Die Gesellschaft vom Staat befreien

Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 08:29

Super Sache, Gandalf, die Gesellschaft vom Staat befreien! Ich hab das in einem anderen Thread schon kurz erläutert und bin auf heftigsten Widerstand gestossen.

Die Gesellschaft vom Staat befreien heisst, wieder Mensch werden, was wir als zivilisierte, domestizierte, verhausschweinte und unterworfene Gesellschafter bekanntlich nicht mehr sind, sondern nur noch Karikaturen der eigentlichen Menschen; gebildete, kollektivisierte, zwangssolidarisierte, zwangswirtschaftende Tributknechte und Mafiosi, die innerhalb einer widernatürlichen Institution der monogamen Paarungsfamilie oder Haremsfamilie seit 'Geburt der Tragödie' in den 'Garküchen des Geistes' (Nietzsche) dazu abgerichtet werden, Schutzgelder an die Obrigkeit dieser Ehrenwerten GESELLSCHAFT zu zahlen, was seit jeher der einzige Grund des Wirtschaftens war (Schuld ex nihilo, bzw. ex Waffenmonopol - man lese Paul C. Martin). Der einzige Gegenentwurf zur Gesellschaft (Patriarchat) ist aus empirischer Sicht die Blutsgemeinschaft, ein Anarchat, das hundert mal länger 'regierte' als die Gesellschaft mit verstaatlichten Menschen, aka Bürgern.

Wo der Staat aufgelöst oder noch nicht angekommen ist, da ist keine Gesellschaft, sondern die autarke (Bluts-) Gemeinschaft, wo es keine Wirtschaft, keine Schulen, keine Schulden, keine Kirchen, keine Unternehmen, keine Lohnarbeiter, keine Pfaffen, keine Lehrer, keine Politiker, keine Militaristen und keine CEO's gibt. Um die Freiheit vor dem Staat in seiner ganzen Tragweite erfassen zu können, müssten Atheisten und Libertäre ihre Position noch gründlich hinterfragen und vervollständigen, denn wer der Wirtschaft und dem sogenannten Fortschritt huldigt, der huldigt damit immer auch dem Staat, dem 'Neuen Götzen'.

"Dort, wo der Staat aufhört, da beginnt erst der Mensch, der nicht überflüssig ist. Da beginnt das Lied des Notwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise."

Also grüsst Zarathustra
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Vollbreit » So 10. Feb 2013, 12:45

Zarathustra hat geschrieben:Super Sache, Gandalf, die Gesellschaft vom Staat befreien! Ich hab das in einem anderen Thread schon kurz erläutert und bin auf heftigsten Widerstand gestossen.


Kann ich gar nicht verstehen, wo das doch alles so ausgewogen und sauber durchdacht klingt.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 15:15

"Die autarke Blutsgemeinschaft" - na wenn das kein Ort von Abhängigkeiten und rigorosen Zwängen sein würde. Aber man kann ja mal schwärmen, nicht wahr?
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon provinzler » So 10. Feb 2013, 15:26

Nanna hat geschrieben:"Die autarke Blutsgemeinschaft" - na wenn das kein Ort von Abhängigkeiten und rigorosen Zwängen sein würde. Aber man kann ja mal schwärmen, nicht wahr?


Volle Zustimmung. Was es braucht, ist ein echter Rechtsstaat, indem Recht und Gesetz allgemeinverbindlich sind, also insbesondere auch für Spitzenfunktionäre, Politiker und Zentralbanker gelten. Allein im Zuge der "Eurorettung" leben wir seit fast drei Jahren mit einem knappen halben dutzend permanenter Rechtsbrüche, die im Namen des "Endsiegs" des Euro gerechtfertigt werden.
Unsere Obertanen appellieren an die Steuermoral des Bürgers und beziehen ihre Einkünfte weitgehend steuerbefreit. Die Obertanen genießen gerichtliche Immunität etc. Friedrich der Große musste sich von seinen eigenen Richtern belehren lassen, was geht und was nicht geht. Der moderne Obertan hat das nicht mehr nötig. Dann würden viele Gesetze auch wegfallen, weil die Obertanen sich selber dran stören würden...
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 15:38

provinzler hat geschrieben:Volle Zustimmung.

Das hab ich jetzt dreimal gelesen, in diesem Thread. ;-)

provinzler hat geschrieben:Was es braucht, ist ein echter Rechtsstaat, indem Recht und Gesetz allgemeinverbindlich sind, also insbesondere auch für Spitzenfunktionäre, Politiker und Zentralbanker gelten. Allein im Zuge der "Eurorettung" leben wir seit fast drei Jahren mit einem knappen halben dutzend permanenter Rechtsbrüche, die im Namen des "Endsiegs" des Euro gerechtfertigt werden.

Ich bin zwar für mehr Europa und den Euro, aber ich sehe das in dem Fall ebenfalls wie du: Die Rechtssicherheit ist wichtiger als der Euro.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 15:41

Selbstverständlich ist sowohl ein Individuum als auch eine Blutsgemeinschaft als natürlicher, funktionaler Organismus den deterministischen Zwängen der Natur ausgesetzt. Aber, und das ist das Entscheidende: es ist, wo kein bevormundender Staat und kein bevormundender Klerus auftreten, keiner widernatürlichen Fremdbestimmung ausgesetzt, und so war das während Jahrhunderttausenden der Fall bei den homines sapientes. Die Verstaatlichung der Menschen und deren vernichtend wucherndes Auftreten in deren Eigenschaft als Hyperkollektivisten ist ein noch junges und abartiges Phänomen gleichermassen, und die Folgen überall die selben: Vernichtung der Arten und organisierte Gewalt ohne Ende. Mit Schwärmerei hat das gar nichts zu tun, denn es sind die nüchternen Fakten, auch wenn man sie gerne verdrängt.

Und, @Provinzler: Ein 'echter Rechtsstaat' ist ein Oxymoron. Recht wird durch Organisierte Gewalt gesetzt (Gewaltmonopol). Das ist in der EU genau so der Fall wie in kleineren Gebilden. Auf die Grösse kommt es nicht an. Staat war noch nie etwas anderes als Organisierte Gewalt und Bevormundung. Eine Umgebung, in der es einer Mutter bei Sanktion verboten ist, ihre eigenen Nachkommen der Abrichtung durch den Staat zu entziehen, wird heutzutage in der widernatürlichen GESELLSCHAFT (raubbauendes Vernichtungskollektiv) zwar als ganz normal angesehen, ist aus der Sicht der GEMEINSCHAFT (natürlicher, nachhaltiger, autarker Organismus) jedoch der blanke Irrsinn.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 15:47

Reihst du da echt grad einen naturalistischen Fehlschluss nach dem anderen aneinander oder hab ich bloß was auf den Augen?

Und übrigens, was die "Widernatur" von Hierarchien angeht: Die gehören zur Menschheitsgeschichte dazu, auch in vorstaatlicher Zeit. Selbst bei Primaten gibt es hierarchische und, wenn du so willst, Herrschaftsbeziehungen.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon provinzler » So 10. Feb 2013, 15:55

Nanna hat geschrieben:Ich bin zwar für mehr Europa und den Euro, aber ich sehe das in dem Fall ebenfalls wie du: Die Rechtssicherheit ist wichtiger als der Euro.

Ich bin für ein friedliches Europa und genau deswegen gegen diese Organisation EUdSSR.
Und eine gemeinsame Währung setzt ein gemeinsames Staatwesen zwingend voraus. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, und sie war auch den Gründern des Euro bekannt. Deren Motivationen zur Einführung waren gänzlich andre.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 16:08

Ja, die Mutter steht in der Natur hierarchisch 'über' dem Kind. Wie man derlei Natürlichkeit aber als Argument pro Verstaatlichung der Menschen ins Feld führen kann, ist mir schleierhaft. Mit der Mutter oder dem Mutterbruder als Teil eines Organismus will jeder normale Mensch als Individuum von Natur aus etwas zu tun haben. Mit dem Staat und dessen Repräsentanten aus Politik, Klerus und deren Wählern jedoch nichts. Diese Fernsten gehen mich von Natur aus null und nichts an. Ist mir schleierhaft, wie man solche Offensichtlichkeiten leugnen kann. Das dient doch nur der Rechtfertigung einer Lebenslüge, zu der man nicht stehen will, im Sinne von: "ja, mein Dasein als alles zermalmender Vernichtungskollektivist ist nicht nur sinnlos, sondern schlicht pervers und leid-maximierend." Das wären Bekenntnisse, die es bräuchte, wenn es jemals besser werden soll. Wieviele Zivilisationen und Arten müssen denn noch untergehen, bis man den Wahnsinn als Wahnsinn begreift?
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 17:23

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ich bin zwar für mehr Europa und den Euro, aber ich sehe das in dem Fall ebenfalls wie du: Die Rechtssicherheit ist wichtiger als der Euro.

Ich bin für ein friedliches Europa und genau deswegen gegen diese Organisation EUdSSR.

Ich bin aus demselben Grund FÜR die EU. Dass ich den Vergleich mit der Sovjetunion unpassend und geschmacklos finde, habe ich wohl schon öfter klar gemacht.

Zarathustra hat geschrieben:Ja, die Mutter steht in der Natur hierarchisch 'über' dem Kind. Wie man derlei Natürlichkeit aber als Argument pro Verstaatlichung der Menschen ins Feld führen kann, ist mir schleierhaft.

Ich meinte auch Hierarchien innerhalb von Gruppen, also die Existenz von Führungspersönlichkeiten, die anderen Befehle erteilen. Ich führe das nicht als Argument für die Staatlichkeit an (naturalistischer Fehlschluss!), sondern als Widerlegung der Behauptung, Hierarchien wären "widernatürlich". Mit dem Begriff kann ich als Ablehnender von Naturrechtsphilosophien aber sowieso nichts anfangen.

Zarathustra hat geschrieben:Mit der Mutter oder dem Mutterbruder als Teil eines Organismus will jeder normale Mensch als Individuum von Natur aus etwas zu tun haben.

Das heißt aber nicht, dass diese Menschen gut für jemanden sein müssen, wie die Existenz von Kindesmisshandlung belegt. Erfolgreicher Geschlechtsverkehr macht einen halt noch lange nicht zu erfolgreichen Eltern und guten Menschen, was die mystische Überhöhung der Blutsgemeinschaft meines Erachtens dann doch wieder ziemlich erdet.

