David Hume hat geschrieben:Guten Tag!
Was von meinen Vorrednern sträflich versäumt wurde: Herzlich willkommen im Forum!
David Hume hat geschrieben:[...] Wenn ich ohnehin determiniert bin, braucht er doch nicht zu versuchen, mich zu überzeugen. Das ist doch sinnlos. Es steht ja ohnehin schon fest, ob ich sie gutheiße oder nicht.
Ich finde es interessant, wie du hier durch die Hintertür Artefakte einer dualistischen Vorstellung eines vom Körper unabhängigen Geistes einbringst. Du scheinst nämlich irgendwie davon auszugehen, dass die Entwicklung deines Denkens magisch-schicksalhaft vorherbestimmt ist und die physische Einwirkung der Außenwelt keinerlei Einfluss auf sie hätte.
Wäre das der Fall, wäre es tatsächlich egal, ob MSS versuchen würde, dich von irgendetwas zu überzeugen. Es wäre dann aber auch jegliche Kommunikation zwischen Menschen völlig folgenlos. Wir erleben aber das Gegenteil und können das auch empirisch zeigen: Menschen reagieren stark auf die Einflussnahme anderer Menschen.
Es mag vorherbestimmt sein, in welcher Art und Weise sich das beim jeweiligen Individuum dann auswirkt, d.h. deine Reaktion auf MSS' Äußerungen ist in einer deterministischen Welt tatsächlich alternativlos, in jedem Fall findet aber eine statt. MSS wird also in jedem Fall davon ausgehen können, in deinem Kopf irgendetwas zu verändern.
Da er außerdem weiß, dass gute Argumente erfahrungsgemäß (d.h. mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit) besser adaptiert werden als schlechte (weil dahinter bestimmte evolutionär erfolgreiche Muster stehen), kann er überschlagen, mit welcher Chance er andere Menschen so in etwa erreichen, d.h. in seinem Sinne zur Übernahme seiner Meinung anregen können wird. Offensichtlich hat er diese Chance als groß genug eingeschätzt, um ein Buch zu schreiben. Vor dem Hintergrund des Determinismus ist diese Handlung sogar äußerst gut nachvollziehbar, weil in einer deterministischen Welt Erkenntnis nicht von selbst entstehen kann, sie muss durch äußere Einflüsse erzwungen werden. MSS schafft mit seinem Buch einen Einfluss, tut also genau das, was er in einer deterministischen Welt notwendigerweise tun muss, um seine Meinung zu verbreiten.
David Hume hat geschrieben:Außerdem ist er ja selber determiniert. Warum dann noch das ganze "Theater"? Selbst die Tatsache, dass ich hier diesen Beitrag schreibe, ist vorherbestimmt.
Hm. Blöde Frage: Ja und?
- Er ist selbst determiniert? Dann ist er offenbar dazu determiniert den Leuten die Angst vor dem Determinismus nehmen zu wollen. Damit kann ich gut leben.
- Warum das Theater? Keine Ahnung. Akzeptiere es oder werde religiös, wenn du es nicht ertragen kannst, ein winzigkleines Kohlenstoffsystem irgendwo im Universum zu sein (wirklich ironiefrei: Ist manchmal hart, gebe ich zu).
- Vorherbestimmtheit deines Beitrags? Ja, klar. Und? Wir freuen uns trotzdem über deine Beteiligung.
David Hume hat geschrieben:Die These der Nichtexistenz von WF führt sich doch selbst ad absurdum, oder?
Inwiefern?
Vielleicht so? Ein Freund hat mir einmal erzählt, dass sein Philosophieprofessor behauptet habe, im Determinismus sei jedes Argument hinfällig, da schon vorbestimmt sei, welches Ergebnis bei einem Streit herauskäme. Daher sei es unmöglich, den Determinismus zu beweisen, da man im Determinismus determiniert sei, ein Argument für den Determinismus zu glauben, egal ob es wahr sei oder nicht.
Meiner Meinung nach liegt so einer Denkweise ein verkappter Rest von dualistischem Denken zugrunde. Der Professor hat - genau wie du oben mit dem (Miss-)Verständniss bezüglich MSS' Argumentation - den Determinismus nicht zuende gedacht. In der Vorstellung des Professor gibt es im Determinismus keinerlei Möglichkeit der logischen Überprüfung der Determinismus-Hypothese. Das ist meiner Meinung nach Unsinn, weil der Determinismus als Naturphänomen logisch abläuft. Unbewusst geht der Professor davon aus, dass der Geist zwar determiniert ist, aber nicht den logischen Naturgesetzmäßigkeiten unterworfen wäre: Der Geist hat also deterministisch verordnete Scheuklappen und bricht stur die Gesetzmäßigkeiten der realen Welt, ein gutes (logisch-empirisch korrektes) Argument macht auf ihn nicht mehr Eindruck als ein beliebiges (!) unlogisches.
Richtig ist, dass es in der Tat Individuen geben kann, die dazu determiniert sind, die empirisch-logische Wahrheit nicht zu erkennen, weil ihnen entsprechendes Vorwissen oder logische Fertigkeiten fehlen, entweder aus fehlender Bildung oder emotionaler Verdrängung heraus (religiöse Fundamentalisten wären dafür ein Paradebeispiel). Und richtig ist auch, dass es mangels des allwissenden idealen Philosophen totale Erkenntnis in einer deterministischen Welt genausowenig gibt wie in einer indeterministischen. Trotzdem bleiben logische Argumente in einer deterministischen Welt genauso logisch und wahr wie in einer indeterministischen (die Frage ist viel eher, ob in einer indeterministischen Welt Logik überhaupt existiert, denn dort hat ein Ereignis A manchmal die Folge B, manchmal die Folge C) und können daher selbstredend überprüft werden.
Ich weiß nicht, ob das in der Nähe der Antwort war, die du gesucht hast, aber es fiel mir spontan zu deiner Äußerung ein.
Wenn man sich übrigens mal die Argumente für den Indeterminismus respektive die Willensfreiheit ansieht - Indeterminismus scheint auf der Quantenebene ja durchaus zu existieren -, dann sind viele davon äußerst dünn und können, was meinen Eindruck angeht, das verzweifelte Wunschdenken nach einer traditionellen dualistischen Welt kaum verbergen. Die meisten modernen Philosophen, Neurologie und Psychologie sowieso schon so gut wie immer, gehen von einer monistischen Welt aus, in der Willensfreiheit im Grunde keinerlei Platz hat.
David Hume hat geschrieben:Und warum überhaupt nach Menschenrechten schreien? Das Universum ist ja an sich sinnlos und Sinn wird nur vom Menschen geschaffen.
In der Tat sind MSS' Äußerungen zu normativen Themen immer von einer gewissen Unschärfe getragen. Bei der Gesellschaft für kritische Philosophie gibt es irgendwo ein PDF mit einem Artikel von ihm (offen gesagt bin ich zu faul das jetzt rauszusuchen), wo er über das Münchhausen-Trilemma schreibt. Er schließt dort, dass Dogmatismus zwar keine echte Letztbegründung sei, dass man aber dogmatisch-ähnlich den Humanismus als Grundlage normativen Denkens nehmen sollte, weil er die beste Grundlage der Vermeidung von Leid und der Generierung von Glück für möglichst viele Menschen sei (so in etwa).
Ich bin, gerade was die Menschenrechte angeht, einer ähnlichen Meinung: Wenn das Leben objektiv sinnlos ist und es keine höhere Entität (Gott) gibt, die uns einen kosmischen Auftrag erteilt hat, dann ist das beste, was wir hier tun können, es uns so gut wie möglich auf diesem kleinen Gesteinsbrocken einzurichten und hier möglichst zufrieden zu leben. Das ist keine objektive Begründung, sondern eine subjektive, aber dadurch, dass sehr viele Menschen sie teilen, eine demokratische und sehr mächtige und damit auch mehr politische als philosophische Utopie. Es hat mir aber auch bisher keiner ein gutes Argument genannt, warum die Menschheit oder speziell ich von diesem Ziel abweichen sollte. Politische und ökonomische Gleichberechtigung (d.h. aber nicht zwangsläufig sozialistische Gleichmacherei, aber Chancengleichheit, Rechtssicherheit und Hilfe für Notleidende) entspricht wohl am ehesten der von so gut wie allen Menschen aller Kulturkreise geteilten Vorstellung von Gerechtigkeit. Für Gerechtigkeit scheint es tatsächlich ein kulturell übergreifendes Empfinden zu geben, wie man in kulturunabhängigen Experimenten mit spieltheoretischen Inhalten der Befragungen zu moralischen Dilemmata immer wieder feststellen kann.
Und daraus leite ich persönlich ganz banal den Anspruch der Menschenrechte ab: Sie funktionieren am besten, um dieses Ziel zu erreichen.
David Hume hat geschrieben:Wenn mein Sinn aber darin besteht, Menschenrechte zu verletzen, dann ist das eben so. Warum soll ich auf die Rechte meine Mitmenschen achten?
Weil du von Kindesbeinen in dein (vermutlich tatsächlich ziemlich deterministisch ablaufendes) neuronales System eingehämmert bekommen hast, dass du mit sozialen Sanktionen rechnen musst, wenn du die Rechte anderer verletzt. Dass das so ist, ist die Folge eines schon lange laufenden biologischen und in den letzten Jahrtausenden verstärkt kulturell evolutionären Prozesses: Gesellschaften mit einem funktionierenden System zur Herstellung von Gerechtigkeit schaffen höhere Kooperations- und Sicherheitsgrade und sind damit erfolgreicher. Wenn du nicht auf deine Mitmenschen achtest, dann wirst du, ganz unphilosophisch, eben einfach aussortiert: Geld abgenommen, eingesperrt, mancherorts sogar getötet. Dass letzteres oftmals nicht mehr passiert, ist ja auch eine Folge der Schaffung der Menschenrechte, die ebenfalls zu einem verringerten Gefühl der Bedrohung des eigenen Lebens beiträgt, selbst, wenn man nie vorhat, straffällig zu werden. Es gibt also einfach ganz pragmatische Gründe für Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft, die Gemeinschaftsregeln zu achten. Diejenigen, die es nicht tun, werden (mehr oder weniger zwangsweise, z.B. durch sozialen Druck seitens von Freunden oder Familie, aber auch durch Therapien oder Strafmaßnahmen) integriert oder aussortiert (da sie mangels Attraktivität oder Unterbringung in einer Haftanstalt keine Nachkommen haben oder durch fremde oder eigene Hand gewaltsam zu Tode kommen), oder schaffen es eben durch beharrliches Einwirken, wie z.B. MSS mit seinem Buch, die gesellschaftlichen Spielregeln in ihrem Sinne zu verändern.
Ich gebe zu, dass das ein bisschen unromantisch klingt, aber der normative Überbau von Moralphilosophie und religiöser Moral ist im Grunde nur ein Hilfskonstrukt, um moralische Regeln besser kategorisieren zu können. Die normativen Vorstellungen und die mystischen Vorstellungen, die sich darum ranken, sind meist wohl eher ein Spiegelbild der Situation, in der eine Gesellschaft sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt befindet. Im Grunde tun dogmatische Modelle ja auch nur so, als wären sie letztbegründet, um einen gesellschaftlichen Konsens effizienter herstellen zu können. Ethische Interessensausgleichmodelle, wie MSS sie favorisiert und wie z.B. John Rawls sie sehr detailliert ausgearbeitet und begründet hat, sind meiner Meinung nach den dogmatischen Ansätzen schon allein wegen ihrer Transparenz überlegen und bieten auch mehr Flexibilität. Es mag auf den ersten Blick irritieren, dass ich Flexibilität bei ethischen Normen wichtig finde, aber was passiert, wenn man Verhaltensregeln ein für alle Mal festlegt, kann man heutzutage gut am Islam beobachten: Ein seinerzeit äußerst fortschrittliches und vergleichweise mildes Rechtssystem wie die Scharia kann sich heute, wo es eine wesentlich fortgeschrittenere Ethik gibt, nicht mehr nach oben anpassen. Darum ist es wichtig, seinen Standard jederzeit anpassen zu können, in allen anderen kulturellen und technischen Gebieten passiert das ja auch laufend.
Also für mich gibt es da eigentlich keine grundlegenden Widersprüche. Genug geschrieben jetzt.