Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon HF******* » So 18. Jan 2009, 17:52

Meine Güte, wie viele Beiträge.

@Pia Hut: Herzlich willkommen!

Pia Hut hat geschrieben:„Deterministen sind also der Auffassung, dass bei bekannten Naturgesetzen und dem vollständig bekannten Zustand eines Systems der weitere Ablauf aller Ereignisse prinzipiell vorherbestimmt ist ……. Es gibt verschiedene Varianten des Determinismus, die mehr oder minder streng die Vorherbestimmtheit aller Ereignisse voraussetzen.“

Wikipedia empfielt sich zu diesen Themenbereichen nicht.

Nach deterministischer Sichtweise sind die Ereignisse feststehend, und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob Naturgesetze oder der Zustand eines Systems irgendwem bekannt ist. Was dort steht, ist falsch, Unsinn.

Wenn man davon ausgeht, dass es auch ein einzelnes akausales bzw. nichtdeterminiertes Ereignis gibt, dann ist das Indeterminismus, also genau das Gegenteil des Determinismus. Ich denke nicht, dass sich eine der hier kritisierten Behauptungen bei Wikipedia auch nur halbwegs wissenschaftlich belegen ließe, es ist einfach Unfug.

Pia Hut hat geschrieben:Es wird dann noch unterteilt in starken und schwachen Determinismus und allgemeiner Determinismus sowie persönlichen Determinismus: „Der Mensch ist in seinem Willen durch äußere oder innere Ursachen vorherbestimmt und es besteht keine Willkür. Es gibt keinen freien Willen.“

Hat diese Differenzierung, die sich irgendein Horst bei Wikipedia ausgedacht hat, irgendeinen Wert?
In so einem Satz wird doch alles vermußt, was geht.

Pia Hut hat geschrieben:Was mir beim Determinismus überhaupt nicht „schmeckt“, ist das welche Definition auch immer man sich ansieht, es letztlich darauf hinausläuft, dass alles irgendwie „vorherbestimmt“ ist, d.h. aber in logischer Konsequenz auch, man kann Nichts ändern.

Ja, dann denk Dir doch einfach ne tollere Welt aus…
Man könnte auch sagen: In einer indeterministischen Welt könnte man nichts ändern, denn dann käme ja alles irgendwie und man könnte es auch nicht vorherberechnen, je nach Maß der gedachten Akausalität.

Pia Hut hat geschrieben:Das führt zu einer praktischen geistigen Haltung des Individuums, die zwar zum „Aushalten“ und „Anpassen“ nützlich sein dürfte, aber das Motiv nach Wegen der Veränderung zu suchen, geht mehr und mehr verloren.

Das ist nicht nachvollziehbar und erinnert mich an MSS, der schreibt, dass Determinismus zum Fatalismus führe. Fatalismus tritt aber genau dann ein, wenn die jeweilige Person glaubt, die Zukunft bzw. sein eigenes Fatum=Schicksal zu kennen und nichts daran ändern zu können - was mit Determinismus herzlich wenig zu tun hat. Jemand kann auch als Indeterminist glauben, seine Zukunft zu kennen und sie nicht ändern zu können, das führt dann zum selben Ergebnis. Je indeterministischer man die Welt hält, umso weniger könnte man auch vorhersehen, welche Folgen die eigenen Handlungen hätten. Es hätte nach indeterministischer Vorstellung je nach Ausgestaltung also weniger Sinn, vor der eigenen Handlung oder Lebensplanung die denkbaren Kausalketten oder erkennbaren Wahrscheinlichkeiten zu betrachten, die unterschiedliche Handlungen auslösen, sondern es wird dann je nach Vorstellung des Indeterminismusgrades immer unsinniger, planend zu handeln oder überhaupt zu handeln.

In der Tat ist es aber so, dass nach deterministischer Vorstellung gerade ein planendes Handeln erst möglich wird: Vielleicht erkennt man tatsächlich Kausalabläufe, die sich durch die eigene Handlung nicht ändern lassen (Der Indeterminist muss ja immer irgendwelche Kausalabläufe abstreiten). Es ist dann aber auch nicht sinnvoll, in diese Veränderung irgendeine Energie zu verschwenden, sondern man kann sich dann auf das konzentrieren, was man beeinflussen kann. Das die planende Entscheidung dann wieder kausal bedingt ist, führt nicht zum Fatalismus.

Fatalismus tritt auf den Plan, wenn jemand entweder die Zukunft zu kennen glaubt und meint, dass er sie durch Handlungen nicht oder nicht wesentlich ändern kann bzw. der Aufwand in keiner guten Relation zum gewünschten Erfolg steht oder er meint, nicht einmal Wahrscheinlichkeiten erkennen zu können, so dass er die Folgen eigenen Handelns nicht abschätzen kann.

Pia Hut hat geschrieben:Ich hatte vor kurzem ein Buch von Fürntratt-Kloep zu F. Castro gelesen, in dem er diesem auch vorwirft so ein sturer Vertreter des „freien Willens“ zu sein. Aber mal im Ernst, Castro hätte im Leben keine Revolution auf die Beine gestellt, wenn er dem Determinismus anhinge. Alle linken Deterministen (es gibt da ja auch einen Geschichtsdeterminismus, aber das nur am Rande), hätten ihm sicher gesagt, dass diese Revolution gar nicht gehen kann, da alle geschichtlichen Determinanten dagegen sprachen.

- Willensfreiheit ist im Rahmen des Determinismus eine Definitionsfrage. Warum sollte man einen
indeterminierten Willen als frei bezeichnen? Ist ein Wahnsinniger frei?
- Ich denke, dass Castro sich des Risikos durchaus bewusst war und er hat das Risiko anders eingeschätzt.
Und dass er die Risiken richtig abgeschätzt hat, zeigt sein Erfolg, was die ursprüngliche Revolution angeht.
- die wirtschaftliche Lage Kubas spricht dann eher dafür, dass er Indeterminist ist, weil er genaugenommen
hätte vorhersehen können, was für einen Mist er fabriziert. Oder er hat diesen Mist eben gerade so gewollt,
weil der Kausalablauf klar vor ihm lag und er ihn so erkannt hat und auch die Unwägbarkeiten in Form von
Wahrscheinlichkeiten richtig eingeschätzt hat. Wahrscheinlicher als pure Bösartigkeit scheint mir bei Castro
allerdings Verblendung zu sein und die fehlerhafte Vorstellung, der breiten Bevölkerung könne es gar nicht
schlechter gehen als in einem anderen Wirtschaftssystem, weil das kommunistische eben das beste sei...

Das ist aber auch kein Argument zur Frage, ob die Welt wirklich determiniert oder indeterministisch ist, wenn eine Person Erfolg hatte oder ob das psychologisch sinnvoll ist, sich etwas falsches vorzustellen. Das ist eine ganz andere Frage, was man mit Suggestion etc. machen kann.
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Pia Hut » Mo 19. Jan 2009, 13:42

Stine hat geschrieben:Ist aber nicht gerade dieser Test ein Beispiel dafür, dass Wissen uns bewusster werden lässt?
Ich meine, wer begreift um was es in diesem Test geht, würde sich kein zweites Mal so verhalten. Wenn mir bewusst wird, welcher Manipulation ich ausgesetzt werden soll, dann kann ich meine Reaktion steuern.

Danke Stine, das wäre meine Rede

Ostfriese hat geschrieben:Dass die selbst ernannten "Philosophen des Geistes" ein Problem mit Hirnforschern wie Singer und Roth haben, liegt in meinen Augen schlicht daran, dass diese sich erdreisten, wissenschaftliche Erkenntnisse auf philosophische Implikationen abzuklopfen, anstatt diesen Job vertrauensvoll den vermeintlichen Profis zu überlassen. Ich persönlich gelange immer mehr zu der Überzeugung, dass viele Naturwissenschaftler ihre Forschungsergebnisse viel differenzierter interpretieren als das Gros der Philosophen -- einfach deswegen, weil sie diese gründlicher durchdacht und verstanden haben.