Zarathustra hat geschrieben:Diese Fernsten gehen mich von Natur aus null und nichts an. Ist mir schleierhaft, wie man solche Offensichtlichkeiten leugnen kann.

Wenn man in einer Gesellschaft als komplexem System lebt (und Gesellschaft ist hier ein deskriptiver Begriff, kein normativer, der zu deiner "Gemeinschaft" entgegengestellt ist), beeinflussen einen die Handlungen der Anderen, deshalb ist es unerlässlich sich dafür zu interessieren, was die Anderen (und das heißt gerade: die einflussreichen Anderen) tun. Deshalb geht es einen schon etwas an, was diese "Fernsten" tun, auch wenn es nicht dasselbe ist wie es einen etwas angeht, was mit engen Freunden oder der Familie geschieht.

Zarathustra hat geschrieben:Das dient doch nur der Rechtfertigung einer Lebenslüge, zu der man nicht stehen will, im Sinne von: "ja, mein Dasein als alles zermalmender Vernichtungskollektivist ist nicht nur sinnlos, sondern schlicht pervers und leid-maximierend." Das wären Bekenntnisse, die es bräuchte, wenn es jemals besser werden soll. Wieviele Zivilisationen und Arten müssen denn noch untergehen, bis man den Wahnsinn als Wahnsinn begreift?

Ich kann keinen "Vernichtungskollektivismus" erkennen, im Gegenteil, ich behaupte, dass es kaum eine Episode der Menschheitsgeschichte mit einem derartigen Maß an Individualismus und persönlicher Freiheit gab. Ich sehe nichts genuin Sinnloses, Perverses oder Leid-Maximierendes am Staat. Ich habe auch nicht das Gefühl, mir da in die Tasche zu lügen. Mir scheint, dass du da einen sehr emotionalen Zugang pflegst, den ich nicht teilen kann und auch für relativ arbiträr halte, insbesondere in Ermangelung gangbarer Alternativen.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 17:59

@Nanna

Ich meinte auch Hierarchien innerhalb von Gruppen, also die Existenz von Führungspersönlichkeiten, die anderen Befehle erteilen. Ich führe das nicht als Argument für die Staatlichkeit an (naturalistischer Fehlschluss!), sondern als Widerlegung der Behauptung, Hierarchien wären "widernatürlich". Mit dem Begriff kann ich als Ablehnender von Naturrechtsphilosophien aber sowieso nichts anfangen.


Ja, bei dieser Weltsicht gibt es offenbar überhaupt nichts widernatürliches, egal wie man sich aufführt.


Das heißt aber nicht, dass diese Menschen gut für jemanden sein müssen, wie die Existenz von Kindesmisshandlung belegt.


Ich wüsste nicht, wer die Existenz von Kindesmisshandlungen in vorpatriarchalen Gemeinschaften belegen können soll.


Erfolgreicher Geschlechtsverkehr macht einen halt noch lange nicht zu erfolgreichen Eltern und guten Menschen, was die mystische Überhöhung der Blutsgemeinschaft meines Erachtens dann doch wieder ziemlich erdet.


Die Bevorzugung vor-theokratischer und vor-kollektivistischer Gemeinschaften gegenüber dem artenvernichtenden, staatlich/theokratischen Hyperkollektivismus hat nichts Mystisches, sondern etwas durch und durch nüchternes, empirisches, reales.

Wenn man in einer Gesellschaft als komplexem System lebt (und Gesellschaft ist hier ein deskriptiver Begriff, kein normativer, der zu deiner "Gemeinschaft" entgegengestellt ist), beeinflussen einen die Handlungen der Anderen, deshalb ist es unerlässlich sich dafür zu interessieren, was die Anderen (und das heißt gerade: die einflussreichen Anderen) tun. Deshalb geht es einen schon etwas an, was diese "Fernsten" tun, auch wenn es nicht dasselbe ist wie es einen etwas angeht, was mit engen Freunden oder der Familie geschieht.


Politik, Klerus und deren Wähler gehen mich eben deshalb etwas an, weil sie einem aufgezwungen werden. Gerade dies gälte es ja zu beseitigen.


Ich kann keinen "Vernichtungskollektivismus" erkennen, im Gegenteil, ich behaupte, dass es kaum eine Episode der Menschheitsgeschichte mit einem derartigen Maß an Individualismus und persönlicher Freiheit gab. Ich sehe nichts genuin Sinnloses, Perverses oder Leid-Maximierendes am Staat. Ich habe auch nicht das Gefühl, mir da in die Tasche zu lügen. Mir scheint, dass du da einen sehr emotionalen Zugang pflegst, den ich nicht teilen kann und auch für relativ arbiträr halte, insbesondere in Ermangelung gangbarer Alternativen.


Unglaublich so etwas. Und dies, nachdem wir die Arten auf diesem Planeten in immer schnellerem Tempo dem definitiven Untergang zuführten und zuführen.
Da bleibt mir die Spucke weg ob solcher Ignoranz.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 18:42

Zarathustra hat geschrieben:Ja, bei dieser Weltsicht gibt es offenbar überhaupt nichts widernatürliches, egal wie man sich aufführt.

Richtig. Es gibt aber dennoch Richtig und Falsch bzw. Gut und Böse, wobei dies in einem relationalen Prozess von der Diskursgemeinschaft bestimmt werden muss, wobei hier strukturelle Anforderungen an einen funktionierenden Diskurs bestehen (siehe linguistische und kulturelle Wende in den Sozialwissenschaften). Man kann sich also nicht aufführen, wie man will.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Das heißt aber nicht, dass diese Menschen gut für jemanden sein müssen, wie die Existenz von Kindesmisshandlung belegt.

Ich wüsste nicht, wer die Existenz von Kindesmisshandlungen in vorpatriarchalen Gemeinschaften belegen können soll.

Niemand kann das. Genausowenig kann aber jemand belegen, dass es den Menschen dort besser gegangen ist als uns heute. Noch weniger haben wir die Option, dahin zurückzukehren. Wir können nur von dem ausgehen, wo wir uns heute befinden.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Erfolgreicher Geschlechtsverkehr macht einen halt noch lange nicht zu erfolgreichen Eltern und guten Menschen, was die mystische Überhöhung der Blutsgemeinschaft meines Erachtens dann doch wieder ziemlich erdet.

Die Bevorzugung vor-theokratischer und vor-kollektivistischer Gemeinschaften gegenüber dem artenvernichtenden Hyperkollektivismus hat nichts Mystisches, sondern etwas durch und durch nüchternes, empirisches, reales.

Na, dann kannst du doch sicher eine stringente Argumentation für die Vorteile dieser Gesellschaften vorlegen wie auch zumindest eine Skizze, wie man dahin von heutigen Bedingungen aus kommen soll, anstatt nur Behauptungen aufzustellen und möglichst furchterregende Begriffe dabei zu benutzen.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Wenn man in einer Gesellschaft als komplexem System lebt (und Gesellschaft ist hier ein deskriptiver Begriff, kein normativer, der zu deiner "Gemeinschaft" entgegengestellt ist), beeinflussen einen die Handlungen der Anderen, deshalb ist es unerlässlich sich dafür zu interessieren, was die Anderen (und das heißt gerade: die einflussreichen Anderen) tun. Deshalb geht es einen schon etwas an, was diese "Fernsten" tun, auch wenn es nicht dasselbe ist wie es einen etwas angeht, was mit engen Freunden oder der Familie geschieht.

Politik, Klerus und deren Wähler gehen mich eben deshalb etwas an, weil sei einem aufgezwungen werden. Gerade dies gälte es ja zu beseitigen.

Das ist aber keine Option - nicht weil ich das so will, sondern weil wir in einer physischen Welt mit komplexen, ineinander laufenden Prozessen und Mechanismen leben. Unsere Leben sind aufs engste verwoben, weniger durch Politik, als durch mediale Kommunikation und physisches Handeln, wodurch Märkte, die Umwelt, die Diskursgemeinschaften einer permanenten Veränderung und komplexen Wechselwirkungen ausgesetzt sind. Es ist - rein physisch - keine Option, so zu tun, als wäre es möglich, einen Ort zu finden, wo einen das Handeln Anderer nicht beeinflussen würde. Und natürlich beeinflusst einen das Handeln bedeutender Personen immer mehr, weil sie als Vorbilder und Multiplikatoren dienen, selbst noch in einer Gesellschaft mit flachen Hierarchien.

Du scheinst mir eine Sehnsucht nach maximaler Unabhängigkeit kombiniert mit maximaler Harmonie zu haben, aber sorry, dafür bist du leider im falschen Universum.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ich kann keinen "Vernichtungskollektivismus" erkennen, im Gegenteil, ich behaupte, dass es kaum eine Episode der Menschheitsgeschichte mit einem derartigen Maß an Individualismus und persönlicher Freiheit gab. Ich sehe nichts genuin Sinnloses, Perverses oder Leid-Maximierendes am Staat. Ich habe auch nicht das Gefühl, mir da in die Tasche zu lügen. Mir scheint, dass du da einen sehr emotionalen Zugang pflegst, den ich nicht teilen kann und auch für relativ arbiträr halte, insbesondere in Ermangelung gangbarer Alternativen.

Unglaublich so etwas. Und dies, nachdem wir die Arten auf diesem Planeten in immer schnellerem Tempo dem definitiven Untergang zuführten und zuführen.
Da bleibt mir die Spucke weg ob solcher Ignoranz.

Als ob der Staat dafür etwas könnte. Das sind schon wir alle zusammen und wenn ich mal so in die USA sehe, sind diejenigen, denen die Umwelt am wenigsten am Herzen liegt häufig gleichzeitig die größten Staatsgegner. Im Prinzip ist doch der Staat das einzige Werkzeug, mit dem wir kollektiv handeln können und das wiederum ist genau das, was wir tun müssen, wenn wir innerhalb dieses Jahrhunderts nochmal die Kurve kriegen wollen um unser Habitat zu retten. Du scheinst mir mehr gegen die Gesellschaft und Zivilisation als solche zu sein als gegen den Staat. Ich für meinen Teil halte nichts von Primitivismus, ein "Zurück zur Natur" kann und wird es nicht geben.

