AgentProvocateur hat geschrieben:Völlig egal, ob Du eine Person "Automat" nennst oder nicht, es muss gewisse Vorgänge in der Welt geben, die als ihre angesehen werden. Gibt es die nicht, gibt es auch den Automaten nicht.
Nach den bisherigen Definition von "Person", würde ich sagen, hättest du recht. Eine Person im alten Sinn muss autonom sein, muss einen freien Willen haben. Das hat aber nicht geklappt, sie hat nunmal keinen, also muss eine neue Definition her.
Ich will also eine Person nicht Automat nennen, sondern dem Automaten, der wir sind, will ich eine neue Person-Definition verpassen. Und übrigens gibt es den Automaten und ich kann ihm auch Vorgänge in der Welt zuordnen. Dieses Geschwafel hier beispielsweise, kommt eindeutig von mir. Nur frei erzeugt ist es nicht. Ich als Automat habe weiterhin alle Fähigkeiten, die ein Mensch so hat. Nur den freien Willen musste ich als Fähigkeit streichen.
Es müsste sich also doch eine Definition für eine Person finden lassen, die mit Fähigkeiten aber ohne Freiheit auskommt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Verantwortung: jemand ist rechenschaftspflichtig für die Folgen eigener (absichtlicher, vorsätzlicher) Handlungen.
Diese Definition des Begriffs "Verantwortung" stützt sich auf die Absicht. Was ist aber, wenn die Absicht selber nun gar keine Absicht war sondern von außen induziert wurde? Was ist, wenn wir als Automaten zwar Handlungen ausführen können, aber keine absichtlichen mehr? Deine Definition passt meiner Ansicht also nicht mehr, wenn man uns freien Willen aufgrund der fehlenden Kausalfreiheit abspricht.
Mein Gegenvorschlag: Verantwortung = jemand ist rechenschaftspflichtig für die Folgen aller eigenen Handlungen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Schuld: jemand ist für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung verantwortlich.
Mein Gegenvorschlag: Wenn der Verstoß aus der eigenen Handlung der Person besteht, dann ist diese verantwortlich. Schuld ist sie aber mangels ihrer Freiheit nicht. Schuld gibt es schlicht nicht mehr.
AgentProvocateur hat geschrieben:Wie sind nun Deine neuen Definitionen für Privatrecht und Privatautonomie?
Beim Privatrecht sehe ich bei Wikipedia eigentlicht nichts, was nicht genau so auch ohne freien Willen funktioniert. Kann also so bleiben.
Bei der "Privatautonomie" sieht die Sache anders aus. Wikipedias Definition galoppiert schwungvoll mit der Flagge "freier Wille" los, nur um dann hinterher einzuräumen, dass das in der Realtität aber nicht so ist:
"Die Privatautonomie ist das Prinzip, dass in einer freien Gesellschaft jeder frei seinen Willen bilden, äußern und diesem Willen entsprechend handeln kann.
...
Tatsächlich bestehen zum Teil große Unterschiede zwischen den Menschen, zum Beispiel in Bezug auf ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten, ihr Wissen und ihre Gewandtheit. In der Realität ist nicht jeder wirtschaftlich und sozial tatsächlich gleichberechtigt, bzw. nicht jeder auch wirklich materiell in der Lage seine rechtlichen Freiheiten zu nutzen, und nicht jeder Wille wird ohne, zum Teil unterschwellige, Zwänge geäußert."
Diesen Schlenker zwischen hehrem aber unrealistischen Anspruch und der Realität hätte man sich sparen können.
Mein Gegenvorschlag: Privatautonomie ist eine Utopie von gleichberechtigten Menschen in einer freien Gesellschaft mit der Maximierung von Handlungsfreiheit für jeden. Um dieser Utopie möglichst nahe zu kommen, ist es in der Regel nötig, per Gesetz für Ausgleich zwischen unterschiedlich berechtigten und befähigten Menschen zu sorgen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was ich sagen wollte: die Aussage "der Mensch ist ein Automat" bedeutet lediglich: "ich bin Naturalist". Es bedeutet nichts mehr als das, bzw., falls doch, dann müsstest Du mal darstellen, was Du damit eigentlich sagen willst.
Es stimmt, eigentlich will ich nicht sagen, dass der Mensch ein heutiger Automat ist, ihm gleichgestellt und gleich behandelt werden sollte. Gute Frage übrigens, weil mir das erst richtig beim Beantworten klar wurde. Mit der Aussage "der Mensch ist ein Automat" will ich eigentlich sagen: "der Mensch ist bezüglich der Willensfreiheit und echten Wahlfreiheit bei Entscheidungen mit einem Automaten vergleichbar, weil er genau so viel hat wie der Automat, nämlich keine."
Der Mensch ist in dieser Hinsicht also wie ein Automat. Da hatte ich bisher wohl deutlich zu ungenau formuliert.
AgentProvocateur hat geschrieben:Ein Mensch hat andere Eigenschaften als heute bekannte Automaten, deswegen bedeutet die Aussage keineswegs, dass man Menschen wie heutige Automaten behandeln sollte.
Stimmt.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was soll denn "Wahlfreiheit" sein? Die "Freiheit" gegen jede Vernunft z.B. das schlechtere Auto wählen zu können? Was hat das mit Freiheit zu tun?
Nehmen wir mal an, ich lasse dir die Wahl, welches Auto du bekommst.
"Fein", sagst du, "dann habe ich also die freie Wahl?"
"Ja", bestätige ich wohlwollend, "allerdings musst du B nehmen, weil das die vernünftige Wahl ist. Aber ansonsten, ja, ansonsten hast du die völlig freie Wahl".
Ist das deine Logik? Man darf sich nicht gegen jede Vernunft entscheiden, aber ansonsten ist man echt frei? Ja was bleibt denn noch an Freiheit, wenn mir die Entscheidung durch die Vernunft vorgegeben wird?
AgentProvocateur hat geschrieben:Und welcher Zwang ist vorhanden, wenn ich z.B. gerne ins Kino gehe, einen bestimmten Film sehen möchte, weil mich die Handlung interessiert und ich mich deswegen dafür entscheide, das zu tun?
Dass ich gerne ins Kino gehe war nicht meine Idee (sondern liegt an meinen bisherigen Erfahrungen und meiner Hirnstruktur). Dass ich diesen bestimmten Film sehen will, liegt nur an äußeren Faktoren (Werbung mit ihrer Andeutung der Handlung, angenehme Assoziationen bezüglich der erwarteten Handlung).
Aufgrund meiner Kinovorliebe und aufgrund meiner Handlungsvorliebe musste ich mich für den Film entscheiden. Bin ja nunmal kausal abhängig. Ich hatte also keine Wahl.
Ich nenne das Zwang. Wie nennst du das?
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bezweifele schlicht Dein Dogma, dass Determinismus etwas mit dem landläufigen Begriff von "Willensfreiheit" zu tun hat.
Mit landläufig meinst du vermutlich deinen Begriff von Willensfreiheit? Zumindest hatten wir ja hier bereits zwei verschiedene Freiheitsbegriffe genannt. Den kausalen und den sozialen. Wenn ich über die kausale Freiheit rede, dann argumentierst du, dass das mit dem sozialen Begriff nichts zu tun hätte? Dass das jedoch mein Dogma sei? Ich muss das zurückweisen. Ich meinte die kausale Freiheit und nicht die soziale. Und ich habe nie behaupten wollen, dass das Fehlen der kausalen Freiheit bedeuten würde, dass auch die soziale Freiheit weg ist. Kausale Freiheit gibt es nicht. Soziale Freiheit gibt es schon. Aber die soziale Freiheit ist rein pragmatisch, sozusagen freiwillkürlich so definiert, dass es sie gibt. Und sie erlaubt Aussagen über unser soziales Empfinden von Handlungen, nicht über ihren wahren Freiheitsgrad. Und meine wiederholte Frage an dich war ja: wovon ist man denn frei bei der sozialen Freiheit? Nach der Definition von Nanna offenbar lediglich von direkten absichtsvollen Manipulationen seitens der Mitmenschen. Du hast zu meinem Bedauern, zumindest soweit ich das überblicke, auf die Frage "wovon denn frei" noch nicht konkret geantwortet, oder?
AgentProvocateur hat geschrieben:Du müsstest in der Lage sein, einen Entscheidungsvorgang zu skizzieren, der als freier angesehen würde. Du musst es irgendwie plausibel machen können, dass noch etwas zu einer determinierten Entscheidung hinzukommen muss, damit sie als "freier" (oder gar erst als eigentlich "frei") angesehen werden kann. Dein Beispiel mit dem Auto ist dazu überhaupt nicht geeignet, ganz im Gegenteil sogar. Es wäre vollkommen bescheuert, ohne Grund (willkürlich) das schlechtere Auto zu wählen, aber es wäre nicht "frei". Oder? Falls doch: inwiefern?
Doch es wäre frei, bescheuert zu sein. In diesem Fall macht Unvernunft frei.
Entscheidungsvorgang E1 : Ich stehe vor den beiden Autos und wähle frei (also unabhängig von Vernunftgründen) einfach mal das schlechtere Auto A.
Das ist bescheuert aber wenigstens frei von Vernunftsgründen.
Entscheidungsvorgang E2 : Ich stehe vor den beiden Autos und weil B das bessere ist, muss ich B nehmen. Ich bin schließlich nicht bescheuert.
Ich war, um nicht bescheuert zu sein, gezwungen, B zu nehmen.
E1 = Freiheit, E2 = Zwang.
AgentProvocateur hat geschrieben:Hm, die Frage ist doch aber, was Freiheit überhaupt ist, was man darunter versteht.
Ganz allgemein verstehe ich unter Freiheit das Fehlen von etwas. Ein fleckenfreies Hemd ist frei von Flecken. Eine freie Sicht ist frei von Sichthindernissen. Eine freie Entscheidung ist frei von Zwängen. (Man kann aber natürlich auch meinen: eine freie Entscheidung ist frei von absichtsvollen Manipulationen anderer. Je nach Definition der Willensfreiheit).
Wikipedia neigt hier offenbar zufällig der Definition mit ohne Zwängen zu:
"Dieser Artikel erläutert Freiheit als politisch-philosophischen Begriff
...
Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel verstanden als die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können."
AgentProvocateur hat geschrieben:Soll "spielt sich im Hirn ab" irgend ein Argument sein? Wenn ja: inwiefern?
Mit blauen Steinen kann man kein rotes Haus bauen. Wenn unser Hirn deterministisch ist, dann sind auch alle in ihm getroffenen Entscheidungen deterministisch. Auch unsere Wünsche, Kinovorlieben und andere Emotionen. Auch unsere selbstgefassten Ziele. Alles. Jeder einzelne Stein ist blau, damit wird jede einzelne Wand blau und letztendlich auch das ganze Haus.
AgentProvocateur hat geschrieben:Und natürlich haben wir eine Wahl, wir sind nicht gezwungen, Dinge zu tun, sondern wir tun sie, weil wir uns dafür entscheiden. Und das ist doch ein wesentlicher Unterschied oder etwa nicht?
Es ist kein Unterschied, wenn man sich die Mühe macht, nicht bei der ersten Indirektions-Biegung mit der Betrachtung aufzuhören.
Wir tun Dinge, weil wir uns dafür entscheiden. Stimmt. Und wieso entscheiden wir uns für sie? Aus den Gründen A, B und C. Und woher kommen die Gründe A, B und C? Die beruhen auf den Faktoren D, E, F, G, H und I.
Ich finde, man sollte da in Ursachenketten denken. Nicht einfach bei der "Entscheidung" aufhören zu fragen und sie einfach als freien Grund für die Handlung nehmen. Die Ursachenketten können lang werden, sich irrsinnig verzweigen usw. Aber irgendwann führen sie aus unserem Hirn heraus auf externe Faktoren (weil unser Gehirn ja in einer deterministischen Welt erst entstanden ist).
Wir tun Dinge weil wir uns so entscheiden. Wir entscheiden uns so weil A. A weil D. D weil .... weil unsere Mutter so war. Eine lückenlose Kette der kausalen Abhängigkeit und des Zwangs.
AgentProvocateur hat geschrieben:Was soll eine "freie Wahl" in Deinem Sinne sein? Bitte mal beispielhaft skizzieren und dann erklären, inwiefern das mehr Freiheit gewährleisten würde als eine determinierte Entscheidung.
Eine freie Entscheidung in meinem (im kausalen Sinne) wäre, wenn ich mich unabhängig von kausalen Faktoren entschlösse. Also völlig ohne Grund. Mein dualistischer Geist würde indeterminiert einfach mal sagen: kauf A. Die Frage, wieso mein Geist das gesagt hat, wäre unbeantwortbar. Diese Entscheidung für A würde insofern mehr Freihet gewähren, als sie frei vom Diktat (vernünftiger) Gründe wäre.
Zu deinem Zitat von HDP:
"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind"
Ich würde sagen: wir verändern unser Schicksal durch unsere Entscheidungen, die wir aber nicht wirklich kontrollieren.
Wir können uns verändern.
Wir können uns entschließen, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen. Aber dieser Entschluss wäre nicht frei.
Wir sind zu einem großen Teil Sklaven unserer Emotionen.
AgentProvocateur hat geschrieben:Und zu dem Unbewussten: diesen Beitrag schreibe ich bewusst. Obgleich dabei sehr viele Vorgänge unbewusst ablaufen, d.h. ich überlege mir nicht jedesmal beim Tippen, wo jeder Buchstabe liegt. Denn dann würde ich nie damit fertig, jedoch ist das kein Beleg dafür, dass dieser Beitrag unbewusst entstanden ist.
Du räumst hier ein, dass die Überlegung, wo jeder Buchstabe liegt, bei dir unbewusst abgelaufen ist. Sonst nichts? Das Problem ist doch wohl, dass du nicht wissen kannst, was genau alles unbewusst abgelaufen ist. Wenn du es wüsstest, wäre es dir ja bewusst gewesen. Es ist also prinzipiell nicht möglich zu behaupten, man hätte etwas bewusst getan. Wenn es nämlich nicht so wäre, wüsste man es nicht. Ich erlaube mir also, stark zu bezweifeln, dass du deinen Beitrag bewusst verfasst hast. Zu Teilen ja, aber zu anderen Teilen nein.