Willens- bzw. Handlungsfreiheit

Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 14. Jan 2010, 12:44

stine hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was meinst Du mit "begeistert"?

Dass der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Teile.

Den Zusammenhang sehe ich zwar jetzt nicht, aber natürlich ist der Mensch mehr als die Summe seiner Teile. Er ist ein kulturelles, soziales Wesen, eingebunden in soziale Zusammenhänge. Ein Mensch, einfach nur isoliert für sich betrachtet, ist nicht zu verstehen.

stine hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ergo: es gibt Menschen mit freierem und welche mit unfreierem Willen - situationsbezogen, aber eine Unterscheidung in Menschen mit (absolut) freiem Willen und Menschen mit (absolut) unfreiem Willen erscheint mir unsinnig.

Die Frage scheint mir aber doch eine prinzipielle zu sein: Steuern wir ausgehend von einem Urknall zielorientiert auf irgend etwas zu, oder können wir das beeinflussen.

Das scheint mir keine Entweder-Oder-Frage zu sein, sondern eine der Interpretation, bzw. eine der Betrachtungsebene. Vom naturwissenschaftlichen Standpunkt (äußeren, objektivierenden, 3. Person-Sichtweise) ist Ersteres der Fall, vom "sozialen Standpunkt" (1. Person-Sichtweise) aus das Zweite (sofern man kein starker Fatalist ist).
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Do 14. Jan 2010, 18:10

AgentProvocateur hat geschrieben:er muss das wollen, was der Geist ihm vorgibt und zwar grundlos.

Der Geist gibt dem Menschen nichts vor, der Geist ist der Mensch, bzw. sein "Ich". So jedenfalls verstehe ich die Position der Dualisten (bin selbst keiner). Es wäre also genau dieser Geist, dem man dann auch die Schuld gibt. Der begeisterte Mensch, wie stine so schön sagt.

Nun scheint dir dieser Geist, der zudem völlig grundlos wollen kann, wenig vorstellbar. Mir auch. Wir sind wohl beide keine Dualisten. Ich habe den Geist (und du das Tourette-Syndrom) ja auch nur genannt, als Beispiel für etwas, was es nicht gibt, nämlich akausalen Willen.



Dein Gedankenexperiment mit dem Man-kriegt-nur-einen-Zylinderinhalt, weiß es aber erst hinterher, finde ich interessant.
AgentProvocateur hat geschrieben:Du hattest also, während Du den gewünschten Gegenstand herausgenommen hast, keine Möglichkeit dazu, einen der anderen Gegenstände herauszunehmen. Du warst in Deiner Handlungsfreiheit eingeschränkt, ohne das aber bemerken zu können. Ist das Zwang?

Ja. Zwang ist es, unabhängig davon, ob ich ihn bemerke oder nicht. Zwang ist eine objektive Tatsache, kein subjektives Erlebnis. Denn ich definiere Zwang so: Zwang ist, wenn ich nicht anders kann. Und in deinem Beispiel konnte ich nicht anders. Ich konnte die Sachen nur noch aus dem Zylinder vor mir nehmen.
Ok, ich wusste es nicht. Ich dachte wohl, ich könnte auch noch andere Sachen nehmen. Ich dachte wohl, ich hätte Handlungsfreiheit. Ich dachte wohl, es läge kein Zwang vor. Lag aber vor.
Wem glaubst du nun, dem Uninformierten in der Situation, als er noch nichts vom Schließmechanismus wusste? Oder dem objektiven Betrachter, der genau sah, wann es keine Handlungsalternative mehr gab? Ich finde es irgendwie naiv von dir, von Handlungsfreiheit zu reden, nur weil der Dümmste im Raum sich die für ein paar Sekunden einbildet hat, bevor sogar er selbst seinen Irrtum bemerkt. Nicht einmal der Handelnde in deinem Experiment ist später der Ansicht, dass er frei hätte handeln können. Wieso also beziehst du dich bei deiner Zwang-Definition ausgerechnet auf die subjektive Sicht des Dümmsten genau zu dem Zeitpunkt, wo er noch falsch lag? Ist mir ein Rätsel.

AgentProvocateur hat geschrieben:Macht es einen Unterschied, ob der Mechanismus existiert oder nicht? Macht es einen Unterschied, ob der Mechanismus eingeschaltet war oder nicht? Wenn ja: warum?

1) Wenn der Mechanismus nicht eingeschaltet ist, behalte ich den ersten Eindruck, frei handeln zu können. Weil ich es ja auch kann. Ich stopfe mir die Taschen auch noch mit dem Inhalt der anderen Zylinder voll und freue mich. Auch 13 Jahre später sage ich rückblickend: da konnte ich frei handeln, schön wars.

2) Wenn der Mechanismus eingeschaltet ist, bemerke ich nach kurzer Zeit, dass ich nicht frei handeln konnte. Ich kann dann rückblickend sagen, dass ich keine Handlungsfreiheit hatte. Wenn mich bei meiner Rückkehr ins Piratenlager der Piratenrichter verurteilen will, weil ich nur den kümmerlichen Inhalt eines einzigen Zylinders ergattert habe, dann verbitte ich mir, Schuld zugewiesen zu bekommen. Ich übernehme die Verantwortung, es war meine Handlung. Aber ich lasse mich nicht beschuldigen, weil ich ja nunmal nicht anders konnte, eben aus Mangel an Handlungsfreiheit.

Ich finde, zwischen (1) und (2) ist ein recht großer Unterschied.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich meine, die Vorliebe zwingt mich durchaus. Wieso sonst sollte ich Schokoriegel essen?

Das ist die falsche Frage. Der Punkt ist: sie determiniert Dich nicht zum Schoko-Riegelessen, es ist nur ein Faktor und deswegen zwingt sie Dich auch nicht dazu. Du kannst immer vorher überlegen, ob Du das willst oder ob Du das Schoko-Riegel-Essen lieber ein bisschen einschränkst. Diese Überlegung ist Deine und die Entscheidung liegt bei Dir.

Ich frage dich: "wieso esse ich den Schokoriegel" und du antwortest mit der Begründung, wieso ich ihn nicht essen musste. Ich verstehe langsam, wieso meine Frage die falsche Frage war. Weil deine Antwort gar nicht zu ihr passt :)
Die richtige Frage zu deiner Antwort wäre gewesen "Wieso musste ich den Schokoriegel nicht esssen?"

Aber unsere eigentliche Streitfrage ist hier ja: "musste ich oder musste ich nicht?"
Ich sage: ich musste, weil meine Vorliebe im Konzert der Neuronen gewonnen hatte.
Du sagst: ich musste nicht, weil ich es mir ja vorher anders überlegen hätte können.

Ich glaube nun, du liegst falsch und um das zu argumentieren, stelle ich dir die Frage, wieso ich den Schokoriegel aß obwohl das mit meinem Ziel, gesund zu leben, kollidiert. Oder inzwischen wäre die Frage wohl besser so formuliert: Wenn ich wirklich nur vorher hätte überlegen müssen, um damit das Schokoriegelessen zu verhindern (wie du behauptest), warum habe ich es dann nicht getan? Wenn die Entscheidung bei mir lag, wieso traf ich dann die falsche?

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, dass jemand, der nur nach momentanen Lustgefühlen handelt und demnach entweder nicht in der Lage dazu ist, langfristig zu denken oder der zwar in der Lage dazu ist, das aber bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigen kann, diese also lediglich von momentanen Regungen / Trieben bestimmt werden, nicht frei ist in seiner Entscheidung, und zwar dann, wenn das bedeutet, (was es aber nicht automatisch muss), dass dies seinen langfristigen Zielen widerspricht, er also eigentlich gar nicht will, was er tut.

Du siehst den Zwang doch darin, dass jemand etwas tut was er gar nicht will. Klingt ja auch erstmal vernünftig.
In deinem Wortlaut gehst du aber nun davon aus, dass nur jemand, der von momentanen Regungen/Trieben bestimmt wird, nicht frei ist in seiner Entscheidung.
1) Wie passt das zusammen mit deiner Definition von bewusster Entscheidung? Wenn ich mich von meinen momentanen Regungen leiten lasse, mir das aber bewusst ist, dann, so folgt aus deiner Definition, ist es dennoch eine bewusste Entscheidung. Egal ob die Grundlage eine momentane Regung oder gründliches Nachdenken über ganz langfristige Ziele ist.
2) Was macht dich eigentlich so sicher, dass die Neigung, langfristig zu denken, nicht vielleicht auch nur einfach ein Trieb ist? Ich habe den Eindruck, deine eigentlich zwei Kategorien ("einer Regung folgen" versus "langfristiges Denken") in Wirklichkeit eine Kategorie ist : "das machen, was gerade im Gehirn los ist"


Stellen wir uns jemanden in einer anderen Welt mit identischer Lebensgeschichte vor, dessen Entscheidungen aber durch einen "akausalen dualistischen immateriellen Geist aus einer anderen Dimension" getroffen wurden, dann war der frei. Und in unserer Welt war er unfrei, weil hier alles gleichermaßen (= ganz genauso, identisch, ohne Unterschied) unfrei ist, ... Hört sich zwar (vielleicht nur für mich) merkwürdig an, (wie können von zwei Menschen mit ein- und derselben Lebensgeschichte, mit denselben Entscheidungen und Kontrollmöglichkeiten, der eine frei und der andere unfrei sein?), ist aber dennoch so.

Hey, das kann ich auch.
    Stellen wir uns zwei genau gleiche Äpfel vor, die aber völlig unterschiedlich sind. Hört sich für mich (und jeden anderen) völlig merkwürdig an (wie können zwei gleiche Äpfel unterschiedlich sein?)
Ich meine, du hast deinen "Widerspruch" nach diesem Schema gestrickt. Aber in deiner Logik ist ein Dreher. Die beiden jemande in deinem Beispiel haben eben nicht dieselben Kontrollmöglichkeiten, wie du behauptest. Du hast doch vorher selbst definiert, dass der eine frei und der andere nicht frei ist. Und mit unterschiedlichen Kontrollmöglichkeiten könnte es ja nun tatsächlich sein, dass der eine frei und der andere unfrei ist.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 14. Jan 2010, 20:16

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:er muss das wollen, was der Geist ihm vorgibt und zwar grundlos.

Der Geist gibt dem Menschen nichts vor, der Geist ist der Mensch, bzw. sein "Ich". So jedenfalls verstehe ich die Position der Dualisten (bin selbst keiner). Es wäre also genau dieser Geist, dem man dann auch die Schuld gibt. Der begeisterte Mensch, wie stine so schön sagt.

Auch wenn Du selber der Geist bist, macht das doch keinen Unterschied: Du hast dann willkürlich entschieden, ohne Gründe, völlig zufällig, ohne Zusammenhang mit Deiner Persönlichkeit, Deinen Wertvorstellungen, Deinen Überlegungen, unberechenbar, auch für Dich. Wie könnte ich Dich dann dafür für verantwortlich dafür halten? Wenn Verantwortung etwas mit Rechenschaftspflicht zu tun hat, und so habe ich das oben definiert: wie könntest Du Rechenschaft für rein zufällige Entscheidungen ablegen? Du weißt doch dann selber nicht, was Du als Nächstes tun wirst, Du wärst ebenso überrascht davon wie ich. Ich würde Dich dann nicht als frei ansehen, sondern als psychisch gestört: Verlust der Kontrollfähigkeit. So wie den mit dem Tourette-Syndrom.

ganimed hat geschrieben:Dein Gedankenexperiment mit dem Man-kriegt-nur-einen-Zylinderinhalt, weiß es aber erst hinterher, finde ich interessant.

Öhm, da hast Du etwas falsch verstanden, weil ich es wohl falsch / unvollständig erklärt habe. Der Mechanismus funktioniert wie folgt: sobald Du Deine Hand einem Zylinder näherst, werden alle anderen Zylinder verriegelt. Sobald Du Dich aber von dem Zylinder entfernst, werden sie wieder entriegelt. Und dieser Mechanismus ist bei jedem Zylinder vorhanden. Mit anderen Worten: Du kannst, wenn Du willst, aus jeden Zylinder den Inhalt herausnehmen, in beliebiger Reihenfolge. Der Mechanismus hindert Dich nicht daran. Er stellt lediglich sicher, dass Du nie das tun kannst, was Du gerade nicht willst. Wahrscheinlich war auch, zusätzlich dazu, dass ich den Mechanismus unzureichend erklärt habe, missverständlich, dass ich gesagt habe, Du darfst nur aus einem einzigen Zylinder den Inhalt herausnehmen. Aber das ist hier völlig unwesentlich, wir können auch sagen, Du darfst Dir nehmen, was immer Du möchtest.

Was nun mAn keine Einschränkung Deiner Freiheit darstellt, das ist mein Punkt hier. Es ist daher mAn egal, ob der Mechanismus existiert oder nicht und ob er eingeschaltet ist oder nicht und ob jemand das weiß, ob er gerade eingeschaltet ist oder nicht. Du kannst jederzeit das tun, was Du gerade willst. Nur nicht das, was Du gerade nicht willst. Und das bedeutet Handlungsfreiheit mE: tun können, was man will.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ich meine, die Vorliebe zwingt mich durchaus. Wieso sonst sollte ich Schokoriegel essen?

Das ist die falsche Frage. Der Punkt ist: sie determiniert Dich nicht zum Schoko-Riegelessen, es ist nur ein Faktor und deswegen zwingt sie Dich auch nicht dazu. Du kannst immer vorher überlegen, ob Du das willst oder ob Du das Schoko-Riegel-Essen lieber ein bisschen einschränkst. Diese Überlegung ist Deine und die Entscheidung liegt bei Dir.

[...] Ich glaube nun, du liegst falsch und um das zu argumentieren, stelle ich dir die Frage, wieso ich den Schokoriegel aß obwohl das mit meinem Ziel, gesund zu leben, kollidiert. Oder inzwischen wäre die Frage wohl besser so formuliert: Wenn ich wirklich nur vorher hätte überlegen müssen, um damit das Schokoriegelessen zu verhindern (wie du behauptest), warum habe ich es dann nicht getan? Wenn die Entscheidung bei mir lag, wieso traf ich dann die falsche?

Oh, okay, da hatte ich wohl was falsch verstanden und zwar: warum sollte ich Schokoriegel essen wollen statt warum habe ich ihn gegessen, obwohl ich das eigentlich nicht wollte.

Aber das habe ich eigentlich oben mehrfach beantwortet: wenn Du etwas tust, was Du bereust und vorher schon weißt, dass Du es bereuen wirst, dann bist Du mAn in dieser Hinsicht unfrei. Das ist dann eine Sucht, gegen die Du Dich nicht wehren kannst und eine Sucht sehe ja auch ich als (inneren) Zwang an.

ganimed hat geschrieben:2) Was macht dich eigentlich so sicher, dass die Neigung, langfristig zu denken, nicht vielleicht auch nur einfach ein Trieb ist? Ich habe den Eindruck, deine eigentlich zwei Kategorien ("einer Regung folgen" versus "langfristiges Denken") in Wirklichkeit eine Kategorie ist : "das machen, was gerade im Gehirn los ist"

Man unterscheidet nun mal zwischen Zwangshandlungen (z.B. Waschzwang, Kontrollzwang etc.) und solchen Entscheidungen, die aufgrund einer Abwägung von Gründen getroffen wurde. Mit anderen Worten: wenn man jemanden fragt: "warum hast Du das getan?" kann der unter einem inneren Zwang Handelnde dafür keinen nachvollziehbaren Grund angeben. Und wenn er das nicht kann, oder wenn er gar sagt: "ich weiß, dass es falsch war, was ich getan habe, es stört mich selber, ich will und wollte das gar nicht tun", dann ist sein Tun zwanghaft. Wenn jemand etwas nicht tun will und das weiß und sich dennoch dafür entscheidet, dann handelt er mAn zwanghaft. Nämlich gegen seinen Willen. Das verstehe ich unter "Zwang".

ganimed hat geschrieben:Die beiden jemande in deinem Beispiel haben eben nicht dieselben Kontrollmöglichkeiten, wie du behauptest. Du hast doch vorher selbst definiert, dass der eine frei und der andere nicht frei ist. Und mit unterschiedlichen Kontrollmöglichkeiten könnte es ja nun tatsächlich sein, dass der eine frei und der andere unfrei ist.

Hm, aber deine Freiheit hat nun mal nichts mit Kontrolle zu tun, sie geht einfach so: "frei ist das, was ohne Abhängigkeiten irgendwelcher Art ist".

Es gibt bei einem akausalen Zufall aber keine Kontrollmöglichkeit. Ein solcher geschieht immer unvorhersehbar und das ist ein eklatanter Widerspruch zu möglicher Kontrolle. Kontrolle bedeutet mE: ich kann etwas willentlich in meinem Sinne beeinflussen. Und das geht bei Zufall nun mal nicht, der ist einfach nur zufällig, beliebig.