Ja, mir sind die Naturwissenschaften auch viel „sympathischer“ als die Geisteswissenschaften, um es mal salopp auszudrücken. Die Geisteswissenschaften legen sich seit Jahr und Tag in verschiedenen Spielarten (als alter Wein in neuen Schläuchen) eine blöde Frage vor, mit der sie sich selbst als Wissenschaft ad absurdum führen. Die Frage lautet ungefähr so: „Ist unser Verstand überhaupt dazu in der Lage das zu tun, was wir von ihm erwarten.“ Wenn man diese Frage mit „nein“ beantwortet, so muss man sich natürlich sagen lassen, das unser Verstand dann ja auch zu dieser Antwort irgendwie nicht fähig sein kann, beantwortet man sie mit ja, lässt der nächste Zweifler auch nicht lange auf sich warten, um die Frage erneut aufzuwerfen. Ganz folgenlos ist das praktisch nicht. Es ist nicht so, dass die Geisteswissenschaft keine intelligenten Ergebnisse zu Stande brächte aber mit gleichem Recht existiert daneben auch jede Menge Blödsinn, der Karriere macht. Und wenn man den dann kritisiert, sagen sie dir nicht selten, du darfst einen anderen Menschen doch nicht „fertig machen“, weil sie zwischen Idee und Ideenträger nicht trennen können. Und das liegt auch an der Fragestellung. Weil es das Subjekt ist, dass da über sich selbst reflektiert, müssen seine Ergebnisse ja subjektiv sein, heißt das Dogma. „Verzichte ich auf die Unterscheidung zwischen wahr und falsch und auf den Versuch, diese Unterscheidung objektiv treffen zu können, so verzichte ich auf die Möglichkeit die Behauptungen andere zu prüfen. Irrationalismus befreit nicht, er macht ohnmächtig.“ Christoph Bördlein, Das sockenfressende Monster.
Wie entscheidet sich nun welche Gedanken sich durchsetzen, zu einer Art Mainstream werden? Da objektive Kriterien ja angeblich nicht möglich sind, entscheidet das zuletzt die Praxis - politische Konjunkturen geben vor, mit welchen Themen sich gerade mal Karriere machen lässt. Und auf diese Art und Weise wird die „Zunft“ als Ganzes (trotz ihrer vielen rühmlichen Ausnahmen, die wiederum als Beweis für die wissenschaftlich Freiheit der Disziplinen herhalten dürfen) affirmativ zu „herrschenden Verhältnissen“ (und wenn man so will auch durch diese gesellschaftlich determiniert.)

Ich kritisiere also, dass sich jetzt auch noch die Naturwissenschaftler diese widersinnige Frage vorlegen. Und ostfriese sagt dazu in etwa „Sie können sie sicher besser lösen als die Philosophen des Geistes“.

Danke ganimed für den Singer-Artikel, es ist sicher sinnvoll an einem konkreten Text zu bleiben. Wie erwartet, habe ich in Singers Aufsatz eine Reihe kluger Gedanken gefunden, die für andere Fragestellungen durchaus der Weiterverfolgung Wert wären (so ist das auch bei Roth). Singer ist mit Sicherheit ein intelligenter Mann und seines Verstandes so mächtig, um den eigenen Widerspruch zu erkennen, den er sich da leistet. (Nur warum will er daran festhalten?)

Singer: „Wir müssen uns eingestehen, daß unsere kognitiven Fähigkeiten beschränkt sind, daß sie keine Verankerung im Absoluten, Unrelativierbaren haben, sondern als Produkt der Evolution Idiosynkrasien aufweisen, die ihr Sosein manch zufälliger Bifurkation verdanken. Dies begrenzt natürlich auch die Möglichkeiten, uns selbst und unsere Bedingungen zu erkennen. Mit diesem Schluß, mit diesem hermeneutischen Zirkel, läßt sich natürlich all das aushebeln und zur Makulatur erklären, was ich bisher ausführte. Als Wissensquelle wären dann aber nur noch Offenbarungen zulässig, die unter Umgehung unserer Kognition als direkte Evidenz erfaßt werden müßten.“

Singer leistet sich diesen hermeneutischen Zirkel durch seine Fragestellung und die Alternative ist nicht „Offenbarung“, sondern diese Letztfrage sein zu lassen und seinem Verstand etwas zuzutrauen.

Zu Ganimed: Den Spitzer habe ich mir bisher noch nicht so genau angeschaut, hatte mit ihm bisher auch kein Problem.
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon HF******* » Mo 19. Jan 2009, 15:43

Ich habe noch mal über diese Determinismus-Varianten-Aussage nachgedacht.

Kaum ein Indeterminist vertritt, dass es gar keine determinierten Sachverhalte gibt. Innerhalb der Indeterministen gibt es allerdings - wen wundert es - heftigen Streit, welche Bereiche nicht determiniert sein sollen. Es scheint mir aber weniger Sinnvoll, diese Theorien als deterministische Theorien zu bezeichnen, sondern vielmehr als indeterministische. Der Umstand, dass eigentlich alle Indeterministen auch kausal bestimmte Abläufe in irgendwelchen Bereichen annehmen, also determinierte Abläufe, haben sie ja gemeinsam, wobei es sich nicht begründen lässt, einzelne dieser Theorien deshalb als Form des Determinismus schlechthin zu bezeichnen.
HF*******
 
Beiträge: 2651
Registriert: Do 19. Okt 2006, 11:59

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Mo 19. Jan 2009, 22:09

ostfriese hat geschrieben:Was ist denn ein "indeterministischer Automat"?

Ist schon ne Weile her, dass ich das gelernt habe. Ich übernehme keine Gewähr für Genauigkeit.
Ein deterministischer Automat ist ein Ding, dessen Zustandsübergänge immer eindeutig beschrieben sind. "Findest du ein A am Eingang, dann gebe B am Ausgang aus."
Ein indeterministischer Automat hat mindestens einen Übergang, der nicht eindeutig ist. "Findest du ein A am Eingang, dann 'rate' einen Buchstaben von A-Z und gib ihn am Ausgang aus."
Man geht dann einfach davon aus, dass der Automat immer "richtig" rät. Mit diesem theoretischen Konstrukt lässt sich, so habe ich das zumindest verstanden, einfacher nachdenken über bestimmte Probleme. Und hinterher kann man solche indeterministischen Automaten dann überraschend oft nachbauen bzw. ersetzen durch einen äquivalenten deterministischen Automaten, der nur einfach viel mehr Anweisungen benötigt, weil er letztendlich eben statt zu "raten" alle Möglichkeiten ausprobieren muss.

ostfriese hat geschrieben:Dass die selbst ernannten "Philosophen des Geistes" ein Problem mit Hirnforschern wie Singer und Roth haben, liegt in meinen Augen schlicht daran, dass diese sich erdreisten, wissenschaftliche Erkenntnisse auf philosophische Implikationen abzuklopfen, anstatt diesen Job vertrauensvoll den vermeintlichen Profis zu überlassen.

Das Gefühl habe ich allerdings auch manchmal. Man muss befürchten, dass zumindest ein kleiner Teil der Ressentiments auch einfach nur menschlichen Schwächen geschuldet ist. Chauvinismus, gekränkte Eitelkeit oder der Unmut gegen "Wilderer im eigenen Fachgebiet".
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Mo 19. Jan 2009, 22:20

stine hat geschrieben:Ist aber nicht gerade dieser Test ein Beispiel dafür, dass Wissen uns bewußter werden läßt? Ich meine, wer begreift um was es in diesem Test geht, würde sich kein zweites Mal so verhalten. Wenn mir bewußt wird, welcher Manipulation ich ausgesetzt werden soll, dann kann ich meine Reaktion steuern.

Grundsätzlich wissen wir natürlich nur das, was uns bewusst ist (per Definition). Mehr Wissen lässt uns, so gesehen, also durchaus bewusster werden. Aber Bewusstsein bedeutet nicht, dass man etwas jetzt wirklich in der Hand hat. Denn unbewusste Mechanismen bleiben ja weiter aktiv, überstimmen vielleicht sogar die bewussten Überlegungen. "Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich das gemacht habe, eigentlich wollte ich was anderes machen..."

Wenn mir bewusst wird, welcher Manipulation ich ausgesetzt werden soll, dann kann ich meine Reaktionen eben nicht steuern. Sondern es ändert sich im Grunde genommen nur die Manipulation. Ich werde zum Beispiel automatisch "wütend", weil irgendein Hirnzentrum die Manipulation als "Hintergehen" bewertet. Insofern ändert das Wissen die Steuerung, das ist wahr. Wir übernehmen sie aber keinesfalls.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon stine » Di 20. Jan 2009, 09:02

Interessant wäre, den Test zu teilen, eine Gruppe weiß worum es geht, die andere nicht.
Ob dann eine Umkehrung der Gefühle eintritt - ich will extra anders reagieren, als vorgesehen...
LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Pia Hut » Mi 21. Jan 2009, 14:02

Ich kritisiere falsche Fragestellungen. Dass diese durchaus handlungsrelevant sind weiß auch der Hirnforscher Singer.
„Aus diesen Einsichten lassen sich Maximen für unser Werten und Handeln ableiten, die wir ernst nehmen und umsetzen sollten. Natürlich kann die Menschheit nicht innehalten und dem Lauf der Dinge tatenlos zusehen mit der Begründung, wer nicht weiß, was er tut und was die Folgen davon sind, tue lieber nichts.“ Singer dementiert zwar hier die logische Konsequenz seines eigenen Gedankens, aber mit seinem Dementi sagt er nur, dass er diese sehr wohl kennt, das Gegenteil ist damit nicht bewiesen. Ja praktisch kommt niemand darum herum irgendwie zu handeln, aber Singers Überlegungen können genauso gut für ein Plädoyer der „Spaßgesellschaft“ herhalten. Seine eigenen praktischen Konsequenzen, die er empfiehlt lauten dann „Anstoss zur Entwicklung einer neuen Kultur der Demut in der pragmatische Nahziele…. zum Primat werden.“ Ich kann mir nicht helfen, aber für mich hört sich das für ein starkes Plädoyer von Kleingeistertum an. (Eine echte Untertanengesinnung von der mich nicht wundert, dass sie Karriere macht.)

