Die Rente ist sicher

Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Do 6. Dez 2012, 21:08

@Zappa:
So komplex isses eigentlich auch wieder nicht. Die relative Rentenhöhe (=Durchschnittsrente geteilt durch Durschnittslohn) wird zwangsläufig sinken. Da Armut bei uns als eine Relation zum durchschnittlichen Einkommen berechnet wird, muss zwangsläufig die statistische Arbeitslosigkeit steigen. Produktivitätssteigerungen können dann allenfalls den absoluten Rückgang abfedern. Vielleicht begreift an dieser Stelle auch mal Nanna, warum ich diese Definition so für Kokolores und (bewusst platzierten?) gesellschaftlichen Sprengstoff halte.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Vollbreit » Do 6. Dez 2012, 23:15

Zappa hat geschrieben:Für eine Verdoppelung des Bruttosozialproduktes in 30 Jahren, braucht es nur einen jährlichen Anstieg von 2,3%. Das ist nicht unrealistisch (solange es unser Planet verkraftet).


Dann wird es eng, ist aber nicht aussichtslos:
http://www.unciatrends.com/bruttoinland ... 2000-2010/
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Nanna » Fr 7. Dez 2012, 00:00

Zappa hat geschrieben:Einen Aspekt habe ich schon genannt: Steigt die Produktivität genau um den Faktor, wie die Belastung, durch das zunehmend schlechtere Verhältnis von Beitragszahlern und Rentenempfängern, dann bleibt die absolute Belastung bei gleichem Lebensstandard der Beitragszahler gleich.

Der Schlüsselbegriff ist "gleicher Lebensstandard". Legen wir das an, was in den 60ern als bescheidener Wohlstand galt (Fernsehgerät, Telefon, jeden Tag Fleisch und so), so kommt heute bereits die Unterschicht in den Genuss dieser Annehmlichkeiten. Wir könnten heute sicherlich die Rentner mehr als bequem zu einem Lebensstandard versorgen, den die Generation ihrer Großeltern genoss, als sie selbst jung waren. Aber das würde natürlich im Vergleich zu heutigen Wohlstandsverhältnissen massives downsizing für die Rentner bedeuten, fraglich, wer das mitmacht.

provinzler hat geschrieben:@Zappa:
So komplex isses eigentlich auch wieder nicht. Die relative Rentenhöhe (=Durchschnittsrente geteilt durch Durschnittslohn) wird zwangsläufig sinken. Da Armut bei uns als eine Relation zum durchschnittlichen Einkommen berechnet wird, muss zwangsläufig die statistische Arbeitslosigkeit steigen. Produktivitätssteigerungen können dann allenfalls den absoluten Rückgang abfedern. Vielleicht begreift an dieser Stelle auch mal Nanna, warum ich diese Definition so für Kokolores und (bewusst platzierten?) gesellschaftlichen Sprengstoff halte.

Lustig, dass ich, bevor ich deinen Post gelesen habe, fast dasselbe gesagt habe. ;-)
Ich kenne deine Meinung zur relativen Armut, aber ich halte es nach wie vor für sinnvoll, diesen Begriff analytisch zu verwenden. Denn es läuft in der Tat etwas falsch, wenn eine große materielle Schieflage in der Gesellschaft vorherrscht. Da ist es mir persönlich recht egal, ob das nun volkswirtschaftlich das supereffiziente Nonplusultramodell ist oder nicht. Ich sehe keinen Sinn darin, Effizienz um ihrer selbst Willen anzubeten, es muss uns schon besser durch unsere Wirtschaft gehen. Und da zeigt die Psychologie eben auch, dass massive Wohlstandsgefälle unzufrieden machen. Heißt nicht, alles zwanghaft zu planieren, aber einen Finger auf die Wunde der Ungleichverteilung darf man schon legen.

Wenn du einen Kompromiss und nur eine einzige Armutsdefinition haben willst (wovon ich nichts halte, weil die Reduktion von Klassen selten zu einem differenzierteren Bild führt, genausowenig wie eine Verkleinerung einer Fotolinse das Bild schärfer macht), mach einen Vorschlag für eine absolute Armutsgrenze, die ich als menschenwürdig gerade noch so akzeptieren kann.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Fr 7. Dez 2012, 01:09

Wie wärs mit der Definition der UNO? Die dürfte jedenfalls eine realistischere Größe sein, als das was man bei uns so verzapft. Solange die Armutsstatistik mich in meiner jetzigen materiellen Ausstattung erfasst, werde ich sie weiterhin fachlich nicht ernst nehmen können.
Soweit ich weiß, ist es außerdem auch so, dass die "gefühlte Ungerechtigkeit" zunimmt, je gleicher die Verteilung ist. Also die verbleibenden geringen Unterschiede werden überproportional stark wahrgenommen und auch angegriffen. Von den Ländern mit nennenswerter Bevölkerung hat einzig Japan einen niedrigeren Gini-Koeffizienten als die BRD, also auch in Bezug auf das Gefälle finde ich die Diskussion hierzulande hochgradig albern.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Nanna » Fr 7. Dez 2012, 02:07

provinzler hat geschrieben:Wie wärs mit der Definition der UNO? Die dürfte jedenfalls eine realistischere Größe sein, als das was man bei uns so verzapft. Solange die Armutsstatistik mich in meiner jetzigen materiellen Ausstattung erfasst, werde ich sie weiterhin fachlich nicht ernst nehmen können.

Die UNO bezieht sich strikt auf die Definition absoluter Armut. Dass die deutsche Binnendebatte andere Maßstäbe zum internen Vergleich hernehmen muss, ist doch selbstverständlich. Du sagst doch auch, dass der mittelmäßige Spieler XYZ, der der Ultrastar der Kreisliga wäre, ein schlechter Fußballspieler ist, wenn du ihn in der Bundesliga siehst. Wenn dann einer kommt und sagt "Wieso, er trifft doch den Ball?", nennst du das dann eine "realistische Größe"?

provinzler hat geschrieben:Soweit ich weiß, ist es außerdem auch so, dass die "gefühlte Ungerechtigkeit" zunimmt, je gleicher die Verteilung ist. Also die verbleibenden geringen Unterschiede werden überproportional stark wahrgenommen und auch angegriffen. Von den Ländern mit nennenswerter Bevölkerung hat einzig Japan einen niedrigeren Gini-Koeffizienten als die BRD, also auch in Bezug auf das Gefälle finde ich die Diskussion hierzulande hochgradig albern.

Dann finde sie albern, aber benutz die korrekt definierten Begriffe. Und hab vielleicht ein Fünkchen Verständnis dafür, dass es für Sozialwissenschaftler und -politiker wichtig ist, eine Vorstellung davon zu haben, wer im Vergleich zum Durchschnitt und unter Nichtberücksichtigung anderer Länder in Deutschland besonders wenig vom Kuchen abbekommt.

Und ja, es gibt immer Leute, die motzen. Es hat auch niemand hier die Egalisierung der Lebensumstände gefordert oder auch nur empfohlen. Und ich glaube kaum, dass ein Land kollektiv Bluthochdruck bekommt, weil das Auto des Nachbarn zehn Zentimeter länger ist, sondern weil Menschen zurückgelassen werden und nicht für sich sorgen können und die auf der anderen Seite sich Häuser bauen müssen, in die man mit dem Auto reinfahren kann, damit sie keinen Hirnschlag kriegen, wenn sie abends um neun dem abgerissenen Typen im Kapuzenpullover auf der Straße begegnen. Ich stimme dir ja vollkommen zu, dass wir größere Probleme auf der Welt haben, aber ich beschwere mich trotzdem, wenn ich im Restaurant versalzenes Essen bekomme, auch wenn jemandem 5000 km weiter südlich gerade jeder Fraß zum Überleben recht wäre. Das ist eine Frage des Verhältnisses, der Relation, nichts anderes sagt der Begriff "relative Armut" ja auch aus. Um des fachlichen Ernstnehmens willen wäre es doch kein schlechter Start, wenn du diese Modifikatoren berücksichtigen würdest, anstatt so zu tun, als würden die Soziologen von "relativer Armut" sprechen und "absolute Armut" meinen. Das sind keine sozialutopisch kontaminierten kommunistischen Idioten, sondern Leute, die sich sehr präzise und differenziert mit dem Begriff "Armut" auseinandersetzen, was du insofern anerkennen könntest, als dass du deren Konzepte nicht hernimmst und zum Zwecke deiner politischen Agenda zwangssimplifizierst.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Dez 2012, 10:33

