Körper und Geist oder Körpergeist?

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » So 30. Aug 2009, 19:24

stine hat geschrieben:Wenn im Ich also Beides involviert ist, dann sind wir wieder bei der Ausgangsfrage und dann wäre das Denken keine rein materielle Angelegenheit, also eine Folge der rein körperlichen Funktionalitäten, sondern auch eine, von der Materie abgesetzte, Funktionalität?


Welche Erfahrung sollte der Anlass zu dieser Annahme sein? Wo ist ein Gedanke ohne Materie? Gedanken gibt es nur, wo materielle Menschen sind!
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon stine » So 30. Aug 2009, 19:36

Ja, ja, schon richtig - aber was wir denken ist nicht immer gut für unsere Materie. Siehe Sport!!!
Wir sollten auf unsere Ernährung achten und tun dies oft nicht, wir sollten uns mehr bewegen und sitzen doch schon wieder lieber vor dem Computer - das bedeutet, dass nicht meine Materie mein Denken steuert, denn sonst wäre mein Denken meiner Materie gegenüber viel kompromissbetreiter. Verstehst du was ich meine?
Die Funktionalität ist nicht immer konform.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » So 30. Aug 2009, 21:00

Ich denke, dass ich verstehe, was du meinst, ich schlage für diese Beobachtung eine andere Interpretation vor.

Der Körpergeist kann entgegengesetzte Ziele gleichzeitig haben. Genau so, wie man bewusste entgegengesetzte Ziele haben kann und einen Kompromiss findet, kann man auch unbewusste entgegengesetzte Ziele haben. Wenn ich etwas tue, was meinen bewussten Zielen widerspricht, beweist das nur, dass meine bewussten Ziele unbewussten Zielen untergeordnet sind, aber nicht eine Körper-Geist-Dualität. Es gibt auch keinen Anlass zu glauben, dass der Körpergeist immer nur will, was gut für ihn ist. Er will das, wovon er meint, dass es gut für ihn ist. Du sitzt vor dem PC, weil dein Körpergeist das will. Aktzeptier es, du kannst es nicht ändern, du kannst nicht wollen, was du willst! Wenn du Glück hast, ist dein Organismus so drauf, dass er sich noch eine Weile selbst erhält.

Ich finde übrigens diese Betrachtungsweise im Gegensatz zu christlichen Ethik, sehr viel menschlicher. Das "Du sollst..." kann eine echte Quälerei sein, wenn man es ja doch nicht erfüllen kann. Die Bibel sagt mal, in Jesus sei uns "ein Ja geworden", aber das stimmt nicht. Sein Tot am Kreuz ist ein symbolisches Nein. Das Symbol der Christen ist eine Hinrichtung, eine stellvertretend erlittene Strafe für "Schuld", die in nichstweiter besteht, als im Versagen gegenüber einem willkürlichen "Du sollst".

Seit es für mich nur noch das "Ich will" gibt, haben sich meine Neigungen nicht geändert, nur deren Bewertungen. Ich würde sage, dass ich in meinem Leben sehr viel mehr Frieden seitdem habe.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Pia Hut » Mo 31. Aug 2009, 16:20

Ich habe mir den Strang jetzt gerade in einem Rutsch durchgelesen und es gab da einige Punkte bei denen ich gern noch mal einhaken würde. An der Stelle zunächst Folgendes:
Julia hat am Anfang gesagt, dass sie den freien Willen für eine Illusion hält. Demgegenüber sehe ich das vermutlich eher wie ujmp. Über die Existenz eines eigenen Willens muss ich mich ja wohl vermutlich mit niemandem streiten, weil man den an sich selbst bemerken kann, dass dieser nun nicht in dem Maße frei wäre, dass er von chemischen Stoffen und physikalischen Vorgängen etc. erheblich beeinträchtigt werden könnte, ist mir auch klar. Aber wo dessen Schranken sind, wie weit der Wille sich nicht sogar darüber hinwegzusetzen vermag, kann ja wohl auch niemand genau sagen. (Mir will das immer wie eine recht unsinnige Fragestellung erscheinen.) Ich finde die Vorstellung der Wille sei so furchtbar fremdbestimmt, eher als eine Generalentschuldigung: „ich bin doch sowieso bei allem was ich tue nur Produkt meines Hirns oder meiner Genetik oder meiner Sozialisation, ich kann ja sowieso nicht anders“. Wenn sich jemand so zu sich selbst stellt, ist er mir ein wenig unheimlich, denn da muss er sich doch wohl ständig selbst misstrauen. Ich kenne einige „freie Willensdebatten“ u. a. der Hirnforschung, die mir in eine sehr ungemütliche Richtung zu tendieren scheinen. Wenn nämlich nur die Materie Ursache ist, dann muss man eben am Hirn ein wenig wegschnipseln, wenn einer nicht mehr funktioniert, anstatt auf dessen Willen und Erkenntnisfähigkeit zu setzen. Bei Michael Schmidt-Salomon entdeckte ich, dass er durch die Negation des „freien Willens“ die blöden Schuldzuweisungen gegen Menschen, die sich in beschissenen Situationen befinden endlich aufgehoben sieht. Den Ärger über diese Schuldzuweisungen teile ich durchaus. Dennoch kann ich diesen Generalzweifeln am Willen nichts abgewinnen, die Schuldzuweisungen kann man auch auf andere Weise der Blödheit überführen.
Ich habe eine Weile mal die ADHS/ADS Debatte verfolgt, da sollen sich auch im Hirn deutlich andere Strukturen nachweisen lassen als bei „Normalos“, was zum Schluss führte Fehlstellungen im Hirn sind die Ursache für diese „Krankheit“, dabei gab es gleichzeitig auch ernstzunehmende Einwände die besagten, dass diese Veränderungen im Hirn erst das Ergebnis veränderter Einstellungen und Verhaltenweisen waren, also ein Produkt von Gedanken, die sich mit der Außenwelt auseinandergesetzt haben.. Nun könnte schon das schlichte Phänomen, dass diese Krankheit eine Art Modeerscheinung geworden ist, darauf hinweisen, dass betroffene Jugendliche heutzutage offenbar häufiger als früher mit Lebenssituationen konfrontiert sind, denen ihre Biologie nicht gewachsen ist. Es gibt auf jeden Fall einige wissenschaftliche Berichte, auch aus vielen anderen Bereichen (stine hat ja schon versucht auf einige aufmerksam zu machen) die darauf hindeuten, dass es da kein schlichtes Ursache-Wirkungsverhältnis gibt, sondern Wechselwirkung (auch wenn ich den Begriff selbst nicht ganz brauchbar finde).
Aus dem Bereich der Depressionsforschung gibt es auch einige aufschlussreiche Ergebnisse. Diese Krankheit würde ich simplifizierend so beschreiben. Da gerät der innere Hormoncoctail in ein „Ungleichgewicht“, Mensch sieht sich v. a. mit Emotionen konfrontiert von denen er weiß, dass sie der Situation unangemessen sind. Auslöser können da sowohl physikalische Ursachen sein (es gibt z.B. Medikamente, auf die Mancher sehr empfindlich reagiert) als auch Gründe der Psyche. Als ein wichtiger Auslöser gilt hierbei der „negative“ im Unterschied zum „positiven“ Stress. Die interessanteste Theorie zu diesem Thema war mir die erlernte Hilflosigkeit, im Prinzip besagt sie, dass wenn ein „höherer“ Organismus mit Situationen konfrontiert wird, in denen er keine eigenen Einflussmöglichkeiten („Kontrolle“) mehr entdecken kann, sich also einer praktischen Ohnmacht ausgesetzt sieht, dies zu den entsprechenden verheerenden Auswirkungen auf den Hormonhaushalt führt (was auf jeden Fall bei Tierversuchen schon oft wiederholt wurde - ein Tier kann man ziemlich leicht in eine Depression versetzen). Beim Menschen kommt jedoch noch ein weiterer Faktor zum Tragen, wir sind offenbar qua Einbildung in der Lage Kontrollmöglichkeiten zu sehen, die wir gar nicht haben. (jede Art von Glauben bietet diesen vermeintlichen Trost, mit dem man sich dann in eine andere Zwickmühle begibt). Und ärgerlicherweise scheinen mir gerade Leute, die weniger dazu neigen sich selbst etwas in die eigene Tasche zu lügen auch anfälliger für Depressionen zu sein. Die einzig brauchbare Hilfe, die ich in der Praxis kennengelernt habe, ist es da zunächst nach Sphären zu suchen in denen man definitive Kontrollen hat, da können Biofeedbackmethoden nutzen, neue „ungewohnte“ Lebenssituationen, die einem ermöglichen ein erweitertes Verhaltensrepertoire zu entwickeln. Der Körpergeist benötigt offenbar die praktische Erfahrung der Selbstwirksamkeit, um wieder ins Gleichgewicht zu finden. (Oft werden auch mit Medikamenten die Hormone angeschubst, leider wirken viele auf individuelle Menschen genau umgekehrt.)……….
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Mo 31. Aug 2009, 18:56

Pia Hut hat geschrieben: Ich finde die Vorstellung der Wille sei so furchtbar fremdbestimmt, eher als eine Generalentschuldigung: „ich bin doch sowieso bei allem was ich tue nur Produkt meines Hirns oder meiner Genetik oder meiner Sozialisation, ich kann ja sowieso nicht anders“.

Ich entschuldige damit eher das Verhalten anderer Leute. ;)
Um mal Einstein zu zitieren:
Ich glaube nicht an die Freiheit des Willens. Schopenhauers Wort: »Der Mensch kann wohl tun was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.« begleitet mich in allen Lebenslagen und versöhnt mich mit den Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht schmerzlich sind. Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.
(Albert Einstein in Mein Glaubensbekenntnis (August 1932))

Pia Hut hat geschrieben:Wenn sich jemand so zu sich selbst stellt, ist er mir ein wenig unheimlich, denn da muss er sich doch wohl ständig selbst misstrauen.

Die Illusion des freien Willens, sofern sie denn eine ist, hört ja nicht auf zu sein, nur weil man sie erkennt.
Hirnforschung hin oder her, mir ist das Konzept des freien Willens an sich schon irgendwie fremd. Ich habe schon viel gewollt, ich kann mich aber nicht erinnern mich jemals entschieden zu haben, etwas bestimmtes zu wollen, ich habe nur das Wollen zur Kenntnis genommen.

lg Julia
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon stine » Di 1. Sep 2009, 11:19

Pia Julia hat geschrieben: Ich habe schon viel gewollt, ich kann mich aber nicht erinnern mich jemals entschieden zu haben, etwas bestimmtes zu wollen, ich habe nur das Wollen zur Kenntnis genommen.
Das wäre dann vielleicht auch die Erklärung für die vielen misslungenen Versuche, die Vorsätze fürs neue Jahr einzuhalten!

Aber im Ernst, so einfach, glaube ich, ist das nicht. Unser Wille könnte schon siegen, tut er das doch auch bei einigen. Die Lethargie die manche hemmt, das zu tun, was sie aufgrund ihres Willens auch tun möchten, geht oft mit einem ärztlichen Befund (ua Depression) einher. Wenn die körperlichen Gegebenheiten im Lot sind, dann müsste das mit dem Willen auch klappen. Ich glaube, dass die geistige Motivation sogar ein ganz wichtiger Punkt ist, wenn es darum geht, Menschen zu "bewegen".

Pia Hut hat geschrieben:Nun könnte schon das schlichte Phänomen, dass diese Krankheit eine Art Modeerscheinung geworden ist, darauf hinweisen, dass betroffene Jugendliche (ADHS/ADS) heutzutage offenbar häufiger als früher mit Lebenssituationen konfrontiert sind, denen ihre Biologie nicht gewachsen ist.
Was widerrum darauf hindeuten würde, dass geistige Einflüsse eine größere Rolle spielen, als wir denken. Bei der sogenannten "Zappelphillipp-Krankheit" ist es vielleicht kein Zufall, dass Jungen öfter betroffen sind als Mädchen, läge in ihrer Bestimmung vielleicht doch ein anderes, als das Stillsitzen.

Wir müssen uns vielleicht von der Theorie verabschieden, dass nur die geistige Bildung unsere Menschheit nach vorne bringt und dass jegliche Art der körperlichen Arbeit dem Menschen Schaden zufügt. Die Erleichterungen, die uns die moderne Technik beschert hat sind zugleich Erschwernisse bezüglich des menschlichen Bedürfnisses nach dem Tun. Eine ganze Generation von Schreibtischtätern quält sich am Wochenende mit dem Fahrrad auf Bergstrecken ab, was sie, wenn es denn ihre Arbeit wäre, sofort über den Betriebsrat verklagen und vereinfachen würden. Das heisst, der Mensch tut freiwillig, was er unfreiwillig nicht zu tun willens wäre.

Bei der gesamten Entwicklung der modernen, zivilisierten Welt arbeitet der geistige Wille gegen den Körper. (Sag ich jetzt mal einfach so salopp). Viele schaffen sich mehr und mehr eine geistige Welt, eine Welt, die den Körper fast gänzlich ausklammert. Sie tummeln sich in virtuellen Welten und beschränken den Gebrauch des Körpers auf Nahrungsaufnahme und Fingernutzung, bedauern aber gleichzeitig Querschnittsgelähmte, weil diese nicht mehr tun können, was sie selbst gar nicht mehr tun wollen, nämlich im realen Leben den Körper voll einsetzen. Eine ganze Generation vergeistigt vor dem Computer - wenn das nicht ein Beweis für den Sieg des Geistes über den Körper ist - dann weiß ich auch nicht.

LG stine




LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Di 1. Sep 2009, 16:57

stine hat geschrieben:Unser Wille könnte schon siegen, tut er das doch auch bei einigen.

Ich glaube es ist hilfreich, wenn man wie Schopenhauer zwischen dem Willen und sogenannten Willensregungen unterscheidet (wenn ich mich richtig erinnere). Wenn du mehrere Optionen hast (Handlungsfreiheit), gibt es zu jeder eine Willensregung, bestimmte Motive, diese Option zu ergreifen. "Der Wille" ist dann einfach die stärkste Willensregung.
Es kann also eine Willensregung über die andere siegen, aber nicht der Wille gegen die Determiniertheit, denn welche Willensregung die stärkste ist, das ist determiniert.
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » Di 1. Sep 2009, 17:54

Man kann auf den Begriff "Determiniertheit" auch verzichten und von Neigungen sprechen. Wenn man ein Münze wirft, weiß niemand ob sie auf Wappen oder auf Zahl fällt, es ist Zufall, aber eins ist kein Zufall: sie wird auf einer von beiden Seiten liegen und ziemlich unwahrscheinlich auf der Kante stehen bleiben. Das liegt an den materiellen Eigenschaften er Münze (Form, Masse) und der Umgebung (Gravitation, ebene Fäche(sähe auf Sand geworfen schon anders aus)). Genau so wird es wohl mit dem Willen sein. Er ist Ausdruck von bestimmten, materiell bedingeten Neigungen, in eine bestimmte Richtung zu tendieren, naürlich unendlich viel Komplexer als ein Münze. Wenn sie sich die Waage halten, nennen wir das Konflikt, je stärker der Konflikt ist, desto zufälliger die Entscheidung.

Wenn es so ist (wovon ich überzeugt bin) brauchen wir uns keine Sorgen machen, dass die Menschen ohne Religion verwahrlosen. Sie wollen Kultur und Religion ist nur die zufällige Form, mit der sie diesen Willen kommunizieren. Man kann Religion deshalb nicht einfach ersatzlos streichen. Der Mensch neigt glücklicherweise stark zur Kooperation und auch zu einer gewissen Selbslosigkeit. Man darf ihn nur nicht Umständen aussetzen, wo diese Neigungen mit anderen Neigungen in Konflikt geraten oder ausgeschaltet werden - eine Münze in der Schwerelosigkeit hat keine Neigung, auf irgend eine Seite zu fallen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Di 1. Sep 2009, 18:02

Was mir in dem Zusammenhang immer noch Rätsel aufgibt ist, wenn Leute die Willensfreiheit mit der Quantenmechanik begründen wollen. Denn wenn ich Determiniertheit durch Zufall ersetze, bekomme ich noch keine Freiheit, sondern eben Zufall, ich glaube da ist mir die Determiniertheit sogar lieber. ;)
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon smalonius » Di 1. Sep 2009, 18:13

ujmp hat geschrieben:Man kann auf den Begriff "Determiniertheit" auch verzichten und von Neigungen sprechen. Wenn man ein Münze wirft, weiß niemand ob sie auf Wappen oder auf Zahl fällt, es ist Zufall, aber eins ist kein Zufall: sie wird auf einer von beiden Seiten liegen und ziemlich unwahrscheinlich auf der Kante stehen bleiben. Das liegt an den materiellen Eigenschaften er Münze (Form, Masse) und der Umgebung (Gravitation, ebene Fäche(sähe auf Sand geworfen schon anders aus)).

Nur leider ist ein Münzwurf nicht wirklich zufällig. Die dahinterstehenden Gesetze sind genauso deterministisch wie bei einem Billiardspiel. Wer würde behaupten wollen, ein guter Billiardspieler würde nur aus Zufall die Kugeln treffen und versenken?

Ein Münzwurf ist chaotisch, aber er ist immer noch determiniert.

Genau so wird es wohl mit dem Willen sein.

Ja, chaotisch, aber determiniert.
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » Di 1. Sep 2009, 19:15

Julia hat geschrieben:Was mir in dem Zusammenhang immer noch Rätsel aufgibt ist, wenn Leute die Willensfreiheit mit der Quantenmechanik begründen wollen. Denn wenn ich Determiniertheit durch Zufall ersetze, bekomme ich noch keine Freiheit, sondern eben Zufall, ich glaube da ist mir die Determiniertheit sogar lieber. ;)

smalonius hat geschrieben:Nur leider ist ein Münzwurf nicht wirklich zufällig. Die dahinterstehenden Gesetze sind genauso deterministisch wie bei einem Billiardspiel. Wer würde behaupten wollen, ein guter Billiardspieler würde nur aus Zufall die Kugeln treffen und versenken?



Ich geb zu, dass ich da Sir Karl noch nicht so richtig verstanden habe. Ich kann mir aber unter seinen Propensitäten so etwas vorstellen, wie Schopenhauers Wille. Auf jedenfall ist es nicht Zufall. Es ist gerade der Witz, dass sich das Universum statistisch vorhersehbar verhält. Dass ein Würfel im Mittel alle Zahlen gleich oft zeigt, ist ja offensichtlich nicht Zufall im eigentlichen Sinne des Wortes, es ist eben seine Neigung, oder besser gesagt, die Neigung der Umstände.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Pia Hut » Mi 2. Sep 2009, 14:21

„Die Worte liegen uns im Wege! — Überall, wo die Uralten ein Wort hinstellten, da glaubten sie eine Entdeckung gemacht zu haben. Wie anders stand es in Wahrheit! — sie hatten an ein Problem gerührt und indem sie wähnten, es gelöst zu haben, hatten sie ein Hemmnis der Lösung geschaffen. — Jetzt muss man bei jeder Erkenntnis über steinharte verewigte Worte stolpern, und wird dabei eher ein Bein brechen, als ein Wort.“ (aus Nietzsche, Morgenröte http://www.textlog.de/nietzsche-morgen.html )

Will sagen, habe manchmal ein echtes Problem mit den Begrifflichkeiten. In diesem Fall ist es der des „Determinismus“, wo man ihn gebraucht, bleibt das praktisch nicht ganz folgenlos.