Die Aufgabe des Inkompatabilisten ist es nun mAn, diesen Widerspruch aufzulösen. Ansonsten kann er nicht behaupten, dass ein kausaler Wille nicht frei sein kann, denn ein akausaler Wille ist es in jeder Hinsicht noch viel weniger, weil eben unkontrollierbar, willkürlich, beliebig, kann so oder genauso gut ganz anders sein, ganz ohne Grund, ohne Zusammenhang. Wo ist da die Kontrolle? Das ist meine Frage.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Fr 15. Jan 2010, 02:58

AgentProvocateur hat geschrieben:Auch wenn Du selber der Geist bist, macht das doch keinen Unterschied: Du hast dann willkürlich entschieden, ohne Gründe, völlig zufällig, ohne Zusammenhang mit Deiner Persönlichkeit, Deinen Wertvorstellungen, Deinen Überlegungen, unberechenbar, auch für Dich.

Du kannst die Idee mit dem dualistischen Geist ablehnen. Aber bitte nicht dauernd die Definition verbiegen.
Der Geist entscheidet willkürlich, ohne Gründe, also akausal. Aber nicht zufällig, nicht ohne Zusammenhang mit seiner Persönlichkeit und dem Rest, insofern also möglicherweise halbwegs berechenbar für jemanden, der diese Persönlichkeit kennt.

Ich gebe ja zu, dass dies ein wildes Konstrukt der Dualisten ist (wenn ich es hier überhaupt richtig wiedergebe). Wir können dieses Konstrukt entweder als Gedankenexperiment akzeptieren oder zurückweisen. Du aber scheinst es andauernd umdefinieren zu wollen bevor du es kritisierst. Bleiben wir lieber mal bei der Definition: gedacht ist dieser Geist als planendes, freies, mit Persönlichkeit behaftetes, wollendes Etwas. Nur kausal abhängig ist er nicht.

Und wenn das so wäre, nur mal angenommen, dann finde ich könnte man diesem Geist die Schuld geben, weil er einen wirklich freien Willen hat.
Und jemand, der keinen freien Willen hat (weil er nur das ausführt, was die kausalen Umstände ihm vorgeben) wäre aus Mangel an Handlungsalternativen nicht schuldfähig.



Zurück zum Mechanismusbeispiel. Ich nummeriere mal durch. Deine Version verstehe ich jetzt so:
M1 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-auch-wenn-ferne-Zylinder-immer-leise-auf-und-zu-gehen:
Da muss ich dir Recht geben. Es macht in der Tat keinen Unterschied, ob der Mechanismus aktiv ist oder nicht. In beiden Fällen habe ich die freie Auswahl, welche Zylinder ich in welcher Reihenfolge abgreife. Der Mechanismus zwingt mir nichts auf. Ich kann unabhängig von ihm handeln und wollen.

Und wenn ich es richtig verstehe (wäre ja mal was Neues) dann willst du darauf hinaus, dass das bei den kausalen Abhängigkeiten auch so ist. Der kausale Ursachenmechanismus ist auch aktiv, aber ich merke es nicht. Weil der Zylinder an den ich gerade dran will auch zufällig immer gerade auf ist. Der Zwang der Kausalität ist nicht spürbar und also für mich irrelevant.
Und ich sehe es wie du, dass die Versuchsperson in diesem Experiment so oder so Handlungsfreiheit erlebt. Das was sie will kann sie auch tun. Ein Zwang, der mich zu nichts zwingt ist kein Zwang.

Dein Beispiel beschreibt also einen Mechanismus, der kein Zwang ist.
Die Kausalität, finde ich, ist aber doch ein Zwang.
Denn ein Mechanismus der mich zu etwas zwingt und den ich nur nicht merke (weil ich zufällig dasselbe will) der ist doch ein Zwang. Behaupte ich weiter.

Wenn ich darf, wandle ich dein Experiment dafür ab.
M2 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-aber-nur-in-einer-zufälligen-Reihenfolge
Die Versuchsperson kommt also in den Raum mit den Zylindern. Durch einen unbekannten Mechanismus gesteuert öffnet sich nur ein bestimmter Zylinder. Die Versuchsperson geht zum offenen Zylinder, entnimmt den Inhalt, der Zylinder schließt sich automatisch und ein anderer geht dafür auf. Die Person freut sich, dass sie noch mehr bekommt, geht zu diesem neu geöffneten Zylinder, entnimmt den Inhalt und schon geht der nächste auf. Usw. Hinterher erzählt mir die Person freudestrahlend, dass sie sich die Taschen mit dem Inhalt von allen Zylindern vollstopfen konnte und sehr zufrieden ist. Zwang? Nein Zwang hätte sich nicht gespürt. Sie wollte ja möglichst viele Zylinder leer räumen und die Reihenfolge war ihr egal.

In diesem Beispiel hatte die Versuchsperson Handlungsfreiheit. Was sie wollte durfte sie auch tun. Aber ihr wurde die Reihenfolge in der sie die Zylinder besucht aufgezwungen. Das war der Person aber egal, weil sie gar keine andere, keine eigene Reihenfolge geplant hatte. Sie wollte nur alle Zylinder besuchen, und da stand ihr der Mechanismus nicht im Wege.

Ich würde aber den Mechanismus dennoch als Zwang betrachten, auch wenn die Versuchsperson das nicht so sieht.
Ich vermute, dass der Mechanismus nach deinem Verständnis keinen Zwang darstellt?

Noch eine Abwandlung:
M3 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-aber-nur-in-der-vom-fiesen-X-geplanten-Reihenfolge
Die Reihenfolge in der sich die Zylinder öffnen, wird nun nicht mehr zufällig oder von einem undurchsichtigen Mechanismus gesteuert. Die Reihenfolge wird von Mister X festgelegt. Und der hat vorher mit jemandem gewettet, dass er es schafft eine Versuchsperson auf einem vorher festgelegten Zickzackkurs durch einen Raum laufen zu lassen wie eine Marionette. Er steuert die Person also nicht nur, sondern tut dies auch noch aus niederer Gewinnsucht.

Ich könnte mir denken, dass hier die Freiheitsdefinition der Kompatibilisten aufhört. Denn wenn man in seinen Entscheidungen von jemandem anderen zielgerichtet beeinflusst, also manipuliert wird, dann empfindet das wohl kaum jemand mehr als Freiheit. Zwar weiß die Versuchsperson nach wie vor nichts von dem abgekarteten Spiel, aber wir wissen es.

Ich sage nach wie vor: der Mechanismus (gesteuert von Mister X) ist ein Zwang für die Versuchsperson.
Aber für mich sind, was den Zwangcharakter angeht, die beiden Beispiele gleichwertig. Egal ob Mister X dahinter steckt oder der Zufall, egal ob die Versuchsperson es merkt oder nicht: in allen Fällen wird die Reihenfolge der Zylinderbesuche der Versuchsperson aufgezwungen. Mein Freiheitsbegriff hängt davon ab, ob der Person etwas aufgezwungen wird. Und nicht, wer dahinter steckt oder wie die Person darüber denkt.

Wäre so der Unterschied zwischen unseren Positionen zu sehen?
Ich nenne M1 keinen Zwang, aber M2 und M3 sind Zwang.
Du nennst M1 und M2 keinen Zwang aber M3 ist Zwang?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon stine » Fr 15. Jan 2010, 09:14

Der "Geist" René Descartes als nächtliche Erleuchtung?

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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 15. Jan 2010, 12:21

ganimed hat geschrieben:Bleiben wir lieber mal bei der Definition: gedacht ist dieser Geist als planendes, freies, mit Persönlichkeit behaftetes, wollendes Etwas. Nur kausal abhängig ist er nicht.

Ich kann es mir nicht anschaulich vorstellen, das ist wohl mein Problem hier.

Könnte man es vielleicht folgendermaßen in eine naturalistische Welt übertragen (?): nehmen wir an, ein Mensch hätte in seinem Gehirn einen echt zufällig funktionierenden (akausalen) neuronalen Zufallsgenerator, der in Situationen Vorschläge produziert. Dieser Vorschlagsgenerator funktioniert jetzt aber nicht völlig beliebig, sondern er produziert nur sinnvolle Vorschläge, d.h. zur Situation passende, diese aber in beliebiger Reihenfolge und in beliebiger Auswahl. D.h. würde die exakt gleiche Situation wieder eintreten, gäbe es andere (aber nur zur Situation passende) Vorschläge zur Meisterung der Situation in anderer Reihenfolge. Und unter diesen Vorschlägen wählt der Mensch dann bewusst nach seinen Gründen und Bewertungsmaßstäben den seiner Ansicht nach besten aus.

So in der Art?

ganimed hat geschrieben:M1 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-auch-wenn-ferne-Zylinder-immer-leise-auf-und-zu-gehen:
Da muss ich dir Recht geben. Es macht in der Tat keinen Unterschied, ob der Mechanismus aktiv ist oder nicht. In beiden Fällen habe ich die freie Auswahl, welche Zylinder ich in welcher Reihenfolge abgreife. Der Mechanismus zwingt mir nichts auf. Ich kann unabhängig von ihm handeln und wollen.

Und wenn ich es richtig verstehe (wäre ja mal was Neues) dann willst du darauf hinaus, dass das bei den kausalen Abhängigkeiten auch so ist. Der kausale Ursachenmechanismus ist auch aktiv, aber ich merke es nicht. Weil der Zylinder an den ich gerade dran will auch zufällig immer gerade auf ist. Der Zwang der Kausalität ist nicht spürbar und also für mich irrelevant.

Worauf ich hinaus wollte: es ist keine Einschränkung der Handlungsfreiheit, dass, wenn ich A tue, ich nicht gleichzeitig Nicht-A tun kann. Das ist aber unabhängig davon, ob ich das weiß oder nicht.

Eine Einschränkung der Handlungsfreiheit besteht mAn nur dann, wenn ich A tun will und ich es nicht tun kann.

ganimed hat geschrieben:M2 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-aber-nur-in-einer-zufälligen-Reihenfolge
[...]
M3 : Man-kriegt-alle-Zylinderinhalte-aber-nur-in-der-vom-fiesen-X-geplanten-Reihenfolge
Die Reihenfolge in der sich die Zylinder öffnen, wird nun nicht mehr zufällig oder von einem undurchsichtigen Mechanismus gesteuert. Die Reihenfolge wird von Mister X festgelegt. Und der hat vorher mit jemandem gewettet, dass er es schafft eine Versuchsperson auf einem vorher festgelegten Zickzackkurs durch einen Raum laufen zu lassen wie eine Marionette. Er steuert die Person also nicht nur, sondern tut dies auch noch aus niederer Gewinnsucht.

Ich könnte mir denken, dass hier die Freiheitsdefinition der Kompatibilisten aufhört. Denn wenn man in seinen Entscheidungen von jemandem anderen zielgerichtet beeinflusst, also manipuliert wird, dann empfindet das wohl kaum jemand mehr als Freiheit. Zwar weiß die Versuchsperson nach wie vor nichts von dem abgekarteten Spiel, aber wir wissen es.

Ich sage nach wie vor: der Mechanismus (gesteuert von Mister X) ist ein Zwang für die Versuchsperson.
Aber für mich sind, was den Zwangcharakter angeht, die beiden Beispiele gleichwertig. Egal ob Mister X dahinter steckt oder der Zufall, egal ob die Versuchsperson es merkt oder nicht: in allen Fällen wird die Reihenfolge der Zylinderbesuche der Versuchsperson aufgezwungen. Mein Freiheitsbegriff hängt davon ab, ob der Person etwas aufgezwungen wird. Und nicht, wer dahinter steckt oder wie die Person darüber denkt.

Wäre so der Unterschied zwischen unseren Positionen zu sehen?
Ich nenne M1 keinen Zwang, aber M2 und M3 sind Zwang.
Du nennst M1 und M2 keinen Zwang aber M3 ist Zwang?

Meiner Ansicht nach sind alle drei Szenarien kein Zwang, bei den letzten beiden Szenarien gibt es lediglich zusätzliche! Umstände zum ersten Fall, die eine bestimmte Vorgehensweise (andere als im ersten Fall) notwendig machen, damit ich mein Ziel erreiche (die Gegenstände zu bekommen). Dabei macht es mE keinen Unterschied, ob es einen Mister X gibt, der eine Wette laufen hat, denn unabhängig davon, ob ich das weiß oder nicht, würde ich mich dennoch dafür entscheiden, die Zylinder abzuräumen (falls mich der Inhalt hinreichend interessiert). Mister X zwingt mich keineswegs dazu und er steuert mich auch nicht, ich bin nicht seine Marionette. Ist mir doch wurscht, dass Mister X meint, mich steuern zu können, warum sollte mich das stören, wenn es doch nicht so ist, wenn er fälschlicherweise dieser Auffassung ist?

Umstände, die eine gewisse Vorgehensweise erfordern, um meine Absicht in die Tat umzusetzen, würde ich nicht per se als Zwang ansehen. Denn dann wäre es auch Zwang, dass die Gegenstände in Zylindern liegen und ich die erst öffnen muss, leichter wäre es, wenn die Gegenstände offen auf dem Podest liegen. Und Zwang wäre auch, dass die Gegenstände von mir entfernt liegen, denn dann muss ich erst dorthin gehen, um sie nehmen zu können. Und Zwang wäre auch, dass ich sie nehmen muss, (eine Greifbewegung ausführen muss), um sie zu bekommen.

Oder nehmen wir mal an, in meiner Gegend gäbe es weit und breit kein Hallenbad. Das ist gewissermaßen Zwang, eine Einschränkung meiner Handlungsfreiheit, denn wenn ich ins Hallenbad gehen wollte, könnte ich es nicht. Nehmen wir nun an, ein Hallenbad würde gebaut, in 3 Kilometer Entfernung. Nun muss ich, wenn ich dorthin gehen will, den Weg auf mich nehmen, was in Deiner Ansicht Zwang wäre. In meiner Ansicht aber nicht, ich würde mich freuen, dass der Zwang weggefallen ist, der mich daran hinderte, ins Hallenbad zu gehen (weil keins da war) und würde es als selbstverständlich hinnehmen, dass, um ins Hallenbad zu gehen, gewisse Umstände einzuhalten sind (ich muss einen Weg auf mich nehmen, in Deiner Ansicht: ich bin dazu gezwungen).

Aber auch, wenn Du nun weiterhin beides Zwang nennen willst: Du musst doch wenigstens zugeben, dass der eine Zwang anders zu bewerten ist als der andere, eine andere Qualität hat, oder? Denn in der einen Situation (gibt kein Hallenbad) kann ich meinen dringenden Wunsch (ins Hallenbad zu gehen) überhaupt nicht in die Tat umsetzen, im anderen Falle kann ich es jedoch, wenn ich bereit bin, den damit Deiner Ansicht nach verbundenen Zwang (den Weg dorthin zurückzulegen) in Kauf zu nehmen. Und das ist ein wesentlicher Unterschied, oder etwa nicht?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Fr 15. Jan 2010, 22:17

AgentProvocateur hat geschrieben:Könnte man es vielleicht folgendermaßen in eine naturalistische Welt übertragen (?): nehmen wir an, ein Mensch hätte in seinem Gehirn einen echt zufällig funktionierenden (akausalen) neuronalen Zufallsgenerator, der in Situationen Vorschläge produziert. Dieser Vorschlagsgenerator funktioniert jetzt aber nicht völlig beliebig, sondern er produziert nur sinnvolle Vorschläge ... So in der Art?

Ja, meinetwegen auch so. Obwohl ich ja finde, dass dieser Zufallsgenerator genau so wenig Teil der naturalistischen Welt ist. Wurde hier im Forum irgendwo auch schon mal viel drüber diskutiert, ob es einen echten Zufall gibt und was darunter zu verstehen ist. Ich meine ja, es gibt echten Zufall nicht und unsere Welt ist streng kausal. Aber dieses Detail ist ja eigentlich egal.

AgentProvocateur hat geschrieben:Eine Einschränkung der Handlungsfreiheit besteht mAn nur dann, wenn ich A tun will und ich es nicht tun kann.

Völlig deiner Meinung.

AgentProvocateur hat geschrieben:Meiner Ansicht nach sind alle drei Szenarien kein Zwang, ... Dabei macht es mE keinen Unterschied, ob es einen Mister X gibt, der eine Wette laufen hat, denn unabhängig davon, ob ich das weiß oder nicht, würde ich mich dennoch dafür entscheiden, die Zylinder abzuräumen (falls mich der Inhalt hinreichend interessiert). Mister X zwingt mich keineswegs dazu und er steuert mich auch nicht, ich bin nicht seine Marionette. Ist mir doch wurscht, dass Mister X meint, mich steuern zu können, warum sollte mich das stören, wenn es doch nicht so ist, wenn er fälschlicherweise dieser Auffassung ist?

Mister X zwingt dich nicht dazu, die Zylinder auszuräumen. Aber er zwingt dir die Reihenfolge der besuchten Zylinder auf. Mister X ist nicht fälschlicherweise der Meinung, dir was aufzuzwingen, sondern er tut es tatsächlich (zumindest solange du an der Strategie festhälst, alle Zylinder besuchen zu wollen).

AgentProvocateur hat geschrieben:Umstände, die eine gewisse Vorgehensweise erfordern, um meine Absicht in die Tat umzusetzen, würde ich nicht per se als Zwang ansehen. Denn dann wäre es auch Zwang, dass die Gegenstände in Zylindern liegen und ich die erst öffnen muss, leichter wäre es, wenn die Gegenstände offen auf dem Podest liegen. Und Zwang wäre auch, dass die Gegenstände von mir entfernt liegen, denn dann muss ich erst dorthin gehen, um sie nehmen zu können. Und Zwang wäre auch, dass ich sie nehmen muss, (eine Greifbewegung ausführen muss), um sie zu bekommen.

