Wie schon gesagt, will ich eigentlich einmal versuchen und meinen Lehrer hier und da ein Stück weit vorerst zu überwinden; somit nur Kurz zur Herren- und Sklavenmoral:
Bei der psychlogischem Frage nach der Motivation einer Handlung unterschied Nietzsche, gleich Spinoza noch, zwischen
actiones und
passiones, Tugend und Leidenschaft (im Zarathustra). Ein und diesselbe Handlung kann unterschiedlichen, moralischen Wert haben, je nachdem, was ihre Motivation war: ist es ein Verschenken und Schaffen aus dem Überfluss heraus? oder ist es ein Büßen für seine Mängel, gleichsam ein Berauschen mit Narcotica aller Art, ein Ablenkung vom Leiden, ein zeitweiliges Vergessen des Schmerzes, von "des Nichts durchbohrendem Gefühle"?
Somit setzte Nietzsche gleichsam
wieder einen moralischen Maßstab an die Gründe einer Moral an. "Gut" ist es für ihn "ein aus sich rollendes Rad" zu sein, also nicht aus einem Leiden heraus bloß reactiv zu handeln, "aus Ressentiment", "passiv" (was für ihn der Art des Sklaven entspricht); sondern eben als das, was Kant für unmöglich hielt, als "erste Ursache". (Kant widerlegte zwar den "unbewegten Beweger" Thomas von Aquins, setzte ihn aber selber noch als Ursprung der Kausalkette "Welt" noch an.)
In den ersten zwei Aphorismen der zweiten Abhandlung seines Werkes "Zur Genealogie der Moral" beschreibt Nietzsche den Wert, den er
jeglicher Moral beimisst.
Ich habe ja auch geglaubt, man könne Kinder von Anfang an zur Freiheit erziehen; doch ein in dieser Weise großgewordener Erwachsener wird essentielle Entwicklungen nie erfahren haben, wird sich nie als begrenzt gefühlt haben und deswegen den anderen immer nur in Hinblick seiner Selbst wahrnehmen, so wie der größte Narziß, der Säugling, es tut. Kindern Christentum ermöglichen heißt auch, ihnen eine zukünftige Entgrenzung zu gewähren; so wie der von der Natur sich als ausgestoßen empfindende Adam nach der ersten Sünde anch Wegen suchte, wieder hinein in den Garten Eden zu gelangen, wo er, gleich dem Tier, mit seiner Umwelt vereint ist.
Diese Vereinigung ist es, was Nietzsche als "dionyseeisch" bezeichnet - nicht der künstliche Rausch der Narkotika, die das Gefühl Begrenzung zur Welt schwächer empfinden lassen, welche ich "Spaß" nenne; - es ist die "Freude", von der Spinoza sagt, sie sei "der Übergang des Menschen von geringerer zu größerer Vollkommenheit", deswegen, meine ich, weil die Freude das Gefühl einer dauerhaften Entgrenzung zur Welt ist, in dem sich zu einem vollkommenerem Menschen
schafft. Schaffen, die Freude des Künstlers, ist die Freude schlechthin; sie ist der dionyseeische Rausch der Vereinigung, die
actio, die Tugend, der Überfluss und dessen Verschwendung.
Eine Herrenmoral ist somit die Moral, die aus Freude ge s c h a f f e n wurde. Die Sklavenmoral hingegen ist das Erzeugnis des Ressentiments, als eine Verarmung der Lebenskräfte und deren Heiligsprechung, als ein Akt der Unfreiheit, des Getriebenwerdens.
Zu Brecht:
Wenn Künstler denken, kommt Quark wie der obige zustande. Ich, für meinen Teil, kann Brecht nicht ausstehen. Nietzsche wäre der letzte gewesen, der Menschen in schlimmen Lagen dafür verurteilt hätte, dass sie nicht "vornehm" genug seien. "Eine Klugheit ersten Ranges!" so hat er sich über den Wert stoischer Lebensarten in Zeiten großen Leids ausgesprochen (Vom Ziele der Wissenschaft, La gaya scienza, keine Ahnung welches Buch daraus).
Indem MSS in seiner Geschichte vom frechen Hund die Freundlichkeit in seiner Weise erklärt, setzt er das Wesen und den Boden der Moral auch in der Klugheit und in der Sphäre des Eigeninteresses an. In der Gesellschaft, in der ich lebe, ist jede Art Sitte nur ganz schwach noch wahrnehmbar und Kinder dürfen es so lernen wie MSS es in seinem Buch beschreibt, wenn die Eltern es wünschen. Aber wie würde ein solche Geschichte in einem theokratisch regierten Land des nahen Ostens heißen? "Warum es klug ist, deine Frau als Privateigentum anzusehen" oder "Warum es klug ist, Ungläubige mit in den Tod zu reißen" oder "Warum es klug ist, deine Schwester zu ermorden wenn sie sich deinem Urteil nach wie ein leichtes Mädchen aufführt".
Jetzt eine klare Definition von Moral zu geben, fällt mir sehr schwer. Ich sage vorerst, dass die Moral ein veränderliches Gefüge von Schätzungen ist.
Die Ethik ist das praktische Feld der Philosophie; sie vereint unter sich schließlich Anweisungen richtigen Handelns nach den Wertschätzungen einer bestimmten Moral.
Ein Ideal ist die Vorstellung eines Planes bezüglich einem Ding.
"Grundwert" ist einfach nur ein blödes Wort.
Schließlich galt für Wittgenstein folgender Satz in solchen Belangen: "What's in a name? - That which we call a rose by any other name would smell as sweet." (Romeo and Juliet)
Pia hat geschrieben:Naturalist sein heißt für mich, sich erklärend zur Welt zu stellen und nicht aus Angst vor den angeblich „unheimlichen“ Folgen des Denkens auf „Wunschdenken“ zu verfallen und dem Verstand billige Interpretationen der Welt anzubieten (z.B. Kreationismus) die ihm leider oftmals so „bequem“ erscheinen wollen.
Mit meinem "Jesus stands for revolution" habe ich folgendes bedeuten wollen: die Gesellschaft, in der man lebt, glaubt im Besitz der Wahrheit als einem Goldschatz zu sein. Unveränderlich, incorrumpabele und ewig - so denkt sich auch der Großteil der heutigen, westlichen Gesellschaft, wie damals schon die jüdische Gesellschaft der römischen Provinzen, ihre Werte(Demokratie=gut, wenig Leid=gut, Spaß=gut, Bildung= gut etc.). Da kommt Einer daher und meint, er sei im Besitz der Wahrheit und was bisher als Wahrheit gelehrt worden ist, sei falsch. Doch für beide gibt es keinen Beweis, nicht den geringsten, ausser vielleicht dem, des persönlichen Geschmacks des Einzelnen. (Geschmack ist ein gutes Argument.)
Was du, Pia, da als Beschreibung deines Daseins als Naturalist sagtest, scheint mir wie die Verneinung der ewigen Wahrheit und ewiger Werte, wie sie Nietzsche mit den Worten "Gott ist tot!" umschrieb. Diese liebende Haltung zur Welt bedeutet auch, dass das Leben des Menschen und speziell das funktionierende Zusammleben des Menschen kein Argument für irgendeine Art Wahrheit ist. Es ist meine Kritik an den Naturwissenschaften, dass sie das Leben einfacher macht, indem sie alles was es in der Welt gibt in ihr Menschen-Schema presst, somit die Bequemlichkeit des Menschen zur Vorraussetzung ihrer Wahrheit macht und schließlich die Ungewissheit tilgt, mit der der Gottlose lebt. Die Zahl ist ebenso ein Stellvertreter wie das Wort (bezogen auf das Phänomenum der rekursiven Variablenverwendung).