Teilen relativ ähnliche Ansichten, genauso wie bei den Ursachen, die wir ausmachen, wohl im Groben einen gemeinsamen Nenner finden können. Die Haupttrennlinie zwischen unseren Positionen scheint mir zu sein, dass du wesentlich optimistischer bist, was die Umsetzungsmöglichkeiten libertärer oder gar anarchischer Ideale angeht. Ich gehe davon aus, dass es zu viele leicht aktivierbare Auslöser und Potentiale für Konflikt, Konkurrenz und die damit verbundenen Teufelskreise und Gewalttätigkeiten gibt, so dass ich die fortgeschrittene Selbstregierung der Menschen ohne Gewaltmonopol für kein erreichbares Ziel halte.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Du störst dich am Gewaltmonopol des Staates und weil für dich jede Form von Herrschaft automatisch Gewalt und Verwerflichkeit bedeutet, siehst du nichts außer der Gewalt und reduzierst den Staat in seiner Legitimationsbasis auf diese.

Wieso reduzieren? Ich versuche nur nur die Maske der Pseudoliberalität herunter zu reißen, damit man die fiese Fratze dahinter erkennen kann.

Ich glaube nicht, dass du jemanden finden wirst, der das Gewaltmonopol als Ausdruck von Liberalität deuten würde. Die Liberalität in einem Staat ist immer nur innerhalb des durch den Staat gesetzten und gesicherten Rahmen möglich. Du siehst das als Problem, ich sehe das unter den Bedingungen demokratischer Kontrolle als Fortschritt gegenüber vielen anderen Formen der Herrschaft oder gar der Anomie. Aber ich habe anscheinend eine größere Affinität zu Graustufen und bin eher bereit, ein hellgrau als "weiß genug" zu akzeptieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Der Staat legitimiert sich aber kaum bis gar nicht durch Gewalt, Gewalt ist für das demokratische Gemeinwesen, auch wie wir es hier vorfinden, Mittel zum Zweck.

Wenn Du glaubst, dass der Zweck irgendwelche Mittel heiligt, werden wir uns hier wohl nur schwer einig … ich bin sogar fast geneigt das radikale Gegenteil zu behaupten, nämlich dass nur die Mittel den Zweck heiligen können.

Ich halte das für eine Abwägungsfrage. Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwiefern du dich auf solch relativistischen Boden begeben möchtest, mir scheint, dass du da schnell Inkonsistenzen witterst (die ich gar nicht abstreite, was ich in Bezug auf die workarounds bzw. Näherungen, die man u.U. finden muss, ja schon angedeutet habe).

Die entscheidende Frage ist letztlich die: Geht es ohne Gewalt? Und zwar, geht es ohne Gewalt in einer Welt von demnächst 10 Milliarden Menschen, die massive Diskrepanzen in Lebensstandard, Bildung, Mentalität und Zugang zu Ressourcen aufweisen und die alle ihr persönliches lebensgeschichtliches wie kollektives historisches Päckchen zu tragen haben? Wäre die Antwort ja, dann würde ich dir Recht geben, dann darf Gewalt nicht als Mittel zur Gewaltreduktion eingesetzt werden, weil es eine Alternative gäbe. Wenn die Antwort aber nein ist, und davon gehe ich aus, weil die Befriedung der o.g. Zustände dem Versuch gleicht, die Brownsche Bewegung in einem Kessel heißen Wassers durch gutes Zureden zu stoppen, dann ist Gewaltreduktion durch Gewalt besser als die tatenlose Hinnahme von Gewalt und darum in einem abgewogenen Maße gerechtfertigt.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Die Legitimation liegt in der Akzeptanz der Bürger gegenüber dem Staat.

Ich akzeptiere ihn nicht … und jetzt?

Ok, ich formuliere es um: Es reicht (mir) aus, dass die Mehrheit die Herrschaft als legitim anerkennt. Die anderen müssen sich aus pragmatischer Erkenntnis fügen und anpassen oder eine gangbare Alternative entwickeln (die nicht darin bestehen kann, nur dagegen zu sein).

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn das die Legitimation sein sollte, dann verlange ich, zum Beispiel meinen eigenen Staat gründen zu können und zwar dort, wo ich bin. Darf ich nicht? Weil ich sonst was zu fürchten habe? Gewalt, genau. Also bleibt mir doch nichts anderes übrig, als formell meine Zustimmung abzugeben. Ich bitte Dich, das sind doch nichts als Floskeln, damit man glauben kann, das wäre alles so wunderbar.

Ich glaube nicht, dass alles wunderbar ist. Ich glaube nichtmal, und das ist, wie gesagt, der entscheidende Gegensatz zwischen uns, dass alles wunderbar sein könnte. Ich liebe das Leben, aber es kann eine ziemliche Zumutung sein. Ich zitiere bei solchen Gelegenheiten immer gerne Feynman: "You don't like it here? Go somewhere else! To another universe maybe... where the rules are simpler."

Jetzt aber mal zur Frage der Legitimität von staatlicher Herrschaft: Du kannst deshalb nicht deinen eigenen Staat gründen, weil die Welt bereits in Gebiete von Territorialstaaten gegliedert ist. Falls dir dabei was auffällt: Der Platz ist, wie so viele andere Dinge auch, begrenzt. Ressourcenknappheit löst zwar an sich keine Gewalt aus, aber ist eine super Triebfeder, die beim kleinsten Antippen losgeht, vor allem, wenn überall kleine homo sapiens rumspringen, die nach Jahrmillionen der Evolution alle möglichen Triebe und Strategien zu ihrer Erfüllung entwickelt haben, worunter u.a. Gewalt, Manipulation und Kontrolle gehören. Wäre es anders, dann könntest du gerne irgendwo dein Häuschen hinbauen und "mein Staat" an die Tür schreiben. Da wir aber zusammen in einem ziemlich kompliziert verschachtelten Lebensraum zusammenstecken, müssen wir uns irgendwie zusammenraufen. Dass dabei Staatsgrenzen entstanden sind, ist historischen Entwicklungen geschuldet, aber das wird sich auswachsen, keine Sorge. Für den Augenblick ist es halt noch so und auch, wenn der Weltstaat mal existiert, wirst du nicht einfach einen rechtsfreien Raum aufmachen können (du hast ja auch keinen sonderlich gut begründeten Anspruch auf Sonderbehandlung, ein Staat kann immerhin mit Gewohnheitsrecht argumentieren und neue Staaten werden heutzutage eh meist nur nach Votum der Einwohner gegründet, so wie jüngst im Südsudan). Durch diesen Prozess sind in der Tat Zwangsgemeinschaften entstanden (aber hey, das ist deine Familie auch und dagegen kann keiner was machen). Das entscheidende Argument gegen deine Ausgründung eines eigenen Territoriums ist (neben generellen organisatorischen Problemen), dass du im Rahmen des parlamentarischen Systems an der Umgestaltung des Staates mitwirken kannst, falls dir gegenwärtige Zustände nicht behagen. Solltest du eine bessere Idee als die staatliche Organisation haben, kannst du die ja auch im Rahmen des politischen Prozesses einbringen.

Teh Asphyx hat geschrieben:Manchmal denke ich, dass Du (wie viele, was vielleicht auch am Inhalt des Studiums liegt, ich weiß es nicht) in politischer Hinsicht ein „Hume’scher Verrückter“ bist (der Begriff stammt von Nassim Taleb und bezeichnet Leute, die in einem in sich völlig konsistenten Universum leben, das aber mit der Realität nichts zu tun hat), das meine ich nicht böse und auch wirklich nur in politischer Hinsicht. Vielleicht sollte ich auch eher die Theorie, die dahintersteckt eine „Hume’sche Verrücktheit“ nennen, das ist weniger persönlich angreifend und trifft es eher.

Ich nehme dir das nicht übel, halte es aber für ein reichlich willkürliches, weil solipsistisches Argument. Jeder kann jeden mit derselben objektiven Rechtfertigung einen "Hume'schen Verrückten" nennen, es macht keinen Unterschied, weil wir alle denselben epistemologisch beschränkten Zugang zur Realität haben. Insofern kann ich mich da entspannt zurücklehnen und "Selber!" sagen, dabei kommt nichts raus. ;-)

Teh Asphyx hat geschrieben:Ein Beispiel dafür ist folgendes: Unterhalte Dich mit beliebigen Leuten über irgendeine Falschheit eines Politikers (wie zum Beispiel aktuell unser Bundespräsident) und es wird fast jeder in irgendeiner Form sagen, dass Politiker ja eh korrupt sind usw. Wenn Du die gleichen Leute dann aufs Wählen ansprichst, sind die aber überzeugt davon, dass sie wählen gehen müssten und werden Dir einen Haufen theoretisch plausibler Gründe dafür geben, obwohl ihnen die Realität zeigt, dass es nichts ändert und sie es sogar wissen. Und ich habe mit den unterschiedlichsten Leuten aus den unterschiedlichsten Klassen zu tun, das findet sich überall.

