Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mo 27. Feb 2012, 21:05

AgentProvocateur hat geschrieben:Anders gesagt: daraus, dass man nicht alle kausale Faktoren kennt, die zu einer Entscheidung führen, folgt doch mitnichten, dass man meinen müsste, man würde indeterminiert entscheiden. Wieso sollte es auch?

Du formulierst: "dass man nicht alle" kausalen Faktoren kennt. Kennst du denn einen einzigen beim am Kopf kratzen? Müsste es nicht für viele Handlungen heißen: man kennt keinen einzigen kausalen Faktor? Und wie kann man Entscheidungen als deterministisch erleben, wenn man von den Gründen nichts mitbekommt?

AgentProvocateur hat geschrieben:Jemand kann dann anders handeln, wenn es an ihm liegt, dass er nicht anders handelt.

Ich stimme zu. Nur sehe ich nichts, was an ihm lag. Was meinst du genau mit "wenn es an ihm liegt"?

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Du musst also weiterhin erklären, wieso du deren Entscheidung für frei hälst, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von anderen Dingen (und nur ein wenig von der Adoptionsentscheidung) abhängt.

Ist doch eigentlich ganz einfach: je mehr etwas von mir abhängt, umso freier bin ich diesbezüglich

1) Das sehe ich doch ganz genau so. So formuliert kommt in deinem Freiheitsbegriff ja ebenfalls die kausale Abhängigkeit vor. Du unterscheidest die Abhängigkeit zwischen inneren Faktoren (wenn etwas von dir abhängt) und äußeren Faktoren (zum Beispiel eine frühere Adoptionsentscheidung). Ich muss sagen, deine ständigen Hinweise, dass dir vollkommen schleierhaft sei, wie ich Freiheit mit Unabhängigkeit von kausalen Faktoren begründen könnte, klingen hier gerade nicht sehr überzeugend. Ich finde vielmehr, dass dein Freiheitsbegriff genau der meine ist mit nur einem großen Unterscheid. Für mich führt über Ursachenketten jeder Faktor letztlich wieder von mir weg, so dass ich nie die Erstursache bin und es eben niemals von mir abhängt. (Aber wenn es von mir abhinge, dann würde ich es genau so sehen wie du). Jetzt hätte ich gerne eine Erklärung von dir, wieso du die Ursachenketten nicht betrachten magst.

2) Wenn also die Entscheidung der Brüder kausal nur von der Adoptionsentscheidung abhängt, wie es in der Testfrage des Artikels der Fall war, dann sind die Brüder deiner Meinung nach also nicht frei und nicht schuldig?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 27. Feb 2012, 22:31

ganimed hat geschrieben:Du formulierst: "dass man nicht alle" kausalen Faktoren kennt. Kennst du denn einen einzigen beim am Kopf kratzen? Müsste es nicht für viele Handlungen heißen: man kennt keinen einzigen kausalen Faktor? Und wie kann man Entscheidungen als deterministisch erleben, wenn man von den Gründen nichts mitbekommt?

Wenn wir keine Faktoren erkennen und berücksichtigen könnten, dann wären wir wohl kaum überlebensfähig. Dann existierten wir nicht, wären schon lange, lange ausgestorben. Ich kann sehr wohl die Folgen meiner Handlungen ungefähr abschätzen. Ich weiß z.B., was höchstwahrscheinlich passieren wird, wenn ich z.B. eine Autobahnbrücke aus dünnen Brettern baue. Oder wenn ich einen Algorithmus umsetze, jemanden beleidige etc. pp.

Kann daher mit der Frage nicht so viel anfangen. Frage: unterscheidest Du hier irgendwie zwischen 'kausalen Faktoren' und NICHT-'kausalen Faktoren'? Und wenn ja: wie? Wenn nicht: worauf läuft Deine Frage sonst hinaus? Geht es Dir speziell ums Kopfkratzen - was wohl doch aber eher ein Art Reflex ist und in dem Falle keine Handlung?

Und wie kommst Du jetzt darauf, dass man Entscheidungen als deterministisch erlebe? Ich habe doch behauptet, dass man Entscheidungen gemeinhin nicht als indeterminiert erlebt, weil Du behauptet hast, dass man das gemeinhin täte? Oder willst Du etwa behaupten, dass, wenn man eine Entscheidung nicht als determiniert erlebe, man die als indeterminiert erlebe? Aber falls so: das folgt schlicht nicht. Hier gibt es noch diese Möglichkeit: "ich erlebe weder das eine noch das andere". Und ich schätze, dass eben dies allgemein der Fall ist. Was aber Deiner Position überhaupt nicht helfen würde, im Gegenteil, dann ginge ein wesentliches Argument von Dir flöten.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Jemand kann dann anders handeln, wenn es an ihm liegt, dass er nicht anders handelt.

Ich stimme zu. Nur sehe ich nichts, was an ihm lag. Was meinst du genau mit "wenn es an ihm liegt"?

Dieser mein Beitrag hier z.B. hängt sehr viel von mir ab als an Dir. Ich habe mehr Kontrolle darüber als Du. Oder etwa nicht?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ist doch eigentlich ganz einfach: je mehr etwas von mir abhängt, umso freier bin ich diesbezüglich

1) Das sehe ich doch ganz genau so. So formuliert kommt in deinem Freiheitsbegriff ja ebenfalls die kausale Abhängigkeit vor. Du unterscheidest die Abhängigkeit zwischen inneren Faktoren (wenn etwas von dir abhängt) und äußeren Faktoren (zum Beispiel eine frühere Adoptionsentscheidung). Ich muss sagen, deine ständigen Hinweise, dass dir vollkommen schleierhaft sei, wie ich Freiheit mit Unabhängigkeit von kausalen Faktoren begründen könnte, klingen hier gerade nicht sehr überzeugend. Ich finde vielmehr, dass dein Freiheitsbegriff genau der meine ist mit nur einem großen Unterscheid. Für mich führt über Ursachenketten jeder Faktor letztlich wieder von mir weg, so dass ich nie die Erstursache bin und es eben niemals von mir abhängt. (Aber wenn es von mir abhinge, dann würde ich es genau so sehen wie du). Jetzt hätte ich gerne eine Erklärung von dir, wieso du die Ursachenketten nicht betrachten magst.

Ich betrachte aber die Ursachenketten. Wenn die hinreichend durch mich laufen, dann sind sie von mir abhängig, von mir (z.T.) kontrollierbar. Laufen sie überhaupt nicht durch mich, sind sie von mir überhaupt nicht kontrollierbar. Z.B. lief keine der Kausalketten, die zum 30-jährigen Krieg geführt haben, durch mich, (denn damals existierte ich schlicht noch nicht). Ich bin nun nicht Erstursache von mir selber, das ist mir klar und das ist, so behaupte ich jetzt mal ganz dreist, jedem klar.

Ich bin meiner Ansicht nach freier, wenn ich etwas (mit)-bestimmen kann und unfrei bezüglich etwas, das ich (überhaupt nicht) (mit)-bestimmen kann. Dein Fehler ist meiner Ansicht nach immer noch, dass Du daraus, dass man keine Erst-Ursache sei, folgerst, dass man überhaupt keine Ursache sein könne, man überhaupt keinen Einfluss auf gar nichts haben könne. Aber das folgt nun mal schlicht nicht.

Du scheinst zu meinen: entweder (unlogischerweise) 'völlig frei' (im Sinne von: Erstursache von absolut allem und ergo auch seiner selbst zu sein) oder aber man sei 'absolut unfrei'. Aber auch das ist doch keineswegs einfach so selbstverständlich. Das ist im Gegenteil meiner Ansicht nach schlicht eine falsche Schlussfolgerung. Wenn man meinte: 'völlig frei', dann würde man sagen: 'völlig frei'. Es gibt per se keinen für mich ersichtlichen Grund, 'frei' mit 'völlig frei' gleich zu setzen. Das muss keineswegs notwendigerweise einfach dasselbe bedeuten.

ganimed hat geschrieben:2) Wenn also die Entscheidung der Brüder kausal nur von der Adoptionsentscheidung abhängt, wie es in der Testfrage des Artikels der Fall war, dann sind die Brüder deiner Meinung nach also nicht frei und nicht schuldig?

Ja, wenn sie nur davon abhängen würde und von nichts sonst, z.B. von den Einstellungen, Überlegungen etc. dann wäre sie meiner Ansicht nach völlig unfrei und somit nicht schuldig. (Den Artikel habe ich jetzt aber nicht mehr so im Kopf.)

Du argumentierst irgendwie analog dazu: "niemand ist absolut reich, also sind alle gleich reich". Aber diese Argumentation ist mE falsch. Die Prämisse ist zwar richtig, aber der Schluss noch lange nicht. Ich zumindest kann ihn nicht nachvollziehen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mo 27. Feb 2012, 23:15

AgentProvocateur hat geschrieben:Geht es Dir speziell ums Kopfkratzen - was wohl doch aber eher ein Art Reflex ist und in dem Falle keine Handlung?

Ich will darauf hinaus, dass du dir nicht bewusst wirst, wieso du dich irgendwann am Kopf kratzt. Ich behaupte, dass man das am Kopf kratzen daher als grundlos, als nicht kausal determiniert erlebt. Ich nehme beim Kratzen am Kopf zumindest nicht wahr, dass es sehr wohl Gründe für diese Handlung gibt. Auch ein Reflex passiert nicht einfach nur so, sondern ist durch Ursachen determiniert.
Sicher kann man sich auf einer theoretischen Ebene später mal in Ruhe Gedanken machen und sich ins Bewusstsein rufen, dass wohl jede Handlung Gründe hat. Aber ich will auf das Erleben, auf die eigene Wahrnehmung hinaus. Die Frage war ja, ob wir kausale Freiheit als Illusion erleben. Die Antwort ist für jeden, dem nicht bei jeder Handlung und jedem Reflex die Gründe erlebbar sind, ja.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dieser mein Beitrag hier z.B. hängt sehr viel von mir ab als an Dir. Ich habe mehr Kontrolle darüber als Du. Oder etwa nicht?

Ich weiß nicht recht. Man stelle sich eine Dominoreihe vor mit 1000 Steinen. Kippt man den ersten um, kippen alle weiteren nach und nach auch um. Das Kippen des tausendsten und letzten Steins sei nun das Schreiben deines Beitrages gewesen. Und ursächliche Faktoren, die deiner Person zuzuordnen wären, seien die Steine 920 bis 999. Da könntest du mit Fug und Recht behaupten, dass das Umkippen des tausendsten Steines mehr an dir lag als an mir. Und ich würde dir auch insofern zustimmen, als ich den Begriff "Verantwortung" hier gelten ließe. Die Tatsache, dass viele Steine in dir umgefallen sind, übersetze ich mit "du bist für den Beitrag verantwortlich". Aber Schuld? Du konntest ja nichts dafür, dass der Stein 919 umgekippt ist. Und nachdem der einmal gefallen war, gab es eine Kettenreaktion in dir (von 920 bis 1000), die du eben nicht "kontrollieren" konntest im Sinne von "verhindern" oder "abändern". Deine Gedanken fühlten sich vielleicht so an, als könntest du auch anders entscheiden, als gäbe es da Freiheit, dein Erleben war aber dann eine Illusion. In einer deterministischen Welt ist, was Ursache und Wirkung angeht, etwas Äquivalentes zum Dominoprinzip passiert als du dich zum Schreiben des Beitrags "entschieden" hast, egal wie es sich angefühlt haben mag. Es waren nur Ursachenketten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich betrachte aber die Ursachenketten. Wenn die hinreichend durch mich laufen, dann sind sie von mir abhängig, von mir (z.T.) kontrollierbar. Laufen sie überhaupt nicht durch mich, sind sie von mir überhaupt nicht kontrollierbar.

Ich finde, egal, ob die Kette durch dich oder um dich herum läuft, du kannst sie eben nicht kontrollieren. Du bist die Kette, aber du kannst sie nicht in einer zweiten Instanz auf einer höheren Metaebene betrachten und die Dominosteine anfassen oder irgendwas beeinflussen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin meiner Ansicht nach freier, wenn ich etwas (mit)-bestimmen kann und unfrei bezüglich etwas, das ich (überhaupt nicht) (mit)-bestimmen kann.

Sehe ich genau so. Nur, dass eben immer der erste Fall gilt. Du kannst nie etwas "bestimmen" im Sinne von wirklich kontrollieren. Nur weil Dominosteine in dir umfallen, heißt das nicht, dass du gefragt werden würdest.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Fehler ist meiner Ansicht nach immer noch, dass Du daraus, dass man keine Erst-Ursache sei, folgerst, dass man überhaupt keine Ursache sein könne, man überhaupt keinen Einfluss auf gar nichts haben könne. Aber das folgt nun mal schlicht nicht.

Doch, das folgt nun mal schlicht. Du hast an keinem Stein von 920 bis 999 eine Kontrolle. Oder? Ohne Erstursache bist du nicht der Verursacher und ohne Kontrolle bist du nicht schuld.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 28. Feb 2012, 00:08

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Geht es Dir speziell ums Kopfkratzen - was wohl doch aber eher ein Art Reflex ist und in dem Falle keine Handlung?

Ich will darauf hinaus, dass du dir nicht bewusst wirst, wieso du dich irgendwann am Kopf kratzt. Ich behaupte, dass man das am Kopf kratzen daher als grundlos, als nicht kausal determiniert erlebt.

(Hervorhebung von mir.)

Diesen Schluss verstehe ich einfach nicht. Ich meine, stimmt, dass es Reflexe gibt, stimmt auch, dass es unbewusste Reflexe gibt und stimmt auch, dass es völlig unbewusste Vorgänge im Körper gibt, von denen man (normalerweise) überhaupt nichts mitbekommt. Aber wieso schließt Du daraus, dass man deswegen folgern müsse, die erfolgten nicht kausal determiniert? Bzw., dass man das gemeinhin tatsächlich annähme / erlebte? Ich glaube, das folgt weder als logischer Schluss, noch dass es - unabhängig davon - der Fall sei, dass Leute ihre Entscheidungen, (oder ihre Reflexe), als indeterminiert erleben. Und somit auch nicht als Illusion.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Dieser mein Beitrag hier z.B. hängt sehr viel von mir ab als an Dir. Ich habe mehr Kontrolle darüber als Du. Oder etwa nicht?

Ich weiß nicht recht. Man stelle sich eine Dominoreihe vor mit 1000 Steinen. Kippt man den ersten um, kippen alle weiteren nach und nach auch um. Das Kippen des tausendsten und letzten Steins sei nun das Schreiben deines Beitrages gewesen. Und ursächliche Faktoren, die deiner Person zuzuordnen wären, seien die Steine 920 bis 999. Da könntest du mit Fug und Recht behaupten, dass das Umkippen des tausendsten Steines mehr an dir lag als an mir. Und ich würde dir auch insofern zustimmen, als ich den Begriff "Verantwortung" hier gelten ließe. Die Tatsache, dass viele Steine in dir umgefallen sind, übersetze ich mit "du bist für den Beitrag verantwortlich". Aber Schuld? Du konntest ja nichts dafür, dass der Stein 919 umgekippt ist. Und nachdem der einmal gefallen war, gab es eine Kettenreaktion in dir (von 920 bis 1000), die du eben nicht "kontrollieren" konntest im Sinne von "verhindern" oder "abändern". Deine Gedanken fühlten sich vielleicht so an, als könntest du auch anders entscheiden, als gäbe es da Freiheit, dein Erleben war aber dann eine Illusion. In einer deterministischen Welt ist, was Ursache und Wirkung angeht, etwas Äquivalentes zum Dominoprinzip passiert als du dich zum Schreiben des Beitrags "entschieden" hast, egal wie es sich angefühlt haben mag. Es waren nur Ursachenketten.

Was heißt "nur"? Was sonst? Was wäre anders, besser, was würde zu echter Schuld führen, was wäre für echte Schuld in Deinem Sinne notwendige Voraussetzung? Du hast hier immerhin ein "nur" verwendet. Was eine Wertung ist und was nun mal nach der Darstellung eines [Nicht]-"nur" verlangt. Weil das impliziert, es gäbe eine weit bessere Möglichkeit. Aber welche denn?

Es gibt Ursachenketten, die ich kontrollieren kann und welche, die ich nicht kontrollieren kann. Ich hoffe, wir können uns darauf einigen? Weil die Alternative ja nur wäre: niemand kann etwas kontrollieren, (die andere, hypothetisch mögliche Alternative: jemand kann absolut alles kontrollieren brauchen wir hier nicht zu betrachten, nicht?).

Dein Argument: "alles sind Ursachenketten, also kann niemand etwas kontrollieren, liegt es an niemandem, was passiert" ist einfach so nicht richtig. Erscheint zumindest mir überhaupt nicht plausibel. Das folgt einfach nicht. Dass alles Ursachenketten sind, ist zwischen uns nicht strittig, strittig ist aber, dass daraus folgen soll, dass es keine Freiheit und keine berechtigte Schuldzuweisung gäbe. Das folgt einfach nicht. Du sagt: "alles sind Ursachenketten" und damit ist der Käse für dich gegessen. Aber das ist er nicht. Hier müssen noch Deine Argumente kommen. Die insbesondere deswegen auch interessant sind, weil Du ja zustimmst, dass es einen wesentlichen Unterschied für die Zuweisung der Urheberschaft / Verantwortlichkeit macht, ob ich einen Beitrag schreibe oder Du einen. Für Ersteren bin ich verantwortlich, (weil der auf meinem Mist gewachsen ist), für Zweiteren Du. Nicht?

Und dann ist es ein Problem, Menschen mit Dominosteinen bezüglich der hier relevanten Fähigkeiten gleich zu setzen. Menschen sind offensichtlich keine Dominosteine, keine Billiardkugeln oder Blätter im Wind oder dergleichen, es gibt für unser Thema hier entscheidende Unterschiede, meine ich:
SEP - Arguments for Incompatibilism - Arguments based on Intuition hat geschrieben:If determinism is true, then we are like: billiard balls, windup toys, playthings of external forces, puppets, robots, victims of a nefarious neurosurgeon who controls us by directly manipulating the brain states that are the immediate causes of our actions. Billiard balls, … have no free will. Therefore if determinism is true, we don't have free will.

Intuition-based arguments are inconclusive. Even if determinism entails that there is something we have in common with things which lack free will, it doesn't follow that there are no relevant differences. Billiard balls, toys, puppets, and simple robots lack minds, and having a mind is a necessary condition of having free will

Mal ganz böse gesagt: der Appell an die Intution, ("wir sind wie Billiardkugeln, Dominosteine, Blätter im Wind, die sind unfrei, also sind wir auch unfrei"), ist das unergiebigste und peinlichste Argument der Inkompatibilisten. Damit lockst Du keinen Hund hinter dem Ofen hervor.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich betrachte aber die Ursachenketten. Wenn die hinreichend durch mich laufen, dann sind sie von mir abhängig, von mir (z.T.) kontrollierbar. Laufen sie überhaupt nicht durch mich, sind sie von mir überhaupt nicht kontrollierbar.

Ich finde, egal, ob die Kette durch dich oder um dich herum läuft, du kannst sie eben nicht kontrollieren. Du bist die Kette, aber du kannst sie nicht in einer zweiten Instanz auf einer höheren Metaebene betrachten und die Dominosteine anfassen oder irgendwas beeinflussen.

Ah, interessant.

Ich meine in der Tat, unsere Reflexionsfähigkeit befähige uns sehr wohl dazu, Metaebenen einzunehmen. Wir können z.B. Kausalketten (und auch uns selber, unsere Gedanken, Überlegungen und Handlungen) betrachten und verstehen und abschätzen und bewerten. Und das ist nur von einer Metaebene aus möglich. Und genau deswegen, weil wir das können, meine ich, dass wir frei sind, ich meine, dass darauf unsere Freiheit beruht, dass dies die Grundlage unserer Freiheit ist. Je mehr wir verstehen von den Abläufen in dieser Welt, um so mehr können wir sie beeinflussen. (Ich glaube sogar, dass wir Metaebenen zu Metaebenen einnehmen können.) Nehmen wir mal an, jemand sei geistig zurückgeblieben, er verstünde nicht, was so um ihn abliefe, er könne keine sozialen Zusammenhänge erkennen, er könne nicht abschätzen, was geschehe, wenn er dies oder jenes täte. Und nehmen wir als Vergleich jemanden, der dazu in der Lage ist. Hätte Zweiterer nicht mehr Kontrolle über seine Handlungen, könnte er nicht eher seine Ziele erreichen? Und würde das nicht automatisch mehr Kontrolle bedeuten? Und zwar tatsächlich auf einer höheren Metaebene?

Wenn Du nun zeigen könntest, dass wir nicht dazu in der Lage sind, diese Metaebenen einzunehmen, von denen ich meine, dass wir sie sehr wohl einnehmen können, dann würde ich zugeben, dass wie nicht frei sind. Aber dazu reicht es selbstverständlich nicht, einfach auf Kausalketten hinzuweisen. Denn daraus, dass alles auf Kausalketten beruht, folgt nun mal nicht automatisch, dass die Fähigkeit zu Abstraktionen, die Fähigkeit zur Einnahme einer (oder mehrerer Metaebenen) unmöglich seien.

Falls aber doch: dann das mal bitte begründen. Darauf bin ich sehr, sehr gespannt. An der Stelle wird es sehr, sehr spannend für mich, ich brenne geradezu nach Deinen Argumenten dafür. (Ich hoffe aber, die belaufen sich nicht lediglich auf ein lahmes: "ich glaube, das ist so". Denn das überzeugte mich nicht.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin meiner Ansicht nach freier, wenn ich etwas (mit)-bestimmen kann und unfrei bezüglich etwas, das ich (überhaupt nicht) (mit)-bestimmen kann.

Sehe ich genau so. Nur, dass eben immer der erste Fall gilt. Du kannst nie etwas "bestimmen" im Sinne von wirklich kontrollieren. Nur weil Dominosteine in dir umfallen, heißt das nicht, dass du gefragt werden würdest.

Gefragt von wem bezüglich was?

Und was meinst Du mit "wirklich kontrollieren"? Doch nicht etwa 'absolut und völlig und unendlich' kontrollieren, oder? Wenn nicht: doch, klar kann ich bei etwas mitbestimmen, kann etwas (z.T.) kontrollieren. Mein Einfluss darauf, wer in Deutschland die nächste Regierung stellt ist größer als der, wann die nächste Sonneneruption stattfindet. Oder etwa nicht? (Selbst wenn mein Einfluss auf Ersteres minimal ist: mein Einfluss auf Zweiteres ist um Größenordnungen kleiner. Oder etwa nicht? Sag doch mal? Oder ist er in beiden Fällen absolut gleich: nämlich gleich null? Oder geht es Dir nur darum, festzustellen, dass es nicht nur an mir liegt, wer in Deutschland die nächste Regierung stellt? Aber wenn so: wie kommst Du bloß darauf, dass ich (oder sonst irgend jemand) das annehmen würde? Was bringt es, offene Türen einzurennen?) Daraus, dass ich das vielleicht nie absolut kann, folgt doch nun mal nicht, dass ich es überhaupt nicht könne. Ich bin mir meiner Beschränkungen sehr wohl bewusst, ich meine nicht, dass ich Kontrolle über alles hätte. Aber, wie gesagt: daraus folgern zu wollen, dass ich gar nichts bestimmen könne, gar nichts kontrollieren könne, ist ein schlichtes non sequitur.

Aber gut, hängt davon ab, was Du mit 'wirklich kontrollieren' eigentlich meinst. Also was eigentlich, wenn das nicht 'absolute Kontrolle über ansolut alles' bedeuten soll?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Fehler ist meiner Ansicht nach immer noch, dass Du daraus, dass man keine Erst-Ursache sei, folgerst, dass man überhaupt keine Ursache sein könne, man überhaupt keinen Einfluss auf gar nichts haben könne. Aber das folgt nun mal schlicht nicht.

Doch, das folgt nun mal schlicht. Du hast an keinem Stein von 920 bis 999 eine Kontrolle. Oder? Ohne Erstursache bist du nicht der Verursacher und ohne Kontrolle bist du nicht schuld.

Unsinn. Nach diesem Verständnis von Verursachern gäbe es überhaupt keine Verursacher, außer vielleicht dem Urknall - falls man nur dann etwas 'Verursacher' nennen wollen würde, auf das ein Ereignis zu 100% zurückgeführt werden könnte. Aber das tut man gemeinhin nicht, man sagt z.B., dass zuviel Sonneneinstahlung einen Sonnenbrand verursacht, Rauchen Lungenkrebs verursachen kann, die Klimaerwärmung ein Abschmelzen der Polkappen verursacht. Und das ist sinnvoll, es wäre wenig hilfreich, wenn man immer nur auf den Urknall rekurrieren würde: "der Urknall verursachte diesen Sonnenbrand, der Urknall verursachte diesen Lungenkrebs, der Urknall verursacht das Abschmelzen der Polkappen". Das könnte man sich dann doch wohl auch einfach sparen, das wäre völlig sinnlos, ergäbe keinen Nährwert. Wäre einfach nur dumm. Wenn es Dir hier nur darum geht, sagen zu wollen, dass niemand Erstursache sein kann, (auch nicht Erstursache seiner eigenen Handlungen), dann ist das ziemlich wenig, denn das sehe ich als gemeinhin unstrittig an. Was soll's also? Dann könnten wir doch mit Schulterzucken einen allgemeinen Konsens konstatieren und zu anderen Dingen übergehen, oder?

Aber auch ohne Erstursache bin ich Verursacher meiner Handlungen und hinreichende Kontrolle ist allerdings notwendig, um mir dafür Verantwortung (und ggf. Schuld) zuweisen zu können. Jedoch nicht 'absolute Kontrolle'. Und falls doch: dann das mal bitte begründen. Das kannst Du doch nicht einfach so mal eben schnell grundlos behaupten. Zumindest bei mir kommst Du damit nicht durch, ich halte das für unplausibel.
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Nochmal ganz kurz: Deine Argumentation scheint darauf hinauszulaufen: "entweder gibt es absolute und unendliche Kontrolle über alles und jedes oder es gibt keinerlei Kontrolle über gar nichts". Aber das ein falsches Dilemma.

Es sei denn aber, Du hättest gute Gründe für diese Argumentation. Die Du dann aber bisher nicht genannt hast.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ujmp » Di 28. Feb 2012, 08:50

ganimed hat geschrieben:Du formulierst: "dass man nicht alle" kausalen Faktoren kennt. Kennst du denn einen einzigen beim am Kopf kratzen? Müsste es nicht für viele Handlungen heißen: man kennt keinen einzigen kausalen Faktor? Und wie kann man Entscheidungen als deterministisch erleben, wenn man von den Gründen nichts mitbekommt?

Man sollte sich die Unterschiede bewusst machen, die zwischen Kausalgründen, Vernunftgründen und Willensgründen bestehen - sonst kommt man aus dem Nebel nicht raus!
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 29. Feb 2012, 22:01

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wieso schließt Du daraus, dass man deswegen folgern müsse, die erfolgten nicht kausal determiniert? Bzw., dass man das gemeinhin tatsächlich annähme / erlebte? Ich glaube, das folgt weder als logischer Schluss, noch dass es - unabhängig davon - der Fall sei, dass Leute ihre Entscheidungen, (oder ihre Reflexe), als indeterminiert erleben. Und somit auch nicht als Illusion.

Ich behaupte nicht, dass man irgendwas "folgert", wenn ich von "erleben" spreche. Und wenn man keinen Grund erlebt, weil einem keiner bewusst wird, dann nenne ich das ein Erleben von kausaler Unabhängigkeit und von Indeterminismus. Oder erkläre mir mal bitte, wie man das Kopfkratzen als kausal und determiniert erlebt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt Ursachenketten, die ich kontrollieren kann und welche, die ich nicht kontrollieren kann. Ich hoffe, wir können uns darauf einigen? Weil die Alternative ja nur wäre: niemand kann etwas kontrollieren

Du kannst eine Ursachenkette kontrollieren? Ich glaube nicht. Nenne mal bitte ein Beispiel, wo dir das gelungen wäre. Die Alternative ist übrigens nicht "niemand kann etwas kontrollieren", sondern "niemand kann eine Ursachenkette kontrollieren". So viel Zeit und Genauigkeit muss sein. Und diese Alternative halte ich für die real existierende.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine in der Tat, unsere Reflexionsfähigkeit befähige uns sehr wohl dazu, Metaebenen einzunehmen. Wir können z.B. Kausalketten (und auch uns selber, unsere Gedanken, Überlegungen und Handlungen) betrachten und verstehen und abschätzen und bewerten.

Um mal im Bild mit den Dominosteinen zu bleiben: deine Reflexionsfähigkeit befähigt dich also, beispielsweise eine zweite Kette ablaufen zu lassen, die den Dominostein 945 rechtzeitig von der Seite umstößt. Damit würde 946 bis 1000 stehen bleiben und du würdest keinen Beitrag schreiben. Mit anderen Worten, du denkst irgendwie über alles nach und kommst zu dem Schluss: nöö, heute schreibe ich mal keinen Beitrag. Aber war das eine freie Entscheidung? Werden Dominosteinketten plötzlich wählerisch und frei, wenn es zwei an der Zahl sind, die sich gegenseitig beeinflussen? Nein. Auch die zweite Kette hat eine erste Ursache außerhalb von dir. Und beide Ketten laufen absolut unnachgiebig und ohne jede Abweichung nach kausalen Gesetzen ab.
Du schreibst: "Wir können z.B. Kausalketten ... betrachten". Das stimmt nicht. Wir müssen sie betrachten, nämlich genau dann, wenn die Gründe vorliegen. Mit deiner Reflexionsfähigkeit verkomplizierst du zugegebenermaßen den Entscheidungsprozess, aber du kontrollierst ihn damit nicht, du führst den Prozess durch das Reflektieren lediglich aus. Bei diesem Reflexionsprozess fällt sozusagen auch immer genau ein Stein nach dem anderen. Du kannst nicht plötzlich ohne Grund mit dem Reflektieren aufhören. Du kannst nichts anderes als was dir von den Ursachenketten als nächstes vorgegeben wird. Was an dieser Reflektion soll "frei" sein?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nehmen wir mal an, jemand sei geistig zurückgeblieben, er verstünde nicht, was so um ihn abliefe, er könne keine sozialen Zusammenhänge erkennen, er könne nicht abschätzen, was geschehe, wenn er dies oder jenes täte. Und nehmen wir als Vergleich jemanden, der dazu in der Lage ist.

Du beschreibst hier einfach nur zwei verschiedene Wege. Die eine Dominosteinkette geht meinetwegen links entlang, der geistig zurückgebliebene kann nicht nach rechts, er bleibt ohne Verständnis der Umstände gezwungen, sich für ein links liegendes X1 zu entscheiden. Die andere Dominokette macht viel mehr Kurven und ist meinetwegen länger, der geistig weiter vorangekommene reflektiert bis der Arzt kommt, und kommt am Ende seiner Dominokette auch genau an einem Punkt X2 an, weit rechts im Feld. Wobei er aber keine Wahl hatte, die Kette lief durch das Kausalgesetz vorgegeben ab und konnte vom Reflekteur nicht kontrolliert, abgeändert, angehalten oder verlassen werden. Beide Protagonisten kommen nach unterschiedlichen Denkprozessen an sehr unterschiedlichen Punkten an. Aber ein Fünkchen Freiheit oder Spielraum kann ich bei beiden nicht erkennen.
Es ist im Grunde wirklich so einfach wie Schopenhauer sagte: der Mensch kann reflektieren, aber er kann nicht kontrollieren was er reflektiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Einfluss darauf, wer in Deutschland die nächste Regierung stellt ist größer als der, wann die nächste Sonneneruption stattfindet. Oder etwa nicht?

Das stimmt. Ein ganz kleiner Teil des riesigen Dominosteingewusels aus Millionen von Steinreihen, die die nächste Regierung festlegen, geht durch dich durch. Das Dominosteingewusel zur nächsten Sonneneruption dürfte ein paar Millionen Kilometer weit an uns allen vorbei gehen. Aber in beiden Fällen geht es kausal zu, wie bei Dominosteinen. In beiden Fällen kannst du an den Reihen nichts ändern.
Wenn du sagst, dass du die nächste Regierung mitbestimmen kannst, dann ist das die Ebene des "TUN" im Schopenhauer-Satz. Wenn ich sage, dass du dabei nicht frei bist, die Dominokette nicht kontrollieren und mitbestimmen kannst, dann ist damit das "WOLLEN" gemeint in dem diesmal korrekten Schopenhauerzitat: "Der Mensch kann zwar TUN, was er will, aber er kann nicht WOLLEN, was er will."
Und auch deine Reflektion, das Einnehmen von Metaebenen und all dein Denken ist eben nur das TUN. An diesem TUN kannst du aber nicht mitbestimmen, kontrollieren oder ändern.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach diesem Verständnis von Verursachern gäbe es überhaupt keine Verursacher, außer vielleicht dem Urknall - falls man nur dann etwas 'Verursacher' nennen wollen würde

Ob der Urknall nun wirklich eine Erstursache war, ist ja eigentlich auch noch überhaupt nicht klar. Aber egal. Wenn man "nur so etwas" Verursacher nennen wollen würde, dann wäre das korrekt. Will man aber nicht, da stimme ich dir zu. Der Sprachgebrauch geht natürlich anders, sozusagen im Sinne von: wer die letzten Dominosteine in hinreichender Anzahl sich zuordnen kann, der kann Verursacher genannt werden. Aber sicher nicht "Erstverursacher". Und ganz sicher nicht "kausal unabhängig" oder "frei".

AgentProvocateur hat geschrieben:Nochmal ganz kurz: Deine Argumentation scheint darauf hinauszulaufen: "entweder gibt es absolute und unendliche Kontrolle über alles und jedes oder es gibt keinerlei Kontrolle über gar nichts".

Ich kann mich täuschen, aber deine Fehlerquote bei der Wiedergabe meiner Argumente ist ziemlich hoch. Drücke ich mich denn derart unverständlich aus? Also nochmal kurz von meiner Seite: Meine Argumentation läuft darauf hinaus, dass es keinerlei Kontrolle über kausale Abläufe gibt, aber durchaus über Gaspedale.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 1. Mär 2012, 01:52

ganimed hat geschrieben:Ich behaupte nicht, dass man irgendwas "folgert", wenn ich von "erleben" spreche. Und wenn man keinen Grund erlebt, weil einem keiner bewusst wird, dann nenne ich das ein Erleben von kausaler Unabhängigkeit und von Indeterminismus. Oder erkläre mir mal bitte, wie man das Kopfkratzen als kausal und determiniert erlebt.

Daraus, dass man etwas nicht als kausal determiniert erlebt, folgt nun mal nicht, dass man es als kausal indeterminiert erlebt. Man erlebt weder noch, (behaupte ich).

ganimed hat geschrieben:Du kannst eine Ursachenkette kontrollieren? Ich glaube nicht. Nenne mal bitte ein Beispiel, wo dir das gelungen wäre. Die Alternative ist übrigens nicht "niemand kann etwas kontrollieren", sondern "niemand kann eine Ursachenkette kontrollieren". So viel Zeit und Genauigkeit muss sein. Und diese Alternative halte ich für die real existierende.

Sagte ich doch bereits: ich habe einen Einfluss auf die Kausalketten, die zu diesem Posting hier führen, (dieses Posting hier hängt von mir ab), ich habe keinen Einfluss auf die Kausalkette, die zum 30-jährigen Krieg führte, (dieser hing nicht von mir ab).

"Kontrollieren" heißt nicht "vollständig kontrollieren". Wenn es das aber doch heißen soll, dann müsstest Du das begründen.

Zu dem Rest: ich verstehe nun mal nicht, was Du eigentlich mit 'echt frei' oder mit 'Spielraum' verstehst. Und solange Du das nicht für mich nachvollziehbar erläutern kannst, kann ich es wohl auch nicht verstehen.

'Freiheit' bedeutet für mich schlicht die Fähigkeit, die alle normalen Erwachsenen besitzen: nämlich darüber nachzudenken und zu reflektieren, was es bedeutete, die eine, die andere, die dritte, die vierte etc. Alternative auszuführen und sich dann für eine zu entscheiden. Und die Fähigkeit, über die eigenen Ziele nachzudenken und die mit anderen Zielen abzugleichen und ggf. neu zu justieren, d.h. eine höhere Reflexionsebene einzunehmen, (im Vergleich zu einem System, dessen Ziele starr von außen vorgegeben sind, das die - in dem Falle vorgegeben - Ziele nicht ändern kann).

Offensichtlich können Dominosteine das überhaupt nicht tun, (die können gar nichts selber tun), daher sind sie in meinem Sinne völlig unfrei.

Und das halte ich für einen wesentlichen Unterschied: Dominosteine können nicht frei bestimmen, Menschen können es (in meinem Sinne) mehr oder weniger - (wie gesagt, diese Fähigkeit halte ich für eine graduelle, keine binäre).

Wie gesagt, sind Menschen keine Erstursachen - denn um eine Erstursache sein zu können, müsste man absolut alles kontrollieren können. Aber, auch wie gesagt, halte ich diese Anforderung für zu hoch gegriffen, ich meine nicht, dass irgendjemand ernsthaft vertritt, Menschen seien Erstursachen. Und erleben tun sie dergleichen auch nicht. (Behaupte ich). Aber ich kann mich täuschen, der eine oder andere Link zu Leuten, die das - entgegen meiner Vermutung - ernsthaft behaupten, wäre für Dich und Deine Argumentation sicher hilfreich.
---
Nochmal anders: wir haben kein Sinnesorgan, das uns unterscheiden ließe zwischen einem kausal determinierten und einem NICHT-[kausal determinierten] Ablauf. Deine Behauptung diesbezüglich und auch Deinen Schluss, dass, wenn man etwas nicht als kausal determiniert erlebe, man es dann als indeterminiert erleben müsse, ist mE falsch. Das folgt eimfach nicht und kann ich auch persönlich - wenn ich meine Intuition befrage - nicht bestätigen. An der Stelle ("ist ein bestimmter - sehr komplizierter - Ablauf völlig kausal determiniert oder nicht?") ist meine Intuition einfach leer.

Und meine Intuition beinhaltet auch nicht die Gleichsetzung: "frei == kausal unabhängig". An der Stelle ist sie ebenfalls erst mal leer, jedoch, wenn ich näher darüber nachdenke, dann sagt mir meine Intuition, dass "kausal unabhängig" ausschließlich auf reinen Zufall hinauslaufen kann. Und sie sagt mir auch, dass aus reinem Zufall völlige Unbeeinflussbarkeit folgt. Und dass etwas, dass ich nicht beeinflussen kann, mir ergo nur zustoßen könne, außerhalb jeglicher Kontrolle von mir läge. Und da ich Kontrolle für unabdingbare Voraussetzung für Freiheit / Selbstbestimmung halte, kann kausale Unabhängigkeit nicht ebenfalls notwendige Bedingung für Freiheit / Selbstbestimmung sein. Das eine schließt das andere logisch aus. Meine Entscheidungen und Handlungen müssen (kausal) von mir abhängen. Ansonsten wären sie schlicht nicht meine Entscheidungen und Handlungen.

Vielleicht sind meine Schlüsse hier falsch, aber das glaube ich nicht. Daher bin ich darauf angewiesen, dass Du (oder jemand anderes) mir zeigst, an welcher Stelle sie falsch sind.

Nur: solange Du zugibst, dass Dein Freiheitsbegriff ein leerer ist, der logisch unmöglich ist, hilft das wenig. Daraus folgt ja nur dies: "es ist zwar logisch unmöglich, dass man Kontrolle über akausale Vorgänge haben kann, aber dennoch sind akausale Vorgänge notwendig für einen starken Begriff von Freiheit". Und dann müsste ich wieder fragen: "aber wieso, warum und weswegen? Das erscheint mir nämlich nicht einfach so sebstverständlich, im Gegenteil sogar, siehe oben".

Halten wir fest:

- Kontrolle über akausale (bzw. indeterminierte) Vorgänge ist nicht möglich
- niemand kann ein Erstverursacher (von allem, also auch seiner selbst) sein

Das ist zwischen uns unstrittig. Aber, na und? Zwischen wem ist das denn strittig? Das wäre erst mal die Frage hier.

Und an der Stelle kommt dann der Pragmatiker in mir zum Vorschein. Ich kann zugegebenermaßen nicht alles kontrollieren, ich kann (und habe) mich nicht selber aus dem Nichts erschaffen. Nur, wie gesagt, halte ich das weder für ein Problem, (denn anders ist es denkunmöglich), noch glaube ich, dass sowas jemand ernsthaft vertritt. (Und daher ist mir unklar, wieso Du das vertrittst.)

Bleibt also das, was pragmatisch gesehen möglich ist. Und das ist - wenn auch nicht vollständige - so doch hinreichende Kontrolle über bestimmte Abläufe. Und je mehr Kontrolle, desto mehr Freiheit.

Diesen Freiheitsbegriff halte ich sowohl für logisch möglich, als auch für sinnvoll, als auch für gemeinhin zustimmbar.

Und Deinen Freiheitsbegriff, (man muss Kontrolle über akausale Abläufe haben), halte ich für unbegründet, für nicht explizit darstellbar, daher für nicht verstehbar und für nicht sinnvoll und auch für nicht zustimmungsfähig.

ganimed hat geschrieben:Meine Argumentation läuft darauf hinaus, dass es keinerlei Kontrolle über kausale Abläufe gibt, aber durchaus über Gaspedale.

Verstehe ich so nicht. Könntest Du das mal näher erläutern, vielleicht anders ausdrücken?
----
Du wirfst mir vor, Deine Argumente nicht nachvollziehen zu können. Mag sein, tatsächlich sehe ich immer nur diese:

a) "wir sind nicht völlig frei, also sind wir gar nicht frei"
b) "um echt frei zu sein, müssten wir Erstverursacher unserer Gedanken und Handlungen sein"
c) "wir (= die meisten Menschen) erleben ihre Entscheidungen und Handlungen als indeterminiert, unverursacht, zufällig, als zusammenhanglos zu allem"

Aber:

a) halte ich schlicht für einen Fehlschluss, das folgt einfach nicht
b) dafür fehlt ein Argument
c) das halte ich nicht für richtig. Dafür bräuchtest Du einen Beleg.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 1. Mär 2012, 19:14

AgentProvocateur hat geschrieben:Daraus, dass man etwas nicht als kausal determiniert erlebt, folgt nun mal nicht, dass man es als kausal indeterminiert erlebt. Man erlebt weder noch, (behaupte ich).

Wenn mir bei einer Reise keinerlei Störungen bewusst werden, dann erlebe ich die Reise also nicht störungsfrei, sondern du behauptest, dass man die Reise dann weder störungsfrei noch störungsvoll erlebt? In meinen Ohren klingt dein "weder noch" wie aus der Luft gegriffen, nur damit du mein Argument ablehnen kannst. Vielleicht kannst du ja das "weder noch" noch irgendwie plausibler machen, begründen oder mit einem Beispiel erläutern?

AgentProvocateur hat geschrieben:ich habe einen Einfluss auf die Kausalketten, die zu diesem Posting hier führen

Du wiederholst einfach deinen Standpunkt und mehr nicht? Dann frage ich erneut nach: woraus besteht dieser Einfluss? Wie kannst du eine Kausalkette beeinflussen oder kontrollieren?
Vielleicht sollten wir das Beispiel dazu vereinfachen, um es in den Griff zu bekommen. Nehmen wir an, die Kausalkette war so:
Du schriebst den Artikel (Dominostein 1000)
weil dir ein neues Argument zur Unmöglichkeit von Indeterminismus einfiel (DS 999)
Das Argument fiel dir ein als du an Apfeltorte mit Schlagsahne dachtest. (DS 998)
An die Torte musstest du deshalb denken, weil du in dem Moment gerade nach draußen geblickt hast und einen Apfel von einem Baum fallen sahst (DS 997)
Der Apfel fiel vom Baum weil ein Windstoß von Westen kam (DS 996).

Was den Wind verursachte, soll jetzt mal egal sein. Es gibt jedenfalls diese Ursachenkette (bzw. den letzten Abschnitt davon) von 996 bis 1000. Nur der Teil 997 bis 1000 hat direkt mit dir zu tun, ist Teil deines Entscheidungsprozesses. Und nun erkläre mir mal bitte haarklein, wie du diesen Teil kontrollieren, verändern, verhindern oder herbeiführen können willst. Ich behaupte, er passiert eben einfach ohne dass du etwas kontrollieren konntest. Wie genau sähe dein Einfluss auf die Kausalkette in diesem Beispiel aus?

AgentProvocateur hat geschrieben:ich verstehe nun mal nicht, was Du eigentlich mit 'echt frei' oder mit 'Spielraum' verstehst.

Ich verstehe damit dasselbe wie du, nämlich die Fähigkeit, Ursachenketten zu kontrollieren, nicht vollständig und als Erstursache, sondern wenigstens teilweise. Wenn du also in obigem Beispiel deutlich machen könntest, wie du Kausalketten beeinflussen kannst, dann hast du mich bereits überzeugt. Wenig überzeugend finde ich deine Position bislang deswegen, weil du zu deinem Freiheitsbegriff die Kontrolle benötigst und bisher nicht zeigen konntest, wie diese Kontrolle ohne kausale Unabhängigkeit zu erreichen wäre.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Argument: "alles sind Ursachenketten, also kann niemand etwas kontrollieren, liegt es an niemandem, was passiert"

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Meine Argumentation läuft darauf hinaus, dass es keinerlei Kontrolle über kausale Abläufe gibt, aber durchaus über Gaspedale.
Verstehe ich so nicht. Könntest Du das mal näher erläutern, vielleicht anders ausdrücken?

Du hattest im vorigen Post geschlossen, dass es meine Ansicht sei, dass niemand Kontrolle über irgendwas hätte. Ich wollte mit meinem Satz klar machen, dass dies nicht meine Ansicht war, sondern sich meine Aussage wirklich nur auf Ursachenketten bezieht, also auf die Metaebene. Oder um im Beispiel zu bleiben: dass du den Beitrag geschrieben hast, lag (teilweise) an dir. Dass die Ursachenkette, die zu deiner Entscheidung führte, genau so aussah, lag (vollständig) nicht an dir. Diese Differenzierung drücke ich dann so aus: es war deine Entscheidung, den Beitrag zu schreiben, aber diese Entscheidung war nicht frei (sondern vollständig von Ursachen abhängig).
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 1. Mär 2012, 22:07

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Daraus, dass man etwas nicht als kausal determiniert erlebt, folgt nun mal nicht, dass man es als kausal indeterminiert erlebt. Man erlebt weder noch, (behaupte ich).

Wenn mir bei einer Reise keinerlei Störungen bewusst werden, dann erlebe ich die Reise also nicht störungsfrei, sondern du behauptest, dass man die Reise dann weder störungsfrei noch störungsvoll erlebt? In meinen Ohren klingt dein "weder noch" wie aus der Luft gegriffen, nur damit du mein Argument ablehnen kannst. Vielleicht kannst du ja das "weder noch" noch irgendwie plausibler machen, begründen oder mit einem Beispiel erläutern?

'Störung' bezieht sich auf eine rein subjektive Kategorie. Sagen wir mal: objektiv gesehen geschieht X. Nun kann es problemlos sein, dass Dich X stört, jemand anderen aber X nicht stört. D.h., ob etwas eine Störung für jemanden ist oder nicht, hängt von dem Jemand ab. Nur er ist letztlich in der Lage dazu, darüber Auskunft zu geben.

Die Frage danach, ob ein Ablauf kausal oder nicht vollständig kausal erfolgt, ist aber eine objektive (bzw. intersubjektiv klärbare) Frage, sprich: es ist egal, was Du dabei empfindest oder ich dabei empfinde.

Beispiel: wenn wir denken, laufen immer neuronale Vorgänge in unserem Gehirn ab. Nun haben wir aber kein Sinnesorgan, das uns diese neuronalen Vorgänge erleben ließe. D.h. wenn wir denken, erleben wir keine neuronalen Abläufe.

Aber das bedeutet doch nun nicht, dass wir behaupten müssten, es liefen keine neuronalen Vorgänge in unserem Gehirn ab, wenn wir denken. Es wäre mE falsch, daraus, dass wir das nicht erleben, zu folgern, es könne nicht sein, dass neuronale Abläufe erfolgen. Und auch nicht folgerichtig, nun zu behaupten, nur dann sei etwas echtes Denken, wenn keine Neuronen im Gehirn feuern würden.

ganimed hat geschrieben:Was den Wind verursachte, soll jetzt mal egal sein. Es gibt jedenfalls diese Ursachenkette (bzw. den letzten Abschnitt davon) von 996 bis 1000. Nur der Teil 997 bis 1000 hat direkt mit dir zu tun, ist Teil deines Entscheidungsprozesses. Und nun erkläre mir mal bitte haarklein, wie du diesen Teil kontrollieren, verändern, verhindern oder herbeiführen können willst. Ich behaupte, er passiert eben einfach ohne dass du etwas kontrollieren konntest. Wie genau sähe dein Einfluss auf die Kausalkette in diesem Beispiel aus?

Mein Einfluss sieht so aus, dass aus meinen Überlegungen, meinen Meinungen, meinen Einstellungen, meinem Wissen, meinen Wertungen, meinen Erkenntnissen, meinen Abwägungen sich eine Entscheidung und daraus wieder eine darauf folgende Handlung ergibt. Und deswegen ist es meine Entscheidung und Handlung, (und nicht die von jemand anderem oder etwas anderem).

Das verstehe ich unter Kontrolle. Wenn das nicht Kontrolle sein soll, dann verstehe ich schlicht nicht, was sonst Kontrolle genannt werden könnte.

Kontrolle für mich nicht gleichbedeutend mit absoluter Kontrolle über alles.

Dass es davor in der Kausalkette noch unzählige andere Elemente gab, ist ziemlich egal für meine jetzige Kontrollfähigkeit. Vor allem folgt daraus nicht, dass man das rein zahlenmäßig gewichten kann: "Dein Einfluss auf die Kausalkette bestand auf, sagen wir mal, 100.000 Glieder; die Anzahl der vorherigen Glieder war aber um Größenordnungen höher, sagen wir mal, 10 hoch 100 und wenn wir jetzt mal 100.000 durch 10 hoch hundert teilen, dann ist das ein extrem geringer Wert und also war Dein Einfluss extrem gering" - dann würde ich dem widersprechen wollen. Aus Quantität folgt nicht Qualität.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:ich verstehe nun mal nicht, was Du eigentlich mit 'echt frei' oder mit 'Spielraum' verstehst.

Ich verstehe damit dasselbe wie du, nämlich die Fähigkeit, Ursachenketten zu kontrollieren, nicht vollständig und als Erstursache, sondern wenigstens teilweise. Wenn du also in obigem Beispiel deutlich machen könntest, wie du Kausalketten beeinflussen kannst, dann hast du mich bereits überzeugt. Wenig überzeugend finde ich deine Position bislang deswegen, weil du zu deinem Freiheitsbegriff die Kontrolle benötigst und bisher nicht zeigen konntest, wie diese Kontrolle ohne kausale Unabhängigkeit zu erreichen wäre.

Ich glaube zwar nicht, dass ich Dich überzeugen kann, aber im Gegenzuge kann ich sagen, was mich überzeugen würde: wenn Du nachvollziehbar darstellen könntest, wie ein Mensch logisch möglich eine größere Kontrolle, (oder gar erst überhaupt eine wesentliche Kontrolle in Deinem Sinne), über sich und seine Umwelt erlangen könnte.

Oder, nein, das ist so noch unzureichend ausgedrückt: ich möchte nicht wissen, was wäre, wenn Menschen gottähnliche oder gar in sich unlogische und somit unverstehbare Fähigkeiten hätten, sondern ich möchte lediglich wissen, was Du meinst, was Menschen glauben, dass sie denken (entscheiden, tun) könnten, sie aber de fakto nicht können. Inwiefern sie also einer Illusion unterliegen, was sie Deiner Ansicht nach fälschlich annehmen, wenn sie entscheiden und handeln und sich für Urheber / Verursacher ihrer Entscheidungen und Handlungen halten, d.h. sich selber diese Entscheidungen und Handlungen zuschreiben. (Was aber nicht! bedeuten muss: Ersturheber / Erstverursacher!)

ganimed hat geschrieben:Du hattest im vorigen Post geschlossen, dass es meine Ansicht sei, dass niemand Kontrolle über irgendwas hätte. Ich wollte mit meinem Satz klar machen, dass dies nicht meine Ansicht war, sondern sich meine Aussage wirklich nur auf Ursachenketten bezieht, also auf die Metaebene. Oder um im Beispiel zu bleiben: dass du den Beitrag geschrieben hast, lag (teilweise) an dir. Dass die Ursachenkette, die zu deiner Entscheidung führte, genau so aussah, lag (vollständig) nicht an dir. Diese Differenzierung drücke ich dann so aus: es war deine Entscheidung, den Beitrag zu schreiben, aber diese Entscheidung war nicht frei (sondern vollständig von Ursachen abhängig).

Ah, okay. Den Dissens zwischen uns würde ich dann jetzt mal so beschreiben:

- Du meinst, dass 'frei' gleichbedeutend mit 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' bedeuten müsse
- und ich meine, dass Freiheit nur bedeuten kann, Kontrolle über etwas zu haben (je mehr Kontrolle, desto mehr Freiheit diesbezüglich, je weniger, deto weniger)

Und meine Einwände gegen Deine Auffassung sind immer noch dieselben:

1. mir fehlt der Grund (oder die Gründe) für Deine Auffassung
2. mir fehlt die Darstellung, wie eine 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' irgendwie eine Entscheidung und Handlung nachvollziehbar kontrollierbarer (oder gar: überhaupt erst kontrollierbar) machen könnte - weil nämlich 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' meiner Ansicht nach nur auf reinen Zufall hinauslaufen kann und reiner Zufall Kontrolle ausschließt
3. ich gebe zu, dass Menschen nicht alles kontrollieren können, insbesondere können sie nicht die Umstände, in die sie hineingeboren werden, kontrollieren. Und wären diese Umstände, die vor ihrer Geburt lagen, nur ein wenig anders gewesen, dann wären sie selber wahrscheinlich auch anders - nur meine ich nicht, dass das jemand ernsthaft anders sieht - sprich: ich meine nicht, dass Du die gängigen Intuitionen bezüglich Freiheit / Kontrolle mit Deiner Forderung hinreichend abbilden kannst, Du Dich nicht darauf berufen kannst. Zumindest nicht einfach so aus dem Lehnstuhl heraus, das müsstest Du mit Befragungen / empirischen Untersuchungen dazu erst mal belegen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mo 5. Mär 2012, 20:06

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Frage danach, ob ein Ablauf kausal oder nicht vollständig kausal erfolgt, ist aber eine objektive

Ich habe davon gesprochen, dass eine Handlung akausal ERLEBT wird. Das Verb "erleben" bedeutet in meinem Sprachgebrauch nachgerade, dass es um Subjektivität geht. Deinen Hinweis auf Objektivität deute ich jetzt mal so, dass du mir zustimmst was das subjektive Erleben angeht. Wie "erleben" eine Illusion, die sich objektiv wie du ganz richtig feststellst, nicht halten lässt (zumindest nicht, wenn man Determinist ist).

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Einfluss sieht so aus, dass aus meinen Überlegungen, meinen Meinungen, meinen Einstellungen, meinem Wissen, meinen Wertungen, meinen Erkenntnissen, meinen Abwägungen sich eine Entscheidung und daraus wieder eine darauf folgende Handlung ergibt.

Das Umfallen des letzten Dominosteins (die darauf folgende Handlung) ergibt sich aus dem Umfallen der vorhergehenden Dominosteine (Überlegungen und Co). Das was du da beschreibst ist doch wieder nur die Ursachenkette. Ich hatte dich aber gebeten, mir zu schildern, wie du diese Kette beeinflussen, verändern, stoppen, in Gang setzen oder sonstwie manipulieren kannst. Ich fühle mich vorerst in meiner Ansicht bestätigt, dass diese Manipulationsfähgikeit genau deshalb nicht geschildert werden kann, weil sie nicht vorliegt. Ohne kausale Unabhängigkeit hat man diese Fähigkeit aus der Kausalkette zu springen einfach nicht.

Wieso ist für dich die Entscheidung für eine Handlung deshalb frei, weil Überlegungen dazu geführt haben, wenn du diese Überlegungen doch gar nicht kontrollieren konntest? Du konntest sie nicht verhindern, abstellen, abändern oder irgendwie sonst manipuliueren. Du konntest sie, du musstest sie in dem Moment eben anstellen. Was hat die bloße Ausführung von Gedanken mit Freiheit zu tun? Du prozessierst doch nur Kausalketten, aber du wählst keine.

AgentProvocateur hat geschrieben:aber im Gegenzuge kann ich sagen, was mich überzeugen würde: wenn Du nachvollziehbar darstellen könntest, wie ein Mensch logisch möglich eine größere Kontrolle, (oder gar erst überhaupt eine wesentliche Kontrolle in Deinem Sinne), über sich und seine Umwelt erlangen könnte.

Kapiere ich nicht. Ich sage in fast jedem Posting gebetsmühlenartig, dass mein Freiheitsbegriff logisch leer ist, dass es einen freien Willen nicht gibt. Und du würdest mir das genau dann abkaufen, wenn ich dir darlegen könnte, dass es ihn doch gibt und wie er zu erreichen wäre? Erst wenn ich dir zeigen könnte, dass meine Aussage falsch ist, würdest du sie glauben? Soll das ein Witz sein?

AgentProvocateur hat geschrieben:Inwiefern sie also einer Illusion unterliegen, was sie Deiner Ansicht nach fälschlich annehmen, wenn sie entscheiden und handeln und sich für Urheber / Verursacher ihrer Entscheidungen und Handlungen halten, d.h. sich selber diese Entscheidungen und Handlungen zuschreiben.

Ich glaube, die Menschen nehmen richtigerweise an, dass sie entscheiden und handeln und sie Urheber und Verursacher ihrer Entscheidungen und Handlungen sind. (Ist es wirklich so schwer, meine Position mal nicht falsch wiederzugeben?) Ich glaube aber, dass sie einer Illusion unterliegen, wenn sie diese Entscheidungen und Handlungen für frei halten, wenn sie glauben, sie hätten auch anders gekonnt, wenn sie annehmen, sie hätten die Ursachenketten kontrollieren können, wenn sie sich für schuldig halten.

AgentProvocateur hat geschrieben:- Du meinst, dass 'frei' gleichbedeutend mit 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' bedeuten müsse
- und ich meine, dass Freiheit nur bedeuten kann, Kontrolle über etwas zu haben

Ich meine auch das was du meinst. Eine Entscheidung ist erst frei, wenn ich Kontrolle über die Entscheidungsfindung habe. Ich meine allerdings "Kontrolle" im Sinne von "verändern können", "etwas am Entscheidungsprozess bestimmen können" und du verstehst unter Kontrolle scheinbar einfach nur den Vorgang der Prozessierung. Du schaust dem Umfallen der Dominosteine, dem Ablauf der Kausalkette einfach nur tatenlos zu und behauptest trotzdem, deine Entscheidung kontrollieren zu können? Ich glaube, du irrst dich einfach nur. Tatenloses Zuschauen ist kein Kontrollieren.

AgentProvocateur hat geschrieben:1. mir fehlt der Grund (oder die Gründe) für Deine Auffassung

Glaube ich eigentlich nicht. Im Grunde hast du denselben Freiheitsbegriff wie ich, nämlich die intuitive Annahme, dass eine Handlung nur frei ist wenn man sie kontrolliert. Jetzt müsstest du mir nur noch glauben, dass eine Kontrolle genau die Manipulation einer Ursachenkette bedeuten würde. Und diese Manipulation ist, das liegt in der Natur von Ursachenketten, nur erreichbar durch kausale Unabhängigkeit. Die Fähigkeit, eine Ursachenkette abzuändern, ist praktisch die Definition von kausaler Unabhängigkeit.

AgentProvocateur hat geschrieben:2. mir fehlt die Darstellung, wie eine 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' irgendwie eine Entscheidung und Handlung nachvollziehbar kontrollierbarer (oder gar: überhaupt erst kontrollierbar) machen könnte - weil nämlich 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' meiner Ansicht nach nur auf reinen Zufall hinauslaufen kann und reiner Zufall Kontrolle ausschließt

Diese Darstellung fehlt mir ja auch. Weshalb ich dir ja auch zustimme, dass mein Freiheitsbegriff genau deshalb leer ist. Ich behaupte also wirklich, dass der freie Wille im Determinismus gar nicht existieren kann.

AgentProvocateur hat geschrieben:3. ich gebe zu, dass Menschen nicht alles kontrollieren können, insbesondere können sie nicht die Umstände, in die sie hineingeboren werden, kontrollieren. Und wären diese Umstände, die vor ihrer Geburt lagen, nur ein wenig anders gewesen, dann wären sie selber wahrscheinlich auch anders - nur meine ich nicht, dass das jemand ernsthaft anders sieht

Die Befragten in der von dir zitierten Studie sahen das anders. Sie konnten sich so wenig vorstellen, dass man von äußeren Umständen (der Adoptionsentscheidung) abhängig ist, dass sie, als sie ein Szenario präsentiert bekamen, wo ausdrücklich gesagt wurde, dass der Geldbörseneinbehalt nur von diesem äußeren Faktor abhinge, dennoch meinten, dass die beiden Brüder souverän, selber und frei entschieden hätten. Das zeigt, wie wenig intuitiv und verbreitet die Konsequenz aus dem Determinismus ist. Und mein Beispiel mit dem akausalen Erleben beim am Kopf kratzen zeigt, dass wir eher die Akausalität als intuitiv wahrnehmen. Bleibt man aber dem selbst erlebten und von Illusionen durchtränkten Gebiet der menschlichen Entscheidungsfindung fern und beschränkt sich auf neutrale Ursachenketten wie Dominosteine, dann ist jedem sofort klar, dass ohne Kontrollmöglichkeit dieser Ursachenketten keine Freiheit möglich ist. Insofern ist mein Freiheitsbegriff der intuitive.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Di 6. Mär 2012, 02:54

ganimed hat geschrieben:Ich habe davon gesprochen, dass eine Handlung akausal ERLEBT wird. Das Verb "erleben" bedeutet in meinem Sprachgebrauch nachgerade, dass es um Subjektivität geht. Deinen Hinweis auf Objektivität deute ich jetzt mal so, dass du mir zustimmst was das subjektive Erleben angeht. Wie "erleben" eine Illusion, die sich objektiv wie du ganz richtig feststellst, nicht halten lässt (zumindest nicht, wenn man Determinist ist).

Nein, habe ich oben schon mehrfach gesagt. Ich erlebe eine konkrete (komplizierte, nicht bis ins Letzte durchschaubare) Überlegung, Entscheidung, Handlung weder als kausal, noch als akausal. Du magst das zwar so erleben - das kann ich nicht beurteilen - aber ich jedenfalls nicht. Und also gibt es hier kein 'wir'.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Einfluss sieht so aus, dass aus meinen Überlegungen, meinen Meinungen, meinen Einstellungen, meinem Wissen, meinen Wertungen, meinen Erkenntnissen, meinen Abwägungen sich eine Entscheidung und daraus wieder eine darauf folgende Handlung ergibt.

Das Umfallen des letzten Dominosteins (die darauf folgende Handlung) ergibt sich aus dem Umfallen der vorhergehenden Dominosteine (Überlegungen und Co). Das was du da beschreibst ist doch wieder nur die Ursachenkette. Ich hatte dich aber gebeten, mir zu schildern, wie du diese Kette beeinflussen, verändern, stoppen, in Gang setzen oder sonstwie manipulieren kannst. Ich fühle mich vorerst in meiner Ansicht bestätigt, dass diese Manipulationsfähgikeit genau deshalb nicht geschildert werden kann, weil sie nicht vorliegt. Ohne kausale Unabhängigkeit hat man diese Fähigkeit aus der Kausalkette zu springen einfach nicht.

Das, was ich tue, ist frei, wenn es hinreichend von mir abhängt und von mir gewollt wurde. 'Kontrolle' bedeutet, wie gesagt, dass etwas von mir abhängt. Und selbstverständlich wähle ich dann den Ablauf, wer oder was denn sonst?

Eine andere Bedeutung von Kontrolle gibt es nicht. (Übrigens: z.B. ein Thermostat kontrolliert die Raumtemperatur. Und das tut es nicht - und muss es auch nicht, wieso auch? - akausal tun.)

Behaupte ich jedenfalls jetzt mal ganz dreist. Du darfst mich gerne in diesem Punkt widerlegen. Indem Du einen besseren Begriff von 'Kontrolle' darlegst. In dem irgendwo Akausalität vorkommt. Indem Du also zeigst, dass Akausalität notwendige Bedingung für Kontrolle sei.

Oder Du zeigst, dass Akausalität irgendwelche Fähigkeiten herstellen könne, die man nicht haben kann, wenn alles kausal abläuft. Ich glaube nicht, dass Du das kannst. Aber bitte, tue es einfach.

Was bedeutet: "aus der Kausalkette springen" überhaupt konkret? Beispiel? Darunter kann ich mir nichts vorstellen. Oder meinst Du damit schlicht, dass man plötzlich zusammenhanglos etwas völlig Zufälliges tut? So wie ein Mensch mit Tourette-Syndrom plötzlich und zusammenhanglos und (mal angenommen) akausal zuckt? Aber wenn ja: was hat das mit Kontrolle zu tun, das ist doch im Gegenteil ein gutes Beispiel für etwas, das außerhalb jeglicher Kontrolle liegt, oder etwa nicht? Und wenn nein: wie sonst?

ganimed hat geschrieben:Ich sage in fast jedem Posting gebetsmühlenartig, dass mein Freiheitsbegriff logisch leer ist, dass es einen freien Willen nicht gibt. Und du würdest mir das genau dann abkaufen, wenn ich dir darlegen könnte, dass es ihn doch gibt und wie er zu erreichen wäre? Erst wenn ich dir zeigen könnte, dass meine Aussage falsch ist, würdest du sie glauben? Soll das ein Witz sein?

Mein Punkt hier ist schlicht: Du behauptest, dass Freiheit und Kausalität sich ausschlössen. Und dafür habe ich noch kein Argument von Dir gesehen, außer Deiner Aussage, dass Dir das plausibel erscheint. Aber das reicht nicht, denn mir erscheint das nicht plausibel.

ganimed hat geschrieben:Eine Entscheidung ist erst frei, wenn ich Kontrolle über die Entscheidungsfindung habe. Ich meine allerdings "Kontrolle" im Sinne von "verändern können", "etwas am Entscheidungsprozess bestimmen können" und du verstehst unter Kontrolle scheinbar einfach nur den Vorgang der Prozessierung. Du schaust dem Umfallen der Dominosteine, dem Ablauf der Kausalkette einfach nur tatenlos zu und behauptest trotzdem, deine Entscheidung kontrollieren zu können? Ich glaube, du irrst dich einfach nur. Tatenloses Zuschauen ist kein Kontrollieren.

Nein, ich schaue eben nicht tatenlos zu, ich bin ja ein Teil der Kausalketten. Es gibt Dinge, die ich tue (und überlege, entscheide etc.) und Dinge, die ich nicht tue, überlege, entscheide etc.

Was hat das mit Kausalketten zu tun, bzw. inwiefern können Kausalketten da etwas dran ändern? Oder NICHT-Kausalketten?

Aber ich verstehe eh nicht, was Du unter 'Kontrolle' verstehst. Wahrscheinlich sagst Du an der Stelle mal wieder: "Kontrolle gibt es nicht, der Begriff ist logisch leer". Ist er aber nicht. Ich kontrolliere diesen Beitrag und Du Deinen und ich nicht Deinen und Du nicht meinen.

ganimed hat geschrieben:Im Grunde hast du denselben Freiheitsbegriff wie ich, nämlich die intuitive Annahme, dass eine Handlung nur frei ist wenn man sie kontrolliert. Jetzt müsstest du mir nur noch glauben, dass eine Kontrolle genau die Manipulation einer Ursachenkette bedeuten würde. Und diese Manipulation ist, das liegt in der Natur von Ursachenketten, nur erreichbar durch kausale Unabhängigkeit. Die Fähigkeit, eine Ursachenkette abzuändern, ist praktisch die Definition von kausaler Unabhängigkeit.

Manipulieren kann man eine Kausalkette dann, wenn man sie erkennt, versteht, ihre Folgen alternative Abläufe abwägen kann und seine Handlung(en) danach ausrichten kann. Das bedeutet aber doch nicht, dass man außerhalb (aller) Kausalketten stehen müsste. Zumindest sehe ich nicht wieso und ich kann mir das auch nicht mal im Ansatz vorstellen.

Wenn Du das darstellen könntest - das wäre mal was. Aber das kannst und wirst Du nicht, da bin ich pessimistisch. Du wirst einfach stur grundlos weiter behaupten, dass sich Kontrolle und Kausalität ausschlössen. Wie das jeder tut, der derartiges behauptet.

Das ist zum Mäusemelken. Wenn Du mal eine Alternative darstellen könntest, mal Deinen Freiheits- und / oder Kontrollbegriff festnagelbar darlegen würdest! Und zwar so, dass jeder sagen würde: "ja, das ist es, nicht das, was AgentProvocateur darunter versteht, was detr darunter versteht, ist ein Witz, ein fades Surrogat von echter Freiheit und echter Kontrolle!".

Solange Du das nicht kannst, nur immer wieder müde sagst: "ja, kann ich nicht darstellen, noch nicht mal die notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafür, ich kann nur sagen, dass meine Begriffe intuitiv plausibel sind, (ohne aber darstellbar zu sein), und aber gleichzeitig logisch unmöglich sind", machst Du hier keinen einzigen Punkt.

Das einzige Argument, das ich bisher bei Dir herausfiltern konnte, war dieses: "es ist laut meiner Intuition richtig, dass Kausalität / Determination und Freiheit / Kontrolle sich ausschließen". Aber das ist sehr dünn, insbesondere, weil ich diese Intuition nicht teile. Und weil ich meine, dass andere die auch nicht teilen, dass die keineswegs einen logisch leeren Begriff von 'Freiheit' und 'Kontrolle' haben.

Und wenn Du Dich wieder beklagst, dass ich Deine Argumente damit nicht hinreichend gewürdigt habe: dann lege die doch bitte mal alle und komplett stichpunktartig dar!

Ansonsten sehe ich nicht, wie wir hier weiterkommen können.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:2. mir fehlt die Darstellung, wie eine 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' irgendwie eine Entscheidung und Handlung nachvollziehbar kontrollierbarer (oder gar: überhaupt erst kontrollierbar) machen könnte - weil nämlich 'Unabhängigkeit von Kausalketten / Ursachen' meiner Ansicht nach nur auf reinen Zufall hinauslaufen kann und reiner Zufall Kontrolle ausschließt

Diese Darstellung fehlt mir ja auch. Weshalb ich dir ja auch zustimme, dass mein Freiheitsbegriff genau deshalb leer ist. Ich behaupte also wirklich, dass der freie Wille im Determinismus gar nicht existieren kann.

Nein, das ist ja nicht korrekt, Du behauptest, dass Dein Freiheitsbegriff logisch unmöglich ist. Was bedeutet, dass er niemals, in keiner logisch möglichen Welt erfüllt sein kann, (niemand in keiner logisch möglichen Welt in Deinem Sinne frei sein kann).

Die Behauptung aber, Freiheit sei nur! im Determinismus unmöglich, ist eine andere.

Aber egal: da Dein Argument einzig Deine Intuition ist, bleibt Dir nur, irgendwie zu zeigen, dass Deine Intuition weit verbreitet ist. Da ich aber einige Studien dazu kenne, meine ich, dass das nicht stimmt und Dir das daher nicht gelingen kann. Ich lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:3. ich gebe zu, dass Menschen nicht alles kontrollieren können, insbesondere können sie nicht die Umstände, in die sie hineingeboren werden, kontrollieren. Und wären diese Umstände, die vor ihrer Geburt lagen, nur ein wenig anders gewesen, dann wären sie selber wahrscheinlich auch anders - nur meine ich nicht, dass das jemand ernsthaft anders sieht

Die Befragten in der von dir zitierten Studie sahen das anders. Sie konnten sich so wenig vorstellen, dass man von äußeren Umständen (der Adoptionsentscheidung) abhängig ist, dass sie, als sie ein Szenario präsentiert bekamen, wo ausdrücklich gesagt wurde, dass der Geldbörseneinbehalt nur von diesem äußeren Faktor abhinge, dennoch meinten, dass die beiden Brüder souverän, selber und frei entschieden hätten.

Nein, all das stand nicht in der Studie. Du konstruierst hier die übliche falsche Dichotomie der Inkompatibilisten: entweder ist man komplett Herr über sich selber - d.h. komplett von äußeren Umständen unabhängig - oder man ist komplett unfrei. Aber kein Mensch glaubt so was - weder, dass sie alles kontrollieren könnten, noch, dass daraus folge, dass man komplett unfrei sei.

ganimed hat geschrieben:Das zeigt, wie wenig intuitiv und verbreitet die Konsequenz aus dem Determinismus ist.

Aber was ist denn Deiner Ansicht nach die Konsequenz aus dem Determinismus:

1. Dass man nicht alles komplett kontrollieren kann?
2. Oder dass man gar nichts kontrollieren könne?

Die 1. ist völlig banal und uninteressant, niemand glaubt sowas, also juckt das wohl auch keinen. Aber die 2. hätte interessante Folgen, (falls das jemand vertreten wollen würde). Willst Du also auf die 2. hinaus?

ganimed hat geschrieben:Und mein Beispiel mit dem akausalen Erleben beim am Kopf kratzen zeigt, dass wir eher die Akausalität als intuitiv wahrnehmen. Bleibt man aber dem selbst erlebten und von Illusionen durchtränkten Gebiet der menschlichen Entscheidungsfindung fern und beschränkt sich auf neutrale Ursachenketten wie Dominosteine, dann ist jedem sofort klar, dass ohne Kontrollmöglichkeit dieser Ursachenketten keine Freiheit möglich ist. Insofern ist mein Freiheitsbegriff der intuitive.

Ich denke das aber nicht. Ich denke, dass sich Dominosteine und Menschen grundlegend unterscheiden. Dominosteine denken nicht, entscheiden nicht, handeln nicht. Daher wirst Du auf wenig Verständnis stoßen, wenn Du behauptetest, dass Menschen und Dominosteine ebenso entscheidungs- und handlungsunfrei seien wie Dominosteine. Daran ist gar nix intuitiv richtig, da wirst Du keine Zustimmung finden. (Dazu nochmal diesen Link: SEP - Arguments for Incompatibilism - Arguments based on Intuition. Das Argument: "Determinismus bedeutet, dass wir wie Billiardbälle, Dominosteine, Roboter, Spielzeuge etc. sind", ist das mieseste Argument überhaupt der Inkompatibilisten.)
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Das ist nun leider sehr lang geworden.

Ich fasse mal zusammen:

- ich verstehe unter 'Kontrolle': etwas hängt von mir, d.h. meinen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen ab
- etwas, das überhaupt nicht von mir abhängt, was ich nicht beeinflussen kann, liegt folglich außerhalb meiner Kontrolle
- unter 'Freiheit' verstehe ich: a) die Fähigkeit, mögliche Verläufe von gedachten Alternativen abschätzen zu können und b) die Fähigkeit, die als von mir als die beste angesehene Alternative in die Tat umsetzen zu können
- was Du unter Freiheit und Kontrolle verstehst, ist mir immer noch unklar geblieben, ich glaube nicht, dass Du das bislang hinreichend erläutert hast
- wieso Kausalität / Determinismus meinen Begriffen von Kontrolle / Freiheit widersprechen, was diese damit zu tun haben, ist mir bisher unklar geblieben
- falls aber meine Begriffe von Kontrolle / Freiheit unzureichend / witzlos / ungebräuchlich / wie auch himmer sein sollten, dann ist mir bisher auch unklar geblieben, wieso eigentlich
- ich meine im Gegenteil, dass meine o.g. Begriffe mehrheitsfähig sind und Begriffe, die einfach nur nichts umfassen - so wie Deine - mitnichten die landläufige Bedeutung abdecken können
- und Deine Begriffe, die ich nicht verstehe, aus genau diesem Grunde (=> sind unverständlich, nicht vermittelbar) nicht
- Deine Intuition, (Du habest bei Deinen Entscheidungen und Handlungen die Intuition, die erfolgten irgendwie akausal), kann ich nicht nachvollziehen
- ich glaube nicht, dass viele Leute eine ebensolche Intuition haben wie Du
- woraus folgt, dass nur Du einer Illusion unterliegst, (angenommen, Deine Entscheidungen und Handlungen erfolgten tatsächlich völlig kausal), andere aber so oder so nicht, (falls die nicht Deine Intuition teilen)
- und falls Du tatsächlich diese Intuition hast - die ich nicht nachvollziehen kann - dann wäre es sehr nett, wenn Du die mal explizit erläutern würdest. Wann genau, an welcher Stelle, meinst Du, dass da irgendwas Akausales sei / abliefe / stattfände? Und inwiefern und wieso meinst Du, dass das notwendige Bedingung für Kontrolle / Freiheit sei? Wie könnte - mal beispielhaft dargelegt - Akausalität irgendwie Kontrolle / Freiheit herstellen, was aber kausal nicht möglich sei?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 6. Mär 2012, 20:11

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich erlebe eine konkrete (komplizierte, nicht bis ins Letzte durchschaubare) Überlegung, Entscheidung, Handlung weder als kausal, noch als akausal. Du magst das zwar so erleben - das kann ich nicht beurteilen - aber ich jedenfalls nicht.

Bleiben wir doch mal bei dem von mir angesprochenen Beispiel einer Handlung, bei der man nicht lange überlegt (und wenn man den Hirnforschern glauben will, und wer wollte das nicht, ist unser Alltag voll von solchen Handlungen): wenn du dich am Kopf kratzt, ganz spontan und ohne vorher zu überlegen, dann erlebst du das doch als akausal, d.h. du erlebst keinen Grund für die Handlung, machst dir kausale Faktoren in dem Moment nicht bewusst. Stimmt doch oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:Das, was ich tue, ist frei, wenn es hinreichend von mir abhängt und von mir gewollt wurde.

Stell dir mal das folgende Beispiel vor. Es gibt eine mechanische Puppe. Hinter ihr ist ein Knopf A. Vor ihr ist ein Knopf B.
Wenn man A drückt, wird ein Mechanismus in Gang gesetzt - über mehrere Schalter, Hebel und Zahnräder - so dass die Puppe davor so bewegt wird, dass deren Hand den Knopf B drückt.
Nun behauptet die Puppe, dass sie frei sei, weil das Drücken des B-Knopfes hinreichend von ihr abhängt und sie das auch gewollt habe. (Die Puppe sei so konstruiert, dass ihr Wille ebenfalls durch die komplexe Mechanik gebildet wird und jeweils mit der Handbewegung der Puppe übereinstimmt).
Ich hoffe du stimmst mir zu, dass diese Puppe nicht frei ist, sondern ihre eigene Freiheit nur als Illusion erlebt. Dennoch ist deine oben genannte Formulierung erfüllt. Der B-Knopfdruck hängt ausschließlich von der Puppe ab (keine andere Hand kommt dem B-Knopf auch nur nahe) und ist von ihr gewollt. Verfolgt man jedoch die Ursachenkette weiter, schaut man sich den Mechanismus an, dann wird einem klar, dass die inneren Ursachen der Puppe letztlich von äußeren Ursachen - nämlich dem Knopf A - abhängen. (Genau diesen Umstand habe ich bereits versucht mit den Dominosteinen oder dem Wind-Apfel-Fensterbeobachtungs-Assoziationen-Bild zu skizzieren).
Man könnte natürlich willkürlich den Begriff Freiheit genau so definieren: wenn der B-Knopfdruck von 3 Dingen abhängt, die innerhalb des Puppenkörpers angeordnet sind, dann ist das "hinreichend" von der Puppe abhängig, dann nenne ich das einfach mal graduelle Freiheit. Aber in diesem mechanischen Beispiel wird dieser Definition wohl kaum jemand zustimmen.

Wieso ist ein Mensch also frei, wenn ich ihn an den Platz der Puppe setze? Hinter dem Menschen löse ich mit dem Knopf A den Wind aus, der den Apfel vom Baum rüttelt, was den Menschen dazu veranlasst, eine bestimmte Assoziation zu haben und daraufhin einen Artikel zu schreiben (Knopf B zu drücken). Es wäre lachhaft, wenn dieser Mensch der Puppe keine Freiheit zugesteht, sich aber als frei empfindet und meint, den Vorgang zumindest teilweise "kontrolliert" zu haben.

AgentProvocateur hat geschrieben:'Kontrolle' bedeutet, wie gesagt, dass etwas von mir abhängt. Und selbstverständlich wähle ich dann den Ablauf, wer oder was denn sonst?

Was hängt denn bitteschön von dir ab?
a) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann steuerst du sie ja nicht. Die Richtung der Kette und sein Ausgang hängt also nicht von dir ab.
b) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann initiierst du sie nicht, denn der ursächliche Auslöser ist ja außerhalb von dir, du bist kein Erstverursacher.
c) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann stoppst du sie nicht, denn alles läuft kausal ab und die Kette ist nicht stoppbar.
Du kannst nicht lenken, nicht starten, nicht stoppen, nur prozessieren. Deine Gedanken vollziehen die ursächlichen Abhängigkeiten, sie manipulieren sie aber nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, ich schaue eben nicht tatenlos zu, ich bin ja ein Teil der Kausalketten. Es gibt Dinge, die ich tue (und überlege, entscheide etc.) und Dinge, die ich nicht tue, überlege, entscheide etc.

Auf der Ausführungsebene bist du nicht tatenlos, das stimmt. Du führst halt aus. Auf der Entscheidungsebene, da wo gesteuert und entschieden wird, da bist du tatenlos und kannst nichts machen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Manipulieren kann man eine Kausalkette dann, wenn man sie erkennt, versteht, ihre Folgen alternative Abläufe abwägen kann und seine Handlung(en) danach ausrichten kann. Das bedeutet aber doch nicht, dass man außerhalb (aller) Kausalketten stehen müsste.

Was meinst du hier mit Manipulation einer Kausalkette? Was an der Kette verändert sich durch die Manipulation? Gib mal bitte ein Beispiel.

Und was meinst du hier mit "alternative Abläufe"? Eine Kausalkette hat doch keine Alternativen. Fällt der erste Dominostein um, dann fällt der zweite um. Es gibt für den zweiten Stein keine in Frage kommenden Alternativen. Wenn du in Gedanken Alternativen abwägst (vielleicht meinst du das), dann ist das auch nur ein Prozessieren und keine echte Auswahl. Du ermittelst ein eindeutiges Ergebnis ohne echte Wahlmöglichkeit und das Ergebnis hängt einzig und allein von den Ursachen ab.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das ist zum Mäusemelken. Wenn Du mal eine Alternative darstellen könntest, mal Deinen Freiheits- und / oder Kontrollbegriff festnagelbar darlegen würdest!

Ja wenn ich das doch nur machen würde. Ach Moment, mache ich ja, ständig und gerade heute wieder. Mein Beispiel mit der Puppe veranschaulicht klar und deutlich, wieso Akausalität eine notwendige Bedingung für meinen Freiheitsbegriff ist. Solange die Puppe rein mechanisch und streng kausal an den Mechanismus hinter ihr angeschlossen ist, kann sie nicht frei über Knopf B entscheiden. Und da nahezu jeder mir zustimmt in der bewertung, dass die Puppe im Beispiel tatsächlich nicht frei ist obwohl sie deinen Freiheits-Teilaspekt erfüllt, konnte ich damit zeigen, dass mein Freiheitsbegriff an dieser Stelle zumindest intuitiver ist als deiner, dem bei Anwendung im Puppenbeispiel niemand zustimmt.
Analoge Versuche aus der Vergangenheit fallen mir ein. Die Eisenbahnen und Schienen, die Situationenfolgen S1, S2, ... und auch die Dominosteine. Diese Analogien zeigen, wie intuitiv die Annahme ist, dass es sich nicht um Freiheit handelt wenn etwas kausal abläuft. Und der Witz ist, dass bei diesen Analogien der wesentliche Aspekt menschlicher Entscheidungen (nämlich der kausale) berücksichtigt ist. Wenn nun auch noch die Zurückübersetzung aus der Analogie zurück in die menschliche Entscheidung klappen würde, dann wäre der Inkompatibilismus absolut intuitiv. Mein Freiheitsbegriff, so zeigt dieser Umstand, ist intuitiv (solange man erkennbar in der Mechanik bleibt), nur eben nicht die Einsicht, dass wir als Mensch ebenso kausal sind wie Dominosteine. Selbst du als geübter Denker verirrst dich ja regelmäßig in so falsche Aussagen wie: "Ich denke, dass sich Dominosteine und Menschen grundlegend unterscheiden. Dominosteine denken nicht, entscheiden nicht, handeln nicht." Das Wesen der Analogie scheint hier komplett an dir vorbeigerauscht zu sein. Genau so gut hättest du argumentieren können, dass Dominosteine sich grundlegend von Menschen unterscheiden, weil sie mit "D" anfangen und nicht mit "M". Auf alle diese Unterschiede kommt es ja eben nicht an, behaupte ich. Die von dir genannten Unterschiede sind genau deshalb eben nicht grundlegend.
Wie wäre es also, wenn du zeigen könntest, wieso es plötzlich darauf ankommt, dass man denken kann? Was für eine Freiheit und Unabhängigkeit von der kausalen Kette bekommt man, wenn man statt "umzufallen" einfach "denkt"?
Ich behaupte, der Dominostein prozessiert die Ursachenkette durch sein Umfallen (Anstoß, Handlung, Wirkung, fertig). Und genau dasselbe machst du beim Denken (Anstoß entgegennehmen, Gedanken denken, wirken lassen und fertig). Dein Denkprozess enthält also alle wesentlichen Merkmale der Ursachenkette, genau wie eine Reihe umfallender Dominosteine.

AgentProvocateur hat geschrieben:- ich verstehe unter 'Kontrolle': etwas hängt von mir, d.h. meinen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen ab
- etwas, das überhaupt nicht von mir abhängt, was ich nicht beeinflussen kann, liegt folglich außerhalb meiner Kontrolle
- unter 'Freiheit' verstehe ich: a) die Fähigkeit, mögliche Verläufe von gedachten Alternativen abschätzen zu können und b) die Fähigkeit, die als von mir als die beste angesehene Alternative in die Tat umsetzen zu können

Wenn du genau dies die Puppe sagen lässt, erkennst du vielleicht, wie intuitiv falsch dein Freiheitsbegriff ist.
Die Puppe sagt:
- ich verstehe unter 'Kontrolle': etwas hängt von mir, d.h. meiner Handbewegung ab
- etwas, das überhaupt nicht von mir abhängt, was ich nicht beeinflussen kann, liegt folglich außerhalb meiner Kontrolle
- unter 'Freiheit' verstehe ich: a) die Fähigkeit, entweder die Hand zu bewegen oder nicht, also insgesamt zwei mögliche Verläufe von gedachten Alternativen zu haben und b) die Fähigkeit, die kausal (von hinten) ausgelöste Alternative in die Tat umsetzen zu können.

Die Puppe ist, so empfindet jeder intuitiv, nicht frei. Die Puppe ist grundlegend, in Bezug auf die Abhängigkeit von kausalen Faktoren, in genau der gleichen Situation wie du. Deshalb ist deine Freiheitsdefinition in Wirklichkeit eben nicht intuitiv, sondern von der richtigen Seite aus betrachtet (wenn man das menschliche Tamtam um die Magie des Denkens bei der Puppe weglässt) intuitiv als falsch erkennbar.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 7. Mär 2012, 04:25

ganimed hat geschrieben:[...] ist unser Alltag voll von solchen Handlungen): wenn du dich am Kopf kratzt, ganz spontan und ohne vorher zu überlegen, dann erlebst du das doch als akausal, d.h. du erlebst keinen Grund für die Handlung, machst dir kausale Faktoren in dem Moment nicht bewusst. Stimmt doch oder?

Stimmt, dass ich in dem Falle keinen Grund für mein Verhalten erlebe, aber stimmt nicht, dass ich das deswegen als akausal erlebe.

Das eine folgt einfach nicht aus dem anderen. Man muss doch mitnichten aus dem Fakt, dass man etwas nicht nachvollziehen kann, schließen, dass dieses daher akausal erfolgte. Und ein wie auch immer geartetes Erleben folgt daraus auch nicht, wieso sollte es auch? Wieso begründest Du diese seltsame Schlussfolgerung nicht?

ganimed hat geschrieben:Stell dir mal das folgende Beispiel vor. Es gibt eine mechanische Puppe. Hinter ihr ist ein Knopf A. Vor ihr ist ein Knopf B.
Wenn man A drückt, wird ein Mechanismus in Gang gesetzt - über mehrere Schalter, Hebel und Zahnräder - so dass die Puppe davor so bewegt wird, dass deren Hand den Knopf B drückt.
Nun behauptet die Puppe, dass sie frei sei, weil das Drücken des B-Knopfes hinreichend von ihr abhängt und sie das auch gewollt habe. (Die Puppe sei so konstruiert, dass ihr Wille ebenfalls durch die komplexe Mechanik gebildet wird und jeweils mit der Handbewegung der Puppe übereinstimmt).
Ich hoffe du stimmst mir zu, dass diese Puppe nicht frei ist, sondern ihre eigene Freiheit nur als Illusion erlebt. Dennoch ist deine oben genannte Formulierung erfüllt. Der B-Knopfdruck hängt ausschließlich von der Puppe ab (keine andere Hand kommt dem B-Knopf auch nur nahe) und ist von ihr gewollt. Verfolgt man jedoch die Ursachenkette weiter, schaut man sich den Mechanismus an, dann wird einem klar, dass die inneren Ursachen der Puppe letztlich von äußeren Ursachen - nämlich dem Knopf A - abhängen. (Genau diesen Umstand habe ich bereits versucht mit den Dominosteinen oder dem Wind-Apfel-Fensterbeobachtungs-Assoziationen-Bild zu skizzieren).
Man könnte natürlich willkürlich den Begriff Freiheit genau so definieren: wenn der B-Knopfdruck von 3 Dingen abhängt, die innerhalb des Puppenkörpers angeordnet sind, dann ist das "hinreichend" von der Puppe abhängig, dann nenne ich das einfach mal graduelle Freiheit. Aber in diesem mechanischen Beispiel wird dieser Definition wohl kaum jemand zustimmen.

Dein Beispiel funzt aber dewsegen nicht, weil es niemanden gibt, der uns derart steuert wie die Puppe in Deinem Beispiel. Die Puppe in Deinem Beispiel weiß nicht, dass sie gesteuert wird und daher glaubt sie mE berechtigt, dass sie frei ist. Würde ihr aber jemand diesen Mechanismus zeigen, der sie steuert, dann würde sie auch einsehen, dass sie nicht frei ist.

Mit anderen Worten: um Dein Beispiel analog zu uns Menschen zu machen, müsstest Du diesen Mechanismus zeigen. Einen Mechanismus, auf den man keinen Einfluss hat. Egal, ob man den erkennt oder nicht: er wird von einem mächtigeren Wesen in Gang gesetzt.

Wenn Du das zeigen könntest, dass es jemanden gibt, der uns steuert, dann würde ich zugeben, dass wir nicht frei sind, weil wir dann die Puppen dieses höheren Wesens (Gott oder der Programmierer der Matrix oder was auch immer) wären.

Aber: ich glaube nicht, dass Du derartiges zeigen kannst. Und wenn nicht: dann läuft Dein Gleichnis einfach nur ins Leere. Es gibt schlicht keinen Kontrolleur, der uns derart - von Gedanken zu Gedanke und von Tat zu Tat - steuert, (zumindest würde ich das erst glauben, wenn Du das zeigen könntest).

ganimed hat geschrieben:Wieso ist ein Mensch also frei, wenn ich ihn an den Platz der Puppe setze? Hinter dem Menschen löse ich mit dem Knopf A den Wind aus, der den Apfel vom Baum rüttelt, was den Menschen dazu veranlasst, eine bestimmte Assoziation zu haben und daraufhin einen Artikel zu schreiben (Knopf B zu drücken). Es wäre lachhaft, wenn dieser Mensch der Puppe keine Freiheit zugesteht, sich aber als frei empfindet und meint, den Vorgang zumindest teilweise "kontrolliert" zu haben.

Aber Deine Analogie mit der Puppe ist leider komplett falsch, wie ich oben gezeigt habe. Es gibt niemanden irgendwie hinter uns, der uns (und unsere Entscheidungen und Handlungen) steuert. Wir müssen selber überlegen, entscheiden und handeln. Oder aber Du zeigst, dass es den sehr wohl gibt. Aber, wie geságt: das kannst Du ganz, ganz sicher nicht.

Was daher nur bleibt, ist eine leere und unpassende Analogie. ("Eine Puppe wird durch jemanden gesteuert, also werden wir auch durch jemanden gesteuert" - das ist leider einfach nur völliger Quark.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:'Kontrolle' bedeutet, wie gesagt, dass etwas von mir abhängt. Und selbstverständlich wähle ich dann den Ablauf, wer oder was denn sonst?

Was hängt denn bitteschön von dir ab?
a) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann steuerst du sie ja nicht. Die Richtung der Kette und sein Ausgang hängt also nicht von dir ab.
b) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann initiierst du sie nicht, denn der ursächliche Auslöser ist ja außerhalb von dir, du bist kein Erstverursacher.
c) Wenn du eine Ursachenkette prozessierst, dann stoppst du sie nicht, denn alles läuft kausal ab und die Kette ist nicht stoppbar.
Du kannst nicht lenken, nicht starten, nicht stoppen, nur prozessieren. Deine Gedanken vollziehen die ursächlichen Abhängigkeiten, sie manipulieren sie aber nicht.

Nein, Du steckst hier mal wieder diverse Vorausetzungen rein, die allesamt falsch sind. Z.B. die, dass, wenn es Kausalketten gibt, man irgendwie abseits dieser Kausalketten existieren würde, man sich als Homunkulus jenseits dieser welt existierend ansehen würde. Aber das ist einfach nur falsch - (falls man kein Anhänger des cartesischen Substanz-Dualismus ist), denn ich bin schlicht einige der Kausalketten. Und somit steuere ich sie auch, (= es liegt an mir, wie bestimmte Dinge ablaufen), und selbstvertändlich hängt der Ausgang von mir, (meinen Überlegungen, Entscheidungen, Handlungen), ab. Ist doch vollkommen logisch: nämest Du mich aus der Welt hinaus, liefe vieles anders ab. Und zwar das, auf das ich einen Einfluss habe.

Ein Erstverursacher bin ich zwar nicht, aber das ist doch nur ein lachhafter Strohmann. Nur der Urknall, (falls es den gab), oder vielleicht auch Gott, (falls es den gibt), kann ein Erstverursacher sein. Keine normaler Mensch glaubt aber doch ernsthaft, Menschen seien Erstverursacher - in dem Sinne, dass sie - völlig unbeeinflusst von allen Gegebenheiten - eine Kausalkette anstoßen könnte.

(Und überhaupt macht sich kein durchschnittlicher Mensch Gedanken über Kausalketten.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, ich schaue eben nicht tatenlos zu, ich bin ja ein Teil der Kausalketten. Es gibt Dinge, die ich tue (und überlege, entscheide etc.) und Dinge, die ich nicht tue, überlege, entscheide etc.