Also nach meiner Definition sind die hier von dir aufgeführten Beispiele tatsächlich alles Zwänge. Das ganze Leben ist voll von Zwängen. Ich nenne das verallgemeinernd kausale Faktoren. Weil der Zylinder so ist wie er ist muss ich ihn erst öffnen. Weil der Zylinder dort steht, muss ich dorthin gehen. Weil meine Vorliebe für Schokoriegel so stark ist, muss ich jetzt einen essen. Ich sehe da keine Freiheitsgrade. Die schaffst du dir, wenn ich das richtig verstehe, durch Umdefinition des Begriffs "Zwang". Zwang ist für dich nicht mehr etwas, was dir keine Wahl lässt, sondern Zwang ist für dich etwas, was von deiner Wahl so stark abweicht, dass es dir unangenehm genug auffällt. Du definierst den Zwang also subjektiv, während ich eher bei der objektiven Definition bleiben würde.

Wenn das so ungefähr unsere Differenz beim Begriff "Zwang" wäre, dann ergibt sich für mich fast schon ein geschlossenes Bild. Ich hoffe, es ist nicht zu voreilig von mir, mal eine Zwischenbilanz zu versuchen:

1) Begriff "Handlungsfreiheit"
Hier scheinen wir übereinzustimmen.

2) Begriff "Zwang"
Ich halte es mit dem 'objektiven' Zwang, du mit dem 'subjektiven'.

3) Begriff "freier Wille"
Wenn man hier mal unterstellt, dass das frei sich auf die Abwesenheit von Zwang bezieht:
Aus (2) würde dann folgen, dass ich keinen freien Willen sehe (weil objektiv alles durch kausale Abhängigkeiten erzwungen wird), während du mit der subjektiven Brille auf graduelle Freiheit kommst, je nachdem wie stark der 'subjektive' Zwang erlebt wird.

4) Begriff "Schuld"
Ich glaube, wir sind uns einig, dass ein Handelnder nur dann schuldfähig ist, wenn er bei der Entscheidung zur Handlung wenigstens teilweise frei ist.
Da ich keine Freiheit sehe, halte ich den Schuld-Begriff für überflüssig weil nicht mehr anwendbar. Du kannst weiterhin mit Schuld operieren, da es bei dir ja durchaus freie Entscheidungen gibt.

Könnte man es auch nur annähernd so zusammenfassen?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 15. Jan 2010, 23:05

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Könnte man es vielleicht folgendermaßen in eine naturalistische Welt übertragen (?): nehmen wir an, ein Mensch hätte in seinem Gehirn einen echt zufällig funktionierenden (akausalen) neuronalen Zufallsgenerator, der in Situationen Vorschläge produziert. Dieser Vorschlagsgenerator funktioniert jetzt aber nicht völlig beliebig, sondern er produziert nur sinnvolle Vorschläge ... So in der Art?

Ja, meinetwegen auch so. Obwohl ich ja finde, dass dieser Zufallsgenerator genau so wenig Teil der naturalistischen Welt ist. Wurde hier im Forum irgendwo auch schon mal viel drüber diskutiert, ob es einen echten Zufall gibt und was darunter zu verstehen ist. Ich meine ja, es gibt echten Zufall nicht und unsere Welt ist streng kausal. Aber dieses Detail ist ja eigentlich egal.

Was ich nicht verstehe: was macht es für einen Unterschied, ob ein Zufall "echt" ist oder ob er letztlich durch Kausalketten verursacht wurde, die aber durch uns niemals nachzuvollziehen sind?

Für Dich macht das ja offensichtlich den grundlegenden Unterschied, aber wieso eigentlich?

Wenn also der oben skizzierte Vorschlagsgenerator nicht indeterminiert (echt zufällig) funktionieren würde, sondern deterministisch chaotisch (was bedeuten würde, dass er - rein theoretisch - in exakt derselben Situation - falls so etwas in unserer Welt überhaupt möglich ist - dieselben Vorschläge unterbreiten würde): was machte das für einen Unterschied für eine Zuweisung von Verantwortung und Schuld?

Das ist der Punkt, den ich überhaupt noch nicht verstehe.

Eine erhöhte Kontrolle gäbe es dadurch ja sicher nicht. Was aber sonst? Gut, "echte Freiheit" in Deinem Sinne, aber was hat das mit Verantwortung und Schuld zu tun, wo ist der Zusammenhang?

ganimed hat geschrieben:Also nach meiner Definition sind die hier von dir aufgeführten Beispiele tatsächlich alles Zwänge. Das ganze Leben ist voll von Zwängen. Ich nenne das verallgemeinernd kausale Faktoren. Weil der Zylinder so ist wie er ist muss ich ihn erst öffnen. Weil der Zylinder dort steht, muss ich dorthin gehen. Weil meine Vorliebe für Schokoriegel so stark ist, muss ich jetzt einen essen. Ich sehe da keine Freiheitsgrade. Die schaffst du dir, wenn ich das richtig verstehe, durch Umdefinition des Begriffs "Zwang".

Hm, naja, also ich glaube ja ehrlich gesagt, dass meine Definition, mein Verständnis von "Zwang" sehr viel eher dem gebräuchlichen entspricht, ich glaube also, dass Du eine Umdefinition vornimmst, die zumindest ich für höchst unplausibel halte.

Nach Deiner Definition wäre es ein zusätzlicher Zwang, (Erhöhung des Zwanges), wenn jemand einem Bettler einen Euro in seinen Hut wirft. Und es wäre weniger Zwang dem Bettler gegenüber, wenn er das nicht täte. Und da Zwang für Dich negativ belegt ist (oder?) wäre es demnach besser, dem Bettler nichts zu geben.

Aber es ist noch nicht mal so sehr Deine Definition, die mich stört, darauf könnten wir uns noch einigen, (allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass ich akausale Umstände dann auch als Zwang ansehen würde -> alle Gegebenheiten / Umstände müssten dann Zwang sein, egal, ob kausal oder akausal entstanden), es ist vielmehr Deine Behauptung, alles, was kausal abliefe, sei gleichermaßen Zwang und darauf können wir uns gar nicht einigen (und, naja, selbstverständlich auch nicht auf Deine Behauptung, akausale Gegebenheiten seien per se kein Zwang, sondern würden automatisch Freiheit gewährleisten / bedeuten).

Das ist es, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Wenn wir übereinstimmen bei der Definition von Handlungsfreiheit, dann ist es doch wohl unzweifelhaft so, dass diese Freiheit durch bestimmte Faktoren erhöht und durch andere vermindert wird. Was wiederum bedeutet, dass Deine Behauptung, alles sei unterschiedsloser Zwang, widerlegt ist, oder etwa nicht?

ganimed hat geschrieben:4) Begriff "Schuld"
Ich glaube, wir sind uns einig, dass ein Handelnder nur dann schuldfähig ist, wenn er bei der Entscheidung zur Handlung wenigstens teilweise frei ist.
Da ich keine Freiheit sehe, halte ich den Schuld-Begriff für überflüssig weil nicht mehr anwendbar. Du kannst weiterhin mit Schuld operieren, da es bei dir ja durchaus freie Entscheidungen gibt.

Und das verstehe ich auch noch nicht. Wenn Verantwortung mit Rechenschaftspflicht zusammenhängt und Schuld wiederum mit Verantwortung (für eine Normverletzung), wie kann Akausalität dabei eine Rolle spielen? Siehe oben mein Beispiel mit dem "Entscheidungsgenerator": wo spielt dabei Akausalität eine wesentliche Rolle und inwiefern?

Und noch 'ne Frage: ist eigentlich das entscheidende Kriterium für Freiheit für Dich Akausalität oder reicht Indeterminismus? (Der oben skizzierte "Entscheidungsgenerator" ist ja genau genommen nicht akausal, sondern lediglich indeterminiert.)
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mo 18. Jan 2010, 20:49

AgentProvocateur hat geschrieben:Was ich nicht verstehe: was macht es für einen Unterschied, ob ein Zufall "echt" ist oder ob er letztlich durch Kausalketten verursacht wurde, die aber durch uns niemals nachzuvollziehen sind?

Ich brauche diesen Unterschied eigentlich nur gewohnheitsmäßig für Diskussionen mit anderen Leuten, denen ich mit dem Argument kommen möchte, dass die Welt doch streng kausal sei. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, macht es für unsere Diskussion keinen Unterschied. Mit einem guten Pseudo-Zufallsgenerator könnte ich also an dieser Stelle gut leben. Der würde dann die Indetermination simulieren und (fast) echte Freiheit (also kausale Unabhängigkeit) erzeugen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Eine erhöhte Kontrolle gäbe es dadurch ja sicher nicht. Was aber sonst? Gut, "echte Freiheit" in Deinem Sinne, aber was hat das mit Verantwortung und Schuld zu tun, wo ist der Zusammenhang?

Ich sehe den Zusammenhang auch nicht, denn wie gesagt ist der Zufall bzw. der Indeterminismus nur eins von zwei Teilen, die man für einen freien Willen nach meiner Vorstellung benötigt. Nummer eins wäre da: Freiheit von kausalen Abhängigkeiten. Nummer zwei fehlt aber: der Zufallsgenerator stellt keinen Willen dar. Man vertauscht einfach die Abhängigkeit von kausalen Ursachen durch die Abhängigkeit vom Zufall. Auch das wäre also kein freier Wille.

Ein Mensch, der am Tourette-Syndrom leidet oder sich von einem Zufallsgenerator etwas aufdiktieren ließe, hat für mich deshalb also noch längst keinen freien Willen.

AgentProvocateur hat geschrieben:(allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass ich akausale Umstände dann auch als Zwang ansehen würde -> alle Gegebenheiten / Umstände müssten dann Zwang sein, egal, ob kausal oder akausal entstanden)

Das sehe ich auch so. Ein freier Wille ist dort, wo man etwas ohne Zwang wollen kann. Jede Art von Zwang würde aus einem freien einen unfreien Willen machen. Ich reite deshalb immer auf den kausalen Faktoren herum, weil die nunmal IMMER wirksam sind (wenn man von einer kausalen Welt ausgeht, was ich tue). Es mag noch andere Zwänge geben, je nach Situation. Falls dir noch eine Zwang-Kategorie einfällt, die wirklich immer gegeben ist bei menschlichen Entscheidungen, lass es mich wissen. Dann hätte ich ein zweites Argument für die Behauptung, dass der Mensch keinen freien Willen hat. Mir selber ist da leider noch nichts weiter eingefallen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber es ist noch nicht mal so sehr Deine Definition, die mich stört, darauf könnten wir uns noch einigen, ..., es ist vielmehr Deine Behauptung, alles, was kausal abliefe, sei gleichermaßen Zwang und darauf können wir uns gar nicht einigen

Nach meiner Definition ist Zwang aber doch immer das, was einem keine Wahl lässt. Und demnach ist es doch egal, was mir keine Wahl lässt. Wenn es mir keine Wahl lässt, dann ist es gleichermaßen Zwang. Wenn für dich, selbst nachdem du dich auf meine Definition einlässt, es noch Unterschiede zwischen Zwängen gibt (ich vermute, du meinst Qualitätsunterschiede), dann muss ich etwas übersehen haben. Wie unterscheidest du zwischen verschiedenen Zwängen auf der Grundlage meiner Definition?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn wir übereinstimmen bei der Definition von Handlungsfreiheit, dann ist es doch wohl unzweifelhaft so, dass diese Freiheit durch bestimmte Faktoren erhöht und durch andere vermindert wird. Was wiederum bedeutet, dass Deine Behauptung, alles sei unterschiedsloser Zwang, widerlegt ist, oder etwa nicht?

Ich kann dir folgen, dass die Freiheit eigentlich etwas graduelles ist. Einige Faktoren sollten sie vermindern, andere erhöhen.
Kausale Abhängigkeiten sind sicher Faktoren, die die Freiheit vermindern.
Und nun mein Dilemma: Ich sehe darüber hinaus gar keine anderen Faktoren. Auch keine, welche die Freiheit wieder erhöhen würden.
In einem deterministischen Gehirn sind ausnahmslose alle Abläufe zu 100% kausal abhängig.
Du nennst an dieser Stelle, wenn ich das richtig einschätze, oft Dinge wie die menschliche Fähigkeit, über etwas nachdenken zu können, Fähigkeit zur Selbstreflexion etc. Aber das alles scheinen mir Leistungen des Bewusstseins zu sein, die ebenfalls auf streng kausalen Abläufen basieren. Das Bewusstsein kocht auch nur mit neuronalem Wasser und Neuronen gehorchen biochemischen Gesetzen gemäß ihres Aufbaus. Ich kann nirgendwo Freiheits fördernde Faktoren erkennen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und das verstehe ich auch noch nicht. Wenn Verantwortung mit Rechenschaftspflicht zusammenhängt und Schuld wiederum mit Verantwortung (für eine Normverletzung), wie kann Akausalität dabei eine Rolle spielen? Siehe oben mein Beispiel mit dem "Entscheidungsgenerator": wo spielt dabei Akausalität eine wesentliche Rolle und inwiefern?

Der Unterschied zwischen Rechenschaftspflicht und Verantwortung ist mir noch nicht ganz klar. Da nehme ich einfach mal an, dass das ungefähr dasselbe ist?
Schuld ist für mich: Verantwortung + Handlungsfreiheit
Derjenige, der es getan hat, ist verantwortlich. Schuld ist er aber nur dann, wenn er auch anders hätte können.
Akausalität kommt deshalb ins Spiel, weil es für mich die einzige (theoretische und nicht existente) Möglichkeit der Freiheit ist. Ich gebe aber zu, wenn man sich unter Akausalitität nur einen Zufall vorstellen kann, dann ist noch nicht einmal meine theoretische Freiheitsmöglichkeit gegeben. Ich sehe sie ja auch nur im dualistischen Konstrukt, den ich für ein reines Phantasieprodukt halte. Eigentlich spielt es, muss ich zugeben, keine Rolle, wie die Freiheit, die es nicht gibt, aussehen würde, wenn es sie gäbe. Es gibt sich nicht, also kann es nach obiger Formel auch keine Schuld geben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und noch 'ne Frage: ist eigentlich das entscheidende Kriterium für Freiheit für Dich Akausalität oder reicht Indeterminismus?

Das entscheidende Kriterium für Freiheit ist eigentlich Abwesenheit von Zwang. Kausale Abhängigkeiten sind eine Form von Zwang, es gibt sicher noch andere. Dass also der menschliche Wille frei sein muss von kausalen Abhängigkeiten, ist somit nur eine Mindestforderung. Wenn dieser eine große Stein aus dem Weg geräumt wäre, müsste man genau genommen noch nach weiteren Steinen suchen. Gäbe es akausalen Willen, dann müsste man weiter schauen, ob dieser Wille auch frei von allen anderen Abhängigkeiten wäre. Aber so weit komme ich ja gar nicht. Der eine große Stein ist nunmal da und die Sache somit recht klar.


Gerade vorgestern habe ich übrigens noch einen Podcast gehört, bei dem unser Thema zumindest einmal gestreift wurde. Beschrieben wurde die Neigung des Bewusstseins, sich die Handlungen zuzuschreiben. Also sozusagen blind zu sein für Zwänge und einfach so zu tun, als ob man das sowieso gewollt hätte. Erwähnt wurde in der Sendung nämlich das Beispiel von Patienten, die am offenen Gehirn operiert wurden. Bei der Gelegenheit wurden Hirnareale von außen mit kleinen elektrischen Impulsen gereizt, so dass sich zum Beispiel der Arm gehoben hat oder ähnliches. Die Patienten waren aber offenbar noch bei Bewusstsein, bemerkten das mit dem Arm und behaupteten auf Anfrage, dass sie die Bewegung durchaus gewollt hätten. Obwohl ja der Auslöser in diesem Fall einwandfrei von außen kam. So gesehen wäre deine Zwangsdefinition (Zwang ist ein Zwang nur dann, wenn er dem Willen zuwiderläuft) in der Gefahr, reichlich unscharf zu sein. Offenbar bastelt das Bewusstsein seinen Willen gerne mal in Windeseile so zurecht, dass er mit den ausgeführten Handlungen übereinstimmt. Der Mensch hat scheinbar so gar kein Talent, seine eigene Zwangslage zu erkennen. Wenn die Hirnforscher und Philosophen nicht wären, würden wir von selbst vermutlich nicht drauf kommen.

Die Sendung hieß "Will ich wirklich, was ich will? Neurobiologie der Entscheidung" aus der Reihe "Bayern 2 - radio Wissen" vom 08.01.2010
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Beitragvon AgentProvocateur » Di 19. Jan 2010, 01:36

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was ich nicht verstehe: was macht es für einen Unterschied, ob ein Zufall "echt" ist oder ob er letztlich durch Kausalketten verursacht wurde, die aber durch uns niemals nachzuvollziehen sind?

Ich brauche diesen Unterschied eigentlich nur gewohnheitsmäßig für Diskussionen mit anderen Leuten, denen ich mit dem Argument kommen möchte, dass die Welt doch streng kausal sei. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, macht es für unsere Diskussion keinen Unterschied. Mit einem guten Pseudo-Zufallsgenerator könnte ich also an dieser Stelle gut leben. Der würde dann die Indetermination simulieren und (fast) echte Freiheit (also kausale Unabhängigkeit) erzeugen.

Hm. Dann verstehe ich Deine bisherige Argumentation aber nicht mehr, denn die beruhte eindeutig auf "echtem" (akausalem oder indeterminierten) Zufall, was Du als wesentlichen Unterschied anzusehen scheinst gegenüber einem lediglich erkenntnistheoretischen Indeterminismus. Spielt das jetzt keine Rolle mehr?

Die Zukunft ist für uns epistemologisch indeterminiert, wir wissen heute nicht genau, wie wir morgen entscheiden werden, das werden wir erst im Nachhinein wissen. Und zwar ist dieser epistemologische Indeterminismus prinzipieller Art.

Also haben wir fast echte Freiheit? Ist dann doch schon mal was, mehr ist eh nicht logisch darstellbar / denkbar (= Unabhängigkeit von Allem) - es sei denn, Du (oder irgendjemand anderes) könntest / könnte das irgendwie darstellen. Jede kausale Unabhängigkeit würde diese Freiheit nur noch vermindern können, aber keineswegs erhöhen, mE. Wenn aber doch: wie?

ganimed hat geschrieben:Ein freier Wille ist dort, wo man etwas ohne Zwang wollen kann.

Ja, da stimme ich zu. Allerdings verstehe ich nun mal etwas anderes unter "Zwang" als Du es tust.

ganimed hat geschrieben:Jede Art von Zwang würde aus einem freien einen unfreien Willen machen. Ich reite deshalb immer auf den kausalen Faktoren herum, weil die nunmal IMMER wirksam sind (wenn man von einer kausalen Welt ausgeht, was ich tue).

Nein, das ist eben nicht egal, es macht für die meisten Menschen einen ganz wesentlichen Unterschied, (behaupte ich einfach mal), ob sie von außen zu etwas gezwungen werden, was sie nicht wollen oder ob sie sich selber, aus ihrer Persönlichkeit heraus, für etwas entscheiden, für das, was sie wollen, was sie am besten mit ihren Wünschen und Zielen vereinbaren können. Letzteres sehen sie nicht als Zwang an, (bzw. wenn wir mal hilfsweise Deine Definition akzeptieren, dass einfach alle Faktoren Zwang sind, sehen sie es zumindest als sehr viel geringeren, als eher unwesentlichen, unvermeidbaren, daher akzeptablen Zwang an).

Sieh' mal, dafür war doch auch mein obiges Beispiel mit den Zylindern gedacht: es spielt doch keine Rolle, dabei hast Du mir doch zugestimmt, (zumindest für Handlungsfreiheit -> "kann tun, was er will"), ob es auch physikalisch möglich ist, das gerade nicht Gewollte ebenfalls zu tun.

Und ebenso spielt es aber doch auch keine Rolle, ob man sich (in exakt derselben Situation) für etwas entscheiden könnte, was man gar nicht will, für das man sich nicht entscheidet. Oder Du bringst nun einen plausiblen Grund dafür, wieso und inwiefern das eine Rolle spielen sollte.

Ganz im Gegenteil doch sogar: jemanden, der sich in exakt derselben Situation mal so und mal so entscheiden würde, würde man als irrationaler ansehen. Aber nicht als freier oder verantwortlicher oder schuldiger (verantwortlich für eine Normverletzung). Eher doch im Gegenteil - weil das dann offensichtlich weniger seiner Kontrolle unterlag - er tat dann nicht, für was er sich wegen seiner Gründe entschieden hatte, sondern für was anderes, einfach so, nicht nachvollziehbar, (z.B. den ollen Trabbi für 30.000 zu kaufen statt den neuen Passat für 20.000, der ein einmaligen Schnäppchen gewesen wäre - was er selber im Nachhinein verflucht und selber nicht verstehen kann, wieso er das tat). Und Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen erscheint mir das wesentliche Kriterium für eine Zuweisung von Verantwortung und auch Schuld zu sein, je weniger davon, um so weniger Verantwortung und Schuld. Für Dich ist aber nicht Selbstkontrolle das entscheidende Kriterium, sondern Akausalität - aber das verstehe ich immer noch nicht. Das kommt mir unsinnig vor, solange Du nicht zeigen kannst, wieso Du das eigentlich meinst, wie Du darauf kommst, mit welcher Begründung. Das kannst Du doch nicht einfach so als nicht hinterfragbare Prämisse (= Dogma) festlegen.


Und dann habe ich noch folgendes Problem mit Deiner Definition von Zwang (-> alle Faktoren seinen gleichermaßen Zwang): das bedeutet nämlich logischerweise, dass eine Zunahme von Faktoren eine Zunahme von Zwang bedeuten müsste und eine Abnahme von Faktoren eine Abnahme von Zwang.

Nun ist das aber offensichtlich falsch, zumindest insofern, als das den meisten Leuten sicher nicht verständlich wäre, die da nicht zustimmen könnten.

Nehmen wir an, in einer bisher kindergartenfreien Gegend würden ein paar Kindergärten gebaut oder analog ein paar Schulen, mehr Lehrer eingestellt, mehr Arbeitsplätze geschaffen. All das wäre jetzt, folgte man Deiner Definiton von Zwang, eine Zunahme von Faktoren und ergo eine Zunahme von Zwang. Und umgekehrt würde die Schließung von Kindergärten, Schulen, der Abbau von Arbeitsplätzen die Faktoren vermindern, also eine Abnahme von Zwang bedeuten. Aber es ist doch genau umgekehrt: die Verminderung von Handlungsoptionen in diesen Beispielen vermindert die Handlungsfreiheit, die Erhöhung erhöht sie. Völlig egal, dass man einen Schulweg zurücklegen muss, wenn man die Schule erreichen möchte. Auch wenn man das als Zwang bezeichnen möchte, wäre es mE insgesamt dennoch eine Erhöhung der Handlungsfreiheit.

Nun gut, das ist jetzt Handlungsfreiheit und für Willensfreiheit gilt vielleicht für Dich etwas anderes, nur da gilt dann vielleicht Deine Definition "Zwang == Umstand", aber falls ja: wieso denn eigentlich?

ganimed hat geschrieben:In einem deterministischen Gehirn sind ausnahmslose alle Abläufe zu 100% kausal abhängig.
Du nennst an dieser Stelle, wenn ich das richtig einschätze, oft Dinge wie die menschliche Fähigkeit, über etwas nachdenken zu können, Fähigkeit zur Selbstreflexion etc. Aber das alles scheinen mir Leistungen des Bewusstseins zu sein, die ebenfalls auf streng kausalen Abläufen basieren. Das Bewusstsein kocht auch nur mit neuronalem Wasser und Neuronen gehorchen biochemischen Gesetzen gemäß ihres Aufbaus. Ich kann nirgendwo Freiheits fördernde Faktoren erkennen.

Was wären denn nun "freiheitsfördernde Faktoren" für Dich? (Für mich sind das a) bestimmte Fähigkeiten - die Fähigkeit z.B. die eigenen Ziele mit den eigenen Bedürfnissen abzustimmen und b) eine gewisse Unabhängigkeit von Zwängen, die diese Fähigkeit behindern / einschränken) Für Dich sind es aber was? Was bedeutet es, wenn Du die Aussage "freiheitsfördernde Faktoren" verwendest? Wenn man Deine bisher unbegründete und mir höchst unplausibel erscheinende ad hoc-Definition "Zwang == beliebiger Faktor" zugrunde legt, dann kann es ja gar logischerweise per se gar keine "freiheitsfördernde Faktoren" geben, bzw. freiheitsfördernd wäre es genau dann, wenn Faktoren vermindert würden und absolute Freiheit gäbe es dann, wenn es gar keine Faktoren mehr gäbe.

ganimed hat geschrieben:Schuld ist er aber nur dann, wenn er auch anders hätte können.

"Anders hätte handeln können": inwiefern und wieso? Einfach so, ohne Grund, irrational, zufällig, willkürlich? Wenn nicht: wie sonst? Und wie kommst Du darauf, wie begründest Du das, woher nimmst Du diese Behauptung, worauf basiert sie?

ganimed hat geschrieben:Gerade vorgestern habe ich übrigens noch einen Podcast gehört, bei dem unser Thema zumindest einmal gestreift wurde. Beschrieben wurde die Neigung des Bewusstseins, sich die Handlungen zuzuschreiben. Also sozusagen blind zu sein für Zwänge und einfach so zu tun, als ob man das sowieso gewollt hätte. Erwähnt wurde in der Sendung nämlich das Beispiel von Patienten, die am offenen Gehirn operiert wurden. Bei der Gelegenheit wurden Hirnareale von außen mit kleinen elektrischen Impulsen gereizt, so dass sich zum Beispiel der Arm gehoben hat oder ähnliches. Die Patienten waren aber offenbar noch bei Bewusstsein, bemerkten das mit dem Arm und behaupteten auf Anfrage, dass sie die Bewegung durchaus gewollt hätten. Obwohl ja der Auslöser in diesem Fall einwandfrei von außen kam. So gesehen wäre deine Zwangsdefinition (Zwang ist ein Zwang nur dann, wenn er dem Willen zuwiderläuft) in der Gefahr, reichlich unscharf zu sein. Offenbar bastelt das Bewusstsein seinen Willen gerne mal in Windeseile so zurecht, dass er mit den ausgeführten Handlungen übereinstimmt. Der Mensch hat scheinbar so gar kein Talent, seine eigene Zwangslage zu erkennen. Wenn die Hirnforscher und Philosophen nicht wären, würden wir von selbst vermutlich nicht drauf kommen.

Ja, solche Versuche gibt es viele, mit Split-Brain-Patienten und mit Menschen unter Hypnose, die danach eine vorgebene Handlung als die eigene ausgegeben haben. Das gibt es also unbestritten. Aber wie Du daraus ein Argument basteln willst, ist mir noch unklar. Denn daraus kann man nun mal nicht schließen, dass das immer so ist, nicht wahr? Das wäre mE ein schlichter Fehlschluss.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Di 19. Jan 2010, 21:19

AgentProvocateur hat geschrieben:Hm. Dann verstehe ich Deine bisherige Argumentation aber nicht mehr, denn die beruhte eindeutig auf "echtem" (akausalem oder indeterminierten) Zufall, was Du als wesentlichen Unterschied anzusehen scheinst gegenüber einem lediglich erkenntnistheoretischen Indeterminismus. Spielt das jetzt keine Rolle mehr?

Meine bisherige Argumentation: freier Wille ist erst frei, wenn er kausal unabhängig ist. Er muss dabei aber auch weiterhin ein Wille bleiben. Also einen Zufall habe ich nie gemeint (bzw. meinen wollen). Zufall ist ja gerade nicht absichtsvoll, ist also nicht willentlich. Ein freier Wille müsste aber sowohl Wille als auch akausal sein. Meine Argumentation hat also eigentlich gar nichts mit Zufall zu tun, sondern beruht auf dem dualistischen Geist, der ohne Grund wollen kann und den es nicht gibt. Also gibt es keinen freien Willen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Zukunft ist für uns epistemologisch indeterminiert ... Also haben wir fast echte Freiheit?

Nein. Ich meine mit Freiheit ja nunmal nicht gefühlte Freiheit sondern tatsächliche Freiheit. Und auch wenn wir vorher nicht wissen, wieso wir etwas tun werden, wissen wir aber bereits, dass wir etwas wegen etwas anderem tun werden, also nicht frei.

AgentProvocateur hat geschrieben:Jede kausale Unabhängigkeit würde diese Freiheit nur noch vermindern können, aber keineswegs erhöhen, mE.

Das klingt für mich alleine sprachlich widersprüchlich. Wieso sollte Unabhängigkeit die Freiheit vermindern? Als ich zuletzt nachschaute fühlten sich die Vereinigten Staaten nach der Unabhängigkeitserklärung viel freier als vorher.

Aber ich verstehe natürlich, was du eigentlich meinst. Freiheit im Sinne der sozialen Person, wozu dann ja auch Mündigkeit und vor allem Kontrolle gehört. Aber hier befinden wir uns wieder auf der sozialen Ebene, auf der Makroebene sozusagen. Oder wie schonmal definiert: soziale Freiheit hier und kausale Freiheit dort. Lass es mich nochmal umbenennen in Makro- und Mikroebene:

Makroebene: Eine freie Person ist hier eine Makro-Illusion. Eine soziale Person bezeichne ich dann als frei, wenn sie kluge, eigene Entscheidungen treffen kann. Die Entscheidungen sind umso freier, je mehr Selbstkontrolle, Wahrung eigener Interessen, geistige Reflexion und bewusste Vernunft mitspielen. Als einschränkende Faktoren gelten in der Makroebene all die Dinge, die die genannten Freiheitsfaktoren vermindern. Also Dummheit, Beliebigkeit, Zufallsgeneratoren, Unvernunft, grundloses Handeln.

Mikroebene: Auf der Mikroebene spielen soziale Scheinbarkeiten keine Rolle mehr. Hier wird nur betrachtet, wieso das menschliche Gehirn auch nur die kleinste Entscheidung trifft. Weil es in einem bestimmten Zustand ist und die deterministischen Neuronen dann völlig ohne Freiheitsgrad und dem Zwang der Kausalketten unterworfen in bestimmter Weise feuern. Hier gibt es keine Freiheit. Und deshalb ist auch die Menge der einschränkenden Faktoren leer, weil da wo es keine Freiheit gibt kann ich sie auch nicht vermindern.

Unsere prima Diskussion wird, nach meinem Empfinden, immer wieder dadurch vernebelt, dass es uns nicht immer gelingt, streng zwischen Mikro- und Makroebene zu trennen. Ich glaube, bei richtiger Trennung, wären wir in fast allen Punkten einig.

AgentProvocateur hat geschrieben:...es macht für die meisten Menschen einen ganz wesentlichen Unterschied, (behaupte ich einfach mal), ob sie von außen zu etwas gezwungen werden, was sie nicht wollen oder ob sie sich selber, aus ihrer Persönlichkeit heraus, für etwas entscheiden, für das, was sie wollen, was sie am besten mit ihren Wünschen und Zielen vereinbaren können. Letzteres sehen sie nicht als Zwang an, (bzw. wenn wir mal hilfsweise Deine Definition akzeptieren, dass einfach alle Faktoren Zwang sind, sehen sie es zumindest als sehr viel geringeren, als eher unwesentlichen, unvermeidbaren, daher akzeptablen Zwang an).

Wozu eigentlich diese graduelle Unterscheidung? Ich sehe ein, dass ein Zwang, der mich zwingt etwas zu tun was ich gar nicht will, schwerer zu "ertragen" ist, als ein Zwang, der mich zwingt, das zu tun was ich sowieso will. Aber in beiden Fällen ist es Zwang. In beiden Fällen kann ich nicht anders als das zu tun wozu ich gezwungen werde. Ich kann nicht recht verstehen, wieso du aus Zwang plötzlich Freiheit machst nur weil dir der Zwang nicht ganz so unangenehm ist.

Man stelle sich zwei Gefängnisinsassen vor: der eine hat keine Familie, mag nicht arbeiten und ist eigentlich ganz froh, im Knast ein warmes Plätzchen zu haben. Ihm machen die Gitterstäbe nichts aus. Der zweite Gefangene will unbedingt raus, er hält es kaum aus, bekommt ständig Platzangst und findet die Gitterstäbe ganz furchtbar. Nun frage ich beide Gefangene: bist du ein Gefangener oder bist du frei?
Wenn einer von beiden behauptet, frei zu sein, dann befürworte ich beim nächsten Gerichtstermin die Einweisung in eine Klappse wegen Realitätsverlust. Ich meine, es ist doch egal, wie gut den Leuten der Knast gefällt. An der objektiven Tatsache, dass sie im Knast sind, ändert das gar nichts.
Bin ich also gewzungen, etwas zu tun was ich sowieso will, bin ich trotzdem gezwungen. An dem Zwang, also der Unfreiheit ändert das gar nichts.
Und auch wenn der Patient bei der Operation am offenen Hirn den Arm heben wollte (nachträglich), ändert das nichts daran, dass ihm die Armbewegung von außen aufgezwungen wurde. Freiheit ist nicht, wenn man sich frei fühlt, sondern wenn man frei ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Sieh' mal, dafür war doch auch mein obiges Beispiel mit den Zylindern gedacht: es spielt doch keine Rolle, dabei hast Du mir doch zugestimmt, (zumindest für Handlungsfreiheit -> "kann tun, was er will"), ob es auch physikalisch möglich ist, das gerade nicht Gewollte ebenfalls zu tun.

