Was ist Naturalismus?

Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Ingo-Wolf Kittel » Mo 3. Sep 2007, 18:50

Myron hat geschrieben:
ostfriese hat geschrieben:Die Kultur ist ein natürliches Phänomen, nicht umgekehrt.


Sic! Sie ist nichts Widernatürliches.


sie ist deswegen aber kein naturphänomen!

es geht um weiter nichts als die unterscheidung
zwischen dem, was wir menschen irgendwann an
artefakten selbst hevorgebracht haben, und dem,
was ohne unser zutun 'in der natur' oder 'von natur
aus' oder von selbst geschieht . beides entsteht
schlicht auf eben unterschiedliche weise.

in wissenschaftlich genauer forschung müsste und
in einer methodenbewussten forschung sollte auch
beides methodisch adäquat berücksichtigt werden.

alles andere hieße, alles über einen kamm scheren,
wäre gleichmacherei oder 'rücksichtslosigkeit': weil
unterschiede nicht berücksichtigt würden. (nb: das
hätte den vorteil der bequemlichkeit, weil man sich
dann um die methodenadäquatheit keine gedanken
machten müsste. der nachteil wäre 'natürlich': man
gewönne nur unzuverlässige oder sogar inäquate
ergebnisse. beispiel: die frage der adäquatheit und
relevanz der interpretation der p h y s i o logischen
daten, die in der hirnforschung erhoben werden, für
die p s y c h o logie im speziellen und die - insbes.
philosophische - a n t h r o p o logie allgemein: der
hoch angesehene australische synapsenforscher max
r. bennett hat mit in dieser hinsicht derart viele
bedenken, dass er dazu mit dem philosophen peter
m.s. hacker ein fast 500 seiten starkes lehrbuch
verfasst hat; s. titel: 'philosophical foundations of
neuroscience' - erschienen 2003 bei blackwell in
oxford - repr. 2004.)
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Max » Mo 3. Sep 2007, 18:56

ostfriese hat geschrieben:Wir sind alle hypothetische Realisten, und das liegt mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit schlicht daran, dass diese Außenwelt tatsächlich existiert.

Ja, ich denke auch, dass ein solcher Zusammenhang besteht, aber nur indirekt. Es ist zwar theoretisch denkbar, dass jemand alles als Traum deutet, und es gab auch zahlreiche Philosophen, die so verfahren sind. Aber all diese Idealisten und Solipsisten lebten dann doch so, als wären sie Realisten. Dies liegt daran, dass die Vorstellung einer distinkten, subjekt-unabhängigen Welt zutiefst in uns verwurzelt ist. Diese Vorstellung, der Realismus ist ein Produkt der Evolution. Angeborene Ideen und Neigungen, die uns Menschen ein Verhalten vorschreiben, implizieren, dass es eine solche Realität gibt. Die Verwurzelung Realismus in uns hat also evolutionäre Gründe. Und wie soll sich das entwickelt haben, wenn nicht in einer subjekt-unabhängigen Wirklichkeit? Soll die Evolution etwa in irgendwelchen Köpfen geschehen sein?
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon ostfriese » Mo 3. Sep 2007, 19:39

@Max: Naja, den Argumenten, welche für das Stattfinden von Evolution sprechen, liegt ja bereits die naturalistische Auffassung zu Grunde.

@Ingo-Wolf Kittel: Ein Wort noch zur Zirkularität. Welterkenntnis ist immer zirkulär, da die Feststellung von Adäquatheit voraussetzt, dass man vergleichen kann zwischen Objekt und Beschreibung. Dies wiederum geht nur auf der Basis bereits bestehender Erkenntnisse, die man aber ihrerseits nur durch solche Vergleiche als zutreffend identifiziert haben kann. Irgendwann beißt sich die Katze in den Schwanz. Aber dieser Zirkel ist ein virtuoser Zirkel, getragen von der überwältigend unwahrscheinlichen Konsistenz unseres als wahr akzeptierten Hintergrundwissens.

Wer diesen Zirkel als vitiös ansieht, muss auf objektive und intersubjektive Erkenntnis verzichten. Und sich fragen lassen, WOVON er überhaupt spricht, wenn er spricht. Worauf beziehen sich seine Begriffe? Auf subjektive Erlebnisse? Aufgrund welcher Annahme kann er dann auf gelingende Verständigung hoffen? Eigentlich müsste er sich sehr wundern...


Zur strengen Trennung von Natur und Kultur kann ich nur sagen: Sie ist durch nichts gerechtfertigt. Artefakte sind Teil der Natur. Naturwissenschaftler bedürfen durchaus nicht geisteswissenschaftlicher Anleitung, um festszustellen, wann sie mit ihren Modellen an Grenzen stoßen. Eine von Urwaldpflanzen überwucherte Tempelruine verhält sich anders als ein noch benutzter Tempel, aber der aktive Tempel mit seiner zusätzlichen kulturellen Qualität liegt nicht prinzipiell außerhalb physikalischer Beschreibbarkeit. Der Physiker kann hier mit Hilfe der Begriffe Energie und Entropie eine Menge zutreffend beschreiben (insbesondere intakte Tempel von Ruinen unterscheiden), ohne sich über die Funktion eines Tempels klar werden zu müssen.

Im Bereich der Hirnforschung liegt die Grenze ganz einfach nicht da, wo manche Geisteswissenschaftler sie gern sähen. Vor allem aber ist sie im Lichte neuer Methoden verschiebbar und mitnichten von prinzipieller Art.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 19:55

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:sie ist deswegen aber kein naturphänomen!

es geht um weiter nichts als die unterscheidung
zwischen dem, was wir menschen irgendwann an
artefakten selbst hevorgebracht haben, und dem,
was ohne unser zutun 'in der natur' oder 'von natur
aus' oder von selbst geschieht . beides entsteht
schlicht auf eben unterschiedliche weise.


Wenn "natürlich" im Sinne von "menschenunabhängig von der Natur gegeben" gebraucht wird, dann sind unsere Kulturprodukte in der Tat unnatürlich.

Ich bin übrigens zwar Naturalist, aber kein methodologischer Reduktionist, der meint, dass auch die Gesellschaft, die Kultur allein mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erforschen sei.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 20:07

Max hat geschrieben:Naturgesetze sind dabei nicht immer schon gegeben, sondern Theorien; der Mensch beschreibt sie nicht, sondern schreibt sie der Natur vor (Kant).


Das sehen Frege und ich anders:

"Ein Naturgesetz wird nicht von uns ersonnen, sondern entdeckt. Und wie eine wüste Insel im Eismeer längst da war, ehe sie von Menschen gesehen wurde, so gelten auch die Gesetze der Natur und ebenso die mathematischen von jeher und nicht erst seit ihrer Entdeckung."

(Frege, Gottlob. "Logik." 1897. In Schriften zur Logik und Sprachphilosophie: Aus dem Nachlaß, Hrsg. Gottfried Gabriel, 4. Aufl., 35-73. Hamburg: Meiner, 2001. S. 46)

(Es ist übrigens zu unterscheiden zwischen den Naturgesetzen und den sie beschreibenden Naturgesetz-Sätzen oder -Formeln.)
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon ostfriese » Mo 3. Sep 2007, 20:14

Myron hat geschrieben:Ich bin übrigens zwar Naturalist, aber kein methodologischer Reduktionist, der meint, dass auch die Gesellschaft, die Kultur allein mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erforschen sei.

Es wird von geisteswissenschaftlicher Seite gern böswillig unterstellt, Naturalisten hingen konsequent dem Reduktionismus an. Das ist selbstverständlich Unsinn. Aber für reduktionistische Bemühungen gibt es ganz einfach keine grundsätzlichen Schranken. Die Physik ist in den letzten Jahrzehnten mit großem Erfolg in Forschungsfelder eingedrungen, die bis dahin zur Domäne von Chemikern, Biologen und Medizinern gehörten.

Ja, ein Ganzes ist mehr als die Summe seiner Teile. Ja, es bedarf zur Beschreibung emergenter Systemeigenschaften eigener Begriffe, welche nur auf dieser Systemebene Bedeutung tragen. Nein, dies bedeutet nicht, dass die Erforschung von Beziehungen auf der darunter liegenden Ebene keine Relevanz für das Verständnis der darüber liegenden haben kann.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 20:47

Max hat geschrieben:Ja, ich denke auch, dass ein solcher Zusammenhang besteht, aber nur indirekt. Es ist zwar theoretisch denkbar, dass jemand alles als Traum deutet, und es gab auch zahlreiche Philosophen, die so verfahren sind. Aber all diese Idealisten und Solipsisten lebten dann doch so, als wären sie Realisten. Dies liegt daran, dass die Vorstellung einer distinkten, subjekt-unabhängigen Welt zutiefst in uns verwurzelt ist. Diese Vorstellung, der Realismus ist ein Produkt der Evolution. Angeborene Ideen und Neigungen, die uns Menschen ein Verhalten vorschreiben, implizieren, dass es eine solche Realität gibt. Die Verwurzelung Realismus in uns hat also evolutionäre Gründe. Und wie soll sich das entwickelt haben, wenn nicht in einer subjekt-unabhängigen Wirklichkeit? Soll die Evolution etwa in irgendwelchen Köpfen geschehen sein?


Der Realismus ist in erster Linie eine ontologische These.
Im Grunde ist zwischen zwei Realismen zu unterscheiden:

1) Faktischer Realismus (entspricht Searle's "external realism"):

Es gibt eine Welt von Sachverhalten, die unabhängig davon bestehen, ob und wie sie von irgendjemandem durch Zeichen vergegenwärtigt, dargestellt (repräsentiert) werden.
Mit anderen Worten: Es gibt eine selbstständige Lage der Dinge (*, eine gegebene natürliche Tatsachenwelt, die nicht durch unsere Gedanken und Vorstellungen bestimmt ist.

(* In der Phrase "Lage der Dinge" bezieht sich "Ding" auf nichts Konkretes, schon gar nicht auf materielle Objekte.)

2) Physischer Realismus:

Es gibt eine Welt von physischen (d.i. ontisch objektiven) Entitäten (Sachen/Dingen), die unabhängig davon existieren, ob und wie irgendjemand sie wahrnimmt oder sich ihrer bewusst wird.

Wer als physischer Antirealist leugnet, dass es physische Entitäten gibt, setzt (stillschweigend) den faktischen Realismus voraus, sobald er auf seine These einen Wahrheitsanspruch, d.i. einen Anspruch auf objektive Gültigkeit erhebt. Denn wer behauptet, dass alles rein psychischer Natur sei, der behauptet ja, dass ebendieser Sachverhalt eine für sich bestehende Tatsache sei, durch die die Lage der Dinge gekennzeichnet sei.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Max » Mo 3. Sep 2007, 21:09

Ich kenn das dreistüfig und mit anderer Terminologie:
1. ontologischer Realismus: Es existiert eine Wirklichkeit.
2. epistemischer Realismus: Wir können diese Welt partitiell erkennen.
3. wissenschaftlicher Realismus: Die Wissenschaft befasst sich mit dieser Wirklichkeit. Ist eine Theorie wahr, entspricht sie ihr, ist sie falsch, scheitert sie an ihr.

Wo hast du die Ausdrücke faktischer und physischer Realismus her?
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Re: und was ist ein "naturalist"?

Beitragvon Ingo-Wolf Kittel » Mo 3. Sep 2007, 21:56

Myron hat geschrieben:Das lateinische "natura" entspricht übrigens dem griechischen "physis".


durch heutige gleichsetzung ja, ursprüglich nicht; denn die etymologie beider wörter ist unterschiedlich und ideengeschichtlich interessant:

- lat.natura (von nasci 'geboren werden') bedeutet 'die geburt'! nb: lat. materia wie engl. matter kommt von lat. mater 'mutter'! - dh. von 'natürlich' bis in unsere begriffe 'meter' und 'matrix' (leib der mutter!) schleppen wir reste prähistorischer matriachalischer vorstellungen mit uns herum, die auf die urtümliche deutung des ur-'sprungs' der welt in analogie zum natürlichen geburtsvorgang zurückgehen; analogiedenken ist offensichtlich eine uralte form des gleichsetzenden denkens - also ebenfalls eine ganz urthümliche sache, und das bis in unsere redewendungen, so zb. wenn wir formulieren, die welt bestehe 'aus' materie: klingt nur nicht mehr ganz so konkret wie 'die welt kommt 'aus' der 'grossen mutter', die das 'uni'-versum (das 'zu-einem-zusammengefasste': einheitsbrei gab es also damals auch schon...) aus sich heraus geboren hat...

- griech. phýo bedeutet dem gegenüber 'erzeugen, schaffen, wachsen lassen' und phýsis dementsprechend zunächst mal 'das gewordene, geschöpf, wesen' - ersichtlich das sozusagen patriarchalische gegenstück zum vorherigen...

_______________

schwierigkeiten habe ich:

1. mit dieser definition:
Myron hat geschrieben: Der Begriff der (ontologischen) Abhängigkeit ist dagegen hinreichend klar definiert:
x ist von y genau dann (ontologisch) abhängig, wenn x nicht existieren kann, ohne dass y existiert."

ist hier nicht sachlich das gemeint, was wir gewöhnlich unter einer kausalen abhängigkeit verstehen? (wenn 'abhängigkeit' wirklich gemeint ist! denn zusammengehörigkeiten gibt es ja auch noch: arme und beine eines leibes gehören zu diesem, der ohne sie ein 'rumpf' ggf. mit kopf wäre - in der kunst ein torso...

mit 'ontologie' verbinde ich übigens etwas ganz anderes, nämlich die philosophische 'lehre vom sein' in ihren vielen varianten, in denen sie die nachfolge der noch älteren 'metaphysik' angetreten hat; nur nehme ich stark an, dass hier 'metaphysisch abhängig' erst recht nicht gemeint sein dürfte.)

2. mit dieser behauptung:
Myron hat geschrieben:(Zum Beispiel ist jede Psyche von demjenigen physischen Organismus abhängig, worin sie existiert.)"

von welcher vorstellung von 'psyche' ist hier die rede? soll es sich dabei um ein 'ding' oder ein 'etwas' handeln, das vom 'physischen organismus' (gibt es etwa auch andere - zb. psychische organismen?) unterschiedlich, aber doch von ihm 'abhängig' ist? da scheinen mir gar leicht erkennbare reste der uralten metaphysischen körper-geist-trennung und eines dem entsprechenden dualistischen denkens vorzuliegen, das heute obsolet geworden ist und m.w. von keinem wissenschaftler noch ernsthaft vertreten wird, jedenfalls von keinem wissenschaftlich denkenden psychologen, wie ich versichern kann.
im griechischen war psychä übrigens ursprünglich der 'atem' als deutlich(st)es zeichen von leben, lebendigkeit und lebhaftigkeit; psychologie hat sich zwar nicht als atemlehre etabliert, atemarbeit ist aber in der körperorientierten psychotherapie aber heute wieder ein ganz wesentliches element - wie psychologie überhaupt etwas von einer 'lehre zu leben' hat...
interessant ist jedoch etwas anderes: atmen ist eine aktivität! und in der psychologie verstehen wir heute unter 'psyche' die gesamtheit der aktivitäten, die traditionell zwar als 'seelisch-geistig' bezeichnet werden, mit denen wir aber heute all die gefühlsmäßigen (oder emotionalen) und denkerischen (oder kognitiven) leistungen meinen, zu denen wir imstande sind.
nur: aktivitägen bzw. leistungen jedoch 'existieren' nicht einfach, sondern nur so lange, wie sie 'aus'-geführt werden (trotzdem existieren sie nicht 'in' demjenigen, der sie beginnt und beendet wie jede andere aktivität wie etwa zu gehen; gleiches gilt i.ü. von den 'emotionen', die eig. 'ex'-motiones heissen und motorische aktivitäten 'aus' uns heraus meinen, wobei der volksmund bei ihnen sogar die wendung kennt: 'das kommt so aus mir raus'... )
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 22:03

Max hat geschrieben:Ich kenn das dreistüfig und mit anderer Terminologie:
1. ontologischer Realismus: Es existiert eine Wirklichkeit.


Wichtig ist folgender Zusatz: "Es existiert eine selbstständige Wirklichkeit."
Das entspricht dem faktischen R., also der Annahme, dass es eine selbständige Lage der Dinge, eine selbstständige Tatsachenwelt gibt.

Max hat geschrieben:2. epistemischer Realismus: Wir können diese Welt partitiell erkennen.


Hm..., das würde ich eher "epistemischer Optimismus" nennen.
Aber vielleicht ist damit die Annahme gemeint, dass wahren epistemisch objektiven Urteilen/Aussagen epistemisch objektive Tatsachen entsprechen. Diese Annahme entspricht der Korrespondenztheorie der Wahrheit.

Max hat geschrieben:3. wissenschaftlicher Realismus: Die Wissenschaft befasst sich mit dieser Wirklichkeit. Ist eine Theorie wahr, entspricht sie ihr, ist sie falsch, scheitert sie an ihr.


"Scientific realists hold that the characteristic product of successful scientific research is knowledge of largely theory-independent phenomena and that such knowledge is possible (indeed actual) even in those cases in which the relevant phenomena are not, in any non-question-begging sense, observable."
(http://plato.stanford.edu/entries/scientific-realism)

Der sogenannte "wissenschaftliche R." besteht demnach in der Annahme, dass wissenschaftliches Wissen sich auf eine theorieunabhängige Realität bezieht.

Max hat geschrieben:Wo hast du die Ausdrücke faktischer und physischer Realismus her?


Die habe ich irgendwann mal aufgeschnappt.
"factual realism" habe ich zum Beispiel bei Nicholas Rescher gefunden:

"Factual realism is a position defined by the following contention:
Being a fact does not depend on what people know/think/believe to be so; facts obtain independently of such epistemic considerations."

(Rescher, Nicholas. Collected Papers. Vol. 3, Studies in Idealism. Heusenstamm: Ontos, 2005. p. 35)

Und "physical realism" zum Beispiel hier:

"Physical realism is the thesis that the world is more or less as present-day physical theory says it is, i.e. a mind-independent reality, that consists fundamentally of physical objects that have causal powers, are located in space and time, belong to natural kinds, and interact causally with each other in various natural kinds of ways."
(http://tinyurl.com/337aov)
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Re: und was ist ein "naturalist"?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 22:41

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:
Myron hat geschrieben: Der Begriff der (ontologischen) Abhängigkeit ist dagegen hinreichend klar definiert:
x ist von y genau dann (ontologisch) abhängig, wenn x nicht existieren kann, ohne dass y existiert."

ist hier nicht sachlich das gemeint, was wir gewöhnlich unter einer kausalen abhängigkeit verstehen? (wenn 'abhängigkeit' wirklich gemeint ist! denn zusammengehörigkeiten gibt es ja auch noch: arme und beine eines leibes gehören zu diesem, der ohne sie ein 'rumpf' ggf. mit kopf wäre - in der kunst ein torso...
mit 'ontologie' verbinde ich übigens etwas ganz anderes, nämlich die philosophische 'lehre vom sein' in ihren vielen varianten, in denen sie die nachfolge der noch älteren 'metaphysik' angetreten hat; nur nehme ich stark an, dass hier 'metaphysisch abhängig' erst recht nicht gemeint sein dürfte.)


Es werden mehrere Arten von Abhängigkeit unterschieden.
Aus einem Text:

a) Physiological dependence (person a is dependent on drug B iff a cannot survive
unless doses of B are regularly administered).
b) Causal dependence (detonation a of this mine is dependent on its priming b iff a
cannot take place unless b previously takes place).
c) Logical dependence (proposition p is dependent on proposition q iff p cannot be
true unless q is true).
d) Functional dependence (the pressure P of a fixed mass of ideal gas is dependent
on its temperature T and volume V iff P cannot vary in value unless at least one
of T and V varies in value).
e) Practical dependence (skill A is dependent on skill B iff A cannot be mastered
unless B is mastered).
f) Ontological dependence (accident a, e.g., this whiteness, is dependent on
substance b, e.g. this piece of paper, iff a cannot exist unless b exists).

Was den besonderen Begriff der ontologischen Abhängigkeit anbelangt, siehe:
http://plato.stanford.edu/entries/depen ... ntological
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Re: und was ist ein "naturalist"?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 23:02

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Das lateinische "natura" entspricht übrigens dem griechischen "physis".

durch heutige gleichsetzung ja, ursprüglich nicht; denn die etymologie beider wörter ist unterschiedlich und ideengeschichtlich interessant: (...)


Sie ist in der Tat interessant.
Zur Geschichte und Bedeutung des deutschen Wortes "Natur" siehe grimmsches Wörterbuch:

http://tinyurl.com/25da4c

(Da steht, dass jemand mal versucht hat, das lat. "natura" mit "Zeugemutter" zu übersetzen.)

Wir haben es hier mit zwei Aspekten zu tun:

1) natura naturans:
"die schöpfung im activen sinne: die zeugende, bildende, verändernde, erhaltende und ordnende kraft im weltalle oder in dessen theilen; oft mit mehr oder minder lebendiger personification aufgefaszt, weshalb auch der artikel fehlen kann." (Grimms)
Die natura naturans ist demnach 'Mutter Natur' als die 'Gebärerin' aller natürlichen Erscheinungen.

2) natura naturata:
"die schöpfung im passiven sinne: die erschaffene welt und deren theile. der inbegriff alles seienden, das weltall, die sichtbare schöpfung" (Grimms)
Die natura naturata bilden demnach die 'Kinder' von 'Mutter Natur'.
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Re: und was ist ein "naturalist"?

Beitragvon Myron » Mo 3. Sep 2007, 23:26

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:(Zum Beispiel ist jede Psyche von demjenigen physischen Organismus abhängig, worin sie existiert.)"

von welcher vorstellung von 'psyche' ist hier die rede? soll es sich dabei um ein 'ding' oder ein 'etwas' handeln, das vom 'physischen organismus' (gibt es etwa auch andere - zb. psychische organismen?) unterschiedlich, aber doch von ihm 'abhängig' ist? da scheinen mir gar leicht erkennbare reste der uralten metaphysischen körper-geist-trennung und eines dem entsprechenden dualistischen denkens vorzuliegen, das heute obsolet geworden ist und m.w. von keinem wissenschaftler noch ernsthaft vertreten wird, jedenfalls von keinem wissenschaftlich denkenden psychologen, wie ich versichern kann.


(Du hast recht, der Zusatz "physisch" zu "Organismus" ist eigentlich überflüssig.)

Ich habe den Begriff Psyche, auf Deutsch Seele, oben ganz naiv gebraucht, d.h. seine genaue Deutung offengelassen. Ich persönlich bin kein Substanzdualist, der die Seele für ein selbstständiges 'Ding' hält. Mit "Psyche" meine ich generell den Komplex der psychophysischen Zustände und Vorgänge innerhalb eines Organismus.
Diese individuellen Komplexe sind von den physischen Organismen, innerhalb deren sie realisiert sind, absolut abhängig. Kurzum: Kein Geist ohne Körper!

Ich bin der Auffassung, dass der Glaube an die Nichtexistenz oder gar an die Unmöglichkeit der Existenz unkörperlicher Geister, entkörperter Seelen, leibloser Lebewesen, immaterieller Personen für ein naturalistisches Welbild wesentlich ist.
(Ein Naturalist ist demnach per definitionem ein Nontheist, da der theistische Gott ja ein körperloser Geist, ein stoffloses Lebewesen ist. Auch an Engel darf einer, der Naturalist sein will, nicht glauben: "Die Engel sind rein geistige, körperlose, unsichtbare und unsterbliche Geschöpfe." [Katechismus der Katholischen Kirche/Kompendium, §60])


Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:
im griechischen war psychä übrigens ursprünglich der 'atem' als deutlich(st)es zeichen von leben, lebendigkeit und lebhaftigkeit; psychologie hat sich zwar nicht als atemlehre etabliert, atemarbeit ist aber in der körperorientierten psychotherapie aber heute wieder ein ganz wesentliches element - wie psychologie überhaupt etwas von einer 'lehre zu leben' hat...


Auch der deutsche Begriff Geist bedeutete ursprünglich Hauch, Atem.
(Siehe bei den Grimms: http://tinyurl.com/2zbg9m)

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:
nur: aktivitägen bzw. leistungen jedoch 'existieren' nicht einfach, sondern nur so lange, wie sie 'aus'-geführt werden (trotzdem existieren sie nicht 'in' demjenigen, der sie beginnt und beendet wie jede andere aktivität wie etwa zu gehen; gleiches gilt i.ü. von den 'emotionen', die eig. 'ex'-motiones heissen und motorische aktivitäten 'aus' uns heraus meinen, wobei der volksmund bei ihnen sogar die wendung kennt: 'das kommt so aus mir raus'... )


Die seelischen Vorgänge bestehen freilich nur so lange, wie sich im Körper 'was rührt'.
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Re: und was ist ein "naturalist"?

Beitragvon Myron » Di 4. Sep 2007, 00:25

Ingo-Wolf Kittel hat geschrieben:von welcher vorstellung von 'psyche' ist hier die rede? soll es sich dabei um ein 'ding' oder ein 'etwas' handeln, das vom 'physischen organismus' (gibt es etwa auch andere - zb. psychische organismen?) unterschiedlich, aber doch von ihm 'abhängig' ist? da scheinen mir gar leicht erkennbare reste der uralten metaphysischen körper-geist-trennung und eines dem entsprechenden dualistischen denkens vorzuliegen, das heute obsolet geworden ist und m.w. von keinem wissenschaftler noch ernsthaft vertreten wird, jedenfalls von keinem wissenschaftlich denkenden psychologen, wie ich versichern kann.


Ich hoffe, dass die überwältigende Mehrheit der wissenschaftlichen Psychologen und Psychiater heutzutage keinen Substanzdualismus mehr vertritt.
Apropos, man kann zwei Arten von Substanzdualismus unterscheiden:
(Ich erlaube mir, hier einfach eine Kopie eines meiner Beiträge im englischsprachigen Brights-Forum einzufügen.)
#
[T]here are two subtypes of substance dualism:

(1) There are two fundamentally different kinds of substances: mental/spiritual substances and material/physical substances.

(1.1) Mental/spiritual substances do not depend on material/physical substances, i.e. they are possibly bodiless, disembodied, i.e. possibly unembedded in a material/physical body.

(1.2) Mental/spiritual substances depend on material/physical substances, i.e. they are necessarily embodied, i.e. necessarily embedded in a material/physical body.
#
Ich persönlich lehne beide Arten ab.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Max » Di 4. Sep 2007, 13:59

Moderatorenedit: Verschoben in das Forum Philosophie.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon skeptic griggsy » So 9. Dez 2007, 02:11

Es gibt die Vermutueng von Naturalismus: naturalische Verusache genuengen.They are efficient, necessary, primary and sufficient. Man muss sie uberwinden um den Ubernaturalism and den Paranormal zu zeigen. That neither begs the question nor sandbags theists but demands evidence.Sie ist unsre gemeinsamen Grund.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon skeptic griggsy » So 19. Okt 2008, 04:22

Alexander Smoltczyk nach ist Gott die Erklaerung fuer die Eixistenz. Aber wie neulich geziegt in der ignostische- Ockham Foerderungen, hat das keine Meinung als Eine Erklaerung muss eine Beziehung zum etwas zu tun. Der grosse Irrtum Leibniz ist warun gibt es die Existenz vorher das NIchts? Wie koennte dasN ichts sein? Das ist keine gute Frage mit kein gutes Antwort wie die i.-O zeigt. Hans Reichenbach nach muss est gibt mehr als ein Ding um eine Ursache zu finde; als die Existenz is das Unkum ,denn gibt es keine Ursache fue sie.
Als die Existenz is alles,denn gibt es keinen transcendentalischem Gott.
Denn der Naturalismus zeigt das die Existenz selbst ist fuer immer.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon HF******* » Di 21. Okt 2008, 12:22

Das Unkum hat keinen Anfang und kein Ende, was nicht heißt, dass das Unkum keine Ursache hat. Sie kann auch in sich selbst liegen.
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Do 29. Jan 2009, 06:23

Bright hat geschrieben:Dies ist hier sicher schon diskutiert worden, vielleicht aber auch nicht, denn ich konnte eine griffige Definition dieses zentralen Begriffs auch auf der Website nicht finden.


Ich bin vor kurzem in einer "Feindpublikation" auf die folgende Formulierung gestoßen, die ich recht "griffig" finde:

"Philosophical naturalism is the idea that reality is exhausted by the spatio-temporal world of physical entities that we can investigate in the natural sciences. The natural causal fabric of physical reality within the boundaries of space and time is all there is, was, or ever will be."

"Der philosophische Naturalismus ist die Idee, dass die Wirklichkeit vollständig in der raumzeitlichen Welt der physischen Entitäten aufgeht, welche wir in den Naturwissenschaften erforschen können. Der natürliche Kausalnexus der physischen Wirklichkeit innerhalb der Grenzen von Raum und Zeit ist alles, was es gibt, gab oder jemals geben wird."

[© meine Übers.]

(Wilkins, Michael J., and J. P. Moreland. Jesus Under Fire: Modern Scholarship Reinvents the Historical Jesus. Grand Rapids, MI: Zondervan, 1996. p. 8)
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Re: Was ist Naturalismus?

Beitragvon Myron » Do 29. Jan 2009, 06:58

Apropos "Feindpublikationen", hier sind zwei weitere Beschreibungen des Naturalismus:

Der "Ober-ID-iot" William Dembski schreibt:

"Naturalism is the view that purely physical causes undirected by any guiding intelligence at base govern the world."
————————————
"Der Naturalismus ist die Ansicht, dass rein physische, von keiner dahinterstehenden Führungsintelligenz gelenkte Ursachen die Welt beherrschen."

[© meine Übers.]

(Dembski, William A. No Free Lunch: Why Specified Complexity Cannot Be Purchased Without Intelligence. Lanham, MD: Rowman & Littlefield, 2007. p. 244)


Und ein anderer bekannter Supernaturalist schreibt:

"Naturalism is the belief that reality consists exclusively in the multiple forms of discharging energy that constitute the physical universe. This includes our earth and the human and other forms of life on it, and hence the multitude of human brains and their functioning, which in turn includes the production of thought, language, feeling, emotion, and action. The status of such supposed non-physical realities as God, Brahman, Dharma, Tao, the soul or spirit, is that of ideas in the human mind, so that before there were human mind/brains to create them, they did not in any sense exist. Naturalism is thus equivalent to the qualified materialism which does not deny the existence of mentality, but holds that it is either identical with, or totally dependent from moment to moment upon, the electro-chemical functioning of the brain."
————————————
"Der Naturalismus ist der Glaube, dass die Wirklichkeit ausschließlich in den vielfältigen Formen ausströmender Energie besteht, die das physische Universum ausmachen. Dies schließt unsere Erde und die menschliche sowie andere Lebensformen darauf ein, und somit die Vielzahl menschlicher Gehirne und deren Funktionsweise, was wiederum die Erzeugung von Denken, Sprache, Gefühlen, Emotionen und Handlungen einschließt. Der Status solch mutmaßlicher nichtphysischer Entitäten wie Gott, Brahman, Dharma, Tao, die Seele oder der Geist, ist derjenige von Ideen im menschlichen Geist, sodass sie in keinem Sinne existierten, bevor es menschliche Geist-Gehirne gab, die sie erschufen. Der Naturalismus kommt folglich dem eingeschränkten Materialismus gleich, welcher die Existenz des Geistigen nicht leugnet, aber behauptet, dass es mit den elektrochemischen Funktionsabläufen des Gehirns entweder identisch oder davon zu jedem Zeitpunkt völlig abhängig ist."

[© meine Übers.]

(Hick, John. The Fifth Dimension: An Exploration of the Spiritual Realm. Oxford: Oneworld, 2004. p. 14)
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