Hast du mal überlegt, was passieren würde, wenn keiner mehr wählen ginge? Ich bin überzeugt, es würde mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtmal ansatzweise eine politische Ordnung entstehen, die du gutheißen würdest. Ich behaupte weiterhin, dass die Leute das instinktiv wahrnehmen. Wie ich schon mehrfach gesagt habe: Du hast scheinbar eine geringe Toleranz für Widersprüche. Das ist deine Stärke und Schwäche zugleich - Stärke, weil es dich Fehler in Argumentationen schnell aufdecken lässt, Schwäche, weil Lebenspraxis ohne ausreichende Ambiguitätstoleranz verdammt kompliziert wird.
Was die Leute, die du da, vielleicht sogar zu Recht (?), als "Hume'sche Verrückte" bezeichnest, meiner Meinung nach instinktiv richtig machen, ist, nicht zwei verschiedene Anforderungen auf Biegen und Brechen zu Integrieren, sondern sie mittels kognitiver Dissonanz voneinander getrennt zu halten, was zwar logisch nicht hübsch ist, aber dafür das Leben in einem widersprüchlichen Umfeld ermöglicht (und das Umfeld ist nicht durch die Existenz von Herrschaft widersprüchlich, sondern aufgrund der Subjektivität menschlicher Wahrnehmung einerseits und der Pluralität der Zielsetzungen Einzelner andererseits). Der Witz ist ja, dass das System trotz der Verdorbenheit eines gerüttelten Maß seiner Protagonisten ganz gut funktioniert, gut im funktionalen wie normativen Sinne gemeint. Die Menschen regen sich also einerseits zu Recht über korrupte Politiker auf (wobei die Korrupten sicher die Minderheit sind, manchmal sieht auch nach Unfähigkeit und Korruption aus, was der Uneingeweihte mangels Information oder Interpretationskraft nicht versteht) und stützen gleichzeitig zu Recht das System, das das Abgleiten in schlimmere Zustände verhindert. Das System und seine Protagonisten sind eben nicht notwendigerweise das Selbe. Darüberhinaus hat normalerweise jeder Mensch Mehrfachidentitäten und verhält sich daher sowieso in der Gesamtschau inkonsistent. Der "Staatsbürger" handelt anders als der "Stammtischbesucher", auch wenn beide Persönlichkeiten zu ein und derselben physischen Person gehören. Ich sehe keinen Grund, da über die Maßen Gesinnungsdruck in allen Lebenslagen auszuüben, solange sich die Dinge im Rahmen halten.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Nur reine, offene Tyranneien legitimieren sich ausschließlich über Gewalt und diese Gewaltherrschaft ist derart kostspielig, dass sie selten über längere Zeiträume aufrecht erhalten werden kann.

Stimmt, Hinterfotzigkeit bei der Gewalt gar nicht angewendet werden muss, weil die versteckte Drohung und die Freiheitsfassade drumherum so effektiv funktionieren, dass kaum jemand die Konfrontation herausfordert, ist wesentlich günstiger.
Aber ich nehme an, dass Du das auch sagen wolltest und deswegen von offenen Tyranneien sprichst in Abgrenzung zu unseren „freiheitlichen“ heimlichen Tyranneien. ;-)

Ich schätze ja den offenen Konflikt eher als die Intrige, aber in diesem Fall wäre es mir lieber, das Opfer von Hinterfotzigkeit als von Gewehrkugeln zu werden. "Wäre" deshalb, weil ich unseren Staat nicht als Tyrannei ansehe. Da du eine gute nicht von einer schlechten Herrschaft unterscheiden kannst oder willst, musst du natürlich jede Form von Herrschaft als Tyrannei ansehen, das ist in deiner Sicht auf die Welt nur konsequent. Das ist auch völlig ok (sowohl für den Staat als auch für mich), und vor allem meiner Meinung nach eine reine Geschmacksfrage, über die zu streiten nicht wirklich lohnt. Ebenso wie beim Hume'schen Verrücktsein lässt sich da keine objektivere Gültigkeit für eines von beiden feststellen. Welcher Seite man folgt ist allein Ergebnis einer persönlichen Entscheidung.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Und mach da jetzt bitte nicht gleich wieder einen Opferdiskurs draus, nicht jeder, der dein radikales Freiheitsideal nicht teilt, ist deshalb unterdrückt und ein Opfer.
Ich weiß nicht, ob du das mitkriegst, aber du malst hier teilweise ganz schön schwarz-weiß. Würde ich deiner obigen Definition folgen, wären Stalinrussland und Hitlerdeutschland irgendwo auf einer Stufe mit der liberalen westlichen Demokratie.

Oh, tut mir leid, ich habe natürlich vergessen, dass es eine Rolle spielt, ob die Opfer innerhalb der nationalen Grenzen sind oder außerhalb. Außerhalb liegt das dann immer blöderweise daran, dass die anderen Länder so pfui sind und böse Regimes haben, womit man hier absolut nichts zu tun hat … Ja, ich würde diesen Vergleich sogar ernsthaft global betrachtet in Betracht ziehen. Es ist schön einfach, sich erst den Wohlstand aus der ganzen Welt zusammenzuklauen und dann auf andere mit dem Finger zu zeigen und zu sagen „Guckt mal, mit ihren komischen Regimes sind die ganz schön arm dran, was uns unsere liberale kapitalistische Demokratie hingegen für einen Lebensstandard geschaffen hat, ist ganz toll und das haben wir alles in eigener Leistung hinbekommen.“ Da denke ich irgendwie hieran: :lie:

Deine Empörung mag verständlich sein, sie wird aber deshalb nicht zu einem konsistenten Argument. Zum einen kann ich als Einwohner ein liberalen westlichen Demokratie per definitionem als Negativbeispiele nur geografisch oder historisch ferne Staaten anführen, zum anderen ändern globale Ungerechtigkeiten nichts daran, dass der interne Standard liberaler westlicher Demokratien besser ist als der totalitärer Diktaturen (in der Außenpolitik ist es kompliziert, weil die Internationalen Beziehungen nach anderen Spielregeln funktionieren, aber auch da ist die Fähigkeit des Westens zur Unterdrückung seit Jahren am Abnehmen. De facto schließt sich die Technologielücke seit den 1960ern kontinuierlich.). Davon abgesehen habe ich keines der "Argumente", die du angreifst, vorgebracht - typischer Strohmann.