Dein Modell modellierte Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Egal ob der Mechanismus an ist oder aus, die Versuchsperson kann tun was immer sie will. Zumindest hatte ich das so verstanden. Oder sollte ich dort einen Zwang übersehen haben? Ich dachte bisher, dein Modell enthielt keinerlei Zwang (ob sichtbar oder unsichtbar). Deshalb habe ich ja die anderen Fälle abwandeln müssen, damit mal schrittweise Zwang in die Bude kommt. Die beiden anderen Modelle zwangen einem die Reihenfolge der Zylinderbesuche auf. Egal ob das der Versuchsperson angenehm oder unangenehm, schwer oder leicht zu ertragen, bewusst oder nicht bewusst war. Es war ein objektiver Zwang. Oder nicht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und dann habe ich noch folgendes Problem mit Deiner Definition von Zwang (-> alle Faktoren seinen gleichermaßen Zwang): das bedeutet nämlich logischerweise, dass eine Zunahme von Faktoren eine Zunahme von Zwang bedeuten müsste und eine Abnahme von Faktoren eine Abnahme von Zwang.

Der Begriff "Faktor" ist hier vermutlich nicht klar genug definiert. Da habe ich mich besimmt ungenau ausgedrückt. Eigentlich meine ich bei Faktor immer den kausalen Faktor. Jeder kausale Faktor stellt eine kausale Abhängigkeit dar. Je mehr solcher Faktoren, desto größer die Abhängigkeit und desto kleiner die Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was wären denn nun "freiheitsfördernde Faktoren" für Dich? (Für mich sind das a) bestimmte Fähigkeiten - die Fähigkeit z.B. die eigenen Ziele mit den eigenen Bedürfnissen abzustimmen und b) eine gewisse Unabhängigkeit von Zwängen, die diese Fähigkeit behindern / einschränken) Für Dich sind es aber was? Was bedeutet es, wenn Du die Aussage "freiheitsfördernde Faktoren" verwendest?

Ich war auf der Mikroebene. Die bestimmten Fähigkeiten, die du nennst, sind wieder Teil der Makroebene. Auf Mikroebene sehe ich nur eine Art von Faktoren: die freiheitshemmenden, also die kausalen, die aus denen der Zwang besteht. Daher folgere ich, dass es dort auch keine Freiheit gibt. Die Menge der "freiheitsfördernden" Faktoren erscheint mir völlig leer zu sein. Freiheit würde durch teilweise Abwesenheit der kausalen Faktoren entstehen, also bei grundlosen Entscheidungen. Die gibt es aber eben nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn man Deine bisher unbegründete und mir höchst unplausibel erscheinende ad hoc-Definition "Zwang == beliebiger Faktor" zugrunde legt, dann kann es ja gar logischerweise per se gar keine "freiheitsfördernde Faktoren" geben, bzw. freiheitsfördernd wäre es genau dann, wenn Faktoren vermindert würden und absolute Freiheit gäbe es dann, wenn es gar keine Faktoren mehr gäbe.

Völlig richtig. Nur der Begriff "beliebiger Faktor" ist hier mit Vorsicht zu genießen. Ich meinte, wie gesagt, kausale Faktoren.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Schuld ist er aber nur dann, wenn er auch anders hätte können.

"Anders hätte handeln können": inwiefern und wieso? Einfach so, ohne Grund, irrational, zufällig, willkürlich? Wenn nicht: wie sonst? Und wie kommst Du darauf, wie begründest Du das, woher nimmst Du diese Behauptung, worauf basiert sie?

Worauf das letztlich basiert ist sicher eine gute Frage. Angeborene Denkmuster vielleicht? Es geht vielleicht in Richtung dieser ethischen Grundregeln, die auf der ganzen Welt relativ gleich zu sein scheinen. Oder sagen wir Intuition. Ich kann also nur hilflos spekulieren, wieso mir diese Regel so einleuchtend vorkommt. Tut sie das bei dir nicht?
Jemand, der nicht anders konnte, der gar keine Wahl hatte, dem kann ich keine Schuld geben. Schuld hier im Sinne von übel nehmen. Denn auf die vorwurfsvolle Frage: wieso hast du das gemacht? könnte der gewzungenermaßen Handelnde ja immer antworten: aus den Gründen A, B und C. Es war also nichtmal seine eigene Idee, wenn man es genau nimmt. Wieso sollte man einem Cola-Automaten jemals etwas verübeln? Müsste man sich nicht besser an den Erbauer wenden?
Im Prinzip folgt ja auch die heutige Justiz diesem Grundsatz. Wenn jemand zwanghaft handelt ("ich habe nur Befehle befolgt. Hätte ich das nicht gemacht, hätte man mich erschossen") dann fällt die Strafe geringer aus oder sogar ganz weg. Wenn man diesen Grundsatz also nicht nur in der Makroebene anwendet (so wie es Gerichte heute tun), sondern konsequenterweise auch auf der Mikroebene, dann würde der Begriff Schuld komplett verschwinden.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, solche Versuche gibt es viele, mit Split-Brain-Patienten und mit Menschen unter Hypnose, die danach eine vorgebene Handlung als die eigene ausgegeben haben. Das gibt es also unbestritten. Aber wie Du daraus ein Argument basteln willst, ist mir noch unklar. Denn daraus kann man nun mal nicht schließen, dass das immer so ist, nicht wahr? Das wäre mE ein schlichter Fehlschluss.

Was wäre denn deine Schlussfolgerung aus solchen Experimenten? Gibt es Gegenexperimente, die zeigen, dass das Bewusstsein manchmal auch anders reagiert und eine scheinbar eigene Handlung ausdrücklich nicht als die selbst gewollte ansieht? Welche Hinweise gibt es darauf, dass das Gehirn dieses Verhalten nicht immer zeigt? Wenn ich zehn Raben sehe und alle sind schwarz, dann mag die Schlussfolgerung, dass weltweit alle Raben schwarz sind ja etwas voreilig sein. Aber eine bessere Schlussfolgerung fällt mir nicht ein. Wieviele schwarze Raben brauchst du, um zur selben Schlussfolgerung zu gelangen?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 20. Jan 2010, 00:58

ganimed hat geschrieben:Meine bisherige Argumentation: freier Wille ist erst frei, wenn er kausal unabhängig ist. Er muss dabei aber auch weiterhin ein Wille bleiben. Also einen Zufall habe ich nie gemeint (bzw. meinen wollen). Zufall ist ja gerade nicht absichtsvoll, ist also nicht willentlich. Ein freier Wille müsste aber sowohl Wille als auch akausal sein. Meine Argumentation hat also eigentlich gar nichts mit Zufall zu tun, sondern beruht auf dem dualistischen Geist, der ohne Grund wollen kann und den es nicht gibt. Also gibt es keinen freien Willen.

Und mein Problem dabei ist: ich kann da keine Argumentation erkennen, sondern nur eine unbegründete Setzung, die nicht hintermauert / plausibel gemacht wird.

Entschuldigung, das ist jetzt nicht offensiv gemeint, ich schätze Dich und Deine Art sehr, Du bist wirklich ein sehr angenehmer Gesprächspartner.

Aber begründen / plausibel machen kannst Du Deine Setzung dennoch nicht, sorry, Du bist darauf angewiesen, dass man Dir einfach so zustimmt, aus der Intuition heraus, ohne das zu hinterfragen.

Selbstverständlich kann es keinen "freien Willen" geben, der a) akausal ist (von nichts abhängen darf) und b) ein Wille ist (von der Persönlichkeit abhängen muss). Das ist ja schlicht selbstwidersprüchlich und kann deswegen nicht existieren.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Zukunft ist für uns epistemologisch indeterminiert ... Also haben wir fast echte Freiheit?

Nein. Ich meine mit Freiheit ja nunmal nicht gefühlte Freiheit sondern tatsächliche Freiheit.

Aber Dein Freiheitsbegriff ist nun mal inkohärent, selbstwidersprüchlich, nicht darstellbar und vor allem: unbegründet.

ganimed hat geschrieben:Oder wie schonmal definiert: soziale Freiheit hier und kausale Freiheit dort. Lass es mich nochmal umbenennen in Makro- und Mikroebene:

Makroebene: Eine freie Person ist hier eine Makro-Illusion. Eine soziale Person bezeichne ich dann als frei, wenn sie kluge, eigene Entscheidungen treffen kann. Die Entscheidungen sind umso freier, je mehr Selbstkontrolle, Wahrung eigener Interessen, geistige Reflexion und bewusste Vernunft mitspielen. Als einschränkende Faktoren gelten in der Makroebene all die Dinge, die die genannten Freiheitsfaktoren vermindern. Also Dummheit, Beliebigkeit, Zufallsgeneratoren, Unvernunft, grundloses Handeln.

Mikroebene: Auf der Mikroebene spielen soziale Scheinbarkeiten keine Rolle mehr. Hier wird nur betrachtet, wieso das menschliche Gehirn auch nur die kleinste Entscheidung trifft. Weil es in einem bestimmten Zustand ist und die deterministischen Neuronen dann völlig ohne Freiheitsgrad und dem Zwang der Kausalketten unterworfen in bestimmter Weise feuern. Hier gibt es keine Freiheit. Und deshalb ist auch die Menge der einschränkenden Faktoren leer, weil da wo es keine Freiheit gibt kann ich sie auch nicht vermindern.

Unsere prima Diskussion wird, nach meinem Empfinden, immer wieder dadurch vernebelt, dass es uns nicht immer gelingt, streng zwischen Mikro- und Makroebene zu trennen. Ich glaube, bei richtiger Trennung, wären wir in fast allen Punkten einig.

Nein, wir sind uns keineswegs einig, denn ich sehe nicht, wie ein Freiheitsbegriff auf der Mikroebene einen Sinn auf der Makroebene ergeben könnte, wie man den übertragen könnte auf soziale Interaktionen.

Auf der Mikroebene gibt übrigens viele Begriffe nicht, die erst auf der Makroebene Sinn ergeben, wie "sozial", "Wille", "Gedanke", "Wirtschaft", "Geld", "Politik", "Gesellschaft", "Ethik", "Sex", "Physik" etc. pp. Aber es ist mir unverständlich, wie man daraus folgern kann,all dies gäbe es auch auf der oberen Ebene nicht, all das sei eine Illusion, falsch, abzulehnen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:...es macht für die meisten Menschen einen ganz wesentlichen Unterschied, (behaupte ich einfach mal), ob sie von außen zu etwas gezwungen werden, was sie nicht wollen oder ob sie sich selber, aus ihrer Persönlichkeit heraus, für etwas entscheiden, für das, was sie wollen, was sie am besten mit ihren Wünschen und Zielen vereinbaren können. Letzteres sehen sie nicht als Zwang an, (bzw. wenn wir mal hilfsweise Deine Definition akzeptieren, dass einfach alle Faktoren Zwang sind, sehen sie es zumindest als sehr viel geringeren, als eher unwesentlichen, unvermeidbaren, daher akzeptablen Zwang an).

Wozu eigentlich diese graduelle Unterscheidung? Ich sehe ein, dass ein Zwang, der mich zwingt etwas zu tun was ich gar nicht will, schwerer zu "ertragen" ist, als ein Zwang, der mich zwingt, das zu tun was ich sowieso will. Aber in beiden Fällen ist es Zwang. In beiden Fällen kann ich nicht anders als das zu tun wozu ich gezwungen werde. Ich kann nicht recht verstehen, wieso du aus Zwang plötzlich Freiheit machst nur weil dir der Zwang nicht ganz so unangenehm ist.

Ist doch ganz einfach: wenn Zwang und Freiheit Gegensätze sind und wenn es verschiedene Grade von Zwang gibt, dann macht es auch Sinn, sich auf der Skala "absoluter Zwang <-> absolute Freiheit" zu bewegen. Auch wenn es weder den einen noch den anderen Pol in absoluter Größe geben sollte. Aus diesem Gegensatz folgt einfacher logischerweise: weniger Zwang -> mehr Freiheit und mehr Zwang -> weniger Freiheit.

Man muss Freiheit ja nicht binär denken, das ist nicht notwendig.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und dann habe ich noch folgendes Problem mit Deiner Definition von Zwang (-> alle Faktoren seinen gleichermaßen Zwang): das bedeutet nämlich logischerweise, dass eine Zunahme von Faktoren eine Zunahme von Zwang bedeuten müsste und eine Abnahme von Faktoren eine Abnahme von Zwang.

Der Begriff "Faktor" ist hier vermutlich nicht klar genug definiert. Da habe ich mich besimmt ungenau ausgedrückt. Eigentlich meine ich bei Faktor immer den kausalen Faktor. Jeder kausale Faktor stellt eine kausale Abhängigkeit dar. Je mehr solcher Faktoren, desto größer die Abhängigkeit und desto kleiner die Freiheit.

Verstehe ich jetzt nicht. Du bist doch strenger Determinist, daher müssen doch auch automatisch für Dich alle Faktoren in unserer Welt kausale Faktoren sein, oder? Und demnach zusätzliche kausale Faktoren z.B. der neue Kindergarten, die neue Schule, die neue Firma, Erhöhung von Zwang, weil Erhöhung von Abhängigkeit. Oder?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Schuld ist er aber nur dann, wenn er auch anders hätte können.

"Anders hätte handeln können": inwiefern und wieso? Einfach so, ohne Grund, irrational, zufällig, willkürlich? Wenn nicht: wie sonst? Und wie kommst Du darauf, wie begründest Du das, woher nimmst Du diese Behauptung, worauf basiert sie?

Worauf das letztlich basiert ist sicher eine gute Frage. Angeborene Denkmuster vielleicht? Es geht vielleicht in Richtung dieser ethischen Grundregeln, die auf der ganzen Welt relativ gleich zu sein scheinen. Oder sagen wir Intuition. Ich kann also nur hilflos spekulieren, wieso mir diese Regel so einleuchtend vorkommt. Tut sie das bei dir nicht?

Nein, tut sie nicht, dazu müsste ich auch erst mal verstehen können, was Du mit "hätte anders handeln können" eigentlich genau meinst.

ganimed hat geschrieben:Jemand, der nicht anders konnte, der gar keine Wahl hatte, dem kann ich keine Schuld geben. Schuld hier im Sinne von übel nehmen.

Aber er hatte doch die Wahl. Er hatte sich aufgrund seiner Überlegungen für eine Option entschieden. Wie sonst könnte man denn "Wahl" verstehen? Doch sicher nicht, dass er sich willkürlich für etwas Beliebiges entschieden hätte. Aber wie sonst?

Alles ist so gekommen, wie es gekommen ist und alles wird so kommen, wie es kommen wird. Das ist tautologisch wahr. Es wird niemals anders kommen, als es kommen wird, das geht nicht, das wäre ein Widerspruch in sich. Es gibt nur genau einen Ablauf der Zukunft für uns. Und das hat nichts mit Determinismus / Indeterminismus zu tun, das ist unabhängig von dieser Frage.

Ergo kann die Frage nach Zuweisung von Verantwortung und Schuld doch nur sein, inwiefern die Entscheidung und somit die Handlung kontrollierbar war, inwiefern es seine Entscheidung und Handlung war oder etwa nicht? Was sonst? Wie liefe eine bessere Wahl oder etwas, das man überhaupt erst "echte" Wahl nennen darf, ab? (Hoffentlich nicht so, dass ich nachher mit dem blöden ollen Trabbi für ein Schweinegeld, den ich nie wollte und auch nicht will, dasitzen muss.)

ganimed hat geschrieben:Denn auf die vorwurfsvolle Frage: wieso hast du das gemacht? könnte der gewzungenermaßen Handelnde ja immer antworten: aus den Gründen A, B und C. Es war also nichtmal seine eigene Idee, wenn man es genau nimmt.

Wenn man es genau nimmt, dann muss man es auch ganz genau nehmen: demnach existiert er gar nicht, weil alles auf Vergangenes zurückführbar ist, weil dann gar nichts sein "Eigenes" ist, er gar keine eigenen Eigenschaften hat und etwas, was keine eigenen Eigenschaften hat, was völlig eigenschaftslos ist, existiert nicht. Das ist die logische Konsequenz aus Deiner Sichtweise.

Aber dann kann man auch niemandem etwas vorwerfen, auch nicht, dass der einem anderen etwas vorwirft. Denn dann gibt es ja niemanden, nur Abläufe, die einfach ablaufen, so wie sie ablaufen müssen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ja, solche Versuche gibt es viele, mit Split-Brain-Patienten und mit Menschen unter Hypnose, die danach eine vorgebene Handlung als die eigene ausgegeben haben. Das gibt es also unbestritten. Aber wie Du daraus ein Argument basteln willst, ist mir noch unklar. Denn daraus kann man nun mal nicht schließen, dass das immer so ist, nicht wahr? Das wäre mE ein schlichter Fehlschluss.

Was wäre denn deine Schlussfolgerung aus solchen Experimenten? Gibt es Gegenexperimente, die zeigen, dass das Bewusstsein manchmal auch anders reagiert und eine scheinbar eigene Handlung ausdrücklich nicht als die selbst gewollte ansieht? Welche Hinweise gibt es darauf, dass das Gehirn dieses Verhalten nicht immer zeigt?

Das ist wieder die falsche Frage. Die richtige Frage wäre: wenn eine Person unter bestimmten Umständen auf eine bestimmte Weise reagiert, welche Rückschlüsse kann man dann daraus ziehen auf Situationen, in denen diese Umstände nicht vorhanden sind? Und die Antwort darauf ist: leider keine.