Die Erde hat übrigens schlimmere Sachen durchgemacht als uns. Wir rotten ein paar Arten aus, ja gut, das ist früher auch schon passiert und gestorben wird generell viel auf unserer kleinen blauen Kugel. Die wachsen nach in den nächsten paar Millionen Jahren, keine Sorge (wie George Carlin mal korrekterweise angemerkt hat: "The planet is fine - the people are fucked." ["Dem Planeten geht's gut, die Menschen sind am Arsch."]). Viel mehr sollte uns daher interessieren wie WIR gut miteinander auskommen und unsere Umwelt für uns lebenswert erhalten, so lange wir da sind, und da sehe ich den Staat als wichtigen Mechanismus, um das Zusammenleben innerhalb großer Gesellschaften zu regeln und übrigens auch im besagte bedrohte Arten zu schützen. Wenn es jemand geschafft hat, die Umweltzerstörung zu bremsen, dann der moderne westliche Staat. Wie man den Staat aber konkret ausgestaltet ist eine Frage, die jedes Zeitalter ein Stück weit für sich selbst beantworten muss.

Wenn deine Motivation ein so weites Unwohlsein gegenüber der menschlichen Existenz ist, solltest du dich vielleicht @ganimed anschließen und für das allgemeine Aussterben plädieren. Mach dir keine Illusionen, aber die menschliche Existenz war im vorpatriarchischen Zustand schon nicht harmonisch und wird es auch nie werden. Nutze deine Zeit hier, verbessere was in deiner Macht steht und genieße die Show. ;-)
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 19:47

Richtig. Es gibt aber dennoch Richtig und Falsch bzw. Gut und Böse, wobei dies in einem relationalen Prozess von der Diskursgemeinschaft bestimmt werden muss, wobei hier strukturelle Anforderungen an einen funktionierenden Diskurs bestehen (siehe linguistische und kulturelle Wende in den Sozialwissenschaften). Man kann sich also nicht aufführen, wie man will.


Und was hat's gebracht, der hyperkollektivistische Diskurs, seit der Geburt der Tragödie, der Kollektivisierung, Theokratisierung, Verstaatlichung und Verhausschweinung der Menschen?
Man studiere auf Wikipedia die Liste der Schlachten und Kriege.


Niemand kann das. Genausowenig kann aber jemand belegen, dass es den Menschen dort besser gegangen ist als uns heute.


Doch, das ist archäologisch und anthropologisch ziemlich gut belegt. Es gab keine vorstaatlichen Kriege (warfare). Ich habe das alles schon einmal ausführlich dargelegt und begründet.

Noch weniger haben wir die Option, dahin zurückzukehren.


Optionen hat man immer und nicht nur Alternativlosigkeit. Man hat die Wahl, ob man Unterwerfung akzeptieren will oder nicht. Du willst es, und ich will es nicht.

Na, dann kannst du doch sicher eine stringente Argumentation für die Vorteile dieser Gesellschaften vorlegen wie auch zumindest eine Skizze, wie man dahin von heutigen Bedingungen aus kommen soll, anstatt nur Behauptungen aufzustellen und möglichst furchterregende Begriffe dabei zu benutzen.


In die Herrschaftsfreiheit kommt man, indem man Fremdherrschaft und Unterwerfung ablehnt.
In Unterwerfung bleibt man, indem man sie sklavisch als alternativlos postuliert.


Das ist aber keine Option - nicht weil ich das so will, sondern weil wir in einer physischen Welt mit komplexen, ineinander laufenden Prozessen und Mechanismen leben.


Wir leben in einer komplexen, dem Untergang geweihten 'problem-solving-society' (Tainter), seit wir Herrschaft und Unterwerfung akzeptieren. Wo man das nicht akzeptiert, so wie dies auch heute noch der Fall ist in einigen nichtmissionierten Territorien, hat man keine komplexen, wuchernden, alles zermalmenden Komplexitätsgesellschaften.


Du scheinst mir eine Sehnsucht nach maximaler Unabhängigkeit kombiniert mit maximaler Harmonie zu haben, aber sorry, dafür bist du leider im falschen Universum.


Die maximal mögliche Harmonie und Unabhängigkeit/Autarkie ist die staatslose Gemeinschaft.
Die maximale Disharmonie ist die staatlich-theokratische Gesellschaft, in der man fremdbestimmt ist. Jedes zweite monogame Tribut- und Paarungsfamilienkonstrukt scheitert offiziell, und ein guter Teil der restlichen 50 Prozent scheitert inoffiziell. Schon von daher ist klar, dass dies ein zutiefst dysfunktionales System ist.

Als ob der Staat dafür etwas könnte. Das sind schon wir alle zusammen und wenn ich mal so in die USA sehe, sind diejenigen, denen die Umwelt am wenigsten am Herzen liegt häufig gleichzeitig die größten Staatsgegner.


Das schrieb ich ja schon im Eingangsbeitrag. Diese sogenannten Staatsgegner haben keine Ahnung von Anthropologie. Das sind Konservative und Libertäre, die so tun, als würde auch ohne Staat gewirtschaftet und technologisch fortgeschritten. Ein fataler Trugschluss. Staatslose Gemeinschaften interagieren nirgends in komplexen, supragemeinschaftlichen Gebilden und Konstrukten. Gemeinschaften sorgen nur für sich selber. Alle anderen gehen sie nichts an, abgesehen von der sexuellen Exogamie.


Im Prinzip ist doch der Staat das einzige Werkzeug, mit dem wir kollektiv handeln können und das wiederum ist genau das, was wir tun müssen, wenn wir innerhalb dieses Jahrhunderts nochmal die Kurve kriegen wollen um unser Habitat zu retten.


Du postulierst ausgerechnet das Problem als Lösung. Dabei hat Joseph Tainter lang und breit erklärt, dass und warum problem-solving-societies samt und sonders in sich selber scheitern (müssen).


Du scheinst mir mehr gegen die Gesellschaft und Zivilisation als solche zu sein als gegen den Staat.


Die Gesellschaft ist ein Staatsbastard. Ohne Staat keine Gesellschaft.


Ich für meinen Teil halte nichts von Primitivismus, ein "Zurück zur Natur" kann und wird es nicht geben.


Das gibt es immer wieder, weil jede Zivilisation untergeht (siehe auch Spengler). Je höher die Fallhöhe, desto gründlicher der Untergang und desto gründlicher das 'Zurück zur Natur'. Man denke nur an die AKW, die niemand mehr kühlen kann, wenn die Gesellschaft wieder mal am Ende ist.


Die Erde hat übrigens schlimmere Sachen durchgemacht als uns.


Nein, hat sie nicht. Staat und Gesellschaft ist die Maximierung des Leidens. Nirgends sonst in der Natur gibt es Konzentrationslager für Mensch und Tier (Holokaustos), wo sie lebenslänglich in Käfigen gehalten werden. Zivilisation und Gesellschaft ist, was die Grausamkeit betrifft, ein singuläres Ereignis.


Wir rotten ein paar Arten aus, ja gut, das ist früher auch schon passiert und gestorben wird generell viel auf unserer kleinen blauen Kugel. Die wachsen nach in den nächsten paar Millionen Jahren, keine Sorge (wie George Carlin mal korrekterweise angemerkt hat: "The planet is fine - the people are fucked." ["Dem Planeten geht's gut, die Menschen sind am Arsch."]). Viel mehr sollte uns daher interessieren wie WIR gut miteinander auskommen und unsere Umwelt für uns lebenswert erhalten, so lange wir da sind, und da sehe ich den Staat als wichtigen Mechanismus, um das Zusammenleben innerhalb großer Gesellschaften zu regeln und übrigens auch im besagte bedrohte Arten zu schützen.


Ausgerechnet. Als ob ausgerechnet Staatsgesellschaften bedrohte Arten schützen könnten, nachdem sie nur durch sie systematisch vernichtet werden. Die Kälber können auf ihre Metzger gut und gerne verzichten. Ein Hohn, so etwas.

Wenn es jemand geschafft hat, die Umweltzerstörung zu bremsen, dann der moderne westliche Staat.


Indem wir Produktion und Vernichtung exportieren und dadurch nocht mehr Ressourcen und Energie verbrauchen.


Wenn deine Motivation ein so weites Unwohlsein gegenüber der menschlichen Existenz ist, solltest du dich vielleicht @ganimed anschließen und für das allgemeine Aussterben plädieren.


Also, ich weiss nicht, ob Du liest, was ich schreibe. Ich schreibe zugunsten einer Rückkehr zum Menschen in der Gemeinschaft, indem wir den alles zermalmenden Verbraucher in der Gesellschaft hinter uns lassen.


Mach dir keine Illusionen, aber die menschliche Existenz war im vorpatriarchischen Zustand schon nicht harmonisch und wird es auch nie werden.


Das ist doch lächerlich. Das ist etwa so, wie wenn jemand schreibt, Ratten und Wildschweine lebten nicht in Harmonie. Dabei weiss bald jedes Kind, dass sie sich erst die Schwänze gegenseitig fressen, wenn sie in ein Konzentrationslager der Zivilisation gelangen. Zivilisation macht nicht nur Menschen irre, sondern auch Tiere, wo sie in die Fänge der Zivilisierten gelangen.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Gandalf » So 10. Feb 2013, 20:56

Hallo Zarathustra!
Zarathustra hat geschrieben:
Wo der Staat aufgelöst oder noch nicht angekommen ist, da ist keine Gesellschaft, sondern die autarke (Bluts-) Gemeinschaft, wo es keine Wirtschaft, keine Schulen, keine Schulden, keine Kirchen, keine Unternehmen, keine Lohnarbeiter, keine Pfaffen, keine Lehrer, keine Politiker, keine Militaristen und keine CEO's gibt. Um die Freiheit vor dem Staat in seiner ganzen Tragweite erfassen zu können, müssten Atheisten und Libertäre ihre Position noch gründlich hinterfragen und vervollständigen, denn wer der Wirtschaft und dem sogenannten Fortschritt huldigt, der huldigt damit immer auch dem Staat, dem 'Neuen Götzen'.


Das bestreie ich.

Nicht nur das ich in mehreren 'anarchisch organisierten' Strukturen (Vereine) "unterwegs" bin, die gehörig was auf die Beine gestellt haben, ohne dass eine "Blutsgemeinschaft" zwingend nötig war. 'Als Basis' und 'Motivationsgrund' hingegen durchaus nützlich sein kann, da sich auf dieser 'informellen Schiene' viele Dinge per Multiplikation wie von selbst erledigen, über die sonst oftmals noch zusätzliche Absprachen getroffen werden müssten.

... auch das was "nanna" schon mehrmals bemerkte: Es macht keinen Sinn, das Wort "Fortschritt" in den Mund zu nehmen, wenn man nicht vorher ein Ziel festgestellt hat!? Diffusitäten sind kein Ziel, sondern Nebelbänke in denen man sich verirrt.

Was ist das Ziel? Gibt es überhaupt eines?

(M)ein Vorschlag: Ich orientiere mich am Universum und der zunehmenden Entropie, die man empirisch feststellen kann. (Auch wenn ich hier inkonsistent bin und hier induktivistisch vorgehe - es ist trotzdem eine vorläufige Annahme und ich bin mir einer möglichen und sogar wahrscheinlichen Fehlinterpretation bewusst . Dennoch ist es derzeit "Status Quo" in der Wissenschaft)

Es scheint also eine klare Richtung auf eine Ziel vorzuliegen:

max Negentropie ----> max Entropie

Bei dieser einfachen physikalsichen Feststellung wird "das Leben" und die "Homöostase" an keinem Punkt berücksichitgt. Dennoch nutzen Lebewesen Entropieunterschiede im Universum für ihre eigenen Zwecke und bilden Inseln abnehmender Entropie (auch wenn diese global zunimmt). Und zwar tun sie das, indem sie auf Kosten des "Rest-Universums" - laufend diversifizieren um weitere Entropieunterschiede nutzen /Nischen besetzen zu können, während sie darum konkurrieren.

Für das Leben im Universum gilt demnach die (Ziel-) Richtung:

Einfalt ---> Vielfalt (wir nennen das auch zusammenfassend: "Evolution")

man kann das dann auch so beschreiben:

(Leben ist...)Kollektivismus --> Individualismus

"Fortschritt" bedeutet somit eine Entwicklung hin zum Individualismus - was damit völlig konform geht mit libertären, staatsfernen Lehren.

(Und ich bin auch der Überzeugung, das eine libertäre, anarchische Gesellschaft, sowas wie "Raumfahrt" betreiben kann, also sich nicht zur "Agrargesllschaft" (zurück)entwickeln muss)

Grüße
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon provinzler » So 10. Feb 2013, 21:50

Nanna hat geschrieben:
provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Ich bin zwar für mehr Europa und den Euro, aber ich sehe das in dem Fall ebenfalls wie du: Die Rechtssicherheit ist wichtiger als der Euro.

Ich bin für ein friedliches Europa und genau deswegen gegen diese Organisation EUdSSR.

Ich bin aus demselben Grund FÜR die EU. Dass ich den Vergleich mit der Sovjetunion unpassend und geschmacklos finde, habe ich wohl schon öfter klar gemacht.


Die strukturellen Ähnlichkeiten sind doch eigentlich nicht zu übersehen, oder?
Ein kleiner Kommissionszirkel, der alle Entscheidungen trifft, ein Parlament, das hauptsächlich zum Spesen kassieren da ist, ein Behördenapparat, der meint mich vor zu stark gekrümmten Gurken schützen zu müssen, und sich ständig neuen Unsinn ausdenkt? Wie meinte Volker Pispers mal: "Früher sagte man: Geh doch nach drüben. Heute ist drüben hier".
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » So 10. Feb 2013, 22:49

@Gandalf

Das bestreie ich.

Nicht nur das ich in mehreren 'anarchisch organisierten' Strukturen (Vereine) "unterwegs" bin, die gehörig was auf die Beine gestellt haben, ohne dass eine "Blutsgemeinschaft" zwingend nötig war.


Also meine Argumentation war ja die, dass Blutsgemeinschaften nicht bestrebt sind, gehörig was auf die Beine zu stellen. Im Gegenteil, sie sind genügsam, nachhaltig und behäbig in ihrer Evolution. Nur staatsbasierende Gesellschaften stellen gehörig was auf die Beine, weil das System dazu zwingt. Wirtschaft ist Zwang zur Begleichung von Schulden. Die erste Schuld ist die Tributforderung von Gewalttätern. Das startet erst den ganzen dynamischen Wirtschaftsprozess. Alle späteren Privatschulden, deren Zinsen zu erwirtschaften sind, basieren auf der Erstschuld, dem Tribut (Zinnss). Der Zins wiederum ist ein Derivat des Zinnss.


'Als Basis' und 'Motivationsgrund' hingegen durchaus nützlich sein kann, da sich auf dieser 'informellen Schiene' viele Dinge per Multiplikation wie von selbst erledigen, über die sonst oftmals noch zusätzliche Absprachen getroffen werden müssten.

... auch das was "nanna" schon mehrmals bemerkte: Es macht keinen Sinn, das Wort "Fortschritt" in den Mund zu nehmen, wenn man nicht vorher ein Ziel festgestellt hat!? Diffusitäten sind kein Ziel, sondern Nebelbänke in denen man sich verirrt.


Unter Fortschritt versteht der Zivilist die Technisierung des Lebens, und dies alles möglichst schnell. Erst in der Gesellschaft legt die Evolution den Turbo ein. In der Gemeinschaft war der Mensch auch optisch Jahrtausende der selbe. In dieser Schlussphase der expontentiell beschleunigten Phase des Kollektivismus ist die Evolution bereits derart rasant, dass sich die Optik unserer Spezies bereits innert einer einigen Generation kolossal veränderte, und dies offensichtlich nicht zum Guten, sondern klar in Richtung Dekadenz und Unfruchtbarkeit.


Was ist das Ziel? Gibt es überhaupt eines?


Es gibt kein Ziel. Ursache-/Wirkungsketten sehen sich meines Erachtens ausserstande, ein Ziel zu verfolgen.


(M)ein Vorschlag: Ich orientiere mich am Universum und der zunehmenden Entropie, die man empirisch feststr inkonsistent bin und hier induktivistisch vorgehe - es ist trotzdem eine vorläufige Annahme und ich bin mir einer möglichen und sogar wahrscheinlichen Fehlinterpretation bewusst . Dennoch ist es derzeit "Status Quo" in der Wissenschaft)

Es scheint also eine klare Richtung auf eine Ziel vorzuliegen:

max Negentropie ----> max Entropie ...


Oder es pulsiert in einer Art ewiger Wiederkehr.


Für das Leben im Universum gilt demnach die (Ziel-) Richtung:

Einfalt ---> Vielfalt (wir nennen das auch zusammenfassend: "Evolution")


Artenvielfalt nimmt rasant ab durch die Einwirkung der Zivilisation.


man kann das dann auch so beschreiben:

(Leben ist...)Kollektivismus --> Individualismus

"Fortschritt" bedeutet somit eine Entwicklung hin zum Individualismus - was damit völlig konform geht mit libertären, staatsfernen Lehren.


Meine (empirie-basierte) These: Individualismus gibt es nur im Kollektivismus, und er führt ins Verderben, in die Entwurzelung und Vereinsamung, ist dysfunktionl und wider die menschliche Natur, weshalb Zivilisation/Gesellschaft auch regelmässig wieder implodiert. Gemeinschaften in der Natur kennen keinen Individualismus.

(Und ich bin auch der Überzeugung, das eine libertäre, anarchische Gesellschaft, sowas wie "Raumfahrt" betreiben kann, also sich nicht zur "Agrargesllschaft" (zurück)entwickeln muss)


Die Agrargesellschaft (das Fellachentum - Spengler) kam jedesmal zurück, nachdem die Zivilisation wieder einmal fertig hatte. Ich wüsste nicht, weshalb dies das nächste mal anders sein sollte. Was anders sein wird diesmal, ist die Fallhöhe, dergestalt, dass hunderte Atomreaktoren verdampfen beim nächsten Strukturzusammenbruch, der so sicher wie das Amen in den zivilisatorischen Kirchen ist. Es sieht m.E. also nach einer weit grösseren Zäsur und einem gründlicheren 'Zurück' aus, als es frühere Zivilisationen erlebt haben.


Beste Grüsse
Zuletzt geändert von Zarathustra am So 10. Feb 2013, 22:52, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Nanna » So 10. Feb 2013, 22:51

Zarathustra hat geschrieben:Und was hat's gebracht, der hyperkollektivistische Diskurs, seit der Geburt der Tragödie, der Kollektivisierung, Theokratisierung, Verstaatlichung und Verhausschweinung der Menschen?
Man studiere auf Wikipedia die Liste der Schlachten und Kriege.

Er hat für Verständigung gesorgt, für gemeinsame Narrative (siehe Andersons "imagined communities"), aber auch für die zunehmende Akzeptanz gegenüber Pluralismus. Gesellschaften sind heute in sich insgesamt friedlicher, da wo über entwickelte mediale und demokratische Diskurssysteme Austausch stattfindet, finden wir kaum noch gewaltsame Auseinandersetzungen.

Ansonsten würde ich es auch nicht so normativ betrachten. Es ist nicht so, dass irgendwo bei den Sumerern oder alten Chinesen sich ein paar Leute hingesetzt hätten und gemeint haben, dass sie jetzt mal 10.000 Jahre lang den Staat ausprobieren würden. Da wo sich urbane Zentren gebildet haben, entstand Regelungsbedarf und daraus hat sich der Staat in seiner ursprünglichsten Form entwickelt (wobei ich da erstmal nur von organisierter Herrschaft sprechen würde, Staatlichkeit im modernen Sinne ist nochmal eine ganz andere Nummer). Niemand hat sich am Anfang die Frage gestellt, ob es das auf Dauer "bringen" würde. Es ist halt passiert, die Menschheit ist zahlenmäßig gewachsen, hat wirtschaftlich und technologisch zugelegt und die Strukturen interner Organisation sind die Evolution mitgegangen. Wir sind da auch noch lange nicht am Ende und ich glaube auch, dass wir als Einzelne nur sehr begrenzten Einfluss darauf haben, wie die Population als Gesamtes sich entwickelt.

Zarathustra hat geschrieben:
Niemand kann das. Genausowenig kann aber jemand belegen, dass es den Menschen dort besser gegangen ist als uns heute.

Doch, das ist archäologisch und anthropologisch ziemlich gut belegt. Es gab keine vorstaatlichen Kriege (warfare). Ich habe das alles schon einmal ausführlich dargelegt und begründet.

Weißt du noch wo? Ich meine nämlich, u.a. auf die Affenkriege eingegangen zu sein, die logischerweise keine Zivilisationsfolge sein können. Und generell ist das Bild des Edlen Wilden in den letzten Jahrzehnten in der Anthropologie meines Wissens ziemlich auseinandergenommen worden.

Zarathustra hat geschrieben:
Noch weniger haben wir die Option, dahin zurückzukehren.

Optionen hat man immer und nicht nur Alternativlosigkeit. Man hat die Wahl, ob man Unterwerfung akzeptieren will oder nicht. Du willst es, und ich will es nicht.

Nein, gewisse Optionen stehen uns tatsächlich nicht offen. Eine vorzivilisierte Welt KANN es per definitionem nicht geben. Theoretisch könnte es eine nachzivilisatorische geben, die sich am Ideal der vorzivilisatorischen orientiert, aber das ist bei weitem nicht dasselbe. Alle Ideen der zivilisatorischen Welt, nicht nur die offensichtlichen, sondern auch die Traditionen und eingeübten Kulturpraktiken würden bei uns bleiben. Ihr Anarcho-Primitivisten seid ja nicht die Einzigen, die solche rückwärtsgewandten Utopien pflegen. Die Salafisten beispielsweise geben sich auch der Illusion hin, zur urislamischen Gemeinschaft zurückkehren zu können. Das geht aber nicht, weil man simplerweise nicht in der Zeit rückwärts reisen kann. Es gibt keine Möglichkeit, einen früheren Zustand originalgetreu herzustellen, die Rekonstruktion trägt immer die Spuren des Späteren. Die Bedingungen des Vorzivilisatorischen mit seiner intellektuellen "Unschuldigkeit" sind unwiederbringlich verloren.

Zarathustra hat geschrieben:In die Herrschaftsfreiheit kommt man, indem man Fremdherrschaft und Unterwerfung ablehnt.
In Unterwerfung bleibt man, indem man sie sklavisch als alternativlos postuliert.

So simpel, so wenig hilfreich.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Das ist aber keine Option - nicht weil ich das so will, sondern weil wir in einer physischen Welt mit komplexen, ineinander laufenden Prozessen und Mechanismen leben.

Wir leben in einer komplexen, dem Untergang geweihten 'problem-solving-society' (Tainter), seit wir Herrschaft und Unterwerfung akzeptieren. Wo man das nicht akzeptiert, so wie dies auch heute noch der Fall ist in einigen nichtmissionierten Territorien, hat man keine komplexen, wuchernden, alles zermalmenden Komplexitätsgesellschaften.

Wo soll das sein? Auf irgendeiner Südeeinsel? Versuch das mal in New York City zu reproduzieren, viel Spaß.

Zarathustra hat geschrieben:Die maximale Disharmonie ist die staatlich-theokratische Gesellschaft, in der man fremdbestimmt ist. Jedes zweite monogame Tribut- und Paarungsfamilienkonstrukt scheitert offiziell, und ein guter Teil der restlichen 50 Prozent scheitert inoffiziell. Schon von daher ist klar, dass dies ein zutiefst dysfunktionales System ist.

Eine Quote, die damit zu tun hat, dass wir uns seit kurzem vom Patriarchat wegbewegen und noch nicht so ganz sicher sind, wo wir eigentlich hin wollen. Vor zweihundert Jahren, als die Liebesheirat die Ausnahme war, ist das alles nicht passiert, keine Ahnung, ob die Menschen glücklicher waren, wahrscheinlich nicht unbedingt.
Der Punkt ist: Systeme evolvieren. Sie bauen auf dem auf, was schon da ist und nutzen altes für neue Zwecke. Dass wir soziale Probleme haben, ist unbestritten, aber ich denke, dass sich Wege finden lassen werden, diese Komplexität zu einem zufriedenstellenden Maß zu beherrschen. Das ist meines Erachtens ein realistischerer Weg als in die Fundamentalopposition zu wechseln.

Zarathustra hat geschrieben:Staatslose Gemeinschaften interagieren nirgends in komplexen, supragemeinschaftlichen Gebilden und Konstrukten. Gemeinschaften sorgen nur für sich selber. Alle anderen gehen sie nichts an, abgesehen von der sexuellen Exogamie.

Ich für meinen Teil bin ein urbaner Mensch, ich schätze das Leben in größeren sozialen Gebilden, obwohl ich insgesamt ein eher etwas zurückgezogener Charakter bin. Das Leben in einer Gemeinschaft mit wenigen dutzend oder höchstens ein paar hundert Interaktionspartnern würde mich wahnsinnig machen - viel zu wenig intellektueller Input. Auch möchte ich nicht ohne die Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation leben, für die aber Handel, Forschung und komplexe Technik notwendig sind. Ich glaube, dass ich da auf einer Linie mit sehr vielen Menschen bin.

Zarathustra hat geschrieben:
Im Prinzip ist doch der Staat das einzige Werkzeug, mit dem wir kollektiv handeln können und das wiederum ist genau das, was wir tun müssen, wenn wir innerhalb dieses Jahrhunderts nochmal die Kurve kriegen wollen um unser Habitat zu retten.


Du postulierst ausgerechnet das Problem als Lösung. Dabei hat Joseph Tainter lang und breit erklärt, dass und warum problem-solving-societies samt und sonders in sich selber scheitern (müssen).

Tainter ist niemand, der mir bislang über den Weg gelaufen ist, also habe ich jetzt mal nur eben den Wikipediaartikel gelesen. Wenn der Tainters Position korrekt wiedergibt, sind zwei Möglichkeiten, dem Kollaps zu entgehen, nämlich fortgesetzte technologische Entwicklung und stabilisierende Gesellschaften in der Nachbarschaft, die den Absturz auffangen können.
Ich denke, dass gerade die Computertechnologie etwas ist, dessen Folgen wir noch überhaupt nicht abschätzen können. Wir haben unheimliche Zuwächse an Produktivität und vor allem Automatisation dadurch erreicht und vieles ist dadurch an Bürokratie einfacher geworden. Die Forschungen bei der Analyse von Big Data haben überhaupt erst begonnen und es kann gut sein, dass wir darüber erstmal in der Geschichte Werkzeuge entwickeln, die derartige Komplexitäten ein Stück weit beherrschbar machen.
Der andere Punkt ist der, dass es heute keine isolierten Gesellschaften mehr gibt, sondern eine beginnende Weltökonomie, die punktuelle Krisen auffangen kann, aber natürlich auch als Gesamtsystem anfälliger dadurch geworden ist. In welche Richtung wir da gehen werden, weiß keiner, auch Tainter nicht. Er mag stringente Erklärungen anzubieten haben, das weiß ich nicht, hab ihn nicht gelesen, aber er kann sein Modell auch nicht empirisch auf Allgemeingültigkeit prüfen. Insofern bleibt's spannend.

Zarathustra hat geschrieben:
Du scheinst mir mehr gegen die Gesellschaft und Zivilisation als solche zu sein als gegen den Staat.

Die Gesellschaft ist ein Staatsbastard. Ohne Staat keine Gesellschaft.

Ich würde die Zivilgesellschaft dem Staat nicht unterordnen, sondern eher beistellen, zumal die Zivilgesellschaft dem Staat ja immer wieder auch Freiräume abtrotzt, aber lassen wir die Definition von mir aus mal für diese Diskussion so stehen.

Zarathustra hat geschrieben:
Ich für meinen Teil halte nichts von Primitivismus, ein "Zurück zur Natur" kann und wird es nicht geben.

Das gibt es immer wieder, weil jede Zivilisation untergeht (siehe auch Spengler). Je höher die Fallhöhe, desto gründlicher der Untergang und desto gründlicher das 'Zurück zur Natur'. Man denke nur an die AKW, die niemand mehr kühlen kann, wenn die Gesellschaft wieder mal am Ende ist.

Egal an welche Imperien man denkt, die auseinander gefallen sind oder an welche Zivilisationen im weiteren Sinne, die untergegangen sind, es ist nicht immer der Katastrophe gekommen. In Spanien konnten sich nach dem Untergang des Kalifats Jahrhunderte lang blühende Kleinreiche halten, der Untergang des römischen Reiches hat zwar eine Phase der Unterentwicklung und rigorosen feudalen Beziehungen eingeläutet, allerdings war das Mittelalter eine Zeit soliden materiellen Wohlstandes, was die generelle Versorgungssituation der Bevölkerung betrifft, das britische Weltreich ist zwar zerfallen, die Überbleibsel konnten sich aber ganz gut halten. Der Niedergang politischer Strukturen führt nicht notwendigerweise zu einer Katastrophe und bisher sind aus der Asche der Staaten immer wieder neue erstanden, die nicht selten die Fehler ihrer Vorgänger vermeiden konnten.

Zarathustra hat geschrieben:
Die Erde hat übrigens schlimmere Sachen durchgemacht als uns.

Nein, hat sie nicht. Staat und Gesellschaft ist die Maximierung des Leidens. Nirgends sonst in der Natur gibt es Konzentrationslager für Mensch und Tier (Holokaustos), wo sie lebenslänglich in Käfigen gehalten werden. Zivilisation und Gesellschaft ist, was die Grausamkeit betrifft, ein singuläres Ereignis.

Ich meinte mehr bezogen darauf, was unsere Anwesenheit dem Ökosystem Erde angetan hat. Was Grausamkeit angeht, so ist das ein menschliches Konzept und kann daher auch nur im menschlichen Kontext auftreten. Ich halte das nicht für eine Folge der Staatlichkeit, sondern Teil der conditio humana. Eine Art, die so unheimlich intelligent und lernfähig (d.h. im Kindesalter sehr variabel geprägt werden kann) ist und gleichzeitig die Folgen ihres Handelns häufig nicht überblicken kann (Nuklearwaffen sind das erschreckendste Beispiel) hat schon allein deshalb eine große Fallhöhe. Die wirtschaftliche und technische Entwicklung, die durch die organisierte Gesellschaft ermöglicht ist, hat die Fähigkeit, das zu potenzieren, das will ich nicht abstreiten.

Zarathustra hat geschrieben:Ausgerechnet. Als ob ausgerechnet Staatsgesellschaften bedrohte Arten schützen könnten, nachdem sie nur durch sie systematisch vernichtet werden. Die Kälber können auf ihre Metzger gut und gerne verzichten. Ein Hohn, so etwas.

Vielleicht. Aber wir können nicht nochmal zurück und uns umentscheiden. Wir müssen mit den Mitteln, die wir haben, Abhilfe schaffen. Wie ich schon sagte: Wir können, diskursiv, intellektuell, strukturell, nur auf dem aufbauen, was bereits da ist und in manchen Punkten (Stichwort Pfadabhängigkeit) haben wir auch nicht übermäßig viel Wahl.

Zarathustra hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Wenn es jemand geschafft hat, die Umweltzerstörung zu bremsen, dann der moderne westliche Staat.

Indem wir Produktion und Vernichtung exportieren und dadurch nocht mehr Ressourcen und Energie verbrauchen.

Ja, das hat uns einiges gebracht, aber wir werden auch gleichzeitig effizienter in unserem Ressourcenverbrauch und Gedanken wie das craddle-to-craddle-Prinzip (wie im Regenwald: hoher Verbrauch bei vollständiger Wiederverwertung; verursacht einen extremen Energiedurchsatz, ist aber ansonsten komplett neutral für die Umwelt) setzen sich allmählich durch. Fraglich ist, ob die Innovation oder der Verfall unseres Habitats schneller sein werden, aber das sehen wir schon noch...

Zarathustra hat geschrieben:
Wenn deine Motivation ein so weites Unwohlsein gegenüber der menschlichen Existenz ist, solltest du dich vielleicht @ganimed anschließen und für das allgemeine Aussterben plädieren.

Also, ich weiss nicht, ob Du liest, was ich schreibe. Ich schreibe zugunsten einer Rückkehr zum Menschen in der Gemeinschaft, indem wir den alles zermalmenden Verbraucher in der Gesellschaft hinter uns lassen.

Ja, da haben wir ironischerweise ähnliche Ziele. Aber ich bin von allen Kritikern unserer Lebensumstände in diesem Forum meines Erachtens einer derer, die die realistischsten Gedanken zu dem Thema haben. Radikale Systemumwälzungen sind auch im Falle eines kulturellen Niedergangs eher nicht zu erwarten, höchstens in die Richtung autoritärer Systeme, die wir alle nicht haben wollen. Also müssen wir versuchen, das jetzige System zu verbessern und den Grad an Freiheit, den wir bereits haben, nicht mit riskanten Systemänderungen zu gefährden. Vorsichtige Evolution ist meines Erachtens die beste Option, die wir in unserer jetzigen historischen Situation haben.

Zarathustra hat geschrieben:
Mach dir keine Illusionen, aber die menschliche Existenz war im vorpatriarchischen Zustand schon nicht harmonisch und wird es auch nie werden.

Das ist doch lächerlich. Das ist etwa so, wie wenn jemand schreibt, Ratten und Wildschweine lebten nicht in Harmonie. Dabei weiss bald jedes Kind, dass sie sich erst die Schwänze gegenseitig fressen, wenn sie in ein Konzentrationslagern der Zivilisation gelangen. Zivilisation macht nicht nur Menschen irre, sondern auch Tiere, wo sie in die Fänge der Zivilisierten gelangen.

Ich glaube, die Motive von Kampf und Konkurrenz sind älter als die Zivilisation. Irgendwas gibt es immer, was man dem anderen neiden kann und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Motive nicht in vorzivilisatorischen Gesellschaften vorhanden waren, wenn bereits Affen oder Wölfe entsprechende Verhaltensweisen an den Tag legen.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » Mo 11. Feb 2013, 12:09

@Nanna
Danke übrigens noch für Deinen Hinweis auf @Ganimed. Ein selten kluger Kopf, wie ich beim Lesen einiger Threads feststellen durfte.

Er hat für Verständigung gesorgt, für gemeinsame Narrative (siehe Andersons "imagined communities"), aber auch für die zunehmende Akzeptanz gegenüber Pluralismus. Gesellschaften sind heute in sich insgesamt friedlicher, da wo über entwickelte mediale und demokratische Diskurssysteme Austausch stattfindet, finden wir kaum noch gewaltsame Auseinandersetzungen.


Meinst Du damit beispielsweise den Weltrekordkrieger USA, der bis dato in 100 oder 200 Kriege involviert war und wo mittlerweile über 2 Millionen Männer in den Gefängnissen dahinvegetieren? So etwas gibt es im durchschnittlichen Entwicklungsland nicht! Demokratien sind – aus einer Gesamtschau heraus – ihrer längerfristigen wirtschaftlichen Dynamik wegen so ziemlich das raubbauendste und gewalttätigste System überhaupt. Ein Staat existiert nie ohne dessen Komplizen, die Religion, et vice versa. Ein konsequenter Atheist muss dieses Komplizen-Gebilde deshalb ablehnen. Aber wo gibt es schon konsequente Atheisten. Ich kenne kaum einen.

Ansonsten würde ich es auch nicht so normativ betrachten. Es ist nicht so, dass irgendwo bei den Sumerern oder alten Chinesen sich ein paar Leute hingesetzt hätten und gemeint haben, dass sie jetzt mal 10.000 Jahre lang den Staat ausprobieren würden.


Wie das angefangen hat, kannst Du beim Oppenheimer 'der Staat' nachlesen. Beginnen tut es mit der Waffe, wenn autarke Bluts-Gemeinschaften in supragemeinschaftlichen Tribut-Konstrukten zusammengetrieben werden. Oder Indianer werden zwangsmissioniert und zwangsverstaatlicht.
So läuft das, und nicht durch irgendwelche freiwillige Beschlussfassung.

Da wo sich urbane Zentren gebildet haben, entstand Regelungsbedarf und daraus hat sich der Staat in seiner ursprünglichsten Form entwickelt


Nein, umgekehrt. Staatlich-patriarchales Gebahren (aka rohe Gewalt) führt zur Urbanisierung und Zentralisierung der Menschen.

(wobei ich da erstmal nur von organisierter Herrschaft sprechen würde, Staatlichkeit im modernen Sinne ist nochmal eine ganz andere Nummer). Niemand hat sich am Anfang die Frage gestellt, ob es das auf Dauer "bringen" würde. Es ist halt passiert, die Menschheit ist zahlenmäßig gewachsen, hat wirtschaftlich und technologisch zugelegt und die Strukturen interner Organisation sind die Evolution mitgegangen.


Der Krieg ist der Vater aller zivilisatorischen Dinge. Ohne den organisierten und gezielten Einsatz der Waffe ist kein Staat zu machen. Das, was Du hier so niedlich beschreibst, sind alles Euphemismen für den Einsatz nackter Gewalt.


Weißt du noch wo? Ich meine nämlich, u.a. auf die Affenkriege eingegangen zu sein, die logischerweise keine Zivilisationsfolge sein können. Und generell ist das Bild des Edlen Wilden in den letzten Jahrzehnten in der Anthropologie meines Wissens ziemlich auseinandergenommen worden.


Keineswegs. Unsere artverwandteste Spezies, die matristisch organisierten Bonobo (female choice), führen keinen Krieg. Ebenso wenig wie die matristisch organisierten, vorpatriarchalen homines sapientes:

Zitat aus einem Vortrag von Prof. Joachim Bauer:

Die neolithische Revolution bedeutete den Eintritt des Menschen in die
zivilisatorische Welt. Sie bedeutete nicht nur die Erfindung des Eigentums und der
Erwerbsarbeit, sondern den grundlegenden Einzug des ökonomischen Prinzips in
das menschliche Zusammenleben. Der Mensch wurde, nachdem er zu einer
Arbeitskraft und damit Teil eines ökonomischen Kalküls geworden war, nun selbst
zur Ware, was logischerweise zur Folge hatte, dass Menschen begannen, Macht
über andere Menschen auszuüben.

Prof. Dr. Jürg Helbling, Ethnologe:

Weshalb entstand der Krieg als spezifische selektive Umwelt? Als gesichert gilt, dass in
Wildbeutergesellschaften, in welchen die Menschheit über rund 95% ihrer bisherigen
Geschichte organisiert war, keine Kriege geführt werden. Das ist auch deshalb bedeutsam,
weil die Soziobiologie die These vertritt, dass das menschliche Sozialverhalten von einem
Bioprogramm gesteuert werde, das sich mit der Evolution des Homo sapiens
herausgebildet habe und Resultat seiner Anpassung an die Umwelt des Altsteinzeit (vor
180'000 bis 15'000 Jahren) sei, während welcher Menschen ausschliesslich in
Wildbeutergruppen lebten (Wilson 1975).

Nein, gewisse Optionen stehen uns tatsächlich nicht offen. Eine vorzivilisierte Welt KANN es per definitionem nicht geben. Theoretisch könnte es eine nachzivilisatorische geben, die sich am Ideal der vorzivilisatorischen orientiert, aber das ist bei weitem nicht dasselbe. Alle Ideen der zivilisatorischen Welt, nicht nur die offensichtlichen, sondern auch die Traditionen und eingeübten Kulturpraktiken würden bei uns bleiben.


Das ist nicht rückwärts, sondern vorwärts. Deine Argumentation ist diejenige eines Gefängnis- oder KZ-Insassen, der einem wehmütig zurückschauenden und nach Freiheit strebenden Mitinsassen entgegenhält, er solle sich doch bitte mit seiner Situation abfinden und sich nicht an der verlorenen Freiheit der Vergangenheit orientieren.

Ihr Anarcho-Primitivisten seid ja nicht die Einzigen, die solche rückwärtsgewandten Utopien pflegen. Die Salafisten beispielsweise geben sich auch der Illusion hin, zur urislamischen Gemeinschaft zurückkehren zu können.


Das hat gerade noch gefehlt. Salafisten sind patriarchal-religiös, genau wie Ihr Zivilisations-Gläubigen, die ihr dem ebenso patriarchal-kollektivistischen Neuen Götzen huldigt, dem Staat anstelle des Islams, der sich ebenso über den gesamten Planeten zu einem erdrückenden, kollektivisierenden Einheitsbrei zu globalisieren gedenkt, wie Eure sogenannte Demokratie.

Das geht aber nicht, weil man simplerweise nicht in der Zeit rückwärts reisen kann. Es gibt keine Möglichkeit, einen früheren Zustand originalgetreu herzustellen, die Rekonstruktion trägt immer die Spuren des Späteren.


Das ist auch nicht nötig. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn Ihr wenigstens Bevormundung und Fremdherrschaft ablehnen würdet. Was daraus dann evolviert, könnte man dann sehen. Was zum Teufel geht mich ein Mega- oder gar Gigakollektiv an, dessen Fäden in Brüssel oder sonstwo zusammenlaufen? Ein KZ-Insasse wird erst mal nach Freiheit streben und sie zu erlangen versuchen. Pläne und Spekulationen, wie sich die wieder erlangte Freiheit im Leben dann konkret auswirken soll und wird, sind doch völlig nachrangig.


Eine Quote, die damit zu tun hat, dass wir uns seit kurzem vom Patriarchat wegbewegen und noch nicht so ganz sicher sind, wo wir eigentlich hin wollen.


Wir bewegen uns überhaupt nicht vom Patriarchat (Unterwerfung) weg. Im Gegenteil, die Bevormundung der Mütter und die damit verbundene Einmischung der Organisierten Gewalt bei der Aufzucht der Nachkommen wird immer dreister und ekelhafter. In dieser Gesellschaft werden mittlerweile auch Frauen zu wettstreitenden Patriarchen abgerichtet in den 'Garküchen des Geistes'.
Die Gesellschaft gelangt jedenfalls nicht dorthin, wo Du sie hinwillst. Du wirst einfach hinnehmen müssen, wohin sie driftet durch die Summe der Meinungen der Milliarden. Also Null Selbstbestimmung. Das ist Demokratie! "Die sog."Demokratie" ist die perfideste, weil vom Bürger (= Unterhund der Macht) undurchschaubarste Steigerungsform von Macht und Unfreiheit." (Dr. Paul C. Martin)

Vor zweihundert Jahren, als die Liebesheirat die Ausnahme war, ist das alles nicht passiert, keine Ahnung, ob die Menschen glücklicher waren, wahrscheinlich nicht unbedingt.


Sie waren ebenso unglücklich, weil Zwang wider die menschliche Natur ist. Sexuelle Freiheit bei gleichzeitig intakter Gemeinschaft ist nun mal das Privileg der staatslosen, vorpatriarchalen Blutsgemeinschaft.

Der Punkt ist: Systeme evolvieren. Sie bauen auf dem auf, was schon da ist und nutzen altes für neue Zwecke. Dass wir soziale Probleme haben, ist unbestritten, aber ich denke, dass sich Wege finden lassen werden, diese Komplexität zu einem zufriedenstellenden Maß zu beherrschen.

Dafür sehe ich keinerlei Anzeichen, dass dies nun erstmals in der Geschichte der Zivilisationen anders sein sollte. Das ist doch reiner Zweckoptimismus ohne reales Fundament. Ich sehe lediglich, dass aufgrund der heutigen Fallhöhe sich das potenzielle Chaos im Vergleich zu früheren verschwundenen Zivilisationen nochmals um Faktoren erhöht hat.


Tainter ist niemand, der mir bislang über den Weg gelaufen ist, also habe ich jetzt mal nur eben den Wikipediaartikel gelesen. Wenn der Tainters Position korrekt wiedergibt, sind zwei Möglichkeiten, dem Kollaps zu entgehen, nämlich fortgesetzte technologische Entwicklung und stabilisierende Gesellschaften in der Nachbarschaft, die den Absturz auffangen können.
Ich denke, dass gerade die Computertechnologie etwas ist, dessen Folgen wir noch überhaupt nicht abschätzen können. Wir haben unheimliche Zuwächse an Produktivität und vor allem Automatisation dadurch erreicht und vieles ist dadurch an Bürokratie einfacher geworden. Die Forschungen bei der Analyse von Big Data haben überhaupt erst begonnen und es kann gut sein, dass wir darüber erstmal in der Geschichte Werkzeuge entwickeln, die derartige Komplexitäten ein Stück weit beherrschbar machen.


Da fehlt mir einfach die Logik. Weil alles noch komplexer ist als früher, soll die Komplexitätssteigerung, die ja gerade die Ursache der Unbeherrschbarkeit ist, beherrschbar werden? Ich sehe in solchen Begründungen nur Zweckoptimismus, und der ist fatal, weil der ja gerade immer wieder von neuem dazu führt, dass man sich kollektiv in eine ausweglose Situation hinein manövriert. Das ist wiederum das Wesen der Zivilisation. Eine sogenannte Rationalitätenfalle, die es in der Gemeinschaft eben gerade nicht gibt, weil dort die Interessen des Individuums und des Kollektivs beinahe die selben sind. Im Hyperkollektivismus, einem Wettstreitsystem, laufen die Interessen des Einzelnen und der Gesamtheit diametral auseinander. Es läuft per se auf Gewinner und Verlierer hinaus.


Der andere Punkt ist der, dass es heute keine isolierten Gesellschaften mehr gibt, sondern eine beginnende Weltökonomie, die punktuelle Krisen auffangen kann, aber natürlich auch als Gesamtsystem anfälliger dadurch geworden ist. In welche Richtung wir da gehen werden, weiß keiner, auch Tainter nicht. Er mag stringente Erklärungen anzubieten haben, das weiß ich nicht, hab ihn nicht gelesen, aber er kann sein Modell auch nicht empirisch auf Allgemeingültigkeit prüfen.


Tainter zeigt, dass problem-solving-societies empirisch dem Grenznutzenproblem erliegen. Zusätzliche Investition in zusätzliche Komplexität, Energie und Kredit wird ab einem bestimmten Punkt kontraproduktiv, und nach Ueberschreiten dieses Kulminationspunktes kracht das Konstrukt zusammen. Klar wenn Griechenland kollabiert, wird es einigermassen aufgefangen vom Rest der Welt, weil dieser Rest bereits (zurecht!) fürchtet, dass ein Tropfen, der das Fass zum Ueberlaufen bringt, zu einer unkontrollierbaren Kettenreaktion führt, weil eben das globalisierte Gesamtkonstrukt bereits in der Nähe des Kulminationspunktes angelangt ist. Paul C. Martin hat diesen Endzustand bereits in den 80er Jahren korrekt vorausgesagt:

"Heute ist weltweit Bagehot total: Alle Staaten werden für alle Staaten, alle Notenbanken für alle Notenbanken haften, einschließlich Währungsfonds und Weltbank und vielen anderen internationalen Institutionen. Und alle Staaten werden für alle Banken geradestehen, aber auch alle Notenbanken für alle Staaten und alle Staaten für alle Notenbanken. Alle, alle, alle werden für alle, alle, alle dasein. Und alle wissen, dass keinem von allen etwas passieren darf, weil dann allen etwas zustößt."



Ja, das hat uns einiges gebracht, aber wir werden auch gleichzeitig effizienter in unserem Ressourcenverbrauch und Gedanken wie das craddle-to-craddle-Prinzip (wie im Regenwald: hoher Verbrauch bei vollständiger Wiederverwertung; verursacht einen extremen Energiedurchsatz, ist aber ansonsten komplett neutral für die Umwelt) setzen sich allmählich durch.


Setzen sich allmählich durch? Der Ressourcen-Verbrauch steigt exponentiell, genau so wie die Artenvernichtung. Energie- und Ressourcen-Verbrauch wird von den fortgeschrittenen Staaten einfach exportiert und das fertige Produkt dann importiert, was einen zusätzlichen Verbrauch zur Folge hat. Der Verbrauch hat sich innert 200 Jahren verhundertfacht. Das ist exponentiell wuchernder Kollektivismus. So etwas kann nie und nimmer längerfristig funktionieren, sondern stets nur bis zum vorprogrammierten Kollaps.


Ja, da haben wir ironischerweise ähnliche Ziele. Aber ich bin von allen Kritikern unserer Lebensumstände in diesem Forum meines Erachtens einer derer, die die realistischsten Gedanken zu dem Thema haben. Radikale Systemumwälzungen sind auch im Falle eines kulturellen Niedergangs eher nicht zu erwarten, höchstens in die Richtung autoritärer Systeme, die wir alle nicht haben wollen.


Warum soll das nicht zu erwarten sein? Aufgrund der errungenen Fallhöhe und dem damit verbundenen potenziellen Chaos sehe ich eher eine Umwälzung in nie dagewesenem Umfang, bis hin zu einer allfälligen Selbstauslöschung unserer eigenen Spezies. Es darf ja schon gar nichts mehr passieren, angesichts hunderter Atomreaktoren, die niemals unbetreut herumstehen dürfen. So weit hat man es gebracht mit dem sogenannten Fortschritt.

Also müssen wir versuchen, das jetzige System zu verbessern und den Grad an Freiheit, den wir bereits haben, nicht mit riskanten Systemänderungen zu gefährden.


Das Riskanteste an der ganzen Veranstaltung ist von Beginn weg deren Erhaltung. Je früher man das Experiment beendet, desto besser. Das gilt auch heute noch. Ein Strukturkollaps heute mit 500 verdampfenden Atomreaktoren ist für Flora und Fauna 'besser' als einer, der morgen oder übermorgen stattfindet, wenn sich die Reaktoren auch noch auf die Südhalbkugel ausgebreitet haben werden.

Ich glaube, die Motive von Kampf und Konkurrenz sind älter als die Zivilisation. Irgendwas gibt es immer, was man dem anderen neiden kann und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Motive nicht in vorzivilisatorischen Gesellschaften vorhanden waren, wenn bereits Affen oder Wölfe entsprechende Verhaltensweisen an den Tag legen.


Es gibt, wie gesagt, weder bei Affen noch bei staatslosen Gemeinschaften eine systematische Betreibung von Konzentrationslagern, in welchen Hühner, Schweine oder Artgenossen lebenslänglich ein unbeschreiblich grausames Dasein fristen. Zivilisation ist erwiesenermassen die Maximierung des Leids.
Zarathustra
 
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Vollbreit » Mo 11. Feb 2013, 14:31

Ach Zarathustra, das ist doch bestenfalls gut gemeint.
Klingt ein bisschen nach den Amish, in Einklang mit der Natur, bei Verzicht auf moderne Verwirrungen wie Internet – findest Du aber offenbar gar nicht so schlecht, oder? - und dergleichen.
Statistisch haben die die höchste Lebenserwartung, weil sie wirklich konsequent auf alles Verderbte verzichten, wirkt also. Aber Du willst es konsequent atheistisch, habe ich schon verstanden.
Allerdings hat man überall in expliziten Blutsgemeinschaften, schneller als einem lieb sein kann, eine Inzuchtproblematik. Folge ist eine Merkmalverstärkung, seltener zum Guten, öfter zum Schlechten.

Was das Widernatürliche angeht: Nein, gibt es nicht, was sollte denn widernatürlich sein?
Alles was vorkommt, ist natürlich, es kommt doch vor. Was Du mit widernatürlich meinst, ist eigentlich sowas wie pervertiert oder ungesund. Aber das Füllwort „widernatürlich“ wird zur pseudolegitimierenden Floskel für alles was einem nicht in den Kram passt: Fast-food, Homosexualität, Fernsehen, Sozialversicherungen, U-Bahnen, Kriege, Behinderte. Benutzt wird es gerne von Leuten, deren Argumente es nicht immer so ganz leicht haben, zu überzeugen: Oft ist das faschistisch und pathologisch hierarchisch konnotiert. Du meinst es jetzt gerade mal anders herum, was es aber nicht besser macht.
Dass es auch eine pathologische Heterarchie gibt, wird dabei auch gerne mal übersehen: Es klingt so nett, apathisch, vorm gemeinsamen Feuer singend zu verenden und sich gegenseitig zu umarmen und zu trösten, weil doch alles so schwer, so traurig und so ungerecht ist.
Doch dass und warum die Natur zu Unrecht verherrlicht wird, hat Freud schon sehr klar durchschaut, vielleicht interessiert es Dich ja:
http://archive.org/stream/DasUnbehagenI ... der_Kultur
(Schau Dir mal insbesondere das Kapitel 3, ab Seite 40 an, dazu den Zeigefinger unten links anklicken, gedrückt halten, verschieben. Nebenbei einer der schärfsten atheistischen Texte überhaupt.)

Ein Problem wird sein, dass, wenn Du mit Deiner Wahl- oder Großverwandtschaft irgendwo in Ruhe und Frieden lebst, es jemanden geben könnte, der Euch einfach die Vorräte wegnimmt, weil er doch noch etwas aggressiver ist. Blöd, wenn dann kein Staat da ist. Und wo hast Du mehr Möglichkeiten „auszusteigen“ als hier und heute? Mach doch einfach, wenn Du wirklich willst.

Ein früherer Lehrer von mir hat mal Vorträge vor einigen Schweizer Bürgern gehalten, die für alternative Ideen sehr offen waren. Natürlich träumten die auch vom Paradies auf Erden, dem unbeschwerten Leben in Frieden und Einklang und so. Der Vortragende ist nun aber tatsächlich in der Welt rumgekommen und sagte, es sei überhaupt kein Problem heute in so einem naturnahen Paradies zu leben, da gibt es ein paar Inseln im südasiatischen Raum, bei denen man etwa 10.000 Fränkli braucht, der Rest läuft dann, auf Wunsch würde er Näheres nachher persönlich mitteilen. Von den eben noch Entzückten, kam dann doch, komischerweise, niemand um nachzufragen.
Und offensichtlich ist der gesellschaftliche Drang dann auch nicht so groß.

Und hast Du Dich mal drum gekümmert, wie es Aussteigern aus der Stressgesellschaft dann zumeist nach kurzer Zeit geht? Komischerweise werden so gut wie alle von den alten Mustern wieder eingeholt. Aber, es gibt auch eine neue Generation von Aussteigern, die wirklich ihre Erfüllung finden. Letztens noch gesehen, vom Manager zum Biokäseproduzenten und der Typ ist völlig happy, die Frau hat mitgemacht und ist auch glücklich. Ich finde die Idee übrigens sympathisch und kann es mir für mein Leben vorstellen.

Nur, Aussteigen ist anstrengend. Und wenn die eine Hälfte nur halbherzig dabei ist, wird das kaum was. Und was machst Du mit den Spinnern, die Du im Schlepptau hast? Nicht die gut organisierten, die sagen: „So, reicht jetzt, muss jetzt anders werden“, sondern die immer schon zu kurz Gekommenen, die es dann aber auch oft nicht so damit haben, Morgens um 4:30 aufzustehen um die Kühe zu melken. Die finden zwar alles Kacke und habe die Idee zur Weltrettung immer schon in der Schublade, aber so richtig bewährt im Leben haben sie sich eigentlich kaum jemals. Chronisch schlecht gelaunt, aber mit dem Selbstgefühl ausgestattet, es rein theoretisch besser zu wissen, davon rennen doch mehr als genug Leute rum, vielleicht hört deshalb keiner hin. Einfach nur alles was man in irgendwelchen Ecken der intelligenteren und dümmeren Zivilisationskritik findet, in einen Topf zu hauen und durchzurühren ist nicht wirklich beeindruckend.
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Re: Die Gesellschaft vom Staat befreien

Beitragvon Zarathustra » Mo 11. Feb 2013, 20:13

@Vollbreit

Ach Zarathustra, das ist doch bestenfalls gut gemeint.
Klingt ein bisschen nach den Amish, in Einklang mit der Natur, bei Verzicht auf moderne Verwirrungen wie Internet – findest Du aber offenbar gar nicht so schlecht, oder? - und dergleichen.


Die Amish sind patriarchal-religiös. Was soll ich mit Deinen Schubladen anfangen?


Statistisch haben die die höchste Lebenserwartung, weil sie wirklich konsequent auf alles Verderbte verzichten, wirkt also. Aber Du willst es konsequent atheistisch, habe ich schon verstanden.
Allerdings hat man überall in expliziten Blutsgemeinschaften, schneller als einem lieb sein kann, eine Inzuchtproblematik. Folge ist eine Merkmalverstärkung, seltener zum Guten, öfter zum Schlechten.


Gehts's Dir noch gut? Hominide Bluts-Gemeinschaften sind exogam. Sie waren es ohne jede 'Inzuchtproblematik' während Jahrmillionen. Du bist wohl ein ultraorthodoxer Vertreter des Neuen Götzen, des kältesten aller kalten Ungeheuer wider die menschliche Natur.


Was das Widernatürliche angeht: Nein, gibt es nicht, was sollte denn widernatürlich sein?
Alles was vorkommt, ist natürlich, es kommt doch vor.
Konzentrationslager und Käfige sind wider die menschliche oder die schweinische Natur. Das kann doch nicht so schwer sein, oder?
Was Du mit widernatürlich meinst, ist eigentlich sowas wie pervertiert oder ungesund. Aber das Füllwort „widernatürlich“ wird zur pseudolegitimierenden Floskel für alles was einem nicht in den Kram passt: Fast-food, Homosexualität, Fernsehen, Sozialversicherungen, U-Bahnen, Kriege, Behinderte. Benutzt wird es gerne von Leuten, deren Argumente es nicht immer so ganz leicht haben, zu überzeugen: Oft ist das faschistisch und pathologisch hierarchisch konnotiert.


Klar, die Nazi-Keule darf auch hier nicht fehlen und wird in diesem Eurem Lamde bei jeder sich bietenden Gelegenheit leidenschaftlich geschwungen.

Du meinst es jetzt gerade mal anders herum, was es aber nicht besser macht.
Dass es auch eine pathologische Heterarchie gibt, wird dabei auch gerne mal übersehen: Es klingt so nett, apathisch, vorm gemeinsamen Feuer singend zu verenden und sich gegenseitig zu umarmen und zu trösten, weil doch alles so schwer, so traurig und so ungerecht ist.
Doch dass und warum die Natur zu Unrecht verherrlicht wird, hat Freud schon sehr klar durchschaut, vielleicht interessiert es Dich ja:


Die Natur wird von mir – das habe ich schon einmal explizit erwähnt – nicht verherrlicht, sondern als weniger leidvoll als die Zivilisation postuliert, und dies mittlerweile hoffentlich mit genügend Argumentation.


Ein Problem wird sein, dass, wenn Du mit Deiner Wahl- oder Großverwandtschaft irgendwo in Ruhe und Frieden lebst, es jemanden geben könnte, der Euch einfach die Vorräte wegnimmt, weil er doch noch etwas aggressiver ist.


Gegenseitige Beraubung ist erwiesenermassen eine Errungschschaft der patriarchalen Zivilisation.
Die Inuit sind noch heute weitgehend davor gefeiht.

Blöd, wenn dann kein Staat da ist.


Das ist doch ein Zirkel-Argument im Stile von: 'Blöd, wenn in einer dysfunktionalen, staatsbasierenden Wettstreit-Gesellschaft kein Staat da ist.'
Was soll ich damit anfangen?

Und wo hast Du mehr Möglichkeiten „auszusteigen“ als hier und heute? Mach doch einfach, wenn Du wirklich willst.


Habe ich Dir das nicht schon einmal erläutert? Bluts-Gemeinschaften wurden vor langer Zeit längst zerschlagen. Sie sind also nicht mehr vorhanden und auch gesetzlich verboten. Abrichtung, Zucht und Züchtigung der Nachkommen durch die Organisierte Gewalt ist obligatorisch. Der erste Schritt ist demnach logischerweise, aufzuklären, damit diese Verbote nach und nach verschwinden. Blutsgemeinschaften kann man so wenig herbeizaubern, wie man den Kollektivismus und die Organisierte Gewalt wegzaubern kann. Aufklärung ist harte Arbeit, zumal wenn ich sehe, wieviel Widerstand mir selbst in einem Atheismus-Forum widerfährt.


Und hast Du Dich mal drum gekümmert, wie es Aussteigern aus der Stressgesellschaft dann zumeist nach kurzer Zeit geht? Komischerweise werden so gut wie alle von den alten Mustern wieder eingeholt.


Kunststück, wenn die Bluts-Gemeinschaften nicht mehr vorhanden sind. Seltsame Argumente, die Du da an den Tag legst. Das ist etwa so, wie wenn Du gemästete Hausschweine (Zivilisationsschweine, Käfigschweine, KZ-Schweine) plötzlich in die Wildnis entlässt und ihnen zurufst: Nun habt Ihr Euere Freiheit!
Aber ich sehe, der eine Komplize der ewigen Komplizenschaft aus Kirche und Staat wird hier mit Klauen und Zähnen verteidigt. Sehr ernüchternd, diese Erfahrung.
Zarathustra
 
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