Agnostizismus vs. Atheismus

Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Mi 20. Okt 2010, 11:06

Zappa hat geschrieben:Ist das nicht eine sehr theoretisch Sicht auf die Dinge?

selbstverständlich. Die Frage nach einer Ontologie ist immer 'theoretisch'. In etwa wie die Frage nach der Grammatik einer Sprache. Muttersprachler beschäftigen sich mit Grammatik bei Sprechen oder Schreiben so wenig mit Grammatik wie ein Wissenschaftler mit Wissenschaftstheorie oder Ontologie, wenn er konkret forscht.

Zappa hat geschrieben:Ein Naturwissenschaftler würde wohl eher sagen es kommt entscheidend darauf an, wie wir die Liste aufstellen und selber wie folgt arbeiten:

Eben. Ich habe nicht geschrieben, dass die Liste willkürlich ist. Mahner geht als Naturwissenschaftler von der Erkenntnis aus, dass die naturwissenschaftlcihe Methode funktioniert. Dann überlegt er sich, wie wohl eine Welt beschaffen sein müsste, die das erklärt. Und so entsteht dann die Liste, für Mahner selbstverständlich ohne Designer.

Zappa hat geschrieben:1. Es gibt Messdaten für die wir eine Theorie haben (Dinge),

Hier wird es schon philosophisch. Man muss sehr viel Klarheit in Richtung Ontologie herstellen, um überhaupt einschätzen zu können, was 'Messdaten' sind.

Zappa hat geschrieben:2. Messdaten für die wir keine Theorie haben (mögliche Dinge oder Messfehler),
3. theoretische Aussagen die prinzipiell nicht messbar/falszifizierbar sind (mögliche Wunder oder einfach ein Unding) und
4. theoretisches Aussagen, die prinzipielle falszifizierbar sind die wir derzeit aber noch nicht messen können (da muss erst der neue Linearbeschleuniger fertig sein ....). (Die eigentlich spannenden Theorien).

Philosophie hin oder her, auf diese Reihenfolge könnten wir uns problemlos einigen.

Zappa hat geschrieben:Gott würde unter 3 fallen und zunehmend mehr fällt unter die anderen Punkte (insofern wird 3 immer weniger relevant/wahrscheinlich).

Sehe ich auch so, mit der Ausnahme, falls jemand behauptet, dass Gott nicht eingreift. Dann stellt sich aber die Frage Dawkins: 'Welcher Unterschied besteht zwischen einem Universum mit so einem Wesen und einem ohne dieses?'

Zappa hat geschrieben:Das solche Theoreme "noch nicht einmal falsch sind" , interessiert sich der Wissenschaftler nur wenig dafür.

Er muss sich nur klar darüber sein, dass 'interessiert mich nicht, da mit meiner Methodik nicht behandelbar' kein gültiges ontologisches Argument ist.

Zappa hat geschrieben:Es gibt natürlich auch Leute, dies sich die Liste der Entitäten zusammen denkt oder zusammen liest, aber die ist dann natürlich beliebig.

Oder eben anders als naturwissenschaftlich 'begründet'.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Mi 20. Okt 2010, 16:15

El Schwalmo hat geschrieben:Du hast Dich vor einiger Zeit mit Darwin Upheaval über Ontologie gekabbelt. Darwin Upheaval vertritt die Ontologie von Mahner, nach der gibt es gar keinen Agnostizismus.
Das Argument lautet in etwa wie folgt: eine Ontologie ist im Prinzip eine Liste aller Entitäten und deren Eigenschaften, die in einem Weltbild vorkommen ('the world's furniture'). Wenn in dieser Liste ein Gott enthalten ist, so ist man Theist (oder Deist, je nach Art des Gottes), falls nicht, ist man Atheist. Allerdings ist der Agnostizismus 'eingepreist': Die gesamte Ontologie steht unter Fallibilitätsvorbehalt. Dieser 'Agnostizismus' ist dann umfassend, er geht so weit, dass die Existenz einer unabhängig vom Subjekt existierenden Welt lediglich als (allerdings extrem plausible) Hypothese vertreten wird ('hypothetischer Realismus'). Die Gottesfrage ist dann nur eine unter vielen, streng genommen nicht einmal eine besonders wichtige.


Wenn unter Atheismus einfach die Abwesenheit des Gottesglaubens verstanden wird, dann sind freilich alle entweder Theisten oder Atheisten. Das heißt, dann sind auch die Glaubensagnostiker, d.i. die Neutralisten, Atheisten, da diese ja nicht an die Existenz von Göttern glauben. Aber man kann eben auch ein neutraler Atheist sein, der im Gegensatz zu den nichtneutralen Antitheisten weder an die Existenz noch an die Nichtexistenz von Göttern glaubt. Der Agnostizismus als Neutralismus existiert also sehr wohl als einer von drei möglichen Standpunkten.
Der Agnostizismus als rein erkenntnistheoretischer, d.h. nicht glaubens-, sondern wissensbezogener Standpunkt ist etwas anderes. Den Glaubensagnostizimus bezeichne ich als Neutralismus, und den Wissensagnostizismus kann man auch als Skeptizismus bezeichnen. So gibt es sowohl skeptische Theisten als auch skeptische Antitheisten, die nicht behaupten zu wissen oder dass es gewiss ist, dass es (keine) Götter gibt; aber es kann natürlich keine neutralen Theisten oder neutralen Antitheisten geben. Der Skeptizismus kann in relativer oder absoluter Form auftreten, d.h. er kann sich z.B. nur auf die Wissbarkeit des Daseins von Göttern oder auf die Erreichbarkeit von Wissen im Allgemeinen beziehen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Zappa » Mi 20. Okt 2010, 22:33

El Schwalmo hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Ist das nicht eine sehr theoretisch Sicht auf die Dinge?

selbstverständlich. Die Frage nach einer Ontologie ist immer 'theoretisch'. In etwa wie die Frage nach der Grammatik einer Sprache. Muttersprachler beschäftigen sich mit Grammatik bei Sprechen oder Schreiben so wenig mit Grammatik wie ein Wissenschaftler mit Wissenschaftstheorie oder Ontologie, wenn er konkret forscht.


Das ist nicht ganz das was ich meinte. Ich wollte sagen, man kann bloß theoretisieren oder versuchen - z.B. mittels Beobachtung - die theoretischen Erkenntnisse abzusichern und zu prüfen. Den Entitäten sozusagen sinnliche Essenz zu geben :mg:

Aber Du hast insofern Recht, als die Ontologie definitorisch eine Disziplin der theoretischen Philosophie ist.

@Myron: Ich verstehe nur nicht, was uns diese ganzen Kategorisierungen lehren sollen?
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Mi 20. Okt 2010, 23:06

Zappa hat geschrieben:@Myron: Ich verstehe nur nicht, was uns diese ganzen Kategorisierungen lehren sollen?


Klare begriffliche Unterscheidungen sorgen für Klarheit im Kopf.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Zappa » Do 21. Okt 2010, 08:36

Lehrt uns das die Scholastik :hust:

Im Ernst: Meiner Meinung nach kann man sich auch in begrifflichen Definitionen verrennen, wenn diese wenig Substanz und kaum Relevanz haben. Es gibt dann doch wichtigerer Themen, will aber hier in der Diskussion nicht weiter quer schiessen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Sa 23. Okt 2010, 18:27

Myron hat geschrieben:Weltanschauliche Einstellungen und Neigungen lassen sich natürlich nicht genau messen. Der Sache wohnt zwangsläufig eine gewisse Unschärfe inne. Die Mitte ist also eher ein vages Intervall als ein exakter Punkt. Selbst wenn man, sagen wir, bei 60:40 pro Theismus bzw. Antitheismus liegt, kann man sich dafür entscheiden, diesen (noch) nicht zu bejahen, weil man für sich festgelegt hat, dass man ihn z.B. erst ab 75:25 bejaht.

Dann sind Agnostiker also Wesen, die einfach nur vorsichtiger sind als andere. Sie behalten ihre interne Hochrechnung für sich und behaupten nach außen hin, noch kein Urteil fällen zu können. Vielleicht bin ich da ein wenig zu ungnädig, aber mir erscheint im erwähnten Szenario der Agnostizismus als aufgesetzt. Intern hat man die 60:40 Datenlage, also Grund Theist zu sein und nach außen hin behauptet man, eine 50:50 Position inne zu haben. Nicht ganz aufrichtig.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Sa 23. Okt 2010, 21:09

ganimed hat geschrieben:Vielleicht bin ich da ein wenig zu ungnädig, aber mir erscheint im erwähnten Szenario der Agnostizismus als aufgesetzt. Intern hat man die 60:40 Datenlage, also Grund Theist zu sein und nach außen hin behauptet man, eine 50:50 Position inne zu haben. Nicht ganz aufrichtig.


Man kann leicht zum Theismus bzw. Antitheismus tendieren und dennoch von einer Bejahung absehen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Sa 23. Okt 2010, 22:23

ganimed hat geschrieben:Dann sind Agnostiker also Wesen, die einfach nur vorsichtiger sind als andere. Sie behalten ihre interne Hochrechnung für sich und behaupten nach außen hin, noch kein Urteil fällen zu können.

für mich ist Agnostizismus eine epistemische Position, Atheismus eine pragmatische (daher bezeichne ich mich als atheistischer Agnostiker). Die 'interne Hochrechnung' führt zum Schluss, dass ich die Gottesfrage nicht entscheiden kann, daher muss ich mich eines Urteils enthalten. Das ist Agnostizismus. Aber ich muss handeln. Die 'interne Hochrechnung' führt dazu, dass ein Gott nicht hinreichend plausibel ist, um mein Leben danach auszurichten. Das ist dann Atheismus.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Sa 23. Okt 2010, 22:42

El Schwalmo hat geschrieben:Die 'interne Hochrechnung' führt zum Schluss, dass ich die Gottesfrage nicht entscheiden kann, daher muss ich mich eines Urteils enthalten.


Dem liegt aber ein besonderes Gebot zugrunde:

Wenn man nicht weiß oder nicht wissen (objektiv entscheiden) kann, ob A, dann soll man weder glauben, dass A, noch glauben, dass ~A.

Mit anderen Worten:

Man soll nur das glauben, was man weiß.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Sa 23. Okt 2010, 23:14

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Die 'interne Hochrechnung' führt zum Schluss, dass ich die Gottesfrage nicht entscheiden kann, daher muss ich mich eines Urteils enthalten.


Dem liegt aber ein besonderes Gebot zugrunde:

Wenn man nicht weiß oder nicht wissen (objektiv entscheiden) kann, ob A, dann soll man weder glauben, dass A, noch glauben, dass ~A.

Mit anderen Worten:

Man soll nur das glauben, was man weiß.

ich habe einmal eine Vorlesung besucht, bei der ein Missionar aus seiner Tätigkeit berichtete. Der definierte 'Glauben' in Richtung auf 'seine ganze Existenz gründen auf ...', IIRC basierend auf mhd 'galubain'.

So gesehen trifft das, was Du geschrieben hast, für ein evidenzbasiertes Weltbild, wie das eines Agnostikers, durchaus zu.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Mo 25. Okt 2010, 18:24

Myron hat geschrieben:Man kann leicht zum Theismus bzw. Antitheismus tendieren und dennoch von einer Bejahung absehen.

Wenn ich jemanden frage: "glaubst du, dass es vor acht Uhr ist oder danach?"
Dann kann der Befragte natürlich sagen: "ich weiß es nicht".
Dann frage ich ihn, "was glaubst du denn?"
Der Befragte antwortet: "ich habe nicht genug Informationen. Ich habe keine Uhr und kann es deshalb prinzipiell nicht wissen. Also glaube ich weder, dass es vor acht, noch dass es nach acht ist."
An dieser Stelle verstehe ich die agnostische Position nicht. Ich finde die Antwort albern und unlogisch. Wieso kann man nicht einfach die vorliegenden Informationen nehmen und schätzen?

El Schwalmo hat geschrieben:Die 'interne Hochrechnung' führt zum Schluss, dass ich die Gottesfrage nicht entscheiden kann, daher muss ich mich eines Urteils enthalten.

Du klingst wie ein Richter. Du sollst aber doch gar kein Urteil sprechen (mit weitreichenden Folgen für Verurteilte und was nicht alles). Du sollst nur eine Abschätzung vornehmen, dir eine Meinung bilden, eine Position vertreten. Was mich deshalb interessieren würde: wieso ziehst du es vor, keine Position einzunehmen? Was ist der Grund für diese, aus meiner Sicht übertriebene, Vorsicht?

El Schwalmo hat geschrieben:ich habe einmal eine Vorlesung besucht, bei der ein Missionar aus seiner Tätigkeit berichtete. Der definierte 'Glauben' in Richtung auf 'seine ganze Existenz gründen auf ...', IIRC basierend auf mhd 'galubain'.

Diese Definition von "Glauben" würde deine große Vorsicht begründen. Wenn die Ausrichtung des ganzen Lebens davon abhängt, überlegt man sich das lieber ganz genau. Dann würde mich allerdings interessieren, wieso du ausgerechnet diese doch etwas spezielle Definition verwendest.
Und nehmen wir doch für den Moment mal eine im Alltag gebräuchlichere Definition von "Glauben": Meinst du, schätzt du, vermutest du, dass es einen Gott gibt?
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Mo 25. Okt 2010, 20:16

ganimed hat geschrieben:…An dieser Stelle verstehe ich die agnostische Position nicht. Ich finde die Antwort albern und unlogisch. Wieso kann man nicht einfach die vorliegenden Informationen nehmen und schätzen?


Wie gesagt, selbst wenn gewisse Anhaltspunkte gegeben sind, kann man von einem Urteil pro oder contra absehen, wenn man diese für unzureichend erachtet und sich möglichst nicht irren will.

ganimed hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:ich habe einmal eine Vorlesung besucht, bei der ein Missionar aus seiner Tätigkeit berichtete. Der definierte 'Glauben' in Richtung auf 'seine ganze Existenz gründen auf ...', IIRC basierend auf mhd 'galubain'.

Diese Definition von "Glauben" würde deine große Vorsicht begründen.


Im maßgeblichen Grimm'schen Wörterbuch finde ich diese Deutung nicht:

http://www.woerterbuchnetz.de/DWB/wbgui ... ma=glauben
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Mark » Di 26. Okt 2010, 17:52

Wie richten wir denn unser Leben auf bis jetzt noch unbekannte aber zweifelsohne vorhandene Naturgesetze aus ?
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Di 26. Okt 2010, 18:13

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:ich habe einmal eine Vorlesung besucht, bei der ein Missionar aus seiner Tätigkeit berichtete. Der definierte 'Glauben' in Richtung auf 'seine ganze Existenz gründen auf ...', IIRC basierend auf mhd 'galubain'.


Im maßgeblichen Grimm'schen Wörterbuch finde ich diese Deutung nicht:

http://www.woerterbuchnetz.de/DWB/wbgui ... ma=glauben

stimmt, ich hatte das vor Jahren auch schon mal nachgeschlagen. Bei Theologen habe ich diese Deutung öfter gefunden, aber die Etymologie bisher nicht über 'galubain'. Am ehesten würde noch 'gilouben' oder got. 'galaubjan' passen. Der Gehalt ist aber durchaus mit dem kompatibel, was im Grimmschen Wörterbuch weiter hinten steht.

Der Punkt war aber ein anderer: es ging darum, dass man unter 'glauben' mehr als 'nicht wissen' verstehen kann, und dass Theologen exakt diesen anderen Sinn vewenden. Das muss man beachten, wenn man derartige Texte liest.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Di 26. Okt 2010, 18:21

ganimed hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Die 'interne Hochrechnung' führt zum Schluss, dass ich die Gottesfrage nicht entscheiden kann, daher muss ich mich eines Urteils enthalten.

Du klingst wie ein Richter. Du sollst aber doch gar kein Urteil sprechen (mit weitreichenden Folgen für Verurteilte und was nicht alles). Du sollst nur eine Abschätzung vornehmen, dir eine Meinung bilden, eine Position vertreten.

das habe ich doch explizit gemacht: ich bin atheistisch lebender Agnostiker.

ganimed hat geschrieben:Was mich deshalb interessieren würde: wieso ziehst du es vor, keine Position einzunehmen?

Sorry, ich vertrete doch eine Position: Die Gottesfrage ist nicht entscheidbar.

ganimed hat geschrieben:Was ist der Grund für diese, aus meiner Sicht übertriebene, Vorsicht?

Intellektuelle Redlichkeit und jahrelange Diskussionen mit Theologen, die sich hinsichtlich Bildung oder Intelligenz mit Sicherheit nicht vor mir zu verstecken brauchten und die ich als Mensch schätzte. Ich bilde mir ein, ziemlich genau zu wissen, was man mit Anspruch auf Geltung vertreten kann und was nicht.

ganimed hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:ich habe einmal eine Vorlesung besucht, bei der ein Missionar aus seiner Tätigkeit berichtete. Der definierte 'Glauben' in Richtung auf 'seine ganze Existenz gründen auf ...', IIRC basierend auf mhd 'galubain'.

Diese Definition von "Glauben" würde deine große Vorsicht begründen. Wenn die Ausrichtung des ganzen Lebens davon abhängt, überlegt man sich das lieber ganz genau. Dann würde mich allerdings interessieren, wieso du ausgerechnet diese doch etwas spezielle Definition verwendest.

Weil die in 'gewissen Kreisen' Standard ist. Und ich habe mir das ganz genau überlegt: Ich lebe ohne die Annahme, dass es einen Gott gibt, ohne ausschließen zu können, dass es ihn gibt. Sollte er mich nach meinem Tode fragen, warum ich ihn nicht erkannt habe, würde ich mich auf Russell berufen ('Not enough evidence ...').

ganimed hat geschrieben:Und nehmen wir doch für den Moment mal eine im Alltag gebräuchlichere Definition von "Glauben": Meinst du, schätzt du, vermutest du, dass es einen Gott gibt?

Die Frage hägt davon ab, was Du unter 'Gott' verstehst. Hinsichtlich vieler Gottesbilder bin ich Atheist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Zeus gibt. Aber wenn man unter 'Gott' den 'Gott der Philosophen' versteht, den Urgrund des Seins, der nicht existiert, sondern subsistiert (also die Existenz im Sein hält), bin ich mir nicht sicher. Auf der einen Seite sind mir diese Konzepte nicht klar, auf der anderen Seite würde so ein Wesen doch einiges erklären.

Ich halte es da wie

Monton, B. (2009) 'Seeking God in Science. An Atheist Defends Intelligent Design' Toronto, Broadview Press


Der ist Atheist, obwohl er einräumt, dass doch einiges für Intelligent Design spricht. Aber eben zu wenig, um ihn zum Theisten zu machen.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Di 26. Okt 2010, 19:01

Myron hat geschrieben:Wie gesagt, selbst wenn gewisse Anhaltspunkte gegeben sind, kann man von einem Urteil pro oder contra absehen, wenn man diese für unzureichend erachtet und sich möglichst nicht irren will.

Selbstverständlich kann man das. Wenn man sich auf keinen Fall irren will, sollte man sogar von jedem Urteil absehen. Aber ich sehe in deiner Antwort zwei Gründe für die Urteilsenthaltung:
1) Hinweise sind unzureichend und
2) man möchte sich nicht irren.

Und (1) verstehe ich nicht. Wofür sollen die Hinweise unzureichend sein? Beim Abschätzen, Annehmen, Glauben ist doch ein Irren per Definition erlaubt. Wie kann die Datenlage also unzureichend sein? Ich zögere daher, diesen Grund der angeblich nicht ausreichenden Informationen anzuerkennen.

Der Grund (2) erscheint mir akzeptabler, wobei ich aber im Einzelfall den Agnostiker noch gerne fragen würde, wieso ein mögliches Irren ihm denn so viel ausmacht. Diese "Übervorsicht" scheint mir erläuterungsbedürftig.

Oder um es nochmal anders auszudrücken: du sagst "man kann". Das stimmt. Ich frage aber "wieso sollte man?"
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon Myron » Di 26. Okt 2010, 19:18

El Schwalmo hat geschrieben:Der Punkt war aber ein anderer: es ging darum, dass man unter 'glauben' mehr als 'nicht wissen' verstehen kann, und dass Theologen exakt diesen anderen Sinn vewenden. Das muss man beachten, wenn man derartige Texte liest.


"Glauben" schwankt zwischen "glauben, dass" (= "es für wahr halten, dass") und "glauben an" (= "vertrauen/sich verlassen auf"). Im theologischen Kontext ist der letztere Aspekt von entscheidender Bedeutung.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Di 26. Okt 2010, 19:24

El Schwalmo hat geschrieben:Sorry, ich vertrete doch eine Position: Die Gottesfrage ist nicht entscheidbar.

Mit Position meinte ich eine Antwort auf die Frage: "glaubst du, dass es einen Gott gibt?"
Das ist ja nunmal eine Ja/Nein Frage. So wie in einem amerikanischen Gerichtsfilm, wenn ein Anwalt den Zeugen um ein eindeutiges Ja oder Nein bittet. In diesem Sinne beziehst du keine Position und antwortest einfach nicht, wenn ich recht verstehe.

El Schwalmo hat geschrieben:Ich bilde mir ein, ziemlich genau zu wissen, was man mit Anspruch auf Geltung vertreten kann und was nicht.

Ein interessanter Ausruck: "mit Anspruch auf Geltung vertreten". Meinst du damit "wissen"? Es klingt so, als meintest du eher nicht "schätzen", "annehmen" oder "vermuten". Sollten meine Schwierigkeiten, deine Position zu verstehen, nur mit unterschiedlichen Wortdefinitionen zu tun haben?

El Schwalmo hat geschrieben:Ich halte es da wie ... Monton ... Der ist Atheist, obwohl er einräumt, dass doch einiges für Intelligent Design spricht. Aber eben zu wenig, um ihn zum Theisten zu machen.

Ich versuche mal, deine Position mit Worten auszudrücken, die ich wählen würde: "ich glaube nicht an Gott, ich bin Atheist. Aber ich halte es für möglich, dass ich mich irre und dass es doch einen Gott gibt." Na? War das nun so schwer?
Du wärst demnach, wenn man das Wort "glauben" in meiner Definition verwendet, kein Agnostiker, sondern ein Atheist der sich nicht 100% sicher ist. Ich teile übrigens diese Position. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keinen Gott gibt, bin aber eben nicht vollkommen sicher. Ein Restzweifel bleibt. Aber deshalb nenne ich mich nicht Agnostiker. Und ich verstehe nach wie vor nicht, wozu wir den Begriff Agnostiker benötigen. Reicht nicht "Atheist mit gewissen Zweifeln" ?
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon El Schwalmo » Di 26. Okt 2010, 19:34

ganimed hat geschrieben:Ich bin mir ziemlich sicher, dass es keinen Gott gibt, bin aber eben nicht vollkommen sicher. Ein Restzweifel bleibt. Aber deshalb nenne ich mich nicht Agnostiker. Und ich verstehe nach wie vor nicht, wozu wir den Begriff Agnostiker benötigen. Reicht nicht "Atheist mit gewissen Zweifeln" ?

Kommt darauf an, mit wem Du auf welchem Niveau darüber diskutierst. Kennst Du

Russell, B. (1947) 'Am I An Atheist Or An Agnostic? A Plea For Tolerance In The Face Of New Dogmas'
URL: http://www.positiveatheism.org/hist/russell8.htm
?

Russell schreibt sehr schön:

Russell, Quelle oben hat geschrieben:Here there comes a practical question which has often troubled me. Whenever I go into a foreign country or a prison or any similar place they always ask me what is my religion.

I never know whether I should say "Agnostic" or whether I should say "Atheist". It is a very difficult question and I daresay that some of you have been troubled by it. As a philosopher, if I were speaking to a purely philosophic audience I should say that I ought to describe myself as an Agnostic, because I do not think that there is a conclusive argument by which one prove that there is not a God.

On the other hand, if I am to convey the right impression to the ordinary man in the street I think I ought to say that I am an Atheist, because when I say that I cannot prove that there is not a God, I ought to add equally that I cannot prove that there are not the Homeric gods.
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Re: Agnostizismus vs. Atheismus

Beitragvon ganimed » Di 26. Okt 2010, 20:21

Wieso meint Russel, sich vor Philosophen als Agnostiker bezeichnen zu müssen? Was ist denn in diesem Begriff an Mehrwert enthalten? Wieso reicht nicht "Atheist mit Zweifeln"?

Und da ja niemand sich seiner Sache sicher sein kann, würde doch sogar "Atheist" reichen, ganz ohne den überflüssigen Hinweis auf Zweifel, oder?
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