Aber nehmen wir dennoch einfach mal versuchshalber an, dass das Unbewusste immer nur beliebige Gründe ins Bewusstsein bringen würde, solche, die mit der Realität nichts zu tun haben. Das würde bedeuten, dass wir keinerlei Erkenntnis über die Realität erlangen könnten. Wissenschaft wäre damit sofort hinfällig, die würde dann nicht die Realität beschreiben, sondern irgendwas. Etwa nicht Verstehbares, etwas Willkürliches, Beliebiges.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » Mi 20. Jan 2010, 22:22

Das mit dem sehr angenehmen Gesprächspartner gebe ich sofort zurück. Ich finde diese Diskussion ja sehr spannend und dennoch, trotz aller Standpunktunterschiedlichkeit, auch sehr angenehm. Eine seltene Kombination. Vielen Dank für deine Geduld, dich mit meinem inkompatibilistischen Gefasel so gründlich auseinander zu setzen. Meine Chancen, den eigenen Standpunkt zu prüfen, zu korrigieren und neu dazu zu lernen waren noch nie größer.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Meine bisherige Argumentation: freier Wille ist erst frei, wenn er kausal unabhängig ist. ...

Und mein Problem dabei ist: ich kann da keine Argumentation erkennen, sondern nur eine unbegründete Setzung, die nicht hintermauert / plausibel gemacht wird.

Ich muss zugeben, das bringt mich mal wieder arg ins Grübeln. Für mich ist das Eine ja so klar wie Klosbrühe, dass man bei 100% kausaler Abhängigkeit nicht frei entscheiden kann. Aber wieso dies nun mein Ansatz ist, wieso ich Freiheit erst da sehe wo man kausal unabhängig ist, das ist mir noch nicht so ganz klar. Ich sehe ein, dass man das durchaus noch begründen müsste.

Meine kleine Lösung war ja: wegen kausaler Abhängigkeit ist die Entscheidung und die Handlung nicht frei. Da der Handelnde nicht anders konnte, kann man ihm auch keine Schuld geben. Schafft den Begriff "Schuld" ab.

Diese kleine Lösung zieht anscheinend nicht. Problem: Wieso genau ist eine Handlung nicht frei, wenn sie kausal abhängig erfolgte?

Die große Lösung: wegen kausaler Abhängigkeit ist meine Entscheidung nicht nur unfrei (auf der Mikroebene) sondern auch nicht meine (was zur Unfreiheit auf Makroebene führt).
Wenn ich etwas tue, sage ich hinterher: "ich habs getan, weil ich es gewollt habe". Stimmt aber nicht. Alle Gedanken und Vorgänge, die bei der Entscheidung zur Handlung eine Rolle spielten, waren zu 100 % ursächlich abhängig von der Ausgangslage des Hirns, und diese war wiederum abhängig von Signalen, Mechanismen und Einflüssen, die letztendlich alle von außerhalb meines Körpers kommen. Also muss man doch schlussfolgern, dass letztendlich nicht "ich" das gewollt habe. Auf dem Hoheitsgebiet "ich" wurde lediglich das umgesetzt, was von außen vorgegeben wurde. Es mag also weiterhin ein "ich" geben, aber es gibt keinen "eigenen" Willen.

Auf der Makroebene ist der "freie Wille", die soziale Freiheit aber genau so definiert (wenn ich das richtig sehe). Wichtig ist hier ja nicht die kausale Freiheit, sondern dass der Mensch gemäß seiner eigenen Ziele und Wünsche entscheidet, dass er sich seine eigenen Gedanken macht und durch Selbstreflexion in der Lage ist, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Was aber, wenn wegen der konsequenten Anwendung der Mikroebene seine eigenen Ziele gar nicht seine eigenen sind sondern von außen induziert wurden? Ebenso seine Gedanken. Alles wurde über Kausalketten von außen erzwungen.

Für einen freien Willen brauche ich etwas, dass originär in meinem Kopf erzeugt wurde. Ich brauche einen eigenen Mist, auf dem meine Entscheidungen wachsesn können. Da wir aber sozusagen nur Durchgangsstationen kausaler Abläufe sind, haben wir weder kausale noch soziale Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:wenn Zwang und Freiheit Gegensätze sind und wenn es verschiedene Grade von Zwang gibt, dann macht es auch Sinn, sich auf der Skala "absoluter Zwang <-> absolute Freiheit" zu bewegen. Auch wenn es weder den einen noch den anderen Pol in absoluter Größe geben sollte. Aus diesem Gegensatz folgt einfacher logischerweise: weniger Zwang -> mehr Freiheit und mehr Zwang -> weniger Freiheit.

Das stimmt alles haargenau. Der springende Punkt ist nur, dass bei dir der Zwang alleine dadurch abnimmt, dass der Mensch ihn aus irgendwelchen Gründen nicht sieht. Ich würde deine Sätze voll unterschreiben wenn wir hier von objektivem Zwang reden. Dieser objektive Zwang wäre nicht abhängig davon, ob ein Mensch was merkt oder nicht. Er wäre lediglich abhängig davon, wie viele Handlungsfreiheiten er dem Mensch objektiv noch lässt.
Ein Mechnismus, der immer nur genau einen Zylinder frei schaltet, zwingt mir die Besuchsreihenfolge mehr auf als ein zweiter Mechanismus, der mir wenigstens immer die Wahl zwischen jeweils 3 Zylindern lässt. Beim ersten Mechanismus wäre der Zwang groß, die Freiheit klein. Beim zweiten wäre der Zwang kleiner und die Freiheit größer. Was der Mensch aber "sowieso" wollte und wie viel ihm dieser Zwang ausmacht, darf dabei keine Rolle spielen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du bist doch strenger Determinist, daher müssen doch auch automatisch für Dich alle Faktoren in unserer Welt kausale Faktoren sein, oder? Und demnach zusätzliche kausale Faktoren z.B. der neue Kindergarten, die neue Schule, die neue Firma, Erhöhung von Zwang, weil Erhöhung von Abhängigkeit. Oder?

Kausale Faktoren sind Faktoren, die etwas verursachen. Eine Schule in meiner Nähe verursacht bei mir erstmal nichts. Ich bin weder Schüler noch Lehrer. Ich muss da nicht hin. Faktoren, die bei mir nichts verursachen, von denen werde ich kausal auch nicht abhängig, so dass sie mich in meiner Freiheit nicht einschränken.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Jemand, der nicht anders konnte, der gar keine Wahl hatte, dem kann ich keine Schuld geben. ...

Aber er hatte doch die Wahl. Er hatte sich aufgrund seiner Überlegungen für eine Option entschieden. Wie sonst könnte man denn "Wahl" verstehen? Doch sicher nicht, dass er sich willkürlich für etwas Beliebiges entschieden hätte. Aber wie sonst?

Schauen wir uns doch einmal die Überlegungen diese Jemands an. Den Entscheidungsgedanken zur Handlung nennen wir A. A hat er gedacht, weil er vorher B gedacht hat. B folgte aus dem Gedanken C. C aus D. Usw. Diese lückenlose Kette enthält keinen Freiheitsgrad. Sie ist sozusagen maximal festgezurrt.
Eine echte Wahl könnte man so verstehen, dass in dieser Kette Löcher sind. C folgte nicht aus D. C wäre einfach mal so da. Das wäre mal was ganz neues und A damit eine wirklich freie Entscheidung.
Und wie gesagt: die Entscheidung war weder frei noch war es überhaupt seine. Denn P, Q und R sind bereits Ursachen, die außerhalb vom Jemand auftraten. Die Entscheidung kommt also letztlich von außen und nicht aus Jemand heraus.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ergo kann die Frage nach Zuweisung von Verantwortung und Schuld doch nur sein, inwiefern die Entscheidung und somit die Handlung kontrollierbar war, inwiefern es seine Entscheidung und Handlung war oder etwa nicht? Was sonst?

Stimmt.

AgentProvocateur hat geschrieben:demnach existiert er gar nicht, weil alles auf Vergangenes zurückführbar ist, weil dann gar nichts sein "Eigenes" ist, er gar keine eigenen Eigenschaften hat und etwas, was keine eigenen Eigenschaften hat, was völlig eigenschaftslos ist, existiert nicht. Das ist die logische Konsequenz aus Deiner Sichtweise.

Aber dann kann man auch niemandem etwas vorwerfen, auch nicht, dass der einem anderen etwas vorwirft. Denn dann gibt es ja niemanden, nur Abläufe, die einfach ablaufen, so wie sie ablaufen müssen.

Stimmt auch alles. Und da man niemandem etwas vorwerfen kann, sollte es also keinen "Vorwurf" mehr geben, d.h. keine "Schuld".

AgentProvocateur hat geschrieben:Die richtige Frage wäre: wenn eine Person unter bestimmten Umständen auf eine bestimmte Weise reagiert, welche Rückschlüsse kann man dann daraus ziehen auf Situationen, in denen diese Umstände nicht vorhanden sind? Und die Antwort darauf ist: leider keine.

Du wirst Umstände meinen, die auf dem Operationstisch vorhanden waren aber im Alltag nicht. Welche Umstände meinst du beispielsweise?

Ich sehe das Experiment so, dass der von außen kommende Stromstoß für das Bewusstsein ebenso unsichtbar war wie ein Impuls aus dem Unterbewusstsein es ist. Insofern sehe ich keinen wesentlichen Unterschied zum Alltagsgeschehen. Mein Unterbewusstsein gibt, laut Hirnforschung, so einiges vor, macht und tut, und mein Bewusstsein handelt dann vermutlich genau so wie auf dem Operationstisch. Es wird mir einfach so vorkommen, als hätte ich das auch so gewollt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber nehmen wir dennoch einfach mal versuchshalber an, dass das Unbewusste immer nur beliebige Gründe ins Bewusstsein bringen würde, solche, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Wieso hat das Unbewusste mit der Realität nichts zu tun und wieso ist es beliebig? Es handelt sich ja nun nicht um einen Zufallsgenerator. Was mein Unterbewusstssein entscheidet, mag mir nicht bewusst sein, aber das heisst nur, dass ich es nicht in meinen Erinnerungen abspeichern kann und im bewussten Teil meines Hirns davon eben nichts ankommt. Aber dennoch kann man davon ausgehen, dass auch das Unterbewusstsein eine sehr gut geölte Maschine ist, um die Realtität zu erkennen und mich darin wunderbar zurechtfinden zu lassen.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 21. Jan 2010, 19:48

ganimed hat geschrieben:Meine kleine Lösung war ja: wegen kausaler Abhängigkeit ist die Entscheidung und die Handlung nicht frei.

Das ist erst mal nur eine Definition: Freiheit = kausale Unabhängigkeit. So weit, so gut.

ganimed hat geschrieben:Da der Handelnde nicht anders konnte, kann man ihm auch keine Schuld geben. Schafft den Begriff "Schuld" ab.

Da fehlt jetzt der Zusammenhang zu obiger Definition. Der Zusammenhang von "anders können == akausale Unabhängigkeit == Freiheit" und Schuld, wo ist der?

ganimed hat geschrieben:Die große Lösung: wegen kausaler Abhängigkeit ist meine Entscheidung nicht nur unfrei (auf der Mikroebene) sondern auch nicht meine (was zur Unfreiheit auf Makroebene führt).

Aber dann kommt mein Einwand von oben voll zum Tragen: wenn nur dann etwas meines ist, wenn es akausal entstanden ist (weiß zwar immer noch nicht, wieso, aber das mal beiseite gelassen) und nichts akausal entstehen kann, dann kann es nichts geben, was meines ist, dann kann es mich nicht geben, ich kann dann nicht existieren. Zu einer Existenz gehören nun mal notwendigerweise eigene Eigenschaften.

ganimed hat geschrieben:Auf der Makroebene ist der "freie Wille", die soziale Freiheit aber genau so definiert (wenn ich das richtig sehe). Wichtig ist hier ja nicht die kausale Freiheit, sondern dass der Mensch gemäß seiner eigenen Ziele und Wünsche entscheidet, dass er sich seine eigenen Gedanken macht und durch Selbstreflexion in der Lage ist, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Was aber, wenn wegen der konsequenten Anwendung der Mikroebene seine eigenen Ziele gar nicht seine eigenen sind sondern von außen induziert wurden? Ebenso seine Gedanken. Alles wurde über Kausalketten von außen erzwungen.

Aber, nein, das folgt nicht. Wobei es einen Unterschied macht, ob jemand etwas induziert hat (was man meist nicht so prickelnd findet, weil man nicht den Interessen Anderer unterworfen sein will) oder ob man die Eigenschaften der Person betrachtet, die selbstverständlich irgendwo herkommen müssen. Sie können nicht aus dem Nichts entstehen und selbst, wenn sie das könnten, würde das keinen wesentlichen Unterschied bei der Frage nach Freiheit (solche, die als wesentlich für die Zuweisung von Verantwortung und Schuld angesehen wird) machen. Wenn doch, müsste man das zeigen können. Meiner Ansicht nach ist sogar das Gegenteil der Fall: je akausaler, um so weniger frei und um so weniger Verantwortung und Schuld kann zugewiesen werden.

Kausalketten erzwingen auch nichts per se, ich halte das nach wie vor für eine falsche, weil gänzlich ungebräuchliche Anwendung des Begriffes "Zwang" (auch aus dem ganz einfachen Grunde, weil dann Akausalität logischerweise automatisch "kein Zwang" bedeuten müsste - und das tut es nicht, jedenfalls nicht auf der Makrobene).

ganimed hat geschrieben:Für einen freien Willen brauche ich etwas, dass originär in meinem Kopf erzeugt wurde. Ich brauche einen eigenen Mist, auf dem meine Entscheidungen wachsesn können.

Ja, das sehe ich auch so. Jetzt müsstest Du nur noch zeigen können, wieso und inwiefern Akausaliät dabei eine Rolle spielen könnte, wieso man etwas, das akausal entstanden ist, "originär" nennen kann, etwas, was kausal entstanden ist aber nicht.

ganimed hat geschrieben:Da wir aber sozusagen nur Durchgangsstationen kausaler Abläufe sind, haben wir weder kausale noch soziale Freiheit.

Wie sind aber nicht nur Durchgangsstationen kausaler Abläufe, wir sind Wesen, die dazu fähig sind, rationale Entscheidungen zu treffen, d.h. winr sind letztlich bestimmte kausale Abläufe. Was sollten wir auch sonst sein? Fähig dazu, unsere Handlungen zu kontrollieren und zwar in einem wesentlichen Sinne von "Kontrolle". Oder Du könntest eine prinziell bessere Art von Kontrolle darstellen.

Wenn "Durchgangsstation" und "kausaler Ablauf" ein Gegensatz sein soll, wenn wir also nicht aus kausalen Abläufen bestehen dürfen und es nur kausale Abläufe gibt, dann kann es uns nicht geben. Oder woraus genau besteht Deiner Ansicht nach die "Durchgangsstation"?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:wenn Zwang und Freiheit Gegensätze sind und wenn es verschiedene Grade von Zwang gibt, dann macht es auch Sinn, sich auf der Skala "absoluter Zwang <-> absolute Freiheit" zu bewegen. Auch wenn es weder den einen noch den anderen Pol in absoluter Größe geben sollte. Aus diesem Gegensatz folgt einfacher logischerweise: weniger Zwang -> mehr Freiheit und mehr Zwang -> weniger Freiheit.

Das stimmt alles haargenau. Der springende Punkt ist nur, dass bei dir der Zwang alleine dadurch abnimmt, dass der Mensch ihn aus irgendwelchen Gründen nicht sieht. Ich würde deine Sätze voll unterschreiben wenn wir hier von objektivem Zwang reden. Dieser objektive Zwang wäre nicht abhängig davon, ob ein Mensch was merkt oder nicht. Er wäre lediglich abhängig davon, wie viele Handlungsfreiheiten er dem Mensch objektiv noch lässt.

Aber Zwang ist nun mal mAn nichts Objektives. Es gibt auf der Mikroebene nichts, was dem Gebrauch von "Zwang" auf der Makroebene entspricht. Auf der Makroebene ist mit "Zwang" immer etwas gemeint, was jemanden dazu bringt, etwas zu tun, was er eigentlich nicht will oder etwas, das einen davon abhält, etwas zu tun, das man tun will. Und das ist nun mal letztlich subjektiv, da kann man nicht mit Elementarteilchen kommen und einem Begriff von Freiheit, der auf der Ebene von Elementarteilchen vielleicht einen Sinn ergibt.

Jedoch abgesehen von dem, was ich unter Zwang verstehe, gibt es auch noch andere Faktoren, die die Willensfreiheit einschränken, nämlich solche, die die Fähigkeit zur Erkenntnis einschränken.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Du bist doch strenger Determinist, daher müssen doch auch automatisch für Dich alle Faktoren in unserer Welt kausale Faktoren sein, oder? Und demnach zusätzliche kausale Faktoren z.B. der neue Kindergarten, die neue Schule, die neue Firma, Erhöhung von Zwang, weil Erhöhung von Abhängigkeit. Oder?