Ich kritisiere auch die Frage „Bin ich determiniert oder nicht“. Wir werden sie nicht lösen können, weil es eine Letztfrage ist. Wir schubsen uns damit in einen Zirkel der uns die Handlungsfreiheit raubt. (ich verweise hier nur am Rande auf das Thema „erlernte Hilflosigkeit“)

Um ein Beispiel zu bringen (auch wenn sie immer hinken). Den Pionieren der Luftfahrt hat man gesagt, es läge nicht in der Menschennatur zu fliegen und sie haben es unter Berücksichtigung der Naturgesetze dennoch geschafft zu fliegen.

ganimed hat geschrieben:Wenn mir bewusst wird, welcher Manipulation ich ausgesetzt werden soll, dann kann ich meine Reaktionen eben nicht steuern. Sondern es ändert sich im Grunde genommen nur die Manipulation. Ich werde zum Beispiel automatisch "wütend", weil irgendein Hirnzentrum die Manipulation als "Hintergehen" bewertet. Insofern ändert das Wissen die Steuerung, das ist wahr. Wir übernehmen sie aber keinesfalls.


Willst du mich damit jetzt wieder auf die Ausgangsfrage zurückwerfen oder können wir uns darauf verständigen, dass für meinen Verstand nun die nächste Frage anstünde. Ich würde mir z. B. Gedanken über Machtstrukturen machen, die ein Interesse an Manipulation haben. „Wütend“ würde ich kurzfristig auch mal werden, aber das „Gefühl“ würde ich danach zur Seite schieben, weil es zwar als Motiv fürs Denken sehr wichtig ist, aber nie seine Inhalte bestimmen sollte. Klar bin ich deswegen als Individuum auch nicht automatisch vom Opfer zum Steuere der Situation geworden, das kann ich alleine nicht erreichen, da müsste ich mir dann schon Unterstützung von anderen holen, die auch des Verstandes mächtig sind.

Mit der Frage „wo bin ich wie determiniert?“, kann ich leben, die eröffnet mir nämlich auch die Chance vermeintliche Determiniertheit zu durchbrechen. Warum ich das will und kann ich auch wollen was ich will?

Man sagt mir z.B., es sei ein Gesetz der Natur „fressen und gefressen werden“ „der Stärkere setzt sich durch“ und weil ich ja selbst Naturprodukt bin, müsse ich es einsehen. Aber ich sehe alle Implikationen die das für mich als Individuum hat und für die die ich liebe und für die die ich noch lieben werde. Und das reicht mir völlig, um zu sagen mit solch einem Gedanken werde ich mich nie abfinden.
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Mi 21. Jan 2009, 21:15

    Singer schrieb "Aus diesen Einsichten lassen sich Maximen für unser Werten und Handeln ableiten, die wir ernst nehmen und umsetzen sollten. Natürlich kann die Menschheit nicht innehalten und dem Lauf der Dinge tatenlos zusehen mit der Begründung, wer nicht weiß, was er tut und was die Folgen davon sind, tue lieber nichts."
Pia Hut hat geschrieben: Singer dementiert zwar hier die logische Konsequenz seines eigenen Gedankens, aber mit seinem Dementi sagt er nur, dass er diese sehr wohl kennt, das Gegenteil ist damit nicht bewiesen.

Da kann ich noch nicht ganz folgen: Was hälst du für die "logische Konsequenz" Singers eigenen Gedankens?

Pia Hut hat geschrieben:aber Singers Überlegungen können genauso gut für ein Plädoyer der „Spaßgesellschaft“ herhalten

Was ist eigentlich schlecht an einer Spaßgesellschaft? Letztens unterhielt ich mich angeregt mit einem über das Glück im Leben. Dessen Ziel war gar nicht das Glück. Es ginge ihm um "wirkliche" Werte. Glück sei nur eine flüchtige Begleiterscheinung aber niemals das Ziel, der Wert an sich. Da war ich platt. Ich habe mit jemanden gesprochen, der allen Ernstes nicht glücklich sein will, zumindest nicht nur. Hallo? Bin ich hier im falschen Film? Für mich ist Glück genau so definiert, dass es exakt das Wünschenswerte umfasst (bei Masochisten meinetwegen sogar Schmerzen) (Vielleicht ist es also alles nur ein Definitionsproblem?). Ich will eine Spaßgesellschaft im Sinne von Spaß = Glück. Und alle, die lieber Not leiden wollen, sollen bitte eine weit entfernte Alternativgesellschaft gründen oder eine Nervenheilanstalt ihres Vertrauens aufsuchen.

Eine Glücksgesellschaft ist eine, die in Summe das individuelle Glück aller Mitglieder optimiert. Und wenn jemand ein nachdenklicher, stiller Introvertiker ist, dann mag das Glück bei ihm aus langen, stillen Spaziergängen in der Natur bestehen. Jedem das seine. Es wäre ein Missverständnis, sich unter einer Spaßgesellschaft lauter laut lachende, stark alkoholisierte Dauerfeierer vorzustellen.

Ich bin deshalb völlig mit Singer überein, wenn er meint: "Vielleicht, so meine Hoffnung, könnte dies der Anstoß zur Entwicklung einer neuen Kultur der Demut sein, in der pragmatische Nahziele wie etwa Leidensminimierung, Empathiefähigkeit und Toleranz zum Primat werden." Denn Leidensminimierung ist natürlich Glücksoptimierung. Und in einer Glücksgesellschaft wären Empathie und Toleranz ebenfalls wichtig, gemäß den üblichen zwischenmenschlichen Bedürfnissen. Wissen ist eben doch Macht. Und wenn ich mehr weiß über meine Beschränkungen und meine Determiniertheit, dann kann ich das sicher gewinnbringend anwenden.

Pia Hut hat geschrieben:Mit der Frage „wo bin ich wie determiniert?“, kann ich leben, die eröffnet mir nämlich auch die Chance vermeintliche Determiniertheit zu durchbrechen.

Du klingst hier wieder wie jemand, der noch daran glaubt, irgend so etwas wie ein Steuer in der Hand zu haben. Als würde mit Determiniertheit nur gemeint sein, dass andere gemeine Durchfahrtsverbotsschilder aufgestellt hätte und du könntest jetzt dein Steuer nehmen und dich über die Verbotsschilder hinweg setzen, die Papierwände durchbrechen. Die Determiniertheit, von der Singer redet, ist aber doch die Tatsache, dass du eben einfach kein Steuer in der Hand hast. Du sitzt nicht in einem Pilotensitz (auch wenn dein eigenes Hirn dir das immer wieder suggeriert). Du (also dein Bewusstsein) bist nur der Navigator irgendwo hinter den eigentlichen Piloten sitzend. Du wirst jeden Morgen für ein paar Stunden geweckt (nachts kriegst du gar nichts mit) und hin und wieder fragt man dich nach deiner Meinung bevor abgestimmt wird. Der letztendliche Kurs wird vorne an den Reglern entschieden, auf die du keinen direkten Zugriff hast. Du als Mensch bist das Flugzeug. Du als "Ich" bist nur einer von mehreren Stimmberechtigten. Und, das ist die Abschlußpointe, nicht einmal dein Bewusstsein, dein "Ich" ist frei, sondern die rationalen Gedanken folgen alle irgendwelchen Hirnregeln. Von Freiheit und Souveränität also nirgends eine Spur.

Über Singers Aussagen und über etwaige Konsequenzen nachdenken hieße für mich demnach nicht zu fragen: Wie kriege ich meine Freiheit und Souveränität wieder zurück? Wie kann ich Determiniertheit durchbrechen? Sondern die Frage sollte doch sein: Was mache ich als Navigator mit diesem Wissen? Wie wird mich dieses Wissen potentiell beeinflussen und den Rest des Flugzeugs? Was denke ich nun noch über meine Mitmenschen und wie bewerte ich deren wackeligen Flugrouten? Was sollte man an den Flugverkehrsregeln ändern? usw.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Do 22. Jan 2009, 01:07

ganimed hat geschrieben:Du klingst hier wieder wie jemand, der noch daran glaubt, irgend so etwas wie ein Steuer in der Hand zu haben. [...] Du als "Ich" bist nur einer von mehreren Stimmberechtigten. Und, das ist die Abschlußpointe, nicht einmal dein Bewusstsein, dein "Ich" ist frei, sondern die rationalen Gedanken folgen alle irgendwelchen Hirnregeln. Von Freiheit und Souveränität also nirgends eine Spur.

Natürlich kann der Mensch steuern. Inzwischen ist es mir aber nach langen Diskussionen darüber eigentlich ziemlich gleichgültig geworden, wenn sich andere als Marionetten ansehen. Sollen sie doch, wenn es sie glücklich macht. Ich meine hingegen, dass der Mensch zur Freiheit verdammt ist.

ganimed hat geschrieben:Über Singers Aussagen und über etwaige Konsequenzen nachdenken hieße für mich demnach nicht zu fragen: Wie kriege ich meine Freiheit und Souveränität wieder zurück? Wie kann ich Determiniertheit durchbrechen? Sondern die Frage sollte doch sein: Was mache ich als Navigator mit diesem Wissen? Wie wird mich dieses Wissen potentiell beeinflussen und den Rest des Flugzeugs? Was denke ich nun noch über meine Mitmenschen und wie bewerte ich deren wackeligen Flugrouten? Was sollte man an den Flugverkehrsregeln ändern? usw.