Teh Asphyx hat geschrieben:Allerdings muss ich hier auch einräumen, dass es dafür auch Menschen gibt, die sich wirklich Gedanken machen, wie man diese Situation verbessern kann und die sich auch der Verantwortung in der Hinsicht bewusst sind. Aber leider haben die zu selten das Wort oder es geht unter bei der ganzen Selbstbeweihräucherung.

Einfluss muss man sich nehmen. Seine Verantwortung erkennen ist das eine, sie auch handelnd wahrzunehmen das andere. Das wäre übrigens auch in konsensualen deliberativen Demokratiemodellen nicht anders.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es gibt einen sehr empfehlenswerten Aufsatz von Helmut Dubiel namens "Unzivile Gesellschaften", in denen er die Entwicklungsstadien einer Gesellschaft von barbarischen Zuständen (Gewalt aller gegen alle) zur pluralistischen, zivilen Demokratie nachskizziert.

Gerade beim zivilisierten Menschen kommt es erst zu den richtigen Grausamkeiten. Und wenn sich in unzivilisierten Gesellschaften mal welche die Rübe eingehauen haben, was ist das schon gegen zivilisierte Kriege in denen die Todeszahlen in die Tausende bis Millionen gehen und jedes noch so grausame Mittel zur Kriegsführung erlaubt ist, Vergewaltigungen und Folter an der Tagesordnung sind etc.?

Ne. Argument nicht richtig verstanden (lag wahrscheinlich an meiner verkürzten Darstellung). Dubiel definiert Zivilisation nicht als die Fähigkeit Hochhäuser und Panzerkanonen bauen zu können, sondern als gesellschaftlichen Zustand des pluralistischen Miteinanders unter dem geteilten Ideal gegenseitiger Akzeptanz (welches im Laufe des Zivilisationsprozesses mühsam erlernt werden musste). In Dubiels Verständnis sind "zivilisierte Kriege" ein Widerspruch in sich und wären ein Rückfall in barbarische Zustände, in der alles auf ein "wir gegen sie" reduziert ist. Der Rückfall in barbarische Zustände geht Dubiel zufolge übrigens innerhalb weniger Tage, die Zivilisierung dauert dagegen Jahre, häufig Generationen. Der Prozess ist beliebig reversibel. Die Stufe der Zivilisation wird übrigens in Dubiels Modell nur unter den Bedingungen moderner Gesellschaften erreicht, weil nur diese die nötige Komplexität erreichen, dass Pluralismus eine drängende Frage wird.

Teh Asphyx hat geschrieben:Diese „barbarischen Zustände“ sind ein Mythos und sogar eher ziemlich unwahrscheinlich, allein schon biologisch und evolutionär betrachtet ist es eher sehr wahrscheinlich, dass der Mensch einen Hang zum sozialen Miteinander hat. Ich gehe sogar so weit anzunehmen, dass die reine Freundschaft die ursprünglichste und natürlichste Form des Miteinanders ist noch vor dem Handel und erst recht vor dem Kampf.

"Barbarisch" heißt, wie gesagt, nicht zwangsläufig "ursprünglich", wobei ich denke, dass Dubiel das sicherlich implizieren würde. Ansonsten stimme ich deinen Aussagen aber nicht zu: Zum einen machst du mal wieder den Fehler in Dichotomien zu denken und schließt das Nebeneinander von Kohäsion und Exklusion respektive von Freundschaft und Feindschaft aus. Ich würde sogar sagen, dass Freundschaft ohne den Komplementärbegriff der Feindschaft wenig Aussagekraft hat.

"Biologisch und evolutionär" betrachtet ist mittlerweile weithin bekannt, dass Kampf integraler Bestandteil der Evolution darstellt und dass selbst Affen organisierte Überfälle durchführen und sich gegenseitig sadistisch quälen, vergewaltigen etc. Die Fähigkeit zum bewussten Handeln bringt halt auch eine dunkle Seite mit sich, weshalb mit der Zunahme an Bewusstsein auch das Bedürfnis nach moralischer Einordnung verschiedener Handlungsweisen steigt. Mehr Freiheit bedeutet mehr Verantwortung. Ein Hamster kann nicht über Willensfreiheit philosophieren, genießt dafür aber auch den Vorteil, nicht quälen zu können. Wenn schon Primaten solches Verhalten zeigen, warum sollten die ersten Menschen da anders gewesen sein? Übrigens wäre, selbst wenn das so gewesen wäre, die Schlussfolgerung, dass das erste Verhalten des Menschen auch das "natürliche" oder gar "beste" wäre, ein klassischer naturalistischer Fehlschluss!

