Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon mat-in » Fr 10. Feb 2012, 11:27

Die Frage ist bei sowas immer: Hat er gerade die Fakten raus gesucht, die in seine These passen und 6000 weitere Vogelarten ignoriert.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Vegan33 » Fr 10. Feb 2012, 15:04

Wahrscheinlich, aber es geht doch darum dass es keine Säugetiere mit unseren Eigenschaften gibt. Er sagt aber auch das viele Affenarten uns in Sexualität ähnelt ( z.B. Bonobos ). Im Buch gibt es auch ein Kapitel, mit dem Titel ''Kampf der Geschlechter'', dort werden als Beispiel Tierarten ( Säugetiere, denn es geht eher darum unseres gleichen mit uns zu vergleichen ) genannt bei denen der Vater die Mutter verlässt nachdem Sie das Kind geboren hat, da hätten wir bei vielen Tieren eine alleinerziehende Mutter.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Fr 10. Feb 2012, 19:08

Vegan33 hat geschrieben:... das viele Affenarten uns in Sexualität ähnelt ( z.B. Bonobos )
Also mir ähneln die nicht :mg: .

Vegan33 hat geschrieben:bei denen der Vater die Mutter verlässt nachdem Sie das Kind geboren hat, da hätten wir bei vielen Tieren eine alleinerziehende Mutter.
Das ist genau das Thema hier immer wieder: Zurück zur Natur? Aber wissen wir überhaupt noch, welche Natur wir haben?
Die Menschen gleiten durch soviele Kulturepochen und jede meint etwas anderes. Auf die "inneren Werte", die woanders immer wieder mal angesprochen werden, vertraut doch niemand mehr. Wir sind längst die Opfer unserer eigenen Modekulturmaschinerie.

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Nanna » Fr 10. Feb 2012, 20:20

stine hat geschrieben: Zurück zur Natur? Aber wissen wir überhaupt noch, welche Natur wir haben?

Wussten wir das jemals? So wie ich das sehe, gibt es keine wahre Natur. Was wir als "unsere Natur" bezeichnen, ist immer Folge sozialer Konstruktion - und in diesem Fall klingt es vor allem ein bisschen arg nach der guten alten Zeit, wo alles noch irgendwie offensichtlich gewesen sein soll.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Sa 11. Feb 2012, 12:52

Nein, es klingt nach: Wir kümmern uns endlich mal selbst um unseren Nachwuchs und verscheißern nicht die nächste Generation.

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Vegan33 » Sa 11. Feb 2012, 14:45

Das verstehe Ich auch nicht so Richtig, weil Tiere ( eben ohne große Intelligenz ) besser wissen was ihre Natur bzw. ihre natürliche Aufgabe ist, aber wir unsere selber erstellen. Bei Tiere gibt es nur wenige Aussteiger, im Gegensatz zu denen ist fast jedes Tier mit seiner Sozialen Rolle vertraut und einverstanden.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » So 12. Feb 2012, 11:16

Du sprichst mir aus der Seele @Vegan33.
Deshalb auch dieser Thread: Was ist denn nun die Stellung der Frau im Naturalismus?
Hat sie eine soziale Funktion die ihr von Natur aus vorgegeben ist oder hat sie diese nicht?
Bestimmt fortschreitende Kulturrevolution über die natürlichen sozialen Aufgaben des m/w Tieres Mensch?
Und wenn ja, wieso tut man dann in diesem Forum immer so, als würde man keine kulturell gewachsenen Werte mehr brauchen?

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Nanna » So 12. Feb 2012, 14:32

stine hat geschrieben:Hat sie eine soziale Funktion die ihr von Natur aus vorgegeben ist oder hat sie diese nicht?