Wenn Du meinst, selber nicht steuern zu können, sondern nur eine Marionette von äußeren Einflüssen zu sein, wie könntest Du dann etwas ändern? Wie könntest Du überhaupt eine Forderung an Dich oder an andere stellen? Das erschiene doch ziemlich sinnlos. Nun gut, vielleicht hat ja das unergründliche Schicksal es so bestimmt. Kann man nichts dagegen machen. Wer nicht steuern kann, wer keinen Einfluss auf seine Gedanken und Handlungen hat, wer diese als gänzlich losgelöst von sich betrachtet, kann logischerweise auch nichts intentional ändern. Fragt sich dann halt, was dieses "Ich" überhaupt noch ist, wenn es irgendwie unabhängig von den Gedanken und Handlungen existiert.

Nun ja, mir erscheint jedenfalls eine solche dualistische Sichtweise einfach nur absurd. Mein Gehirn denkt nicht für "mich" (was immer das dann bedeuten könnte - ist mir völlig unklar), ich denke.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon stine » Do 22. Jan 2009, 08:12

"Und was nun das Thema „Freiheit“ betrifft: Wenn wir determiniert sind, uns frei zu fühlen, dann fühlen wir uns eben frei und können und dürfen uns auch so verhalten, als ob wir frei wären – weil wir schließlich auch dazu determiniert sind. In diesem Sinne beantwortet auch Wolf Singer als entschiedener Verfechter des Neuro-Determinismus die Journalisten-Frage, ob man sich auch dann weiterhin für frei hält, wenn man erkannt hat, dass es sich dabei nur um eine Illusion handelt, kurz und knapp mit einem entschiedenen „Ja“ (Singer, 2006, 9)."
Mein Gehirn befielt jetzt duschen zu gehen (trifft sich aber gut, weil ich das eh gerade vorhatte). :mg:
LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Pia Hut » Do 22. Jan 2009, 14:35

Danke, AgentProvocateur für den Artikel, den du hier verlinkt hast. Neben dem für mich in seiner Argumentation sehr gut nachvollziehbaren Autor, habe ich überrascht festgestellt, dass Sartre viel zu bieten hat, wusste ich auch noch nicht. Habe ich ihn nun durch Zufall übersehen oder habe ich mich durch die Vorurteile anderer vom Lesen abhalten, determinieren lassen? (Aber eigentlich ist das auch wieder so eine blöde Frage - von deren Beantwortung nichts abhängt, die man aber sicher stundenlang wälzen kann.) Beim Kriegsbeispiel ginge ich evtl. mit Sartre auseinander, aber das nur am Rande.

AgentProvocateur hat geschrieben:Natürlich kann der Mensch steuern. Inzwischen ist es mir aber nach langen Diskussionen darüber eigentlich ziemlich gleichgültig geworden, wenn sich andere als Marionetten ansehen. Sollen sie doch, wenn es sie glücklich macht.


Zu deinem Schluss „gleichgültig“ kann ich mich leider nicht durchringen, auch wenn es sich damit evtl. etwas leichter aushalten lässt. Aber mal im Ernst, wenn wir uns nicht in die Tasche lügen wollen, dann ist schon klar, das wir in eine Gesellschaft „hineingeworfen“ sind, in der wir als Einzelindividuum in der Tat fast nichts ausrichten können. (Und wenn wir uns das einbilden, dann dient das in erster Linie unserer Psychohygiene, muss zwischendurch vielleicht auch mal sein.) Nur gemeinsam mit anderen, die einsehen, dass sie es sind, die des Denkens mächtig sind, lässt sich was steuern. Ich muss daher weiter versuchen anderen die Absurdität des Gedankens klar zu machen: wenn man angesichts eines Planeten, der in mehrfacher Hinsicht vor einem Kollaps steht, sagt, wir können sowieso nichts ändern, genau dann geht das auch mit Sicherheit nicht. Dann lasst uns spaßig in den Untergang rennen, ist ja sowieso nur von unserem Hirn konstruierte Realität. (damit stirbt es sich vielleicht leichter). Ich weiß auch, man wird mich wieder des Zynismus, der Miesmacherei bezichtigen, weil ich sage es ist ein Fehler sich die Dinge im Kopf schön zu färben. Für das kurzfristige individuelle Überleben mag das dienlich scheinen, für das langfristige ist es das nicht und damit kann das doch auch praktisch in Niemandens Interesse liegen.

ganimed hat geschrieben:Letztens unterhielt ich mich angeregt mit einem über das Glück im Leben. Dessen Ziel war gar nicht das Glück. Es ginge ihm um "wirkliche" Werte. Glück sei nur eine flüchtige Begleiterscheinung aber niemals das Ziel, der Wert an sich. Da war ich platt. Ich habe mit jemanden gesprochen, der allen Ernstes nicht glücklich sein will, zumindest nicht nur. Hallo?


Ich würde diesem Menschen in gewisser Hinsicht zustimmen (ich käme aber nicht unbedingt auf „wirkliche Werte“) bin mir noch nicht sicher, wo wir uns da widersprechen würden. Soviel von mir zum Glücksideal: Ist es bei euch, nicht auch so, dass wenn man den einen Wunsch sich hat erfüllen können, sofort der nächste auf den Plan tritt. Will jemand wunschlos glücklich sein, das ist ein Widerspruch in sich. (Sartre kann das besser formulieren). Das ist das Ideal der willenlosen Saturiertheit. Ich habe nichts gegen den Genuss, den kann man sich aber auch mit dieser Methode ganz schön vermiesen, dann hängt ihm immer ein „nur“ an, angesichts des großen Endziels, das praktisch nicht geht, aber wenn man es denn verfolgen will, dann kommt man der Sache wohl am nächsten, wenn man sich all seine Wünsche abschminkt…..
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Do 22. Jan 2009, 19:58

Pia Hut hat geschrieben:Will jemand wunschlos glücklich sein, das ist ein Widerspruch in sich.

Will ich schokoladenlos glücklich sein? Will ich hutlos glücklich sein? Die genauen Bedingungen, unter der ich relativ am glücklichsten bin (und bleibe) können wir ja in einer ruhigen Minute nochmal genau überlegen (wenn man nicht sogar ein ganzes Leben dazu braucht). Und wenn Wünsche haben zum glücklich sein dazu gehört, geschenkt, dann machen wir es so. Als Gegenargument, dass Glück nicht das Ziel sein kann, taugt der Einwand mit dem "wenn ich alles habe, dann bin ich nicht glücklich" jedenfalls nicht. Wenn man unter Bedingung A nicht glücklich ist, dann streichen wir A eben. Mein Glücksideal ist jedenfalls nicht die Saturiertheit. Was genau dem Glücksideal entspricht, ist eine knifflige Frage, deren Antwort sicher auch von Hirn zu Hirn und von Zeit zu Zeit verschieden sein wird. Aber dass das Glück ein Wert, ja sogar der ultimative Wert ist, das ist für mich eigentlich gar keine Frage.

Wenn ich mir den Artikel "Zur Freiheit verdammt" so durchlese und an die Sartre-Zitate gelange, frage ich mich sofort: woher wusste Sartre das eigentlich? Wie kam er auf seine Prämissen? Und welche Belege hat er? Da lobe ich mir doch Hirnforscher, die wenigstens erahnen lassen, wie sie zu ihren Schlußfolgerungen gelangt sind. Reine Philosophen, so kommt es mir vor, sagen irgendwas und der Leser muss dann entscheiden, ob er das auch irgendwie schon immer geglaubt hat und es deshalb für richtig hält. Die philosophische Idee überzeugt nicht durch Argumente sondern nur durch Affinität zu den Ideen des Lesers. Mit Sartre, so mein Gefühl, werde ich nicht warm.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du meinst, selber nicht steuern zu können, sondern nur eine Marionette von äußeren Einflüssen zu sein, wie könntest Du dann etwas ändern?

Genau. Ich ändere ja auch nichts. Es ändert sich was in mir, aufgrund der äußeren Einflüsse.
Nehmen wir mal an, ich sei eine Marionette. Ein äußerer Windstoß (das Lesen Singers Argumente) schubst mein Holzbein kräftig nach links (bringt mich zur Ansicht, keinen freien Willen zu haben). Die Marionette (ich) wird also eine kleine Delle in die neben ihr hängende Weichpuppe schlagen (ich werde im zwischenmenschlichen Umgang beispielsweise Begriffe wie "Schuld" und "Verantwortung" anders verwenden und andere Menschen ein wenig anders behandeln). Eigentlich hat die Marionette nichts geändert (eigentlich bin nicht ich es, der mein Verhalten steuernd ändert) sondern der Wind (sondern der Hirninput). Aber diese Aussage wäre zu unspezifisch und zu unpraktisch, also sollte man vielleicht doch weiterhin formulieren: die Marionette hat eine Delle geschlagen (ich werde mein Verhalten ändern). Und nur, wenn jemand fragt, wer Schuld ist, sagt die Marionette: der Wind. Recht hat sie.
Das verwirrende in dieser Willensfreiheitsdiskussion ist wohl, nach meiner Erfahrung jedenfalls, dass auf verschiedenen Ebenen verschiedene Formulierungen benutzt werden. Man darf die Ebenen nicht durcheinander bringen. Auf Alltagsebene zum Beispiel halte ich es mit Singer und sage, tue und handle, als hätte ich einen freien Willen.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Do 22. Jan 2009, 21:49

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn Du meinst, selber nicht steuern zu können, sondern nur eine Marionette von äußeren Einflüssen zu sein, wie könntest Du dann etwas ändern?

Genau. Ich ändere ja auch nichts. Es ändert sich was in mir, aufgrund der äußeren Einflüsse.

Und Du stehst ohnmächtig daneben und schaust einfach nur zu, was sich in Dir ändert? Und bist gespannt, was dabei herauskommt? So wie ein Zuschauer in einem für ihn neuen Film?

ganimed hat geschrieben:Nehmen wir mal an, ich sei eine Marionette. Ein äußerer Windstoß (das Lesen Singers Argumente) schubst mein Holzbein kräftig nach links (bringt mich zur Ansicht, keinen freien Willen zu haben).

Wenn Du ohnmächtig bist, wenn Du nur reagierst, wenn Du der Ansicht bist, nur ein kleines merkwürdiges Männchen zu sein, das Dir selber zusieht (was ja schon in sich vollkommen unlogisch ist - mE ein merkwürdiger Dualismus) und nicht weiß, was Du wohl tun wirst, wenn Du darauf keinen Einfluss hast, wieso sollte dann Singer einen Einfluss auf seine Argumente haben? Dann ist er, so wie Du, doch auch nur ein Beobachter in einem ihm unverständlich bleiben müssenden Weltgeschehen, oder etwa nicht? Wir warten also einfach ab, was passiert, wir haben gar keinen Einfluss, keine Verantwortung und keine Schuld? Alles ist eben so, wie es ist und kommt so, wie es kommen wird? Außerhalb unsereres Einflusses?

Es birgt übrigens eine gewisse logische Inkonsistenz in sich, wenn jemand sagt, er könne nichts steuern. Denn dann kann er logischerweise auch diese Aussage nicht steuern. Sie kommt von irgendwoher, aus irgend einer Sphäre, die er nicht kennt und die auch sonst niemand kennt. Warum also sollte man sie ernst nehmen? Warum könnte man nicht genauso gut genau das Gegenteil sagen? Es spielt eh keine Rolle, wenn man nichts steuern kann. Sind halt die Mächte des Schicksals, wir sind ohnmächtig. Das ist bequem.

Synonym dazu ist übrigens folgende Aussage: "Ich kann keine Aussage treffen". Auch diese Aussage verpufft notwendigerweise in einem kleinen rosa Logikwölkchen.

ganimed hat geschrieben:Die Marionette (ich) wird also eine kleine Delle in die neben ihr hängende Weichpuppe schlagen (ich werde im zwischenmenschlichen Umgang beispielsweise Begriffe wie "Schuld" und "Verantwortung" anders verwenden und andere Menschen ein wenig anders behandeln).

Ja, nun, das ist auch so eine Sache, die ich in dieser Diskussion noch nie verstanden habe: was sollte nun daran besonders wünschenswert sein, andere Leute wie Marionetten zu behandeln? Was letztlich bedeuten muss, sie nicht ernst zu nehmen, sie nicht als eigenständige Personen, als Individuen zu akzeptieren. Ich finde daran gar nichts wünschenswert und möchte auch nicht so behandelt werden.

ganimed hat geschrieben:Eigentlich hat die Marionette nichts geändert (eigentlich bin nicht ich es, der mein Verhalten steuernd ändert) sondern der Wind (sondern der Hirninput).

Vielleicht liegt aber noch etwas zwischen Input und Output? Etwas, das uns von Marionetten unterscheidet, etwas, weswegen wir uns nicht ganz unberechtigterweise unsere Handlungen selber zuschreiben? Weshalb wir uns verantwortlich fühlen für unsere Handlungen?

Nun ja, anscheinend gibt es Leute, die nicht frei sein wollen, die gerne ihre Verantwortung auf irgend etwas Unerklärliches abschieben wollen. Früher war das Gott, heute der Determinismus, die Wissenschaft, die Evolution, das Schicksal, die Sterne, whatever. Das werde ich wohl akzeptieren müssen, obgleich mir das sehr schwer fällt.

Ich finde es allerdings ganz ungut, wenn diese (mE voraufklärerische) vermeintliche Einsicht als wissenschaftlich erwiesene Wahrheit verkauft werden soll; wenn suggeriert werden soll, man solle sich gefälligst in sein Schicksal fügen, Menschen seien nun mal unmündig, das sei eben so, wissenschaftlich bewiesen.

Es hat in der Geschichte mE noch nie zu etwas Gutem geführt, wenn Menschen ihre Mündigkeit abgesprochen wurde und sie aufgefordert wurden, ihre Gedanken abzustellen und ihr Schicksal in die Hände von Dritten (Personen oder Dingen / Konzepten) zu legen. Das Ziel der Aufklärung ist es mE, Menschen zu ermöglichen, mündiger, eigenverantwortlicher und selbstbestimmter zu werden. Ist mir völlig unklar, wieso dieses Propagieren der Unmündigkeit des Menschen oft auch noch als besonders human und wünschenswert angesehen wird.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ostfriese » Do 22. Jan 2009, 23:00

AgentProvocateur hat geschrieben:"Ich kann keine Aussage treffen". Auch diese Aussage verpufft notwendigerweise in einem kleinen rosa Logikwölkchen.

Deshalb wird sie auch niemand behaupten. Die Frage ist nur, was dieses "Ich" ist. Für monistische Naturalisten ist es eine vom Gehirn erzeugte Simulation, mit der das Gehirn das Verhalten des Körpers deutet, dessen Teil es ist. Und diese Simulation geht einher mit einem Phänomen, das wir Subjektivität nennen. Diese Qualität, also die Illusion freien Denkens und freier Urheberschaft, ist eine emergente Eigenschaft hoch komplexer neuronaler Systeme.

"Wir" sind diese Eigenschaft, deshalb können "wir" sie nicht auf ihre Komponenten reduzieren, sie nicht auf neuronaler Ebene beschreiben oder erklären (auf dieser Ebene existiert das Phänomen "Subjekt" nicht, das Explanans würde sich durch eine solche Reduktion eliminieren). Aber das heißt nicht, dass "wir" damit von neuronalen Determinanten abgekoppelt wären, sondern nur, dass "wir" uns ihrer nicht bewusst werden können. Unter der ontologischen Prämisse eines emergentistischen Materialismus ist es also logisch unvermeidlich, dass sich Selbstbewusstsein auf derjenigen Komplexitätsebene, auf der es frühestens erscheint, für autonom halten muss. Und wenn wir unsere wissenschaftlichen Befunde unter derselben Prämisse deuten, dann wissen wir außerdem, dass es nicht autonom sein kann. Deshalb sprechen wir von der Illusion der Willensfreiheit.

Wer sie bestreiten will, muss den emergentistischen Materialismus bestreiten. Das ist dann ein metaphysisches Bekenntnis (das zu pragmatischen Inkonsistenzen führt), aber gewiss kein logisch zwingender Schluss.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja, anscheinend gibt es Leute, die nicht frei sein wollen, die gerne ihre Verantwortung auf irgend etwas Unerklärliches abschieben wollen. Früher war das Gott, heute der Determinismus, die Wissenschaft, die Evolution, das Schicksal, die Sterne, whatever. Das werde ich wohl akzeptieren müssen, obgleich mir das sehr schwer fällt.

Was wahr ist, entscheidet nicht unser Wollen. Wie die Welt ist, und wie wir sie gern hätten -- das sind zunächst mal zwei streng voneinander zu trennende Fragen.
Benutzeravatar
ostfriese
 
Beiträge: 1479
Registriert: Mi 20. Sep 2006, 22:28
Wohnort: Eisenach

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Do 22. Jan 2009, 23:19

ostfriese hat geschrieben:Aber das heißt nicht, dass "wir" damit von neuronalen Determinanten abgekoppelt wären, sondern nur, dass "wir" uns ihrer nicht bewusst werden können.

Nun ja, meiner Auffassung nach sind wir aber diese neuronalen Determinanten, (bzw. sie sind ein Teil von uns). "Wir" sind mE keineswegs nur die Simulation dieser Determinanten und "wir" sind auch nicht lediglich unser Bewusstsein oder unser Selbstbewusstsein. Aber das Problem in dieser Diskussion ist wahrscheinlich sowieso das unterschiedliche Selbstbild. Ich scheine da ein anderes zu haben als Du, als ganimed und auch als Singer. Nun ja. Kann vorkommen.

ostfriese hat geschrieben:Unter der ontologischen Prämisse eines emergentistischen Materialismus ist es also logisch unvermeidlich, dass sich Selbstbewusstsein auf derjenigen Komplexitätsebene, auf der es frühestens erscheint, für autonom halten muss. Und wenn wir unsere wissenschaftlichen Befunde unter derselben Prämisse deuten, dann wissen wir außerdem, dass es nicht autonom sein kann. Deshalb sprechen wir von der Illusion der Willensfreiheit.