Teh Asphyx hat geschrieben:Dubiel scheint aber zumindest voll und ganz in der Linie der Frankfurter Schule zu stehen, auf falsche Prämissen einen Haufen Geschwafel aufzubauen (habe zumindest einen Teil lesen können, das komplette Dokument bleibt mir verwehrt, weil meine Uni wohl keinen Zugriff auf die Publikationsreihe hat). Das beeindruckt, klar, aber es bleibt falsch.

Warum?
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Nanna » Di 17. Jan 2012, 02:32

Teh Asphyx hat geschrieben:Diese „barbarischen“ vorzivilisatorischen Gesellschaften sind ein Produkt der Fantasie von Misanthropen, die irgendwie beweisen wollen, dass der Mensch domestiziert werden muss. Gerade das macht mir so Sorgen bei der ganzen Sache mit der Herrschaft. Die, die die Herrschaft befürworten sind immer latente Misanthropen, die glauben, der Mensch müsse zum Guten erzogen werden, ob er es will oder nicht und wenn das letzte Mittel zum Zweck die Gewalt ist, dann geht das auch klar.

Dubiel stellt das Ganze eher als gemeinschaftlichen Lernprozess dar, im Laufe dessen die Gewalt abnimmt und übrigens auch der Bedarf an formaler Herrschaft. Gewalt kommt dann wieder als Mittel zum Einsatz, wenn die barbarischen Zustände zurückkehren und die Menschen statt pluralistischer Mehrfachidentitäten wieder alles auf Ingroup-Outgroup-Definitionen reduzieren, die dann häufig entlang ethnischer o.ä. Zugehörigkeiten gezogen werden.

Übrigens ist die Erziehung des Menschen zum "Guten" in unserer Gesellschaft staatlicherseits relativ weit runtergeschraubt. Den Gesinnungsterrorismus jakobinischer Staatsideologie findest du im Faschismus, (Real-)Kommunismus und Fundamentalismus, nicht in Demokratien, die allenfalls das Toleranzideal als sakrosankten staatlichen Erziehungsinhalt auffassen. Staatliche Gewalt ist in letzter Konsequenz nicht Mittel zur Erziehung, sondern Mittel zum Schutz vor privater Gewalt, die sich im Gegensatz zu staatlicher Gewalt nicht an allgemein bekannte und für alle gleich gültige Regeln hält.

Teh Asphyx hat geschrieben:Diese typischen „barbarischen“ Zustände gab es immer nur, wenn Menschen schon in irgendeiner Weise durch Zivilisationen beeinflusst sind.

Das ist eine unbewiesene und unbeweisbare Behauptung. Du machst da ein erschreckend simplifizierendes Argument: Erst war der Mensch gut, dann kam die Zivilisation und machte den Menschen böse. Sorry, aber nee... Realitätsnäher sollte es wohl so sein: Menschen waren gut und böse, dann kam die Zivilisation und die Menschen waren immer noch gut und böse, nur dass die notorisch böse handelnden nun nach einem universellen Kodex sanktioniert wurden, was die Sache hier und da erträglicher gemacht hat, auch wenn die neuen technischen Möglichkeiten umfassendere Grausamkeiten ermöglicht haben (was eine logistische, kein normative Veränderung war, ganz im Gegensatz zur Erfindung des Rechts!). Außerdem gibt es jetzt Mobiltelefone und Internetforen und anderes neumodisches Plastikklump, mit und in denen die Leute gut und böse sein können, tempora mutantur halt. Die Menschen werden weiterhin gut und böse bleiben und weder staatliche Erziehung noch die Eliminierung von Herrschaft werden das Problem umfassend lösen.


Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ich bestreite gar nicht, dass wir bei der Gewaltreduzierung nach oben noch viel Luft haben, aber ich sehe deine Entwertung der gegenwärtigen Zustände nicht gerne und würde mir etwas mehr Wertschätzung für den Weg wünschen, den die Menschheit, insbesondere die westlichen Gesellschaften, in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten zurückgelegt haben.

Und warum genau soll ich dafür etwas übrig haben? Weil ich mich an dem Leid und den Tod von Milliarden von Menschen und der allmählichen Zerstörung des gesamten Lebensraums ergötzen soll?

Du siehst auch immer nur das Schlechte im Guten. Es gibt keine Sofortlösung, genau deshalb sollte man jeden kleinen Schritt in Richtung eines besseren Zusammenlebens wertschätzen. Das impliziert ja nicht, dass man auf dem status quo stehen bleibt.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich sehe schon ein, dass es kein Zurück gibt und will dies auch nicht, ich kann nur hoffen, dass der Prozess zu etwas besserem als jetzt und in der Vergangenheit führen kann, sehe aber die ganzen Grausamkeiten dafür nicht als Notwendig sondern als leider geschehen an und werde einen Teufel tun da in irgendeiner Form Wertschätzung für zu erbringen. Es gibt keinen ehrlichen Grund auf diese Geschichte stolz zu sein, es sei denn man erfreut sich aufrichtig an Leid und Zerstörung.

Ich bin "stolz" auf die Fortschritte, die trotz widriger Bedingungen erreicht wurden, nicht auf das Gesamtpaket. Ich bin aber auch nicht so töricht, die Fortschritte aus dem Kontext zu reißen. Die Menschenrechte sind eine recht direkte Folge extremer Leiderfahrungen. Blöd, dass es die gebraucht hat, aber trotzdem gut, dass wir jetzt Menschenrechte haben. Oder nicht?

Teh Asphyx hat geschrieben:Kennst Du eigentlich die Charta von Mandén? Eine der ältesten bekannten Menschenrechtserklärungen, die nicht etwa aus weißen, westlichen Gesellschaften kommt, sondern aus dem „barbarischen“ Afrika des 13. Jahrhunderts: http://www.fr-online.de/kultur/-die-jae ... 60066.html
(für die, die Französisch können, kann ich die französische Übersetzung eher empfehlen: http://1libertaire.free.fr/CharteduManden.html).
Dass es diese Charta gibt, wird nur leider nie im Geschichtsunterricht erzählt …

Ich kannte die bisher noch nicht. Neben Fragen nach der Authentizität bin ich auch nicht sicher, inwiefern dieses Dokument eine menschenrechtliche Innovation darstellen soll. Im Grunde alle der Regeln, die ich da lese, sind so oder ähnlich schon in viel älteren Dokumenten, beispielsweise dem Codex Hammurapi oder den monotheistischen Offenbarungsschriften enthalten oder menschenrechtlich nicht relevant (z.B. wer wo Sprecher für wen ist). Ich wäre auch vorsichtig mit dem Begriff "Menschenrechte", denn der wird da nirgendwo erwähnt, auch nicht implizit, damit überträgt man nur einen modernen Begriff auf ein historisches Dokument, um es nachträglich zu adeln. Regeln, die die Gerechtigkeit und das friedliche Zusammenleben sichern sollen, sind, wie gesagt, viel älter. Da in der Charta der Islam erwähnt wird, darf angenommen werden, dass vieles aus dem arabisch-muslimischen Kulturkreis übernommen wurde, der menschliche Anstandsregeln ja auch schon viel länger kennt.
Natürlich ist die ganze Geschichte nichtsdestotrotz beeindruckend, aber kein Beleg für irgendeine deiner Behauptungen, zumal ja Gewalt genauso wie Herrschaft in mehreren Paragraphen explizit erwähnt und ihr Gebrauch geregelt wird.

Teh Asphyx hat geschrieben:Die Charta ist nach einigen Stammeskriegen entstanden, um zukünftig so etwas zu vermeiden und damit jedes menschliche Leben gleich geschätzt und behandelt wird.
Aber auffallend ist auch da, dass erst ziemlich schreckliche Kriege „nötig“ waren, damit so eine Charta zustande kommt. Vielleicht braucht die westliche Zivilisation also so etwas, um sich selbst zu zähmen und nicht, weil sie so furchtbar friedliebend ist?

Die westliche Gesellschaft hatte das längst, davon rede ich ja die ganze Zeit, wenn ich von den Menschenrechten als Ergebnis immenser Leiderfahrungen spreche. Meine ganze Argumentation, dass Gewalt eben notwendiger Bestandteil dieser Entwicklung war, hängt sich ja an diesem Punkt auf. Ohne Gewalt hätte es nie das Bedürfnis nach einer Formulierung, Kodifizierung und u.U. (zwangsweiser) Durchsetzung gegeben, deshalb sehe ich Gewalt auch als notwendigen Bestandteil dieses Lernprozesses an.

Teh Asphyx hat geschrieben:Gewalt als geschichtliche Notwendigkeit ist totaler Unsinn, unter anderem der Stalinismus hat auch mit diesem Argument gearbeitet.
Mich erinnert diese Rhetorik immer an den typischen Mafiosi, der dann ganz bedauern erklärt, dass er ja eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun möchte, aber leider aus Gründen, auf die er keinen Einfluss hat, ja darauf angewiesen ist, dies jetzt zu tun oder wenn der Angesprochene dies oder jenes nicht tut.

Du kannst das so lange und viel in zwielichtige Ecken stellen, wie du willst, am Ende wirst du hier um eine argumentatorische Darlegung nicht herumkommen. Besonders würde mich interessieren, wie du evolutionär unverzichtbare Fertigkeiten im Bereich von Kampf und Konkurrenz so aus der Geschichte herauskürzen willst, dass eine Historie denkbar ist, in der mit dem Ende der Steinzeit auch das Ende der Gewalt gekommen wäre; oder wie universelle Menschenrechte ohne die Leiderfahrung umfassender Gewalt entstanden hätten sein sollten.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ergo: Du musst Gewalt nicht befürworten, aber vielleicht kannst du anerkennen, dass sie zum Ausgangszustand und zum bisherigen Weg nunmal dazugehört hat und in diesem Kontext auch unvermeidbar und normal war.

Bis „dazugehört hat“ stimme ich zu, den Rest lehne ich aus gegebenen Gründen vehement ab.

Dem Universum ist es nur völlig egal, ob du das ablehnst oder nicht (siehe vorheriger Punkt).

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ich sympathisiere sehr mit deinem Ziel, das in Zukunft zu ändern, aber das wird nicht über den Weg gehen, die gegenwärtigen Zustände als völlig unmenschlich und widerlich zu brandmarken. Das macht aus allem, was viel oder auch nur ganz wenig Gewalt beinhaltet, eine fürchterliche Einheitssoße, in der man völlig die Orientierung verliert. Es besteht nunmal ein Unterschied zwischen einem sadistischen Schlächter und einem Soldaten, der gegen die Nazidiktatur gekämpft hat. Mir ist in diesem ganzen Zusammenhang auch nach wie vor nicht so richtig klar, wogegen du eigentlich bist.

Ja, der sadistische Schlächter ist der, der im Namen des Staates Gewalt anwendet, dies also legitim tut und der Soldat, der gegen die Nazidiktatur gekämpft hat ist der typische Terrorist, der den Zusammenhalt der herrschenden Ordnung bedroht. Mit Deiner ganzen Argumentation stellst Du Dich gerade auf die Seite des sadistischen Schlächters, falls Du das noch nicht gemerkt hast.

Ne, habe ich nicht gemerkt und tue ich auch nicht. Gewalt wird nicht dadurch legitim, dass sie im Namen des Staates angewendet wird. Gewaltanwendung ist ultimatives Mittel zum Zweck Friedenssicherung, nicht beliebig einsetzbares Spielzeug des Herrschers. Im Gegenteil, der Herrscher unterliegt einer ganz besonderen Verantwortung, Gewaltanwendung auf ein Mindestmaß zu beschränken und sie nur bestimmungsgemäß zu gebrauchen. Sadistisches Schlachten gehört eindeutig nicht dazu. Weil das in der Geschichte aber vorgekommen ist, also der moralische Appell an den Herrscher nicht ausgereicht hat, sind in den modernen Demokratien relativ umfangreiche Systeme von checks and balances eingeführt worden, deren Hauptziel es ist, solchen Machtmissbrauch zu verhindern.

Teh Asphyx hat geschrieben:In der Retrospektive (also nach dem politischen Paradigmenwechsel) ist es einfach, sich auf die Seite des Revolutionären zu stellen und ihm die gute Seite zusprechen, aber vor dem Paradigmenwechsel ist die gute Gewalt die auf Seiten der Ordnung, selbst wenn es der sadistische Schlächter ist, weil man aufgrund des Paradigmas gar nicht sieht, dass er der sadistische Schlächter ist, weil er schließlich seine gute staatliche Pflicht ausführt. Die meisten erkennen das immer erst hinterher. Das erklärt ja auch Hannah Arendt mit der „Banalität des Bösen“.

Was ändert die Tatsache, dass manche Leute spät dran sind mit ihrer Erkenntnis, daran, dass es trotzdem einen Unterschied gab und gibt, der ja auch vor dem Paradigmenwechsel vielen bereits auffällt? Du unterstellst mir irgendwie eine vorbehaltlose Staatsliebe und eine groteske Hobbes'sche Auffassung von einem unbeschränkten Gewaltmonopol. Davon habe ich nie etwas gesagt.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Warum verabsolutierst du so? Die Welt besteht aus Verläufen von Grau, nicht aus Schwarz oder Weiß. Natürlich machen Abstufungen da einen Unterschied! Ich frage mich, von was für Menschen du für deine ideale Gesellschaft ausgehst, die offenbar keinerlei Form von Durchsetzungsvermögen mehr zeigen dürfen.

Kannst Du mir nicht einfach konkret sagen, warum es in Ordnung ist, wenn einer im Boxring den anderen einvernehmlich bewusstlos prügelt, auf dem Schulhof zum Beispiel aber nicht? Ich kann da leider keine Abstufung feststellen, bewusstlos prügeln ist bewusstlos prügeln. Und angefeuert wird man in beiden Fällen meistens auch.
Es geht mir auch darum, dass man die gleiche Sache nicht einmal als Ideal verkaufen und gleichzeitig verteufeln kann, ohne dass man sich hinterher über unbequeme Konsequenzen zu wundern hat.

Du hast das "einvernehmlich" ja schon selbst hervorgehoben, das ist schonmal zentral. Der Unterschied vom Boxring zum Schulhof ist, dass es im Schulhof meist um Schlägereien aus Streit geht, nicht um solche aus sportlichem Ehrgeiz. Außerdem gibt es beim Boxen klare Regeln und keinen Zwang, den Sport aufzunehmen, im Schulhof spielen Gruppendruck und Regellosigkeit dagegen eine bedeutende Rolle. Beim Boxen geht es um sportlichen Wettkampf, im Schulhof um Streitschlichtung. Auch im Boxring hätten inhaltliche, sportfremde Differenzen als Aufhänger eines Kampfes nichts verloren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Gegen die Katharsis-Hypothese gibt es konkrete wissenschaftliche Studien, die das widerlegen, indem das Aggressionsverhalten der Probanden verglichen wurde zum einen, wenn sie „Katharsis-Maßnahmen“ unternommen haben (also ihre Wut über aggressive Handlungen an anderen Dingen, zum Beispiel auf Kissen schlagen etc. ausgelassen haben) und zum anderen, wenn sie einfach nur einige Zeit hatten, sich zu beruhigen durch entspannende Aktivitäten (oder Inaktivitäten). Die Ergebnisse sind so eindeutig, dass die Katharsis-Maßnahmen das aggressive Verhalten steigern.

Ich habe nochmal das eigentliche Zitat von Vollbreit gelesen. Da ging es nicht um die Frage, ob Kampfsport zu einem Aggressionsabbau führt. Stattdessen hat Vollbreit die Möglichkeit betont, die solcher Sport bietet, mit "niederen" Trieben in Erfahrung zu treten und sich damit auseinanderzusetzen. Insofern gehen die Argumente da aneinander vorbei.
Ich bin mir aber relativ sicher, gelesen zu haben, dass Kampfsportler eher seltener in Schlägereien verwickelt sind, sei es nun, weil sie die Folgen und Gefahren besser abschätzen können, eher ruhig Blut in angespannten Situationen behalten oder im Rahmen ihrer Ausbildung auch mit gewaltloser Konfliktlösung konfrontiert wurden, was besonders in den fernöstlichen Disziplinen immer wieder ein Thema ist.

Teh Asphyx hat geschrieben:Sport macht als körperliche Betätigung körperlich fit und kann dementsprechend auch gut für den Geist sein in dem Sinne, dass ein müder Körper das Denken anstrengend macht. Aber eine andere positive Wirkung vom Sport, erst recht vom Leistungssport (also Sport als Wettkampf) ist nicht nur nicht nachgewiesen sondern sogar falsifiziert worden, sogar schon in den 60ern (siehe zum Beispiel Leonard Berkowitz, Agression: A Social Psychological Analysis, 1962). Das wird nur einfach von den meisten ignoriert …

Ich war selbst Leistungssportler und kann da eine ganz simple Antwort geben: Es macht einfach saumäßig Spaß, auch die Wettbewerbssituation. Für mich ist das positiv genug.

Teh Asphyx hat geschrieben:Jedenfalls bringt es mir nichts, so zu tun, als könnte ich an der Ursache nichts ändern, wenn die Symptombekämpfung ebenfalls nicht mehr zu bewerkstelligen ist (wie in dem Beispiel).

Ja, entweder das oder wir sitzen ordentlich im Mist. Ich sehe trotzdem einen Wert darin, sich über Erfolgschancen Gedanken zu machen. Wenn man zu viel will, erreicht man oftmals gar nichts.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Verstehen ist wichtig, ja, aber Handeln unter zeit- und ressourcenkritischen Bedingungen erfordert noch ganz andere Voraussetzungen (Nebeneinwurf: Auch deshalb sind Herrschaftssysteme so resistent, weil sie einfach unter Druck schnelle Entscheidungen herbeiführen können).

Aber gerade deswegen wäre ein innehalten ohne Aktionismus eben sinnvoll. Diese Angst davor, dass es zur Katastrophe käme, wenn mal nicht mehr alle dabei sind, durch lauter Tatendrang am sicheren Herstellen der nächsten Katastrophe zu arbeiten ist schon echt pathologisch.

In der Theorie klingt das wunderbar, in der Praxis frage ich mich, was "Aktionismus" ist und was keiner. Man könnte wahrscheinlich zehn Jahre diskutieren ohne überhaupt eine Einigung darüber zu erreichen, welche Handlungen nun pausiert werden sollen und welche organisatorisch unverzichtbar sind.


Weiter habe ich für Antworten gerade erstmal nicht Zeit. Wird etwas dauern, bis ich mich wieder derart umfassend äußern kann.
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Re: Ursachen von Gewalt, Kriminalität etc. [Fortsetzung]

Beitragvon Nanna » Sa 4. Feb 2012, 22:54

Zum Thema gab es neulich ein sehr interessantes Interview bei ZEIT.Online mit dem Neuropsychologen Thomas Elbert: "Du darfst nicht immer töten" - Psychologie der Gewalt
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