Der Großteil der Sozialwissenschaften, der den cultural turn genommen hat, würde ganz klar antworten: Nein, die Frau hat keine soziale Rolle, die natürlich vorgegeben ist. Sie hat eine biologische Funktion, die von der Natur vorgegeben ist, aber das ist etwas anderes. Welche soziale Rolle sie einnehmen soll, ist Gegenstand sozialer Konstruktion, also abhängig vom gesellschaftlichen Diskurs.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » So 12. Feb 2012, 15:44

Sehr schön, @Nanna. Die biologische Rolle ist also vorgegeben, was uns als Naturalisten ja erstmal nicht verwundert.
Umso erstaunlicher bleibt für mich aber, dass die soziale Rolle die die Frau einnehmen soll, wie du schreibst, Gegenstand sozialer Konstruktion überhaupt sein kann. Ist die soziale Rolle der Frau abhängig vom gesellschaftlichen Diskurs, kann sie falsch sein, sofern sie der biologischen Rolle nicht gerecht wird.
Ich sag das ja nur ungern, aber verlassene Krippenkinder brechen mir jeden Tag das Herz. Ein Ergebnis des gesellschaftlichen Diskurs ist auch die heute oft schnippische Antwort, dass die Qualität des Zusammenseins mit dem Baby wichtiger wäre, als die Quantität an Zeit, die man mit dem Baby oder Kleinkind verbringt. Da klaffen Soziologie und Biologie mE meilenweit auseinander.

Obwohl man heute weiß, wie wichtig die Bindung zur Mutter in den ersten Lebensjahren ist, haben wir es als Gesellschaft geschafft, so zu tun, als wäre das schaffen von Urvertrauen nicht mehr notwendig und die chronische Trennungsangst sei eine Erfindung der ewig Gestrigen. Trotzdem wir wissen, dass die emotionale und kognitive Entwicklung in der frühen Kindheit durch die Stabilität seiner Beziehungen gefördert wird, schießen Kinderkrippen wie Pilze aus dem Boden und der Beruf der Mütter duldet offenbar keine Unterbrechung mehr. Das Tagesmuttermodell ist nach Meinung der Experten offensichtlich nicht der bessere Ersatz, da es hier besonders oft zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten kommt und ein Tagesmutterwechsel in den ersten drei Lebensjahren keine Seltenheit ist.

Das schlechte (berechtigte) Gefühl jener Mütter, die Kind und Beruf nicht mehr unter einen Hut bringen, ist zum Krankheitsbild geworden und statt der Einsicht, dass es oft wirklich so nicht geht, folgt eher die psychologische Betreuung, denn die passt ja wieder in unser gesellschaftliches Muster. Kindertränen die untertags vergossen werden und das ungestillte Heimweh nach der Mutter bleiben ungesehen, wenn die Mutter das Baby oder Kleinkind erst nach einem langen Arbeitstag wieder sieht.

Was wir wirklich brauchen in unserer Gesellschaft ist die Anerkennung der biologischen Rollen m/w und die Gleichstellung dieser, unabhängig vom Geschlecht. Wer einem Beruf nachgeht ist nicht mehr wert als der, der sich zu Hause um die Familie kümmert. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir auf dem besten Weg, unsere Kinder, also unser aller Zukunft zu verheizen. Die Anerkennung der biologischen Rollenverteilung ist das Grundgerüst einer gesunden Gesellschaft und hat nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, sogenante "alte Muster" wieder auszugraben und so zu tun, als wäre die Frau zu Hause am Herd minderwertig und nicht mehr gesellschaftskonform. Nicht alles ist schlecht, nur weil es unsere Großeltern schon so gelebt haben.

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Nanna » So 12. Feb 2012, 16:48

Gegenfrage: MUSS es denn aus biologischen Gründen die Mutter sein, die das Urvertrauen aufbaut? Könnte es beispielsweise auch eine andere Bezugsperson sein, der Vater vielleicht, oder die Großeltern oder eine stabile Tagesmutter?

Es geht mir nicht darum, nachzuweisen, dass daheimbleibende Mütter irgendwie schlecht sind, es geht mir nur darum, zu klären, inwiefern eine biologische Rolle hier tatsächlich natürlich determiniert ist. Bei allem zwischen Zeugung und Geburt ist die biologische Rolle von Mann und Frau ziemlich klar (die soziale allerdings auch schon nicht so klar, es gibt Kulturen, wo die Frau bis zur Geburt arbeitet und andere, wo das verpönt und gesetzlich verboten ist), aber was danach passiert, ist ja schon ziemlich diskutabel. Was also kann aus einem biologischen Determinismus heraus nachweislich NUR die Mutter leisten?
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Mo 13. Feb 2012, 08:43

