tkarcher hat geschrieben:Zum Glück sind wir Brights ja völlig frei von Schwäche, Krankheit und sonstigen Lebenskrisen! Geborgenheit ist was für Kinder, Brights schöpfen Kraft aus dem Urknall und der Evolution! Oder wie sonst erklärt es sich, dass Begriffe wie Geborgenheit in der Brights-Bewegung bisher offenbar keine Rolle spielen?
Ich glaube, du denkst hier einige Nummern zu groß. Die Stärke des naturalistischen Weltbildes ist ja gerade, die Hybris aufzugeben, das ganze Universum irgendwie auf sich zu beziehen. Urknall, Evolution, das sind Sachen, die sind einfach da. Es ist nicht deren Funktion, uns Kraft zu geben oder Geborgenheit zu vermitteln, aber auch nicht die, uns Angst zu machen.
Geborgenheit speist sich aus sozialen Bindungen, aus der Sicherheit, die die Mitgliedschaft in einer Gruppe gibt, aus dem Wissen, nicht allein zu sein. Die Idee eines Gottes, zu dem man eine persönliche Beziehung hat, folgt ja auch diesem Grundmuster sozialer Verbundenheit. Die Projektion Gottes als Vaterfigur, als großer Superbruder, ist da eigentlich ziemlich offensichtlich eine Analogbildung. Naturalist zu sein bedeutet auch, diese Wunschvorstellung loszulassen und sich auf die realen Quellen von Geborgenheit zu beziehen, nämlich auf die sozialen Bindungen zu realen, materiell existierenden Wesen.
tkarcher hat geschrieben:Wenn das naturalistische Weltbild irgendwann wirklich das mystisch-theistische Weltbild in allen Belangen ablösen soll, dann reicht es nicht aus, Gott einfach aus unserem Leben zu streichen. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir auch ohne Gott Geborgenheit finden. Und Trost. Und Zuversicht. Und alles andere, was die Menschen bisher aus ihrem Glauben schöpfen.
Ich höre hier sehr viel "ich" aus dem "wir" heraus. Das hat sicherlich damit zu tun, dass du am Anfang eines Weges stehst, den viele hier schon ein gutes Stück weitergegangen sind. Gerade frische "Aussteiger" aus den theistischen Denksystemen neigen dazu, den Naturalismus als Weltanschauung zu konstruieren, die in vielem noch einer theistischen Struktur folgt, die mit naturalistischen Inhalten gefüllt werden. Das wird sich mit der Zeit geben.
Du hast Recht, wenn du sagst, dass "Gott" als Konzept und Dreh- und Angelpunkt weiterer Konzepte einfach zu streichen, nicht ausreicht. Am Anfang so eines Ablöseprozesses, den du gerade durchzumachen scheinst, steht meiner Erfahrung nach häufig das Gefühl, diese Lücken schließen oder doch zumindest überbrücken zu müssen. Im Laufe der Auseinandersetzung habe zumindest ich gemerkt (ich bin aus einem stark christlichen Umfeld heraus im Laufe meiner Pubertät zum Atheisten und schließlich Naturalisten geworden), dass viele der Lücken, der man anfangs wahrnimmt, so gar nicht existieren (müssen).
Geborgenheit bietet die Gemeinschaft mit engen Freunden und Verwandten, mit Gleichgesinnten, manchmal auch schon allein eine konstruktive Sicht auf das Leben, also die Kunst, das Glas halb voll und nicht halb leer zu sehen. Geborgenheit kann auch die Akzeptanz des eigenen Platzes im Universum bieten. Dann fliegen wir halt auf einem großen, innen brennenden Gesteinsbrocken mit 7 Milliarden anderen Knallköpfen durch das Nichts und kucken doof aus der Wäsche. Das haben wir ja auch schon erfolgreich gemacht, bevor wir wussten, dass die Wirklichkeit um uns herum so aussieht. Zu wissen, dass die Gravitation es ist und nicht Gottes Hand, die einen auf dem Boden hält, gibt mir zumindest immer ein gewisses Gefühl der Zuverlässigkeit. Im Gegensatz zu diesem erratischen Clown aus der Bibel mit seiner Rachsucht und seinen genozidalen Anwandlungen hat die Gravitation sich immer brav vorhersehbar verhalten - also mir gibt das Sicherheit genug.
Trost. Das ist nun in meinen Augen so ein rhetorisches Kuckucksei, das durch fortwährende Widerholung durch kirchlichen Diskurs als irgendwie notwendig und zentral für das menschliche Dasein definiert wurde. Trost braucht der, der traurig ist - und der, der sich schwer tut, Dinge zu akzeptieren, den Blick nach vorn zu richten. Auch das hat wieder damit zu tun, ob man in seinem Dasein eher Möglichkeiten oder Hindernisse sieht, eher Chancen oder Verluste. Auf keinen Fall hat Trost etwas mit Gott oder dem Glauben als Konzept zu tun. Wer sagt, dass der Glaube ihm Kraft gibt, der sagt meiner Meinung nach vor allem, dass er Stärke aus dem Wissen um seinen Standpunkt, seinen Platz in der Welt, seinem für sich erkannten Sinn des Lebens, seiner Identität zieht. Diese Art von "Trost" habe ich als Naturalist aber auch, weil ich, ganz unabhängig von dem weltanschaulichen Diskurs, in dem ich unterwegs bin, meinen Frieden mit der Welt gemacht habe und in mir selbst zu ruhen gelernt habe. Diese Fähigkeit kann man aber ganz ohne supernaturalistische Konzepte entwickeln, man muss "nur" die Zweifel und Ängste mal einen Augenblick zulassen und aushalten und die Erfahrung machen, dass ja überhaupt nichts passiert - schon gar nichts Schlimmes oder Traurigmachendes.
Zuversicht ist ein Gefühl, das im Grunde derselben Kategorie entspringt. Wer weiß, wo er steht, kann auch überlegen, wo er hin will. Und wer Möglichkeiten sieht, das Glas als halb voll (und den Naturalismus eher als Befreiung) begreift, der schöpft von ganz alleine und aus diesem Wissen heraus Zuversicht.
Die große Gefahr, Geborgenheit, Trost, Zuversicht durch eine Umstrukturierung naturalistischen Denkens zu finden zu hoffen, ist die, dass man vergisst, dass all diese Gefühle Produkte der eigenen Perspektive auf die Welt sind. Menschen haben schon ganze Leben mit der Suche nach der Antwort auf ihre persönlichen Ängste damit verbracht, in den ganz großen Zusammenhängen zu wühlen, wo sie sich dann verloren haben, weil es in großen Zusammenhängen einfach nichts zu finden gibt außer große Zusammenhänge. Wichtiger wäre doch, sich selbst zu fragen, was man als korrekt und plausibel erkannt hat und was das ganz konkret für einen selbst bedeutet. Bedeutet der Verlust von Gottes Geborgenheit wirklich, dass man nicht mehr geborgen ist? Oder hat man die ganze Zeit einfach noch nicht gemerkt, dass man längst und stabil auf eigenen Beinen stehen kann? Dass man all die Geborgenheit, den Trost und die Zuversicht auch in sich selbst und mit anderen Menschen erfahren kann, selbst wenn das Universum um einen herum kalt, gleichgültig und leer ist? Dass es vielleicht sogar nie anders war, dass man nur nicht gewagt hat, den ganzen Glaubensballast einfach mal beiseite zu lassen und sich auf das Gefühl der Geborgenheit an sich zu verlassen?
Als mit Glühlampen und Xenonscheinwerfern aufgewachsener Mensch vergisst man schnell, dass sich in der Dunkelheit um einen herum nicht nur Bedrohungen verbergen können, sondern dass man sich genausogut selber in der Dunkelheit vor Bedrohungen verbergen und sich damit geborgen fühlen kann. Es ist wirklich alles eine Frage der Perspektive und des Umgangs mit Gegebenheiten.