Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon xander1 » So 16. Nov 2008, 10:48

Friedrich Nietzsche aus Menschliches, Allzumenschliches hat geschrieben:"Den Stil verbessern - das heißt den Gedanken verbessern, und gar nichts weiter! - Wer dies nicht sofort zugibt, ist auch nie davon zu überzeugen!" - II, 2. Aph. 131


Worum geht es mir? WIr alle kennen das. Man schreibt schon eine lange Zeit in Internetforen auf der einen Seite und auf der anderen Seite hat doch sicher jeder so seine Lieblingsbücher und seine Lieblingsautoren?

Wie wäre es plötzlich aufzuwachen und Texte schreiben zu können, die andere Menschen mit echtem Genuss lesen? Ich denke das ist eine Stilfrage.

Wie macht man das, den Stil zu verbessern?
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Re: Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon ganimed » So 16. Nov 2008, 11:57

Ich vermute einmal, dass es sehr schwer sein könnte, seinen Schreibstil derart stark zu verbessern, dass man vom jetzigen "es reicht gerade so, um mitzudiskutieren" zu einem "jeder der das liest ist verzückt" gelangt. Ich schätze mal, entweder man hat endlos Talent und übt dann auch noch kräftig, oder man schafft es vielleicht nie.

Viel erfolgversprechender scheint mir da der Psycho-Trick, statt die eigene Leistung rauf, einfach die eigene Erwartung runter zu schrauben.

Versöhnen wir uns also mit unserem Schicksal, keine besondere Schreibe zu haben. Lesen wir weiterhin Goethes Faust in reiner Bewunderung und ohne den Gedanken "das könnte ich besser". Anerkennen wir unseren Platz im Kosmos, 10hoch9tes Staubteil von links zu sein. Mit ein wenig Autosuggestionstrainung beim Psychoklempner um die Ecke sicher eher zu erreichen als das Erklimmen literarischer Höhenzüge in endlosen Romanworkshops.
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Re: Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon 1von6,5Milliarden » So 16. Nov 2008, 12:53

Ich finde es leicht absurd oder "blauäugig" zu glauben, es gäbe einen Stil der jedem gefällt.
Es muss einer einzelnen Person nicht einmal zu jeder Tageszeit, zu jedem persönlichen Gemütszustand, bei jeder Gelegenheit, bei jedem Thema ein und derselbe Stil gefallen.
Und dann gibt es noch viele potentielle Leser.
Es gibt m.E. einfach nur ein Mindestmaß an formalem (!) Stil, sodass zumindest ein Text nicht der Mehrheit missfällt, aber nicht dass er gefällt.
Und dieser Formalismus steht so in etwa im Duden, darüber hinaus (vermutlich) noch im Buch aus dem selben Verlag "Gutes Deutsch" (oder so ähnlich).
Dies macht zwar wohl eher keinen brillanten Artikel aus, aber ohne diese Grundlagen (die ich bei dir jetzt nicht gefährdet sehe) wird es maximal das Gegenteil.

Es gibt m.E. kein literarisches Werk welches tatsächlich allen oder auch nur der Mehrzahl aller potentieller Leser gefällt. Ich glaube selbst viele "große Werke" stehen in vielen Bücherregalen nur wegen der "Größe", nicht weil es wirklich gefällt.
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Re: Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mo 17. Nov 2008, 15:16

1von6,5Milliarden hat geschrieben: Ich glaube selbst viele "große Werke" stehen in vielen Bücherregalen nur wegen der "Größe", nicht weil es wirklich gefällt.


Beim lesen jenes Satzes fiel mir doch spontan das, oder eines der - wenn man auf diese Art von Genauigkeit bedacht ist - Vorworte zu Schopenhauers "Welt und Wille als Vorstellung" ins Gedächtnis, da er dem oder der modernen Leser/in den Hinweis giebt, dass wenn einem dieses so strebsam um Wahrheit bemühte Werk nicht gefalle, es auch zweckvoll, aufgrund seines Maßes, als schöne Ergänzung zu jedem Bücherregal dienlich sei.


Was das eigentliche Thema betrifft, rate ich zum Einstieg doch das vollständige Werk Nietzsches zu lesen, vor allem aber seine "Gaya Scienza" - "Fröhliche Wissenschaft". Hier also Kapitel 290, auf Seite 190 bis 191 der 7. Auflage der Kröner Taschenasugabe 74

Eins ist Noth. - Seinem Charakter "Stil geben" - eine grosse und seltene Kunst! Sie übt Der, welcher Alles übersieht, was seine Natur an Kräften und Schwächen bietet, und es dann einem künstlerischen Plane einfügt, bis ein jedes als Kunst und Vernunft erscheint und auch die Schwäche noch das Auge entzückt. Hier ist eine grosse Masse zweiter Natur hinzugetragen worden, dort ein Stück erster Natur abgetragen: - beidemal mit langer Übung und täglicher Arbeit daran. Hier ist das Hässliche, welches sich nicht abtragen liess, versteckt, dort ist es in's Erhabene umgedeutet. Vieles Vage, der Formung Widerstrebende ist für Fernsichten aufgespart und ausgenutzt worden: - es soll in das Weite und Unermessliche hinaus winken. Zuletzt, wenn das Werk vollendet ist, offenbart sich, wie es der Zwang des selben Geschmacks war, der im Grossen und Kleinen herrschte und bildete: ob der Geschmack ein guter oder ein schlechter war, bedeutet weniger, als man denkt, - genug, dass es Ein Geschmack ist! - Es werden die starken, herrschsüditigen Naturen sein, welche in einem solchen Zwange, in einer solchen Gebundenheit und Vollendung unter dem eigenen Gesetz ihre feinste Freude geniessen; die Leidenschaft ihres gewaltigen Wollens erleichtert sich beim Anblick aller stilisirten Natur, aller besiegten und dienenden Natur; auch wenn sie Paläste zu bauen und Gärten anzulegen haben, widerstrebt es ihnen, die Natur frei zu geben. - Umgekehrt sind es die schwachen, ihrer selber nicht mächtigen Charaktere, welche die Gebundenheit des Stils hassen: sie fühlen, dass, wenn ihnen dieser bitterböse Zwang auferlegt würde, sie unter ihm gemein werden müssten: - sie werden Sclaven, sobald sie dienen, sie hassen das Dienen. Solche Geister - es können Geister ersten Rangs sein - sind immer darauf aus, sich selber und ihre Umgebungen als freie Natur - wild, willkürlich, phantastisch, unordentlich, überraschend - zu gestalten oder auszudeuten.- und sie thun wohl daran, weil sie nur so sich selber wohlthun! Denn Eins ist Noth: dass der Mensch seine Zufriedenheit mit sich erreiche - sei es nun durch diese oder jene Dichtung und Kunst: nur dann erst ist der Mensch überhaupt erträglich anzusehen! Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen: wir Anderen werden seine Opfer sein, und sei es auch nur darin, dass wir immer seinen hässlichen Anblick zu ertragen haben. Denn der Anblick des Hässlichen macht schlecht und düster.
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Re: Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon stine » Mo 17. Nov 2008, 15:59

Lieber Jarl Gullkrølla,
danke, für den Auszug, den ich selbst nie so gefunden hätte, da mein Bücherregal so vieles nicht enthält, was man hinlänglich als "gute Literatur" bezeichnet. Eine schöne Erklärung des dienlichen Stils gegenüber der natürlichen Zufriedenheit eines einfachen Forumschreibers.
Man dankt :up:

LG stine
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Re: Den Stil verbessern d.h. den Gedanken verbessern

Beitragvon xander1 » Sa 22. Nov 2008, 14:37

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:dass wenn einem dieses so strebsam um Wahrheit bemühte Werk nicht gefalle, es auch zweckvoll, aufgrund seines Maßes, als schöne Ergänzung zu jedem Bücherregal dienlich sei.

Ich habe einige Werke von Schopenhauer im Bücher-Regal, die ich nicht gelesen habe. Mir wurde abgeraten Schopenhauer zu lesen, weil er ein Pessimist war und weil ich nicht noch pessimistischer werden möchte. Aber mir wurden die Bücher nunmal geschenkt.

Wenn ich Nietzsches "Also sprach Zarathustra" lese, muss ich aber festellen, dass er sehr stilisierend geschrieben hat und Nietzsche ist auch bekannt als Philosoph und Literat in einem, was man nicht von jedem Philosophen behaupten kann.

Nietzsche hat nicht nur den Stil für die Genauigkeit des Gedankens verwendet, sondern auch verschleiert und geschmückt, sogar ähnlich wie das in so genannten heiligen Schriften getan wird wie ich finde. Er hat Texten eine mysteriöse Wirkung manchmal gegeben. Der Unterschied zu echten mystischen Texten ist jedoch, dass seine Texte Tiefe haben, wobei er den Mystischen Texten nicht einmal Oberflächlichkeit beigemessen hat.

Auch aus den fröhlichen Wissenschaften:
"Die mystischen Erklärungen gelten für tief; die Wahrheit ist, dass sie noch nicht einmal oberflächlich sind." - Aph. 126
Das sehe ich stark in Verbindung mit:
"Wer sich tief weiß, bemüht sich um Klarheit; wer der Menge tief scheinen möchte, bemüht sich um Dunkelheit." - Aph. 173

Ich denke, dass Nietzsche sich auch nicht selten um Dunkelheit bemüht hat.
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