Damit assoziiere ich (macht das jemand anders?) unveränderlich, festgelegt. An den Stellen wo man gar nicht weiß, worin diese Determiniertheit eigentlich inhaltlich genau bestehen soll, finde ich es ausgesprochen heikel ihn zu benutzen, weil er eine gedankliche Offenheit für andere Ansätze zu untergraben scheint. Deterministen kenne ich in der Regel auch als ausgesprochene „Realisten“. Weiß nicht ob das Beispiel jetzt wirklich tauglich ist. In einigen Workshops habe ich schon sehr kreative Menschen ihre Gedanken zu entwickeln versuchen sehen und sofort stehen Realisten auf und wüten „nicht machbar“ „unrealistisch“. Die Forderung seine Überlegungen sofort an Vorhandenem zu relativieren, scheint mir aber zu einer ziemlichen Anpasslerei zu führen.

Den Determinismusbegriff einfach aus der Naturwissenschaft/Quantenmechanik zu übernehmen, halte ich auch nicht für sehr brauchbar. Jede Wissenschaft entwickelt auch ein eigenes spezielles Instrumentarium mit speziellen Begrifflichkeiten und wenn man von „freiem Willen“ spricht, muss man sich auch vergegenwärtigen, dass in diesem Fall das Subjekt der Forschung auf einmal gleichzeitig das Objekt derselben ist. In der Philosophie hat man dieses Problem auch mit Begrifflichkeiten wie Münchhausen-Trilemma ausgiebig diskutiert. Will ich eigentlich nicht mehr selbst aufgreifen, weil so wie ich das bislang kenne, dies meist in einem Totalzirkel mündet und einem Grundsatzzweifel an den Möglichkeiten des Denkens überhaupt. Mir reicht es als schlichte praktische Möglichkeit, um sich selbst etwas aus der subjektiven Befangenheit zu befreien, möglichst viele andere Perspektiven mit einzubeziehen und sicher auch naturwissenschaftliche, aber manchmal passen sie einfach nicht.

Das Verhältnis von „Zufälligkeit und Notwendigkeit“ (auch Determinismus) hat für mich Engels an einer Stelle mal ganz gut zusammengefasst, wen es interessiert hier: http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_481.htm
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Pia Hut » Mi 2. Sep 2009, 15:22

zu Julia noch und dem Einstein-Zitat: andere Leute nicht ernst zu nehmen, finde ich eher weniger tröstlich. Willst du denn, dass man dir so begegnet? „Die kann ja nicht anders denken, die ist halt so und so aufgewachsen“. Man kann doch gar nicht wissen, was ein anderer Intellekt alles zu Wege bringt, wenn man schon von Anfang an lauter Entschuldigungen hat, warum er nicht anders könnte. (Das Kernthema der übertrieben Toleranz wurde ja schon an einigen andere Stellen im Forum gestreift.) Wo kann denn da die Entschuldigung Halt machen? Wenn einer seine Schwester totschlägt, weil in seinem Kulturkreis die Ehre mehr wert ist als das Leben. So etwas würde ich z.B. nicht erst nach dem Totschlag ausdiskutieren wollen, wenn ich jemandem mit dieser Position über den Weg laufe. Das man dabei Gefühle verletzt ist mir zwar klar, aber da ich Gefühle letztendlich für das Ergebnis von Urteilen halte, auch von falschen, muss man das wohl in Kauf nehmen.
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » Mi 2. Sep 2009, 16:48

Determiniertheit heißt m.E. Bedingtheit, also Kausalität. Man kann aber die Welt auch ohne den Begriff der Kausalität erklären, eben mit Propensitäten. Eine Versuchsanordnung "Münzwurf auf ebener Erdoberfläche" hat die Neigung P=0,5 eine Zahl zu zeigen. Eine Versuchsanordnung "Wasser erhitzt auf 100°C" hat die Neigung P=1, dass Wasserdampf entsteht.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Mi 2. Sep 2009, 20:57

@ Pia Hut:
Im Grunde bezieht sich das Versöhnen mit den Handlungen anderer Menschen nur auf bereits Geschehenes, das nunmal nicht mehr verhinderbar oder rückgängig machbar ist. Das hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun, sondern eher mit dem Versuch nicht an der Welt zu zerbrechen.
Des weiteren heißt Determiniertheit nicht, dass ich auf Handlungen anderer Menschen nicht einwirken kann. Denn ich kann Anreize schaffen, die bestimmte Optionen attraktiver werden lassen (ob ich das tue ist natürlich auch determiniert). Ich bin ja zum Beispiel ein missionarischer Vegetarier (mittlerweile sogar Veganer) und hinterhältig wie ich bin, erzähle ich männlichen Langzeitsingles gerne, dass "männlicher Vegetarier" eine Marktlücke ist. ;)
Ich fürchte allerdings, dass ich mir noch bessere Strategien zulegen muss, bisher hat das nicht wirklich überzeugt. :(
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Do 3. Sep 2009, 14:45

Gestern hatte ich etwas wenig Zeit, also mache ich jetzt weiter...
Beeinflussung definiere ich jetzt einfach so, dass das Verhalten einer anderen Person anders wäre, wenn es die beeinflussende Person nicht gäbe. Frei ist diese Person in ihrem Willen aber auch nicht, aber das heißt nicht, dass sie nichts bewirkt.

Pia Hut hat geschrieben:Damit assoziiere ich (macht das jemand anders?) unveränderlich, festgelegt. An den Stellen wo man gar nicht weiß, worin diese Determiniertheit eigentlich inhaltlich genau bestehen soll, finde ich es ausgesprochen heikel ihn zu benutzen, weil er eine gedankliche Offenheit für andere Ansätze zu untergraben scheint.

Ich denke man kann und sollte die Frage nach der Determiniertheit trennen von der Frage nach den Determinanten.
Ein freier Wille, frei im Sinne von "hat keine Ursache", ist ein zufälliger Wille und das wiederum ist nicht das was man landläufig unter einem freien Willen versteht, ein freier Wille ist ein Unding.

Pia Hut hat geschrieben:Den Determinismusbegriff einfach aus der Naturwissenschaft/Quantenmechanik zu übernehmen, halte ich auch nicht für sehr brauchbar.

Ist das denn geschehen?

Pia Hut hat geschrieben:Mir reicht es als schlichte praktische Möglichkeit, um sich selbst etwas aus der subjektiven Befangenheit zu befreien, möglichst viele andere Perspektiven mit einzubeziehen und sicher auch naturwissenschaftliche, aber manchmal passen sie einfach nicht.

Es ist eher die philosophische Perspektive, die mich zu meiner Überzeugung gebracht hat.

lg Julia
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Klaus » Do 3. Sep 2009, 14:58

@ujmp, die Stochastik erklärt und berechnet diese "Vorfälle" aber besser. *grins* Und sie spielt in der Quantenmechanik eine bedeutende Rolle.
Benutzeravatar
Klaus
 
Beiträge: 4704
Registriert: Mo 11. Sep 2006, 21:43
Wohnort: get off the Net, I´ll meet you in the Streets

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon ujmp » Do 3. Sep 2009, 18:23

Julia hat geschrieben:Ein freier Wille, frei im Sinne von "hat keine Ursache", ist ein zufälliger Wille und das wiederum ist nicht das was man landläufig unter einem freien Willen versteht, ein freier Wille ist ein Unding.


Ein freier Wille mag ein Unding sein, wenn es das, was du unter Ursache verstehst wirklich gibt. Kausalität ist aber zunächst mal nur eine Vorstellung, nach der wir die Welt zu ordnen versuchen. Wie gesagt, man kann Kausalität nicht nachweisen und man kann die Welt auch ohne sie erklären.

Der andere Punkt ist, dass niemand sagen kann, was Wille eigentlich ist (so wenig wie Intelligenz, Persönlichkeit, Ich), also kann man auch nichts über seine Freiheit aussagen.

Analytisch betrachtet ist ein unfreier Wille ein Unding, denn wenn ich nicht frei bin, dann muss ich.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon Julia » Do 3. Sep 2009, 18:37

Mir ist nicht ganz klar was es bringt von einer Neigung zu sprechen, da scheint mir jetzt das Nietzsche Zitat von Pia passend. Oder bringt das neue Erkenntnisse?
Benutzeravatar
Julia
 
Beiträge: 860
Registriert: Di 24. Feb 2009, 10:57

Re: Körper und Geist oder Körpergeist?

Beitragvon smalonius » Do 3. Sep 2009, 21:05

Pia Hut hat geschrieben:„Die Worte liegen uns im Wege! — Überall, wo die Uralten ein Wort hinstellten, da glaubten sie eine Entdeckung gemacht zu haben. Wie anders stand es in Wahrheit! — sie hatten an ein Problem gerührt und indem sie wähnten, es gelöst zu haben, hatten sie ein Hemmnis der Lösung geschaffen. — Jetzt muss man bei jeder Erkenntnis über steinharte verewigte Worte stolpern, und wird dabei eher ein Bein brechen, als ein Wort.“ (aus Nietzsche, Morgenröte http://www.textlog.de/nietzsche-morgen.html )

Wie wahr! Jetzt krieg ich doch nach was zu lesen von Nietzsche, das mir gefällt. :pfeif:

Julia hat geschrieben:Ich bin ja zum Beispiel ein missionarischer Vegetarier (mittlerweile sogar Veganer)

Sag halt sowas nicht. Sonst mach ich noch einen Thread auf, über George Osawa und seine Makrobiotik. Der Kerl war völlig durchgeknallt. Aber er hatte gute Kochrezepte. Bild

Julia hat geschrieben:Ein freier Wille, frei im Sinne von "hat keine Ursache", ist ein zufälliger Wille und das wiederum ist nicht das was man landläufig unter einem freien Willen versteht, ein freier Wille ist ein Unding.

Allerdings.

Man stelle sich folgende Alternativen vor.

Du hast in einer Ferhnsehshow gewonnen. Als Preis kannst du wählen:

- 10 €
- 100 €
- 87 $

Was wählst du?


Und damit das nicht zu materialistisch rüberkommt:
Eine Fee hat dich auserkoren und du hast einen dieser Wünsche frei:

- Riesen-Flachbildschirmfernseher
- Superstereoanlage
- 1 Woche Mallorca
- 2500 € in bar
- 1 Ladung boat-people vor'm Ertrinken zu retten


Hat man wirklich eine Wahl? Ich denke nicht. Man versucht, das Beste zu machen - was immer man auch meint, was am Besten ist. (Dabei kann man durchaus daneben liegen.)

ujmp hat geschrieben:Wie gesagt, man kann Kausalität nicht nachweisen und man kann die Welt auch ohne sie erklären.

Kennst du eigentlich mein Hammer-Argument schon?

Wenn ich mir mit dem Hammer auf den Daumen klopfe, dann wird es fürchterlich weh tun. Das reicht mir, um eine gewisse Kausalität anzunehmen.
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste