Puh, viele Verweise und lange Texte.
Erstmal an stine:
Natürlich muss man zwischen
Religionskonstrukten und
individuellen, mystischen Gefühlen einerseits unterscheiden, andererseits beeinflussen sie sich (wie gesagt) gegenseitig. Hätte beispielsweise George W. Bush sich von Gott zu einem Krieg gegen die "Achse des Bösen" berufen gefühlt haben können (individueller Glaube), ohne sich dabei von Passagen der Bibel oder Predigern seiner Lieblingskirche (Religionskonstrukt)
inspirieren zu lassen? Andersherum hat laie bereits dargestellt, dass die Bibel "
insgesamt mehr eine Sammlung von Büchern, in denen Menschen niedergeschrieben haben, wie es anderen Menschen in deren Beziehung zu Gott ergangen ist". Ebenso ist das Kirchenrecht ein Konglomerat an Vorstellungen einzelner Gläubigen von einem gottgefälligen Zusammenleben auf Erden. In beiden Beeinflussungsrichtungen kann "Gutes" wie "Schlechtes" bewirkt werden.
Das eigentliche Problem hat Lumen mit seiner Parabel aufgezeigt: Religion ist rigide. Sie kann sich, wenn überhaupt, nur sehr schwer Veränderungen der äußeren Umstände wie z.B. neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen anpassen. Statt dessen schleppt sie die Wertvorstellungen ihrer Begründer über Jahrhunderte und Jahrtausende mit sich herum, und das ist natürlich hauptsächlich den überlieferten (unveränderlichen) Schriften geschuldet.
Um aus dem
von dir verlinkten Text zu zitieren:
Rainer Stephan hat geschrieben:Womit wir endgültig bei der alles entscheidenden Frage angekommen wären: Wer oder was ist das denn um Himmelswillen: Gott? [...] Kann nämlich Glauben nicht an die Stelle des Denkens treten, sondern immer erst nach dem Zuende-Denken des durchs Denken Zugänglichen einsetzen, dann müssen sich die Veränderungen unserer Denk- und Vorstellungsmöglichkeiten auch auf die Konditionen des Glaubens selbst auswirken. Und wenn auch all die daraus resultierenden Glaubensentscheidungen sich auf den einen Gott richten, so existiert dieser eine Gott doch nicht außerhalb der Geschichte. Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.
Ich schätze, der Autor meint mit dem
durchs Denken Zugängliche unsere Erkenntnisfähigkeit. Damit stellt sich mir die zitierte Aussage jedoch als Wolkenkuckucksheim dar. Der Autor meint ja, dass sich mit Veränderungen der Erkenntnisse neue Grundlagen des Glaubens ergeben. Dabei übersieht er aber die Tatsache, dass der Glaube immanent selbst die Erkenntnismöglichkeiten einschränkt. Dies ist zum einen auf Basis der Definition des Nicht-Zweifelns begründet (falls wir diese weiter verwenden wollen). Zum anderen begründet sich die Einschränkung durch den darauffolgenden Satz: "
Zumindest gilt das für den christlichen Gott, der sich selbst nicht unabhängig von seiner eigenen Offenbarung in der Geschichte begreifen und beschreiben lässt.", womit wir wieder bei der Rigidität wären. Es ist eben religionsintern nicht zulässig, den christlichen Gott ohne seine Geschichte, und damit all ihren wissenschaftsfeindlichen und inhumanen Aspekten, zu denken.
Während der Autor mit obiger Aussage höchstens ein Eigentor schießt, finde ich andere Äußerungen schon ziemlich bedenklich:
Rainer Stephan hat geschrieben:ohne religiöse Rückbindung (ein weißer Schimmel: religio heißt Rückbindung) hängen die für die Aufklärung wie für Marx und Engels zentralen Begriffe von Menschenwürde, Menschenrecht und menschlicher Solidarität einfach nur in der Luft. Denn so sehr, und oft so brillant, sich die neuere Philosopie daran abarbeitete, in Anlehnung an Platon und Aristoteles, in der Weiterentwicklung naturrechtlicher Ansätze oder schließlich im Ausgriff auf die neuen Wissenschaften Soziologie und Psychologie, in sich plausible ethische Normen und Sinnstiftungsmodelle zu entwickeln, so regelmäßig sah sie sich dabei zum Scheitern verurteilt. Die bis zur Lächerlichkeit tragikomischen Überbleibsel dieser Entwicklung sind Ethik-Kommissionen: von Anfang an untaugliche Versuche, die nur in der Überzeugung und Entscheidung des Individuums begründbare Einstellung zur Umwelt wie zum eigenen Leben durch institutionalisierten "Sachverstand von außen" zu ersetzen.
Hier zeigt sich, dass der Autor seine eigenen Vorstellungen nicht durchdrungen hat. Einerseits stellt er Ethik-Kommissionen als lächerlich dar, andererseits übersieht er, dass die Bildung der sog.
Christlichen Werte aus weltlicher Sicht im Grunde nichts anderes ist/war. Schließlich haben Mitglieder einer Gemeinschaft ihre individuellen Wertvorstellungen zusammengetragen und eine
Ethik entworfen, die dann im Mantel des "göttlichen Willens" räumlich verbreitet und zeitlich überliefert wurde.
Auch wirft R.S. die einer Ethik zugrunde liegenden weltlichen Werte, nämlich "naturrechtliche" Aspekte und individuelle Überzeugungen in einen Topf, und er qualifiziert mit den Worten "institutionalisierter 'Sachverstand von außen'" den Sinn einer Ethik zu einer Zwangsjacke ab. Meint er das ernst? Für mich stellt es sich insgesamt so dar, dass er getreu Schritt 3 handelt:
Love God and put His Will before everything else.
Was letztlich all seine Ausführungen vom "
Zuende-Denken des durchs Denken Zugänglichen" ad absurdum führt.