ganimed hat geschrieben:Mein Argument ist jedenfalls: moralische Verantwortung erfordert Wahlfreiheit. Die gibt es mit Kausalität aber nicht.
Als Gegenargument von dir fände ich nun viel konstruktiver, wenn du mir aufzeigen könntest, wieso es mit Kausalität doch Wahlfreiheit gibt und wie die genau aussehen soll. Da meine Behauptung eine Nichtexistenz beinhaltet, musst du doch nur ein einziges winzig kleines Gegenbeispiel bringen und schon können wir alle nach Hause gehen. Wo bleibt es?
Viele Inkompatibilisten verstehen unter 'Wahlfreiheit' Folgendes: "angenommen, wir könnten die Zeit zurückdrehen, dann würde sich ein Subjekt bei einer Entscheidung in
exakt derselben Situation (d.h. sowohl äußere als auch innere Zustände sind exakt gleich) mal für P (Passat) und mal für T (Trabbi) entscheiden." (Auch PAP genannt: Principle of Alternate Possibilities)
PAP würde aber meiner Ansicht nach nicht auf 'Freiheit' hinweisen, sondern nur auf Willkür, Zufall, nicht in Übereinstimmung mit der Persönlichkeit zu bringen, keine Erhöhung der persönlichen Freiheit bedeuten können.
Und dann ist PAP einfach deswegen von Vorneherein völliger Quark, weil es bedeutet:
1. Angenommen, es gäbe eine Situation S und eine Situation S' und es gälte: S == S'
2. Frage: kann gelten: S != S'?
3. Antwort: nein, kann es nicht, wegen 1.
4. Deswegen gibt es keine Freiheit, weil 'Freiheit' bedeuten muss: S == S' und S != S'
Ganz tolle Argumentation.
'Wahlfreiheit' bedeutet meiner Ansicht nach dies: jemand hat die hinreichende Fähigkeit dazu, seine Präferenzen, Ansichten und Ziele bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen und die Entscheidung auf diese hin auszurichten und die Folgen seiner Entscheidung hinreichend abschätzen zu können. Jemand wäre mE nicht freier, wenn dabei irgendwo ein akausaler Faktor hinzukäme, jedenfalls wüsste ich nicht, wie das gehen könnte.
Jemand, der also immer den Passat statt des Trabbis nimmt, wäre meiner Auffassung nach freier, als der, der manchmal (für ihn selber überraschend und nicht vorhersehbar - in exakt derselben Situation) mit dem Trabbi dasäße.
Nun gibt es aber auch andere Entscheidungen, die nicht im Vorneherein so klar sind. Nehmen wir an, jemand würde sich für ein Studienfach entscheiden wollen. Er hätte mehrere Alternativen ins Auge gefasst, würde die jeweiligen Vor- und Nachteile abwägen und sich letztlich, aufgrund seiner Gewichtungen, für eine davon entscheiden. Das würde ich dann als freie Entscheidung ansehen, ich wüsste nicht, wie die 'freier' (oder überhaupt erst 'frei', da so 'unfrei') sein könnte. Du?
Oder mal noch 'ne andere Art von Entscheidung: nehmen wir an, jemand träfe eine Entscheidung zwischen zwei Gerichten in einem Restaurant. Auf der Karte stehen sehr viele Gerichte, die hat er alle schon ausgeschlossen, nur zwei bleiben übrig und er findet beide gleich attraktiv. Nun könnte er a) willkürlich aber kausal eine wählen (die erste auf der Karte zum Beispiel), er könnte aber auch b) seine Entscheidung von einem indeterminierten Quantenwürfel abhängig machen. Beides wäre nach meiner Ansicht eine freie Entscheidung (-> ist auf die Persönlichkeit und deren Fähigkeiten zur Abwägung zurückzuführen), aber b) würde ich nicht als freier ansehen.
Wie liefe nun eine 'freie' Wahl nach Deinem Verständnis ab?