Eine Autonomie von mir selber (den Vorgängen in meinem Gehirn, meinen Gedanken) zu fordern kommt mir einfach nur selbstwidersprüchlich und absurd vor. Mit einem solchen Freiheitsbegriff kann ich nichts anfangen.

ostfriese hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja, anscheinend gibt es Leute, die nicht frei sein wollen, die gerne ihre Verantwortung auf irgend etwas Unerklärliches abschieben wollen. Früher war das Gott, heute der Determinismus, die Wissenschaft, die Evolution, das Schicksal, die Sterne, whatever. Das werde ich wohl akzeptieren müssen, obgleich mir das sehr schwer fällt.

Was wahr ist, entscheidet nicht unser Wollen. Wie die Welt ist, und wie wir sie gern hätten -- das sind zunächst mal zwei streng voneinander zu trennende Fragen.

Natürlich.

Nur ging es mir an dieser Stelle nicht darum, wie die Welt ist. Was ich sagen wollte: mir scheint, dass es in dieser Diskussion (nicht nur hier, sondern generell gesehen) oft die Auffassung gibt, andere Menschen als unmündige Etwasse zu behandeln, sei moralisch wertvoller und humaner, als die Sichtweise, der Mensch sei ein für seine Handlungen verantwortliches Individuum. Was mir oft als starkes Motiv in dieser Diskussion erscheint. Was ich aber nicht nachvollziehen kann.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Fr 23. Jan 2009, 02:37

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Es ändert sich was in mir, aufgrund der äußeren Einflüsse.

Und Du stehst ohnmächtig daneben und schaust einfach nur zu, was sich in Dir ändert? Und bist gespannt, was dabei herauskommt? So wie ein Zuschauer in einem für ihn neuen Film?

Natürlich nicht. Ich erlebe das "sich ändern" wie jeder Mensch, nämlich unter der Illusion, dass ich was überlege, diese Gedanken Sinn machen und ich zu einem rationalen, begründeten Schluss komme. Und das tue ich ja auch, nur eben ohne letztendliche Kontrolle. In Einklang mit meinem in der Regel überzähligen Unterbewusstsein. Auf dieser Erlebnisebene ist also alles wie immer, da habe ich einen "freien Willen". Aber auf der Letztendlich-Ebene habe ich ihn nicht. Und um diese Ebenen auseinander zu halten, schlug ich vor, zunächst zu formulieren, dass die Marionette die andere Puppe beschädigte, weil die Marionette das auch so erlebt hat. Nur bei der analytischen Frage nach der letzten Ursache für das "Handeln" der Marionette sollten wir wieder auf die Letztendlich-Ebene zurück kehren und den Wind als Schuldigen nennen, bzw. die atmosphärischen Temperaturunterschiede, die den Wind verursachen, bzw. die Erddrehung und die Sonnenwärme, bzw..... bzw. den Urknall.

AgentProvocateur hat geschrieben:Es birgt übrigens eine gewisse logische Inkonsistenz in sich, wenn jemand sagt, er könne nichts steuern. Denn dann kann er logischerweise auch diese Aussage nicht steuern. Sie kommt von irgendwoher, aus irgend einer Sphäre, die er nicht kennt und die auch sonst niemand kennt.

Dass die Sphäre niemand kennt, hast du dir gerade ausgedacht. Ich jedenfalls habe das nicht gesagt. Natürlich habe ich da eine Vorstellung, woher meine Aussage "ich kann nichts steuern" kommt. Sie kommt aus meinem Gehirn und ist Folge von neuronalen Abwägungsprozessen, die wiederum angestossen wurden von irgendwelchen Eingangssignalen, zum Beispiel dem Text von Singer und tausend anderen Dingen. Welche Faktoren genau zu meiner Denke führen, kann ich selbstverständlich niemals im Einzelnen wissen. Aber das Grundprinzip ist klar. Es kommt ins Gehirn rein, wird dort verarbeitet und - voila - da ist die Aussage.

AgentProvocateur hat geschrieben:Warum also sollte man sie ernst nehmen? Warum könnte man nicht genauso gut genau das Gegenteil sagen?

Ernst nehmen sollte man meine Aussage, weil sie immerhin das Ergebnis einen komplexen neuronalen Abwägungsprozesses ist. Ich habe, wie jeder in meinem Alter, ganz schön viele Erfahrungsfragmente, Assoziationen, Denkstrategien, eingefahrene Ansichten, vorher verarbeitete Zwischenergebnisse und vermutlich einiges mehr zu bieten. Wenn Singers Text durch diese Höllenmaschine läuft und hinten raus kommt, dass ich dem zustimme, dann kannst du mir das ruhig glauben. Musst es aber natürlich nicht. :^^:

Aber gerade wollte ich dich fragen, wieso ich deine Aussagen ernst nehmen soll. Denn wenn du wirklich über einen freien Willen verfügst, dann hängen deine Aussagen ja gar nicht von vorherigen Hirnzuständen und einem Input ab. Dann hast du dir das ganze vielleicht einfach nur mal so aus dem Blauen heraus ausgedacht. Ein wirklich frei entscheidender Mensch wäre ein völlig unberechenbares Monster, dem man nicht eine Sekunde über den Weg trauen könnte. Und so einer könnte in der Tat genauso gut genau das Gegenteil sagen von allem was er vorher sagte. Eine völlig absurde Vorstellung eigentlich.

AgentProvocateur hat geschrieben:Vielleicht liegt aber noch etwas zwischen Input und Output? Etwas, das uns von Marionetten unterscheidet, etwas, weswegen wir uns nicht ganz unberechtigterweise unsere Handlungen selber zuschreiben? Weshalb wir uns verantwortlich fühlen für unsere Handlungen?

Du stellst genau die richtigen Fragen, aber ich hätte auch gerne eine Antwort von dir. Singer hat erklärt, wieso er in den ganzen Neuronen keine Chance auf einen freien Willen sieht. Jetzt erklär du mir mal, was denn da noch ist? Was zwischen Input und Output ist frei? Was weist auf einen freien Willen hin, außer die empfundene Illusion?
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon stine » Fr 23. Jan 2009, 09:23

Zwischen Input und Output bin ICH! :^^:
LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Pia Hut » Fr 23. Jan 2009, 17:14

Ganimed hat geschrieben:Ich bin deshalb völlig mit Singer überein, wenn er meint: "Vielleicht, so meine Hoffnung, könnte dies der Anstoß zur Entwicklung einer neuen Kultur der Demut sein, in der pragmatische Nahziele wie etwa Leidensminimierung, Empathiefähigkeit und Toleranz zum Primat werden."


Ich sehe, dass auch du sehr genau liest und danke dir, dass du mir einen expliziten Vorwurf erspart hast, weil ich aus Singers Zitat drei Worte (Leidensminimierung, Empathiefähigkeit und Toleranz) herausgelassen habe. Warum ich das getan habe - weil ich weiß, dass diese drei Worte so eine Art „heilige Kühe“ (allgemein gültige Werte) sind, mit denen man jeden Gedanken adeln kann, wer würde denn da noch was dagegen sagen.

Ganimed hat geschrieben:Wenn ich mir den Artikel "Zur Freiheit verdammt" so durchlese und an die Sartre-Zitate gelange, frage ich mich sofort: woher wusste Sartre das eigentlich? Wie kam er auf seine Prämissen? Und welche Belege hat er? Da lobe ich mir doch Hirnforscher, die wenigstens erahnen lassen, wie sie zu ihren Schlußfolgerungen gelangt sind. Reine Philosophen, so kommt es mir vor, sagen irgendwas und der Leser muss dann entscheiden, ob er das auch irgendwie schon immer geglaubt hat und es deshalb für richtig hält. Die philosophische Idee überzeugt nicht durch Argumente sondern nur durch Affinität zu den Ideen des Lesers. Mit Sartre, so mein Gefühl, werde ich nicht warm.


Deine Wertschätzung Singers verdankt sich deinem Respekt vor der Naturwissenschaft, als exakterer Wissenschaft, wiewohl Singer sich ganz alter „Tricks“ von Philosophen recht virtuos bedient.