Kausale Faktoren sind Faktoren, die etwas verursachen. Eine Schule in meiner Nähe verursacht bei mir erstmal nichts. Ich bin weder Schüler noch Lehrer. Ich muss da nicht hin. Faktoren, die bei mir nichts verursachen, von denen werde ich kausal auch nicht abhängig, so dass sie mich in meiner Freiheit nicht einschränken.

Du wirst Dich doch aber hoffentlich in jemanden hineinversetzen können, für den eine neue Schule oder ein neuer Kindergarten oder neue Arbeitsplätze eine Rolle spielen, auch wenn Dir persönlich das alles egal ist. Tu' das doch mal versuchshalber und dann frage ich nochmal: all dies sind kausale Faktoren, also Zunahme von Zwang, also Abnahme von Freiheit, richtig? Das folgt jedenfalls logischerweise aus Deiner Argumentation (Zwang == kausale Faktoren).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Jemand, der nicht anders konnte, der gar keine Wahl hatte, dem kann ich keine Schuld geben. ...

Aber er hatte doch die Wahl. Er hatte sich aufgrund seiner Überlegungen für eine Option entschieden. Wie sonst könnte man denn "Wahl" verstehen? Doch sicher nicht, dass er sich willkürlich für etwas Beliebiges entschieden hätte. Aber wie sonst?

Schauen wir uns doch einmal die Überlegungen diese Jemands an. Den Entscheidungsgedanken zur Handlung nennen wir A. A hat er gedacht, weil er vorher B gedacht hat. B folgte aus dem Gedanken C. C aus D. Usw. Diese lückenlose Kette enthält keinen Freiheitsgrad. Sie ist sozusagen maximal festgezurrt.
Eine echte Wahl könnte man so verstehen, dass in dieser Kette Löcher sind. C folgte nicht aus D. C wäre einfach mal so da. Das wäre mal was ganz neues und A damit eine wirklich freie Entscheidung.

Ja, das folgt aus Deiner Definition (Freiheit == Unabhängigkeit von kausalen Faktoren). So weit, so gut, aber was hat das mit Schuld zu tun? Wieso sollte jemand schuldiger sein, der von (notwendigerweise nicht seiner Kontrolle unterliegenden) akausalen Faktoren zu etwas gezwungen (= gegen seinen Willen, seine Einstellung, seine Persönlichkeit) wird? Und wieso sollte ich freier sein, wenn ich dann nachher mit dem ollen Trabbi dasitze, den ich gar nicht wollte?

Das möchte ich erfahren, diesen Zusammenhang, nicht, ob Du etwas "echte" Wahl und was anderes "unechte" Wahl nennst. Das sind doch nur Bezeichnungen und ohne Zusammenhang völlig uninteressant.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:demnach existiert er gar nicht, weil alles auf Vergangenes zurückführbar ist, weil dann gar nichts sein "Eigenes" ist, er gar keine eigenen Eigenschaften hat und etwas, was keine eigenen Eigenschaften hat, was völlig eigenschaftslos ist, existiert nicht. Das ist die logische Konsequenz aus Deiner Sichtweise.

Aber dann kann man auch niemandem etwas vorwerfen, auch nicht, dass der einem anderen etwas vorwirft. Denn dann gibt es ja niemanden, nur Abläufe, die einfach ablaufen, so wie sie ablaufen müssen.

Stimmt auch alles. Und da man niemandem etwas vorwerfen kann, sollte es also keinen "Vorwurf" mehr geben, d.h. keine "Schuld".

Also, ich fasse mal zusammen: Du, der nicht existiert, wirfst jemandem, der auch nicht existiert, vor, dass der der einem Dritten, der auch nicht existiert, etwas vorwirft, und zwar deswegen, weil es sich aus der Nichtexistenz aller drei Leute ergibt, dass Vorwürfe moralisch falsch sind.

Klingt für mich in vielerlei Hinsicht reichlich absurd. Aber ich existiere dann ja auch nicht, das macht dann nix.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die richtige Frage wäre: wenn eine Person unter bestimmten Umständen auf eine bestimmte Weise reagiert, welche Rückschlüsse kann man dann daraus ziehen auf Situationen, in denen diese Umstände nicht vorhanden sind? Und die Antwort darauf ist: leider keine.

Du wirst Umstände meinen, die auf dem Operationstisch vorhanden waren aber im Alltag nicht. Welche Umstände meinst du beispielsweise?

Ich meine, dass in allen Experimenten jemand von jemand anderem manipuliert wurde. Wie verhält sich aber jemand, wenn er nicht von anderen manipuliert wird? Das können die Experimente notwendigerweise nicht beantworten.

Man könnte einfach daraus schließen, dass Menschen aus der Erfahrung heraus meinen, nicht grundlos zu handeln, dass sie also meinen, dass alles eine Ursache hat. Und die Situationen in den Experimenten sind ungewöhnlich, entsprechen nicht dem Alltagsgeschehen, in dem ein Mensch die Erfahrung macht, dass seine Überlegungen und Handlungen eine Auswirkung haben und zwar oft die vorher überlegte, dass sie also eine Kontrolle über sich / ihre Handlungen haben, diese beeinflussen können. Eine Kontrolle von außen ist eher eine ungewöhnliche Situation.

Damit die Experimente überhaupt einen Sinn ergeben könnten über die banale Erkenntnis darüber hinaus, dass Menschen sich in allem irren können, was sie annehmen, könnte man sie wie folgt erweitern: man erzeugt einen Stromstroß, der eine bestimmte Bewegung auslöst (den Arm heben z.B.). Und dann sagt man dem Patienten, wie das zustande kam. Und dann wiederholt man das Experiment viele Male und beobachtet, ob der Patient irgendwann mal den Unterschied zwischen einer von außen erzeugten Bewegung und einer selbst erzeugten Bewegung wahrnehmen könnte. Das wäre mal interessant. Allerdings würde das immer jedoch noch nicht viel über Situationen aussagen, die intern gesteuert wurden, man könnte daraus schlicht nicht schließen, dass eine interne Steuerung unmöglich sei, (insofern, als das Unbewusste dem Bewusstsein immer willkürliche, nichts mit der Realität zu tun habende Gründe vorgaukeln würde).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber nehmen wir dennoch einfach mal versuchshalber an, dass das Unbewusste immer nur beliebige Gründe ins Bewusstsein bringen würde, solche, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Wieso hat das Unbewusste mit der Realität nichts zu tun und wieso ist es beliebig? Es handelt sich ja nun nicht um einen Zufallsgenerator.

Die Gründe, die die Patienten in den oben genannten Experimenten nannten, waren erfunden, hatten nichts mit der Realität zu tun, waren beliebig, wiewohl sicher nicht ohne Abhängigkeit von vorherigen Erfahrungen).

ganimed hat geschrieben: Was mein Unterbewusstssein entscheidet, mag mir nicht bewusst sein, aber das heisst nur, dass ich es nicht in meinen Erinnerungen abspeichern kann und im bewussten Teil meines Hirns davon eben nichts ankommt. Aber dennoch kann man davon ausgehen, dass auch das Unterbewusstsein eine sehr gut geölte Maschine ist, um die Realtität zu erkennen und mich darin wunderbar zurechtfinden zu lassen.

Wenn das Unbewusste dem Bewusstsein beliebige Gründe vorgaukeln kann, und Du meinst, es wäre plausibel anzunehmen, das wäre immer so, wieso erweiterst Du das dann nicht für alle Bewusste, (Wahrnehmungen, Erkenntnis, Begründungen, usw.)?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon xander1 » Fr 22. Jan 2010, 07:51

Ich habe jetzt eigentlich nicht weiter gelesen. Gibt es eigentlich einen Widerspruch im Denken der Brights? Ich denke nicht.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon ganimed » So 24. Jan 2010, 00:10

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Zusammenhang von "anders können == akausale Unabhängigkeit == Freiheit" und Schuld, wo ist der?

100 % kausale Abhängigkeit = 100% Zwang (objektiver Zwang) = 0% Entscheidungsfreiheit = 0% Schuld

AgentProvocateur hat geschrieben:wenn nur dann etwas meines ist, wenn es akausal entstanden ist (weiß zwar immer noch nicht, wieso, aber das mal beiseite gelassen) und nichts akausal entstehen kann, dann kann es nichts geben, was meines ist, dann kann es mich nicht geben, ich kann dann nicht existieren. Zu einer Existenz gehören nun mal notwendigerweise eigene Eigenschaften.

Akausal kann nichts entstehen, stimmt. Also entsteht alles kausal. Also kann es etwas geben, nämlich alles kausal entstandene. Es kann dich also geben, es gibt dich, du hast alle Eigenschaften die du hast, nur frei bist du nicht. Deine Schlussfolgerung, dass nach meiner Argumentation nichts existieren würde, verstehe ich nicht so ganz. Beziehst du dich auf eine implizite Regel, die ich nicht kenne, nach der nur dann etwas existieren kann wenn es frei ist?

Aber die Behauptung, dass einem die eigenen Gedanken nicht gehören, muss ich wieder zurücknehmen. Da bin ich doch etwas über das Ziel hinaus geschossen. Meine Gedanken gehören schon mir. Aber sie sind nicht meine Idee. Der originäre Impuls und Anstoss kommt von außen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Jetzt müsstest Du nur noch zeigen können, wieso und inwiefern Akausaliät dabei eine Rolle spielen könnte, wieso man etwas, das akausal entstanden ist, "originär" nennen kann, etwas, was kausal entstanden ist aber nicht.

Akausales gibt es ja gar nicht (jedenfalls wäre das meine Annahme). Also muss ich doch hoffentlich nicht zeigen, welche Eigenschaften die Dinge haben, die nicht akausal entstehen, weil so nichts entsteht, oder? Was sollte es bringen, etwas zu beschreiben, was nicht existiert?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie sind aber nicht nur Durchgangsstationen kausaler Abläufe, wir sind Wesen, die dazu fähig sind, rationale Entscheidungen zu treffen.

Aber unsere rationale Entscheidungen sind doch auch wieder nur kausale Abläufe. Oder was sollte da noch hinzu kommen? Unsere Rationalität habe wir uns nicht ausgedacht. Sie ist eine Eigenschaft unseres Bewusstseins und wir können gar nicht anders uns so oder so zu entscheiden, eben wegen den Gründen, diesen kausalen Dingern.

AgentProvocateur hat geschrieben:d.h. wir sind letztlich bestimmte kausale Abläufe. Was sollten wir auch sonst sein? Fähig dazu, unsere Handlungen zu kontrollieren und zwar in einem wesentlichen Sinne von "Kontrolle". Oder Du könntest eine prinziell bessere Art von Kontrolle darstellen.

Eine Durchgangsstation kontrolliert nichts. Fremde Einflüsse fließen durch sie durch und eine originäre Einflussnahme, geschweige denn eine Kontrolle, erfolgt nicht. Aber ich muss zugeben, ich kann außer dem vagen Hinweis auf einen dualistischen Geist keine Art von echter Kontrolle angeben. Es gibt eben einfach keine in einer Welt, die so ist wie unsere.

AgentProvocateur hat geschrieben:Auf der Makroebene ist mit "Zwang" immer etwas gemeint, was jemanden dazu bringt, etwas zu tun, was er eigentlich nicht will oder etwas, das einen davon abhält, etwas zu tun, das man tun will. Und das ist nun mal letztlich subjektiv, da kann man nicht mit Elementarteilchen kommen und einem Begriff von Freiheit, der auf der Ebene von Elementarteilchen vielleicht einen Sinn ergibt.

Was ist, wenn der Zwang so ausgeübt wird, dass der Wille verändert und manipuliert wird? Nach deiner Definition wäre das kein Zwang. Und das fände ich irgendwie merkwürdig.

Mal ein Beispiel: ein Hytnotiseur bringt einen Menschen auf der Bühne dazu, wie ein Huhn zu gackern. Er fügt seinen hypnotischen Anweisungen noch hinzu, dass die Person das auch wirklich wollen soll. In deiner Definition würde die hypnotisierte Person keinen Zwang erleben, da ihr die Manipulation in Form der Hypnose ja nicht bewusst wird (wenn der Hypnotiseur das will, soweit ich das Phänomen Hypnose überblicke). Mit Hypnose wird deine Definition doch ad absurdum geführt. Denn natürlich ist die hypnotisierte Person einem Zwang unterworfen obwohl subjektiv kein Zwang vorliegt. Diesen "subjektiven" Zwang finde ich deshalb nicht sehr nützlich zu definieren.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du wirst Dich doch aber hoffentlich in jemanden hineinversetzen können, für den eine neue Schule oder ein neuer Kindergarten oder neue Arbeitsplätze eine Rolle spielen, auch wenn Dir persönlich das alles egal ist. Tu' das doch mal versuchshalber und dann frage ich nochmal: all dies sind kausale Faktoren, also Zunahme von Zwang, also Abnahme von Freiheit, richtig? Das folgt jedenfalls logischerweise aus Deiner Argumentation (Zwang == kausale Faktoren).

Richtig. Wenn Faktoren wirklich kausale Faktoren sind (sie auf mich also Zwang ausüben), dann nimmt mit der Zunahme der Faktoren auch der Zwang zu und die Freiheit ab. Ich habe aber den Faden deiner Argumentation verloren. Was folgt als nächstes?

AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso sollte jemand schuldiger sein, der von (notwendigerweise nicht seiner Kontrolle unterliegenden) akausalen Faktoren zu etwas gezwungen (= gegen seinen Willen, seine Einstellung, seine Persönlichkeit) wird? Und wieso sollte ich freier sein, wenn ich dann nachher mit dem ollen Trabbi dasitze, den ich gar nicht wollte?

Der dualistische Geist wird nicht von akausalen Faktoren zu etwas gezwungen. Er würde unabhängig von kausalen Faktoren entscheiden. Die kausalen Faktoren wären also zur Abwechslung mal nicht da. Das bedeutet nicht, dass akausale Faktoren an ihre Stelle treten. Ich weiß eigentlich gar nicht, was akausale Faktoren sein sollen. Also entscheidet der Geist unabhängig, also frei. Und mit dieser Freiheit kann er sich eben auch gegen die 'vernünftige' Varianten entscheiden und den Trabbi wählen. Er hat einfach mehr Auswahl als der kausale Sklave. Er kann auch was Dummes machen. Mehr Auswahl = mehr Freiheit = weniger Zwang.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, dass in allen Experimenten jemand von jemand anderem manipuliert wurde. Wie verhält sich aber jemand, wenn er nicht von anderen manipuliert wird? Das können die Experimente notwendigerweise nicht beantworten.

Die Experimente liefern Hinweise darauf, wie sich der bewusste Teil des Gehirn verhält, wenn eine Handlung von außen oder vom Unterbewusstsein beschlossen und ausgeführt wurde. Auch wenn also kein Jemand mich manipuliert, ich weiß dennoch sicher nicht immer vorher, was ich als nächstes genau tue, weil viele Dinge eben unbewusst ablaufen. Ich hole da mal wieder mein Lieblingszitat hervor, ein Interview mit dem Hirnforscher Gerhard Roth (Link = http://www.zeit.de/campus/2008/02/interview-freier-wille)

    Hirnforscher Gerhardt Roth:
    "Das Gehirn funktioniert bei Entscheidungen und Verhaltenssteuerung auf vier Ebenen. Es gibt zunächst die untere limbische Ebene. Dort steckt das drin, was man als Temperament bezeichnet und was weitgehend genetisch bedingt ist. ... In der Ebene darüber, der mittleren limbischen Ebene, finden die Vorgänge der emotionalen Konditionierung sowie unsere individuelle und psychosoziale Erfahrung statt. ... Dann folgt die obere limbische Ebene, die Ebene der bewussten sozialen Erfahrungen und der Verhaltensregeln. ... Darüber gibt es eine vierte, kognitiv-rationale Ebene, ..."

Wenn man diesem Bild folgt sind nur die oberen beiden Ebenen als bewusst und nur die oberste Ebene als rational zu bezeichnen. Ich finde es daher gar nicht so abwegig, anzunehmen, dass es für einen Menschen an der Tagesordnung ist, von unten Entscheidungen herauf gereicht zu bekommen, die dann möglicherweise nur noch abgenickt und als "im Nachhinein gewollt" deklariert werden.

    Gerhardt Roth weiter:
    "Auf unserer bewussten Ebene können wir maximal drei, meistens sogar nur zwei Faktoren miteinander verrechnen. Darüber wird eine Entscheidung qualvoll, da wir die Faktoren nicht mehr auf die Reihe kriegen. Es ist beeindruckend, wie begrenzt unser Verstand bei rationalen Entscheidungen ist."

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn das Unbewusste dem Bewusstsein beliebige Gründe vorgaukeln kann, und Du meinst, es wäre plausibel anzunehmen, das wäre immer so, wieso erweiterst Du das dann nicht für alle Bewusste, (Wahrnehmungen, Erkenntnis, Begründungen, usw.)?

Bei der Wahrnehmung wird sicher auch vieles nur unterbewusst verarbeitet. Erkenntnisse und Begründungen (rationale) würde ich sprachlich erstmal als rein bewusste Dinge definieren. Ich glaube aber übrigens nicht, dass im Experiment das Unbewusste dem Bewusstsein einen Grund für das Armheben vorgegaukelt hat. Das Bewusstsein hat, vermute ich, sich diesen Grund ganz alleine zurecht gelegt.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon Mark » So 24. Jan 2010, 02:33

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Zusammenhang von "anders können == akausale Unabhängigkeit == Freiheit" und Schuld, wo ist der?

