Agnostizismus vs. Atheismus

Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Do 23. Dez 2010, 00:24

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zugegeben, es mag wohl sein, dass das menschliche Vorstellungsvermögen begrenzt und die Menge des Seinsmöglichen umfassender ist als die Menge des Denkmöglichen. In diesem Fall wäre die Undenkbarkeit oder Unvorstellbarkeit einer Sachlage kein zwingender Beweis der Unmöglichkeit derselben.

Schön, dass wir uns hier einig sind.


Allerdings lehne ich die skeptische Auffassung ab, dass zwischen Denkbarkeit/Vorstellbarkeit und Möglichkeit überhaupt kein modallogischer Zusammenhang bestehe und es somit grundsätzlich unzulässig sei, von Denkbarkeit/Vorstellbarkeit auf Möglichkeit bzw. von Undenkbarkeit/Unvorstellbarkeit auf Unmöglichkeit zu schließen.

"Looking at the history of the epistemology of modality it is clear that many philosophers have found conceivability and inconceivability to either be the foundational source of our beliefs about modality or to be one of the central sources of our epistemic justification and knowledge of modality. In addition, if one looks at how we actually go about thinking about common modalities, such as technological possibility or economic possibility, it is clear that we often use conceivability as a basis for our modal judgements. Often when we are asked whether P is possible our natural inclination is to answer the question by attempting to conceive of P. If we are successful in conceiving P or we think we have conceived that P, we judge that P is possible; if we are unsuccessful in conceiving P, we judge that P is impossible. Conceivability-based accounts of the epistemology of modality hold that conceivability is either the fundamental source of our modal knowledge or that it is of central importance in our modalizing behavior.

In contemporary post-Kripkean analytic philosophy there has been a resurgence of interest in the relation between conceivability and modality. The resurgence is based around a unified rejection of skepticism about conceivability. Skepticism about conceivability maintains that conceivability and inconceivability bear no relation to any kind of modality. Against the skeptical position many different accounts of the relation between conceivability and modality have been formulated. In general, there are three important dimensions of conceivability-based accounts. The first dimension is over whether conceivability merely provides evidence of possibility or whether it entails possibility. The second dimension is over whether an account endorses both the relation between conceivability and possibility, and the relation between inconceivability and impossibility, or just one relation. The third dimension, not represented below, concerns what kind of modality is held to be either entailed by conceivability or evidentially supported by conceivability."


(http://plato.stanford.edu/entries/modal ... #ConBasAcc)

El Schwalmo hat geschrieben:Irgendwo habe ich mal gelesen, dass 'wahr' im Sinne von 'wird sich nie mehr ändern' verstanden werden kann. Die Winkelsumme im ebenen Dreieck wird wohl ewig 180 Grad bleiben, wenn man die üblichen Begriffe verwendet. Aber im Bereich der Naturwissenschaften kann sich viel ändern, wenn man nur lange genug wartet. Selbst Sachverhalte, die man als geklärt ansah.


Du kennst doch sicher den Unterschied zwischen notwendigen Wahrheiten, die wahr sind und nicht falsch hätten sein können, und unnotwendigen (kontingenten) Wahrheiten, die wahr sind und falsch hätten sein können, oder nicht?
Es kommt allerdings auch auf die Formulierung an: Der Satz "Es schneit jetzt in München" kann jetzt wahr und in der nächsten Minute schon wieder falsch sein, wohingegen der Satz "Es schneit am 23.12.2010 um 00:00 Uhr in München" immer wahr bleiben wird, wenn er am 23.12.2010 um 00:00 Uhr wahr ist. Eine solche "ewige Wahrheit" ist aber nicht unbedingt eine notwendige Wahrheit, weil es ja hätte sein können, dass es zur selben Zeit am selben Ort nicht schneit, sondern regnet.
(Dagegen hätte es nicht sein können, dass die Dreiecks-Winkelsumme nicht 180° beträgt. Diese Wahrheit ist notwendigerweise wahr.)

El Schwalmo hat geschrieben:Hmmm, wie willst Du mit einem Gehirn, das mit Ionenströmen über Neuronenmembranen funktioniert, die Wirklichkeit wahrnehmen? Kommt ein Gegenstand in Dein Gehirn?


Der Wahrnehmungsvorgang besteht natürlich nicht darin, dass der wahrgenommene Gegenstand irgendwie in mein Gehirn befördert wird.
Der direkte Wahrnehmungsrealismus (DWR) wird nicht durch das Argument widerlegt, dass Wahrnehmungen aufgrund der komplexen physischen und neurophysiologischen Vorgänge zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmer kausal indirekt seien; denn das kann der DWR gerne zugestehen. Er behauptet nämlich nur die kognitive Direktheit des Wahrnehmens, d.h. dass beispielsweise das Sehen eines Baumes nicht im Sehen eines Baumbildes, sondern im Sehen des Baumes selbst besteht.

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Dann sind Tatsachen aber nichts weiter als wahre Aussagesätze.

Könnte man so sehen, wenn man wüsste, dass sie wahr sind.


Nach meiner Auffassung besteht eine Tatsache als wirklicher Sachverhalt im Besessenwerden einer Eigenschaft von einem Ding oder im Zueinander-in-Beziehung-Stehen mehrerer Dinge.

