Nanna hat geschrieben:Was Chile angeht: Zum einen ist der Erfolg des Kapitalstocksystems der Renten, über das wir neulich geredet haben, meines Wissens in anderen Ländern nicht reproduzierbar gewesen. Vielleicht hat Chile zufällig ein historisches Fenster getroffen, in dem das System funktioniert, aber dann ist das System anscheinend weniger universal anwendbar, als du gerne hättest. Auch gibt es meines Wissens Streit unter Ökonomen, was in Chile durch welche wirtschaftspolitischen Weichenstellungen verursacht wurde.
In einer Hinsicht gebe ich dir Recht. Chile hat in mehrerlei Hinsicht einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Erstens waren Anfang der 80er die wichtigsten AKtienmärkte der Welt wahnwitzig niedrig bewertet. Zweitens war es der Beginn einer Phase rekordhoher Realrenditen im Anleihebereich am langen Ende (als die Inflation runter ging). Drittens stand das Land selbst durch diverse Reformen am Beginn eines gewaltigen Booms. Viertens konnte man im Exportbereich (Kupfer) zunehmend von der steigenden Nachfrage durch den Fall des eisernen Vorhangs profitieren.
Der wesentliche Unterschied im System ist aber ein ganz andrer. Es verbreitert die Basis. Das Problem, das unser deutsches System hat ist die Unerbittlichkeit der Demographie. Noch haben wir ziemlich wenige Alte und viele im Erwerbsleben und trotzdem weisen die System schon riesige Löcher auf. Das Problem wirkt nämlich an zwei Enden. Zum einen leidet die Wirtschaftsleistung pro Kopf (weil der Anteil der Erwerbstätigen sinkt) und gleichzeitig steigt der Anteil der zu versorgenden, d.h. es muss ein immer höherer Anteil der Wirtschaftsleistung in die Finanzierung des Konsums der Alten gesteckt werden und steht nicht mehr für Investitionen zur Verfügung.
Und aus der Falle (die in D aufgrund der demografischen Struktur fataler ist als sonstwo) kommt D auch nicht mehr raus, weil man es vor 30 Jahren verpennt hat, das System umzustellen. Man hätte die Exportüberschüsse der letzten 30 Jahre ummünzen müssen in Firmenbeteiligungen in Ländern mit positiver Demografie und stabilen Verhältnissen (z.B. USA), um dann wenn wir vergreisen, von den Dividenden von dort unseren KOnsum zu bestreiten. Das wurde allerdings nicht nur unterlassen, sondern sogar die privat initiierten Ansätze noch systematisch per Anreizsetzung durch die Steuerpolitik aktiv hintertrieben.
Nanna hat geschrieben:Ganz generell finde ich den Vorwurf an das Gleichheitsideal, dass es zu Gewaltexzessen führen würde, irreführend (weil die rechtliche Gleichheit der Menschenrechtserklärung z.B. nichts mit der Gleichheit als rassischer und ideologischer Homogenität der Nazis zu tun hat) und dann ist ja gerade Chile ein Land, in dem die Durchsetzung des Kapitalismus unter Pinochet selbst auch mit Gewaltexzessen und Grausamkeit verbunden war.
Ich zielte grad eigentlich weniger auf Hitler, sondern auf die beiden Brüder jenseits des eisernen Vorhangs ab, die MEnschen im Namen der Gleichheit buchstäblich zu Millionen verhungern ließen. Was nun die Geschichte Chiles angeht, so ist sie mir von Chilenen, die die ZEit erlebt haben etwas anders erzählt worden, als das gängigerweise so bei uns passiert. Ähnlich ging es mir auch schon einige Zeit davor mit Afghanistan und dem Irak. Und zwar jeweils von Menschen, bei denen ich wenig Anlass habe zu glauben, dass sie mich anlügen und deren poltische Gesinnung sicherlich alles andre als extrem ist. Letztlich ist aber der Versuch Menschen (abseits ihrer gesetzlichen Rechte) "gleich" machen zu wollen, im Zweifelsfall m.E. eher abzulehnen, weil der Schritt zur Entwertung des Individuums zugunsten des Kollektivs ("Du bist nichts,...") nicht weit ist.