100 % kausale Abhängigkeit = 100% Zwang (objektiver Zwang) = 0% Entscheidungsfreiheit = 0% Schuld


das mathematisch schwammigste an dem ganzen ist doch die Definition der "Schuld".
Wir brauchen ja trotz der gewissen totalen Kausalität einen juristischen Schuldbegriff.
Denn wir alle funktionieren auch nur dank eines Urteilstriebes zwecks Differenzierung sozialen Verhaltens. Ohne eine taugliche Definition von Schuld kommen wir nicht aus.
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 24. Jan 2010, 03:15

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Der Zusammenhang von "anders können == akausale Unabhängigkeit == Freiheit" und Schuld, wo ist der?

100 % kausale Abhängigkeit = 100% Zwang (objektiver Zwang) = 0% Entscheidungsfreiheit = 0% Schuld

-> 0 % kausale Abhängigkeit = 0 % Zwang = 100 % Entscheidungsfreiheit = 100 % Schuld. Richtig?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:wenn nur dann etwas meines ist, wenn es akausal entstanden ist (weiß zwar immer noch nicht, wieso, aber das mal beiseite gelassen) und nichts akausal entstehen kann, dann kann es nichts geben, was meines ist, dann kann es mich nicht geben, ich kann dann nicht existieren. Zu einer Existenz gehören nun mal notwendigerweise eigene Eigenschaften.

Akausal kann nichts entstehen, stimmt. Also entsteht alles kausal. Also kann es etwas geben, nämlich alles kausal entstandene. Es kann dich also geben, es gibt dich, du hast alle Eigenschaften die du hast, nur frei bist du nicht. Deine Schlussfolgerung, dass nach meiner Argumentation nichts existieren würde, verstehe ich nicht so ganz. Beziehst du dich auf eine implizite Regel, die ich nicht kenne, nach der nur dann etwas existieren kann wenn es frei ist?

Nö, ich beziehe mich auf die Regel, dass nur etwas existiert, wenn es eigene Eigenschaften hat, solche, die dem Etwas zugehörig und nicht als äußere Eigenschaften angesehen werden. Aber eben das behauptest Du doch hier: wenn sich Eigenschaften kausal ergeben, dann sind diese Eigenschaften nicht einem Etwas zuzuordnen, sondern den vergangenen Umständen, die die Eigenschaften kausal verursacht haben. Und daraus folgt logischerweise, dass nichts, das nicht seit dem Urknall existiert, existieren kann. Es existiert also kein Mensch, kein Tier, kein Baum. Alles ist auf den Urknall zurückführbar, wenn die Welt streng determiniert ist.

ganimed hat geschrieben:Aber die Behauptung, dass einem die eigenen Gedanken nicht gehören, muss ich wieder zurücknehmen. Da bin ich doch etwas über das Ziel hinaus geschossen. Meine Gedanken gehören schon mir. Aber sie sind nicht meine Idee. Der originäre Impuls und Anstoss kommt von außen.

Sie gehören Dir, aber sie sind nicht Deine Idee? Hm, das ist merkwürdig. Bist Du nur Dein Bewusstsein? Das wäre immerhin eine Erklärung dafür.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Jetzt müsstest Du nur noch zeigen können, wieso und inwiefern Akausaliät dabei eine Rolle spielen könnte, wieso man etwas, das akausal entstanden ist, "originär" nennen kann, etwas, was kausal entstanden ist aber nicht.

Akausales gibt es ja gar nicht (jedenfalls wäre das meine Annahme). Also muss ich doch hoffentlich nicht zeigen, welche Eigenschaften die Dinge haben, die nicht akausal entstehen, weil so nichts entsteht, oder? Was sollte es bringen, etwas zu beschreiben, was nicht existiert?

Du musst sagen können, was Du unter "echt originär" verstehst. Immerhin verwendest Du diesen Begriff. Wahrscheinlich wirst Du jetzt sagen: "echt originär" ist etwas dann, wenn es akausal entstanden ist. Begründen musst Du dies dennoch. Das ist nämlich mE nicht evident. Wieso sollte etwas Beliebiges, wenn es in meinem Kopf entstanden ist, "originärer" sein, als etwas, das ebenfalls in meinem Kopf entstanden ist, aber kausal?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wie sind aber nicht nur Durchgangsstationen kausaler Abläufe, wir sind Wesen, die dazu fähig sind, rationale Entscheidungen zu treffen.

Aber unsere rationale Entscheidungen sind doch auch wieder nur kausale Abläufe. Oder was sollte da noch hinzu kommen? Unsere Rationalität habe wir uns nicht ausgedacht. Sie ist eine Eigenschaft unseres Bewusstseins und wir können gar nicht anders uns so oder so zu entscheiden, eben wegen den Gründen, diesen kausalen Dingern.

Das, was wir denken, ist von uns ausgedacht. Klar, von wem denn sonst (falls das nicht von Dritten induziert wurde)? Was hat Kausalität damit zu tun? Wieso wäre etwas Akausales mehr (oder überhaupt erst) von uns ausgedacht?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:d.h. wir sind letztlich bestimmte kausale Abläufe. Was sollten wir auch sonst sein? Fähig dazu, unsere Handlungen zu kontrollieren und zwar in einem wesentlichen Sinne von "Kontrolle". Oder Du könntest eine prinziell bessere Art von Kontrolle darstellen.

Eine Durchgangsstation kontrolliert nichts. Fremde Einflüsse fließen durch sie durch und eine originäre Einflussnahme, geschweige denn eine Kontrolle, erfolgt nicht. Aber ich muss zugeben, ich kann außer dem vagen Hinweis auf einen dualistischen Geist keine Art von echter Kontrolle angeben. Es gibt eben einfach keine in einer Welt, die so ist wie unsere.

Ich bitte Dich. Wenn Du von "echter Kontrolle" redest, musst Du die auch irgendwie darstellen können. Was ist also "echte Kontrolle"? Du kannst doch nicht einfach nur behaupten, "echte Kontrolle" sei nur möglich bei Akausalität, Du musst das begründen. Und ganz furchtbar hilfreich dabei wäre eben, wenn Du "echte Kontrolle" darstellen könntest, das, was sie bedeutet und ausmacht. Akausalität vermindert doch Kontrolle, sie erhöht sie keineswegs. Oder Du kannst zeigen, wie.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Du wirst Dich doch aber hoffentlich in jemanden hineinversetzen können, für den eine neue Schule oder ein neuer Kindergarten oder neue Arbeitsplätze eine Rolle spielen, auch wenn Dir persönlich das alles egal ist. Tu' das doch mal versuchshalber und dann frage ich nochmal: all dies sind kausale Faktoren, also Zunahme von Zwang, also Abnahme von Freiheit, richtig? Das folgt jedenfalls logischerweise aus Deiner Argumentation (Zwang == kausale Faktoren).

Richtig. Wenn Faktoren wirklich kausale Faktoren sind (sie auf mich also Zwang ausüben), dann nimmt mit der Zunahme der Faktoren auch der Zwang zu und die Freiheit ab. Ich habe aber den Faden deiner Argumentation verloren. Was folgt als nächstes?

Mein Punkt hier war: es ist mE wenig einsichtig für die meisten Leute, dass die Erhöhung von kausalen Faktoren (z.B. der Bau eines Kindergartens) eine Erhöhung von Zwang bedeuten soll und eine Verminderung von kausalen Faktoren (z.B. die Schließung eines Kindergartens) eine Verminderung von Zwang.

Und es ist überhaupt wenig einsichtig, inwiefern überhaupt Kausalität dabei eine Rolle spielen soll.

Frag' doch mal eine Bekannte nach folgenden vier Fällen, die sie sich vorstellen soll:

a) Sie erlebt eine heiße Liebesnacht mit ihrem Partner
b) Sie wird von einem Einbrecher vergewaltigt
c) Wie b), diesmal aber ist der Vergewaltiger ein manifestierter Geist aus einer anderen Dimension, der akausal handelt
d) Jemand hypnotisiert sie so, dass sie nach der Hypnose auf den Hypnotiseur scharf ist und mit ihm ins Bett geht. Danach erst erfährt sie, wie es sich zugetragen hat.

Und dann frage, welche Punkte sie als Zwang ansieht. Das wird genau bei a) und d) der Fall sein, das kann ich jetzt schon prophezeihen. Und den Unterschied zwischen b) und c), den Du siehst, wird sie nicht sehen können, das wird ihr völlig gleichgültig sein und sie wird Dich für bekloppt erklären.

Zwang ist immer eine subjektive Sache. Aber das bedeutet keineswegs, dass man nicht sich ausgenutzt fühlt, wenn man im Nachhinein erfährt, wie man von Dritten für ihre Zwecke benutzt wurde. Es bedeutet also nicht, dass es eine Zwang als etwas nur momamtan Gültiges angesehen wird. Auch im Nachhinein kann man einen Zwang feststellen, denn man in der Situation nicht erkannte. Aber: etwas, das man selber will, das den eigenen Wünschen und Zielen entspricht, sieht man nicht als Zwang an. Es wäre mE aber auch Zwang, wenn ein Diktator seine Untertanen ihr Leben lang unmündig hält, so dass die den Zwang nicht erkennen können. Wenn man sie darüber aufklären würde, dann könnten sie das evtl. auch erkennen.

Ist nicht so ganz einfach "Zwang" zu definieren, zugegeben, aber Deine Auffassung, alles, was kausal geschehe, sei Zwang und alles, was akausal geschehe, sei kein Zwang, ist mE falsch, frag, wen Du willst, mit obigen Fallbeispielen, da wird Dir kaum jemand zustimmen wollen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wieso sollte jemand schuldiger sein, der von (notwendigerweise nicht seiner Kontrolle unterliegenden) akausalen Faktoren zu etwas gezwungen (= gegen seinen Willen, seine Einstellung, seine Persönlichkeit) wird? Und wieso sollte ich freier sein, wenn ich dann nachher mit dem ollen Trabbi dasitze, den ich gar nicht wollte?

Der dualistische Geist wird nicht von akausalen Faktoren zu etwas gezwungen. Er würde unabhängig von kausalen Faktoren entscheiden. Die kausalen Faktoren wären also zur Abwechslung mal nicht da. Das bedeutet nicht, dass akausale Faktoren an ihre Stelle treten. Ich weiß eigentlich gar nicht, was akausale Faktoren sein sollen. Also entscheidet der Geist unabhängig, also frei. Und mit dieser Freiheit kann er sich eben auch gegen die 'vernünftige' Varianten entscheiden und den Trabbi wählen. Er hat einfach mehr Auswahl als der kausale Sklave. Er kann auch was Dummes machen. Mehr Auswahl = mehr Freiheit = weniger Zwang.

"Kausaler Sklave"? Also ich möchte viel, viel, viel lieber ein kausaler Sklave sein, als nachher mit dem blödsinnigen Trabbi für ein Schweinegeld dazusitzen. Aber egal: die Frage ist, wieso ein solcher Geist verantwortlicher und schuldiger machen würde? Das verstehe ich nicht, meiner Ansicht nach wäre ganz genau das Gegenteil der Fall: jemand, der von einem solchen Geist besessen wäre, wäre nicht zurechnungsfähig, daher nicht verantwortlich für seine Handlungen und ergo auch nicht schuld daran. Ich verstehe echt nicht, wie Du darauf kommst, er wäre es nur und gerade deswegen, weil er Schwachsinn machen würde, den er selber nicht verstehen und für den er keine Rechenschaft ablegen könnte. Das finde ich absurd und unverständlich.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine, dass in allen Experimenten jemand von jemand anderem manipuliert wurde. Wie verhält sich aber jemand, wenn er nicht von anderen manipuliert wird? Das können die Experimente notwendigerweise nicht beantworten.

Die Experimente liefern Hinweise darauf, wie sich der bewusste Teil des Gehirn verhält, wenn eine Handlung von außen oder vom Unterbewusstsein beschlossen und ausgeführt wurde. Auch wenn also kein Jemand mich manipuliert, ich weiß dennoch sicher nicht immer vorher, was ich als nächstes genau tue, weil viele Dinge eben unbewusst ablaufen.

Wieso plötzlich sicher immer? Ist deine Behauptung nicht, dass man es nie weiß?

Ich jedenfalls kann meine Handlungen oft bewusst kontrollieren, in jedem Sinne, in dem man sinnvollerweise von Kontrolle sprechen kann (bei akausalen Vorgängen kann man es mE nicht - Akausalität ist notwendigerweise ein Widerspruch zu Kontrolle!). Was mE leicht zu zeigen ist.

ganimed hat geschrieben:
    Hirnforscher Gerhardt Roth:
    "Das Gehirn funktioniert bei Entscheidungen und Verhaltenssteuerung auf vier Ebenen. Es gibt zunächst die untere limbische Ebene. Dort steckt das drin, was man als Temperament bezeichnet und was weitgehend genetisch bedingt ist. ... In der Ebene darüber, der mittleren limbischen Ebene, finden die Vorgänge der emotionalen Konditionierung sowie unsere individuelle und psychosoziale Erfahrung statt. ... Dann folgt die obere limbische Ebene, die Ebene der bewussten sozialen Erfahrungen und der Verhaltensregeln. ... Darüber gibt es eine vierte, kognitiv-rationale Ebene, ..."

Wenn man diesem Bild folgt sind nur die oberen beiden Ebenen als bewusst und nur die oberste Ebene als rational zu bezeichnen. Ich finde es daher gar nicht so abwegig, anzunehmen, dass es für einen Menschen an der Tagesordnung ist, von unten Entscheidungen herauf gereicht zu bekommen, die dann möglicherweise nur noch abgenickt und als "im Nachhinein gewollt" deklariert werden.

Aber ich bin doch eine ganze Person, inkl. meiner Erfahrungen, meiner daraus erfolgende Intuition, ich bin doch nicht nur mein Verstand. Falls doch, dann wäre ich wahrlich ein ganz armer Wicht. Ich verstehe denn Einwand daher gar nicht. Es wäre auch mE völliger Schwachsinn, zu glauben, man wäre nur seine bewussten Überlegungen, denn es gäbe gar keine bewussten Überlegungen ohne den ganzen Rest. Aber da ich nicht nur mein Verstand bin, da ich eine vollständige Person bin, kann ich doch gar nicht mein Wesen als von mir unabhängig ansehen. Wie sollte das auch möglich sein? Ein völlig surrealer und absurder Gedanke geradezu.

Klar treffe ich die meisten Entscheidungen unbewusst, es wäre völlig blöde, wenn ich alles bewusst machen müsste. Das könnte ich natürlich nicht, dann würde ich nicht lange überleben können. Wo ist aber jetzt das Problem, da doch dennoch ich es bin, der handelt?

Bestimmte Sachen mache ich aber nicht unbewusst, ich schreibe diesen Beitrag bewusst. Ich weiß, was ich tue, obgleich ich viele Dinge unbewusst tue und auch viele Dinge, die ich gelernt habe, nicht mehr meine bewusste Aufmerksamkeit widmen muss. Ich habe aber noch nie z.B. meinen Nachbarn unbewusst getötet und das nachher erst mitbekommen. Sowas wäre bedenklich, in der Tat, aber das kam noch nie vor. Und bei anderen, die ich so kenne, auch nicht.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn das Unbewusste dem Bewusstsein beliebige Gründe vorgaukeln kann, und Du meinst, es wäre plausibel anzunehmen, das wäre immer so, wieso erweiterst Du das dann nicht für alle Bewusste, (Wahrnehmungen, Erkenntnis, Begründungen, usw.)?

Bei der Wahrnehmung wird sicher auch vieles nur unterbewusst verarbeitet. Erkenntnisse und Begründungen (rationale) würde ich sprachlich erstmal als rein bewusste Dinge definieren. Ich glaube aber übrigens nicht, dass im Experiment das Unbewusste dem Bewusstsein einen Grund für das Armheben vorgegaukelt hat. Das Bewusstsein hat, vermute ich, sich diesen Grund ganz alleine zurecht gelegt.

Bewusst oder unbewusst?
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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 24. Jan 2010, 03:22

Mark hat geschrieben:das mathematisch schwammigste an dem ganzen ist doch die Definition der "Schuld".
Wir brauchen ja trotz der gewissen totalen Kausalität einen juristischen Schuldbegriff.
Denn wir alle funktionieren auch nur dank eines Urteilstriebes zwecks Differenzierung sozialen Verhaltens. Ohne eine taugliche Definition von Schuld kommen wir nicht aus.

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Schuld: "Der Zustand der Schuld entsteht, wenn jemand für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich ist."

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Re: Widerspruch im Denken der Brights?

Beitragvon AgentProvocateur » So 24. Jan 2010, 15:03

Oops, 'ne kleine Korrektur noch zu meinem obigem Beispiel:

a) wird man nicht als Zwang ansehen, b), c) und d) jedoch. Und das hat meiner Meinung nach nichts mit Kausalität und Akausalität zu tun, sondern nur damit, ob etwas gegen den eigenen Willen geschah, also nicht freiwillig.
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