Wolfgang Huber über den Atheismus

Für Artikel, Video- oder Audiomaterialien, die im Zusammenhang mit der Thematik der Brights-Bewegung stehen.

Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Myron » Di 14. Mai 2013, 12:32

"Mit Gott geht der Sinn: Der Atheismus schöpft seine Legitimation aus der Wissenschaft. Diese versucht, die Grundfragen der menschlichen Existenz restlos zu klären. Doch wer beantwortet die neuen Fragen, die sich dadurch stellen?"

http://www.theeuropean.de/wolfgang-hube ... n-religion
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Zappa » Di 14. Mai 2013, 17:43

Danke für den Tipp.

Schwacher Artikel, bin mal auf die Diskussion gespannt ...
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Di 14. Mai 2013, 18:50

Es ist mal wieder ermüdend und natürlich müssen Strohmannattacken einfach sein. Diese hier beispielsweise, die sich mit der Menschenwürde auseinandersetzt:

Wolfgang Huber hat geschrieben:Zu den großen Entdeckungen der Neuzeit gehört, um noch einmal Hans Joas zu zitieren, die „Sakralität der Person“. Die sich ständig steigernden Möglichkeiten dazu, dass Menschen über andere Menschen Macht ausüben, lassen sich nur bändigen, wenn wir jeder menschlichen Person eine Unantastbarkeit zuerkennen, die wir „Würde“ nennen. Doch diese Würde bleibt nur gewahrt, wenn sie nicht als das Ergebnis eigener Leistungen und als Resultat menschlicher Selbstbestimmung verstanden wird. Gerade im Zeitalter der „Reproduktions“-Medizin braucht der Mensch Klarheit darüber, dass er nicht sein eigenes Produkt ist.

Das provoziert mich schon deshalb, weil transzendentale Begründungen aufgrund ihrer Partikularität - sie stehen Anhängern alternativer Religionen und Nicht-Religiösen nicht oder zumindest nicht problemlos als Begründungsstrategien offen - für die Menschenwürde in der Philosophie schwer unter Beschuss stehen, was Huber entweder nicht weiß oder bewusst verschweigt, macht es doch die eigene Argumentation einfacher, wenn man von mehreren Argumenten des Gegners nur die schwachen angreift und dann den Sieg auf ganzer Linie verkündet. Transzendentale Menschenwürde-Begründungen zwingen den Glauben auf (eine im Grunde recht perfide Methode, Leute durch die Hintertür an den Gottesglauben zu nötigen, indem insinuiert wird, man könne nicht gleichzeitig nicht-religiös sein und die Menschenwürde vertreten), während es andere Begründungsformen gibt, die sowohl für religiöse als auch nicht-religiöse Menschen offen stehen.

Da frage ich mich schon, wer hier übergriffig wird. Huber versucht ja genauso, das Weltbild der Gesellschaft kosmologisch zu dominieren wie wir das (angeblich, teilweise trifft es auch zu) tun. Und die religiöse Sichtweise ist jetzt wahr, weil sie älter ist, oder was?
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Mi 15. Mai 2013, 07:36

Sie trifft zu, weil sie die Wurzel ist.
Der wissenschaftliche Atheismus ist so damit beschäftigt, diese Wurzeln zu leugnen und zu verdammen, dass er gar nicht in der Lage ist eine alternative Basis zu schaffen. Woher oder woraus kreiert denn der Atheist die Menschenwürde?
Wir müssen uns bis zu einer geeigneten Gegendarstellung damit abfinden, dass alles, was bisher zum Thema erreicht wurde, religiös geprägt ist. Die Menschenrechte sind das Eine, der Mensch als beseeltes Wesen ist das andere. Da müssen die Atheisten dem Menschen schon öffentlich die Seele absprechen und das wird hart.

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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon mat-in » Mi 15. Mai 2013, 09:11

Atheismus ist eine Einstellung in einer einzigen Frage. Etwa so wie Nichtraucher oder oder Vegetarier. Die Frage wie Atheisten Sinn oder Menschenwürde ableiten ist also schon der erste Kategoriefehler hier. Das geschwubbel geht in einem so weiter...

Wenn der Herr sich mit alternativen Weltbildern die ohne Gott auskommen anlegen möchte, darf er sich am Humanismus versuchen.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Mai 2013, 10:25

Nanna hat geschrieben:Das provoziert mich schon deshalb, weil transzendentale Begründungen aufgrund ihrer Partikularität - sie stehen Anhängern alternativer Religionen und Nicht-Religiösen nicht oder zumindest nicht problemlos als Begründungsstrategien offen - für die Menschenwürde in der Philosophie schwer unter Beschuss stehen, was Huber entweder nicht weiß oder bewusst verschweigt, macht es doch die eigene Argumentation einfacher, wenn man von mehreren Argumenten des Gegners nur die schwachen angreift und dann den Sieg auf ganzer Linie verkündet. Transzendentale Menschenwürde-Begründungen zwingen den Glauben auf (eine im Grunde recht perfide Methode, Leute durch die Hintertür an den Gottesglauben zu nötigen, indem insinuiert wird, man könne nicht gleichzeitig nicht-religiös sein und die Menschenwürde vertreten), während es andere Begründungsformen gibt, die sowohl für religiöse als auch nicht-religiöse Menschen offen stehen.


Die Idee der Menschenwürde kann man doch ruhig beibehalten, m.E. muss sie nicht religiös begründet werden.
Aber davon ab, kenne ich von Joas die Aussage, das Christentum dürfe sich nicht mit fremden Federn schmücken, nicht die Absicht (im Bezug auf Menschenrechte) zähle, sondern deren Umsetzung in die Realität, die Joas als ein Vermächtnis der frz. Revoluiton ansieht, die er als klare Grenze definiert.
Hier mag man unterschiedlicher Ansicht sein, aber Joas ist da einfach nicht der geeignete Kronzeuge.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Mi 15. Mai 2013, 10:26

Ich sehe es halt so: Der Mensch ist ein Wesen aus Körperlichkeit und Geistigkeit (Bewusstsein) und beides will bedient sein. Wenn wir dem Menschen den Dualismus absprechen, können wir zwar ohne Gott auskommen, aber dann dürfen wir uns auch keine Sinnfragen mehr stellen. Dann ist das Leben Zufall und hat keinen Sinn. Dann wundert es aber, wenn selbst atheistische Philosophen dennoch immer wieder danach fragen. Dass Gott ein Platzhalter für ungeklärte Fragen ist, dürfte allen soweit klar sein, selbst den Religiösen. Aber müssen wir ihn deswegen abschreiben? Was tritt an seine Stelle? Das Nichts? Das Nichts widerrum dürfte den meisten zu wenig sein.

