Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon stine » Mo 17. Dez 2012, 14:28

fopa hat geschrieben:
stine hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Die Fähigkeit zur Grausamkeit steckt im Menschen drin...,

Könntest du das mal mit @Darth Nefarius abklären? Der ist nämlich der Meinung, dass Altruismus im Menschen drinsteckt und der Mensch aus natürlichen Trieben heraus gar nicht anders kann, als gut zu sein.
Widerspricht sich das denn? :)

Das widerspricht sich nicht, aber es scheint, je nachdem, was man beweisen will, das eine oder das andere willkürlich eingesetzt zu werden. Im Diskurs mit einigen Atheisten wird sehr häufig das Gute der einen, mit dem Schlechten der anderen Seite verglichen und umgekehrt, was mE gar nicht zielführend ist.
Dass Menschen per se beide Saiten (Kein Schreibfehler!) haben, ist genau richtig, aber es muss eben DIE Saite zum Klingen gebracht werden, die ihm und den anderen gut tut (was immer das heisst).
Das geht aber nur über den Weg der Erziehung und da sind wir denn auch gleich schon bei meinem Lieblingsthema: Ohne moralischen Anspruch (Moral wird hier gerne des öfteren als überflüssig erachtet), kann keine Erziehung stattfinden. Und Religion war bisher ein gute Kommunikationsplattform für Moral. Moral hat sich leider bisher noch nicht in der Art humanisiert, dass man sie in anderer Art, als dem Religionsunterricht, den Schülern nahe bringen würde. Ein Schulunterricht in Ethik scheint nicht auf das gleiche Ergebnis zu zielen, wie ein Unterricht in christlicher Religion.
Ist halt meine Beobachtung vor der Haustür.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 17. Dez 2012, 18:20

fopa hat geschrieben:
stine hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Die Fähigkeit zur Grausamkeit steckt im Menschen drin...,

Könntest du das mal mit @Darth Nefarius abklären? Der ist nämlich der Meinung, dass Altruismus im Menschen drinsteckt und der Mensch aus natürlichen Trieben heraus gar nicht anders kann, als gut zu sein.
Widerspricht sich das denn? :)

Nein, das tut es nicht. Abgesehen davon rede ich weder vom "Guten" noch vom "Altruismus". Ich nenne die Dinge beim Namen: Nutzen und Egoismus. Grausamkeit ist wie Empathie im Menschen enthalten, beides kann trainiert werden. Nützlicher für die Gesellschaft ist es meist, die Empathie zu trainieren. Das gelingt aber nicht mit irgendwelchen Hirngespinsten von Göttern oder Moral, sondern nur mit der logischen Herleitung dieser Gefühle und ihres Nutzens (weswegen sie sich evolutionär durchgesetzt haben) dauerhaft und weitestgehend widerspruchsfrei. Die Religionen versuchen alles neu zu erfinden, das schlimmere ist aber, dass sie die menschliche Basis (die Triebe und Emotionen) verteufeln. Deswegen sind sie ungeeignet. Die logische Erziehung wäre eine Konditionierung auf kooperatives verhalten. Ein Hund braucht nichts von Moral zu verstehen, um dem Ball hinterherzulaufen. Es ist nur Training, gekoppelt mit dem Zusatz (die diejenigen brauchen, die Beweggründe hinterfragen, worauf die Religion keine Rücksicht nimmt, sondern nur Gehorsam einfrodert), die eigenen Beweggründe naturwissenschaftlich herzuleiten.
Benutzeravatar
Darth Nefarius
 
Beiträge: 2625
Registriert: Di 22. Nov 2011, 16:23

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Lumen » Mo 17. Dez 2012, 23:33

laie hat geschrieben:Ich denke da genau so. Religiösität allein macht den Menschen nicht gut. Denn die Pharisäer, die Jesus letztlich zum Tod brachten, waren ja äusserst gläubige Menschen.

Aber eines interessiert mich noch.

fopa hat geschrieben: "Tue Gutes deinen Mitgläubigen gegenüber, rotte die Ungläubigen aus, die es wagen, sich gegen den einzig wahren Gott zu stellen."


Eine solche Vermessenheit ist in der Tat entsetzlich. Da fällt mir einer wie Pol Pot und seine Roten Khmer ein, die kurzerhand ganz Kambodscha einer "Umerziehung" unterzogen. Die haben auf den killing fields wirklich ausgerottet. Wer war wohl der "Gott", dem diese Teufel so viele Menschenleben geopfert haben?


Und mir fällt da parallel zu ein, dass die Roten Khmer von Kommunisten gestürzt wurden. Oha! Danach sind die Khmer in den Untergrund gegangen und wurden vom Westen teils noch unterstützt. Das nicht sehr christliche Schweden hat sich auf Druck seiner nicht sehr christlichen Bürger von den Khmern distanziert, wie ich auf Wikipedia nachlesen konnte. Die konservative Christin Magaret Thatcher, beinahe erwartungsgemäß, tat dies hingegen nur halbherzig.

Ich hoffe du siehst die Parallele zu deinem Beispiel oben. Davon abgesehen war die christliche Phobokratie über Jahrhunderte höchstwahrscheinlich schlimmer als erschossen zu werden.

Menschen haben mit und ohne, mit vielen, wenigen und mit einem Gott im Rücken schreckliche Taten begangen. Eine gesunde Portion Skepsis, Differenzierung und argumentativer Dissens, also die "Werte" von heutigen Atheisten, Humanisten oder Skeptikern waren jedenfalls eher nicht der Grund für diese Gräueltaten. Ich hab am Ende nichts dagegen, dass Christen (+ Apologeten) fortwährend den geschichtlichen Volley aufsetzen, und wir derweil den Fallrückzieher üben können. Dauert vielleicht noch ein bisschen, aber sehr bald sitzt er. Genereller Tipp, man sollte im eigenen Strafraum besser keine Experimente machen.

Und noch einmal eine Stufe zurück:

laie hat geschrieben:[...] Ich möchte noch einmal auf "Liebe" als Voraussetzung für gesellschaftliches Zusammenleben kommen. [...] Religion und Spiritualität bieten hier eine Möglichkeit, sich von weltlichen Enttäuschung zu befreien, ohne in Pessimismus [...] Kurz: wir Menschen, egal ob wir uns als atheistisch bezeichnen oder religiös, dürfen uns nicht mit einem Liebesbegriff zufriedengeben, der an Geschaffenem sein Maß hat. Dann ist unsere Liebe nur ein Belohnen bestimmter Leistungen, von deren Wichtigkeit wir gerade zufällig überzeugt sind.

P.S. der Liebesbegriff ist so eine Frucht aus dem Ringen um "Gott": dazu dient der Gottesbegriff, um die Frage eines anderen threads Wozu dient der Gottesbegriff einmal positiv zu beantworten. Nur mal so nebenbei.


Der Welt tut Liebe und Vernunft insgesamt gut, ja. Aber nicht so.

Wer nicht gerade Partnervermittler, Sexualforscher oder Eheberater ist, braucht (und will meistens) gar nicht so genau wissen, was es mit "Liebe" auf sich hat. Es ist die meist besungene und am meisten verklärte aller Emotionen und deshalb finden Christen einen solch großen gefallen daran. Es ist eine Tarnkappe. Wir wissen, dass die Liebe keine übernatürliche Komponente hat, aber das in einer Diskussion auch zu sagen, weiß der Christ, lässt sich sehr effektiv rhetorisch ausnutzen. Wie auch die Geschichte, wie wir oben sehen. Wie das geht, führt Paulus Terwitte alles hier sehr aktuell vor, und der Atheist fällt darauf rein. Atheisten müssen da noch üben. Insgesamt hat es aber zum Glück nichts genutzt.

Zunächst kann der Punkt gemacht werden, dass es sich dabei um einen recht offensichtlichen Fall von Neusprech handelt. Der Begriff "Liebe" hat für heutige Normalsterbliche erst einmal nichts mit Gottheiten zu tun. Zum Glück reagieren die meisten Leute da wahrscheinlich eher befremdlich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Zu Recht. Jedem Gläubigen sei eine erotische, auch homoerotische Beziehung mit einem übersinnlichen Wesen gegönnt, aber dann bitte ohne die Vereinnahmung. Da ich den Glauben als eine Art infantile Emotion verstehe, eine Mischung aus Auto-Suggestion und Wahnvorstellung, ist es für mich einleuchtend, dass für Gläubige eine Art Vaterliebe und Geborgenheit eine wichtige Rolle spielt. Dieses Konzept ist aber für die Menschheit unbrauchbar. Ohne entsprechende suggestive Beeinflussung in der Kindheit haben Menschen keinen Sinn für diesen Unsinn.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Lumen » Di 18. Dez 2012, 00:35

Grade noch gefunden: Liebe zu Gott, Wikihow erklärts:

Schritt 3: Love God and put His Will before everything else.

Gehorche! Ein "interessantes" Konzept von Liebe. Und Gottes Wille wird natürlich von Priestern und ähnlichen Leuten verkündet. Da wird dann wieder der bekannte Schuh draus. Ergo, wenn Christen von Liebe reden, ist selten auch Liebe drin. :^^:
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon stine » Di 18. Dez 2012, 07:59

Lumen hat geschrieben:Schritt 3: Love God and put His Will before everything else.

Ich verstehe das so: Wer sich an die "Spielregeln" hält, richtet bei sich selbst und bei anderen keinen Schaden an.
Was ist daran faslch, @Lumen?

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Vollbreit » Di 18. Dez 2012, 09:23

fopa hat geschrieben:Ändert man die Definition von "glauben" und "Glauben", ändern sich auch die Argumente und Schlussfolgerungen. Hast du eine andere Definition?


Ich sehe das Glauben ganz traditionell als Nichtwissen an, aber schon so, dass der Glaubende halbwegs überzeugt ist. Ich glaube Frau Merkel könnte noch mal Kanzlerin werden, aber ich glaube nicht, dass die Piratenpartei die absolute Mehrheit holt.

fopa hat geschrieben:Ich sehe auch einen Unterschied zwischen ständigem Zweifel einerseits und dem Hinterfragen bei konträren Gegenargumenten andererseits. In diesem Sinne schließe ich mich ebenfalls an. :^^:


fopa hat geschrieben:Ich sehe eine Pflicht zur Rechtfertigung nicht als notwendige Folge von Zweifel. Auf Fragen muss es nicht immer eine Antwort geben.


Was Brandom sagen will, ist, dass auch Fragen den rationalen Rahmen nicht verlassen dürfen. Man kann buchstäblich alles bezweifeln und das kann schnell ein idiotisches Spiel werden.
Zweifel dürfen allerdings radikal sein, wenn man sie begründen kann.

Die Problematik beim Glauben ist m.E. eine der Reichweite von Billigungen.
Die Frage ist insgesamt unter welchem Aspekt man Religion betrachten will.

- Jemand könnte sagen, er glaube nicht daran, dass jemand über Wasser gehen könne, aber daran, dass Jesus es konnte, da er Gottes Sohn/Gott war/ist.

- Man kann aber auch die Einstellung haben, dass der Wunderglaube für den wahren Glauben vollkommen irrelevant bis hinderlich ist, wenn ich es richtig sehe, ist das laies Einstellung.

- Man kann auch mit dem Alltagsbewusstsein drangehen und sagen, wichtig seien nicht irgendwelche theologische Spitzfindigkeiten, sondern wie der Gläubige an sich denkt.
Hierbei steht man natürlich in der Gefahr, sich den Gläubigen an sich nach den eigenen Vorstellungen zurechtzulegen und sich daran – mit dem zirkulären Verweis, der Gläubige an sich sei eben nun mal so – abzuarbeiten.

- Man kann die soziologische, die psychologische oder politische Dimension des Glaubens betrachten und so weiter.

Der Rahmen der Fragestellung des Threads zeigt, dass es sich um eine handelt, die ethische, soziologische, politische Dimensionen anspricht.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon fopa » Di 18. Dez 2012, 10:20

@stine
Was sind denn die "Spielregeln"? Die Bibel (als Wort Gottes)? Die Interpretation der Bibel durch Priester? Das Wort des Papstes als Vertreter Gottes auf Erden? Dein ganz persönliches Bild von Gottes Wille?

Hier findet man ein paar (weniger) nette Beispiele vom Willen Gottes: http://atheismus.ch/07_artikel/die_bibe ... sches_buch
Deuteronomium 20.16-17 hat geschrieben:Aber in den Städten dieser Völker hier, die dir der HERR, dein Gott, zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, sondern sollst an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an den Hetitern, Amoritern, Kanaanitern, Perisitern, Hiwitern und Jebusitern, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat
Deuteronomium 7.16 hat geschrieben:Du wirst alle Völker vertilgen, die der HERR, dein Gott, dir geben wird. Du sollst sie nicht schonen und ihren Göttern nicht dienen; denn das würde dir zum Fallstrick werden.

OK, altes Testament, aber eben auch Teil der Bibel und damit Wort Gottes.
Benutzeravatar
fopa
 
Beiträge: 283
Registriert: Fr 14. Dez 2012, 09:37

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon fopa » Di 18. Dez 2012, 10:22

@Vollbreit
Bezüglich des Zweifelns sind wir uns wohl einig.
Vollbreit hat geschrieben:Ich sehe das Glauben ganz traditionell als Nichtwissen an, aber schon so, dass der Glaubende halbwegs überzeugt ist. Ich glaube Frau Merkel könnte noch mal Kanzlerin werden, aber ich glaube nicht, dass die Piratenpartei die absolute Mehrheit holt.
Das würde ich eher mit den Worten "annehmen" oder "ziemlich sicher sein" oder "davon ausgehen" beschreiben. Sicher wird das Wort glauben umgangsprachlich auch so gebraucht, wie du schreibst, aber in Bezug auf Religiosität bzw. den Glauben bekommt es eine andere Bedeutung. Es ist eben gerade nicht das "Nichtwissen", das den Glauben ausmacht, sondern die "Gewissheit" - also so ziemlich das Gegenteil, weshalb ich ihn ja so kritisch sehe.


Vollbreit hat geschrieben:Die Frage ist insgesamt unter welchem Aspekt man Religion betrachten will. [...] Der Rahmen der Fragestellung des Threads zeigt, dass es sich um eine handelt, die ethische, soziologische, politische Dimensionen anspricht.
Stimmt, da muss man differenzieren. Andererseits bedingen sich die Aspekte gegenseitig: Was der Gläubige an sich denkt, hat Einfluss auf die ethische, soziologische, politische Ebene und umgekehrt. Für die Ethik und die Politik ist ja entscheidend, inwieweit Religion das Zusammenleben dahingehend beeinflusst, dass Anders- oder Nichtgläubige benachteiligt werden. Damit meine ich nicht nur ein Beschneidungsgesetz, das die großen monotheistischen Religionen höher wertet als andere Überzeugungen, sondern auch eine grundsätzliche Tendenz zur Wissenschaftsfeindlichkeit von Religion, die sich (wie im Verlauf des Threads dargestellt) aus der Zweifelsfreiheit/Gewissheit des Glaubens (Nominalisierung) an "höhere" Gebote oder Weisheiten ergibt. Von Verboten "blasphemischer" Kunst ganz zu schweigen.

Insofern ist es auch bei einer Fragestellung auf gesellschaftlicher Ebene wichtig, sich mit der Wurzel zu beschäftigen, also dem Prinzip und den Facetten des Glaubens an sich auf individueller Ebene.
Benutzeravatar
fopa
 
Beiträge: 283
Registriert: Fr 14. Dez 2012, 09:37

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon laie » Di 18. Dez 2012, 11:28

Lumen hat geschrieben:Der Begriff "Liebe" hat für heutige Normalsterbliche erst einmal nichts mit Gottheiten zu tun. Zum Glück reagieren die meisten Leute da wahrscheinlich eher befremdlich mit einer hochgezogenen Augenbraue. Zu Recht. Jedem Gläubigen sei eine erotische, auch homoerotische Beziehung mit einem übersinnlichen Wesen gegönnt, aber dann bitte ohne die Vereinnahmung.


Aber so war das doch nicht gemeint. Es geht doch nicht um das, was Darth vermutlich unter Liebe verstehen mag, nämlich gewisse physiologische Veränderungen an sich zu bemerken,wenn man geil wird. Es geht doch um die Frage, die einen Menschen durchaus beschäftigen kann: "warum werde ich nicht satt von meiner mitmenschlichen Zuwendung?". Solche Fragen gibt es, nicht nur bei religiösen Menschen. Kinder fragen z.B. immer wieder "Magst du mich?" Keine Liebe, kein Werk der Zuwendung kann diese Frage beantworten, sie kommt immer wieder. Und später stellt sich die Frage im Erwachsenenalter: "Werde ich gemocht?" Und für manche reicht dann die Liebe der Mitmenschen nicht aus, um Gewissheit zu haben, gemocht, geliebt, angenommen zu sein. Sie sagen dann immer noch: "Ich bin immer noch nicht satt".
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon laie » Di 18. Dez 2012, 11:36

@fopa

natürlich sehr entlarvend, deine beiden Stellen aus dem Deuteronomium. Man steht fassungslos davor, ich auch, klar. Bevor man sich aber zu weit aus dem Fenster lehnt, muss man vielleicht ein paar Dinge zur Exegese sagen: die Bibel ist insgesamt mehr eine Sammlung von Büchern, in denen Menschen niedergeschrieben haben, wie es anderen Menschen in deren Beziehung zu Gott ergangen ist. Das 5. Buch Mose hat also nicht Mose aufgeschrieben, und es ist auch nicht das Wort Gottes an ihn ergangen (wir sind nämlich nicht im Islam), sondern ein Schriftkundiger hat diese Geschichte später aufgeschrieben und hat sich mit der Grausamkeit Gottes auseinandergesetzt. Vielleicht erst in der Phase der Babylonischen Gefangenschaft oder noch später, als es parallel zum Deuteronomium auch Texte gab, die sich in unseren Ohren humaner anhören. Aber ich weiss es nicht, weil ich kein Alttestamentler bin. Ich denke aber schon, dass es wichtig ist, die Texte des AT aufeinander zu beziehen und in ihrem Entstehungskontext zu sehen. Nicht umsonst ist jeder Text der Bibel auf andere Textstellen bezogen und daraus ergib sich gleichsam ein eigener Bedeutungsteppich. Nebenbemerkung: das ist übrigens auch der Grund dafür, dass in den evangelischen Bibeln bestimmte Bücher ausgelassen sind, die Apokryphen: weil es im NT keine Beziehungen zu ihnen zu geben scheint. Im Katholizismus sieht man das anders, daher sind in den katholischen Bibeln diese Apokryphen standardmässig drin. Was die in den Textstellen zum Ausdruck gebrachte Grausamkeit angeht, so unterscheidet sich die nicht so sehr von dem, was damals üblich war (Assyrer, Griechen (Ilias) usw.).

Eine interessante Deutung von AT, NT, Gewalt usw. liefert der Philosoph Rene Girard. Ich zitiere aus einem Interview, das ganze Interview findet ihr hier

ZEIT: Viele behaupten, mit dem Monotheismus sei eine neue Form von Gewalt in die Welt gekommen. Zum Beispiel im Alten Testament, das den blutigen Aufstand der Makkabäer schildert.

Girard: Es mag sein, dass es sich dabei um eine Form von Gewalt handelt, die intensiver ist als andere Gewalt. Aber die Behauptung, im Alten Testament gebe es eine absolut neue Form von Gewalt, scheint mir doch ausgesprochen fraglich zu sein. Dass ganze Kulturen, Bevölkerungen und Rassen sich gegenseitig zerstören, könnte durchaus in die Neandertal- und Cromagnon-Zeit zurückreichen. Das Besondere an der Bibel ist allerdings, dass sie diese Gewalt offen und ehrlich beschreibt. Sie schildert, wie feindliche Städte zerstört und ganze Bevölkerungen ausgelöscht werden. Als Text ist die Bibel viel gewalttätiger als die antike Mythologie. Ich sage das nicht gegen die Bibel, im Gegenteil.

ZEIT : Und worin unterscheiden sich dann die Gewaltdarstellungen?

Girard: Die antike Mythologie durchschaut ihre eigene Gewalt nicht, das ist der entscheidende Unterschied. Sie zeigt uns immer wieder schuldige Menschen, die schuldig sind. Das heißt: Diejenigen, die in mythologischen Erzählungen Gewalt ausüben, begreifen ihre eigene Gewalt nicht, an keiner Stelle. Sie behaupten sogar, sie würden Gerechtigkeit üben. Erst die Bibel, und das bewundere ich an ihr, durchschaut die archaische Gewalt und unseren Anteil daran.
Zuletzt geändert von laie am Di 18. Dez 2012, 11:51, insgesamt 1-mal geändert.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon stine » Di 18. Dez 2012, 11:44

fopa hat geschrieben:OK, altes Testament, aber eben auch Teil der Bibel und damit Wort Gottes.
Ehrlich gesagt, kenne ich im Real-Live niemanden, der sich so strikt an die Bibel hält, wie es Atheisten den Gläubigen gerne unterstellen. (Natürlich gibt es die, aber Fundis, gibt es in allen Richtungen)
Klar, wer "A" sagt müsste auch "B" sagen, wie es immer so schön heißt. Das ist aber in Punkto Glauben heutzutage gar nicht mehr der Fall. Die meisten sagen nur noch A und meinen damit, dass sie von Gott gehört haben, die Bibel im Schrank steht und an Jesus glauben. Damit hat sich das religiöse Leben meist auch schon erfüllt.
Was bleibt ist ein rudimentäres Religionskonstrukt, das den meisten reicht, in schlimmen Zeiten hoffen zu dürfen und ein grober Plan, der das Jahr in christliche Hochfeste teilt.
Ich denke, die meisten Christen sind Taufchristen und das auch nur deshalb, weil die Konfession historisch zur Familie gehört. Aber, und hier ist der Punkt: Auch ein grober Rahmen ist ein Rahmen und allen atheistischen Unkenrufen zum Trotz konnten sich christliche Vereine bis heute durchsetzen. Es scheint also nach wie vor, etwas dran zu sein.

Du kannst ja nun nicht alle meine Beiträge nachlesen, deshalb für dich nochmal in Kurzform: Ich persönlich unterscheide zwischen mystischen Gefühlen und Religionskonstrukten. Religion ist zwar sozusagen der Rahmen, der solche mystischen Gefühle erlaubt, aber sie bedeutet auch Hierarchie und Kirchenrecht. Eigentlich sollte es das eine ohne das andere gar nicht geben, aber das tut es. Missbrauch der Religionen und/oder esoterischer Aberglauben beweisen das.

Moderat religiöse Erziehung sehe ich daher ganz rational: als Schutz vor Aberglauben und Rattenfängern ganz anderer Art. Ein grober Rahmen regelt außerdem das menschliche Miteinander und gemeinsame Feste machen stark. Das ist für mich der Sinn einer zivilisierten Religion.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/warum ... s-1.426816
LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Lumen » Di 18. Dez 2012, 12:20

stine hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Schritt 3: Love God and put His Will before everything else.

Ich verstehe das so: Wer sich an die "Spielregeln" hält, richtet bei sich selbst und bei anderen keinen Schaden an.
Was ist daran faslch, @Lumen?LG stine


"Schritt 3: Liebe Gott und setze seinen Willen vor alles andere" ist eine Aussage über Unterwürfigkeit oder Gehorsamkeit. Gottes Wille wird häufiger von Menschen verkündet, als von Gott selbst, was dementsprechend bedeutet, dass der Gläubige diesen Menschen —der organisierten Religion— gehorchen soll.

stine hat geschrieben:Ehrlich gesagt, kenne ich im Real-Live niemanden, der sich so strikt an die Bibel hält, wie es Atheisten den Gläubigen gerne unterstellen. (Natürlich gibt es die, aber Fundis, gibt es in allen Richtungen) [...]


Kindergarten-Satzung, Paragraph §3: "das Kind darf vom Erzieher geohrfeigt werden, bis es aufhört zu weinen." Die Eltern sehen aber überhaupt kein Problem mit der Satzung, da keiner der Erzieher die Satzung befolgt. Im Gegenteil, die Eltern sind sehr böse auf Peter, der deswegen einen großen Aufstand macht. Peter, ein besorgter Vater, meint, unter bestimmten Umständen könnten die Erzieher doch davon Gebrauch machen. Vielleicht gibt es auch einen neuen Erzieher, der das wirklich so umsetzt. Immerhin steht es ja da, und die Erzieher sehen sich auch grundsätzlich den Regeln verpflichtet. Peter hat eine neue Satzung gefunden, die viel besser ist. Es gibt auch viele Überschneidungen zur alten, zum Beispiel, dass die Kinder nicht im Dunkeln draußen herumgeistern sollen. Aber die anderen Eltern meinen, die alte Satzung sei völlig in Ordnung, schließlich sollen Kinder dort auch nicht draußen im Dunkeln herumgeistern. Peter fasst sich an den Kopf und ihm kommen Zweifel an der Denkfähigkeiten der anderen Eltern.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon mat-in » Di 18. Dez 2012, 12:28

fopa hat geschrieben:
stine hat geschrieben:
fopa hat geschrieben:Die Fähigkeit zur Grausamkeit steckt im Menschen drin...,

Könntest du das mal mit @Darth Nefarius abklären? Der ist nämlich der Meinung, dass Altruismus im Menschen drinsteckt und der Mensch aus natürlichen Trieben heraus gar nicht anders kann, als gut zu sein.
Widerspricht sich das denn? :)
Nein.

Interessant zum "Katholizismus" und der Realität (Papst-Werke zur Geschichte Jesu nimmt wohl nur da wo es in den Kram paßt wissenschaftliche Erkentnisse zur Hand, wo es nicht paßt werden sie ignoriert und dann auf alles wissenschaftlichkeit draufgestempelt):

http://hpd.de/node/14638

Sagt nur indirekt was über Werte aus, aber immerhin.
Benutzeravatar
mat-in
 
Beiträge: 1953
Registriert: Di 14. Sep 2010, 12:39

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon laie » Di 18. Dez 2012, 12:58

Na der Papst spricht ja hier nicht "ex cathedra", sondern als Theologe. Und damit ist er in der übrigen Theologenzunft nicht unumstritten. Wer Gründe hat, das Buch des Papstes für ein schlecht recherchiertes und nicht "der Wahrheit" verpflichtetes Buch zu halten, kann dies offen sagen.

Noch ein Nachtrag zur Historizität von Jesus: Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, wenn jemand zweifelsfrei nachweist, daß es einen Jesus von Nazareth als historisch verbürgte Figur überhaupt nicht gegeben hat. Das fügt dem Glauben nichts hinzu und nimmt ihm auch nichts. In ähnlicher Diktion: Sollte es sich herausstellen, dass einen Charles Darwin niemals gegeben hat, dann würde dieser Befund der Evolutionstheorie nichts nehmen. Ferners: In Schuld und Sühne hat Dostojewski das Problem der Schuld und der Sühne an einer literarischen Figur, dem Studenten Raskolnikow behandelt. Ist es darum weniger "wahr"?
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon laie » Di 18. Dez 2012, 14:28

lumen hat geschrieben:"Schritt 3: Liebe Gott und setze seinen Willen vor alles andere" ist eine Aussage über Unterwürfigkeit oder Gehorsamkeit. Gottes Wille wird häufiger von Menschen verkündet, als von Gott selbst, was dementsprechend bedeutet, dass der Gläubige diesen Menschen —der organisierten Religion— gehorchen soll.


ja, der Wille Gottes! Selbst Jesus ordnet seinen eigenen menschlichen Willen dem Willen Gottes unter: "aber nicht wie ich will, sondern wie du willst". Er hört nicht auf das, was er selbst will, sondern auf das, was Gott will. Was will Gott von den Menschen, jedenfalls nach dem NT? In einem Satz: "Liebe Gott und Deinen Nächsten, beides gehört zusammen." Der Gehorsam Gott gegenüber ist damit keine unterwürfige Geste, sondern ein Hören auf eine Humanität, die eigentlich normal sein sollte. Wer liebt, der hört auf den anderen und ist ihm in diesem Sinn "gehorsam". Liebe kann aber nicht erzwungen werden, daher kann man Liebe nicht befehlen und man kann erst recht einem solchen Befehl nicht gehorsam sein. Daher ist das Gebot der Nächstenliebe auch wiederum keine Vor-Schrift, sondern eine In-Schrift im Menschen. Wir können gar nicht anders, als uns irgendwie mit der Frage auseinanderzusetzen: "was soll ich tun?"
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon fopa » Di 18. Dez 2012, 15:25

Puh, viele Verweise und lange Texte. :book:

Erstmal an stine:
Natürlich muss man zwischen Religionskonstrukten und individuellen, mystischen Gefühlen einerseits unterscheiden, andererseits beeinflussen sie sich (wie gesagt) gegenseitig. Hätte beispielsweise George W. Bush sich von Gott zu einem Krieg gegen die "Achse des Bösen" berufen gefühlt haben können (individueller Glaube), ohne sich dabei von Passagen der Bibel oder Predigern seiner Lieblingskirche (Religionskonstrukt) inspirieren zu lassen? Andersherum hat laie bereits dargestellt, dass die Bibel "insgesamt mehr eine Sammlung von Büchern, in denen Menschen niedergeschrieben haben, wie es anderen Menschen in deren Beziehung zu Gott ergangen ist". Ebenso ist das Kirchenrecht ein Konglomerat an Vorstellungen einzelner Gläubigen von einem gottgefälligen Zusammenleben auf Erden. In beiden Beeinflussungsrichtungen kann "Gutes" wie "Schlechtes" bewirkt werden.

Das eigentliche Problem hat Lumen mit seiner Parabel aufgezeigt: Religion ist rigide. Sie kann sich, wenn überhaupt, nur sehr schwer Veränderungen der äußeren Umstände wie z.B. neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen. Statt dessen schleppt sie die Wertvorstellungen ihrer Begründer über Jahrhunderte und Jahrtausende mit sich herum, und das ist natürlich hauptsächlich den überlieferten (unveränderlichen) Schriften geschuldet.
Um aus dem von dir verlinkten Text zu zitieren:
Rainer Stephan hat geschrieben:Womit wir endgültig bei der alles entscheidenden Frage angekommen wären: Wer oder was ist das denn um Himmelswillen: Gott? [...] Kann nämlich Glauben nicht an die Stelle des Denkens treten, sondern immer erst nach dem Zuende-Denken des durchs Denken Zugänglichen einsetzen, dann müssen sich die Veränderungen unserer Denk- und Vorstellungsmöglichkeiten auch auf die Konditionen des Glaubens selbst auswirken. Und wenn auch all die daraus resultierenden Glaubensentscheidungen sich auf den einen Gott richten, so existiert dieser eine Gott doch nicht außerhalb der Geschichte. Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.
Ich schätze, der Autor meint mit dem durchs Denken Zugängliche unsere Erkenntnisfähigkeit. Damit stellt sich mir die zitierte Aussage jedoch als Wolkenkuckucksheim dar. Der Autor meint ja, dass sich mit Veränderungen der Erkenntnisse neue Grundlagen des Glaubens ergeben. Dabei übersieht er aber die Tatsache, dass der Glaube immanent selbst die Erkenntnismöglichkeiten einschränkt. Dies ist zum einen auf Basis der Definition des Nicht-Zweifelns begründet (falls wir diese weiter verwenden wollen). Zum anderen begründet sich die Einschränkung durch den darauffolgenden Satz: "Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.", womit wir wieder bei der Rigidität wären. Es ist eben religionsintern nicht zulässig, den christlichen Gott ohne seine Geschichte, und damit all ihren wissenschaftsfeindlichen und inhumanen Aspekten, zu denken.

Während der Autor mit obiger Aussage höchstens ein Eigentor schießt, finde ich andere Äußerungen schon ziemlich bedenklich:
Rainer Stephan hat geschrieben:ohne religiöse Rückbindung (ein weißer Schimmel: religio heißt Rückbindung) hängen die für die Aufklärung wie für Marx und Engels zentralen Begriffe von Menschenwürde, Menschenrecht und menschlicher Solidarität einfach nur in der Luft. Denn so sehr, und oft so brillant, sich die neuere Philosopie daran abarbeitete, in Anlehnung an Platon und Aristoteles, in der Weiterentwicklung naturrechtlicher Ansätze oder schließlich im Ausgriff auf die neuen Wissenschaften Soziologie und Psychologie, in sich plausible ethische Normen und Sinnstiftungsmodelle zu entwickeln, so regelmäßig sah sie sich dabei zum Scheitern verurteilt. Die bis zur Lächerlichkeit tragikomischen Überbleibsel dieser Entwicklung sind Ethik-Kommissionen: von Anfang an untaugliche Versuche, die nur in der Überzeugung und Entscheidung des Individuums begründbare Einstellung zur Umwelt wie zum eigenen Leben durch institutionalisierten "Sachverstand von außen" zu ersetzen.
Hier zeigt sich, dass der Autor seine eigenen Vorstellungen nicht durchdrungen hat. Einerseits stellt er Ethik-Kommissionen als lächerlich dar, andererseits übersieht er, dass die Bildung der sog. Christlichen Werte aus weltlicher Sicht im Grunde nichts anderes ist/war. Schließlich haben Mitglieder einer Gemeinschaft ihre individuellen Wertvorstellungen zusammengetragen und eine Ethik entworfen, die dann im Mantel des "göttlichen Willens" räumlich verbreitet und zeitlich überliefert wurde.
Auch wirft R.S. die einer Ethik zugrunde liegenden weltlichen Werte, nämlich "naturrechtliche" Aspekte und individuelle Überzeugungen in einen Topf, und er qualifiziert mit den Worten "institutionalisierter 'Sachverstand von außen'" den Sinn einer Ethik zu einer Zwangsjacke ab. Meint er das ernst? Für mich stellt es sich insgesamt so dar, dass er getreu Schritt 3 handelt: Love God and put His Will before everything else.
Was letztlich all seine Ausführungen vom "Zuende-Denken des durchs Denken Zugänglichen" ad absurdum führt.
Benutzeravatar
fopa
 
Beiträge: 283
Registriert: Fr 14. Dez 2012, 09:37

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Darth Nefarius » Di 18. Dez 2012, 17:00

fopa hat geschrieben:Während der Autor mit obiger Aussage höchstens ein Eigentor schießt, finde ich andere Äußerungen schon ziemlich bedenklich:
Rainer Stephan hat geschrieben:....
Hier zeigt sich, dass der Autor seine eigenen Vorstellungen nicht durchdrungen hat. Einerseits stellt er Ethik-Kommissionen als lächerlich dar, andererseits übersieht er, dass die Bildung der sog. Christlichen Werte aus weltlicher Sicht im Grunde nichts anderes ist/war. Schließlich haben Mitglieder einer Gemeinschaft ihre individuellen Wertvorstellungen zusammengetragen und eine Ethik entworfen, die dann im Mantel des "göttlichen Willens" räumlich verbreitet und zeitlich überliefert wurde.

Das ist zwar richtig beobachtet, nur versteht dieser Mann sich selbst nicht. Er betrachtet seine Ethik als nicht so austauschbar wie alle anderen, weil sie ihm von seiner Religion oktroyiert wurde. Ein Paradoxon, dass nicht jeder erkennt, schon gar nicht die Betroffenen. Für ihn steht nicht die Ethik im Vordergrund, die nur noch eines "göttlichen Willens als Mantel" bedarf, sondern für ihn steht seine Illusion zuerst, die Ethik ist Beiwerk und flexibel (eigentlich auch eine Illusion). Deine Schlussfolgerungen sind dementsprechend richtig.
Benutzeravatar
Darth Nefarius
 
Beiträge: 2625
Registriert: Di 22. Nov 2011, 16:23

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon laie » Di 18. Dez 2012, 18:02

Rainer Stephan hat geschrieben:Womit wir endgültig bei der alles entscheidenden Frage angekommen wären: Wer oder was ist das denn um Himmelswillen: Gott? [...] Kann nämlich Glauben nicht an die Stelle des Denkens treten, sondern immer erst nach dem Zuende-Denken des durchs Denken Zugänglichen einsetzen, dann müssen sich die Veränderungen unserer Denk- und Vorstellungsmöglichkeiten auch auf die Konditionen des Glaubens selbst auswirken. Und wenn auch all die daraus resultierenden Glaubensentscheidungen sich auf den einen Gott richten, so existiert dieser eine Gott doch nicht außerhalb der Geschichte. Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig (also abhängig!) von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.


fopa hat geschrieben:Ich schätze, der Autor meint mit dem durchs Denken Zugängliche unsere Erkenntnisfähigkeit. Damit stellt sich mir die zitierte Aussage jedoch als Wolkenkuckucksheim dar. Der Autor meint ja, dass sich mit Veränderungen der Erkenntnisse neue Grundlagen des Glaubens ergeben. Dabei übersieht er aber die Tatsache, dass der Glaube immanent selbst die Erkenntnismöglichkeiten einschränkt. Dies ist zum einen auf Basis der Definition des Nicht-Zweifelns begründet (falls wir diese weiter verwenden wollen). Zum anderen begründet sich die Einschränkung durch den darauffolgenden Satz: "Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.", womit wir wieder bei der Rigidität wären. Es ist eben religionsintern nicht zulässig, den christlichen Gott ohne seine Geschichte, und damit all ihren wissenschaftsfeindlichen und inhumanen Aspekten, zu denken.


Selten habe ich einen Text so missverstanden gesehen. Der Autor sagt doch gerade, dass der christliche Gott abhängig von der eigenen Offenbarung in der Geschichte zu begreifen ist, was nichts anderes heisst, als das der heutige Leser etwas anderes unter Offenbarung verstehen kann als die alten Kirchenväter. Du aber willst partout irgendwie deine Ansicht über Religion unterbringen:

fopa hat geschrieben:Dabei übersieht er aber die Tatsache, dass der Glaube immanent selbst die Erkenntnismöglichkeiten einschränkt. Dies ist zum einen auf Basis der Definition des Nicht-Zweifelns begründet (falls wir diese weiter verwenden wollen).


Aha, Tatsache. Es gilt also als ausgemacht. Interessant....
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon Zappa » Di 18. Dez 2012, 18:24

Nur mal so am Rande:

fopa hat geschrieben:Durch Glauben kann Gutes bewirkt werden, denn einige religilöse Moralvorgaben sind ja, wie gesagt, durchaus sinnvoll für's Zusammenleben.

Was sollen denn religiöse und sinnvolle Moralvorgaben sein? - ich kenne keine. Die üblichen Kandidaten (du sollst nicht stehlen, nicht morden, nicht die Frau oder den Esel deines Nachbarn begehren) sind überreligiöse, kulturelle Moralvorstellungen, die Religionen lediglich übernehmen, dann religiös "begründen" und damit nicht mehr redigierbar machen. Also eher ein Nachteil.

Man kann die These vertreten, dass das Prekariat ohne Religion zu haltlos, verkommen und dumm ist sich vernünftig zu verhalten; ob man mit dieser Annahme mehr Gutes als Schlechtes bewirkt wag ich nicht zu beurteilen.
Benutzeravatar
Zappa
 
Beiträge: 1416
Registriert: Mi 29. Jul 2009, 19:20

Re: Passt der Katholizismus zu den "westlichen" Werten?

Beitragvon fopa » Di 18. Dez 2012, 18:35

laie hat geschrieben:Der Autor sagt doch gerade, dass der christliche Gott abhängig von der eigenen Offenbarung in der Geschichte zu begreifen ist, was nichts anderes heisst, als das der heutige Leser etwas anderes unter Offenbarung verstehen kann als die alten Kirchenväter. Du aber willst partout irgendwie deine Ansicht über Religion unterbringen.
Ich habe es genau andersherum verstanden: Den christlichen Gott von seiner Geschichte
  • abhängig (= nicht unabhängig) zu denken heißt, die Vorstellungen der früheren Generationen von Gläubigen in die eigenen Vorstellungen einfließen zu lassen.
  • unabhängig zu denken heißt, sich von den Vorstellungen der Bibel und der Kirche loszulösen und sich seinen eigenen Glauben zu basteln.
Ich kann nicht ganz ausschließen, dass meine Interpretation des Textes durch meine Meinung zu Religion und Religiosität beeinflusst wird, aber wenn ich versuche, einen gewissen objektiven Abstand herzustellen, komme ich dennoch nicht zu einer anderen Deutung.

laie hat geschrieben:Aha, Tatsache. Es gilt also als ausgemacht. Interessant....
Nein, es ist nicht ausgemacht. Ich habe aber zwei Argumente angeführt, die diese These unterstützen. Einmal die Definition von Glaube, auf deren Basis wir hier diskutieren (wir können auch eine andere Definition nehmen, was natürlich eine andere Bewertung zur Folge haben kann). Zum anderen die Aussage des Autors selbst, die ich allerdings auf oben dargestellte Weise interpretiert habe.

--

@Zappa
Wenn du die beispielhaft genannten (für das Zusammenleben sinnvollen) Moralvorstellungen überreligiös nennen möchtest, erübrigt sich meine Formulierung in der Tat.
Was man für sinnvoll hält, kann natürlich nur im Sinne eines individuellen oder gemeinschaftlichen Interesses definiert werden.
Benutzeravatar
fopa
 
Beiträge: 283
Registriert: Fr 14. Dez 2012, 09:37

VorherigeNächste

Zurück zu Gesellschaft & Politik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste