Shine hat geschrieben:Andererseits – indem er eine rein geistige Existenz verneint – erhebt sich der Mensch zum neuen „Schöpfer“ der Welt: Über ihm steht gar nichts mehr. Er ist die höchste Existenz des Seins, sozusagen Gott gleich, d.h. ihm ist alles erlaubt!..
„Es ist rhetorische Gewohnheit, sich die Rede des Gegners so zurechtzulegen, wie man sie besser verwerten kann.“ sagte der gute alte Bismarck und hatte Recht - auch wenn du hier einen recht abstrakten Gegner bekämpfst, nämlich die menschliche Hybris. Daran ist auch gar nichts verkehrt. Nur, im vorliegenden Fall führt eine kleine rhetorische Vereinfachung voll ins Aus. AgentProvocateur hat das im Grunde schon skizziert:
Der Punkt ist, dass es DEN Menschen nicht gibt. Was du da sagst offenbart ein sehr statisches Bild vom Universum. Wir haben aber in dieser natürlichen, materiellen Wert nur eine große Menge genetisch und verhaltensbiologisch ähnlicher Lebewesen, die aus einer sehr dynamischen Vergangenheit kommen und in eine sehr dynamische, veränderungsbereite Zukunft gehen. Wie ironisch: Die Sehnsucht nach Ewigkeit ist etwas Vorübergehendes; gebunden an ein paar Klumpen Kohlenstoff irgendwo auf einem blauen Stück Stein im Hinterhof irgendeiner Galaxie (übrigens hat diese Vorstellung ja auch schon fast spirituelle Poesie, nicht wahr?).
Es ist natürlich nett, sich da eine statische Mensch-Gott-Dichotomie auszumalen, aber mal im Ernst: homo sapiens wird weder das intelligenteste Lebewesen in der Geschichte dieses Universums gewesen sein, noch wird er lange genug existieren, um für einen allmächtigen Gott eine Konkurrenz darzustellen, noch bildet sich das ein Naturalist ein, der noch ganz bei Trost ist. Der Herrschaftsgedanke über die Welt ist eine Idee der abrahamitischen Religionen, wenn ich das ganz gesittet anmerken darf. Ist nicht unser Fehler, dass das in die Welt gesetzt wurde. "Macht euch die Erde untertan", das ist ein Satz von Menschen für Menschen, das ist viel mehr Selbstgleichstellung mit Gott als der vergleichweise bescheidene Versuch der Wissenschaft, ein paar Neutrinos oder Higgs-Bosonen zu finden, um wenigstens mal den Baukasten des Universums halbwegs komplett zu haben.
Wer diese Denkweise gewohnt ist, dass es einen Herrscher über das Universum geben muss, der folgert mit präziser Fehlleistung, dass der Wegfall Gottes nur die Ersetzung durch den Menschen bedeuten kann. Für den aufgeklärten und realistischen Naturalisten bleibt der Posten dagegen einfach vakant bzw. existiert gar nicht und hat daher auch keine Bedeutung. Für mich persönlich macht allein die Jobbeschreibung so wenig Sinn, dass ich mir Mühe geben muss, ordentlich nachzuvollziehen, was mit dieser statisch-totalen Rhetorik überhaupt gemeint ist. Naturalist sein heißt in aller Konsequenz die eigene Einbettung in ein größeres System zu erkennen und akzeptieren, das schon qua Beobachterperspektive nicht vollständig empirisch aufgelöst, verstanden und beeinflusst werden kann. Deshalb kommt ihr meiner Meinung nach auch auf keinerlei grünen Zweig bei der genauen Definition von Wahrheit, weil Wahrheit aus unserer beschränkten Perspektive des Beobachters der maximal zweiten Ordnung im besten Falle eine wissenschaftliche Arbeitshypothese sein kann. Wenn man wenigstens das hinkriegt und sich auf halbwegs vernünftige Standards geeinigt hat, ist schon viel gewonnen.
Es wäre weiterhin auch nicht DER Mensch, sondern EIN oder EINIGE Mensch(en). Zwischen Individuen gibt es immer Machtgefälle, sonst wären ja die Yanomami-Indianer und Barak Obama auf dieselbe Weise Herrscher des Universums - das mutet irgendwie albern an, oder? Ich habe da jedenfalls Bilder von Sternzerstörern und kleinen Ewoks vor Augen.
Der Naturalist, sofern er seine eigene philosophische Position verstanden hat, folgert dann auch nicht, dass er nun Vorsteher des Universums sei oder im Mindesten eine Art Blockwart dieses Sonnensystems, sondern er nutzt die Möglichkeiten der natürlichen Welt für eine angenehme, im sinnstiftend erscheinende Existenz, versucht dabei mit den anderen (meist menschlichen) Wesen seines Betätigungsbereiches gut auszukommen (sonst fühlt er sich schlecht oder wird von anderen Wesen zur Rechenschaft gezogen -> frag mal Saddam Hussein, wie er sich um den Hals rum fühlt) und lässt die "Antwort auf Alles" die "Antwort auf Alles" oder maximal "42" sein. Und zum "gut auskommen" gehört nun auchmal "Du sollst deinen Mitmenschen keinen Blödsinn erzählen!", weshalb es völlig in Ordnung ist, Religion lächerlich zu machen, nur sozial halt nicht immer angebracht.
Übrigens, deine Signatur verleitet mich, dir diesen Youtube-Link zu empfehlen:
http://www.youtube.com/watch?v=UB_htqDCP-s Englisch verstehst du ja offensichtlich ausreichend.
