von Vollbreit » Sa 22. Dez 2012, 09:21
Ich denke auch, dass wir da einer Meinung sind, ich will das hier nicht überstrapazieren, da der Thread sich um die westlichen Werte dreht. Diese Diskussion um prinzipiell erklärbar, aber nicht praktisch erklärbar, ist m.E. eine um des Kaisers Bart, so eine Wohlfühldiskussion. Immerhin ist das Teil der westlichen Tradition der letzten 200 Jahre. Man möchte glauben, alles sei kontrollierbar und erklärbar und letztlich auf ein Bündel physikalischer Gesetze zu reduzieren, die ganz am Anfang alle Weichen stellen.
Es ist ein gutes Gefühl weitgehend die Kontrolle zu haben oder mindestens Erklärungen finden zu können, Freud hat das als Rationalisierungen enttarnt, aber man kann seiner eigenen Psyche eben auch nicht entgehen und wozu auch?
Diese Machbarkeitsvorstellungen sind glaube ich Teil des westlichen Selbstbewusstseins und schon lange wird ein Riss beschrieben, zwischen den immer weiter zunehmenden technischen Möglichkeiten und der nicht parallel gehenden Zufriedenheit der Menschen.
Eine Diagnose könnte sein, dass technische Möglichkeiten zum Surrogat werden, wo es tendenziell Zwischenmenschliches benötigen würde. Aber hier soll es ja erst mal um Herkunft der Werte gehen, bzw. was sie überhaupt ausmacht.
Off topic:
Ein Wort noch zu den Gefühlen. Ich sehe Gefühle nicht als göttlich oder mystisch an, sondern als ein Wechselspiel eigener Neurotransmitter mit den Menschen (z.B. deren Stimmungen) und Situationen (z.B. Wetter) meiner Umgebung, auch dem kulturellen Input (z.B. die aktuellen Nachrichten). Darüber hinaus sehe ich auch Mystik nicht als mystisch an, im Sinne von unerklärbar, sondern Mystik ist eine Erfahrung, die man machen oder nicht machen kann.
Man kann Alpe D'Huez unter den Bedingungen der Tour hochfahren und ich denke, dass das auch qualitativ etwas anderes ist, als wenn man sagt, wenn ich mit dem Hollandrad zu meinen Eltern fahre, geht es die letzten 50 Meter auch 5% bergauf, also weiß ich im Grunde auch, wie es ist Alpe D'Huez bei der Tour zu fahren.
Gerade beim Sport, finde ich, kann man erkennen, dass Sport machen und Sport machen und Sport machen und Sport machen wirklich ganz unterschiedliche Kategorien sind, auch wenn man sagen kann, dass man eben immer nur mit eigener Muskelkraft, auf einem Rad sitzend, eine Steigung überwindet.
Man kann Yoga machen und dabei was für den Rücken tun, oder Yoga machen um Yoga zu machen, man kann ein wenig Entspannungstraining machen und Meditieren. Wenn wir von Mystikern reden, dann reden wir im Grunde von den Toursiegern und nicht davon, dass man auch mal erlebt hat, dass die rechte Hand warm werden kann, wenn man dran denkt.
Mystik ist im Grunde die „Innenansicht“ bestimmter Erfahrungen, deren Außenansicht ja längst objektiviert wurde, man hat ja schon dutzendenweise Buddhistenmönche in die MRT Röhre geschoben, nur ist die Darstellung der diversen Hirnfunktionen natürlich auch nichts was weiter hilft, wenn man nicht weiß, wie sich das anfühlt oder warum man das machen sollte.
Die Innenansicht jeder Erfahrung ist prinzipiell beschreibbar, natürlich auch einer mystischen Erfahrung, das Problem ist m.E. nicht mal, dass es an Begriffen mangeln würde, sondern, dass es an der Breite der Erfahrungen fehlt. Wenn man sagt, ich habe gerade Tomatensuppe gegessen und die anderen am Tisch sind der Auffassung, das sei keine Tomatensuppe gewesen, ist sofort ein Korrektiv da, wenn man sagt, man habe eine Satori-Erfahrung gehabt, sagen nicht alle anderen, das sein kein Satori gewesen.
Ich glaube sogar das die vielbeschworene Unsagbarkeit der mystischen Erfahrungen eine Ente ist, ich sehe keinen Grund, warum man nicht drüber reden können sollte. Es ist zwar paradox, wenn ich von meiner Erfahrung der Ichlosigkeit berichten möchte, aber ich denke über begriffliche Annäherungen kann man dem so nahe kommen, dass jemand anderes sagen kann: „Ah ja, kenn ich auch“, oder sagen kann: „Komisch, war bei mir ganz anders.“ Also auch hier bewegt man sich in einem intersubjektiven, prinzipiell korrigierbaren Raum.
Ob und inwieweit mystische Erfahrungen nun etwas Transzendentes oder Göttliches oder Übernatürliches sind, ist mir im Grunde völlig egal, weil es der Erfahrung weder es gibt noch nimmt, sie so zu titulieren. Ich wüsste auch nicht, wie das zu bestimmen wäre, weil man es m.E. prinzipiell nicht bestätigen oder widerlegen kann und diese „Es gibt mit an Sicherheiut grenzender Wahrscheinlichkeit...“-Aussagen finde ich in den Kontext eher peinlich und infantil, aber jeder wie er will.
Das wollte ich mal grundsätzlich loswerden, damit ich mal aus erster Hand darstellen kann, was ich dazu denke.