Ist immer so eine Geschichte, mit der Armut, um mal meine unqualifizierte Meinung dazuzugeben.
So als Erinnerung, was echte Armut ist, sollte man sich dann und wann mal vergewissern, was echte Armut in Indien oder Afrika heißen kann und dann irgendwo eine Kerze anzünden, dafür, dass man im Jahr 2012 in Mitteleuropa leben darf! Vor allem wenn es dann gegen die Würde sein soll, wenn man nicht alle drei Jahre eine neue Spülmaschine gibt.

Auf der anderen Seite würde man ja auch nicht die Demokratie relativieren, nur weil es irgendwo im Amazonasdschungel noch ein Urvolk gibt, was noch nicht mal eine entfernte Ahnung von Politik hat.
Ich bin kein Sozialromantiker, aber ich finde, dass unsere Sozialsysteme, obwohl hypertrophiert, eine große Errungenschaft sind und halte Krankenversicherungen nicht für Sozialismus.

Die überstrapazierte Rede davon, dass Arbeit sich wieder lohnen muss, stimmt ja und würde auch dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden entsprechen, warum man’s dann nicht macht, keine Ahnung.

Auf der einen Seite steht man zwar im globalen Wettbewerb, aber dennoch gibt es relativ anders entwickelte Regionen in den dieselbe Geldmenge unterschiedlich viel Wert ist.
Dass Versprechen den Märkten nur völlig freie Hand zu lassen und dann kommt der Rest schon als Nachsendung, ist ja nun auch gescheitert.

Ein akzeptables Lohnniveau ist ja eine der Grundbedingungen für eine Rente die überm Sozialhilfesatz liegt.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon stine » Fr 7. Dez 2012, 11:29

Vollbreit hat geschrieben:Ist immer so eine Geschichte, mit der Armut, um mal meine unqualifizierte Meinung dazuzugeben.
Das will ich auch (meine unqualifizierte Meinung dazu abgeben)!
Ich finde, dass die bei uns diagnostizierte Armut eine Frechheit ist. Die angesetzten Maßstäbe kann inzwischen nicht mal mehr der Mittelstand halten, auch hier muss man sich entscheiden, ob man in Urlaub fährt oder sich dafür eine größere Wohnung leisten möchte. Die Ansprüche sind dermaßen hochgeschraubt, dass mir manchmal die Haare zu Berge stehen, wenn ich das lese oder höre.
Da Jammern in den Medien zur besten Sendezeit die übergewichtigen Alleinerzieher, mit Piercings und Tatoos geschmückt, über ihr finanzielles Desaster und im Hintergrund stehen der Kaffee-Altar und das Apple-Laptop. Und die armen Altersrentner klagen darüber, dass für ihre Enkel nichts mehr übrig bleibt.

Ich sehe nur große Autos vor Aldi parken.

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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Dez 2012, 12:03

Kann man so sehen. Urlaub (also die Reise nach Spanien oder so) wird ja schon fast als Grundrecht angesehen.
Meine Oma ist in ihrem Leben auch drei, vier mal in Urlaub gefahren, zum ersten Mal mit über 60.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Nanna » Fr 7. Dez 2012, 12:29

stine hat geschrieben:Da Jammern in den Medien zur besten Sendezeit die übergewichtigen Alleinerzieher, mit Piercings und Tatoos geschmückt, über ihr finanzielles Desaster und im Hintergrund stehen der Kaffee-Altar und das Apple-Laptop. Und die armen Altersrentner klagen darüber, dass für ihre Enkel nichts mehr übrig bleibt.

Genau, warum sozialwissenschaftlichen Forschungen vertrauen, wenn RTL2 einem ein wesentlich neutraleres und zuverlässigeres Bild liefert?
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Dez 2012, 12:34

Es ist aber auch so, dass jeder Frontarbeiter Dir bestätigen wird, dass es da merkwürdige Verzerrungen gibt, wenn jemand klagt, die Einbauküche, die besser und umfangreicher als Deine ist, müsse nun auch mal wieder dringend erneuert werden. Der Neid auf Sozialhilfeempfänger, der mir dann allerdings etws abgeht, kommt ja auch nicht von ungefähr, selbst wenn viele Shows der Unterschichtensender plumpe Fälschungen sind.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Nanna » Fr 7. Dez 2012, 13:53

Ja, die Frage ist nur, ob das nicht der typische Anekdoteneffekt ist. Jeder hat mal irgendwo so eine Story gehört und wenn drei Leute im Raum bestätigen, mal Kenntnis von einem merkwürdigen Fall bekommen haben (wo es sich auch nur um den Versuch einer Ausnutzung gehandelt haben kann, die nicht mal durchgekommen ist), sieht das für die Anwesenden gern schnell nach einer empirischen Verifikation der These, dass die Mehrheit (=fast alle) das System brutal ausnutzt. Ich habe hier neulich schonmal irgendwo eine Statistik gepostet (bin zu faul, sie jetzt zu suchen), die den Missbrauch von Sozialhilfe auf eine niedrige einstellige Zahl der Fälle beziffert. Und das ist generell so bei den Mythen über Sozialhilfeempfänger, dass sich am Ende meist rausstellt, dass die Mehrheit sich unter'm Strich relativ regelkonform verhält, auch wenn kleinere individuelle Vorteilssuche sicher häufig vorkommt. Da will ich aber dann keine Verteidigung der Mittelschicht hören, die Haushaltshilfen in großer Zahl schwarz beschäftigt und bei Steuererklärung auch gern versucht, Geld kreativ in die eigene Tasche zu leiten. Da wird ein bequemer, weil rhetorisch ziemlich wehrloser Avatar aufgebaut, der dann zum Wohlbefinden der Mittelschicht abgebrannt werden kann. Das ist mir zu undifferenziert und anekdotisch begründet.

Ich bin auch weiterhin der Ansicht, dass ein Kind, das vielleicht (!) einmal im Jahr zu seinem Geburtstag ins Kino kann, relativ zu seinen Altersgenossen arm ist, auch wenn ein Favelakind irgendwo in Brasilien sein Glück nicht fassen könnte, wenn es denselben Lebensstandard hätte. provinzler hat mal versucht, Einkommensunterschiede zu relativieren, indem er sagte, der Prokurist einer Firma hätte ja auch höhere Ausgaben, schließlich müsse er im standesgemäßgen BMW vorfahren (was nichts daran ändert, dass der BMW ja trotzdem bequemer ist als die U-Bahn). Offenbar weiß auch provinzler, dass es beim Wohlstand Relationen gibt und dass der Prokurist sich relativ zu seinen Arbeitskollegen positionieren muss, nicht relativ zu einer globalen Skala für Wohlstand. Komischerweise soll diese Gesetzmäßigkeit nur bloß nicht mehr gelten, wenn es um die faulen Armen geht, die "unser" sauer erarbeitetes Geld in Vegas durchbringen... oder so. Sorry, aber kommt das wirklich nur mir inkonsequent und parteiisch vor?
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon stine » Fr 7. Dez 2012, 14:08

Nanna hat geschrieben:Genau, warum sozialwissenschaftlichen Forschungen vertrauen, wenn RTL2 einem ein wesentlich neutraleres und zuverlässigeres Bild liefert?
Die Fragen sind doch immer die gleichen: WER macht eine Studie über WAS und WAS soll letztlich dabei herauskommen.
Wieviele arme Familien und wieviele Obdachlose kennst du persönlich?
Du liest doch die Zeit? Dann schau mal in die gestrige, zum Thema Bildungs- und Teilhabepaket.
Natürlich wieder eine Alleinerziehende, die schon mal auf Kino und Urlaubsreisen verzichten muss, um ihren drei Kindern ihre Hobbys zu finanzieren. Und Nachhilfe wird nur nach Bedarf (Versetzungsgefahr) bezahlt. War das jemals anders?
Tut mir Leid, aber ich sehe in vielem keine "echte" Bedürftigkeit, ich sehe nur, dass heute der Verzicht auf Zuckerl, die es früher gar nicht gab, ganz groß aufgehängt wird.

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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Fr 7. Dez 2012, 14:17

@Nanna:
Ich habe mit dem Begriff der relativen Armut deswegen ein Problem weil der Begriff "relativ" in der öffentlich Rezeption gänzlich entfällt. Außerdem werden noch die Begriffe "arm" und "armutsgefährdet" munter durcheinander geworfen. Es wird dann unterschwellig kommuniziert hier müsste irgendjemand materielle Not leiden, also hätte akuten Mangel an Zugang zu sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln etc.
Aber jemanden als "arm" zu bezeichnen, nur weil ausgedehnte Shoppingtouren, große Urlaubsreisen oder das dritte iPhone nicht drin sind, finde ich schon albern. Als es (vor nem Jahr?) die "Armenkrawalle" in London gab, haben die Krawallmacher untereinander mit modernsten (und nicht ganz billigen) Gerätschaften untereinander kommuniziert. Solche global wie historisch unglaublich priviligierte und wohlhabende Menschen (und nochmal: Ich zähle mich da ausdrücklich mit dazu) begrifflich in einen Topf zu schmeißen respektive in die Nähe rücken mit Menschen, die hungern, frieren und kein Dach über dem Kopf haben, ist für mich eher eine Form des Realitätsverlusts.
Um auf dein Fußballbeispiel zurückzukommen: Wir bilden mittlerweile derart viele gute Fußballer aus, produzieren also einen solchen Überschuss, dass wir sogar die Kreisliga noch vereinzelt damit bestücken können.
Ist deswegen die Kreisliga nun benachteiligt, oder gar "fußballerisch ärmer geworden", wenn der "Ausschuss" all dieser tollen Fußballinternate dann dort landet?
Ich kann dir gerne sagen, was ich für den eigentlich Grund oder besser den Grund für die Verbreitung solcher Definitionen halte. Und das ist die Akademikerinflation. Jedes Jahr müssen sich Profs in Deutschland Themen für abertausende von Wiwis, Soziologen, Politologen usw. ausdenken, über die dann Diplom- und Doktorarbeiten verfasst werden können. Die BWLer terrorisieren dann Fußballforen mit den immergleichen Umfragen, ob Audi imagemäßig zum FC Bayern passt und ob man den VFL Wolfsburg auf einer Skala von 1 bis 10 nun als Plastik oder als Kult einstuft. Das erleichtert den Professoren die Arbeit ungemein, weil sie eigentlich nur überprüfen müssen, ob methodisch (von der Statistik her) alles sauber gelaufen ist und die Zitate ordnungsgemäß platziert wurden. Das ist übrigens kein Vorwurf an die Profs. Bei solchen Massenabfertigungen ist das wohl kaum anders möglich. Gut für die BWL-Studenten, dass die Fußballbundesliga gibt. Und gut für die Soziologen, dass man Armut neu definiert hat, weil worüber sollten sie denn sonst schreiben...
Und dann gibts natürlich noch so Vögel wie den Prof. Butterwegge, der im Radio gerne mal als "Experte" geladen wird und dabei soviel Schmarrn von sich gibt, dass es selbst den Moderatoren manchmal zu viel wird.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Fr 7. Dez 2012, 14:28

@Nanna:
Natürlich gibt es Unterschiede in den Erwartungen des Umfelds. Dazu gehört unter andrem auch der Arbeitgeber. Nur ist die Frage, ob es zweckmäßig oder sinnvoll ist "Umfeld" anhand von willkürlich gezogener Landesgrenzen und daraus resultierender Durchschnitte zu definieren. Meine Freunde in Rumänien, Polen, Tschechien, Mexiko, Brasilien oder in der Karibik werden dabei unterschwellig zu einer Art Menschen zweiter Klasse degradiert. Man schwafelt hierzulande von einem gewissen Lebensstandard unter dem zu leben "menschenunwürdig" wäre, den man dann aber meinen Freunden nicht zugestehen will, weil sie sich den falschen Geburtsort ausgesucht haben. Ich finde das menschenverachtend.
P.S. Wir kommen aber grade gewaltig vom Thema weg...
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Vollbreit » Fr 7. Dez 2012, 15:47

@ Nanna:

Das stimmt schon, was Du sagst, oft geht das in Richtung Vorurteile, aber ich glaube das Problem ist gar nicht der Missbrauch, sondern der normale Gebrauch:
Gabor Steingart hat geschrieben:Das Volk versteht das meiste falsch, aber fühlt das meiste richtig, sagte einst Kurt Tucholsky. In der Sozialstaatsdebatte beweist sich die Richtigkeit seines Bonmots. Große Teile der Deutschen sind regelmäßig empört, wenn die heutigen Politiker an den Stellschrauben des Wohlfahrtsstaates drehen. „Sozialabbau! Kürzungsorgie! Umverteilung von unten nach oben!“, wird dann gerufen.
Diese Empörung beruht auf einer falschen Einschätzung der Wirklichkeit. Wahr ist, der Wohlfahrtsstaat verdreifachte seine Ausgaben allein in der letzten 25 Jahren, in den vergangenen 10 Jahren konnte er sie noch einmal um 20% steigern. Selbst nach Abzug der Preissteigerungsraten ergibt sich ein Anstieg. Deutschland wird immer sozialer. Die Steuer hat man den Armen nahezu komplett erlassen, das Arbeiten zum Teil auch. Jeder zweite Deutsche geht keinerlei Beschäftigung nach, sei es dass er zu jung oder zu alt oder zu krank ist. Oder sich auch nur so fühlt.
Von der anderen, der arbeitenden und Steuer zahlenden Hälfte sind es auch wieder nur 50%, die durch die Zahlung von Lohn- oder Einkommenssteuer einen nennenswerten Obolus in die Staatskasse einzahlen. Die „untere“ Hälfte der Steuerzahler trägt keine 6% zum gesamten Aufkommen der Lohn- und Einkommenssteuer bei. 80% der Einnahmen aus der Lohn- und Einkommenssteuer, stammen vom „oberen Drittel“ der Steuerbürger, die man vorwurfsvoll die „Besserverdiener“ nennt.
Die Wahrheit verhält sich also umgekehrt proportional zur Wahrnehmung: Täglich findet in Deutschland eine Umverteilung von oben nach unten statt. Die Kundschaft des deutschen Sozialstaates, erfährt eine Fürsorglichkeit, wie wir sie sonst nur bei den Großfamilien der Urvölker antreffen, wo einer den anderen füttert. Man beachte nur den steil steigenden Ausgabenposten „staatliche Erziehungshilfe“. 5,4 Milliarden wurden 2010 dafür ausgegeben, das ist annähernd drei mal so viel, wie wir den Afrikanern als Entwicklungshilfe überweisen. Die „Erziehungshelfer“, die in manchen Kommunen auch „Familienhebammen“ genannt werden, greifen überall dort ein, wo Kinder hungrig, verstört oder verlottert in der Schule erscheinen. Im idyllischen Gütersloh gab die Stadt im vergangenen Jahr für eine einzige Familie 286 000 Euro aus, weil alle fünf Kinder Erziehungshilfe benötigten. Bundesweit werden derzeit eine halbe Million Kinder und Heranwachsende auf diese Art von Vater Staat betreut.
Das soll an dieser Stelle nicht kritisiert werden, aber es muss festgehalten werden. Denn es klingt wie ein Provokation, dabei ist es nichts als die Wahrheit: Es gab in Deutschland bisher keinen Sozialabbau. Was in der Öffentlichkeit als solches bezeichnet wird, meint die Umverteilung von der einen Bedürftigengruppe zur nächsten. Der Hartz-IV-Empfänger stellt den Gürtel ein Loch enger, die alleinerziehende Mutter weitet ihn. Der Rentner legt eine Rentenerhöhungspause sein, bei den Familien wird zur gleichen Zeit das Kindergeld aufgestockt. Alle Beteiligten wissen im Grunde, dass bei diesem Spiel sich die ganz große Aufregung nicht lohnt. Die nächste Runde wird andersrum gespielt. Auch deshalb fällt der „heiße Herbst“ der und Jahr für Jahr annonciert wird, immer so kühl aus.
(Gabor Steingart, Das Ende der Normalität, Piper 2011, S. 62ff)


Der Knabe ist sicher auch nicht wertneutral und unvoreingenommen (aber, wer schon?), aber ganz falsch ist das sicher auch nicht.

Es gibt eben leider die Phänomene eines wegbröckelnden Mittelstandes, in dem gute ausgebildete Akademiker weniger verdienen als eine Putzfrau, aber das eine wird nicht gut, weil das andere schlecht ist.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon stine » Fr 7. Dez 2012, 19:01

provinzler hat geschrieben:P.S. Wir kommen aber grade gewaltig vom Thema weg...
Weiß ich gar nicht. Wenn man @Laies Zitat liest, dann wäre das Geld für einen Umbau des System ja da, es wird nur immer wieder woanders investiert.
Siehe auch: Gestern in quer

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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Sa 8. Dez 2012, 01:18

Die Rentner kriegen doch heute schon 60 Mrd. p.a. mehr, als das staatliche Rentensystem hergibt. Also selbst 60 Mrd. p.a. weniger wären keine "Demontage" der staatlichen Rente, sondern ein Anpassen an die Realität...
Um das Rentenniveau um 1/3 anzuheben wie diese Knalltüte das will, muss man bei gleichbeibendem Beitragssatz diesen Zuschuss um gut 65 Mrd. € steigern, oder alternativ müsste der Beitragssatz auf über 25%. Und um das rauszufinden, reicht das mathematische Wissen, dass von Sechstklässlern erwartet wird. Grundrechenarten und Bruchrechnen, mehr ist nicht nötig.

Das Rentenniveau das das System ohne Zuschüsse leisten kann liegen bei ca. 75% der tatsächlich ausbezahlten Renten...
Da von "Demontage" zu sprechen ist gerade zu eine Vergewaltigung der Realität...
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Gandalf » So 9. Dez 2012, 11:32

provinzler hat geschrieben:Um das Rentenniveau um 1/3 anzuheben wie diese Knalltüte das will, muss man bei gleichbeibendem Beitragssatz diesen Zuschuss um gut 65 Mrd. € steigern, oder alternativ müsste der Beitragssatz auf über 25%. Und um das rauszufinden, reicht das mathematische Wissen, dass von Sechstklässlern erwartet wird. Grundrechenarten und Bruchrechnen, mehr ist nicht nötig.


Nein, der Rest der Welt versteht ja nur nicht, das Produktivität 'planbar' ist und Produktivitätsgewinne ja nur den Unternehmern zu Gute kommen. Diese geniale Erkenntnis (die er im Buch verkauft) findet ja deshalb nur keinen Widerhall, weil sie von "der Linekn" und den "Gewerkschaften" vorgestellt wurde... :lachtot:

Nur ein weiterer crank, der von der Nachlässigkeit des Verstandes und Ausbeutung des guten Willlens anderer zu leben gedenkt.
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon provinzler » Do 27. Dez 2012, 23:53

Nachdem ich die idiotische Methodik in der amtlichen Statistik bezüglich Rentenanwartschaften schon seit Jahren bemängle (Nanna wird sich vielleicht erinnern) nimmt sich nun wenigstens die FAZ mal des Themas an.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... 00729.html
Im Grunde das was ich schon seit Jahren sage prägnant auf den Punkt gebracht...
Die Armutsindustrie definiert sich ein Problem herbei um ihren Wachstumskurs fortsetzen zu können...
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Re: Die Rente ist sicher

Beitragvon Lumen » Fr 28. Dez 2012, 00:52

provinzler hat geschrieben:[...] nimmt sich nun wenigstens die FAZ mal des Themas an. [...]


Gutes Interview, allerdings täte euch beiden oben drüber etwas weniger Lagerdenken (selektive Wahrnehmung) ganz gut.
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