Dass Gott bisher von Realisten nicht gefunden wurde, wundert überhaupt nicht. Wenn sich Gott finden lassen wollte, dann würde er schon Zeichen geben. Gott ist kein körperliches Wesen, er bedient unsere Seele. Wer keine Seele im Menschen findet oder sie leugnet, der kann auch keinen Gott finden. Zu dieser Diskussion eignet sich auch der neue Thread, den @KaneZugbu zum Thema Naturalismuskritik ins Forum gestellt hat.
Das Thema ist ein Thema um die Spiritualität. Woher kommt sie denn, wenn wir dem Menschen das Denken um seine Existenz absprechen? Was an unserem materiellen Körper interessiert denn überhaupt das Spirituelle? Die Sache ist eben leider noch immer nicht geklärt. Einen Gott nicht zu finden, ist das eine, das andere ist, des Menschen Suche materialistisch erklären zu wollen und genau das können die Brights immer noch nicht. Und sie wollen hier auch nicht weitersuchen. Sie finden sich einfach damit ab, dass sie etwas nicht wissen, akzeptieren aber andererseits nicht, dass es Menschen gibt, die sich für diese Fragen einen Platzhalter geschaffen haben. In der Fähigkeit zum Spiritualismus finden viele zum Glauben. Naturalismus ist hier nicht so strikt, wie der Materialismus.
Über Religion brauchen wir an dieser Stelle nicht zu diskutieren, denn Religion ist nichts weiter, als die Vereinsbildung um den Glauben herum und da gibt es verschiedene Fraktionen, die kann man mögen, muss aber nicht. Die meisten Religionen versuchen, das Glaubensbild zu materialisieren und das ist leider falsch.

Die Frage: was kommt, wenn Gott geht, halte ich durchaus immer noch für berechtigt.

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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Mi 15. Mai 2013, 10:39

stine hat geschrieben:Sie trifft zu, weil sie die Wurzel ist.

Achso... dann ist das heliozentrische Weltbild analog natürlich der modernen Astronomie überlegen, weil es ja die Wurzel ist. stine, bitte...

stine hat geschrieben:Woher oder woraus kreiert denn der Atheist die Menschenwürde?

Wie gesagt, Habermas und Bielefeldt (letzterer übrigens ein Theologe und UN-Sonderberichterstatter für die Religionsfreiheit, also jemand, der der Religionsfeindlichkeit nun ganz und gar unverdächtig ist) haben bei miteinander verwandte Ansätze entwickelt, die im wesentlichen auf der Prämisse beruhen, dass wir miteinander nicht normativ kommunizieren können (also über moralische/ethische Fragen gar nicht reden können), wenn wir uns nicht gegenseitig als Personen bzw. Menschen mit Würde (und damit verbunden: als Gleichwertige) anerkennen. Sorry, wenn das ein bisschen komplizierter ist als "Gott hat mich lieb, drum hab ich Würde" ist, aber die moderne Astrophysik ist halt auch nicht mehr ganz so einfach zu kapieren wie das heliozentrische Weltbild, ist aber trotzdem präziser.

Es gibt naturalismus-kompatible Herleitungen der Menschenwürde, die sogar deutlich universaler sind, als die religiösen, weil sie nämlich den Religiösen nicht den Mund verbieten, wohingegen transzendentale Begründungen der Menschenwürde genau auf jenen Ausschluss der Naturalisten abzielen. Vielleicht ja nicht mal absichtlich, weil man als Religiöser vielleicht regelmäßig vergisst, dass die Nicht-Religiösen ja gar nicht dieselben Prämissen teilen. Wenn man so tief in denen verstrickt ist, ist wahrscheinlich echt schwierig, mal Begründungen der anderen Seite nachzuvollziehen, ohne dass ein fieses Stimmchen im Hinterkopf kreischt "Aber wo ist denn hier Gott, hier ist ja so kalt und schutzlos!? Bitte hör damit auf!".

stine hat geschrieben:Wir müssen uns bis zu einer geeigneten Gegendarstellung damit abfinden, dass alles, was bisher zum Thema erreicht wurde, religiös geprägt ist. Die Menschenrechte sind das Eine, der Mensch als beseeltes Wesen ist das andere. Da müssen die Atheisten dem Menschen schon öffentlich die Seele absprechen und das wird hart.

Niemand muss göttlich "beseelt" sein, um Würde zu erhalten. Die Behauptung, dass das bislang erreichte, religiös geprägt sei, ist eine Verleugnung der philosophischen Entwicklung der letzten paar hundert Jahre und insbesondere aller Entwicklungen seit der französischen Revolution. Gerade weil wir seit 200 Jahren immer mehr über das Heil im Diesseits als über das Heil im Jenseits gesprochen und nachgedacht haben, ist ja überhaupt erst zu den massiven Verbesserungen für den Menschenschutz im Diesseits gekommen. Davor hat man alle Heilsfragen ins Leben nach dem Tod abgeschoben und sich bei diesseitigen Unrechtsfragen häufig mehr damit beschäftigt, was ein Verbrechen für die "göttliche Ordnung" bedeutete als mit dem Schaden für das Opfer.

Die ganzen ethischen Innovationen seit der Aufklärung gehen, vielleicht mit Ausnahme der katholischen Soziallehre, auf philosophische und diesseitig-politische Weiterentwicklungen zurück und NICHT auf religiöse. Man hat bei der Formulierung der Menschenrechte 1948 mit Absicht auf irgendeinen transzendentalen Bezug verzichtet, weil nämlich eine transzendentale Begründung der Menschenrechte (auch der Menschenwürde) weniger unviversal ist als eine immanente wie eben beispielsweise die diskursethische von Habermas, weil die transzendentale als Begründung nicht jedem Menschen offen steht, die immanente aber schon. D.h. die bösen nicht-religiösen Philosophen haben es besser als die Theologen hingekriegt, Andersdenkende in die Begründung der Würde einzuschließen!
Das ist für religiöse Menschen, für die die Existenz Gottes eine so unhintergehbare Annahme ist, dass sie da nicht mal fünf Minunten für das Nachvollziehen eines formalen Arguments herauskommen, wahrscheinlich schwer verständlich, ich weiß, aber da muss man halt trotzdem mal unter seiner Gottesglocke rauskommen und den Perspektivwechsel hinkriegen und nicht immer anderen Leuten das eigene Dogma als Vorbedingung für jegliche Diskussion aufzwängen.

stine hat geschrieben:Die Frage: was kommt, wenn Gott geht, halte ich durchaus immer noch für berechtigt.

Ja, aber du kannst nicht aus Wunschdenken heraus behaupten, dass es Gott geben müsse, weil es dir damit emotional besser geht. Das ist übrigens, ganz nebenbei, auch eine ziemliche Respektlosigkeit gegenüber Gott (um da jetzt mal in die religiöse Perspektive zu wechseln), ihn als Schachfigur auf dem Brett deiner emotionalen Bedürfnisse zu benutzen, ihn also argumentativ zu instrumentalisieren. Gottes Existenz anzunehmen geht Fragen wie der Menschenwürde voraus. Man kann nicht induktiv von dem Bedürfnis nach Menschenwürde darauf schließen, dass es die Menschenwürde gibt (also in einer Art Essenz) und dann weiter schließen, dass daraus folgen würde, dass es Gott geben müsse. Da hat man ja schon, bevor man das erste Drittel durch hat, einen ganzen Stoß an formallogischen Regeln wie auch Geboten intellektueller (und auch theologischer) Redlichkeit ignoriert.

Was kommt, wenn Gott geht? Sicherlich kommt Gott dann nicht zurück.

Vollbreit hat geschrieben:Aber davon ab, kenne ich von Joas die Aussage, das Christentum dürfe sich nicht mit fremden Federn schmücken, nicht die Absicht (im Bezug auf Menschenrechte) zähle, sondern deren Umsetzung in die Realität, die Joas als ein Vermächtnis der frz. Revoluiton ansieht, die er als klare Grenze definiert.

Mal davon abgesehen, dass ich hier anderer Ansicht bin und finde, dass Absicht und Begründungsstruktur sehr wohl zählen, habe ich ja kein Problem damit, dass das Christentum die Menschenwürde auch schützen möchte. Was mich aber wütend macht, ist, wenn jemand ankommt und für das Christentum reklamiert, es hätte die Menschenrechte und -würde erfunden (was historisch einfach nicht richtig ist, meine Tirade gegen Geschichtsklitterung s.o.) und dann noch obendrauf behauptet man könne das ausschließlich religiös begründen.
Ich bin da stark von Bielefeldt beeinflusst, weil ich bei dem studiert habe, und habe es immer extrem angenehm gefunden, dass er als Theologe und (sozusagen höchster) Religionsfreiheitsverteidiger immer offen eingestanden hat, dass transzendentale Begründungen für die Menschenwürde nicht universal funktionieren, sondern im Grunde ein religiöser Partikularismus ist, der über die religiöse Community hinaus keinerlei Geltungsansprüche formulieren kann, wohingegen die auf der Kantischen Tradition aufbauenden diskursethischen Ansätze da gezielt inklusiv in beide Richtungen offen sind, also sowohl Religiöse (verschiedener Religionen!) wie auch Nicht-Religiöse hineinnehmen und darauf muss der Menschenwürdegedanke ja schließlich auch abzielen, sonst ist er für'n... du weißt schon.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Mai 2013, 10:49

Das sehe ich glaube ich alles so wie Du.
Mit Kant lässt sich die Menschenwürde legitimieren, aber was mich irritiert:
Kant argumentiert ja nun gerade transzendental. Transzendental heißt ja eigentlich der (reinen) Vernunft zugänglich.
Was Du kritisierst ist doch eher der Begriff der Transzendenz, oder?
http://de.wikipedia.org/wiki/Transzendental
http://de.wikipedia.org/wiki/Transzendent
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Mi 15. Mai 2013, 10:51

Mit dem Unterschied hatte ich mich bisher gar nicht beschäftigt, dankeschön. So viel zu lernen noch...
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Mi 15. Mai 2013, 13:31

Nanna hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Sie trifft zu, weil sie die Wurzel ist.

Achso... dann ist das heliozentrische Weltbild analog natürlich der modernen Astronomie überlegen, weil es ja die Wurzel ist. stine, bitte...
Das hat doch nichts damit zu tun, dass spirituelle Menschen am heliozentrischen Weltbild festhalten. Nur, alles Wissen über die Welt schafft nicht die letzte Ecke des Unwissens aus dem Weg. Philosophen machen nichts anderes, als sich das Sein ohne Gott zu erklären, wohingegen die Theologen das Sein an einer höheren Instanz festmachen. Und weil das Nachdenken über das Sein im Menschen angelegt ist, verwurzelt ist, wird es Philosophie und Religion immer geben.

Nanna hat geschrieben:Niemand muss göttlich "beseelt" sein, um Würde zu erhalten.
Was versteht DU unter beseelt? Ich verstehe darunter, dass der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile. Er ist zur Selbstreflektion fähig und kann sich in der Welt wahrnehmen, er verfügt über ein Verständnis vom "Sein". Religionen sehen das als einzigartig in der "Tierwelt" an und machen den "Menschen" daran fest. Es geht nicht um "Andersdenkende", auch in der Religion nicht. Selbst für Islamisten ist ein Ungläubiger immer noch ein Mensch. Wenn wir diese Erklärung nicht anerkennen wollen, gibt es keinen Unterschied zu anderen Tieren, dann muss der "Würde"-Paragraph auch auf sie angewendet werden.

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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 15. Mai 2013, 14:04

stine hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:
stine hat geschrieben:Sie trifft zu, weil sie die Wurzel ist.

Achso... dann ist das heliozentrische Weltbild analog natürlich der modernen Astronomie überlegen, weil es ja die Wurzel ist. stine, bitte...
Das hat doch nichts damit zu tun, dass spirituelle Menschen am heliozentrischen Weltbild festhalten. Nur, alles Wissen über die Welt schafft nicht die letzte Ecke des Unwissens aus dem Weg.
Das Argument von Nanna war doch eher der Zweifel daran, dass die Wurzel, die Frühform, das Ursprüngliche des Wissens, immer besser war. Nein, oft nicht.

stine hat geschrieben:Philosophen machen nichts anderes, als sich das Sein ohne Gott zu erklären, wohingegen die Theologen das Sein an einer höheren Instanz festmachen.
Das ist eigentlich beides falsch.

stine hat geschrieben:Und weil das Nachdenken über das Sein im Menschen angelegt ist, verwurzelt ist, wird es Philosophie und Religion immer geben.
Ist es das? Folgt das wirklich?

stine hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Niemand muss göttlich "beseelt" sein, um Würde zu erhalten.
Was versteht DU unter beseelt? Ich verstehe darunter, dass der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile. Er ist zur Selbstreflektion fähig und kann sich in der Welt wahrnehmen, er verfügt über ein Verständnis vom "Sein".
Ich würde das nicht Seele, sondern Reflexionsvermögen oder Vernunft nennen. Warum so einen belasteten Begriff wie Seele strapazieren, der zudem zig Bedeutungen hat? Für einige bedeutet Seele = Leben, für manche Emotion, für andere Gewissen, für manche Gottesfunken im Menschen, für andere Weltseele...

stine hat geschrieben:Religionen sehen das als einzigartig in der "Tierwelt" an und machen den "Menschen" daran fest. Es geht nicht um "Andersdenkende", auch in der Religion nicht. Selbst für Islamisten ist ein Ungläubiger immer noch ein Mensch. Wenn wir diese Erklärung nicht anerkennen wollen, gibt es keinen Unterschied zu anderen Tieren, dann muss der "Würde"-Paragraph auch auf sie angewendet werden.
Also, wenn Du wirklich auf das Reflexionsvermögen abzielst, brauchst Du die Religionen doch nun wirklich nicht.
Du könntest höchstens argumentieren, dass Religionen genau das damit gemeint hätten.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Mi 15. Mai 2013, 14:55

stine hat geschrieben:Nur, alles Wissen über die Welt schafft nicht die letzte Ecke des Unwissens aus dem Weg. Philosophen machen nichts anderes, als sich das Sein ohne Gott zu erklären, wohingegen die Theologen das Sein an einer höheren Instanz festmachen. Und weil das Nachdenken über das Sein im Menschen angelegt ist, verwurzelt ist, wird es Philosophie und Religion immer geben.

Ja, völlig richtig. 99% des Inhalts dieses Forums sind philosophischer Natur, da wäre ich ein Tor, würde ich widersprechen. Der Punkt ist nur der: Dass wir uns Gott (oder auch nur ein bestimmtes anderes philosophisches Konzept) denken können, sagt nichts über dessen wahre Existenz aus.

Weiterhin kann ein neueres Konzept besser sein, als ein älteres. Die Philosophie mag selbst auf griechischen Konzepten aufbauen, aber nur weil das ihre Wurzeln sind, ist dennoch vieles heute nicht mehr gültig oder zumindest weiterentwickelt. Oder um es anschaulicher zu halten: Ein Auto mag Elemente der Kutsche beinhalten und hat sich auch aus derselben entwickelt, aber es ist keine Kutsche mehr und wir müssen uns nun wirklich nicht jedes Mal auf's Pferd beziehen, wenn wir über Motorenöl oder einen Stau auf der A3 reden.

stine hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Niemand muss göttlich "beseelt" sein, um Würde zu erhalten.
Was versteht DU unter beseelt? Ich verstehe darunter, dass der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile. Er ist zur Selbstreflektion fähig und kann sich in der Welt wahrnehmen, er verfügt über ein Verständnis vom "Sein". Religionen sehen das als einzigartig in der "Tierwelt" an und machen den "Menschen" daran fest. Es geht nicht um "Andersdenkende", auch in der Religion nicht. Selbst für Islamisten ist ein Ungläubiger immer noch ein Mensch. Wenn wir diese Erklärung nicht anerkennen wollen, gibt es keinen Unterschied zu anderen Tieren, dann muss der "Würde"-Paragraph auch auf sie angewendet werden.

Eine Seele im Sinne eines immateriellen Containers, der die Identität eines Wesens beinhaltet, gibt es sicherlich nicht.

Wenn der Mensch mehr ist, als die Summe seiner Bestandteile, dann einerseits darin, dass es vermutlich emergente Phänomene im Gehirn gibt, und andererseits darin, dass er Zugang zu einer diskursiven, d.h. interpretierenden Ebene der Wirklichkeit hat (irgendein vierdimensionales Dingsbums, da Interpretationsvorgänge Zeit als Faktor benötigen), in die nur reflexionsfähige Wesen eintreten können (Wesen mit einem Denkapparat, der Erkenntnisfähigkeit und Bewusstsein ermöglicht; der Denkapparat besteht aus Materie im dreidimensionalen Raum und benötigt Energie und Zeit zum Funktionieren, ist also trotz seines obskuren Zugangs zu dieser ideellen Welt ein inhärent materielles Ding und die Existenz der ideellen Welt ist zu 100% an die Existenz des Denkapparats gekoppelt, ist so gesehen also - mehr metaphorisch als analytisch gesprochen - eine Untermenge der energetisch-materiellen Welt oder: der Natur).

Habermas und auch Bielefeldt machen die Menschenwürde im wesentlichen an der Fähigkeit fest, zu dieser diskursiven Sphäre Zugang haben zu können (wobei es für Behinderte, Ungeborene usw. eigene Schutzregeln gibt, die auch nicht einfach willkürlich gesetzt sind, sondern sich ziemlich direkt aus der Argumentation ergeben). Insofern haben auch naturalistische bzw. naturalismuskompatible Ansätze durchaus ein Äquivalent für den Gedanken, dass der Mensch "mehr" ist als nur ein Tier. Man braucht dafür aber eben nicht unbedingt einen Gott, sondern kann die Würde auch aus Grundeigenschaften des Menschen ableiten, was ich schon deshalb folgerichtig finde, weil wir ja ohnehin nur um uns selber kreisen. Auch Gott, den wir nach unserem Ebenbild erschaffen haben, ist da nur eine ausgelagerte Autorität, der bestimmte Imperative stellverrtetend für uns hochhalten konnte, wo wir deren Bedarf noch nicht aus uns selbst heraus begründen konnten.
Dafür musste erst einmal die Idee des Universalismus weiterentwickelt werden, woran das Christentum übrigens einen wichtigen Anteil hat, aber später dann eben der Vortrieb von eher weltlichen Ideologien wie den französischen Revolutionsideen und später dem Marxismus übernommen wurde. Vor dem Hintergrund sind die Religionen von Proto-Universalismen zu Partikularismen geworden, die nur noch bedingte integrative Kraft haben. Es gibt heute weiterentwickelte Universalismen, dazu gehören die Menschenrechte, die Menschenwürde, das demokratische Prinzip und das Konzept der Diskursgemeinschaft, die weitaus universaler argumentieren können, als die Theologien, die immer die Akzeptanz eines (häufig sogar bestimmten, z.B. eines monotheistischen oder sogar dezidiert christlichen oder islamischen) Gottesglaubens voraussetzen und damit schon exklusiv werden.

Mag schon sein, dass die Religion für partikulare Gruppen und viele Individuen weiterhin ein wichtiges Konzept bleiben wird, aber universale Ansprüche lassen sich auf religiöser Basis mittlerweile immer schlechter formulieren. Dafür sind die Dekonstruktionen der Religion durch die Philosophie seit der Aufklärung viel zu weit gegangen. Um die Gesellschaft zusammen zu halten brauchen wir deshalb bessere Konzepte, die weiter spannen und mehr Untergruppen einschließen und an den Diskurs anschließen können, als partikulare religiöse Strömungen. Die vertieft sonst nur Gräben. Religion muss nicht verschwinden, aber die Religionsgemeinschaften müssen ihre Partikularität erkennen und sich, zumindest was ihre irdische Existenz angeht, dem Universalismus der Gleichberechtigung und der Freiheit der Andersdenken unterordnen, sprich, die Würde des Anderen achten.

Der Grund, warum ich von den Brights so überzeugt bin, ist, dass wir in unseren Prinzipien genau diese Konsequenz längst gezogen haben. Überleben bedeutet Zusammenleben und das geht nur in wechselseitiger Akzeptanz, Gleichberechtigung und der gemeinsamen Verteidigung der Würde aller Menschen, egal welcher Religion. Das ist echte Akzeptanz des Lebens in einer Diskursgemeinschaft, in der man selbst eben weltanschaulich nicht ohne Weiteres den Ton angeben kann, sondern lediglich die Einhaltung universaler, d.h. für alle in gleicher Weise gültigen, Prinzipien einfordern kann:
[Prinzip Nr.8] Die Brights-Bewegung hat geschrieben:Der Mensch hat einen Hang zu Wir/Sie-Aufteilungen, wobei das „sie“ als negativ oder abstoßend erachtet wird. Es kann zwar vorkommen, dass einzelne Brights negativ über Leute denken, die an Übernatürliches glauben; aber die Brights-Bewegung heißt Überheblichkeit oder die Verachtung anderer nicht gut. Es geht uns um soziale Akzeptanz und politisch-rechtliche Gleichheit. Diese Bewegung weist unmissverständlich nicht nur verbale Vergleiche zurück, die die Brights gegenüber den Religiösen als Bürger/Bürgerinnen zweiter Klasse hinstellen, sondern auch solche, die die Religiösen gegenüber den Brights als Bürger/Bürgerinnen zweiter Klasse hinstellen.


Was den anderen Punkt angeht: Von einer Seele würde ich nicht sprechen, das ist ein religiöses Konzept, das von einem nichtmateriellen, jedoch nichtsdestotrotz essentiellen Ding ausgeht, das unsere Identität hält und unsterblich ist. Diese Annahme halte ich argumentativ für annähernd unmöglich zu rechtfertigen und schon aufgrund ihrer Willkür und reinen Postuliertheit für hochgradig verdächtig, frei erfunden zu sein und auf Wunschdenken zu beruhen. Allerdings ist die Seele natürlich eine Vorläuferidee heutiger psychologischer Konzepte gewesen, deshalb bin ich auch nicht der Meinung, dass die Menschheit da von der Religion auf einen "Irrweg" geführt wurde. Die Religion ist ein Durchgangsstadium gewesen, das seine unangefochtene Berechtigung als Welterklärungsfundament in vielen Punkten verloren hat. Sie künstlich zu beatmen, um die Zivilisiertheit des Menschen zu gewährleisten, halte ich nicht nur für einen Ausdruck wenig zielführender Verzweiflung und ganz nebenbei für einen Ausdruck von Respektlosigkeit. Als Kanal für individuelle Spiritualität mag jeder seine Religion pflegen, wie er/sie will, das achte ich ja durchaus und halte es auch für äußerst schützenswert, aber die Religion als allumfassende Welterklärungsformel und Bollwerk gegen die Barbarei zu instrumentalisieren finde ich persönlich würdelos. Da lasst die Religion, zumindest in diesem Zusammenhang, doch bitte in Frieden vergehen.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Mi 15. Mai 2013, 16:43

Nanna hat geschrieben:Religion muss nicht verschwinden, aber die Religionsgemeinschaften müssen ihre Partikularität erkennen und sich, zumindest was ihre irdische Existenz angeht, dem Universalismus der Gleichberechtigung und der Freiheit der Andersdenken unterordnen, sprich, die Würde des Anderen achten.
Das sehe ich ebenso. Aber egal, wie kooperativ sich Religionen zueinander verhalten, eines wird ihnen immer gemeinsam bleiben und sie von weltlichen Kooperationsverbänden unterscheiden: Sie sind Sinngebungssysteme ohne die manche Menschen nicht leben mögen, können, wollen.

Nanna hat geschrieben:Weiterhin kann ein neueres Konzept besser sein, als ein älteres. Die Philosophie mag selbst auf griechischen Konzepten aufbauen, aber nur weil das ihre Wurzeln sind, ist dennoch vieles heute nicht mehr gültig oder zumindest weiterentwickelt. Oder um es anschaulicher zu halten: Ein Auto mag Elemente der Kutsche beinhalten und hat sich auch aus derselben entwickelt, aber es ist keine Kutsche mehr und wir müssen uns nun wirklich nicht jedes Mal auf's Pferd beziehen, wenn wir über Motorenöl oder einen Stau auf der A3 reden.
Die Kutsche mag alt sein, aber sie ist der erste Versuch Mobilität zu erweitern. Der Zweck war vorwärts zu kommen und das erfüllt sie auch heute noch, auch wenn das Auto schneller ist und weiter kommt. Das Beispiel ist übrigens gar nicht schlecht, um aufzuzeigen, dass der Sinn einer Entwicklung nicht abhanden kommt, selbst wenn sich das Modell ändert.

Vollbreit hat geschrieben:
stine hat geschrieben: Philosophen machen nichts anderes, als sich das Sein ohne Gott zu erklären, wohingegen die Theologen das Sein an einer höheren Instanz festmachen.
Das ist eigentlich beides falsch.
Und wie ist es richtig?
Erzähl mal.

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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Mi 15. Mai 2013, 17:10

stine hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Religion muss nicht verschwinden, aber die Religionsgemeinschaften müssen ihre Partikularität erkennen und sich, zumindest was ihre irdische Existenz angeht, dem Universalismus der Gleichberechtigung und der Freiheit der Andersdenken unterordnen, sprich, die Würde des Anderen achten.
Das sehe ich ebenso. Aber egal, wie kooperativ sich Religionen zueinander verhalten, eines wird ihnen immer gemeinsam bleiben und sie von weltlichen Kooperationsverbänden unterscheiden: Sie sind Sinngebungssysteme ohne die manche Menschen nicht leben mögen, können, wollen.
[/quote]
Daran ist auch nichts auszusetzen. Was aber gar nicht geht, ist der Alleinvertretungs- und Monopolanspruch: "Nur wir können Sinn geben." - "Atheisten können keine Moral begründen." - "Nur wenn du an Gott glaubst, kannst du die Würde eines Menschen anerkennen."

Es geht da eben nicht nur um schnöde Kooperation, sondern um eine Anerkennung des Anderen im emphatischen Sinn. Ein Geben von Respekt, ein Anerkennen des Wertes und der Würde des Anderen, der/die sich nicht daran festmacht, ob jemand an Gott glaubt. Darin eingeschlossen ist, den Atheisten/Naturalisten nicht als Gefahr für die Gesellschaft darzustellen und den Gottesglauben als Angebot zu formulieren und nicht als Druckmittel zu benutzen, indem man insinuiert, Würde ohne Gott könne es nicht geben und der Gottlose wäre deshalb jederzeit kurz davor, zum blutsaufenden Schläger zu degradieren. Das ist bemitleidenswerter Kindergartenmoralismus, damit kommen wir nicht weiter.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Mi 15. Mai 2013, 20:21

Geb ich dir recht.
Es sind nicht alle Theisten und Atheisten gleichermaßen tolerant. Es gibt in beiden Gruppen Hardliner und das ist das Problem. Wie du schon selber geschrieben hast, wird gerne das Beste der einen Fraktion mit dem schlechten der anderen verglichen und dann freut man sich, dass man soviel besser ist. Das ist ja nicht der Sinn der Sache. Wenn es nach mir ginge, würde ich mir überall das Beste heraussuchen und eine bunte Mischung machen. Humanistische Religion oder sowas. Ich meine, ich tu das ja sowieso aber damit bin ich eben auf Niemandsland und werde nirgends ernst genommen. Ich kann aber gut damit leben. :mg:

Ich habe den Artikel von Wolfgang Huber jetzt aber nicht so verstanden, dass er auf eine religiöse Welt abzielen würde. Er sagt ja genau, dass wir den Pluralismus brauchen. Wo genau an welcher Stelle sitzt denn jetzt der Aufreger? Kann mir das mal einer erklären?

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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Zappa » Mi 15. Mai 2013, 20:39

stine hat geschrieben: Woher oder woraus kreiert denn der Atheist die Menschenwürde?

Dazu wurde ja schon etwas gesagt.

Das eigentlich perfide an diesem Argument, dass ja auch Huber bringt, ist die implizite Bedeutung, die da mitschwingt: Da Menschenwürde nur religiös begründet werden kann, müssen Atheisten notwendig darauf verzichten. Deswegen führt Atheismus auf direktem Weg in das Chaos und die Unmoral ... etc. pp.

Ihr (ich nehme dich jetzt mal in religiöse Sippenhaft) müsste Euch einfach damit abfinden, dass die religiöse Begründung von "Würde" nur eine mögliche Erklärung ist (und noch dazu keine sehr gute, denn sie gründet auf etwas, was sich nicht belegen lässt).

Außerdem geht das Spiel logisch anders: Erst wird gefragt, ob es ein Konstrukt wie die Menschenwürde gibt, oder abgeschwächt: Ob Menschen, bewußtes Leben etc. einen Wert haben. Wenn das der Fall ist (wovon die meisten ausgehen), dann kann man fragen, wie sich das begründen lässt. Das "Argument": Es gäbe halt nur die eine Begründung und mit der Ablehnung dieser speziellen Begründung würde notwendig auch das zu Begründende aufhören zu existieren, mag oberflächlich rhetorisch brauchbar sein, ist aber ein ziemlich platter Fehlschluss.
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Nanna » Mi 15. Mai 2013, 21:31

stine hat geschrieben:Wenn es nach mir ginge, würde ich mir überall das Beste heraussuchen und eine bunte Mischung machen. Humanistische Religion oder sowas. Ich meine, ich tu das ja sowieso aber damit bin ich eben auf Niemandsland und werde nirgends ernst genommen. Ich kann aber gut damit leben. :mg:

Schau dich doch mal bei der Stiftung Weltethos um, die versuchen so eine Art ethischen Konsens zwischen den Weltreligionen zu erzeugen und sind auch für säkulare Philosophien recht offen. Vielleicht findest du ja deren Ansatz ganz interessant?

stine hat geschrieben:Ich habe den Artikel von Wolfgang Huber jetzt aber nicht so verstanden, dass er auf eine religiöse Welt abzielen würde. Er sagt ja genau, dass wir den Pluralismus brauchen. Wo genau an welcher Stelle sitzt denn jetzt der Aufreger? Kann mir das mal einer erklären?

"Mit Gott geht der Sinn" schreit mir die Überschrift in gefühlt 30-Punkt-Lettern entgegen. Das stimmt einfach nicht.

Was mich besonders provoziert hat, habe ich ja schon beantwortet: Die Deutungshoheit, die Huber für die Religion in Fragen Menschenwürde und sozialem Zusammenleben beansprucht. Da wirkt es doch stellenweise so, als wären Atheisten automatisch hedonistische Narzissten ohne Sinn für Verantwortung und andere Menschen. In die Ecke möchte ich nicht gestellt werden, da habe ich nichts verloren. Dass es auch unter den Atheisten solche aggressiven Leute gibt, die die Religion auslöschen möchten, da hat er Recht und denen widerspreche ich ja selbst auch regelmäßig. Die Kritik tut dann natürlich insofern weh, als dass die sicher nicht gerade zahllosen, aber weniger sichtbaren Atheisten übersehen werden, die der Religion nicht an die Gurgel wollen, sondern einfach nur Gleichberechtigung und einen respektvollen Umgang anstreben. Hubers Artikel ist da sicherlich nicht besonders aggressiv, eher einfach argumentativ schwach, wie Zappa richtig diagnostiziert hat, aber er grenzt sich halt auch nicht von der Frontenbildung gegen die Atheisten ab. Es ist ja in den letzten Jahren nicht gerade selten von irgendeinem religiösen Würdenträger bis rauf zum Papst festgestellt worden, dass man die Reihen gegen einen offensiver auftretenden Atheismus schließen müsse. Und wie gesagt, ja, ich weiß, dass wir da auch in den eigenen Reihen (zu) viele Leute haben, die scharf schießen, wo es nicht nötig wäre.

Und ganz abgesehen davon kann ich den rührseligen Weltschmerzton nicht so gut haben...
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon stine » Do 16. Mai 2013, 08:23

Habe gerade in deinem Link die Rede von Hans Küng gelesen. Das Problem das offene, gebildete, gläubige Christen haben ist, dass ihr Glaube mit der Kirchenzugehörigkeit nicht sein Ziel findet. Ich denke, den Kirchen ist es nicht wichtig, dass ihre Mitglieder um des Glaubens Willen eintreten, sie wollen Anhänger und Förderer ihrer Strukturen haben. Ich bin mir oft nicht sicher, ob das allen gläubigen Christen so bewusst ist. Wer mit dem Apparat Kirche zu tun hat und nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, der merkt ziemlich schnell, was da hinter den Kulissen abläuft, denn nicht jeder der in dieser Institution arbeitet, tut das, weil er ein überzeugter Christenmensch wäre. Manche Karriere, die in der Kirche möglich war, wäre in der freien Wirtschaft weniger erfolgreich verlaufen. Zivile Angestellte sind keine besseren Kirchgänger, als andere Angestellte in anderen Branchen. Der Glaube ist oft nur eine rudimentäre Geschichte im vorderen Frontlappen. Aber gut. Ich will das nicht aburteilen, weil andererseits die Kirche wieder Platz für viele bietet, die sonst auf der Straße sitzen würden und mit ihrer Qualifikation keinen Job bekämen. Genau deshalb trenne ich auch Glauben und Kirche.

Die Religion sehe ich als kulturelles Erbe. Sie hat jahrelang die Menschen moralischen und ethischen Halt gegeben. Die Gefahr, die Huber sieht und die ich auch meine zu sehen ist der Tatsache geschuldet, dass wir bis hierher nicht ohne Religion waren. Es gibt nach meinem Dafürhalten keine andere kulturelle Bindung und keine ethischen und moralischen Vorgaben. Einige Atheisten meinen, dass das auch nicht notwendig wäre und zehren noch ganz selbstverständlich aus der auslaufenden Religion. Wir haben aber augenblicklich keine alternativen Vorgaben für moralische und ethische Prinzipien.
Wenn ich schaue, wie verroht die Medien geworden sind, wie auf den Schulhöfen gemobbt wird und wie gute Schüler fertig gemacht werden, wenn ich sehe, wie unternehmerisch Verantwortliche ihren Egoismus ausleben, sich Menschen ungebührlich bereichern, wie Sex und Crime unsere Unterhaltung dominieren, wie blauäugig Wissenschaftler ihre Forschungen betreiben und vieles mehr, dann frage ich mich schon, ob das der Weg in unsere Zukunft sein soll und was daraus noch werden wird.
Das Problem dabei ist: Die einzige Kritik an der beschriebenen Gesellschaft kommt von kirchlicher Seite!
Und da darf die Frage erlaubt sein: Was haben die Atheisten zu bieten? Was sind ihre Pläne? Wo stehen sie und was wollen sie? Wo ist ihre Ethik und worauf basiert sie? Was tun sie, um ihre Ethik an den Mann, die Frau, das Kind zu bringen?
Auch Küng ist christliche geprägt, wenngleich kein Kirchenmann mehr, aber auch hier wird deutlich, dass Religion sein Leben und seine Sichtweise geprägt hat.

Warum hat der Atheismus bis heute keinen guten Ruf? Das ist doch die Frage, die es gilt zu beantworten.
Atheisten sind erst einmal nur gegen etwas und nicht für etwas. Die meisten von ihnen leben unauffällig in der Gesellschaft. Ich würde sogar sagen wollen, dass die meisten getaufte Christen sind und im Laufe ihres Lebens festgestellt haben, dass sie Gott nicht finden können und die Kirche ein Ausbeuterverein ist. Gut. Dann nichts wie weg. Aber wohin? Sich Atheist zu nennen ist ja noch keine kulturelle Lebenseinstellung. Die Brights sind ja schon mal ein guter Anfang, ich finde sie könnten durchaus eine wichtige Institution auf dem Weg in eine atheistische Gesellschaftlich werden. Sind sie doch unter den Atheisten jene, die sich auf ethische Grundsätze einigen können und vorgeben der Religion nicht den Weg abgraben zu wollen. Die Brights sind aber keine Kirche, in dem Sinn, dass sie Atheisten der Welt vereinigen wollen. Die Brights sind ein Häufchen toleranter Schulfüchse, die von sich meinen, sie hätten die goldene Mitte ohne Gott gefunden. Nicht an einen Gott glauben zu können ist das eine - seine kulturellen Wurzeln abzutrennen ist das andere. Ich werde oft das Gefühl nicht los, dass sich viele Westler nur deswegen Atheist nennen, weil sie mit ihrem alten Religionslehrer und der Kirche auf Kriegsfuß stehen, wogegen im Osten der Atheismus gelehrt wurde, weil Gott und die Kirche Staatsfeinde waren.

Der Unmut der hier im Forum immer wieder zu spüren ist, angesichts der Behauptung, Ethik und Moral wären einzig religiös begründet, ist nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass Atheisten hier allesamt ihre kulturelle Entwicklung in einer gutbürgerlichen Mitte erlebt haben. Wenn dem aber nicht so ist? Wo bieten Atheisten anderen Atheisten Halt und Visionen? Wo ist ihre Letztbegründung, brauchen sie keine, weil alle so vernünftig sind? Der Humanismus ist ein guter Anfang, aber er setzt voraus, dass wir alle mündige, vernünftige und tolerante Menschen sind. Er ist damit nur das Sammelbecken derer, die bereits an Reife und Einsicht gewonnen haben.
Ein Schwachpunkt des Naturalismus ist für mich, dass es ethische und moralische Grundlagen in der Natur nicht gibt, auch wenn von einigen hier zig Mal wiederholt wird, dass der Mensch von Natur aus gut sei. In der Natur gilt das Recht des Stärkeren und es stirbt aus, was schwach ist. Und genau an dieser Stelle wird der Mangel sichtbar. Naturalisten müssen ihre Ethik herleiten. Tun sie das nicht, haben sie ein Problem. Die Interessensethik, die Norbert Hoerster vertritt ist ein guter Anfang, nur leider können Interessen sehr unterschiedlich gelagert sein. Als Beispiel hier: wäre das Interesse der Mutter gegenüber dem des ungeborenen Kindes, auf sein Leben, vorzuziehen?

Wir sind leider noch nicht so weit, ohne das Gelaber der Kirchenmänner auszukommen. Wir brauchen sie als Bremse, als Opposition einer sich in die Freiheit kämpfenden Gesellschaft. An was sollten sich Naturalisten reiben und wo sollte die Kritik an Fehlentwicklungen herkommen? Einen Ethikdiskurs gibt es doch überhaupt nur, wenn unterschiedliche Positionen aufeinander treffen. So wie naturalistische Atheisten religiöse Moral kritisieren, genauso müssen sie umgekehrt auch mit der Kritik an ihrer Ethik leben. Die goldene Mitte ist ein so schmaler Grat, dass das Abrutschen auf die eine oder die andere Seite nur durch permanentes Ermessen verhindert werden kann.

LG stine
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Re: Wolfgang Huber über den Atheismus

Beitragvon Vollbreit » Do 16. Mai 2013, 08:41

@ stine:

Die Theologie hat wenigstens den Selbstanspruch eine Wissenschaft zu sein, ob sie den dann immer einlösen kann, ist eine andere Geschichte.
Wikipedia hat geschrieben:Die Theologien im Christentum verstehen sich als wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Quellen des Glaubens (Biblische Theologie und Historische Theologie) und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie) sowie als systematische Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische Theologie, unter anderem Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik).
http://de.wikipedia.org/wiki/Theologie# ... _Theologie

In der Philosophie geht es darum, dass alle Argumente prinzipiell rational nachvollziehbar sind. Ein Atheismus ist dabei nicht zwingend, Kant hat die Frage als unentscheidbar deklariert, aber wer Gott als rational zwingend herleiten kann, hat auch seinen Platz in der Philosophie.

Das mit der Seele fand ich übrigens spannender.


@ Nanna/Zappa:

Ich habe auch nie verstanden, warum die Kirche(n) nun immer wieder als Experten für Moral und Ethik angesehen werden.
Das hat mehrere ungute Effekte. Zum einen sinkt durch diese Verknüpfung mit dem Ansehen der Kirchen das Ansehen von Ethik und Moral, was ja bisweilen (eben auch unter den Brights, die es besser wissen müssten), groteske Züge angenommen hat.
Zum anderen ist die Moral, zu der Religionen befähigen – das aber immerhin – eher eine, die nicht sehr hoch entwickelt ist, die konventionelle Moral der autoritätshörigen Spießer und Angepassten, deren Sympathiewert überschaubar ist, aber immerhin, dahin kann Kirche einen gut führen.
Die Fairness gebietet es aber, wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, dass auch das Erreichen dieser konventionellen Stufen der Moral kein absoluter Selbstläufer ist und man zwar sagen kann, dies könnten auch andere Institutionen übernehmen (ja, stimmt), aber man dann auch fragen muss, welche das sein sollen und wie sie das anstellen wollen.

Dass Atheisten in puncto Moral und Ethik aber keineswegs total versagen gehört auch zur Wahrheit, sondern nahezu alle Untersuchungen, die ich dazu kenne weisen aus, dass Atheisten den durchschnittlichen Gläubigen in nahezu allen Fragen der praktischen Ethik und Moral locker in abhängen und allenfalls von den streng religiösen in einigen Punkten dominiert werden.
Ich glaube, das hängt tatsächlich mit der statistisch (in weltweiter Sicht) höheren Bildung eines bewussten Atheisten zusammen, die überdies in vielen Ländern auch eine gewisse Courage brauchen um ihre Position durchzuhalten

Was Religion aber kann, ist die Reihen zu schließen und die Schwierigkeiten irgendein Wir-Gefühl zu entfachen sind in Europa ja seit einiger Zeit zu sehen, trotz all der Massenmedien, die man nutzen könnte. Der demographische Wandel zeigt obendrein wie bitter nötig Nachkommen für eine Gesellschaft sind und er ist als Thema katastrophal spät in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Ich kann hier keinen Zusammenhang allein zur Bildung erkennen, denn auch in den Ländern mit verordnetem, statt gewachsenem Atheismus, ist dieselbe Korrelation zu sehen. Es mag vieles etwas klein und bieder sein, was die Religion zu bieten hat, aber ihre Vitalität hat sie erwiesen, dass das ausgerechnet das Hauptkriterium (eigentlich das einzige) für evolutionären Erfolg ist, muss den oft so darwinismusbegeisterten Brights zu denken geben.

Und kleinkariert oder nicht: In Zeiten, in denen Fundamentalisierungen, Entidentifizierungen mit Gemeinschaften jeder Art zunehmen und viele nur noch versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, ist selbst ein Schuss Konformität und Konventionelles etwas, was wiedergelernt und reetabliert werden muss und wenn stine darauf hinweist, tut sie es m.E. zurecht.

Ein Anwachsen des Narzissmus und vergleichbarer Pathologien, die allesamt mit einer übergroßen Selbstaufmerksamkeit und Entidentifizierung mit der breiten Bevölkerung einhergeht, wird schon seit Jahren beobachtet und inzwischen fragt man sich ja sogar in Talkshows, was den diversen Kommerzialisierungen und Nützlichkeitserwägungen (für die Wirtschaft) noch einen Riegel vorschieben soll. Selbst in der Medizin ist der Sprung vom Patienten zum Kunden längst vollzogen, mit ekelhaften Folgen. Dass der leistungsorientierte Nützling den die Wirtschaft sich wünscht die narzisstischen Tendenzen verinnerlicht hat, ist nicht erst Schirrmacher aufgefallen, der das Thema dann immerhin popularisiert hat.


Wenn Huber von den Brights spricht, das muss man aber auch mal festhalten, dann hat er sicher nicht Prinzip 8, Nanna oder Zappa im Sinn, sondern vielleicht eher die öffenlichtkeitswirksamen und latent selbstgefälligen Auftritte von den 4 Horsemen und möglicherweise dem deutschen Chefatheisten. Unter der Fahne der Brights segeln eben auch zweifelhafte Gestalten, man muss das sicher nicht ausführen, wurde ja auch schon erwähnt.
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