„Die Naturforscher glauben sich von der Philosophie zu befreien, indem sie sie ignorieren oder über sie schimpfen. Da sie aber ohne Denken nicht vorankommen und zum Denken Denkbestimmungen nötig haben, diese Kategorien aber unbesehn aus dem von den Resten längst vergangner Philosophien beherrschten gemeinen Bewußtsein der sog. Gebildeten oder aus dem bißchen auf der Universität zwangsmäßig gehörter Philosophie (was nicht nur fragmentarisch, sondern auch ein Wirrwarr der Ansichten von Leuten der verschiedensten und meist schlechtesten Schulen ist) oder aus unkritischer und unsystematischer Lektüre philosophischer Schriften aller Art nehmen, so stehn sie nicht minder in der Knechtschaft der Philosophie, meist aber leider der schlechtesten, und die, die am meisten auf die Philosophie schimpfen, sind Sklaven grade der schlechtesten vulgarisierten Reste der schlechtesten Philosophien.“ aus Friedrich Engels - Dialektik der Natur – Philosophie und Naturwissenschaft

Wenn man linkes Gedankengut zitiert, dann ist nach meinen Erfahrungen häufig der nächste Schritt der, dass man alle möglichen Fehler von Linken vorgeworfen bekommt. Von was ich mich daher hier explizit distanzieren will, ist das verbreitete Wälzen von Schuldfragen unter Linken, der moralische Habitus mit dem sie Individuuen verdammen, weil diese praktisch gezwungen sind, um zu überleben in dieser Gesellschaft ihre Interessen zu verfolgen und dabei auch gegen die Interessen anderer handeln. (vielleicht etwas zu verdrechselt, daher versuche ich es mit zwei Beispielen)

An die Verkäuferin wird in ihrer Funktion der Anspruch herangetragen, den Kunden zu überreden ein Zeug zu kaufen, dass er häufig gar nicht braucht, dass sie dabei jemanden schädigt, der sich z. B. aus seinem persönlichen Jammer heraus, hat in die Konsumsucht treiben lassen, darf sie nicht interessieren. Natürlich gibt es da noch gewisse charakterliche Unterschiede, manche Verkäuferin sagt wohl, das ist mir nicht egal, aber um so mehr die Arbeitslosigkeit zunimmt, um so weniger kann sie sich ihre persönlichen Skrupel praktisch leisten. (Ich wüsste erstmal keinen Beruf, indem man diesem Widerspruch nicht irgendwie ausgesetzt wäre, bei manchen mehr, bei anderen weniger. Natürlich versuche auch ich mir da eine Nische zu suchen, in der ich den Schaden für andere möglichst gering halten kann.)

Ein Singer, als Neurowissenschaftler muss in seiner Funktion daran interessiert sein, Gelder für sein Forschungsgebiet, für seine noch junge Wissenschaft heranzuziehen und das geht am Besten mit „populären“ Gedanken. Ich will nicht sagen, er solle sich jetzt kräftig schämen, als Funktionsträger ist seine Vorgehensweise nur konsequent, er hat die Gründe für sein Handeln nicht verschuldet. Aus diesem Dilemma kommt er als Individuum nicht heraus, er wird in dieser Gesellschaft ganz praktisch genötigt eine ihrer Funktionen zu übernehmen und die Frage wer verhält sich nun mehr oder weniger „edel“, führt letztlich nur in eine Sackgasse. Zugegeben, sympathischer sind mir die schon, die sich nicht umstandslos beugen wollen und nach Wegen suchen dem, wenn auch zunächst nur in kleinem Rahmen Widerstand entgegen zu setzen, aber allzu viel sollte man sich darauf auch nicht einbilden, aus dem Dilemma kommt man alleine nicht heraus. Und Aufmüpfigkeit zum Ideal zu erheben wäre nun wahrlich auch nicht meiner Weisheit letzter Schluss.

Man kann am Singer, als Beispiel aufzeigen, wie gesellschaftliche Prinzipien wirken und kann sich fragen, was man von diesen hält. Ändern kann man sie nur, wenn sich möglichst viele überhaupt die Frage stellen. Die andere Alternative dazu ist die, sich in persönliche Gewissensfragen hineintreiben zu lassen - wie man sich aus einem schlechten Gewissen ein gutes Gewissen machen kann, kann man sich bei Gläubigen abschauen. Der Ausgang dieser Gewissensfrage ist allerdings durchaus offen, die „Erfolgreichen“ (nach den herrschenden Maßstäben) entscheiden sie jedoch häufig positiv, die „Erfolglosen“ entwickeln dabei häufiger eine schlechte Meinung über sich selbst. Und „Wer mit sich unzufrieden ist, ist fortwährend bereit, sich dafür zu rächen: wir Anderen werden seine Opfer sein“ Nietzsche

Ganimed hat geschrieben: Ein wirklich frei entscheidender Mensch wäre ein völlig unberechenbares Monster, dem man nicht eine Sekunde über den Weg trauen könnte. Und so einer könnte in der Tat genauso gut genau das Gegenteil sagen von allem was er vorher sagte. Eine völlig absurde Vorstellung eigentlich.


Wie du zu diesem Horrorgemälde kommst, ist mir noch reichlich schleierhaft, aber dies scheint es zu sein, was dich drängt an der prinzipiellen Determiniertheit festhalten zu wollen.

Ich kann erstmal nur mit Harry Krämer sagen: „Kontrolle der Subjektivität ist eine gewaltige Einübung disziplinierten Denkens“. Man lese die Bibel, Singer, Nietzsche, lese nicht nur da, wo man sich die Bestätigung der eigenen Vorurteile abholen kann. Ich habe mir schon viele Vorurteile ausräumen lassen müssen. Mein Verstand und der deine auch, ist dazu in der Lage, die Logik eines Gedankens nachzuvollziehen, Ideen zu verwerfen, wenn man sich ohne Wunschdenken (und eigene Ängste zur Seite schiebend) ihre Konsequenzen bis zum bitteren Ende durchdenkt. Und dazu muss man Ideen von Ideenträgern trennen, sich jede „Verehrung“ eines Autors verkneifen, wohl wissend dass wir manchmal dazu neigen, sonst teilt man schnell auch dessen Fehler. Bei Nietzsche findet man z. B. auch recht derbe Übergänge, die von den Nationalsozialisten nicht „missbraucht“ wurden, wie seine Verehrer immer meinen, sondern sehr folgerichtig gebraucht wurden, weil die Logik in diesen Gedanken drinsteckte. Aber ich werde den Teufel tun, jetzt deswegen den Nietzsche in die Tonne zu kloppen. Wir machen nun mal Fehler, wir kommen nicht darum herum, aber belanglos sind sie deshalb nicht und es ist daher auch wichtig für mich, zu verstehen, wie so „große“ Denker wie ein Nietzsche dahingekommen sind. Wenn wir bestrebt sind aus den Fehlern anderer zu lernen, haben wir auf jeden Fall eine bessere Chance sie nicht zu wiederholen. (Singer spricht auch irgendwo so ähnlich über Fehler, sein Schluss läuft für mich aber darauf hinaus, dass wir nichts wagen dürften, so eine Art auf „Zehenspitzen gehen“ und eigentlich so weitermachen, wie bisher, denn wer hätte sich den nicht schon längst an seinen drei hochgelobten Werten praktisch versucht und wer hält sich dabei eigentlich für eine rühmliche Ausnahme.)
Allwissend werde ich dadurch, dass ich den Urteilen meines Verstandes Vertrauen schenke nicht, dazu ist kein Individuum in der Lage, ich setzte da auch sehr auf den Verstand anderer. Aber wenn ich mit jemandem spreche, der seinen eigenen Verstand nicht Ernst nehmen will, dann weiß ich erstmal, dass er mich immer wieder zum Ausgangspunkt zurückwerfen wird, weil er mir implizit sagt, das was wir da gerade tun, geht doch eigentlich gar nicht, den Folgen unserer Überlegungen dürfen wir doch nicht trauen. Indem er den Verstand immer wieder einem prinzipiellen Verdacht aussetzt, weil er seine Tauglichkeit getrennt von allem Inhalt überprüfen will, zwingt er ihn in einen Zirkel. Auf diese Art und Weise bleiben „Ideen“ dann wirklich folgenlos und wir landen in der gesellschaftlichen Determiniertheit.
Pia Hut
 
Beiträge: 70
Registriert: Do 15. Jan 2009, 19:11

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 24. Jan 2009, 00:20

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Es ändert sich was in mir, aufgrund der äußeren Einflüsse.

Und Du stehst ohnmächtig daneben und schaust einfach nur zu, was sich in Dir ändert? Und bist gespannt, was dabei herauskommt? So wie ein Zuschauer in einem für ihn neuen Film?

Natürlich nicht. Ich erlebe das "sich ändern" wie jeder Mensch, nämlich unter der Illusion, dass ich was überlege, diese Gedanken Sinn machen und ich zu einem rationalen, begründeten Schluss komme. Und das tue ich ja auch, nur eben ohne letztendliche Kontrolle.

Ja, eben, das tust Du. Wieso also sprichst Du in diesem Zusammenhang von einer "Illusion"? Das ergibt keinen Sinn.

Und was die "letztendliche Kontrolle" angeht: es ist mE selbstverständlich, dass nichts für sich existieren kann, dass auch wir ein Produkt unserer Umwelt, unserer Gene, unserer Sozialisation sind. Wären wir das nicht, dann wären wir keine Personen, keine Individuen. Mir ist deshalb unklar, wie man einen konsistenten Freiheitsbegriff haben kann, der dies voraussetzt.

Aus der Tatsache, dass wir nicht unabhängig von äußeren Einflüssen sein können, schließen zu wollen, dass wir nichts steuern könnten, ist jedoch mMn ein Fehlschluss.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Es birgt übrigens eine gewisse logische Inkonsistenz in sich, wenn jemand sagt, er könne nichts steuern. Denn dann kann er logischerweise auch diese Aussage nicht steuern. Sie kommt von irgendwoher, aus irgend einer Sphäre, die er nicht kennt und die auch sonst niemand kennt.

Dass die Sphäre niemand kennt, hast du dir gerade ausgedacht. Ich jedenfalls habe das nicht gesagt.

Doch, sicher hast Du das gesagt. Du möchtest alles auf den Urknall zurückführen, welcher aber doch wohl so ziemlich außerhalb unseres Verständnisses liegt. Oder etwa nicht?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Warum also sollte man sie ernst nehmen? Warum könnte man nicht genauso gut genau das Gegenteil sagen?

Ernst nehmen sollte man meine Aussage, weil sie immerhin das Ergebnis einen komplexen neuronalen Abwägungsprozesses ist. Ich habe, wie jeder in meinem Alter, ganz schön viele Erfahrungsfragmente, Assoziationen, Denkstrategien, eingefahrene Ansichten, vorher verarbeitete Zwischenergebnisse und vermutlich einiges mehr zu bieten. Wenn Singers Text durch diese Höllenmaschine läuft und hinten raus kommt, dass ich dem zustimme, dann kannst du mir das ruhig glauben. Musst es aber natürlich nicht. :^^:

Das Problem ist nun aber, dass Du Dich von Deinen Aussagen völlig distanzierst, wenn Du sagst, Du könntest nichts steuern. Deine Aussagen passieren einfach, verursacht nicht durch Dich, sondern durch irgend etwas anderes, den Urknall, das Schicksal, whatever. Es sind also nicht Deine Aussagen. Ich möchte dann aber lieber mit demjenigen diskutieren, der Deine Aussagen trifft, sie begründet und vertritt. Wenn Du das nicht bist, dann rede ich eben mit Deinem Gehirn.

Mir kommt dieses Selbstbild ziemlich schizophren vor, muss ich sagen.

ganimed hat geschrieben:Aber gerade wollte ich dich fragen, wieso ich deine Aussagen ernst nehmen soll. Denn wenn du wirklich über einen freien Willen verfügst, dann hängen deine Aussagen ja gar nicht von vorherigen Hirnzuständen und einem Input ab. Dann hast du dir das ganze vielleicht einfach nur mal so aus dem Blauen heraus ausgedacht. Ein wirklich frei entscheidender Mensch wäre ein völlig unberechenbares Monster, dem man nicht eine Sekunde über den Weg trauen könnte. Und so einer könnte in der Tat genauso gut genau das Gegenteil sagen von allem was er vorher sagte. Eine völlig absurde Vorstellung eigentlich.

Ja, in der Tat ist es absurd, Freiheit mit Beliebigkeit gleich zu setzen. Also zu meinen, "wirklich frei" könne nur jemand sein, der keinen Bezug zu sich selber hätte, der sich also komplett von sich selber "frei" machen könnte, woraufhin er logischerweise nicht mehr er selber wäre. Nur verstehe ich nun nicht, warum Du, wenn Du die Absurdität dessen siehst, trotzdem ernsthaft einen solchen Freiheitsbegriff vertreten möchtest.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Vielleicht liegt aber noch etwas zwischen Input und Output? Etwas, das uns von Marionetten unterscheidet, etwas, weswegen wir uns nicht ganz unberechtigterweise unsere Handlungen selber zuschreiben? Weshalb wir uns verantwortlich fühlen für unsere Handlungen?

Du stellst genau die richtigen Fragen, aber ich hätte auch gerne eine Antwort von dir. Singer hat erklärt, wieso er in den ganzen Neuronen keine Chance auf einen freien Willen sieht. Jetzt erklär du mir mal, was denn da noch ist? Was zwischen Input und Output ist frei? Was weist auf einen freien Willen hin, außer die empfundene Illusion?

Ich halte es da eher mit dem Freiheitsbegriff von Kant und Sartre. Mit deinem Freiheitsbegriff kann ich rein gar nichts anfangen. Der ist in sich inkonsitent und nicht logisch darstellbar. Außerdem scheint er binär zu sein: entweder gibt es totale Freiheit (von allem) oder es gibt überhaupt keine Freiheit. Für mich ist Freiheit aber etwas Graduelles. Menschen zum Beispiel, die eine höhere Fähigkeit zur Erkenntnis und Einsicht haben als andere, sind deswegen mAn freier als diejenigen, die diese Fähigkeit weniger besitzen.

Freiheit kann aber doch nicht Freiheit von Naturgesetzen bedeuten. Das ist jedoch merkwürdigerweise der Freiheitsbegriff von einigen Hirnforschern und wohl auch von Dir. Das geht aber mE an der Sache völlig vorbei und das ist der Grund, warum ich zum Beispiel Singer und Roth für ziemlich schlechte Philosophen halte (gleichwohl sie auf ihrem eigentlichen Fachgebiet wertvolle Arbeit leisten mögen).

Ihre philosophischen Aussagen "wir sind nicht frei, wir können nichts steuern, weil wir in das Naturgeschehen eingebettet sind und uns davon nicht lösen können" sind mE a) ein unbegründeter (Fehl)-Schluss und führen sich b) selber ad absurdum.

Nun ja, wenn es Dir aber nur darum geht, festzustellen, dass Menschen Teil der Natur sind und nicht außerhalb stehen können: das ist auch meiner Ansicht nach natürlich richtig. Warum aber sollte nun daraus folgen, dass es keine Steuerungsmöglichkeiten und demnach keine Verantwortung mehr geben kann? Das folgt mE nämlich nicht, das müsste begründet werden, das versteht sich keineswegs von selber. Nur kommt man eben bei dieser Begründung unweigerlich wieder auf das Problem, dass, wenn man nicht steuern kann, auch seine Begründungen nicht steuern kann und also sich diese Begründung selber aufhebt. Aus diesem Dilemma gibt es mE keinen Ausweg.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 00:35

Pia Hut hat geschrieben:Ein Singer, als Neurowissenschaftler muss in seiner Funktion daran interessiert sein, Gelder für sein Forschungsgebiet, für seine noch junge Wissenschaft heranzuziehen und das geht am Besten mit „populären“ Gedanken.

Das nenne ich sekundäre Argumente. Auch letztens einmal im Radio eine Sendung (SWR2 Aula, glaube ich) wo jemand der aktuellen Hirnforschung vor allem vorwarf, laut zu sein und sich eigentlich ganz alter Argumente zu bedienen. Wenn du oder andere Kritiker anfangen, lediglich sekundäre Argumente vorzubringen, nicht mehr Kritik an den Aussagen, sondern nur noch an ihrer Form oder den Motiven oder der Person Singers zu üben, dann, so würde ich denken, scheint Singer in der Sache ja erstmal 1:0 zu führen.

Pia Hut hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Ein wirklich frei entscheidender Mensch wäre ein völlig unberechenbares Monster, dem man nicht eine Sekunde über den Weg trauen könnte. Und so einer könnte in der Tat genauso gut genau das Gegenteil sagen von allem was er vorher sagte. Eine völlig absurde Vorstellung eigentlich.

Wie du zu diesem Horrorgemälde kommst, ist mir noch reichlich schleierhaft

Vielleicht noch eine Erläuterung. Der Punkt scheint mir zumindest wichtig genug. Bei Willensfreiheit definiere ich Freiheit mit "Unabhängigkeit von ursächlichen Faktoren".
Beispiel: Mr. X entscheidet sich zwischen A und B, und er wählt A.
War Mr. X frei in seiner Entscheidung? Verfügte er über einen freien Willen, sich für A zu entscheiden?
Um diese Frage zu beantworten, führe ich die Frage auf das folgende zurück: Welchen Grund hatte Mr. X, sich für A zu entscheiden?

Fall 1) Nennt mir Mr. X seine Gründe (z.B. "A ist viel besser" oder "meine Frau hätte mich sonst umgebracht"), dann gesteht er damit doch ein, dass er keine freie Entscheidung getroffen hat. Die Entscheidung war nicht frei, konnte gar nicht für B ausfallen. Mr. X hat nur folgerichtig gehandelt, gemäß den Sachzwängen und nicht als souveränes Individuum.

Fall 2) Wenn Mr. X wirklich frei entschieden hätte, müsste er eigentlich auf die Frage nach den Ursachen sagen: "Es gab keinen Grund. Ich habe einfach so entschieden. Frag mich in einer Stunde nochmal, und ich werde mit statistischer Wahrscheinlichkeit von 50:50 plötzlich B wählen". Mr. X würde, wenn er frei entschiede, also in Wirklichkeit streng zufällig entscheiden bzw. akausal.

Nur in Fall (2) wäre ein freier Wille vorhanden (nach dieser Freiheitsdefinition zumindest). In Fall (2) wäre Mr. X unberechenbar (weil zufällig) und deshalb jederzeit zu allem fähig. Bei der Entscheidung: "bringe ich ganimed um, nein (A) oder ja (B)", könnte ich mir also nie sicher sein, dass er sich immer für (A) entschiede. Mr. X wäre ein höchst gefährliches Individuum.

Übrigens: Mir erscheint diese Argumentation zwar sehr logisch, aber wenn sie das wirklich wäre, hätte ich wenigstens einen einzigen Menschen bisher damit überzeugen müssen. Habe ich aber nicht. Ich bin also immer noch auf der Suche, nach den Fehlern in meiner Denke. Also bitte, keine Zurückhaltung. Sagt mir, wo ich mich irre.
Benutzeravatar
ganimed
 
Beiträge: 1687
Registriert: Sa 23. Aug 2008, 22:35

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast