Nathan hat geschrieben:Aber wie soll es dann einen Fortschritt in der Wissenschaft geben, wenn die Naturgesetze diese Eigenschaften haben? Diese Gesetze haben sich doch im Laufe der Zeit geändert, weil sie die Wirklichkeit nicht mehr hinreichend genau beschreiben konnten. Ich bezweifel daher, dass es so sinnvoll ist, den Begriff der Natur von den Naturgesetzen abhängig zu machen, wenn die Naturgesetze vielmehr von der Wirklichkeit kritisiert werden können.
Ich erlaube mir, mich selbst zu zitieren:
"Es besteht ein Unterschied zwischen den naturwissenschaftlichen Gesetzen als Gesetzesaussagen und den eigentlichen Naturgesetzen als naturwissenschaftsunabhängigen Gesetzestatsachen. Erstere können nur annäherungsweise wahr sein und sich im Lichte neuer Erkenntnisse als falsch erweisen, während Letztere völlig theorieunabhängig immer und überall herrschen."
Nathan hat geschrieben:Gott existiert auch schon immer und für alle Zeit und er ist überall. Viel "raumzeitlicher" scheinen mir Naturgesetze auch nicht zu sein.
Gott ist—falls er existiert—nicht räumlich, und ob er zeitlich ist, darüber streiten die Theologen. Die einen verstehen nämlich unter "Unzeitlichkeit" "Zeitlosigkeit" und die anderen "Immerwährendheit"/"Ewigkeit" im Sinne von "zeitliche Unendlichkeit".
Ein buchstäblich zeitloser Gott ist zeitlich unausgedehnt und ein ewiger Gott ist zeitlich sowohl in Richtung Vergangenheit als auch in Richtung Zukunft unendlich ausgedehnt.
Nathan hat geschrieben:Was Naturwissenschaftler freilich nicht davon abhält, über den Raum außerhalb des Universums nachzudenken und unser Universum für eine blubbernde Blase unter vielen zu halten u.ä.
Wäre das deiner Meinung nach eine Aussage über Übernatürliches? Oder wie sieht es aus, wenn Physiker behaupten, es gebe unendlich viele Parallelwelten: ist das eine naturwissenschaftliche Aussage?
Wenn "Universum" "Raumzeitwelt" bedeutet, dann ergibt die Rede von einem Raum jenseits der Raumes keinen Sinn.
Wenn "Universum" hingegen "die für uns beobachtbare/erfahrbare Raumzeitwelt" bedeutet, dann ist sie keineswegs sinnlos.
Unser "Universum" in letzterem Sinne könnte durchaus bloß eines von unendlich vielen Tochteruniversen in einem unendlichen Mutteruniversum sein.
Nathan hat geschrieben:(...) Wieso soll das nicht wissenschaftlich sein? Was ist daran weniger plausibel als an historischen oder soziologischen Theorien?
Es ist mir darum gegangen, dass die (theoretische) Theologie als "Lehre vom Göttlichen" nicht den Status einer Wissenschaft hat, sondern bestenfalls systematische Metaphysik darstellt.
(Damit du mich nicht falsch verstehst, ich habe nichts gegen die Metaphysik an sich. Doch so schön sie auch sein mag, selbst ihre glaubwürdigsten, am besten begründeten "Einsichten" sind keine wissenschaftlichen Erkenntnisse im strengen Sinn.)
Nathan hat geschrieben:Myron hat geschrieben:— Augustine's Definition ist keineswegs zirkulär. Ausgehend von seiner Definition des Natürlichen kann er "Natur" ja einfach als "Gesamtheit alles Natürlichen" auffassen. Und "Naturwissenschaft" bedeutet dann schlicht "Wissenschaft vom Natürlichen".
Er würde aber auch in der Psychologie und der Soziologie vermutlich den Naturalismus voraussetzen, den er eigentlich zu definieren versucht. Denn sobald ein Psychologe aufgrund seiner Forschung Aussagen über beispielsweise Engel machen würde, wäre dies für ihn wohl "unwissenschaftlich" noch bevor er die Untersuchung kennt. Andererseits könnte ein Psychologe wilde Theorien darüber anstellen, wie bestimmte Verhaltensmuster sich aus der Evolution ergeben haben, ohne dass auch nur die Chance besteht, diese Theorien jemals begründen zu können, und doch würde dies nicht als unwissenschaftlich eingestuft. Die einzige Regel hinter diesem Begriff ist wenn ich das richtig sehe, bereits der Naturalismus. Und das ist natürlich zirkulär.
Zunächst einmal ist es so, dass Augustine (im fraglichen Kontext) nicht "Naturalismus", sondern "natürlich" bzw. "nichtnatürlich" definiert.
Wenn "Naturwissenschaft" "Wissenschaft vom Natürlichen" bedeutet, was es ja eigentlich tut, dann ist eine naturwissenschaftliche Psychologie des Übernatürlichen freilich ein Unding (*. Es müsste also zusätzlich eine empiristische "Übernaturwissenschaft" entwickelt werden, wenn sich das Vorhandensein von Übernatürlichem bewahrheiten sollte.
Wenn dagegen "Naturwissenschaft" einfach nur "Wissenschaft vom innerhalb der erfahrbaren Wirklichkeit Vorkommenden" bedeuten würde, dann könnte es, rein theoretisch, eine naturwissenschaftliche Psychologie des Übernatürlichen geben, sofern sich die betreffenden übernatürlichen Phänomene in der erfahrbaren Wirklichkeit zeigen.
(* Wenn sich die Naturwissenschaft aufs Natürliche beschränkt, dann ist damit das Vorhandensein von Übernatürlichem noch nicht ausgeschlossen. Sie impliziert also nicht per se den Naturalismus!)
Nathan hat geschrieben:
Ich sehe trotzdem nicht, wieso der Begriff "Welt" den Begriff "Natur" erklären kann. Die oben diskutierten Schwierigkeiten bleiben doch weiter bestehen.
Der Begriff "System" qualifiziert die Natur darüber hinaus als etwas "sinnvoll gegliedertes", was ich sehr schön finde, aber immer noch nicht erklärt, was denn nun "Natur" ist und was nicht. Denn sinnvoll gegliedert sind vielleicht auch Bereiche in der unsichtbaren Welt...
Ich habe "Natur" ja nicht einfach nur als "Welt" oder als "System" definiert, sondern als "physisches Raumzeitsystem" bzw. "physisches Weltsystem"!