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, nein, so geht das nicht. 'Schuld' bedeutet nicht mehr und nicht weniger als moralische Verantwortung für eine Normverletzung.
Ich könnte mir vorstellen, dass meine "Verantwortung" dann eben nicht deine "moralische Verantwortung" ist. Aber ok, um Missverständnisse zu vermeiden, ziehe ich mich auf den Begriff der Zurechenbarkeit zurück. Wenn eine Normverletzung einer Person B zuzurechnen ist, dann hagelt es für sie Maßnahmen.
Spielt keine Rolle:
1. 'Orkanbö' -> nicht zurechenbar == nicht moralisch verantwortlich
2. 'B rettet A nicht vor dem Ertrinken' -> zurechenbar == moralisch verantwortlich
ganimed hat geschrieben:Ich vermisse bei dir den Punkt des sich anders entscheiden könnens. Was du anführst, nämlich die Folgen abschätzen und die Handlung darauf ausrichten, kann ja auch ein dummes Programm leisten, wie ich ja schonmal gezeigt hatte.
Nein, hast Du nicht. Dein dummes Programm kann nichts abschätzen, nicht die Zukunft, nicht die Auswirkungen seiner 'Entscheidung', gar nichts. Es kann nur berechnen, mehr nicht. Das Programm könnte nicht verantwortlich sein, würde nicht als Mitglied einer Gesellschaft angesehen werden.
ganimed hat geschrieben:Man entscheidet in derselben Situation immer gleich. 5-Milliarden mal immer den Passat. Nach Wikipedia ist man also nicht schuld und moralisch nicht verantwortlich.
Du solltest Dich weniger auf Wikipedia stützen und statt dessen Deine Behauptung, man könne nur dann moralisch veranwortlich sein, wenn man mal so und mal so entscheidet, mal begründen.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Aber nein, jede Alternative, die ich nicht will und die ich dennoch ergreifen muss ('muss' = ich will sie gar nicht ergreifen) vermindert, bzw. konterkariert doch meine Verantwortung und somit meine Schuld. Wie kann 'Wahlfreiheit' (= Zufall) Schuld erhöhen?
Wahlfreiheit bedeutet, dass ich eine Alternative will. Du scheinst fast mechanisch immer den "Willen", den Augenblick der Entscheidung aus der Betrachtung heraus zu nehmen und dir dann nur noch die Handlung anzuschauen. Damit landest du aber immer nur bei Handlungsfreiheit. Die Wahlfreiheit findet früher statt.
Nein, tue ich nicht, ich unterscheide zwischen
1. Handlungsfreiheit: kann tun, was er will
2. Willensfreiheit: kann seine Entscheidungen selber soweit bestimmen, dass man sie ihm zurechnen kann
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Für die Legitimation siehe oben meinen Link und die Übersetzung dessen. In Kürze: basiert auf einem Gesellschaftsvertrag zwischen mündigen, rationalen und selbstverantwortlichen Wesen, die für sich Rechte fordern und daraufhin notwendigerweise spiegelbildlich Pflichten einhalten und für Verletzung dieser Pflichten einstehen müssen.
Du kommst irgendwie einfach nicht auf den Punkt. Meine Frage war ja, wie Strafe legitimiert ist. Du schreibst nur, dass man nicht nur Rechte hat, sondern auch Pflichten einhalten muss. Aber wieso darf man jemanden, der die Pflichten nicht einhält, bestrafen?
Weil das Teil des Spieles in einer freien Gesellschaft ist: wer Pflichten nicht einhält und dafür verantwortlich ist, ihm die Pflichtverletzung zurechenbar ist, muss sich den gegebenen Regeln unterwerfen. Wenn er aber das ganze Spiel nicht akzeptiert, keine Rechte Anderer und somit keine Pflichten für sich, dann kann er auch keine Rechte nur für sich einfordern.
ganimed hat geschrieben:AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder a) wir können unsere Zukunft bewusst gestalten oder b) wir können es nicht.
Falsch. Wir reden darüber, ob wir sie frei gestalten können oder nicht. "Bewusst" hat damit nichts zu tun.
Naja, wenn Du dann mal darlegen könntest, was 'frei' eigentlich bedeuten soll und wieso, wenn sowohl Kausalität als auch Akausalität Gegensätze dazu sind. Darauf warte ich doch schon so lange.
ganimed hat geschrieben:Wenn eine Mutter durchdreht und aus einem tiefen Vergeltungsinstinkt den Mörder tötet, dann wird sie sich eher nicht durch rationale Überlegungen davon abhalten lassen, dass es im Gefängnis möglicherweise irgendwie nicht so toll ist. Soweit ich hörte, zeigen die Statistiken ja beispielsweise auch, dass in Ländern mit Todesstrafe die Zahl der entsprechenden Delikte keineswegs abnimmt. Wenn "Abschreckung" also deine einzige Legitimation sein sollte, dann ist sie meiner Meinung nach zwar vorhanden, ok, aber doch recht schwach.
Rechtsnormen müssen durchgesetzt werden, wenn sie Bestand haben sollen und ich halte dafür Abschreckung, d.h. Androhung (und Durchführung) von Sanktionen für unerlässlich. Wären sie das nicht, dann sollte man darauf verzichten, sicher. Sie dürfen kein Selbstzweck sein. Nur wird man schlecht zeigen können, dass sie nicht funktionieren, bzw. auf einen solchen Nachweis bin ich gespannt. Ein Nachweis kann nicht der Fakt sein, dass Abschreckung nicht
immer funktioniert, denn das tut sie offensichtlich nicht, (es gibt nun mal Rechtsnormverletzungen), jedoch ist dann noch nichts darüber ausgesagt, dass sie nie funktionieren, d.h. nie in eine Kalkulation einer zukünftigen Handlung einbezogen werden und diese in Richtung Rechtsnormeinhaltung beeinflussen.
Ich denke, dass zum Beispiel die Anzahl von Steuerhinterziehungen durchaus von Sanktionsandrohungen und deren Durchsetzung beeinflusst werden.
ganimed hat geschrieben:Wir könnten also ruhig zugeben, das wir unfrei sind.
Natürlich kann man ruhig zugeben, dass niemand in keiner auch nur ansatzweise denkbaren Welt in Deinem Sinne 'frei' sein könnte, da das ja per se unmöglich ist. Aber das bedeutet nun mal nicht, dass es auch keine moralische Verantwortung geben könnte, das folgt nicht.
ganimed hat geschrieben:Auf den Schuldbegriff könnte man konsequentialistischer Weise verzichten. Wir könnten Normen behalten. Wir müssten nicht fatal sein sondern könnten unseren Willen behalten. Wir könnten aufhören, über nicht existente Akausalität zu reden.
'Kausalität', die angeblich Freiheit verhindern soll, ist immerhin Dein Argument. Und nochmal: ob Akausalität in unserer Welt existiert oder nicht, spielt erst mal keine Geige. Sollte kein Problem sein, sich eine hypothetische akausale Welt vorzustellen und den Begriff der 'echten Freiheit' dort zu demonstrieren.
Und wenn wir nicht fatalistisch sein wollen, uns selber als mögliche Gestalter der Zukunft ansehen, deren Entscheidungen und Handlungen Auswirkungen auf die Zukunft haben, dann können wir uns auch weiter über mögliche Gestaltungen dieser Zukunft unterhalten. Über mögliche Alternativen, wie die gestaltet werden könnte, was dafür spricht und was dagegen. Dann können wir uns weiter als freie, gleichberechtigte Wesen ansehen, die gegenseitig Rechte und Pflichten akzeptieren und ihre Handlungen verantworten können. Dazu gibt es mE eh keine Alternative, es sei denn, jemand hätte soviel Macht, dass das für ihn verzichtbar erscheint.
ganimed hat geschrieben:Wieso verzichtest du so ungern auf den freien Willen? Du räumst ein, dass alles kausal ist. Um den freien Willen dennoch behalten zu können, verortest du ihn einfach woanders hin: man müsse nicht frei sein (anders entscheiden können), sondern für einen freien Willen reicht es plötzlich, wenn man bewusst, kontrolliert und selber entscheidet. Das hat aber nichts mit Freiheit zu tun.
Doch, das ist die einzige konsistente Darstellung von 'Freiheit', mE. Ich habe noch nie eine kohärente, d.h. nicht von Vorneherein selbstwidersprüchliche Darstellung von 'Willensfreiheit' von Inkompatibilisten gesehen und ich glaube auch kaum, dass ich die mal sehen werde.
ganimed hat geschrieben:Deine etwas lahme Antwort darauf: der Begriff "freier Wille" hätte sich da nunmal so eingebürgert.
Wieso lahm? Das ist für mich genau das Thema: haben Subjekte Kontrolle über ihre Entscheidungen und Handlungen, können sie ihnen zugeordnet werden und wenn ja: inwiefern? Deine ad hoc-Behauptung, 'Freiheit' und 'Kausalität' seien Gegensätze, finde ich da eher lahm, weil nicht begründet. Die sich selber ad absurdum führt, wenn Du zugibst, dass 'Freiheit' und 'Akausalität' auch Gegensätze seien. Aber egal, den Punkt werden wir nicht klären können, den haben wir jetzt schon oft genug durchgekaut. Du kannst einfach nicht sehen, dass Du das begründen musst und nicht einfach auf Wikipedia verweisen kannst, wo es aber nun mal auch keine Begründung dafür gibt, sondern ebenfalls nur eine Behauptung.
ganimed hat geschrieben:Und dann entpuppst du dich als vehementer Gegner jeden Konsequentialismuses.
Nö. Ich bin nur ein Gegner eines
reinen, ausschließlichen Konsequentialismus.
ganimed hat geschrieben:Ist das vielleicht der Grund, wieso du am freien Willen festhalten willst, selbst wenn das nur mit Begriffsverdrehung möglich ist? Weil du ohne "Schuld", "moralische Verantwortung" und "Strafen" die gesamte menschliche Gesellschaft in Gefahr siehst, der Willkür und des Fatalismus anheim zu fallen?
Ja, so ungefähr. Was mich auch sehr stört: der Inkompatibilist hat kein logisches Argument für seine Sichtweise, er eiert meist zwischen dem Argument der Kausalität / Determination als Gegensatz zu Freiheit und dem Argument 'Freiheit ist sowieso nicht möglich' umher, was aber selbstwidersprüchlich ist. Entweder oder. Und außerdem hat er nun mal weder ein plausibles Konzept von 'Willensfreiheit', noch hat er eines von 'anders handeln können in exakt derselben Situation (PAP)' das nicht auf beliebigen Zufall hinausläuft.
Und außerdem halte ich es für nicht möglich oder zumindest für sehr nachteilig, alle anderen und sich selber als fremdgesteuerte Objekte anzusehen und nicht mehr als selbstbestimmte Subjekte, ja. Fragte sich dann halt,
wer oder
was das so sieht, wenn das nicht selbstbestimmte Subjekte sind.
Aber die erste Frage wäre immer noch: wieso eigentlich sollte man das tun? Und wie kann man überhaupt ein 'Sollen' fordern, wenn es gar kein 'Können', sondern nur ein 'Müssen' gibt? Das ist doch schlicht absurd, inkohärent, selbstwidersprüchlich, inkonsistent.
Nun ja. Langer Rede kurzer Sinn: wir sind trotz aller Bemühungen keinen Schritt weiter gekommen, wir wiederholen uns nur noch. Es hakt immer noch an deiner Behauptung 'Freiheit und Kausalität sind Gegensätze', die mir nicht einleuchten will. Und Dir will irgendwie aus einem mir unbekannten Grund nicht einleuchten, dass Du das nicht einfach so als Behauptung in den Raum stellen kannst, sondern eine Begründung dafür liefern musst.
Keine Ahnung, wie wir hier weiter kommen können.