Der Kern des Naturalismus

Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Fr 24. Apr 2009, 21:42

ujmp hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:meine Frage war: gibt es Naturgesetze, die wir erkennen können, oder konstruieren wir Beschreibungssysteme.

Nach Kant ist das dasselbe. "Kausalität" ist eine harwarebedingte Wahrnehmung (in Kants Terminologie apriori = gegeben bevor die Erfahrung losgeht). Deshalb hat er gesagt "Der Mensch zwingt der Natur seine Gesetze auf". Einstein hat auch so sinngemäß gesagt, ein Wissenschaftler erfindet die Gesetze. Oben wurde Irgendwo gesagt, das Kant von einem absoluten Raum überzeugt gewesen sei. Das ist nicht ganz richtig, er war nur davon überzeugt, dass die Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität der Erfahrung vorausgehen müssen (viel verständlicher hat das Schopenhauer besprochen). Bevor man also fragt, ob es Naturgesetze gibt oder ob die Natur sich nicht relgellos verhält, also was Objekte machen, muss man erstmal über das "Subjekt", den Chip im Kopf nachdenken.

Yepp. Die EE geht davon aus, dass das, was Kant als a priori bezeichnet, ein a posteriori der Evolution des kognitiven Systems des Menschen ist.

ujmp hat geschrieben:Was verbinden wir denn mit der Erwartung einer Gesetzmäßigkeit? Was würde es denn nützen, zu wissen, dass sich die Welt regellos verhält? Dass z.B. Die Gravitation nur ein unwahrscheinlich wahrscheinlicher Zufall ist? Und was ist "wahrscheinlich"?

Du stellst pragmatische, eventuell epistemische Fragen. Eigentlich geht es um eine ontische.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Fr 24. Apr 2009, 21:50

smalonius hat geschrieben:
platon hat geschrieben:Deinen Entgegnungen zu smalonius' Beiträgen hören sich an wie philosophisch gedrechseltes Geschwurbel.
Naja, in manchen Punkten, gebe ich El Schwalmo völlig recht, in anderen gebe ich ihm auch recht, aber bewerte die Dinge ganz anders und in manchen Dingen liegt er ziemlich falsch.

interessante Frage, was Du in diesem Kontext als 'falsch' bezeichnen möchtest.

Wir diskutieren philosophische Fragen. Da gibt es auch nicht entscheidbare Positionen. Es gibt auch die Möglichkeit, dass einem Menschen, der sein Leben lang als aktiver Wissenschaftler geforscht hat, gar nicht klar ist, welche weltanschaulichen Grundlagen er implizit vertreten hat und wie wackelig die sind.

Schau mal in ein Buch wie

Mahner, M.; Bunge, M. (2000) 'Philosophische Grundlagen der Biologie' Berlin; mult., Springer

Schätzungsweise ein Fünftel des Buchs besteht aus Kritik an anderen Positionen. Alle diese Positionen werden bzw. wurden von erstklassigen Fachleuten vertreten. Es besteht sogar die Möglichkeit, dass keiner der Autoren Recht hat.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon smalonius » Sa 25. Apr 2009, 20:40

El Schwalmo hat geschrieben:Selbstverständlich können wir die Position anders bestimmen. Aber das ist dann relativ zu einem Konstrukt. Das ist ein gewaltiger ontischer Unterschied, selbst wenn man den in der Praxis gar nicht bemerken würde. Ist in etwa der Unterschied zwischen 'stimmen' und 'passen'.
Ein Unterschied, den man nicht bemerkt, ist nicht relevant beim Versuch, etwas über die Welt herauszufinden.


El Schwalmo hat geschrieben:Welche 'Wirklichkeit' bilden Zahlen ab?
Ich denke, es ist umgekehrt. Die physikalische Wirklichkeit bildet sich nach mathematischen Strukturen.

El Schwalmo hat geschrieben:Oder 'gibt' es Mathematik, wenn es keine Menschen mehr gibt?

Eine Antwort darauf werde ich in einen neuen Thread auslagern, weil sie soviele Bilder enthält, das würde diesen Thread sprengen.

El Schwalmo hat geschrieben:'Da draußen' 'gibt' es keine Dreiecke.
Nein? Ein kleines Rätsel:

Ein Jäger geht von seiner Hütte 1000 Schritte nach Süden, dann geht er 1000 Schritte nach Westen. Dort schießt er einen Bären. Anschließend geht der Jäger 1000 Schritte nach Norden und gelangt bei seiner Hütte an. Welche Farbe hatte der Bär? :mg:

(Das ist keine Scherzfrage. Die Auflösung, wie man von Dreiecken auf Bärenfarbe schließt, kommt später, falls es niemand "errät".)
El Schwalmo hat geschrieben:Die Frage ist, wie die Mathematik, die wir konstruieren, die Natur 'da draußen' repräsentiert. Wenn das eine Isomorphie wäre, könnten wir synthetische Urteile a priori aus der Mathematik ableiten. Das hat meines Wissens noch niemand geschafft.
Das geht auch nicht. Mathematik kann alle möglichen Systeme beschreiben, welches dieser Systeme sich in unserer Welt verwirklicht hat, muß man durch Nachsehen herausfinden.

Aus dem selben Grund kann man auch aus Gedankenexperimenten nichts ableiten - außer guten Fragen. Historisches Beispiel:

Galileis Einsicht und Irrtum über schwere und leichte Körper und deren Fallgeschwindigkeit

Seit Urzeiten dachte man schwere Körper fielen schneller als leichte. Aristotle hat's dann mal aufgeschrieben, dann war das erstmal über ein Jahrtausend lang so. Bis Galileo kam. Sein Gedankenexperiment ging so:

Man stelle sich einen Körper so vor, daß er einen leichten Teil und einen schweren Teil habe. Was sollte dann gelten? Bremst der leichte Teil den schweren? Beschleunigt der schwere Teil den leichten? Das führt auf einen logischen Widerspruch, also müssen alle Körper gleich schnell fallen.

Sehr schönes Argument. Leider hat es einen Haken. Galilei ging intuitiv von der Gleichheit träger und schwerer Masse aus. Das muss man natürlich nachmessen, ob es wirklich so ist. Im Rahmen unserer Meßgenauigkeit hat es sich bisher bestätigt. Ob sie wirklich gleich sind, ist dadurch nicht nicht gesagt. Wohl aber ist es gesichertes Wissen über die Welt, daß träge und schwere Masse bis auf soundsoviele Bruchteile gleich sind, auf der Erde, im Jahre der Messung. Ganz egal wieviele Überraschungen die Physik noch bieten wird, an der Messung und ihrem Ergebnis wird sich nichts ändern. (Nicht-konstante Naturkonstanten mal ausgeschlossen.)

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Falls ich richtig liegen sollte, würde ich einwenden: als intelligentes Wesen ist man nicht mehr auf seine Sinne beschränkt. Wir haben keinen Sinn für Radioaktivität, aber wir haben Geigerzähler.

Egal wie beschränkt unsere Wahrnehmung ist, wir sind fähig jeden wirksamen Aspekt der Welt aufzuspüren. (Auf die Ausnahmen komme ich vielleicht noch mal zu sprechen.)

Das ist eine spannende Frag. Wenn Du mit Deiner Auffassung von Mathematik Recht hättest, müsste es uns auch gelingen, die nicht wirksamen Aspekte aufzuspüren.
Verstehe ich sprachlich nicht. Was nicht wirkt, kann nicht aufgespürt werden.

Hier noch eine der oben angesprochenen Ausnahmen:

Falls die Sache mit der Dunklen Energie zutrifft, wird irgendwann einmal der Rest des Universums aus unserem Ereignishorizont verschwunden und nur noch unsere Milchstraße zu sehen sein. Der Mikrowellenhintergrund wäre ins unkenntliche rotverschoben. Für zukünftige Bewohner der Galaxie wäre es dann sehr schwer, auf den Urknall zu schließen. Man kann spekulieren, was uns auf ähnliche Weise vielleicht schon unzugänglich ist.

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:"Atom" ist erstmal eine Art Platzhalter für etwas, das man beobachten kann. Ich muß nicht wissen, was ein Atom 'in Wirklichkeit' ist, um Aussagen über das Verhalten von Atomen zu treffen, zum Beispiel daß sie sich durchmischen, wenn es die Situation "gebietet". (gleichschwere Flüssigkeiten, gleichschwere Gase, keine Abstoßung wie bei Öl und Wasser.)
Ist Dir eigentlich klar, dass Du gerade in eigenen Worten das Problem formuliert hast, das ich Dir mit meinem Beispiel offenbar nicht vermitteln konnte?
Gut, und jetzt geben wir diesem Verhalten den Namen "zweiter Haupsatz" und wir haben eine universelle Aussage über Systeme aus vielen "Teilchen". Ganz egal was diese "Teilchen" nun sind.

El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man sich ein wenig mit dieser Frage befasst, kriegt man auch mit, wie man Artnamen schreibt. Falls nicht, eher nicht.
Naja, ich habe Fomalhaut jahrelang als Formalhaut gelesen. Nicht besonders aufmerksam von mir, aber das sagt nichts über mein Verständnis oder Unverständnis der Chandrasekhar-Grenze. (Hoffentlich habe ich den jetzt nicht auch noch falsch geschrieben.)

El Schwalmo hat geschrieben:Hast Du schon mal überlegt, was ein 'diachroner Artbegriff' ist? Bist Du sicher, dass Du im Tier-Mensch-Übergangsfeld das, was Du gerade geschrieben hast, vertreten möchtest?
Nein, was ist ein 'diachroner Artbegriff'?

Übergangsfeld, allerdings. Es scheint so zu sein, daß "Frühmenschen" sich noch eine Weile mit den "Affen" paarten. Da ist Abgrenzung natürlich schwierig. Der Artbegriff ist schwierig. Ist ein Hund ein Hund oder nur ein etwas anders aussehender Wolf mit etwas anderem Verhalten? Ich kann das nicht beantworten, wohl aber kann ich sagen, daß ein Hund keine Ziege ist.

El Schwalmo hat geschrieben:Und dann bist Du wieder bei der Frage: 'gibt' es Affen, oder konstruiere ich ein Konzept, mit dem ich die Wesen, die um mich herumlaufen, kategorisieren kann?
Es ist kein Konzept, daß Hunde und Ziegen sich nicht miteinander fortpflanzen können.

El Schwalmo hat geschrieben:Eben. Aber so langsam sollte Dir klar werden, auf welcher Ebene wir welche Fragen diskutieren.

... Ich denke, dass es gar keine so schlechte Prophylaxe ist, Menschen darauf hinzuweisen, wie wenig wir Menschen eigentlich wissen können, und warum das gar nicht so schlimm ist.
Ich halt's da eher mit dem alten Konfuzius. "Ich weiß was ich weiß, und ich weiß, was ich nicht weiß."

Die Religiösen haben noch weniger zu bieten.
Falsch und uninspiriert zu sein ist keine notwendige Eigenschaft von Religion. Aber das ist ein anderes Thema. Ich werde darauf zurückkommen.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Sa 25. Apr 2009, 21:25

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Selbstverständlich können wir die Position anders bestimmen. Aber das ist dann relativ zu einem Konstrukt. Das ist ein gewaltiger ontischer Unterschied, selbst wenn man den in der Praxis gar nicht bemerken würde. Ist in etwa der Unterschied zwischen 'stimmen' und 'passen'.

Ein Unterschied, den man nicht bemerkt, ist nicht relevant beim Versuch, etwas über die Welt herauszufinden.

wir reden aneinander vorbei. Ich diskutiere ontische Fragen, Du pragmatische.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Welche 'Wirklichkeit' bilden Zahlen ab?

Ich denke, es ist umgekehrt. Die physikalische Wirklichkeit bildet sich nach mathematischen Strukturen.

Ich denke, dass das nicht der Fall ist. Und das bringt uns exakt zu dem Problem, von dem wir ausgegangen sind. Und Du solltest langsam merken, dass Du mit Pragmatik hier nichts erreichen kannst.

[ ... ]

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:'Da draußen' 'gibt' es keine Dreiecke.

Nein? Ein kleines Rätsel:

Ein Jäger geht von seiner Hütte 1000 Schritte nach Süden, dann geht er 1000 Schritte nach Westen. Dort schießt er einen Bären. Anschließend geht der Jäger 1000 Schritte nach Norden und gelangt bei seiner Hütte an. Welche Farbe hatte der Bär? :mg:

(Das ist keine Scherzfrage. Die Auflösung, wie man von Dreiecken auf Bärenfarbe schließt, kommt später, falls es niemand "errät".)

Ich behaupte, dass Du dieses 'Dreieck' in der Natur nie finden wirst. Was möchtest Du denn als Spitze nehmen? Einen Stein? Einen Kristall? Ein Ion? Einen Atomkern? Ein Quark?

Wolltest Du mir einen Eisbären aufbinden?

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Die Frage ist, wie die Mathematik, die wir konstruieren, die Natur 'da draußen' repräsentiert. Wenn das eine Isomorphie wäre, könnten wir synthetische Urteile a priori aus der Mathematik ableiten. Das hat meines Wissens noch niemand geschafft.

Das geht auch nicht. Mathematik kann alle möglichen Systeme beschreiben, welches dieser Systeme sich in unserer Welt verwirklicht hat, muß man durch Nachsehen herausfinden.

Merkst Du langsam, dass ich Recht habe? Was meinte ich wohl mit interpretierten Kalkülen?

smalonius hat geschrieben:Aus dem selben Grund kann man auch aus Gedankenexperimenten nichts ableiten - außer guten Fragen.

Danke, dass Du mir so viel Wasser auf meine Mühlen leitest.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Falls ich richtig liegen sollte, würde ich einwenden: als intelligentes Wesen ist man nicht mehr auf seine Sinne beschränkt. Wir haben keinen Sinn für Radioaktivität, aber wir haben Geigerzähler.

Egal wie beschränkt unsere Wahrnehmung ist, wir sind fähig jeden wirksamen Aspekt der Welt aufzuspüren. (Auf die Ausnahmen komme ich vielleicht noch mal zu sprechen.)

Das ist eine spannende Frag. Wenn Du mit Deiner Auffassung von Mathematik Recht hättest, müsste es uns auch gelingen, die nicht wirksamen Aspekte aufzuspüren.

Verstehe ich sprachlich nicht. Was nicht wirkt, kann nicht aufgespürt werden.

Ich habe ein Konditional formuliert. Angenommen, Plato hätte mit seiner 'Anamnesis' Recht und die Mathematik wäre Wesenschau. Dann könnte man durch Mathematik die Welt erkennen. Wenn ich dann zeigen könnte, dass aus den Gleichungen ein Seiendes folgt, das nicht messbar ist, weil es nicht wechselwirkt, könnte ich dennoch mit Sicherheit wissen, dass dieses Seiende existiert.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:"Atom" ist erstmal eine Art Platzhalter für etwas, das man beobachten kann. Ich muß nicht wissen, was ein Atom 'in Wirklichkeit' ist, um Aussagen über das Verhalten von Atomen zu treffen, zum Beispiel daß sie sich durchmischen, wenn es die Situation "gebietet". (gleichschwere Flüssigkeiten, gleichschwere Gase, keine Abstoßung wie bei Öl und Wasser.)
Ist Dir eigentlich klar, dass Du gerade in eigenen Worten das Problem formuliert hast, das ich Dir mit meinem Beispiel offenbar nicht vermitteln konnte?

Gut, und jetzt geben wir diesem Verhalten den Namen "zweiter Haupsatz" und wir haben eine universelle Aussage über Systeme aus vielen "Teilchen". Ganz egal was diese "Teilchen" nun sind.

Womit wir wieder beim Thema sind. Ist Dir klar, dass der Entropiesatz nicht beweisbar ist? Wenn Du den als Beispiel für ein konstruiertes Naturgesetz verwenden möchtest, okay.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man sich ein wenig mit dieser Frage befasst, kriegt man auch mit, wie man Artnamen schreibt. Falls nicht, eher nicht.

Naja, ich habe Fomalhaut jahrelang als Formalhaut gelesen. Nicht besonders aufmerksam von mir, aber das sagt nichts über mein Verständnis oder Unverständnis der Chandrasekhar-Grenze. (Hoffentlich habe ich den jetzt nicht auch noch falsch geschrieben.)

Aber wenn Du nicht weißt, was eine 'diachrone Art' ist, kannst Du Dich nicht ernsthaft mit Taxonomie befasst haben, oder sehe ich das falsch?

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Hast Du schon mal überlegt, was ein 'diachroner Artbegriff' ist? Bist Du sicher, dass Du im Tier-Mensch-Übergangsfeld das, was Du gerade geschrieben hast, vertreten möchtest?

Nein, was ist ein 'diachroner Artbegriff'?

Ein Artbegriff der längs einer Zeitachse gilt. Stell Dir mal vor, Du möchtest entscheiden, ob ein Cro Magnon-Mensch ein Homo sapiens ist. Hast Du so ein Wesen schon mal mit einem rezenten Menschen gekreuzt?

smalonius hat geschrieben:Übergangsfeld, allerdings. Es scheint so zu sein, daß "Frühmenschen" sich noch eine Weile mit den "Affen" paarten. Da ist Abgrenzung natürlich schwierig. Der Artbegriff ist schwierig. Ist ein Hund ein Hund oder nur ein etwas anders aussehender Wolf mit etwas anderem Verhalten? Ich kann das nicht beantworten, wohl aber kann ich sagen, daß ein Hund keine Ziege ist.

Ich lese aus Deinen Zeilen, dass Du 'Art' als Fortpflanzungsgemeinschaft interpretierst. Der Artbegriff ist noch viel schwieriger als Dir bewusst ist. Wie teilst Du beispielsweise Zwitter mit Selbstbefruchtung in 'Arten' ein? Oder Bakterien? Wenn Du den Begriff 'Art' auf sich sexuell fortpflanzende Wesen beschränkst, was ist dann das Analogon einer 'Art' bei Kleistogamen? Was 'ist' eigentlich eine 'Art'? Sehr klar siehst Du das Problem, wenn Du 'Art' mit einem höheren Taxon vergleichst. Im zweiten Fall ist der Sachverhalt eindeutig.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Und dann bist Du wieder bei der Frage: 'gibt' es Affen, oder konstruiere ich ein Konzept, mit dem ich die Wesen, die um mich herumlaufen, kategorisieren kann?

Es ist kein Konzept, daß Hunde und Ziegen sich nicht miteinander fortpflanzen können.

Scherzkeks. Die Frage, die sich stellt, ist doch, ob Du Kreuzbarkeit als Artkriterium auffassen darfst. Die Begründung dafür führt zur relevanten Frage, nicht der Versuch, das als gegeben vorauszusetzen.

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Eben. Aber so langsam sollte Dir klar werden, auf welcher Ebene wir welche Fragen diskutieren.

... Ich denke, dass es gar keine so schlechte Prophylaxe ist, Menschen darauf hinzuweisen, wie wenig wir Menschen eigentlich wissen können, und warum das gar nicht so schlimm ist.

Ich halt's da eher mit dem alten Konfuzius. "Ich weiß was ich weiß, und ich weiß, was ich nicht weiß."

Hübsche Leerformel. Wie kann jemand wissen, was er nicht weiß? Erinnerst Du Dich an Sokrates und den Sklaven? Der Sklave meinte, nicht zu wissen, was er doch wusste. Und wir sind wieder bei 'Anamnesis' und einer speziellen Auffassung von Mathematik.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon smalonius » So 26. Apr 2009, 16:48

El Schwalmo hat geschrieben:Und Du solltest langsam merken, dass Du mit Pragmatik hier nichts erreichen kannst.
Ist es nicht umgekehrt? Nur mit Pragmatik erreicht man etwas. Mit unentscheidbaren philosophischen Fragestellungen kann man sich angenehm die Zeit vertreiben, darüber hinaus erreicht man nicht viel.

Mit etwas Glück lassen sich dann aus der Pragmatik auch Rückschlüsse auf die Philosophie ziehen. Die alten Griechen haben viele gute Fragen gestellt, nach der Natur der Bewegung, nach der Leere. Beantwortet wurden sie erst in der Neuzeit durch Pragmatismus.
El Schwalmo hat geschrieben:Wolltest Du mir einen Eisbären aufbinden?
Immerhin ist das Dreieck gut genug, um auf Eisbären zu schließen.

El Schwalmo hat geschrieben:Ich habe ein Konditional formuliert. Angenommen, Plato hätte mit seiner 'Anamnesis' Recht und die Mathematik wäre Wesenschau. Dann könnte man durch Mathematik die Welt erkennen. Wenn ich dann zeigen könnte, dass aus den Gleichungen ein Seiendes folgt, das nicht messbar ist, weil es nicht wechselwirkt, könnte ich dennoch mit Sicherheit wissen, dass dieses Seiende existiert.
Wie denn? Es gibt euklidische Geometrie und es gibt nicht-euklidische Geometrie. Welcher Fall in der physischen Welt vorliegt, läßt sich daraus nicht erschließen.

El Schwalmo hat geschrieben:Ist Dir klar, dass der Entropiesatz nicht beweisbar ist?
Beweisbar? Ich denke, Popper muß ich hier nicht erwähnen.

In der Physik spekuliert man gern, ohne große Hemmung, alte Vorstellungen über Bord zu werfen. Wenn aber jemand kommt und sagt er habe ein Perpetuum Mobile gebaut, wird er große Skepsis ernten.

El Schwalmo hat geschrieben:Ein Artbegriff der längs einer Zeitachse gilt. Stell Dir mal vor, Du möchtest entscheiden, ob ein Cro Magnon-Mensch ein Homo sapiens ist. Hast Du so ein Wesen schon mal mit einem rezenten Menschen gekreuzt?
Ich will's mal mathematisch sagen. In der klassischen Mengenlehre ist ein Individuum entweder Neanderthaler oder nicht. In der modernen verschwommenen Mengenlehre kannst du auch zu zwei Dritteln Neanderthaler und zu einem Drittel moderner Mensch sein.

El Schwalmo hat geschrieben:Wie teilst Du beispielsweise Zwitter mit Selbstbefruchtung in 'Arten' ein? Oder Bakterien? Wenn Du den Begriff 'Art' auf sich sexuell fortpflanzende Wesen beschränkst, was ist dann das Analogon einer 'Art' bei Kleistogamen? Was 'ist' eigentlich eine 'Art'?
Völlig richtig. Horizontaler Gentransfer kommt noch hinzu.

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:Ich halt's da eher mit dem alten Konfuzius. "Ich weiß was ich weiß, und ich weiß, was ich nicht weiß."
Hübsche Leerformel. Wie kann jemand wissen, was er nicht weiß?
Ich weiß, daß Wasser bei 4°C seine größte Dichte hat. Ich weiß nicht, warum das so ist. Man weiß, daß die Pionieer-Sonde eine Anomalie in ihrerer Bewegung zeigt. Man weiß nicht, warum das so ist.

Zu den Warum-Fragen werde ich später noch was sagen, bin heute nicht in Stimmung, viel zu schreiben.
El Schwalmo hat geschrieben:Erinnerst Du Dich an Sokrates und den Sklaven? Der Sklave meinte, nicht zu wissen, was er doch wusste. Und wir sind wieder bei 'Anamnesis' und einer speziellen Auffassung von Mathematik.
Nicht gelesen. Vielleicht ergoogle ich es mir mal.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » So 26. Apr 2009, 17:24

smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Und Du solltest langsam merken, dass Du mit Pragmatik hier nichts erreichen kannst.

Ist es nicht umgekehrt? Nur mit Pragmatik erreicht man etwas. Mit unentscheidbaren philosophischen Fragestellungen kann man sich angenehm die Zeit vertreiben, darüber hinaus erreicht man nicht viel.

solange Du das nicht mit einem Argument verwechselst ist das okay.

Ich denke, Du hast verstanden und wir können ein EOD setzen.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ujmp » So 26. Apr 2009, 18:55

smalonius hat geschrieben:Es gibt euklidische Geometrie und es gibt nicht-euklidische Geometrie. Welcher Fall in der physischen Welt vorliegt, läßt sich daraus nicht erschließen.

Behauptung: Es gibt in der physischen Welt keinen Punkt ("Ein Punkt ist, was keine Teile hat.") und keine Linie ("breitenlos") und auch sonst keine geometrische Form. Es gibt auch der Wirklichkeit keine Primzahl oder "unendlich". Geometrie und Mathematik sind rein intellektuell. Wenn man behauptet, dass es für jede mathematische Struktur eine Entsprechnung in der physischen Welt gibt, dann kann man eben so gut behaupten, dass es für jede sprachliche Struktur eine Entsprechnung in der physischen Welt gibt. Man kann dies zwar widerspruchsfrei behaupten, indem man z.B. "unendlich" viele Universen annimmt und dadurch die "Wahrscheinlichlkeit" nahezu "1" ist, dass der Satz "Es gibt den Osterhasen" stimmt - das ist aber so absurd, dass ich lieber an den Osterhasen glauben würde, als ihn auszurechnen. :mg:
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon Myron » So 26. Apr 2009, 19:34

ujmp hat geschrieben:Behauptung: Es gibt in der physischen Welt keinen Punkt ("Ein Punkt ist, was keine Teile hat.") und keine Linie ("breitenlos") und auch sonst keine geometrische Form.


0-, 1- oder 2-dimensionale Objekte, d.h. Punkte, Linien und Flächen, sind keine konkret-physischen Objekte.
Wenn zum Beispiel Elementarteilchen als punktgroß bezeichnet werden, dann ist das eine Idealisierung.
Das Gleiche gilt für Raum- oder Raumzeitpunkte.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon smalonius » So 26. Apr 2009, 23:04

El Schwalmo hat geschrieben:Ich denke, Du hast verstanden und wir können ein EOD setzen.
Ja, das wesentliche ist gesagt, der Rest wäre Wiederholung.

Als Schlußwort möchte ich noch dies anmerken:

Was Wissenschaft sagen kann, ist wie etwas geschieht. Zum Beispiel wie schnell fällt ein Körper. Was Wissenschaft nicht sagen kann ist, warum fällt ein Körper. Denn: die Warum-Frage ist "pathologisch". Jede Erklärung des Warums kann man hinterfragen, warum das denn so sei.

Warum kreist der Mond um die Erde? Wegen der Schwerkraft!
Warum gibt es Schwerkraft? Weil Massen den Raum krümmen!
Was verleiht den Dingen die Masse? Ahhrrm. Das Higgs-Boson vielleicht.
Warum tut das Higgs-Boson das? Ahhrm.

...und so weiter bis ins Unendliche.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ujmp » Mo 27. Apr 2009, 06:47

smalonius hat geschrieben:Was Wissenschaft sagen kann, ist wie etwas geschieht. Zum Beispiel wie schnell fällt ein Körper. Was Wissenschaft nicht sagen kann ist, warum fällt ein Körper. Denn: die Warum-Frage ist "pathologisch". Jede Erklärung des Warums kann man hinterfragen, warum das denn so sei.


Ist nicht die Frage nach dem Warum ist die Kernfrage der Wissenschaft?

Warum ist sind diese Menschen heute gestorben? Weil sie von diesen Früchten gegessen haben! Warum können diese Früchte töten? Weil sie böse sind? Warum ist ein anderer Mensch nicht daran gestorben? Ist er ein Zauberer? Er hat sie ohne Kerne gegessen. Sind Kerne böse? Warum...

Dass sich unser Denkapparat Kausalitiät nicht endlich vorstellen kann, sowenig wie Raum und Zeit, hindert ihn nicht daran, soweit wie es geht hinter die Dinge zu schauen. Und obwohl sich unsere Konstrukte von der Welt gelegentlich als unzweckmäßig herausstellen, sind sie doch unentbehrlich. Z.Z. haben wir doch m.W. nichts besseres als die Kausalitätsvorstellung, also keine klügere Frage, als die Frage nach dem Warum!
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ostfriese » Mi 29. Apr 2009, 22:21

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Welche 'Wirklichkeit' bilden Zahlen ab?

Ich denke, es ist umgekehrt. Die physikalische Wirklichkeit bildet sich nach mathematischen Strukturen.

Ich denke, dass das nicht der Fall ist. Und das bringt uns exakt zu dem Problem, von dem wir ausgegangen sind. Und Du solltest langsam merken, dass Du mit Pragmatik hier nichts erreichen kannst.

Habe mich gerade bis hierhin durch eure Diskussion gearbeitet (rückgeleitet aus dem Baum-Thread) und muss an dieser Stelle zum ersten Mal Widerspruch anmelden (ansonsten stimme ich Dir in allen Sachpunkten zu).

Gemäß EE ist unser (pragmatischer) Überlebenserfolg ein starkes Indiz für hinreichend adäquate Wirklichkeitsrekonstruktionen und damit für Welterkenntnis (es sei denn, man ließe nur absolute Wahrheit als Erkenntnis gelten, was aber jede Diskussion hierüber obsolet machte). Ferner lassen sich nach Explikation eines sinnvollen Erkenntnisbegriffs (Mindest-)Bedingungen formulieren, unter denen sie überhaupt möglich ist. Eine davon ist die Strukturiertheit der Welt, da ohne Unterscheidbarkeit und Komprimierbarkeit kein kognitives System Abbilder von irgendetwas erzeugen und somit auch keine internen Rekonstruktionen leisten kann.

Ich erlaube mir, den Satz von smalonius in entschärfter Form zu wiederholen: Jede erkennbare Wirklichkeit bildet sich nach Strukturen.

Ob Mathematiker jemals Konstrukte entwerfen, die zu jenen natürlichen Strukturen isomorph sind, ist freilich ein anderer Thread. Dies hängt ganz davon ab, ob sie -- mit Glück und Geschick -- die geeigneten Axiome an den Anfang ihrer logischen Entdeckungstour setzen. Zwar werden wir nie wissen, ob unsere Modellierungen nur passen oder sogar stimmen, aber wir sind durch pragmatischen Erfolg bestens legitimiert, sie vorläufig und hypothetisch als wahr zu akzeptieren.

Also: Ohne Erkenntnis gäbe es uns nicht mehr, ohne reale Strukturen gäbe es keine Erkenntnis, und mit der plausiblen Prämisse, dass es uns gibt (und wir alltäglich klar kommen), dürfen wir konstatieren, dass unser Gehirn phylogenetisch (bzw. ontogenetisch) hinreichend erfolgreiche Erkenntnis-Arbeit geleistet hat (bzw. leistet). Da sich hierbei mathematische Kalküle besonders bewährt haben, können wir den Kreis zu Vollmers virtuosem Zirkel (Konsistenz epistemologischer, ontologischer, methodologischer und naturwissenschaftlicher Aussagen) schließen: Wir haben gute Gründe für die Annahme, dass sich in der Natur Strukturen finden, die unseren physikalischen Beschreibungen stark ähneln. Umgekehrt haben wir keinen noch so geringen Anlass in Betracht zu ziehen, dass reale Strukturen existieren, deren Wirkungen wir auch mit unseren besten Theorien nicht erfassen. Daher muss man als intellektuell redlicher Philosoph oder Wissenschaftler keineswegs Agnostiker sein. Auch wenn Du noch so hartnäckig versuchst, uns das einzureden. Diskursregeln erzwingen keine Ontologie, aber sie legen aus den eben skizzierten Gründen eine nahe, für die Du Dich pragmatischerweise ja sogar selbst -- vorläufig, hypothetisch -- entschieden hast.


Noch ein Wort an smalonius: Die Pythagoräer könnten durchaus am Ende triumphieren. "Unsere" euklidische Geometrie ist ein axiomatisch konstruiertes System, das anerkanntermaßen ohnehin nur näherungsweise (für mesokosmische Größenordnungen) hinreichend passende Beschreibungen liefert. Wir finden "da draußen" möglicherweise keine Strecken, die sich wie Wurzel (2) zu 1 verhalten, keine natürlichen Modelle für Quadrate, Würfel, Kreise, Kugeln, Dreiecke, Tetraeder etc.

Insbesondere finden wir z.B. keine unendlichen Reihen. Wir können Pi nicht konstruieren (auf keine endliche reale Struktur abbilden), sondern nur ein Konstruktionsprinzip angeben. Das ist ein m.E. bedeutsamer Unterschied hinsichtlich der Frage, ob mathematische Objekte an sich real sind. Als Monist halte ich nur ihre tatsächlich konstruierten materiellen Repräsentationen für real, nicht aber die "Ideen" dazu.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 30. Apr 2009, 06:18

ostfriese hat geschrieben:Gemäß EE ist unser (pragmatischer) Überlebenserfolg ein starkes Indiz für hinreichend adäquate Wirklichkeitsrekonstruktionen und damit für Welterkenntnis (es sei denn, man ließe nur absolute Wahrheit als Erkenntnis gelten, was aber jede Diskussion hierüber obsolet machte).

mit dem Zusatz, dass sich die Rekonstruktion auf den Mesokosmos bezieht, ja.

ostfriese hat geschrieben:Ferner lassen sich nach Explikation eines sinnvollen Erkenntnisbegriffs (Mindest-)Bedingungen formulieren, unter denen sie überhaupt möglich ist. Eine davon ist die Strukturiertheit der Welt, da ohne Unterscheidbarkeit und Komprimierbarkeit kein kognitives System Abbilder von irgendetwas erzeugen und somit auch keine internen Rekonstruktionen leisten kann.

Ich erlaube mir, den Satz von smalonius in entschärfter Form zu wiederholen: Jede erkennbare Wirklichkeit bildet sich nach Strukturen.

Ich erlaube mir, auch Deinen Satz umzuformulieren: der Teil der Wirklichkeit, der sich nach Strukturen bildet, ist erkennbar.

Ob es einen nicht erkennbaren Teil gibt, ist eine nicht entscheidbare Frage.

[ ... ]

ostfriese hat geschrieben:Also: Ohne Erkenntnis gäbe es uns nicht mehr, ohne reale Strukturen gäbe es keine Erkenntnis, und mit der plausiblen Prämisse, dass es uns gibt (und wir alltäglich klar kommen), dürfen wir konstatieren, dass unser Gehirn phylogenetisch (bzw. ontogenetisch) hinreichend erfolgreiche Erkenntnis-Arbeit geleistet hat (bzw. leistet).

Wie gesagt, immer unter der Prämisse, dass wir über den Mesokosmos sprechen.

ostfriese hat geschrieben:Daher muss man als intellektuell redlicher Philosoph oder Wissenschaftler keineswegs Agnostiker sein. Auch wenn Du noch so hartnäckig versuchst, uns das einzureden. Diskursregeln erzwingen keine Ontologie, aber sie legen aus den eben skizzierten Gründen eine nahe, für die Du Dich pragmatischerweise ja sogar selbst -- vorläufig, hypothetisch -- entschieden hast.

Der Begriff 'Agnostiker' bezieht sich üblicherweise auf die Gottesfrage. Wenn man das, was Du bisher geschrieben hast, bedenkt, folgt für mich Agnostizismus. Es sei denn, man verwendet eine raffinierte Form einer Immunisierungsstrategie: man hofft auf eine Antwort in der Zukunft.

Kennst Du

Kummer, C. (2009) 'Der Fall Darwin. Evolutionstheorie contra Schöpfungsglaube' München, Pattloch

Kummer zeigt darin an einem konkreten Beispiel, wie Kanitscheider diese Strategie verwendet hat. Bei Bedarf kann ich Dir diese Passage gerne kopieren.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ostfriese » Do 30. Apr 2009, 11:24

El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, immer unter der Prämisse, dass wir über den Mesokosmos sprechen.

Diese Beschränkung ist bezüglich unserer Erkenntnisqualität nur eine scheinbare. Beispiel Quantentheorie: Wir entwerfen Experimente zur Testung ihrer Implikationen und interpretieren Messdaten, wobei Informationen schließlich auf unsere sinnliche Peripherie projiziert werden. Aus der evolutionär begründbaren Brauchbarkeit unserer mesokosmischen Rekonstruktionen sind somit stufenweise auch die Angemessenheit der Dateninterpretation sowie die hypothetische Wahrheit der getesteten Theorien ableitbar -- auch solchen, die sich auf mikro- oder makrokosmische Strukturen beziehen. Tatsächlich sind wir ja sogar in der Lage, aus der mesokosmischen Anpassung resultierende Felleistungen unseres Erkenntnisapparates rational zu kritisieren und zu korrigieren.

El Schwalmo hat geschrieben:Ich erlaube mir, auch Deinen Satz umzuformulieren: der Teil der Wirklichkeit, der sich nach Strukturen bildet, ist erkennbar.

Ob es einen nicht erkennbaren Teil gibt, ist eine nicht entscheidbare Frage.

Es ist vor allem eine uninteressante und für unsere Daseinsbewältigung irrelevante Frage.

El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man das, was Du bisher geschrieben hast, bedenkt, folgt für mich Agnostizismus.

Ich habe ja begründet, warum daraus nicht Agnostizismus folgt. Jedenfalls dann nicht, wenn man von einem pragmatischen Erkenntnisbegriff in Bezug auf eine hypothetische Realität ausgeht. Zieht man auch diese Startpositionen in Zweifel, muss man nicht bloß in Bezug auf die Gottesfrage agnostisch bleiben, sondern generell. Kann man machen, ist aber erstens nicht zwingend und zweitens zu nix nütze.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 30. Apr 2009, 11:43

ostfriese hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, immer unter der Prämisse, dass wir über den Mesokosmos sprechen.

Diese Beschränkung ist bezüglich unserer Erkenntnisqualität nur eine scheinbare.

Nein, sie ist durchaus vorhanden.

ostfriese hat geschrieben:Beispiel Quantentheorie: Wir entwerfen Experimente zur Testung ihrer Implikationen und interpretieren Messdaten, wobei Informationen schließlich auf unsere sinnliche Peripherie projiziert werden. Aus der evolutionär begründbaren Brauchbarkeit unserer mesokosmischen Rekonstruktionen sind somit stufenweise auch die Angemessenheit der Dateninterpretation sowie die hypothetische Wahrheit der getesteten Theorien ableitbar -- auch solchen, die sich auf mikro- oder makrokosmische Strukturen beziehen. Tatsächlich sind wir ja sogar in der Lage, aus der mesokosmischen Anpassung resultierende Felleistungen unseres Erkenntnisapparates rational zu kritisieren und zu korrigieren.

Die spannende Frage dabei ist allerdings, was wir eigentlich testen. Wir testen unsere Konstrukte, mehr nicht. Es ging um Stimmen versus Passen.

ostfriese hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Ich erlaube mir, auch Deinen Satz umzuformulieren: der Teil der Wirklichkeit, der sich nach Strukturen bildet, ist erkennbar.

Ob es einen nicht erkennbaren Teil gibt, ist eine nicht entscheidbare Frage.

Es ist vor allem eine uninteressante und für unsere Daseinsbewältigung irrelevante Frage.

Nun, diese Diskussion in diesem Forum ist für die Daseinsbewältigung vollkommen irrelevant. Wäre sie uninteressant, hättest du deine Zeit anders verbringen können.

ostfriese hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man das, was Du bisher geschrieben hast, bedenkt, folgt für mich Agnostizismus.

Ich habe ja begründet, warum daraus nicht Agnostizismus folgt. Jedenfalls dann nicht, wenn man von einem pragmatischen Erkenntnisbegriff in Bezug auf eine hypothetische Realität ausgeht.

Tja, wenn man die Konklusionen durch die Prämissen beweist, ist man immer auf der sicheren Seite.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ostfriese » Fr 1. Mai 2009, 19:17

El Schwalmo hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wie gesagt, immer unter der Prämisse, dass wir über den Mesokosmos sprechen.

Diese Beschränkung ist bezüglich unserer Erkenntnisqualität nur eine scheinbare.

Nein, sie ist durchaus vorhanden.

Widerspruch. Wenn unsere Anschauungen passen, dann erst recht unsere darüber hinaus reichenden erfahrungswissenschaftlichen Theorien.

El Schwalmo hat geschrieben:Die spannende Frage dabei ist allerdings, was wir eigentlich testen. Wir testen unsere Konstrukte, mehr nicht. Es ging um Stimmen versus Passen.

Mehr als Passung kriegen wir nicht, brauchen wir auch nicht. Es bleibt die Empfehlung, auf Konstrukte zu verzichten, für deren Passung nicht der geringste Hinweis existiert.

El Schwalmo hat geschrieben:Nun, diese Diskussion in diesem Forum ist für die Daseinsbewältigung vollkommen irrelevant. Wäre sie uninteressant, hättest du deine Zeit anders verbringen können.

Nicht diese Diskussion ist uninteressant, nur die Frage nach der Existenz von Unerkennbarem ist es.

El Schwalmo hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man das, was Du bisher geschrieben hast, bedenkt, folgt für mich Agnostizismus.

Ich habe ja begründet, warum daraus nicht Agnostizismus folgt. Jedenfalls dann nicht, wenn man von einem pragmatischen Erkenntnisbegriff in Bezug auf eine hypothetische Realität ausgeht.

Tja, wenn man die Konklusionen durch die Prämissen beweist, ist man immer auf der sicheren Seite.

Ich kann Dir die Schlüssigkeit des Atheismus ebenso wenig zirkelfrei 'beweisen' wie Du mir die des Agnostizismus -- auf eine solche Idee käme ich gar nicht. =)

Im übrigen hast Du den viel wesentlicheren zweiten Teil meiner Bemerkung unterschlagen, den ich gern noch einmal betone:

Zieht man auch diese Startpositionen [pragmatischen Erkenntnisbegriff und hypothetische Realität] in Zweifel, muss man nicht bloß in Bezug auf die Gottesfrage agnostisch bleiben, sondern generell. Kann man machen, ist aber erstens nicht zwingend und zweitens zu nix nütze.

Verstehst Du? Konsequenter Agnostizismus ist ebenso unwiderlegbar wie inhaltsleer. Darin ähnelt er verdächtig dem anlasslosen Glauben an eine Übernatur, transzendente Welt, Gott.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon El Schwalmo » Fr 1. Mai 2009, 20:26

ostfriese hat geschrieben:Im übrigen hast Du den viel wesentlicheren zweiten Teil meiner Bemerkung unterschlagen, den ich gern noch einmal betone:

Zieht man auch diese Startpositionen [pragmatischen Erkenntnisbegriff und hypothetische Realität] in Zweifel, muss man nicht bloß in Bezug auf die Gottesfrage agnostisch bleiben, sondern generell. Kann man machen, ist aber erstens nicht zwingend und zweitens zu nix nütze.

reden wir über Nützlichkeit oder Erkenntnis? Oder meinst Du, nur weil jemand auf den Trick kam, zu episteme via techne zu kommen sei das Problem gelöst?

BTW, warum bezeichnet sich Vollmer als hypothetischer Realist? Ist das nützlicher, passender oder stimmender?

ostfriese hat geschrieben:Verstehst Du? Konsequenter Agnostizismus ist ebenso unwiderlegbar wie inhaltsleer. Darin ähnelt er verdächtig dem anlasslosen Glauben an eine Übernatur, transzendente Welt, Gott.

Er ist kritischer als Nützlichkeitsdenken.

Und das macht ein wenig vorsichtiger gegenüber anderen Positionen.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ostfriese » Sa 2. Mai 2009, 11:01

El Schwalmo hat geschrieben:reden wir über Nützlichkeit oder Erkenntnis?

Sobald wir eingesehen haben, dass wir bestenfalls Passung und Wahrheitsannäherung, nicht aber sichere Wahrheit erreichen können, ist ein Erkenntnisbegriff, der mehr verlangt als Passung, schlicht fürs Klo.

Unsere Idee von dem, was 'Wahrheit synthetischer Urteile' eigentlich bedeutet, ist ebenso eine Rekonstruktion externer Modelle wie jedes andere Konstrukt. Ohne das Modell "passen" hättest Du nicht die geringste Vorstellung davon, was mit "stimmen" überhaupt gemeint sein könnte. Denn die 'Isomorphie' als Kandidat ist ja ihrerseits gewonnen aus dem Vergleich von Konzepten, die zur Beschreibung derselben realen Systeme taugen (passen). Ohne eine 'Initialpassung' jedenfalls hinge analytische Wahrheit als Modell für synthetische Wahrheit völlig in der Luft, nicht einmal die Anwendbarkeit der Logik in den empirischen Wissenschaften wäre zu begründen.

El Schwalmo hat geschrieben:BTW, warum bezeichnet sich Vollmer als hypothetischer Realist? Ist das nützlicher, passender oder stimmender?

Es ist nützlich und passend. Was bedeutet "stimmend"?

El Schwalmo hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Verstehst Du? Konsequenter Agnostizismus ist ebenso unwiderlegbar wie inhaltsleer. Darin ähnelt er verdächtig dem anlasslosen Glauben an eine Übernatur, transzendente Welt, Gott.

Er ist kritischer als Nützlichkeitsdenken.

Und das macht ein wenig vorsichtiger gegenüber anderen Positionen.

Skeptiker sind kritisch und vorsichtig genug. Konsequente Agnostiker schütten das Kind hinreichend verlässlicher Erkenntnis mit dem Bade sicherer Wahrheiten aus.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon smalonius » Sa 2. Mai 2009, 19:49

ostfriese hat geschrieben:Noch ein Wort an smalonius: Die Pythagoräer könnten durchaus am Ende triumphieren.
Viele hier haben gesagt, meine Ideen seien platonisch.

Dabei standen mir die pythagoräischen Ideen immer näher. Der Irrtum mit der Wurzel 2 steht dem nicht entgegen. Viel bemerkenswerter ist es, daß die Pythagoräer durch ihre Vorstellung eins der ersten Naturgesetze gefunden haben. Die Frequenz einer schwingenden Saite hängt von ihrer Länge ab.

Übrigens: das Gesetz ist so elementar, daß es sich durch die ganze Physik zieht, bis hin zur String-Theorie. Bingo, da haben die Phytagoräer etwas sehr mächtiges gefunden. Ich denke nicht, daß die Platonier etwas ähnliches zu bieten haben.

(Allerdings könnte es sein, daß wir demnächst einen neuen Längenbegriff brauchen. :mg: )
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon smalonius » Sa 2. Mai 2009, 20:14

Aus dem Baum-Thread, ich dachte die Antwort passt besser hier herein:

Kurzer Kommentar zu Vollmer - Was können wir wissen?

http://www.geocities.com/hoefig_de/LKPh ... nntnis.htm

El Schwalmo hat geschrieben:
smalonius hat geschrieben:"Ich denke, also bin ich". Komisch, daß dieser Unsinn seit Jahrunderten wiederholt wird.

stimmt. Vollmer hat schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass Descartes auf diese Weise korrekt nur cogito ergo cogito behaupten kann.


Vollmer macht genau den selben Fehler wie Descartes.

Alle Zitate Vollmer:

Sichere Erkenntnis über die Welt ist uns versagt; all unser Wissen ist Vermutungswissen, vorläufig und fehlbar.


Sicheres Wissen über die Welt ist also weder durch Deduktion noch durch Induktion zu gewinnen. So können wir nicht einmal den Solipsisten widerlegen, der sein augenblickliches Bewußtsein für allein existent hält. Das einzige, dessen ich sicher sein kann, ist die Existenz meines Bewußtseins; und gerade diese Gewißheit ist kein Wissen im üblichen Sinne, da sie nicht übertragbar, also auch nicht intersubjektiv prüfbar ist.

Vielleicht gehört diese Tatsache zu den wichtigsten anthropologischen Folgerungen der Evolutionären Erkenntnistheorie. Sie ist nicht so sehr verschieden von der Sokratischen Einsicht: »Ach weiß, daß ich nichts weiß.«

Das ist falsch. Vollmers Sicht der Naturwissenschaft blendet eine Hälfte wissenschaftlicher Erkenntnis völlig aus. Vollmer sieht nur die Modelle der Wissenschaft, er übersieht die Unmeng an objektiver Erkenntnis, die in unseren Meßwerten stecken, ebenso wie unsere Falsifikationen.

Beispiele für objektive Erkenntnis:

- Wasser ist am Dichtesten bei vier Grad Celsius.
- In den 40iger Jahren des letzen Jahrhunderts fand man ein Skelett, dem man den Namen Lucy gab.
- Es gibt schwarze Schwäne.
- Lichtgeschwindigkeit ist unabhängig vom Äther und konstant im Rahmen der Meßgenauigkeit, gemessen auf der Erdoberfläche und im nahen Orbit.
- Die beobachtete Rotationsgeschwindigkeit der Milchstraße passt nicht zu unserem Modell.

Wie kommt Vollmer dazu, diesen Teil unseres Wissens zu ignorieren?



Insbesondere ist die Newtonsche Mechanik - die einzige zu Kants Zeit ausgearbeitete naturwissenschaftliche Theorie - nicht nur hypothetisch und korrigierbar, sondern längst als falsch erkannt und durch Relativitäts- und Quantentheorie ersetzt.
Das stimmt nur zum Teil.

Die Newtonschen Gesetze gelten nach wie vor: Trägheit, Kraft gleich Gegenkraft und Kraft ist Masse mal Beschleunigung. F = ma gilt immer noch, nur ist m jetzt von der Geschwindigkeit abhängig.

Einsteins Theorie hat sie nicht aufgehoben. Was sich mit Einstein verändert hat, ist das zugrundeliegende Modell. Nicht die Gleichung hat sich geändert, sondern die Bedeutung der Symbole. Wir stellen uns Raum und Zeit nicht mehr absolut vor, sondern abhängig von Massen und Geschwindigkeiten.

(Übrigens - ich will ja nicht einseitig sein - MOND (modified newtonian dynamics) wäre ein gutes Beispiel für das was Vollmer sagen wollte. MOND behauptet, man müsse Newtons Gleichungen ändern. Bisher ist es Minderheitenmeinung. Die Mehrheit tendiert zu Dunkler Materie.)

Ist das nicht erstaunlich? Vollmer kennt die Newtonschen Gesetze nicht! Naja, ich kann ja auch keine Artnamen richtig schreiben. :mg:

Und als Schmankerl versteigt Vollmer sich zu dieser Aussage, obwohl er darauf herumreitet, daß er nichts weiß. Äußerst Paradox, nicht wahr?

Während genetische Prozesse beim Menschen Zehntausende von Jahren in Anspruch nehmen, ist Wissenschaft eine Erscheinung der letzten Jahrhunderte oder allenfalls Jahrtausende. Biologisch hat sich in dieser Zeit praktisch nichts geändert.
Ach ne? Und was ist zum Beispiel mit der Evolution der Laktoseverträglichkeit? Der Großteil aller Menschen kann Milcheiweiß nicht verdauen. Diese Fähigkeit wurde erst kürzlich erworben. Wie lange gibt es schon Milchviehhaltung? Höchstens zehntausend Jahre.

Schon Darwin hat Umweltveränderung als einen Motor der Evolution gesehen. Ackerbau, Viehzucht und das Leben in größeren Gruppen sind eine wesentliche Umweltveränderung, also kann man Anpassungen erwarten. Wie schnell das gehen kann, sieht man an diversen Züchtungen.
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Re: Der Kern des Naturalismus

Beitragvon ostfriese » So 3. Mai 2009, 06:22

smalonius hat geschrieben:Wie kommt Vollmer dazu, diesen Teil unseres Wissens zu ignorieren?

Die von Dir zitierten Sätze sind formal Konklusionen, die nicht ohne unbewiesene (nämlich prinzipiell unbeweisbare) Prämissen auskommen. Insbesondere beziehen sich all unsere Aussagen nicht auf die Welt, sondern auf Modelle von der Welt, auf unsere mentalen Konstrukte. Die Evolutionäre Erkenntnistheorie liefert allerdings einsichtige Argumente dafür, dass viele dieser Konstrukte adäquate interne Rekonstruktionen äußerer Strukturen sind und insofern zur Beschreibung bzw. Erklärung der Natur taugen. Hätte unser Erkenntnisapparat die Fähigkeit hierzu nicht im Laufe der Evolution erworben, dann gäbe es uns nicht mehr. All dies sichert uns aber keine objektive Erkenntnis. Wie gesagt: Mehr als hinreichend verlässliche Passung bekommen wir nicht. Brauchen wir auch nicht.

smalonius hat geschrieben:Die Newtonschen Gesetze gelten nach wie vor: Trägheit, Kraft gleich Gegenkraft und Kraft ist Masse mal Beschleunigung. F = ma gilt immer noch, nur ist m jetzt von der Geschwindigkeit abhängig.

Einsteins Theorie hat sie nicht aufgehoben.

Newtons Mechanik taugt zur hinreichend genauen Beschreibung bestimmter realer Systeme, sie stellt für geringe Geschwindigkeiten und Massen einen Grenzfall der Relativitätstheorie dar. Aber selbst diese ist bereits als falsch, d.h.: nicht universell gültig erkannt. Sie versagt für sehr hohe Energiedichten (z.B. kurz nach dem Urknall). Jede unserer Theorien bezieht sich auf Modelle von der Wirklichkeit, nicht auf die Wirklichkeit selbst. Daher können sie nur insoweit gelten, wie Modelle und Wirklichkeit übereinstimmen. Beispielsweise gibt es jene Massenpunkte, auf die sich Newtons Theorie bezieht, in Wirklichkeit allenfalls näherungsweise. Je nach Entfernung der Wechselwirkungspartner wird ein Staubkorn zum Asteroiden und ein Stern zur Punktmasse.

smalonius hat geschrieben:Ist das nicht erstaunlich? Vollmer kennt die Newtonschen Gesetze nicht!

Er ist promovierter theoretischer Physiker. Du bist derjenige, der von Newtons Mechanik offenbar nicht mehr weiß, als aus Schulzeiten hängen geblieben ist. Man sollte sich mit Schulwissen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, das wird leicht peinlich.

smalonius hat geschrieben:Und was ist zum Beispiel mit der Evolution der Laktoseverträglichkeit? Der Großteil aller Menschen kann Milcheiweiß nicht verdauen. Diese Fähigkeit wurde erst kürzlich erworben.

Dieses Beispiel widerlegt Vollmers Aussage ("... praktisch nicht verändert.") wohl kaum. Selbst unsere genetische Übereinstimmung mit den gemeinsamen Vorfahren der Gattungen Pan und Homo ist noch frappierend.

Aber es mag durchaus sein, dass einige evolutionäre Prozesse zügiger ablaufen, als manche von 'Darwins Erben' sich hätten träumen lassen. Hierzu befragst Du am besten El Schwalmo.

Halten wir abschließend fest: Deine Kritik an Vollmer läuft auf breiter Front ins Leere.
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