El Schwalmo hat geschrieben:
Oben schriebst Du, dass knapp vorbei auch daneben ist. Mein Punkt ist, dass es Denken über Dinge und Dinge gibt. Das Verhältnis zwischen beiden scheint mir recht unbestimmt zu sein. Im Mesokosmos sieht es vielleicht besser aus, eben weil unser Gehirn in Jahrmillionen Selektion bestimmte 'Einsichten' erworben hat. Die mögen 'passen', aber ob sie 'stimmen'?


Es ist die Hauptaufgabe der Wissenschaft, unsere Wirklichkeitsvorstellungen der Wirklichkeit anzupassen, d.h. dafür zu sorgen, dass jene diese treffen und nicht verfehlen. Vorstellungen (Gedanken, Aussagen), die die Wirklichkeit treffen, nennen wir wahr, und solche, die sie verfehlen, nennen wir falsch. Wir unterscheiden also zutreffende Darstellungen der Wirklichkeit von unzutreffenden Darstellungen (Fehldarstellungen) der Wirklichkeit.

"Not all the ways the world can be represented are ways the world is, so a particular species of creature found it necessary to employ the following convention to distinguish representations from misrepresentations. Representations that indicate the way the world actually is they called 'true', and representations that failed to do so they called 'false'.
Truth is a relation between two things—a representation (the truth bearer) and the world or some part of it (the truthmaker)."


(Martin, C. B. The Mind in Nature. Oxford: Oxford University Press, 2007. p. 24)
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Lumen » Do 23. Dez 2010, 00:34

Ich glaube wir reden an einem anderen Punkt aneinander vorbei, denn ansonsten scheinen die Argumente recht nahe beinander zu sein. Daher greife ich die Argumentation von mir teils u.a. von Arathas und Zappa (glaube ich) noch einmal auf.

Alice, Bob und Charlize unterhalten sich über ihren Glauben.

Alice glaubt an Gott und studiert Theologie.
Bob glaubt an Eris und ist Papst des Diskordianismus.
Charlize ist Esotherikerin und büffelt Edelsteinheilkunde.

Atheismus, im allgemeinen Sprachgebrauch, meint nichtgläubig in Bezug zu Alices Glauben, und macht keine Angabe zu Bob und Charlize. Ich halte Theologie für eine reine Fantasy-Wissenschaft die kein Iota Mehrwert hat, als Jedilogie oder Glaceodemonologie, einer Geheimlehre von Eisdämonen die ich mir gerade ausgedacht habe. Daher möchte ich nicht den Eindruck erwecken, als wäre Theologie irgendwie ein sinnvoller Zeitvertreib oder hätte gar einen Sinn.

Agnostizmus hingegen macht keine Angaben zu Bob und Charlize, räumt aber gegenüber Alice bevorzugt eine neutrale Haltung des Nichtwissenkönnens ein, weil Agnostizismus nach gängiger Auffassung eine neutrale, entschieden unentschiedene Haltung zu theologischen-, also Gottesfragen postuliert. Eine unentschiedene Haltung gegenüber Theologie räumt dieser aber ein kleines bisschen Respekt ein. Warum sollte Theologie agnostisch behandelt werden, warum sollten die anderen Fantasie-Lehren nicht auch „agnostische“ Neutralität bekommen? Das meint Dawkins mit Atoothfairist und Aunicornist als Ergänzung zu Atheist, ebenfalls müsste es dann analog dazu jeweils agnostische Bezeichnungen geben also etwa Zahnfee-Agnostiker usf.

Wikipedia hat geschrieben:Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird dementsprechend nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Ich weiß es nicht“, „Es ist nicht geklärt“ oder „Es ist nicht beantwortbar“.


Ich sehe ein, dass es darüberhinaus philosophische Fragestellung zu einer Art allgemeinen Wissens-Agnostik gibt. In diesem Sinne sind alle Menschen mit wissenschaftlichem Weltbild Agnostiker, aber in der gängigen Definition nicht, weil manche Menschen Alice's Glauben keine Sonderstellung gegenüber Bob und Charlize einräumen wollen. Das war damit gemeint Dawkins und anderen entschiedenen Gegnern von Theologie doch noch einen Gott unterzujubeln, indem ihnen eine neutrale Haltung gegenüber Theologie über Agnostizismus untergejubelt wird.

Die Fragestellung hat daher eventuell einen eher politischen Kontext als einen philosophischen und möglicherweise kollidieren manche Ansichten deswegen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon stine » Do 23. Dez 2010, 07:56

Schöne Beispiele Lumen, Danke!
Theologie ist die Lehre über das entstehen von Gott/Götterglauben und der Umgang damit. So jedenfalls habe ich das verstanden; theologisch betrachtet ist der Mensch mehr als die Summe seiner Körperteile.
Die Diskordianer machen sich darüber lustig und die Esoteriker geben dem seelischen (geistigen) den Vorzug.

Das alles hat aber nichts damit zu tun, dass es einen Seinsgrund geben kann oder tatsächlich gibt. Und das ist es was ein Agnostiker meint. Dieser Seinsgrund wäre für alle drei Beispiele der Ursprung, egal was der Mensch darauf aufbaut oder nicht aufbaut.

LG stine
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Do 23. Dez 2010, 11:36

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Zugegeben, es mag wohl sein, dass das menschliche Vorstellungsvermögen begrenzt und die Menge des Seinsmöglichen umfassender ist als die Menge des Denkmöglichen. In diesem Fall wäre die Undenkbarkeit oder Unvorstellbarkeit einer Sachlage kein zwingender Beweis der Unmöglichkeit derselben.

Schön, dass wir uns hier einig sind.

Allerdings lehne ich die skeptische Auffassung ab, dass zwischen Denkbarkeit/Vorstellbarkeit und Möglichkeit überhaupt kein modallogischer Zusammenhang bestehe

das ist wieder eine andere Frage. Für mein Argument reicht ein Fall, in dem der Zusammenhang nicht erwiesen werden kann.

Myron hat geschrieben:und es somit grundsätzlich unzulässig sei, von Denkbarkeit/Vorstellbarkeit auf Möglichkeit bzw. von Undenkbarkeit/Unvorstellbarkeit auf Unmöglichkeit zu schließen.

Ich müsste jetzt den Link genauer studieren (sorry, mir fehlt die Zeit), aber ich bin mir sicher, dass niemand zeigen konnte, dass das, was für uns Menschen nicht vorstellbar ist, nicht existiert. Denk einfach mal 2000 Jahre zurück. Damals lebten auch schon Menschen. Wenn wir denen sagen würden, was wir uns heute vorstellen können, wären die vermutlich voll von den Socken. Kann sein, dass es uns in 2000 auch so gehen wird. Aber ich vermute, dass es auch dann noch nicht gezeigt wurde, dass im Bereich der Empirie Vorstellbarkeit mit Möglichkeit korrelliert.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Irgendwo habe ich mal gelesen, dass 'wahr' im Sinne von 'wird sich nie mehr ändern' verstanden werden kann. Die Winkelsumme im ebenen Dreieck wird wohl ewig 180 Grad bleiben, wenn man die üblichen Begriffe verwendet. Aber im Bereich der Naturwissenschaften kann sich viel ändern, wenn man nur lange genug wartet. Selbst Sachverhalte, die man als geklärt ansah.

Du kennst doch sicher den Unterschied zwischen notwendigen Wahrheiten, die wahr sind und nicht falsch hätten sein können, und unnotwendigen (kontingenten) Wahrheiten, die wahr sind und falsch hätten sein können, oder nicht?

Ja, aber meist sind das Fragen, die für unsere Diskussion wenig relevant sind.

Myron hat geschrieben:Es kommt allerdings auch auf die Formulierung an: Der Satz "Es schneit jetzt in München" kann jetzt wahr und in der nächsten Minute schon wieder falsch sein, wohingegen der Satz "Es schneit am 23.12.2010 um 00:00 Uhr in München" immer wahr bleiben wird, wenn er am 23.12.2010 um 00:00 Uhr wahr ist. Eine solche "ewige Wahrheit" ist aber nicht unbedingt eine notwendige Wahrheit, weil es ja hätte sein können, dass es zur selben Zeit am selben Ort nicht schneit, sondern regnet.
(Dagegen hätte es nicht sein können, dass die Dreiecks-Winkelsumme nicht 180° beträgt. Diese Wahrheit ist notwendigerweise wahr.)

Mein Problem ist nicht, zu definieren, was ich unter 'wahr' verstehe, sondern zu entscheiden, ob ein Satz wahr ist. Ich vermute, dass es in dem Bereich, den sich der Mensch selber bastelt ('Konstrukte') notwendige Wahrheiten gibt, die dazu auch noch aufzeigbar wahr sind.

Im Bereich der 'Dinge' bezweifle ich das.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Hmmm, wie willst Du mit einem Gehirn, das mit Ionenströmen über Neuronenmembranen funktioniert, die Wirklichkeit wahrnehmen? Kommt ein Gegenstand in Dein Gehirn?

Der Wahrnehmungsvorgang besteht natürlich nicht darin, dass der wahrgenommene Gegenstand irgendwie in mein Gehirn befördert wird.
Der direkte Wahrnehmungsrealismus (DWR) wird nicht durch das Argument widerlegt, dass Wahrnehmungen aufgrund der komplexen physischen und neurophysiologischen Vorgänge zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmer kausal indirekt seien; denn das kann der DWR gerne zugestehen. Er behauptet nämlich nur die kognitive Direktheit des Wahrnehmens, d.h. dass beispielsweise das Sehen eines Baumes nicht im Sehen eines Baumbildes, sondern im Sehen des Baumes selbst besteht.

Schon das ist problematisch. Aber es wird noch viel komplexer, wenn Du zum 'Sehen' Krücken benötigst, wie bildgebende Verfahren. Der Zusammenhang zwischen Ding und Abbildung ist durchaus nicht trivial.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Dann sind Tatsachen aber nichts weiter als wahre Aussagesätze.

Könnte man so sehen, wenn man wüsste, dass sie wahr sind.

Nach meiner Auffassung besteht eine Tatsache als wirklicher Sachverhalt im Besessenwerden einer Eigenschaft von einem Ding oder im Zueinander-in-Beziehung-Stehen mehrerer Dinge.

Einverstanden. Meine Frage war, wie Du feststellen kannst, dass der Sachverhalt 'wirklich' ist.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Oben schriebst Du, dass knapp vorbei auch daneben ist. Mein Punkt ist, dass es Denken über Dinge und Dinge gibt. Das Verhältnis zwischen beiden scheint mir recht unbestimmt zu sein. Im Mesokosmos sieht es vielleicht besser aus, eben weil unser Gehirn in Jahrmillionen Selektion bestimmte 'Einsichten' erworben hat. Die mögen 'passen', aber ob sie 'stimmen'?

Es ist die Hauptaufgabe der Wissenschaft, unsere Wirklichkeitsvorstellungen der Wirklichkeit anzupassen, d.h. dafür zu sorgen, dass jene diese treffen und nicht verfehlen.

Eben. Aber dazu brauchst Du den 'Gottesstandpunkt'. Oder wie willst Du sonst entscheiden, ob die Anpassung gelungen ist?

Myron hat geschrieben:Vorstellungen (Gedanken, Aussagen), die die Wirklichkeit treffen, nennen wir wahr, und solche, die sie verfehlen, nennen wir falsch. Wir unterscheiden also zutreffende Darstellungen der Wirklichkeit von unzutreffenden Darstellungen (Fehldarstellungen) der Wirklichkeit.

Als Ziel ist das okay. Das Problem ist, zu merken, dass man dort ist.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Zappa » Do 23. Dez 2010, 19:45

Lumen hat geschrieben: Atheismus, im allgemeinen Sprachgebrauch, meint nichtgläubig in Bezug zu Alices Glauben, und macht keine Angabe zu Bob und Charlize.


Genau der Gedanke kam mir gestern auch noch einmal. Die alleinige Bezug des Begriffes Agnostizismus als Gegenpool zum Theismus oder Deismus ist eigentlich nicht korrekt, bzw. misst diesen beiden Positionen viel zuviel Gewicht zu.

Wir sind uns sicher alle einig, dass man Agnostiker in der Hinsicht ist, dass man niemals absolutes Wissen erlangen kann. Als Beispiel sei die Entstehung des Universums genannt. Das eingestandene nicht absolute Wissen der Physiker bezüglich der Weltentstehung allerdings mit den erfunden Geschichtchen der Religionen gleichzusetzen, oder letztere durch die eigentümliche Verwendung des Begriffes "Agnostizismus" sogar noch argumentativ zu erhöhen ist meiner Meinung nach durch nichts zu rechtfertigen (außer vielleicht der starken gesellschaftspolitischen Macht der Religionen, aber dass ist Feigheit vor dem Feind :mg: ).

Man kann auch sagen: Agnostiker hinsichtlich der Existenz eines Gottes zu sein ist wesentlich unnötiger als Agnostiker hinsichtlich der Theorien zum Übergewicht der Materie gegenüber der Antimaterien zu sein. Nicht nur weil letztere Position mehr empirische Belege für sich beanspruchen kann, sondern vielmehr, weil die Physiker eine rationale, methodenbasierte Vorgehensweise für sich beanspruchen können und ihre Argumente gerade der Kritik aussetzen. Religionen setzen nur beliebige Mythen mit brutaler Gewalt gesellschaftlich durch, da ist Agnostizismus vielleicht sogar kontraproduktiv, wenn auch in letzter erkenntnistheoretischer Konsequenz unvermeidlich.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ujmp » Fr 24. Dez 2010, 00:11

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Oben schriebst Du, dass knapp vorbei auch daneben ist. Mein Punkt ist, dass es Denken über Dinge und Dinge gibt. Das Verhältnis zwischen beiden scheint mir recht unbestimmt zu sein. Im Mesokosmos sieht es vielleicht besser aus, eben weil unser Gehirn in Jahrmillionen Selektion bestimmte 'Einsichten' erworben hat. Die mögen 'passen', aber ob sie 'stimmen'?

Es ist die Hauptaufgabe der Wissenschaft, unsere Wirklichkeitsvorstellungen der Wirklichkeit anzupassen, d.h. dafür zu sorgen, dass jene diese treffen und nicht verfehlen.

Eben. Aber dazu brauchst Du den 'Gottesstandpunkt'. Oder wie willst Du sonst entscheiden, ob die Anpassung gelungen ist?


Auf "Wirklichkeit" kann man m.E. verzichten, es geht nur um Problemelösen. Die Natur beantwortet nur die Fragen, die wir an sie stellen und sie beantwortet sie nur mit Ja oder Nein. Erkenntnis ist daher ein kreativer Prozess, denn wir müssen die Antwort immer selbst ausdenken und können dann die Natur nur noch fragen, ob sie stimmt (seit Popper: ob sie nicht stimmt). Unser Weltbild kann daher nichts anderes sein, als unsere eigene Erfindung. Es ist unsere Lösung für das Problem des Überlebens. Ich muss daher nicht wissen, ob die Newtonsche Mechanik "wirklich wahr" ist, es genügt dass ich meine Probleme mit ihrer Hilfe lösen kann. Ich kann auch auf die Wirklichkeit des Kreises verzichten. Der Kreis ist meine Lösung für meine Probleme in meiner Geometrie.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 24. Dez 2010, 00:44

Myron hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Die Mainstream-Meinung unter den 'neuen Atheisten' ist wohl heute die, dass man meinen müsse, Menschen seien nicht die Krone der Schöpfung, seinen im Gegenteil unwesentliche Pfürze im unendlichen Kosmos (und 'tertium non datur') und Menschenwürde müsse man ergo in den Ausguss der Geschichte kippen.

Kannst du die letztere Behauptung anhand von Originalaussagen belegen?!

Nun ja, diese Behauptung ist natürlich eine polemisch zugespitzte, die meinen gesammelten Eindrücken entspringt. Wenn Du ein paar Beispiele willst:

Michael Schmidt Salomon - 'Ethik für nackte Affen'

Dawkins - 'Das egoistische Gen'

Sam Harris - 'The Moral Landscape' (-> Moral ist naturwissenschaftlich begründbar)

Kritik an Wuketits soziobiologischen Auffassungen - bin zu faul zum Googeln

http://www.atheisten.org

Füge noch Wolf Singer, Peter Singer und Gerhard Roth hinzu, die habe ich oben noch vergessen.

Nimm's nicht persönlich, Du bist ganz sicher explizit nicht gemeint.

Myron hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Weil es keine Alternative geben kann zu einer binären Weltsicht - entweder Atheist oder Gläubiger - …

Welche dritte Möglichkeit siehst du zwischen dem Glauben und dem Nichtglauben an das Dasein von Göttern?
(Man beachte: Nichtglauben an das Dasein ist nicht gleich Glauben an das Nichtdasein!)

Hier hast Du hast gesnippt und somit meine (zugegebenermaßen polemische) Grundaussage entstellt. Natürlich gibt es kein Drittes zwischen Glauben und Nicht[Glauben] - das ist logisch - aber darum ging es mir nicht.

Mein Punkt war schlicht der, dass aus Nicht[Glauben] gar nicht das folgt, was ich als (von vielen explizit als Atheisten erklärten Menschen) Muster zu erkennen glaube: das läuft darauf hinaus, eine totalitäre Weltsicht zu proklamieren, die die Wahrheit für sich beansprucht, eine angebliche Vorherrschaft der Naturwissenschaft, die einzig dazu befähigt sei, die wahre Wahrheit zu erkennen und darzustellen, dass auch jegliche Normen aus der Naturwissenschaft herleitbar seine - aus dem Sein folge das Sollen. Was weiterhin bedeutet, jegliche Weltinterpretation an Männer im weißen Kittel zu delegieren und denen blind zu folgen. Was mir absurd erscheint, nicht hinreichend begründbar.

Wie gesagt: das richtet sich explizit nicht gegen Dich. Soweit ich Dich einschätzen kann, liegt das jenseits dem, was Du meinst.

Mag zwar sein, dass ich mich bezüglich meiner Interpretation irre, aber das glaube ich nicht.

Mag auch sein, dass ich off topic bin, es geht ja hier um die Wahrheit, die wahren Kategorien und da passen meine Befindlichkeiten wohl nicht so richtig.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Zappa » Fr 24. Dez 2010, 10:22

AgentProvocateur hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Welche dritte Möglichkeit siehst du zwischen dem Glauben und dem Nichtglauben an das Dasein von Göttern?
(Man beachte: Nichtglauben an das Dasein ist nicht gleich Glauben an das Nichtdasein!)

... Natürlich gibt es kein Drittes zwischen Glauben und Nicht[Glauben]


Ist nicht die Einstellung, dass diese Frage eine schlechte und unwichtige, weil prinzipiell nicht beantwortbare ist eine dritte Position? Viel wichtiger ist doch die Frage welcher der beiden "Glaubens"Kandidaten (es gibt Gott, es gibt keinen Gott) mehr Argumente für sich auf seiner Seite hat. Man muss solche Fragen doch gar nicht prinzipiell entscheiden sondern nur graduell (und die Beantwortung der Frage kann auch innerhalb der Geschichte, einer Gesellschaft oder einer Person auch wechselnd beantwortet werden).

Genauso wie die Feststellung, dass es keine Wahrheit gibt sondern immer nur eine Menge von Wahrheitskandidaten, aus denen man nach möglichst rationalen Kriterien auswählen soll (s. auch den Post von ujmp oben) aber auch nach anderen (Zweckmäßigkeit, evolutionärer Vorteil etc.)?

Ich habe oft den Eindruck, dass der Versuch die letzten Fragen zu beantworten oft mehr vernebelt als aufklärt.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Mo 10. Jan 2011, 21:13

Ah, frischer Wind in diesem Thread. Ein wenig Polemik und Zuspitzung, wunderbar. Und so schön kontrovers zu meinem Standpunkt. Ich kann mich mit kaum jemandem so schön streiten wie mit AgentProvocateur :)
Womit ich hier jetzt aber keinen Streit vom Zaun brechen will. Nur kurz nachfragen:

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Punkt war schlicht der, dass aus Nicht[Glauben] gar nicht das folgt, was ich als (von vielen explizit als Atheisten erklärten Menschen) Muster zu erkennen glaube: das läuft darauf hinaus, eine totalitäre Weltsicht zu proklamieren, die die Wahrheit für sich beansprucht, eine angebliche Vorherrschaft der Naturwissenschaft, die einzig dazu befähigt sei, die wahre Wahrheit zu erkennen und darzustellen, dass auch jegliche Normen aus der Naturwissenschaft herleitbar seine - aus dem Sein folge das Sollen. Was weiterhin bedeutet, jegliche Weltinterpretation an Männer im weißen Kittel zu delegieren und denen blind zu folgen. Was mir absurd erscheint, nicht hinreichend begründbar.

Ich fühle mich ein wenig ertappt. Arroganz, Besserwisserei und Einspurigkeit sind sicher genau die Dinge, die man Wissenschaftsgläubigen wie mir vorwerfen kann. Mir gefallen die Antworten der Naturwissenschaften in Bezug auf Plausibilität und Methodik schon sehr gut und ich habe Schwierigkeiten, auf anderen Feldern ähnlich ergiebige Aussagen zu finden. Letztens beim Hörbuch vom Dalai Lama musste ich nach etwa 10 Minuten frustriert abbrechen. In meinen Ohren klangen seine "weisen" Ausführungen einfach nur nach Wischi-Waschi-Brei. Willkürlich, beliebig, unlogisch und unbegründet. Daher meine Frage: was sollte aus deiner Sicht die Vorherrschaft der Naturwissenschaft brechen? An wen sollte ich die Weltinterpretation sonst delegieren? Wer hat bessere Argumente? Wer außer den Wissenschaftlern hat überhaupt Argumente, die diesen Namen verdienen?

Ich gebe zu, es klingt gefährlich monopolistisch, alles auf die Karte Naturwissenschaft zu setzen. Aber diese Karte hat ja unzählige Unterfraktionen. Es gibt kaum zwei Wissenschaftler, die genau gleicher Meinung sind. Insofern erscheint mir das gar nicht als Monopol sondern eher als großer Garten, aus dem ich mir die Blumen pflücke, die mir am meisten gefallen, und aus denen ich dann meine Version einer Weltinterpretation zusammenstelle. Kann man das auch anders machen?
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 12. Jan 2011, 21:54

Zappa hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:... Natürlich gibt es kein Drittes zwischen Glauben und Nicht[Glauben]

Ist nicht die Einstellung, dass diese Frage eine schlechte und unwichtige, weil prinzipiell nicht beantwortbare ist eine dritte Position?

Nein, es gibt mE keine dritte Position bei der Frage: "glaubst Du an X?". Entweder glaubt man an X oder nicht. Ganz egal, was X hier ist.

Das ist ja nicht die Frage, ob es X tatsächlich gibt, ob es sinnvoll ist, an X zu glauben, ob es hinreichende Indizien / Hinweise / Beweise / etc. für X gibt - das ist schlicht eine andere Frage.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 12. Jan 2011, 22:15

ganimed hat geschrieben:Mir gefallen die Antworten der Naturwissenschaften in Bezug auf Plausibilität und Methodik schon sehr gut und ich habe Schwierigkeiten, auf anderen Feldern ähnlich ergiebige Aussagen zu finden. [...] Daher meine Frage: was sollte aus deiner Sicht die Vorherrschaft der Naturwissenschaft brechen? An wen sollte ich die Weltinterpretation sonst delegieren?

Es gibt nicht nur Naturwissenschaft, es gibt z.B. auch Philosophie, Psychologie, Jurisprudenz, Geschichtswissenschaft, Soziologie, Kunst. Und all dies ist zumindest meiner Ansicht nach unter bestimmten Umständen sehr viel hilfreicher als Naturwissenschaft es in diesen bestimmten Fragestellungen jemals sein kann.

Es gibt gar keine "Vorherrschaft der Naturwissenschaften", das ist meiner Ansicht schlichter Unsinn, sorry. Und alle, die das dennoch ernsthaft glauben, (und das sind leider gar nicht so wenige, musste ich in letzter Zeit feststellen - und, ja, das nenne ich 'Szientismus' = 'Wissenschaftsgläubigkeit'), haben meiner bisherigen Erfahrung nach ernsthaft einen an der Klatsche; die blenden schlicht einen Großteil dessen, was vielen Leuten wichtig im Leben ist, einfach aus und behaupten, das sei 'in Wahrheit' gar nicht wichtig, (was auch immer das bedeuten mag - das sagen sie wohlweislich nicht).

Und nachvollziehbare Argumente dafür habe ich noch niemals auch nur ein einziges gesehen. Wirklich noch niemals. Nur als Postulat, als unhinterfragbares Axiom, d.h. als Dogma taucht es auf.

Und das finde ich ernsthaft vollkommen absurd: ich bin auch deswegen Atheist, weil ich Autoritäten nicht blind vertraue, Dogmen ablehne, mir meine eigenen Gedanken mache und keinen Heilsbringern folgen will. Auch wenn das Naturwissenschaftler sind, das ist mir völlig egal, auch die reden manchmal Bullshit. Ich kann sehr wohl erkennen, wenn Naturwissenschaftler ihren naturwissenschaftlichen Bereich überschreiten und sich zum Beispiel als die wahren Philosophen hervortun wollen. Das ist oft einfach nur peinlich.

Wenn der Kaiser nackt ist, dann ist es wichtig, das erkennen zu können. Auch wenn der Kaiser ein hochlöblicher Naturwissenschaftler ist: wenn er nackt ist, dann ist er nackt.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Do 13. Jan 2011, 20:05

AgentProvocateur hat geschrieben:Es gibt nicht nur Naturwissenschaft, es gibt z.B. auch Philosophie, Psychologie, Jurisprudenz, Geschichtswissenschaft, Soziologie, Kunst.

Philosophie und Kunst sehe ich als Disziplinen, wo mir Leute ihre Weltsicht anbieten, die sie aber mehr oder weniger verschlüsselt verkaufen. Es wird in Metaphern, Bildern und eigenen Sprachen kommuniziert, subjektiv und emotional verbrämt. Selbst wenn da hier und dort mal die Wahrheit dabei sein sollte, so scheint mir dieses Verfahren doch recht ineffizient und sehr willkürlich. Es gibt eigentlich nur ein Kriterium, aus diesen Töpfen eigene Wahrheiten zu erkennen: man entscheidet nach Gefühl, ob es einen abspricht, ob es zu einem passt. Man entscheidet auf gut Glück. Bei der Naturwissenschaft hat man etwas mehr Entscheidungshilfen, weil ja die Theorien und Ansichten überprüft, diskutiert und abgeklopft werden. Falsifizierbarkeit scheint mir hier der entscheidende Vorteil zu sein.

Die anderen von dir genannten Felder sind immerhin Wissenschaften. Die würde ich in diesem Kontext mit in den Topf der Alleinherrscher werfen.

Es mag ja sein, dass der Kaiser hin und wieder nackt ist (natürlich reden auch Wissenschaftler manchmal Blödsinn), aber deswegen wähle ich längst noch nicht irgendeinen Dahergelaufenen als Ersatzkaiser. Die Naturwissenschaft hat nicht deshalb bei mir die Alleinherrschaft, weil sie nie nackt wäre, sondern weil alle anderen nicht nur auch nackt sondern darüberhinaus auch ungeeignet sind.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Lumen » Fr 14. Jan 2011, 01:40

Ich halte diese Art der Diskussion auch eher für einen Mindfuck. Wissenschaftliches Denken halte ich für eine verfeinerte, Methode gewordene Denkweise die allen Menschen angeboren ist. Es ist keine übergestülpte fremdartige Idee, sondern im Grunde das, was auch schon kleine Kinder beherrschen, wenn sie ihre Eltern durch ewige „Warum?” in den Wahnsinn treiben.

Es passiert ab und zu, dass Darwin zum Gegen-Jesus der angeblichen Wissenschafts-Religion stilisiert wird. Ich habe aber den Eindruck, dass solche Darstellungen aus dem religiösen Lager vor allem aus den USA stammen (und nicht mal unbedingt böse gemeint sind). Menschen, die streng religiös sind, verstehen unter Umständen nicht, dass wir nicht Darwin glauben, so wie selbst an Jesus glauben, sondern dass unabhängige Belege für eine Theorie sprechen, die lediglich einmal von Darwin erdacht wurde (wobei Darwin insbesondere durch die Kreationismus/ID Debatte zum Sinnbild der Wissenschaften geworden ist, und somit für viele dort anscheinend eben der Wissenschafts-Jesus).

Ästhetik und andere Bereiche enthalten auch Wahrheiten (z.B. halte ich Occam's Razor für ein ästhetisches Prinzip), aber am Ende ist es Mindfuck, ob es nun Teilbereich der Wissenschaft ist (gibt ja Kunstwissenschaften) oder als was anderes gilt, damit steht und fällt das menschliche Denken nicht. Der Witz bei solchen Argumentation ist doch am Ende nur, der Religion doch noch irgendwie eine Daseinsberechtigung (NOMA usw) einzuräumen — da gibt es ja anscheinend einige die viel Energie investieren, für Gott und Jesus doch noch eine heimelige Ecke zu finden, wo sie unbehelligt sind.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Nanna » Fr 14. Jan 2011, 02:00

Um mal den advocatus diaboli zu spielen: Epistemologisch ist die Wissenschaft nicht weniger dogamtisch oder zirkulär oder enthält nachweislich mehr Wahrheit als die Theologie. Sie ist ein in sich sicherlich wesentlich geschlosseneres und logischeres System als die Theologie und der Gipfel ist sicherlich die Mathematik. Gerade bei dieser wird aber auch besonders offen deutlich, wie sie auf Axiomen basiert, also auf letztlich unbewiesenen Prämissen. Es spricht sicherlich viel vernünftiges dafür, dem wissenschaftlichen Diskurssystem den Vorzug vor der theologischen zu geben, schon allein wegen der zahlreichen Anwendungen, die die Wissenschaft bei der Lösung von praktischen Problemen bereitstellt. Ob sich daraus schon so einfach ableiten lässt, dass in der Wissenschaft mehr ontologische Wahrheit liegt, ist aber zu bezweifeln.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon stine » Fr 14. Jan 2011, 08:45

Man kann der Wissenschaft nur zugute halten, dass sie nicht stillsteht.
Aber anscheinend bewegt sich der Papst auch, was man so hört...

LG stine
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Sa 15. Jan 2011, 16:41

Nanna hat geschrieben:Um mal den advocatus diaboli zu spielen: Epistemologisch ist die Wissenschaft nicht weniger dogamtisch oder zirkulär oder enthält nachweislich mehr Wahrheit als die Theologie. Sie ist ein in sich sicherlich wesentlich geschlosseneres und logischeres System als die Theologie und der Gipfel ist sicherlich die Mathematik. Gerade bei dieser wird aber auch besonders offen deutlich, wie sie auf Axiomen basiert, also auf letztlich unbewiesenen Prämissen. Es spricht sicherlich viel vernünftiges dafür, dem wissenschaftlichen Diskurssystem den Vorzug vor der theologischen zu geben, schon allein wegen der zahlreichen Anwendungen, die die Wissenschaft bei der Lösung von praktischen Problemen bereitstellt. Ob sich daraus schon so einfach ableiten lässt, dass in der Wissenschaft mehr ontologische Wahrheit liegt, ist aber zu bezweifeln.



Das ist aber nicht, was Wissenschaft zu Wissenschaft macht, sondern das ist nur ein derzeitiger Zustand "der Wissenschaft"; und die Wissenschaften haben sich so unterschiedlich entwickelt... "Wissenschaft" steht nicht deswegen sicher, weil sie ein Fundament hat, sondern weil verschiedenste Sätze ihrer sich gegenseitig stützen; (ohne jetzt damit sagen zu wollen, dass Wissenschaften zumeist redundant seien); es ist nicht der Fall, dass, wenn aus der Wissenschaft ein vermeintliches Axiom entfernt würde, alle anderen Sätze dieses Bereiches der Wissenschaft ihre Gültigkeit verlören.
Es wäre also lieb, wenn du ein einzelnes solcher "Axiome" aus irgendeiner Wissenschaft entfernen würdest, sodass alle weiteren Sätze jener Wissenschaft hiernach zusammenbrechen. Es müsst wohl ein Satz sein wie 'dass es Beobachtungen gibt'; zusammen aber mit mindestens einem zweiten Satz, weil sonst ja gar keine Schlüsse zusammenkommen würden, es sei denn 'dass es Beobachtungen gibt' würde weiter analysiert werden, etwa in 'dass es Entitäten gibt' - ein derart basal erscheinender Satz setzt also wiederum Wissen von anderen Entitäten voraus -- ich strapaziere das Beispiel jetzt nicht weiter. Auch die Mathematik leugnet nicht ihre Dependendenz auf Beobachtungen; schon Platon hat sie doch darauf aufmerksam gemacht.
Selbst du musst den Satz 'dass es Beobachtungen gibt' annehmen, denn sonst könntest du kein Urteil über die Beobachtung fällen, dass in der Mathematik Axiome vorkommen; damit hättest du dann auch schon wieder angenommen, dass es Entitäten gibt. Kurz: ich weiß schlecht, wie du ohne "Axiome" überhaupt urteilen könntest. Ich weiß aber natürlich auch nicht, ob es dein Ziel war, "vorraussetzungslos" urteilen zu wollen. Wenn du aber mindestens die fast soviele Sätze annehmen musst, wie es die Wissenschaft tut, um ein einschätzendes Urteil über die Wissenschaft bezüglich der Annahme von Sätzen zu fällen, so schränkt das die Stärke (und Glaubwürdigkeit) deines Urteiles doch erheblich ein.

Ontologische Wahrheit ist auch eine lustige Verbindung: sie suggeriert, dass Wahrheit eine Substanz sei, die den wahren Sätzen beigemischt sei, andere Sätze dieselbe allerdings vermissen. Was aber auch immer ontologische Wahrheit sei, damit wäre angenommen, dass es Wahrheit gibt, dass es Ontologisches gibt,...


Ein sehr getrollter thread ist das hier.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Nanna » Sa 15. Jan 2011, 16:56

Schön gesagt, sehe gerade keinen Grund zu widersprechen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Sa 15. Jan 2011, 17:00

Ach, aber du hast doch schon die Rolle des Widersprechers eingenommen; versuch es doch bitte.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ujmp » Sa 15. Jan 2011, 21:49

Mathematik ist keine Wissenschaft, sondern ein Regelwerk. Die Regeln, die ich selbst aufstelle sind natürlich immer "wahr", wobei "wahr" in der Mathematik "den Regeln entsprechend" bedeutet.

Eine Theorie der empirischen Wissenschaft ist eine Erwartung, wobei "wahr" hier "erwartungsgemäß" bedeutet. Ein Urteil über die Wahrheit einer Theorie lässt sich also sinnvoll abgeben. Die Theorie "bei 100°C kocht Wasser" beinhaltet ganz konkrete Erwartungen. Sie beinhaltet Vorstellungen davon, was Wasser ist, was Kochen ist und was Temperatur ist bzw. wie sie gemessen wird. Von diesen Vorstellungen (die wiederum Erwartungen sind) und der Beobachtung hängt das Urteil über den Wahrheitsgehalt der Theorie ab. M.E. hat eine empirisch wissenschaftliche Theorie einen sehr viel höheren Wahrheitsgehalt - oder nennen wir es mal Wahrheitswert- als die willkürlichen Dogmen der Theologie. Ich kann aber niemanden davon abhalten, der Theologie Respekt zu zollen, als sie sie irgend etwas Wichtiges, worüber sich noch nachzudenken lohne - obwohl ich dies lächerlich finde.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Mo 17. Jan 2011, 21:58

ujmp hat geschrieben:Mathematik ist keine Wissenschaft, sondern ein Regelwerk. Die Regeln, die ich selbst aufstelle sind natürlich immer "wahr", wobei "wahr" in der Mathematik "den Regeln entsprechend" bedeutet.

Hm, ob das so stimmt? Ich bin kein Experte, aber Mathematik kann man doch anwenden auf die Realität. Mathematische Modelle kann man im Experiment überprüfen. Aufgestellte Regeln sind nur dann wahr, wenn man sie beweisen kann und wenn sie widerspruchsfrei mit dem ganzen Rest bleiben. Es gibt außer Regeln noch Vermutungen und Theorien. Für mich klingt das alles nach einer vollgültigen Wissenschaft.
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