Nanna hat geschrieben:Gegenfrage: MUSS es denn aus biologischen Gründen die Mutter sein, die das Urvertrauen aufbaut? Könnte es beispielsweise auch eine andere Bezugsperson sein, der Vater vielleicht, oder die Großeltern oder eine stabile Tagesmutter?
Natürlich kannst du auch eine Amme einsetzen, die stillt das Kind sogar noch, wie eine Mutter. Die Beziehung wird dann eben zu dieser Person aufgebaut und wie satbil und andauernd diese Beziehung ist, muss sich dann zeigen. Ein jährlich wechselndes Au pair, auch wenn es noch so lieb zu den Kindern ist und diese vielleicht auch schon größer sind, ist sehr viel kritischer. Verwahrlosung und oder Liebesentzug ist oftmals kein Unterschichtenproblem.

Prinzipiell kann man alles. Die Frage war aber nicht die nach Alternativen, sondern die nach der natürlichen Rolle und ob diese natürliche Rolle nicht über die soziokulturelle gestellt werden muss.

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Vollbreit » Mo 13. Feb 2012, 09:02

Muss nicht, das wäre ein naturalistischer Fehlschluss, das so abzuleiten.
Möglicherweise gibt es gute Gründe dafür - ich tendiere dain, dass es die gibt - aber so formuliert ist das keiner.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Mo 13. Feb 2012, 15:30

Die Sache mit dem naturalistischen Fehlschluss finde ich hier merkwürdig. Schließlich gibt es keine andere Möglichkeit, wenigstens ist mir derzeit keine bekannt, dass außer den Frauen noch jemand Menschenkinder in die Welt setzen kann. Also ist es nicht nur so, sondern soll es auch so sein.
Das "Auf.die.Welt.bringen" beinhaltet zwar nicht, wie es mit dem Neugeborenen weitergeht, doch hat in der Natur kein Tier solche Schwierigkeiten das quasi "automatisch" anzunehmen, wie der Mensch.
Menschliche Babys würden Eigentum des Staates sein, wenn er darüber bestimmen könnte, wie die Aufzucht am besten und genehmsten für alle zu erfolgen hat. Ich verstehe auch nicht, wie man sich einerseits über Missionierung in den Kindergärten aufregen kann, andererseits aber keine Probleme damit hat, schon das Kleinstkind fremden Menschen zu übergeben. Oft schon über 8 Stunden am Tag. Man mag mir glauben, dass das ganz oft nicht aus finaziellen Nöten heraus notwendig ist.

Behauptung:Soziokulturell leben wir in einer Welt, wo sich Menschen darüber definieren, was sie gelernt haben, welchen Beruf sie ausüben und wieviel Geld sie damit verdienen. Es ist also durchaus verständlich, dass dies auch an den Frauen nicht spurlos vorübergehen kann. Eine Rechtsanwältin (verh. er auch RA), mit zwei Kindern 1 und 3, eines im Kindergarten und eines in der Kinderkrippe, hat ein höheres gesellschaftliches Ansehen, als die Frau des Hausmeisters, die sich zu Hause um die Kinder kümmert. *)

:ja: stine

*) Beispiele nicht frei erfunden
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Vollbreit » Mo 13. Feb 2012, 16:06

Klar haben die Anwälte ein höheres Ansehen, es wird doch kaum jemand danach beurteilt, wie er mit seinen Kindern umgeht, sondern nach den üblichen Eckdaten: Job, Kohle, Auto, Klamotten.

Der Fehlschluss ist nicht der, dass Frauen Kinder zur Welt bringen, sondern, dass sich diese Frauen nachher auch drum kümmern müssen. Es mag Gründe dafür geben, aber, dass das bei anderen Tiere so ist, ist eben kein Argument, was man gelten lassen kann.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Di 14. Feb 2012, 07:51

Ich mag es gar nicht, wenn man mir recht gibt. :/
Wie soll denn daraus eine ernsthafte Diskussion entstehen?

:wink: stine
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Vegan33 » Di 14. Feb 2012, 22:32

stine hat geschrieben:Ich verstehe auch nicht, wie man sich einerseits über Missionierung in den Kindergärten aufregen kann, andererseits aber keine Probleme damit hat, schon das Kleinstkind fremden Menschen zu übergeben. Oft schon über 8 Stunden am Tag


:up:
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Nanna » Mi 15. Feb 2012, 00:18

stine hat geschrieben:Die Sache mit dem naturalistischen Fehlschluss finde ich hier merkwürdig. Schließlich gibt es keine andere Möglichkeit, wenigstens ist mir derzeit keine bekannt, dass außer den Frauen noch jemand Menschenkinder in die Welt setzen kann. Also ist es nicht nur so, sondern soll es auch so sein.

Nein, warum? Man könnte auch argumentieren, dass das auf Frauen beschränkte Kinderkriegen sexistisch ist und aus dem Gleichheitsgedanken heraus argumentieren, dass dies den Männern gegenüber unfair ist, weil ihnen die Schwangerschaft und Geburt verwehrt bleibt und gegenüber den Frauen ebenso, weil es erhebliche Schmerzen und Gesundheitsrisiken auf ihnen ablädt.
Natürlich muss es biologisch aus funktionalen Gründen so sein, aber man könnte durchaus den moralischen Appell aussprechen, dass Medizin und Technik so schnell wie möglich dahingehend weiterentwickelt werden sollten, dass fairere Formen der Reproduktion gefunden werden. Das mag vielleicht erstmal weltfremd klingen, wäre es aus heutiger pragmatischer Sicht auch, aber auf ein, zwei Jahrhunderte gesehen ist das durchaus etwas, was man diskutieren kann. Außerdem gilt der naturalistische Fehlschluss auch dann, wenn man nolens volens einem Prozess folgen muss, der biologisch vorgegeben ist. Das heißt nicht, dass der Prozess so sein soll, sondern nur, dass er (derzeit) alternativlos ist und man, will man den Zweck (hier: Reproduktion als Art) erreichen, die unvollkommenen Mittel akzeptieren muss.

stine hat geschrieben:Das "Auf.die.Welt.bringen" beinhaltet zwar nicht, wie es mit dem Neugeborenen weitergeht, doch hat in der Natur kein Tier solche Schwierigkeiten das quasi "automatisch" anzunehmen, wie der Mensch.

Es verfügt auch kein Tier über unsere diskursorischen Möglichkeiten. Für das Tier passiert immer nur das, was auf der Bühne stattfindet, der Mensch kann hinter die Kulissen blicken, auch hinter die seiner selbst. Hat er das einmal getan (also vom bösen Apfel genascht, um das mal christentumskompatibel auszudrücken), ist er gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Du begehst den Fehler, automatisch anzunehmen, dass der Weg, der dir als der natürliche erscheint, auch der richtige ist, der das beste Ergebnis bringt. Wir drehen uns hier letztlich um genau um diese problematischen Angelpunkte: a) Was ist der "natürliche Weg" und was ist soziale Konstruktion, b) was ist das anzustrebende Ergebnis, also was für Eigenschaften sollen die erwachsenen Kinder tragen, c) gibt es "künstliche" Alternativen, die besser funktionieren als der "natürliche Weg" und d) falls der "natürliche Weg" erkannt und für gut befunden wurde, wie kann er in die Zwangslagen gesellschaftlicher Organisation eingebettet werden?

stine hat geschrieben:Menschliche Babys würden Eigentum des Staates sein, wenn er darüber bestimmen könnte, wie die Aufzucht am besten und genehmsten für alle zu erfolgen hat.

Vielleicht ist es nur eine Marotte von mir, aber mir gefällt es nicht, wenn in Diskussionen "der Staat" als handelnder, homogener Akteur und noch dazu als Gegenspieler von Individuum und/oder Gesellschaft beschrieben wird. Der Staat ist ein Prozess, an dem wir alle teilnehmen und von dem wir nicht zu trennen sind. Im engeren Sinne meinst du wahrscheinlich bestimmte exekutive Abteilungen des Staatsapparates.
Das ist keine Haarspalterei: Wenn wir als Gesellschaft demokratisch bestimmte Standards für die Kinderaufzucht festlegen, ist das etwas anderes und wesentlich unproblemtischeres, als wenn einzelne Akteure innerhalb des Staatsapparates diesen zum Zweck verwenden, der Gesellschaft ihre Erziehungsvorstellungen aufzustülpen, ohne dass sie es mitbekommt und/oder sich dagegen wehren kann.

Ein zentraler Argumentationsfehler, den ich hier entdecke und auch gerade in vielen Homeschooling-Diskussionen gesehen habe, ist der, dass eine Dichotomie zwischen der "Zwangsaufzucht" des Kindes durch staatliche Institutionen und der "freien Aufzucht" des Kindes durch die Eltern konstruiert wird. Das ist aber eine gehörige Scheinlogik, denn in einer Welt, in der Kinder a) nie von Geburt an selbstständig für sich sorgen können und b) ultimative Wahrheiten aus epistemologischen Gründen nicht erkannt werden können, sind Kinder IMMER fremdbestimmt und diese Fremdbestimmung ist IMMER Teil einer subjektiven Agenda anderer Individuen. Es macht nur vom Bauchgefühl her einen Unterschied, ob das die Eltern oder staatliche Institutionen sind, qualitativ ändert das keinen Deut an der Fremdbestimmung und wie die Erfahrung mit Misshandlungsskandalen zeigt, sind sowohl Elternhäuser als auch Institutionen jeglicher Trägerschaft von Übergriffen betroffen. Es ist einfach Käse, zu implizieren, dass die Aufzucht durch die Eltern dem Kind zu Stabilität und Freiheit verhelfen würde, die durch den Staat dagegen zu Labilität und Duckmäusertum. Es gibt einfach beides, engagierte Eltern und engagierte Einrichtungen (Leitbild: freier, selbstständig denkender Staatsbürger) und es gibt grausame Eltern und grausame Einrichtungen. Ob das Kind engagiert oder grausam erzogen wird, hängt nicht davon ab, ob es die Eltern oder eine Einrichtung tun.

Für mich heißt das in der Konsequenz und unter der Annahme, dass Erkenntnis nur partiell und nur intersubjektiv erreicht werden kann, dass die beste Kindeserziehung die ist, in der alle daran Beteiligten konstruktiv und lernbereit mitwirken. Das beinhaltet das Setzen von Mindeststandards durch legislative Prozesse, die Zusammenarbeit und gegenseitige Kontrolle von Eltern und staatlichen Institutionen (sowie die staatliche Selbstkontrolle durch die Judikative, die wiederum auch den Eltern offensteht), sowie das persönliche Engagement der Eltern. Idealerweise tut in diesem Prozess jeder das, was er am besten kann. Da viele (nicht alle!) Mütter ein biologisch und kulturell gefördertes Bedürfnis nach und ein Talent für Bindung an ihre Kinder zu haben scheinen, erscheint es mir folgerichtig, dies zu nutzen und zu fördern - aber einzelfallabhängig und nicht ausschließlich und nur im Rahmen dessen, was die individuelle Mutter geben kann, nicht was sie nach biologistischen Konstruktionen hergeben können muss. Und analog spricht nichts dagegen, ein Kind, das sich in der Kinderkrippe wohl und geborgen fühlt, dort zu belassen.

stine hat geschrieben:Ich verstehe auch nicht, wie man sich einerseits über Missionierung in den Kindergärten aufregen kann, andererseits aber keine Probleme damit hat, schon das Kleinstkind fremden Menschen zu übergeben. Oft schon über 8 Stunden am Tag.

Analog zu oben: Du machst hier laufend die implizite Annahme, dass die eigene Mutter immer das Beste für das Kind will und tun kann. Weder das eine noch das andere müssen zwingend notwendig sein. Man findet genug misshandelte Kinder in Mülltonnen und Gefrierschränken, um das zu wissen. Vielleicht betonst du auch den Satz einfach falsch: Es geht nicht um "Missionierung in Kindergärten", sondern um "Missionierung in Kindergärten", die genausoschlimm ist wie "Missionierung in Elternhäusern", nur dass letztere gesellschaftlich weniger geächtet, mehr tabuisiert und insgesamt verborgener ist, so dass man weniger leicht gegen sie ankommt.

Ziel sollte es doch sein, das Kind zu einem Menschen zu entwickeln, der einerseits frei ist in seinen Entscheidungen und andererseits Grenzen respektieren kann, also ein im besten Sinne moralischer Mensch ist. Es ist nur Unsinn, so zu tun, als wären die Eltern oder Institutionen dafür prädestiniert. Beide sind nur so gut wie sie eben sind, beide können Mist bauen, beide können Erfolg haben, beide haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Wenn eine Institution misisioniert, baut sie zweifelsohne Mist (A). Wenn sie dafür verantwortlich ist, dass das Kind eine Bindungsstörung entwickelt, auch (B). Nur wird Mist A nicht dadurch besser, dass Mist B parallel auch passieren kann und darf deshalb selbstverständlich kritisiert werden, auch unabhängig von Mist B. Im Falle von Mist B wäre zu diskutieren, was die Alternativen zu Kinderkrippen sind bzw. inwiefern Kinderbetreuung so gestaltet werden kann, dass die emotionalen Bedürfnisse des Kindes genauso befriedigt werden wie die sozioökonomischen der Mutter. Wie ich schon weiter oben geschrieben habe, halte ich es für notwendig, hier einzelfallbezogen zu entscheiden, was wiederum bedeutet, dass die Legislative Möglichkeiten schaffen muss, auf bestimmte gegebene Situationen unterschiedlich zu reagieren, also die Wahlfreiheit (daheimbleiben, Teilzeit, Kinderkrippe, Tagesmutter, Erziehungsberatungsstellen usw.) zu vergrößern.

stine hat geschrieben:Behauptung:Soziokulturell leben wir in einer Welt, wo sich Menschen darüber definieren, was sie gelernt haben, welchen Beruf sie ausüben und wieviel Geld sie damit verdienen. Es ist also durchaus verständlich, dass dies auch an den Frauen nicht spurlos vorübergehen kann. Eine Rechtsanwältin (verh. er auch RA), mit zwei Kindern 1 und 3, eines im Kindergarten und eines in der Kinderkrippe, hat ein höheres gesellschaftliches Ansehen, als die Frau des Hausmeisters, die sich zu Hause um die Kinder kümmert.

Deine Probe ist verfälscht, hat Vollbreit ja schon erklärt. Hätte eine Rechtsanwältin, die zwei, drei Jahre zur Kindeserziehung pausiert, ein schlechteres Ansehen als die dauerberufstätige? Wenn ja, dann wäre ein Ansehensverlust unabhängig vom Beruf auf die Art der Kindererziehung zurückzuführen. Wenn nein, dann ist die Kindeserziehung für gesellschaftliches Ansehen tatsächlich irrelevant, wie du behauptest.
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon Lumen » Mi 15. Feb 2012, 00:36

@stine; Das Eine (Missionierung) hat nichts mit dem Anderen (Kind überlassen) zu tun. Ich finde es auch nicht gut, aber es resultiert aus der Art und Weise, wie heute Mittel und Zeit verteilt sind. Irgendwann war es normal, dass beide Eltern arbeiten gehen, was zunächst halbwegs lohnenswert und halbwegs notwendig für viele Familien war (bzw. Sicherheit erhöhte). Das hat sich wohl verschoben, und die Preise und Mieten sind immens gestiegen—offenbar so weit, dass die sog. Mittelschicht langsam wegbricht.Wie üblich wird in Deutschland gleichzeitig ob der Rekordgewinne von Arbeitgeberseite gejubelt, als auch vor der nächsten Kriese gewarnt, um die Lohnforderungen kleinzuhalten. Schwarz/Gelb, oder auch die schlechteste Regierung aller Zeiten, macht ja garkeine Innenpolitik mehr. Schröder/v.d.Leyen sind —oder waren— ohnehin ein Witz. Gibt's die eigentlich noch?

Achja, es gab auch Matriarchate, also "einen Gesellschaftstyp, in dem alle sozialen und rechtlichen Beziehungen über die Abstammung der mütterlichen Linie organisiert sind".
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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon stine » Mi 15. Feb 2012, 16:51

Nanna hat geschrieben:Es ist einfach Käse, zu implizieren, dass die Aufzucht durch die Eltern dem Kind zu Stabilität und Freiheit verhelfen würde, die durch den Staat dagegen zu Labilität und Duckmäusertum.
Es kann auch andersrum sein, sofern eine sichere frühe Bindung in einer Einrichtung stattfinden konnte, nur das scheint meistens eben nicht der Fall zu sein. Es geht auch gar nicht darum, wie jemand wird (kann ja sowieso auch genetisch vorbestimmt sein), sondern darum, dass eine unsichere Bindung später zu Lernschwerigkeiten, Unsicherheit und Ablösungsproblemen führt. Das Kind braucht eine "sichere Basis", um von dort aus die Welt erkunden zu können. Das Explorationssystem steht dem Bindungssystem entgegen.

Zitat: Der englische Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby (1907-1990) erforschte im Auftrag der WHO die Probleme elternlos aufwachsender Nachkriegs- Kinder und veröffentlichte 1951 seine Ergebnisse. Er stellte fest, dass die in Heimen lebenden Kinder an einem Mangel an Mutterliebe litten. "Noch das siebte Kind ist am schmutzigen Rockzipfel seiner Mutter besser aufgehoben als in einem Heim."

Eine Einrichtung kann sich um das körperliche Wohl der Schutzbeauftragten kümmern, aber das seelische Wohl der Kinder bleibt oft auf der Strecke, da die Menge der Tätigkeiten nicht viel Zeit für das einzelne Kind übrig lässt. Hinzu kommt die tägliche Trennung des Kindes von der Mutter oder dem Vater, die oft nicht überwunden werden kann, sondern später nur verdrängt wird. Noch im Kindergarten haben viele Kinder diese Trennungsangst und möchten sich ohne Mutter oder Vater nicht in die Gemeinschaft einfügen.

Als Alternative zur Kinderkrippe sehe ich persönlich die Großfamilie. Allerdings sind unsere heutigen Omas die berufstätigen Mütter von früher und die sind meistens der Meinung ihren "Ruhestand" verdient zu haben.

Nanna hat geschrieben: Hätte eine Rechtsanwältin, die zwei, drei Jahre zur Kindeserziehung pausiert, ein schlechteres Ansehen als die dauerberufstätige? Wenn ja, dann wäre ein Ansehensverlust unabhängig vom Beruf auf die Art der Kindererziehung zurückzuführen. Wenn nein, dann ist die Kindeserziehung für gesellschaftliches Ansehen tatsächlich irrelevant, wie du behauptest.
Und? Hat sie? Oder legte man ihr das als Beweis ihrer sozialen Kompetenz aus?
Viele Frauen die ihrer Familie wegen Teilzeitarbeiten haben häufig Probleme damit, mit dem was sie tun ernst genommen zu werden. Kein Wunder also, dass Frauen sich ihrer Weiblichkeit und ihrer biologischen Rolle mehr und mehr entziehen wollen.

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Re: Die (Gleich)Stellung der Frau im Naturalismus?

Beitragvon laie » Mi 15. Feb 2012, 18:11

Lumen hat geschrieben:Achja, es gab auch Matriarchate, also "einen Gesellschaftstyp, in dem alle sozialen und rechtlichen Beziehungen über die Abstammung der mütterlichen Linie organisiert sind".


Gesellschaften, die auf dem Matriachat (oder "Mutterrecht") beruhen sollen, gehören in das Reich der Fabel, sind aber trotzdem sehr beliebt. Was es dagegen gab und noch immer gibt, sind Gesellschaften, die sich matrilinear organisieren, d.h. hier spielt der Bruder der Mutter den Patriarchen, während der biologische Vater bloss der Genitor ist und höchstens ein Besuchsrecht seiner Nachkommen hat. Er kann natürlich seine Patriachenrolle als Bruder seiner Schwester wiederum ausüben. Die Mutter hat in matrilinearen Gesellschaften auch nicht unbedingt eine andere Stellung als in patrilinearen Gesellschaften.

Die Entdeckung matrlinear organisierter Gesellschaften ist nebenbei bemerkt der ethnologische Gegenbeweis gegen Freuds Ödipuskomplex-Theorie, nach der ein kleiner Junge Kastrationsangst vor seinem Vater empfindet. Manchmal ist der Onkel mütterlicherseits eben wichtiger.
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