Auf der Ausführungsebene bist du nicht tatenlos, das stimmt. Du führst halt aus. Auf der Entscheidungsebene, da wo gesteuert und entschieden wird, da bist du tatenlos und kannst nichts machen.

Weil? Was verstehst Du überhaupt unter "was machen"?

Und wer macht denn was, wenn nicht die Leute? Wer oder was ist nicht "tatenlos"?

Wer oder was also sind (ist) Deiner Ansicht nach der tatsächliche Akteure (der tatsächliche Akteur) in Deiner Welt? Und: wenn Du selber kein Akteur bist, woher weißt Du dann, dass das, was Du sagst, richtig ist? Dafür muss es doch dann einen guten Grund geben, und zwar einen anderen als den, dass Du Deine Aussagen bewerten und steuern kannst - weil Du dann ja kein Akteur sein kannst - laut Deiner Behauptung.

Aber wenn Du kein Akteur bist: wie kommst Du darauf, dass Du in irgend einem Sinne substantiierte Aussagen treffen könntest?

Da sehe ich einen performativen Selstwiderspruch: wer behauptet, dass niemand etwas bewerten, entscheiden und tun könne, der muss diese Aussage auch auf diese Aussage selber anwenden. Ist doch völlig logisch.

Und wenn die Aussage wahr ist, dann ist sie gleichzeitig auch irrelevant, dann könnte sie auch gegenteilig sein.

Aber das will natürlich keiner wahrhaben. ich verstehe aber nicht, wieso nicht?

Wenn niemand etwas überlegen, bewerten, entscheiden und nicht handeln kann, dann ist jegliche Überlegung, Entscheidung, Bewertung, Behauptung und Handlung einfach nur irrelevant.

Oder willst Du lediglich behaupten, dass niemand Letzturheber, Letztverursacher sei? Aber das liefe schlicht ins Leere, weil das eh niemand glaubt, nicht?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Manipulieren kann man eine Kausalkette dann, wenn man sie erkennt, versteht, ihre Folgen alternative Abläufe abwägen kann und seine Handlung(en) danach ausrichten kann. Das bedeutet aber doch nicht, dass man außerhalb (aller) Kausalketten stehen müsste.

Was meinst du hier mit Manipulation einer Kausalkette? Was an der Kette verändert sich durch die Manipulation? Gib mal bitte ein Beispiel.

Und was meinst du hier mit "alternative Abläufe"? Eine Kausalkette hat doch keine Alternativen. Fällt der erste Dominostein um, dann fällt der zweite um. Es gibt für den zweiten Stein keine in Frage kommenden Alternativen. Wenn du in Gedanken Alternativen abwägst (vielleicht meinst du das), dann ist das auch nur ein Prozessieren und keine echte Auswahl. Du ermittelst ein eindeutiges Ergebnis ohne echte Wahlmöglichkeit und das Ergebnis hängt einzig und allein von den Ursachen ab.

"Alternative Abläufe" sind gedachte, vorgestellte Abläufe.

"Was wäre, wenn?" (Auf die Zukunft bezogen)
"Was wäre gewesen, wenn?" (Auf die Vergangenheit bezogen)

Aber ein alternativer Ablauf ist selbstverständlich niemals Folgender: "es kam anders, als es kam, es ist anders, als es ist, es wird anders sein, als es sein wird".

Aber bitte: nenne Du doch mal einen alternativen Ablauf, der irgendwie Freiheit in Deinem Sinne herstellen würde. Du darfst dazu gerne ein Wesen mit noch so abstrusen magischen wie auch immer Fähigkeiten herannnehmen, einen Gott, der allmächtig ist oder was auch immer. Und dann, wenn Du das geleistet hast, (aber: selbst das kannst Du nicht leisten, selbst ein Gott könnte in Deinem Sinne nicht frei sein), dann bringe das auf einen menschliche Perspektive, so dass es auf Menschen anwendbar ist.

Wir sind nicht gottähnlich, aber das bedeutet doch keineswegs, dass wir keine Kontrolle über die Welt haben könnten.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:- ich verstehe unter 'Kontrolle': etwas hängt von mir, d.h. meinen Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen ab
- etwas, das überhaupt nicht von mir abhängt, was ich nicht beeinflussen kann, liegt folglich außerhalb meiner Kontrolle
- unter 'Freiheit' verstehe ich: a) die Fähigkeit, mögliche Verläufe von gedachten Alternativen abschätzen zu können und b) die Fähigkeit, die als von mir als die beste angesehene Alternative in die Tat umsetzen zu können

Wenn du genau dies die Puppe sagen lässt, erkennst du vielleicht, wie intuitiv falsch dein Freiheitsbegriff ist.
Die Puppe sagt:
- ich verstehe unter 'Kontrolle': etwas hängt von mir, d.h. meiner Handbewegung ab
- etwas, das überhaupt nicht von mir abhängt, was ich nicht beeinflussen kann, liegt folglich außerhalb meiner Kontrolle
- unter 'Freiheit' verstehe ich: a) die Fähigkeit, entweder die Hand zu bewegen oder nicht, also insgesamt zwei mögliche Verläufe von gedachten Alternativen zu haben und b) die Fähigkeit, die kausal (von hinten) ausgelöste Alternative in die Tat umsetzen zu können.

Aber Du stellst Dich hier, (gegenüber der Puppe), auf einen übergeordneten Standpunkt. Den "god's point of view".

Die Puppe hat - von ihrem Standpunkt aus gesehen - ebenso recht wie wir, wenn sie sich als frei ansieht.

Von unserem Standpunkt - der mehr Wissen beinhaltet - hat sie natürlich nicht recht.

Aber: um Deine Analogie mit der Puppe auf uns anwenden zu können, müsstest Du jetzt analog dazu zeigen, dass es ebenso einen zu uns übergeordneten Standpunkt gibt. Aber das kannst Du ganz sicher nicht. Und deswegen ist Deine Analogie völlig Banane, für die Katz, bringt gar nichts, ist nicht auf uns anwendbar.

ganimed hat geschrieben:Die Puppe ist, so empfindet jeder intuitiv, nicht frei. Die Puppe ist grundlegend, in Bezug auf die Abhängigkeit von kausalen Faktoren, in genau der gleichen Situation wie du. Deshalb ist deine Freiheitsdefinition in Wirklichkeit eben nicht intuitiv, sondern von der richtigen Seite aus betrachtet (wenn man das menschliche Tamtam um die Magie des Denkens bei der Puppe weglässt) intuitiv als falsch erkennbar.

Man kann aber das Denken nicht weglassen. Das Denken, (die Fähigkeit dazu, zu erkennen, zu werten, Folgen abzuschätzen), ist genau das, was ich meine, was unsere Freiheit ausmacht. Und auch ein Weglassen von irgendwas erfordert übrigens Denkfähigkeit.

Meine Freiheitsdefinition, mein Freiheitsverständnis ist intiutiv und allgemein verständlich und auch allgemein anerkannt.

Und Du hast gar nichts, außer Deiner unbegründeten Behauptung, dass sich Kausalität und Freiheit auschließen würden und sich auch Akausalität und Freiheit auschließen würden. Was aber einfach nur absurd ist, wenn man es näher bedenkt. Und mitnichten intuitiv plausibel.

Aber: wenn Du zeigen könntest, dass die (meisten) anderen Deinen Freiheitsbegriff teilen, dann könntest Du dennoch einen Punkt hier machen. Aber: dazu reicht es mitnichten, auf Leute hinzuweisen, die ebenso wie Du glauben, dass die (meisten) anderen Leute das glauben. Solche Leute gibt es unbestritten in Massen, die das unbegründet glauben und behaupten, (= dass sie - einfach so!!! - wissen, was die (meisten) anderen Leute glauben). Aber das ist natürlich völlig irrelevant und schlicht grottendämlich; relevant wäre hier nur, zu zeigen, was die (meisten) anderen Leute tatsächlich! glauben.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 7. Mär 2012, 10:44

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Beispiel funzt aber dewsegen nicht, weil es niemanden gibt, der uns derart steuert wie die Puppe in Deinem Beispiel. Die Puppe in Deinem Beispiel weiß nicht, dass sie gesteuert wird und daher glaubt sie mE berechtigt, dass sie frei ist. Würde ihr aber jemand diesen Mechanismus zeigen, der sie steuert, dann würde sie auch einsehen, dass sie nicht frei ist.

Mit anderen Worten: um Dein Beispiel analog zu uns Menschen zu machen, müsstest Du diesen Mechanismus zeigen. Einen Mechanismus, auf den man keinen Einfluss hat. Egal, ob man den erkennt oder nicht: er wird von einem mächtigeren Wesen in Gang gesetzt.

Wenn Du das zeigen könntest, dass es jemanden gibt, der uns steuert, dann würde ich zugeben, dass wir nicht frei sind, weil wir dann die Puppen dieses höheren Wesens (Gott oder der Programmierer der Matrix oder was auch immer) wären.

Aber: ich glaube nicht, dass Du derartiges zeigen kannst. Und wenn nicht: dann läuft Dein Gleichnis einfach nur ins Leere. Es gibt schlicht keinen Kontrolleur, der uns derart - von Gedanken zu Gedanke und von Tat zu Tat - steuert, (zumindest würde ich das erst glauben, wenn Du das zeigen könntest).


Hypnoseexperimente wären nahe Analogien zu ganimeds Puppenbeispiel. Der Clou bei posthypnotischen Befehlen ist, dass man teilweise absurde Dinge tut, die einem jemand suggeriert hat, gleichzeitig aber der Überzeugung ist, man würde aus freien Stücken handeln und zudem gute Gründe für seine Handlungen angeben kann.
Aufgrund dieser Beobachtungen führte Freud seine Idee des Unbewussten und der Rationalisierungen ein.

Ein ähnliches Szenario wollte ich hier viewtopic.php?f=5&t=4012&p=85779#p85754 im unteren Beispiel skizzieren, ist aber irgendwie nicht angekommen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 7. Mär 2012, 13:41

AgentProvocateur hat geschrieben:Stimmt, dass ich in dem Falle keinen Grund für mein Verhalten erlebe, aber stimmt nicht, dass ich das deswegen als akausal erlebe.

Das musst du mir näher erläutern. Akausal übersetze ich mit "grundlos", und wenn man keinen Grund für sein Verhalten erlebt, dann, so hätte ich gedacht, erlebt man es also "akausal". Worin besteht für dich der Unterschied zwischen "keinen Grund erleben" und "akausal erleben"?

AgentProvocateur hat geschrieben:Dein Beispiel funzt aber dewsegen nicht, weil es niemanden gibt, der uns derart steuert wie die Puppe in Deinem Beispiel.

Das Prinzip ist doch aber dasselbe. Ein Mensch in einer deterministischen Welt macht alles was er macht als Folge von kausalen Faktoren. Genau dasselbe gilt auch für die Puppe. Vielleicht verwirrt dich in dem Beispiel der gezielte, manipulative Steuerungseffekt. Dann ändere ich das Beispiel. Der Mechanismus hinter der Puppe besteht nicht aus einem Knopf (den jemand gezielt drücken könnte) sondern aus 17 Sensoren, die Windrichtung, Raumtemperatur, was weiß ich, irgendwelche physikalischen Größen messen. Eine kleine Recheneinheit berechnet aus diesen 17 Werten dann, ob gedrückt wird oder nicht. Dann gäbe es also keinen bewussten, absichtsvollen Steuermann hinter der Puppe. Einfach nur einen mehr oder weniger sinnlosen Mechanismus, der, und das scheint mir das wesentliche zu sein, dem Gesetz von Ursache und Wirkung folgt.
Ob der Knopf B gedrückt wird, hängt von der Puppe ab. Die Ursachenkette geht aber weiter, durch die Puppe hindurch und es hängt dann eben letztlich von der physikalischen Umgebung ab (welche wiederum von anderen Dingen abhängt). Und ganz genau so ist es mit deinen Handlungen. Sie hängen zunächst von dir ab, die Ursachenketten laufen aber durch dich hindurch und ab Dominostein 917 abwärts verlassen sie dann deinen Körper und stellen Fremdeinflüsse dar. Du bist kein bisschen freier als die Puppe, meine ich.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt niemanden irgendwie hinter uns, der uns (und unsere Entscheidungen und Handlungen) steuert. Wir müssen selber überlegen, entscheiden und handeln.

Wir müssen selber überlegen, entscheiden und handeln? Was redest du da? Du musst genau dann überlegen, wenn alle Gründe für die Überlegung vorliegen. Du musst genau dann entscheiden, wenn alle kausalen Faktoren da sind. Und ebenso folgt deine Handlung genau dem Kausalitätsprinzip. Deine Überlegung ist in dieser Hinsicht also nichts anderes als die Handbewegung der Puppe. Sie erfolgt, ja, aber sie erfolgt nicht frei sondern zu 100% abhängig von kausalen Faktoren.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was daher nur bleibt, ist eine leere und unpassende Analogie. ("Eine Puppe wird durch jemanden gesteuert, also werden wir auch durch jemanden gesteuert" - das ist leider einfach nur völliger Quark.)

Ich würde meine Analogie anders auf den Punkt bringen. Eine Puppe ist Teil eines Ursache-Wirkungs-Prinzips und wir sind es auch (daran zweifelt ja auch keiner). Und jetzt kommt der Clou: die Puppe ist offensichtlich unfrei und wir sind es demnach auch, wenn letzteres auch nicht ganz so offensichtlich für dich zu sein scheint.

AgentProvocateur hat geschrieben:ich bin schlicht einige der Kausalketten. Und somit steuere ich sie auch, (= es liegt an mir, wie bestimmte Dinge ablaufen), und selbstvertändlich hängt der Ausgang von mir, (meinen Überlegungen, Entscheidungen, Handlungen), ab.

Ich habe dir ein Beispiel für eine Kausalkette genannt (Wind-Apfel-Fensterbeobachtung-Assoziation-Idee-Beitrag schreiben). Und ich habe dich gebeten, mir zu beschreiben, wie du dir eine Steuerung dieser Kausalkette vorstellst, anhand dieses Beispiels. Entweder ich habe etwas überlesen oder du hast noch keine solche Erläuterung geliefert. Könntest du sie jetzt bitte noch einmal wiederholen bzw. mal geben?
Falls du das nicht kannst, würde ich gerne von dir wissen, wie du auf die Behauptung kommst, dass du Kausalketten steuern kannst.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Auf der Entscheidungsebene, da wo gesteuert und entschieden wird, da bist du tatenlos und kannst nichts machen.

Weil? Was verstehst Du überhaupt unter "was machen"?

Unter "machen" verstehe ich "die Kausalkette manipulieren", was sozusagen dem Ausbrechen aus der 100% kausalen Abhängigkeit entspräche.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wer macht denn was, wenn nicht die Leute? Wer oder was ist nicht "tatenlos"?

Keiner macht das, was ich hier mit machen meinte, weil jeder in dieser deterministischen Welt lebt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wer oder was also sind (ist) Deiner Ansicht nach der tatsächliche Akteure (der tatsächliche Akteur) in Deiner Welt?

Wenn du hier mit Akteur jemanden meinst, der das "machen" in meinem Sinne macht, dann gibt es keine Akteure.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und: wenn Du selber kein Akteur bist, woher weißt Du dann, dass das, was Du sagst, richtig ist?

Wie sicher ich mir über meine Meinung bin, hängt ganz sicher nicht davon ab, ob ich Ursachenketten kontrolliere. Wenn ich also selber kein Akteur bin ist dadurch meine Fähigkeit, meine Meinung zu bewerten, in keinster Weise tangiert. Wie kommst du überhaupt darauf? Ich vermute, du dachtest, mit "machen" würde ich auch "eigene Meinung einschätzen" meinen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Dafür muss es doch dann einen guten Grund geben, und zwar einen anderen als den, dass Du Deine Aussagen bewerten und steuern kannst - weil Du dann ja kein Akteur sein kannst - laut Deiner Behauptung.

Nein, es muss kein anderer Grund sein. Weil um meine Aussagen bewerten und steuern zu können, brauche ich keine Kausalketten zu manipulieren, sondern sie nur zu prozessieren, also wirken zu lassen. Zum Beispiel indem ich sobald alle Gründe vorliegen für eine sehr positive Bewertung, ich dann auch diese positive Bewertung vornehme.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber wenn Du kein Akteur bist: wie kommst Du darauf, dass Du in irgend einem Sinne substantiierte Aussagen treffen könntest?

Auch diese Frage erledigt sich, wenn man die richtige Definition von Akteur benutzt. Wie gesagt: ein Akteur ist in meinem Zusammenhang jemand, der Ursachenketten manipuliert. Jemand der eine Aussage trifft, spult eine Ursachenkette aber nur ab, verändert sie dabei aber in keinster Weise, ist also kein Aktuer. Man kann also sehr wohl Aussagen treffen ohne ein Akteur zu sein.

AgentProvocateur hat geschrieben:Da sehe ich einen performativen Selstwiderspruch: wer behauptet, dass niemand etwas bewerten, entscheiden und tun könne, der muss diese Aussage auch auf diese Aussage selber anwenden. Ist doch völlig logisch.
Und wenn die Aussage wahr ist, dann ist sie gleichzeitig auch irrelevant, dann könnte sie auch gegenteilig sein.
Aber das will natürlich keiner wahrhaben. ich verstehe aber nicht, wieso nicht?

Der angebliche Selbstwiderspruch beruhte darauf, dass du mein "machen" ganz am Anfang falsch interpretiert hast. Nun, da du meine korregierte Interpretation hast, würde mich interessieren, was daraus für dich folgt. Siehst du jetzt immer noch einen Widerspruch? Oder können wir diesen von dir ja schon öfter mal attestierten Widerspruch als aufgelöst betrachten?

AgentProvocateur hat geschrieben:"Alternative Abläufe" sind gedachte, vorgestellte Abläufe.

Tja, dann ist deine Freiheit auch nur gedacht und vorgestellt, also einfach nur eine Illusion. Ich kann beim Spazierengehen auf der Straße mir auch plötzlich vorstellen, dass ich die Wahl hätte zwischen a) weitergehen, b) teleportieren oder c) aus eigener Kraft fliegen. Wenn ich dann jemandem erzähle, dass ich mich für (a) entschieden habe, nach langer Überlegung, dann wird er mir zurecht entgegnen, dass das aber keine frei Entscheidung war. Mir blieb ja gar nichts anderes übrig. Die Alternativen waren nur gedacht aber niemals echt.
Ebenso ist es mit allen anderen Entscheidungen. Die Ursachenkette geht nur in eine Richtung und gibt genau eine Entscheidung vor.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber bitte: nenne Du doch mal einen alternativen Ablauf, der irgendwie Freiheit in Deinem Sinne herstellen würde. Du darfst dazu gerne ein Wesen mit noch so abstrusen magischen wie auch immer Fähigkeiten herannnehmen, einen Gott, der allmächtig ist oder was auch immer. Und dann, wenn Du das geleistet hast, (aber: selbst das kannst Du nicht leisten, selbst ein Gott könnte in Deinem Sinne nicht frei sein), dann bringe das auf einen menschliche Perspektive, so dass es auf Menschen anwendbar ist.

Ich habe zufällig gestern darüber länger nachgedacht. Dein gradueller Freiheitsbegriff brachte mich darauf. Normalerweise hätte ich vorher gedacht: um echte Alternativen zu bekommen, muss man aus der Kausalkette raus, also akausal entscheiden. ABER das ist dann ja wieder keine Freiheit, weil man auf zufällige Faktoren ja auch keinen Einfluss hat. Aber wie wäre es mit teilweiser Freiheit und teilweiser Akausalität, also mit einem gesunden Mix?
Konkretes Beispiel: in einen Menschen wird ein echter Zufallsgenerator eingebaut (den es wohlgemerkt in einer deterministischen Welt nicht geben kann). Dieser Zufallsgenerator beteiligt sich aber nur zu, sagen wir, 10% an allen wichtigen Entscheidungen. Wenn also beim Autokauf dieser Mensch überlegt, nehme ich den Wagen oder nicht, und er sich zu mehr als 55:45 % seiner Sache sicher ist, spielt der Ausschlag des Zufallsgenerators keine Rolle. Wenn er sich aber unsicher ist, also seine eigene rationale Überlegung zu einer 54:46% Entscheidung führt und dann zufällig sein Zufallsgenerator sich gegen den Wagen entscheidet, würde das die Entscheidung drehen und der Mensch würde sich also ab und zu gegen die Vernunft und gegen rationale Gründe, also akausal entscheiden.
Wäre das nicht jemand, den du immer noch als teilweise "frei" bezeichnest, weil ein Großteil seiner Entscheidungen nach wie vor rational und kontrolliert ablaufen? Auf jeden Fall würde ich zur Abwechslung diesen Menschen auch als teilweise "frei" bezeichnen. Er wäre nicht mehr zu 100% abhängig von kausalen Faktoren.


AgentProvocateur hat geschrieben:Aber Du stellst Dich hier, (gegenüber der Puppe), auf einen übergeordneten Standpunkt. Den "god's point of view".
Die Puppe hat - von ihrem Standpunkt aus gesehen - ebenso recht wie wir, wenn sie sich als frei ansieht.

Stimmt nicht. Ich stelle mich gar nicht über die Puppe. Ich behaupte eben nicht, dass sie aus ihrer Sicht recht hätte und aus meiner Sicht nicht. Ich behaupte, sie hat aus jeder Sicht unrecht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber: um Deine Analogie mit der Puppe auf uns anwenden zu können, müsstest Du jetzt analog dazu zeigen, dass es ebenso einen zu uns übergeordneten Standpunkt gibt.

Deine Folgerung ist aus oben genannten Grund falsch. Ich brauche keinen externen Standpunkt. Es sieht aus allen Richtungen immer gleich aus: weder Puppe noch Mensch sind frei.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das Denken, (die Fähigkeit dazu, zu erkennen, zu werten, Folgen abzuschätzen), ist genau das, was ich meine, was unsere Freiheit ausmacht.

Ich habe heute einem Freund von unserer Debatte erzählt und versucht, auch deine Position zu erläutern und zu vertreten. Ich merkte aber, dass es mir schwerer fiel als ich vorher gedacht hätte. An dieser Aussage von dir beispielsweise, verstehe ich einiges nicht. Der Mensch hat ja auch noch andere Fähigkeiten, zum Beispiel Flaschen öffnen (was nicht alle Tiere ohne Probleme schaffen). Also nun meine platte Frage: wieso macht das Denken frei und das Flaschen öffnen nicht? Du magst jetzt einwerfen, dass Flaschen öffnen ja nichts mit dem Willen und nichts mit Entscheidungen zu tun hat. Ich finde aber doch.
Beispiel 1: ein Mann in der Wüste hat Durst und nur noch einen Liter Wasser. Er erkennt, dass er Durst hat, er schätzt die Folgen ab, was passiert, wenn er jetzt das Wasser austrinkt und er danach nichts mehr für den weiteren Weg hat. Er bewertet das Durstlöschen als wichtiger und entschließt sich für das Austrinken. Er öffnet die Flasche und trinkt.
Beispiel 2: ein Mann in der Wüste hat Durst und nur noch einen Liter Wasser und kann die Flasche nicht öffnen. Er erkennt, dass er Durst hat, er schätzt die Folgen ab, was passiert, wenn er jetzt das Wasser austrinkt und er danach nichts mehr für den weiteren Weg hat. Er bewertet das Durstlöschen als wichtiger und entschließt sich für das Austrinken. Aber er kann die Flasche nicht öffnen. Also entscheidet der Mann sich gegen das Trinken und geht weiter.

Es lassen sich also Beispiele konstruieren, wo die Fähigkeit des Flaschenöffnens wichtiger für eine Entscheidung und Willensbildung ist als das Denken. Ich frage dich daher wirklich, was denn ausgerechnet das Denken mit Freiheit zu tun hat und wieso die Fähigkeit des Flaschenöffnens in deinem Freiheitsbegriff nicht vorkommt?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 7. Mär 2012, 14:10

Vollbreit hat geschrieben:Hypnoseexperimente wären nahe Analogien zu ganimeds Puppenbeispiel.

Wir sind uns hoffentlich einig, dass "Fremdsteuerung" kein Merkmal von Freiheit ist.

Bei euch scheint eine "Fremdsteuerung" nun immer etwas gegen den eigenen Willen zu sein. Unter Hypnose beispielsweise tut jemand etwas, was er sonst nicht gewollt hätte. Aber ich glaube, "Fremdsteuerung" ist nur im Spezialfall gegen den eigenen Willen. Ich kann ebenso leicht ein Beispiel geben, wo Fremdsteuerung in Einklag mit dem eigenen Willen erfolgt, weil eben die Fremdsteuerung auch die Willensbildung steuert.

Person A fremdsteuert Person B indem er ihm ein Angebot macht, dass B nicht ablehnen kann. Mit Gold überhäuft will B dann auch wirklich das tun, was A von ihm verlangt. Und alle sind glücklich.

Es wäre aber aus meiner Sicht falsch, den Umkehrschluss zu ziehen, nämlich dass immer dann, wenn etwas gemäß dem eigenen Willen passiert genau keine Fremdsteuerung vorliegt sondern Freiheit. Person A hat Person B fremdgesteuert. Person B hat nicht frei entschieden. Seine Entscheidung hing zu 100% von Person A ab. Obwohl also B etwas entschieden hat und auch zu seiner Entscheidung steht und das auch gewollt hat, trotzalledem war es keine freie Entscheidung. B wurde von A zu 100% manipuliert.

Euer Kriterium für Freiheit, nämlich selbst entscheiden und seinen Willen selbst bilden, ist daher ein ungeeignetes Kriterium. Viel sinnvoller ist das Kriterium der Abhängigkeit. 100% Abhängigkeit ergibt 0% Freiheit.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 7. Mär 2012, 22:52

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Hypnoseexperimente wären nahe Analogien zu ganimeds Puppenbeispiel.

Wir sind uns hoffentlich einig, dass "Fremdsteuerung" kein Merkmal von Freiheit ist.


Ja.

ganimed hat geschrieben:Bei euch scheint eine "Fremdsteuerung" nun immer etwas gegen den eigenen Willen zu sein. Unter Hypnose beispielsweise tut jemand etwas, was er sonst nicht gewollt hätte.


Das kommt drauf an.
Wenn ich gerne mit dem Rauchen aufhören möchte, es aber nicht schaffe und nun meine, ein Hypnotherapeut könne mir helfen, dann ist das in Einklang mit meinem Willen.
In den Hypnoseexperimenten, die ich im Auge habe, geht es darum, dass Menschen vergleichsweise absurde Dinge tun, wie im Zimmer auf einmal den Regenschirm aufspannen, genau das, was vorher suggeriert wurde.
Tut der Mensch das dann, findet er für sein den meisten merkwürdig vorkommendes Verhalten aber dennoch eine rationale Erklärung.

ganimed hat geschrieben:Aber ich glaube, "Fremdsteuerung" ist nur im Spezialfall gegen den eigenen Willen. Ich kann ebenso leicht ein Beispiel geben, wo Fremdsteuerung in Einklag mit dem eigenen Willen erfolgt, weil eben die Fremdsteuerung auch die Willensbildung steuert.

Person A fremdsteuert Person B indem er ihm ein Angebot macht, dass B nicht ablehnen kann. Mit Gold überhäuft will B dann auch wirklich das tun, was A von ihm verlangt. Und alle sind glücklich.


Wo ist denn da die Fremdsteuerung. Wenn ich „ein Angebot nicht ablehnen kann“, dann ist das doch nur ein anderer Ausdruck dafür, dass ich damit einverstanden bin.
Wenn ich es nicht ablehnen kann, weil ich ansonsten erschossen werde, wäre es Zwang.

ganimed hat geschrieben:Es wäre aber aus meiner Sicht falsch, den Umkehrschluss zu ziehen, nämlich dass immer dann, wenn etwas gemäß dem eigenen Willen passiert genau keine Fremdsteuerung vorliegt sondern Freiheit.


Diese Diskussion wollte ich ja damit eröffnen.

ganimed hat geschrieben:Person A hat Person B fremdgesteuert. Person B hat nicht frei entschieden. Seine Entscheidung hing zu 100% von Person A ab. Obwohl also B etwas entschieden hat und auch zu seiner Entscheidung steht und das auch gewollt hat, trotzalledem war es keine freie Entscheidung. B wurde von A zu 100% manipuliert.

Euer Kriterium für Freiheit, nämlich selbst entscheiden und seinen Willen selbst bilden, ist daher ein ungeeignetes Kriterium. Viel sinnvoller ist das Kriterium der Abhängigkeit. 100% Abhängigkeit ergibt 0% Freiheit.


Wie gesagt, ich wollte ja das Problem darstellen, dass wenn jemand begründet etwas tut, es dennoch sein kann, dass er nicht frei ist, das wäre ein Problem für den Kompatibilismus.
In dem Hypnosebeispiel ist der Zwang offensichtlich, darum wird man das nicht aufrecht erhalten können, darum wollte ich schrittweise zu so einem Kuddelmuddel aus „freiwilligen Zwang“, wenn ich das so sagen darf, mit dem Sektenbeispiel (im letzten Beitrag verlinkt) konstruieren.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 7. Mär 2012, 23:37

Vollbreit hat geschrieben:Wo ist denn da die Fremdsteuerung. Wenn ich „ein Angebot nicht ablehnen kann“, dann ist das doch nur ein anderer Ausdruck dafür, dass ich damit einverstanden bin.

Also in meinem Sprachgebrauch ist "nicht ablehnen können" äquivalent mit "zustimmen müssen". Du scheinst es dagegen mit "einverstanden sein" zu übersetzen, aber bei dieser Übersetzung verlierst du ja vollkommen die Tatsache, dass ein Nichteinverstanden sein, also ein Ablehnen, nicht in Frage kam. Meine Übersetzung finde ich daher besser. Und diese Übersetzung entspricht dann wiederum genau der Definition von Zwang oder Fremdsteuerung.

Vollbreit hat geschrieben:darum wollte ich schrittweise zu so einem Kuddelmuddel aus „freiwilligen Zwang“, wenn ich das so sagen darf, mit dem Sektenbeispiel (im letzten Beitrag verlinkt) konstruieren.

Das klingt in meinen Ohren nicht sehr vielversprechend. Freiwilliger Zwang scheint mir einfach nur ein Widerspruch zu sein. Zum Glück bleibt mir diese Zwickmühle erspart. Der Inkompatibilist kann sich widerspruchsfrei erklären, was den Mann in der Sekte umtreibt und ob der frei ist und ob es sich um Manipulation und um Zwang handelt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 7. Mär 2012, 23:58

ganimed hat geschrieben:Der Inkompatibilist kann sich widerspruchsfrei erklären, was den Mann in der Sekte umtreibt und ob der frei ist und ob es sich um Manipulation und um Zwang handelt.


Wie würdest Du das denn erklären?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 8. Mär 2012, 11:30

Im Gegensatz zum Kompatibilisten muss ich bei den Gründen des Mannes nicht unterscheiden zwischen
-eigenen und fremden
-vernünftigen und unvernünftigen
-dem eigenen Interesses dienenden und Fremdinteressen dienenden
-reflektierten und unbewussten
Gründen für das Eintreten und Verbleiben in der Sekte, da ich auch nicht anhand dieser Kategorien entscheiden muss, ob der Mann "frei" handelt oder "fremdbestimmt". Frei ist er in meinen Augen sowieso nicht. Und so macht es mir nichts aus, wenn viele seiner Gründe möglicherweise aus Fremdmanipulationen stammen oder aus anderen Quellen, die den alltäglichen Vorstellungen von einem rational, souverän, angeblich "freien" Menschen widersprechen mögen.

Egal ab wann die Kausalketten zu dem Mann führen, zum Schluss sind die relevanten Ketten jedenfalls bei ihm und es ist seine Entscheidung, in der Sekte zu bleiben. Alle Gründe dafür haben für mich erst einmal dieselbe Qualität und Berechtigung. Wenn der Mann also in der Sekte bleibt, dann logischerweise deshalb, weil aus seiner Sicht mehr Gründe dafür sprechen als dagegen.
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