Wissen und Glaube

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 24. Mai 2009, 16:32

quark hat geschrieben:Philosophie bedeutet weder "Standarddefinitionen" zitieren, noch Messgeräte ablesen. Philosophie bedeutet denken.


Philosophischen Definitionen gehen in der Regel philosophische Reflexionen voraus!
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 24. Mai 2009, 16:40

platon hat geschrieben:Wobei Du zu erwähnen vergessen hast, dass Definitionen in der Philosophie nichts anderes als Meinungen eines oder mehrerer mehr oder weniger klugen Kopfes sind und genauso viele oder sogar mehr mehr oder weniger kluge Köpfe etwas völlig anderes definieren.


Ein schier unaufhebbarer Meinungspluralismus herrscht nicht nur in der Philosophie, sondern in der Gesellschaft allgemein.
Das bedeutet aber nicht, dass grundsätzlich gilt: ein Kopf, eine Meinung—d.h. dass es überhaupt keine geteilten oder sogar mehrheitlich geteilten Meinungen gibt.

platon hat geschrieben:Sie sind - wie in der Philosophie üblich - nicht eindeutig verifizierbar oder falsifizierbar.


Definitionen sind keine Hypothesen.
Es gibt übrigens unterschiedliche Typen von Definitionen: http://plato.stanford.edu/entries/definitions
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 24. Mai 2009, 16:49

Sabrist hat geschrieben:Übrigens: das Weltbild der Brights basiert auf Naturwissenschaft, nur mal eben daran erinnert...


"Naturwissenschaftlich orientiert" bedeutet nicht per se "antiphilosophisch gesinnt".
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon platon » So 24. Mai 2009, 20:43

Myron hat geschrieben:Das bedeutet aber nicht, dass grundsätzlich gilt: ein Kopf, eine Meinung—d.h. dass es überhaupt keine geteilten oder sogar mehrheitlich geteilten Meinungen gibt.

Muss nicht, richtig!, aber kann schon! Und das ist der springende Punkt. Die philosophische Diskussion ist entweder da zu Ende, wo sich die Kontrahenten ihre gegenseitigen Meinungen um die Ohren geschlagen haben oder sie tritt in die Endlosschleife ein. Wie spannend und zielführend - vorausgesetzt man braucht kein Ergebnis außer dem, dass es keines gibt. Es wäre hilfreich, wenn die Philosophen in diesem Forum dem ungebildeten Rest den Sinn von Definitionen (= Abgrenzungen, d.h. eindeutige Bestimmung eines Begriffes) erklären könnten, die sich jeder X-beliebige nach eigenem Gusto zusammenschustern darf. Ich weiß, es ist erlaubt, Rot als Blau und Plus als Minus zu definieren, aber wem hilft das?
Benutzeravatar
platon
 
Beiträge: 1634
Registriert: Fr 10. Apr 2009, 21:49

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » So 24. Mai 2009, 21:45

platon hat geschrieben:Muss nicht, richtig!, aber kann schon! Und das ist der springende Punkt. Die philosophische Diskussion ist entweder da zu Ende, wo sich die Kontrahenten ihre gegenseitigen Meinungen um die Ohren geschlagen haben oder sie tritt in die Endlosschleife ein.


In der Philosophie wird sicherlich immer ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Meinungspluralismus herrschen. Ob dieser Umstand per se negativ ist, ist eine offene Frage. Deswegen verliere ich jedenfalls nicht das Interesse an der Philosophie.
(Die Naturwissenschaftler sind übrigens auch nicht alle einer Meinung.)

platon hat geschrieben:Wie spannend und zielführend - vorausgesetzt man braucht kein Ergebnis außer dem, dass es keines gibt.


Wer behauptet, dass die Philosophie grundsätzlich auf der Stelle trete, der ist mit ihrer geschichtlichen Entwicklung, insbesondere im 20. Jahrhundert, nicht vertraut.

platon hat geschrieben:Es wäre hilfreich, wenn die Philosophen in diesem Forum dem ungebildeten Rest den Sinn von Definitionen (= Abgrenzungen, d.h. eindeutige Bestimmung eines Begriffes) erklären könnten, die sich jeder X-beliebige nach eigenem Gusto zusammenschustern darf. Ich weiß, es ist erlaubt, Rot als Blau und Plus als Minus zu definieren, aber wem hilft das?


Wie gesagt, es gibt unterschiedliche Definitionsarten. Du hast offensichtlich nur die sogenannten stipulativen Definitionen im Sinn, bei denen einem neu geschaffenen oder bereits vorhandenen Wort willkürlich (aber natürlich nicht gedankenlos) eine Bedeutung gegeben wird, die (im letzteren Fall) vom allgemeinen Sprachgebrauch unabhängig ist.
Aber selbst solchen Definitionen gehen theoretische Überlegungen voraus. Die Philosophen denken sich durchaus etwas dabei, wenn sie einen Ausdruck so oder so definieren.
Außerdem lassen sich Definitionen nach Kriterien wie Zweckmäßigkeit, Fruchtbarkeit und (im Falle nicht rein stipulativer D.en) Angemessenheit (im Vergleich mit dem allgemein üblichen Sprachgebrauch) bewerten, wenn auch nicht nach dem Kriterium Wahrheit.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon El Schwalmo » So 24. Mai 2009, 21:57

Myron hat geschrieben:
Sabrist hat geschrieben:Übrigens: das Weltbild der Brights basiert auf Naturwissenschaft, nur mal eben daran erinnert...

"Naturwissenschaftlich orientiert" bedeutet nicht per se "antiphilosophisch gesinnt".

stimmt.

Nur ein Beispiel: in der Evolutionsbiologie geht es ab und an drunter und drüber. Dann ruft man Philosophen zu Hilfe:

Gayon, J. (1990) 'Critics and criticism of the modern Synthesis. The viewpoint of a philosopher' Evolutionary Biology 24:1-50


Oft sind es gerade die Naturwissenschaftler, die ganz kleine Rädchen drehen und dann vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen, oder auch sich in Begriffen verheddern, die sie nie genau definiert haben. Ausgebildete Philosophen sind in diesem Fall äußerst nützlich, auch wenn sie sich nicht gerade beliebt machen.
Benutzeravatar
El Schwalmo
 
Beiträge: 1938
Registriert: Do 12. Jul 2007, 16:33

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon platon » So 24. Mai 2009, 22:07

Myron hat geschrieben: (Die Naturwissenschaftler sind übrigens auch nicht alle einer Meinung.)

Richtig, aber wir sind auf Grund der Nachprüfbarkeit und Verifikationsmöglichkeit früher oder später in der Lage, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden. Philosophen können das nicht, denn bei ihnen gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern nur selbst gebastelte Meinungen, die losgelöst im Raume schweben, oder wie der gebildete Filosof sagt: divergierende Definitionen. Wie unglaublich spannend...
Benutzeravatar
platon
 
Beiträge: 1634
Registriert: Fr 10. Apr 2009, 21:49

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon platon » So 24. Mai 2009, 22:13

Myron hat geschrieben:Wer behauptet, dass die Philosophie grundsätzlich auf der Stelle trete, der ist mit ihrer geschichtlichen Entwicklung, insbesondere im 20. Jahrhundert, nicht vertraut.

Ich bitte Dich, nur weil ich nicht auf der Stelle trete, heißt das doch nicht, dass ich vorankomme. Oder ist das eine philosophische Definition?
Wie definiert sich überhaupt philosophischer Fortschritt, wenn es kein Richtig und Falsch gibt, wenn jede Antwort auf eine Frage richtig ist, weil es keine Kriterien gibt, an Hand derer man Antworten falsifizieren könnte?
Benutzeravatar
platon
 
Beiträge: 1634
Registriert: Fr 10. Apr 2009, 21:49

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon quark » So 24. Mai 2009, 23:30

Myron hat geschrieben:Philosophischen Definitionen gehen in der Regel philosophische Reflexionen voraus!


Du meinst "Standardreflexionen"?
Die Entwicklung ergibt sich aus dem immerwährenden Infrage stellen der Standarddefinitionen.
Benutzeravatar
quark
 
Beiträge: 78
Registriert: Sa 21. Mär 2009, 22:59

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 25. Mai 2009, 01:24

platon hat geschrieben:Wie definiert sich überhaupt philosophischer Fortschritt, wenn es kein Richtig und Falsch gibt, wenn jede Antwort auf eine Frage richtig ist, weil es keine Kriterien gibt, an Hand derer man Antworten falsifizieren könnte?


Philosophische Thesen und Theorien sind genauso entweder wahr oder falsch wie wissenschaftliche Thesen und Theorien, mit dem Unterschied, dass bei ersteren nicht oder zumindest nicht allein anhand empirischer Daten festgestellt werden kann, ob sie wahr sind oder nicht. Es gibt aber auch andere Bewertungskriterien: die Regeln logisch-rationaler Argumentation sowie theoriebezogene Kriterien wie Kohärenz, Ökonomie (Sparsamkeit), Plausibilität, Einfachheit, Reichweite, Erklärungskraft (Schluss auf die beste Erklärung). Es ist also keineswegs so, dass in der "Nacht" der Philosophie alle Katzen gleich grau sind.
Doch auch damit lassen sich freilich nicht alle philosophischen Meinungsverschiedenheiten endgültig aus der Welt schaffen. In der Philosophie spielen subjektive Momente zweifellos eine größere Rolle als in der Naturwissenschaft. Wer mit einem Meinungspluralismus nicht leben will, der sollte sich von der Philosophie besser fernhalten. Was man ihr zugute halten kann, ist der Umstand, dass ja auch in den Wissenschaften und der Gesellschaft allgemein viele unterschiedliche Meinungen miteinander konkurrieren.
Wer allerdings der positivistisch-szientistischen Meinung ist, dass alle Angelegenheiten, die sich nicht mit empirischen Mitteln entscheiden lassen, "metaphysischer Nonsens" seien, der sollte wirklich die Finger von der Philosophie lassen.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon smalonius » Mo 25. Mai 2009, 15:51

Myron hat geschrieben:Das ist aber keine Tautologie.

OK, nach folgendem Beispiel verstehe ich das auch und stimme zu. :up:
Myron hat geschrieben:Zitat David Lewis: Ein Etwas E existiert und es ist so, dass es notwendigerweise der Fall ist, dass wenn E existiert, A wahr ist. (Oder es existieren vielleicht mehrere Dinge, von denen jedes ausgereicht hätte, um A wahr zu machen. Jede einzelne Katze—zumindest wenn sie wesensmäßig eine Katze ist—ist ein Wahrmacher der Aussage, dass etwas eine Katze ist.)"
Benutzeravatar
smalonius
 
Beiträge: 623
Registriert: Sa 11. Apr 2009, 18:36

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 25. Mai 2009, 16:50

(W) <A> ist wahr <—> A

Das ist, wie gesagt, keine bloße Tautologie, und zwar selbst dann nicht, wenn man (W) als

(W*) Es ist wahr, dass A. <—> Es ist der Fall, dass A.

liest.
Obwohl die linke und die rechte Seite alltagssprachlich als bedeutungsgleich gelten können, findet beim Übergang von der linken zur rechten und umgekehrt ein Wechsel der logisch-ontologischen Ebene statt: Links wird einer Aussage (metasprachlich) die Eigenschaft des Wahrseins, der Wahrheit zugesprochen und rechts (objektsprachlich) einem Sachverhalt die Eigenschaft des Wirklichseins, der Tatsächlichkeit.
Die Wahrmacher-Theorie trägt der Einsicht Rechnung, dass die ontologische Priorität den Tatsachen und nicht den wahren Aussagen zukommt. Das heißt, es verhält sich nicht so, dass ein wirklicher Sachverhalt von der entsprechenden wahren Aussage wirklich gemacht wird, sondern so, dass eine wahre Aussage von dem entsprechenden wirklichen Sachverhalt wahr gemacht wird.
Anders gesagt, die wahren Aussagen sind von den Tatsachen abhängig, während die Tatsachen von den wahren Aussagen unabhängig sind. Wahre Aussagen gibt es nur dann, wenn es entsprechende Tatsachen gibt; aber Tatsachen gäbe es auch dann, wenn es überhaupt keine Aussagen und damit auch keine wahren Aussagen gäbe. Vor 10 Mrd. Jahren war das Universum sicher noch frei von Aussagen (und Repräsentationen allgemein), aber keineswegs frei von Tatsachen. Das Wahrsein hängt vom Sein ab, nicht umgekehrt.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Mo 25. Mai 2009, 17:38

Anmerkung: Wenn ich von Tatsachen als Wahrmachern spreche, dann betrachte ich diese nicht als ontologisch fundamental.
Tatsachen ergeben sich in meinen Augen von selbst aus dem Dasein von Gegenständen mit Eigenschaften und von zueinander in Beziehungen stehenden Gegenständen. Ein Beispiel:
Die die Aussage "Heidi Klum ist schön" wahr machende Tatsache, dass Heidi Klum schön ist, ergibt sich von selbst aus dem Dasein Heidi Klums und ihrer Schönheit, wobei ich unter Heidi Klums Schönheit eine nicht übertragbare individuelle Eigenschaft (engl. "trope") verstehe, die von niemand anderem besessen werden kann als von Heidi Klum.
Die fundamentalen Wahrmacher von "Heidi Klum ist schön" sind also die folgenden zwei Entitäten: Heidi Klum + Heidi Klums Schönheit. Somit gilt:
Die Aussage "Heidi Klum ist schön" ist genau dann wahr, wenn Heidi Klum und ihre Schönheit existieren.
(Wenn Heidi Klum hässlich wäre, dann würde nicht Heidi Klums Schönheit, sondern Heidi Klums Hässlichkeit existieren, und damit wäre "Heidi Klum ist schön" falsch.)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Di 26. Mai 2009, 17:45

Myron, da Du selbst das Beispiel gewählt hast: Worüber müssen wir uns einigen, um die Aussage "Heidi Klum ist schön." als wahr zu akzeptieren?

Wir müssen wissen, dass eine Entität existiert, die mit der Bezeichnung 'Heidi Klum' eindeutig identifiziert ist. Woher wissen wir das? Woher wissen wir, dass unsere Informationsquellen zuverlässig sind und ihrerseits wahre Aussagen verbreiten? Woher wissen wir, dass Fotos reale Objekte und ihre Eigenschaften 'naturgetreu' abbilden? Was verstehen wir unter dem Prädikat 'schön'? Woraus sollen wir hierfür Kriterien ableiten, ohne in einen Zirkel zu geraten der Art: "Schön ist, was aussieht wie ..." (Unnötig zu sagen, dass Du jetzt auch Heidi Klum in den Platzhalter setzen könntest und damit wieder nur wahr machst, was bereits in Deinen Prämissen steckt.)

Du hast die Wahrmacher-Position des Realisten sehr klar umrissen und mit dem Satz "Das Wahrsein hängt vom Sein ab, nicht umgekehrt." auf den Punkt gebracht.

Die Frage bleibt aber, wie hilfreich diese Position in der Auseinandersetzung um Wissen vs. Glauben ist. Da wir trotz aller Wahrmacher für kein synthetisches Urteil absolute Gewissheit bekommen, finde ich die Vokabel 'Wahrmacher' irreführend, denn sie verschleiert, dass wir bei keinem Wahrheitsfeststellungsversuch am Diskurs vorbei kommen. Was wiederum zur Folge hat, dass wir den Unterschied zwischen Wissen und Glauben nicht unabhängig von den Diskursregeln verteidigen können.

Und genau deshalb befürworte ich El Schwalmos Ansatz: Was unser Wissen gegenüber dem Glauben auszeichnet, ist seine aktuell diskursiv einlösbare Geltung. 'Wahrmacher' kann auch jeder Gläubige postulieren, noch und nöcher!
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon Myron » Di 26. Mai 2009, 18:23

ostfriese hat geschrieben:Was verstehen wir unter dem Prädikat 'schön'? Woraus sollen wir hierfür Kriterien ableiten, ohne in einen Zirkel zu geraten der Art: "Schön ist, was aussieht wie ..." (Unnötig zu sagen, dass Du jetzt auch Heidi Klum in den Platzhalter setzen könntest und damit wieder nur wahr machst, was bereits in Deinen Prämissen steckt.)


Ich hätte, wie von Stine vorgeschlagen, wohl besser den Begriff "Blondheit" statt "Schönheit" als Beispiel anführen sollen.
Über das Thema Schönheit und Objektivität kann in dem gleichnamigen neuen Thread im Wissenschaftsforum diskutiert werden.

ostfriese hat geschrieben:Da wir trotz aller Wahrmacher für kein synthetisches Urteil absolute Gewissheit bekommen, finde ich die Vokabel 'Wahrmacher' irreführend, denn sie verschleiert, dass wir bei keinem Wahrheitsfeststellungsversuch am Diskurs vorbei kommen. Was wiederum zur Folge hat, dass wir den Unterschied zwischen Wissen und Glauben nicht unabhängig von den Diskursregeln verteidigen können.


Dass aus dem Satz

"Wenn es Einhörner gibt, dann ist jedes einzelne Einhorn ein Wahrmacher der Aussage 'Es gibt Einhörner'"

nicht folgt, dass es Einhörner gibt, versteht sich doch von selbst.
Für die Bestimmung konkreter Kriterien zur Wahrheitsermittlung sind die Epistemologie und vor allem die wissenschaftliche Methodologie zuständig.

ostfriese hat geschrieben:Und genau deshalb befürworte ich El Schwalmos Ansatz: Was unser Wissen gegenüber dem Glauben auszeichnet, ist seine aktuell diskursiv einlösbare Geltung. 'Wahrmacher' kann auch jeder Gläubige postulieren, noch und nöcher!


Die Bedeutung des Ausdrucks "aktuell diskursiv einlösbare Geltung" ist mir nicht klar.
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Di 26. Mai 2009, 21:21

Myron hat geschrieben:Die Bedeutung des Ausdrucks "aktuell diskursiv einlösbare Geltung" ist mir nicht klar.

Wenn jemand eine Wissensaussage bezweifelt, dann können wir sie argumentativ stützen, indem wir ihre Konsistenz mit bereits akzeptiertem Wissen belegen. Hinterfragt er auch dieses, wiederholen wir den Schritt, bis wir auf Hintergrundwissen stoßen, an dem auch dieser Kritiker nicht mehr zweifelt.

Natürlich können wir niemanden zwingen, diesen Regress abzubrechen, aber in der Praxis zeigt sich, dass die meisten Diskursteilnehmer über kongruente Deutungen von Erfahrungen, mindestens aber von Sinneswahrnehmungen verfügen, da sich ihre Erkenntnisapparate in evolutiver Anpassung an eine gemeinsame Lebenswelt ausgebildet haben. Wäre dies nicht so, verspräche dieser Weg tatsächlich keinen Erfolg.

Diskursregeln sind Präskriptionen, die natürlich nicht aus irgendwelchen Naturgegebenheiten folgen. Aber die EE kann -- unter den uns bekannten Prämissen --immerhin erklären, warum die Methode funktioniert und wir uns unter Beachtung dieser Regeln intersubjektiv über die Deutung empirischer Befunde verständigen. Wer auf eine plausible Erklärung für den pragmatischen Erfolg des kritischen Rationalismus verzichten will, mag jene naturalistischen Prämissen zur Disposition stellen. Aber das ficht uns nicht an: Welche synthetischen Urteile derzeit Geltung beanspruchen können -- das ermittelt der rationale Diskurs kraft seiner Kriterien und kraft eines Konsenses über pragmatischen Erfolg*, nicht kraft irgendeiner fundamentalen Wahrheit.

*Auch Islamisten vertrauen modernster Flugzeugtechnik!
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Re: Wissen und Glaube

Beitragvon ostfriese » Mi 27. Mai 2009, 00:28

ostfriese hat geschrieben:Wer auf eine plausible Erklärung für den pragmatischen Erfolg des kritischen Rationalismus verzichten will, mag jene naturalistischen Prämissen zur Disposition stellen.

Präziser: Der hypothetische Realismus im Verein mit einer projektiven Erkenntnistheorie erklärt nicht nur den Erfolg, sondern sogar das Scheitern von Theorien.
Und die EE erklärt mit der mesokosmischen Anpassung auch die ungünstigen Folgen dieser Beschränkung: intuitive Fehlleistungen und Sinnestäuschungen.

Nichts spricht stärker für den Naturalismus als: die einzig in seinem Rahmen gefundenen Irrtumsgründe.
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Vorherige

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste