Missionierung in deutschen Kindergärten

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon webe » Do 9. Feb 2012, 23:02

Kirchl Bildungsstätten haben deshalb auch Zulauf, weil sie oft ein Elitedenken vermitteln: Man hofft, über sie, aus einem Hänschen einen Hans zumachen.

Manche Atheisten wählen auch religiöse Parteien, schicken ihre Kids durchaus auf religiöse Bildungsstätten: Hintergrund ist, Vorteilnahme ohne Grenzen. Somit würden sie auch dem Papst die Füsse küssen.
Benutzeravatar
webe
 
Beiträge: 671
Registriert: Fr 12. Jan 2007, 22:10

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Nanna » Do 9. Feb 2012, 23:36

stine hat geschrieben:
laie hat geschrieben:Ich habe nicht gesagt, daß man ethische Werte nur in christlichen Kindergärten mitbekommt, aber eben dort auch.
Privatschulen in kirchlicher Trägerschaft erfahren derzeit einen Zulauf, wie selten zuvor. Eltern geben ihre Kinder wieder ganz bewusst in Institutionen, wo "christliche" Werte nicht nur Laber sind, sondern auch gelebt werden.

Ich schließe mich da webe an: Die Intentionen, die die Elternschaft beim derzeitigen Privatschulboom haben, sind im Kern wahrscheinlich andere, als die Hinwendung auf "christliche Werte" aus ethisch begründeter Sorge um den Charakter der betroffenen Kinder. Natürlich ist das nach außen und auch vor sich selbst ein wunderbares Feigenblatt für handfestere Beweggründe bzw. ein nettes Zuckerl, um sich die Bilanz schönzureden. Denn ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die nebulösen "christlichen Werte" der Hauptantrieb sind. Eher halte ich für wahrscheinlich, dass ökonomische, soziale und kulturelle Argumentationen bei den Eltern vorherrschen:
Ökonomische A. in dem Sinne, dass kirchliche Privatschulen häufig den Nimbus von Eliteschmieden genießen, wo die Kinder frei von "weltlichen" Ablenkungen fokussiert auf gute Noten getrimmt werden. Zusammen mit dem Eliteprestige lässt sich dann in einer als zunehmend umkämpft wahrgenommenen Arbeitswelt eher eine gute Position finden; Globalisierungspanik und Abstiegsängste sind hier ein wesentlicher Antrieb.
Soziale A. in dem Sinne, dass diese Abstiegsängste ja nicht nur ökonomische Konsequenzen zum Thema haben, sondern schlechtbezahlte Arbeit auch mit massivem Verlust an gesellschaftlichem Ansehen einhergehen würde, gerade in den bürgerlichen Mittelschichtsmilieus, die auf solche Bedrohungen besonders sensibel reagieren. Die kirchliche Bekenntnisschule soll da sicherstellen, dass aus dem Kind nicht nur eine ökonomisch erfolgreiche, sondern auch sozial vorzeigbare Persönlichkeit gemacht wird.
Kulturelle A. in dem Sinne, dass auf die rasenden Veränderungen der Post-1990er-Zeit Teile des Bürgertums mit einem demonstrativen, aber, wie ich behaupten würde, auch oberflächlichen und wenig reflektierten, Rückzug auf konservative und teils geradezu biedermeierliche Positionen geantwortet haben. Solche Tendenzen sind historisch nichts ungewöhnliches, sondern völlig erwartbar, wenn durch schnelle Veränderungen in der Außenwelt Teilen der Bevölkerung die Orientierung abhanden kommt. Der Bezug auf's Traditionelle, vermeintlich Bewährte, vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, das aus anderen Quellen, beispielsweise ökonomischer Stabilität, derzeit nicht geschöpft (=konstruiert) werden kann.

Eine traurige Folge ist dann übrigens die: Gerade weil zumindest zu einem großen Teil (vielleicht ja nichtmal ausschließlich) andere, vielleicht sogar verleugnete Motive, vorherrschen, kommen die "christlichen Werte" erst recht nicht zum Tragen, selbst wenn der ein oder andere Apologet dieser Normen völlig aufrichtig ist in seinem Vertrauen auf sie. Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, dass die großen Bigotterien der bundesrepublikanischen Geschichte, die Spiegel-, Flick- und Spendenaffäre, die Guttenbergs und Wullfs, allesamt aus paradoxerweise ebenjener Ecke kommen, wo die Leute, die im Sinne "christlicher Werte" erzogen wurden, ganz besonders zahlreich sind. Und ebenda passiert genau das, dass Eltern sich und ihren Kindern eins vorlügen, indem sie ihre eigennützigen Motive mit christlicher Ethik verbrämen anstatt sich aufrichtiger zu den handfesteren Beweggründen zu bekennen. Wer so erzogen wurde, kann ja dann auch gar nichts mehr falsch machen können - er ist schließlich "christlich erzogen", das hilft gegen alles.

Der Grund, warum ich da etwas ranzig reagiere, liegt übrigens unter anderem daran, dass ich nicht weit von einer katholischen Schule entfernt gewohnt habe und außerdem Leute gut kenne, die ihre Kinder auf ein (anderes) katholisches Internat geschickt haben. Egal, mit wem an Eltern und Bekenntnisschülern ich geredet habe, immer war es dasselbe: Erst wurden die ganzen technischen Vorteile einer solchen Prestigeschule erläutert und dann wurde, häufig mit so einem ertappten Gesichtsausdruck, nachgeliefert, dass ja übrigens auch die christlichen Werte, die da gelehrt würden, ganz ganz toll wären. Besser verhalten als die Schüler anderer Schulen hat sich da im Endeffekt aber komischerweise auch keine(r).
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Myron » Fr 10. Feb 2012, 00:13

"Die wichtigsten institutionellen Orte christlicher Elementarbildung sind die kirchlichen Kindertagesstätten. … In kirchlichen Kindertagesstätten dagegen finden sich regelmäßig ungetaufte Kinder, Kinder aus anderen Religionen oder auch aus dezidiert säkularen Familien. Das heißt mindestens zweierlei: Erstens bieten sich missionarische Chancen für die christlichen Kindertagesstätten. Indem sie ungetauften Kindern inspirierende Erlebnisse mit dem Bildungsmaterial des christlichen Glaubens ermöglichen, laden sie auf menschenfreundliche und unaufdringliche Weise zum Glauben an Jesus Christus ein."

(Wolfgang Huber, Ex-Ratsvorsitzender der EKD: Zur Bedeutung religiöser Bildung in der frühen Kindheit - Vortrag an der Evangelischen Fachhochschule Bochum, 28.01.2009)

"Christliche Elementarbildung" – was für ein Euphemismus für "Christliche Kinderindoktrination"! :nosmile:
Das erklärte Ziel ist also nicht nur die ideologische Beeinflussung und Lenkung des Denkens von Kindern religiöser Eltern, sondern insbesondere auch von Kindern nichtreligiöser, atheistischer Eltern. Diese sollen ungeachtet des gegensätzlichen Elternwillens auf mehr oder weniger subtile Weise ebenfalls zu gläubigen Theisten erzogen werden. Dessen müssen sich alle atheistischen Eltern bewusst sein, die ihre Kinder in einen konfessionellen Kindergarten schicken!
Besonders pervers ist, dass die beiden Großkirchen in ihren Kindertagesstätten ein ideologisches Monopol beanspruchen, obwohl sie diese nur zu 10-20% selbst finanzieren (*. Den großen Rest steuern die Steuerzahler bei (2008 waren das fast 4 Mrd. Euro) – alle Steuerzahler, die Atheisten darunter eingeschlossen!

(* In Hamburg beträgt der kirchliche Eigenbeitrag zur Finanzierung der konfessionellen Kitas seit 2010 sage und schreibe 0%! Quelle: Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen)
Benutzeravatar
Myron
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 4808
Registriert: So 1. Jul 2007, 17:04

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 10. Feb 2012, 10:35

laie hat geschrieben:Ach. Ich möchte auch noch einmal so unbedarft sein. Toll. Eine durchdachte Handlung, die nicht auf Präferenzen und damit auf Wertvorstellungen beruht? Verstehe ich nicht. Du verstehst mein Bedürfnis nicht, daß man mir sage, was ich tun solle und sagst mir selbst eine Zeile zuvor: "Freu dich!"?

Du hast ja für dich den Sinn des Lebens schon gefunden, im Sinne einer Forderung, einer Handlungsmaxime, die du an dich stellst: "Ich soll tun, was ich will". Oder auch: "Ich bin dazu da, das zu tun, was ich will." Kann man so für sich entscheiden, muss man aber nicht. Und ehrlich gesagt ist das auch ziemlich dürftig. Im Kindergarten würden die Kinder lernen: "Wir sind auf der Welt, um das zu tun, was wir wollen." Und wenn sich zwei Willen beißen, dann setzt sich der egoistischere der beiden "Willensträger" durch. Aus welchem Grund sollte ich wollen, daß mein Kind solche "Werte" lernt?

Ich soll gar nichts, ich habe meinen Willen, ich will, was ich tue. Du musst dich nicht freuen, ich habe nicht geschrieben, dass du es sollst, du kannst es auch lassen. Eine solche Einstellung ist wesentlich besser, als einem "das Gute" beibringen zu wollen, was quasi ein Freifahrtschein für das grausamste sein kann (und oft war). Einem Kind soetwas beizubringen würde sich nur lohnen, wenn man ihm erklärt, dass sich der Wille aus Motiven zusammensetzt:"Ja, jetzt nervt er dich und du möchtest ihn beißen, aber du willst auch keinen Ärger kriegen, oder selbst gebissen werden." Um mit dieser Freiheit umgehen zu können, muss man erstmal verstehen, was man auch wirklich will. Das würde Kindergärtnerinnen dazu zwingen, den Kindern auch logisches, weitsichtiges Denken beizubringen. Sie würden dann lernen, dass sie es nicht wollen, dass sich alle gegenseitig beißen, danach würden sie Ärger bekommen. Wenn dann ein Kind fragen sollte:"Warum wollt ihr, dass wir Ärger bekommen?", Würde ich sagen:"Das ist nicht mein primäres Ziel, nur, wenn du nicht weißt, wie du mit deiner Freiheit umgehen solltest, es für dich am vorteilhaftesten ist. Am meisten Spaß wirst du haben, wenn du einfach nur spielst, lernst, zu reden. Dann wirst du auch nicht Gefahr laufen, selbst gebissen zu werden, die anderen werden lieber mit dir spielen wollen."
Ist doch ganz schlüssig!
Benutzeravatar
Darth Nefarius
 
Beiträge: 2625
Registriert: Di 22. Nov 2011, 16:23

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon stine » Fr 10. Feb 2012, 14:32

Nanna hat geschrieben:Besser verhalten als die Schüler anderer Schulen hat sich da im Endeffekt aber komischerweise auch keine(r).
Komischerweise habe ich das ganz anders erlebt. Nachdem ich zwei humanistische Schulen jeweils über drei Jahre hinweg kennengelernt habe, bin ich froh, für meine Kinder noch Alternativen in konservativen Schulen gefunden zu haben. Dass Lernen uncool ist und der Bessere per se ein Streber sein muss den man quälen darf, war leider in Schulen ohne Bekenntnis gang und gäbe.
Durchsetzen konnten sich die Lehrer an keiner von beiden Schulen, sie waren mehr oder weniger Statisten an der Front.
Wie gesagt NUR eine persönliche Erfahrung.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Nanna » Fr 10. Feb 2012, 15:09

Ich habe wiederum gegenüber eine humanistischen Schule gewohnt, die neben der Bekenntnisschule bei vielen als beste der Stadt galt. Mir geht es aber nicht darum, humanistische Schulen als besser darzustellen, sondern nur darzulegen, dass a) die Motive der Eltern, ihre Kinder auf Bekenntnisschulen zu schicken, bei weitem nicht so idealistisch sind, wie du das weiter oben impliziert hast (oder zuminest, wie ich meine, dass du es impliziert hast) und dass b) nicht nur, aber auch deshalb, der gewünschte Effekt gar nicht eintritt. Du schreibst hier ja selbst aus freien Stücken, dass das Leistungsethos der Bekenntnisschule eine Rolle gespielt hat. Das finde ich auch völlig in Ordnung, nur soll das dann auch offen zugegeben werden und nicht so hingedreht werden, als wären es immer die idealistischen Vorstellungen christlicher Lebensweise, die da im Vordergrund stünden (wobei ich dich mittlerweile gut genug zu kennen glaube, dass ich es DIR vielleicht sogar abnehmen würde). Ich habe meine Zweifel, dass die Eltern von Bekenntnisschülern unter'm Strich besonders begeistert wären, wenn die Kinder mit 18 verkünden würden, dass sie sich in ein abgelegenes Kloster zurückziehen oder im Jemen auf christliche Mission gehen würden. Wenn's nämlich ans Eingemachte der christlichen Werte geht, die über oberflächliche Kritik an der Konsumgesellschaft, deren Unterstützer man 95% der Zeit selber ist, sind christliche Maximen ganz schnell im Keller der Popularität. Aber als Ornamentik macht es sich natürlich gut; und wenn's blöd läuft, haben bigotte Lehrer das Kind nur mittelmäßig erzogen, ihm aber eingeimpft, dass es qua seiner christlichen Ausbildung moralische Überlegenheit in sich trägt. Das ist eine gute Grundlage für Selbstverkennung guttenbergscher Art.

Das alles ist ein bisschen wie bei der Erstkommunion, die ich in einem sehr katholischen Dorf hatte, wo monatelang dieses Ereignis DAS Thema war, es aber dann letztlich vor allem um die Einhaltung sozialer Konventionen ging (das macht man so, das ist Tradition, was anderes ist für viele auch gar nicht denkbar) und darum, wer welche und wieviele Geschenke bekommen hat. Um den Inhalt ging es, so war mein Eindruck, außer ein paar wenigen Erwachsenen und dem sichtlich bemühten Pfarrer, die Kinder irgendwie da abzuholen, wo sie waren (nämlich zwischen der Erwartung von Aufmerksamkeit und Spielekonsolen), niemandem, schon gar nicht primär. Ich habe dieses Verhalten häufig in solchen traditionalchristlichen Milieus erlebt. In den freikirchlich-evangelikalen Kreisen, wo ich als Kind auch war, war es anders, da stand tatsächlich der Inhalt im Mittelpunkt, allerdings natürlich in der selektiven und abgeschlossenen Weise fundamentalistischer Bibelauslegung. Letztlich sind beide Arten von "Wertvermittlung" für die Kinder nicht gut, weil bei beiden auf höhere Autoritäten (Gott, Bibel, Tradition) abgehoben wird, der Inhalt an sich aber nicht übermäßig hinterfragt oder nachvollziehbar(er) begründet wird, so dass die Kinder Dinge nur tun "weil man's halt so macht", sondern bewusst und aus begründeter Entscheidung heraus, weil sie ethisch "gut" leben wollen.
Ich finde, dass ab einem gewissen Alter einem Kind mehr geboten werden muss als "Das macht man (nicht) so", soziale Konventionen müssen begründet werden. Natürlich kann man einem Dreijährigen nicht mit abstrakten Theorien über Gesellschaftsverträge kommen, aber auch da gibt es bessere, ideologiefreiere Methoden, "Werte" zu vermitteln, z.B. das Fördern empathischen Verhaltens. Man muss das nicht mit dieser Ornamentik verbrämen, die ich weiter oben kritisiert habe, es reicht, den Kindern einfach Anstand um des guten Miteinanders willen beizubringen. Dafür muss man natürlich auch Überzeugungstäter sein, schon klar. Wahrscheinlich vermuten die Eltern, denen es wirklich um ethische Persönlichkeitsbildung geht, mehr dieser Überzeugten an christlichen Schulen. Ich glaube nur, dass trotzdem auf einem ganz anderen Blatt steht, wie menschlich die Kinder hinterher geprägt sind. Gute Pädagogik erkennt man selten am Label, das außen auf der Schule draufpappt, egal ob christlich, humanistisch oder staatlich. Ich persönlich würde mir die einzelne Schule sehr gut ansehen und möglichst wenig drauf geben, auf welches Leitbild man sich nach außen hin in irgendeiner Hochglanzbroschüre beruft.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon fritz-ferdinand » Fr 10. Feb 2012, 16:08

laie hat geschrieben: Mein Punkt ist, daß man sich nicht allzusehr in seinen Ideologien verbeissen sollte. Es ist ja ganz schön, daß wir so viel über die Natur wissen und vielleicht eines Tages noch viel mehr wissen. Der eine oder andere mag sich an dieser Vorstellung erwärmen. Ok. (Empirische) Theorien sind im Kern Algorithmen, die man rational verstehen kann. Jetzt hat man sie verstanden. Und was nun? Was soll ich tun? Da ist keiner, der mir das sagen kann, das hat die Aufklärung gezeigt. Was soll ich tun? ( 8.Feb 2012 )


Diese Bemerkung will ich jetzt einfach mal zum Anlaß nehmen für einige meiner grundsätzlichen Überlegungen.

Ethik ist nicht nur nach unserem Verständnis etwas rein Menschliches, Individuelles und vom gesellschaftlichen Umfeld abhängig. Absolute und unveränderliche Ethik gibt es so nicht (das wäre das berüchtigte "Naturrecht", das der Papst im Bundestag propagiert hat, also eine Eigenschaft der Natur wie etwa die Gravitationskonstante). Ethik hängt sogar von der Biologie ab, man bedenke, wie die Menschenrechte aussähen, wenn eine Frau im Jahr einige hunderttausend von Nachkommen bekäme (wie manche Muscheln) oder, im anderen Extrem, zwei oder höchstens drei Kinder in ihrem ganzen Leben bekommen könnte. Oder die Männer absolute Einzelgänger wären (wie Elche? oder war es ein Rotwild?) und nur zur Paarung und nur einen rein zielgerichteten Kontakt zu Frauen aushalten könnten. Aber ich schweife ab.

Trägt jeder Mensch seine eigene Ethik in sich, kann er, falls es ihn denn danach drängt, diese auch aus sich herauslocken, d.h. in gedankliche Form abbilden. Üblicherweise läuft das so, dass man sich mit irgendwelchen Begründungen irgendwelche Prinzipien überlegt, die als mehr oder minder gemeingültig erklärt werden. Wogegen nun andere Leute andere Prinzipien mit anderen Begründungen setzen. Die Methode ist immer, sich im geistigen Kämmerlein im Voraus Prinzipien auszudenken, nach denen sich später seine Handlungen richten sollen, und dann zu versuchen, sich an diese Prinzipien zu halten.

Es geht aber auch anders herum, nämlich durch Beobachten und Schlußfolgern, wie man das bei den sogenannten Naturgesetzen macht, die man eigentlich Naturmechanismen nennen könnte. Ein in der Praxis nicht erprobtes gedankliches Modell ist folgendes:

Man schreibt sich über einen längeren Zeitraum auf, wie man in bestimmten, sozusagen ethisch relevanten Situationen gehandelt hat, oder wie andere gehandelt haben. Dann kennzeichnet man die Handlungen als "gut", als "böse", als "ich weiß nicht" oder als "interessiert mich nicht".

Die Notizen kann man in Gebiete ordnen (z.B. Lüge, selbstlos, Betrug, mutig, oder was auch immer). Es werden sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten ergeben; kleines Beispiel: "in der und der Situation finde ich eine Notlüge ok" "bei dem und dem Auslöser reagiere ich immer aggressiv und danach tut es mir leid" oder "den und den Diktator hätte ich auch abgeknallt".

Es ergibt sich dann ein Bild, nach welchen ethischen Mustern man SELBER und FAKTISCH handelt, und wie man sie bewertet. Und zwar möglichst ohne in political correctness gegründeten Denkverboten. Danach kann man sich dann (logischerweise sehr praxisorientierte) Prinzipien herausdestillieren und z.B. herausfinden, bei welchen man noch Defizite empfindet, die man aufarbeiten möchte.

Der schwierigere Teil ist aber jetzt, sich mit diesem System in den Austausch mit seinen Leuten zu begeben, und zu gucken, wo man gleich tickt und wo die krassesten Differenzen sind. Zusammen gilt es nun herauszufinden, in welchen Punkten man zu einem Konsens kommen muss ("Schulden bezahlen") und bei welchen nicht ("Promiskuität"). Bei den konsensbedürftigen muss man einen solchen erreichen, also eine political correctness aufstellen. aber das ist jetzt nicht mein Thema.

Ein Ergebnis einer solchen Konsensfindung sind z.B. die Menschenrechte.

------------------------

Wer sich aber NICHT so viele Gedanken um seine Lebensprinzipien machen will, handelt halt einfach aus dem Bauch heraus, oder nach bestimmten Vorbildern, oder nachdem er sich wie hier mit vielen Leuten über ein bestimmtes Thema unterhalten hat. Da kommt meist auch etwas Gescheites dabei heraus.
fritz-ferdinand
 
Beiträge: 62
Registriert: Mo 17. Aug 2009, 13:34
Wohnort: Pfalz

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Nanna » Fr 10. Feb 2012, 16:26

Zu diesem Zitat eine kurze Anmerkung oder Ergänzung:
laie hat geschrieben:Und was nun? Was soll ich tun? Da ist keiner, der mir das sagen kann, das hat die Aufklärung gezeigt. Was soll ich tun?

Es gibt jede Menge ethischer Überlegungen, die mehr oder weniger gut begründet sind. Diskursethik finde ich zumindest vom Ansatz her ganz interessant, also zu versuchen, sich zusammen auf Regeln für das Miteinander zu einigen. Auch der Schleier des Nichtwissens von John Rawls ist eine ganz hilfreiche Technik, auf bestimmte normative Fragen Antworten zu finden (der Schleier des Nichtwissens ist ein hypothetischer Zustand, in dem alle Individuen Regeln für das Miteinander beratschlagen, ohne zu wissen, wo sie hinterher in der Gesellschaftsordnung stehen werden; dadurch wird Regeln der Vorzug gegeben, bei denen keiner katastrophal schlecht weggkommt oder jemand unfaire Vorteile genießt).

Zentral für diesen Thread hier sollte aber doch viel mehr die Frage sein: Wenn wir vor der Frage "Was soll ich tun?" stehen, warum sollen wir dann ausgerechnet ein altes Buch hernehmen, um darauf Antworten zu finden? Was macht die "christlichen Werte" denn so überlegen, dass man sie unbedingt in Kindergärten verbreiten sollte? Ihre ethische Reinheit... also ne, wirklich nicht. Ihre Rückführung auf geoffenbarte Texte? Gehaltlos, wie du selber zugegeben hast.

Müssen wir halt unser Hirn anstrengen. Als hätten wir nicht genug wissenschaftlich fundierte Kompetenzen in den Bereichen von Pädagogik, Psychologie und Gesellschaftswissenschaften gesammelt, als dass wir es nicht hinkriegen könnten, weltanschaulich neutrale Kindergärten zu betreiben, die außer einem fairen, respektvollen Miteinander überhaupt keine "Werte" antrainieren.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon laie » Fr 10. Feb 2012, 16:36

@Darth Nefarius

Es tut mir leid, aber man wird den Eindruck nicht los, daß du schlicht nicht weißt, wovon du redest. Daher kannst du auch von "durchdachten Handlungen" reden, die ohne Wertvorstellungen (und damit ohne Sollen) ausgekommen.

Es gibt einmal ein heteronomes, äußeres Sollen, das an uns von außen herangetragen wird (durch Gesetze oder Religion oder sonstige Authoritäten). Ich diskutiere jetzt nicht weiter, inwieweit es jemandem frei steht, solchen, von außen kommenden Imperativen den Gehorsam zu verweigern. Klar ist indes, daß ein von außen herangetragenes Sollen nicht die Grundlage ethischen Handelns sein kann. Dazu unten mehr. Daher kann Ethik weder aus göttlichen Geboten noch aus menschlichen Gesetzgebungen allein abgeleitet werden.

Auf der anderen Seite gibt es das autonome, innere Sollen, das wir uns selbst auferlegen. Das mag für dich prima facie überraschend klingen, aber daß wir dies tun, ist vielleicht weniger überraschend, wenn man den Begriff des Sollens zunächst mit dem des Zweckes oder Zieles näher bestimmt. Wenn ich frage: "Wozu ist der Schalter dort?" ist das gleichbedeutend mit der Frage "Was soll der Schalter dort?". Antwort (z.B.): "Damit kann die Lampe auf dem Tisch anmachen".

Auch dein Satz "Ich will, was ich tue", legt ein Ziel fest, nämlich eben das, worauf das Wollen gerichtet ist, hier ausgedrückt durch den Relativsatz "...,was ich tue". Bei diesem Satz handelt es sich streng genommen um einen versteckten Allsatz, ähnlich wie bei dem Satz "Der Wal ist ein Säugetier". Es ist nämlich klar, daß Du der Meinung bist, stets das zu tun, was du willst, so daß gilt: "Ich will immer, was ich tue".

Einschub: Tatsächlich? Alles was du tust, mit allen seinen Konsequenzen, willst du auch? Wow!

Wenn wir uns also fragen, was dein Ziel oder Zweck ist, dann können wir jetzt darauf antworten: "Alles zu wollen, was der Darth Nefarius tut". Dieser Satz drückt deine persönliche Handlungsmaxime aus: "Wolle stets, was du tust" oder eben "Man soll wollen, was man tut". So hat jeder Mensch seine eigene, autonome Handlungsmaxime. Wichtig ist nicht, daß wir verschiedene Handlungsmaximen haben können.

@Nanna: Deshalb bin ich überhaupt nicht gegen eine pluralistisch Annährung an das Thema "Was soll ich tun?", auch wenn ich hier gelegentlich den advocatus diaboli gebe. Nur sollten wir uns nicht dagegen stellen, daß wir alle, wie wir hier sind, Werte und Handlungsmaximen mit uns herumführen.

Der nächste Punkt:

Darth Nefarius hat geschrieben:Einem Kind soetwas* beizubringen würde sich nur lohnen, wenn man ihm erklärt, dass sich der Wille aus Motiven zusammensetzt:"Ja, jetzt nervt er dich und du möchtest ihn beißen, aber du willst auch keinen Ärger kriegen, oder selbst gebissen werden."
* gemeint ist "das Gute".

Offenbar vermutest Du völlig richtig ein Problem an dieser Stelle: die Ableitung einer Handlungsmaxime aus den Folgen (hier: "Ärger kriegen, oder selbst gebissen werden") einer Handlung (hier: "jemanden beissen wollen"). Leider verpasst du es, zu sagen, warum eine solche Ableitung prinzipiell nicht möglich ist: Weil man nämlich in so einem Fall zurückfragen kann: "Und warum sollte ich nicht gebissen werden wollen?"

Das kann ich auch antworten, wenn jemand mir sagt: "Wenn du nicht so und so machst, dann kommst du in die Hölle!" Warum sollte ich nicht in die Hölle wollen? Oder: "Wenn du so und so machst, dann bleiben alle dumm und lernen keine Evolutionstheorie!" Und warum sollte ich nicht wollen, daß alle dumm bleiben?

Ich hatte meine Ausführungen mit dem Wort "Offenbar" eingeschränkt. Denn tatsächlich findet sich nichts von alledem in deinen Ausführungen, sondern nur die Handlungsmaxime "Tu, was dir Spass macht, aber wenn du mit deiner Freiheit nicht umgehen kannst, kriegst du Ärger":

Darth Nefarius hat geschrieben:Am meisten Spaß wirst du haben, wenn du einfach nur spielst, lernst, zu reden. Dann wirst du auch nicht Gefahr laufen, selbst gebissen zu werden, die anderen werden lieber mit dir spielen wollen.


so daß ich ernsthaft bezweifele, ob du diese Schwierigkeit überhaupt erkannt hast.

Nanna hat geschrieben: ... weltanschaulich neutrale Kindergärten zu betreiben, die außer einem fairen, respektvollen Miteinander überhaupt keine "Werte" antrainieren.


Warum sollte ich dies wollen? :devil:

P.S.

Zum Abschluss noch ein paar unzusammenhängende Bemerkungen

Nanna hat geschrieben:das berüchtigte "Naturrecht"
Ich dachte, die Menschenrechte selbst beruhen zu einem großen Teil auf eben dieser Rechtsvorstellung. Nein?

Zappa hat geschrieben:Ein in der Praxis nicht erprobtes gedankliches Modell ist folgendes:

Man schreibt sich über einen längeren Zeitraum auf, wie man in bestimmten, sozusagen ethisch relevanten Situationen gehandelt hat, oder wie andere gehandelt haben. Dann kennzeichnet man die Handlungen als "gut", als "böse", als "ich weiß nicht" oder als "interessiert mich nicht".


Doch, so etwas gibt es, bereits seit über 400 Jahren, mitten in der Katholischen Kirche, und zwar in den "Geistlichen Übungen" des Ignatius de Loyola. Darin wird der Exerzitant angehalten, genau das zu tun.
Zuletzt geändert von Nanna am Fr 10. Feb 2012, 22:12, insgesamt 4-mal geändert.
Grund: Falschen Zitaturheber korrigiert
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Zappa » Fr 10. Feb 2012, 16:48

Nanna hat geschrieben: Es gibt jede Menge ethischer Überlegungen, die mehr oder weniger gut begründet sind. Diskursethik finde ich zumindest vom Ansatz her ganz interessant, also zu versuchen, sich zusammen auf Regeln für das Miteinander zu einigen. Auch der Schleier des Nichtwissens von John Rawls ist eine ganz hilfreiche Technik, auf bestimmte normative Fragen Antworten zu finden ...


Dem stimme ich zu, wobei Rawls ja auch eine Art Diskursethik darstellt. Meine Überlegungen gehen wie folgt:

  • Es gibt evolutionär erworbene "innere Werte", die sich unter normalen Umständen auch in kooperativem Handeln äußern. Diese Anlagen funktionieren quasi wie Emotionen, da wird nicht groß drüber nachgedacht. Viele Handlungen werden spontan durchgeführt und manchmal versucht man die nachträglich zu zu begründen (dafür gibt es sogar experimentelle Daten).
  • Absolute von außen vorgegebene Werte existieren für mich natürlich nicht, die haben auch den Nachteil nicht verhandelbar zu sein, was in logische Widersprüchlichkeiten führen kann. Darüber hinaus neigen Menschen, die Ihre Werte absolut gesetzt denken und nicht bereit sind darüber zu verhandeln zu rigiden Verhaltensmustern, die teilweise genaus das Gegenteil von dem bewirken, was die meisten als "gut" ansehen würden. Eine Ethik, die auf eine solche Annahmen beruht, ist also sogar eine schlechte. Religion "vergiftet" auch Moral und Werte.
  • Aufbauend darauf, wird ständig über Moral und Werte diskutiert. Das alleine zeigt doch schon, wie relativ und kulturell geprägt unsere Wertvorstellungen sind und das ist auch gut so. D.h. wir haben empirisch meiner Meinung nach eine Diskursethik, die sich auf moralischen Anlagen stützt.
  • Natürlich ist immer umstritten, anhand welcher Kriterien ein solcher Diskurs laufen soll, d.h. woran Moralvorstellungen gemessen werden sollen. Mal ist es der größte Nutzen für Alle, mal wird dann klar gestellt, dass das nicht immer funktionieren kann, weil grundlegende Werte verletzt werden, was fast alle "böse" finden, mal werden Gedankenmodelle entworfen wo alle möglichst gleichberechtigt von einem Naturzustand ausgehend Regeln für alle entwerfen sollen.
  • Auf ein paar Regeln wird man sich aber einigen können: Alle sollen Gehör finden, es gibt keine Dogmen und absolute Werte außer denen auf die sich die überwiegende Mehrheit leicht einigen kann (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit), der Diskurs ist unendlich d.h. er wird nicht nach Belieben von der Mehrheit irgendwann für beendet erklärt und die Regeln sind weitestgehend verhandelbar.
Benutzeravatar
Zappa
 
Beiträge: 1416
Registriert: Mi 29. Jul 2009, 19:20

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon stine » Fr 10. Feb 2012, 19:00

fritz-ferdinand hat geschrieben:Trägt jeder Mensch seine eigene Ethik in sich, kann er, falls es ihn denn danach drängt, diese auch aus sich herauslocken, d.h. in gedankliche Form abbilden.
Die "eigene Ethik" halte ich für ein Gerücht. Alles was man herauslockt sind Kindheit und Erziehung. Viele sind geworden, was sie haben werden sollen. Das Einbetten in eine gesellschaftliche Gruppe gebietet zusätzlich, dass man sich an bestimmte ethische Regeln hält, die man auch für richtig empfindet, sofern man sich in der Gruppe wohlfühlt. Dass das je nach Gruppenzugehörigkeit aber sehr, sehr different sein kann, erklärt sich von selbst.

Zappa hat geschrieben:Es gibt evolutionär erworbene "innere Werte", die sich unter normalen Umständen auch in kooperativem Handeln äußern. Diese Anlagen funktionieren quasi wie Emotionen, da wird nicht groß drüber nachgedacht.
Die gibt es vielleicht, ich würde aber behaupten, dass sie der Erziehung zum Opfer fallen.
Um auf den Thread-Titel nochmal zu kommen, das Missionieren im Sinne von ich mach mir einen kleinen bibeltreuen Christen, das ist sicher nicht das Problem, das Problem, sofern es überhaupt eins ist, ist ja ganz genau, dass christliche Einrichtungen "Werte" vermitteln wollen, die sie für gesellschaftliche Werte halten und von denen sie überzeugt sind.
Um mal ein ganz konkretes, jedoch banales Beispiel zu nennen, das mir in diesem Zusammenhang jedoch sehr wichtig erscheint: In keiner humanistischen Schule habe ich erlebt, dass das einzelne Kind wichtig genommen wurde. In konservativen Bekenntnisschulen ist schon der Eintritt in die Klasse nach dem Motto gestaltet worden: Wir freuen uns, dich zu sehen!
Ja klar, kann man sagen, das machen die so, weil sie dich einfangen wollen. Aber was ist, wenn diese Art und Weise das Kind besser auffängt, es besser lernt, es die "Werte" als seine Werte betrachtet?
Deshalb muss es ja lange noch nicht Pater oder Ordensschwester werden. Es ist der Umgang miteinander, der offensichtlich ein anderer ist und es ist der Respekt vor dem einzelnen.

Zappa hat geschrieben:Absolute von außen vorgegebene Werte existieren für mich natürlich nicht, die haben auch den Nachteil nicht verhandelbar zu sein, was in logische Widersprüchlichkeiten führen kann.
Die logischen Widersprüchlichkeiten wären dann die Widersprüche zu den evolutionären, inneren Werten?
Nochmal ein Beispiel, das an dieser Stelle vielleicht passt. Einer der christlichen Werte ist mit Sicherheit das Sakrament der Ehe und Familie. Ein evolutionärer Wert wäre die Fittnes und Anzahl der Nachkommen. Das ist (meistens :mg: ) ein Widerspruch per se.
Viele Alleinerziehende beweisen, dass dem evolutionärem Wert heute schon viel öfter nachgegeben wird, als noch früher, wo Scheidung ein gesellschaftliches No Go gewesen ist. Ja klar, ich hör den Aufschrei - es war NUR die Abhängigkeit der Frauen, darum haben sie bei dem Despoten so lange ausgehalten! Nein, das war es nicht alleine. Auch die Verantwortung der Männer gegenüber der Familie hatte noch einen höheren Stellenwert und die eigene Fittnes konnte auch mal in der Hose bleiben.

Ich will damit sagen, statt "die Werte" immer pauschal zu verurteilen, lasst uns mal die Werte genauer unter die Lupe nehmen und feststellen, welche davon überhaupt nicht in ein humanistisches Weltbild passen - und welche vielleicht noch dem naturalistischen Weltbild entsprechen. Die ordentliche Versorgung des eigenen Nachwuchses jedenfalls sollte beim Naturalismus noch dazugehören - kann jedoch beim Humanismus schon wieder die Einschränkung der persönlichen Freiheit des Verantwortlichen bedeuten.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Zappa » Fr 10. Feb 2012, 20:49

Die logischen Widersprüchlichkeiten entstehen, wenn ich versuche einzelne Werte absolut zu setzen; dafür ist die Lebenswirklichkeit zu komplex. "Leben" als absoluter Wert? Darf ich dann einen lebensbedrohlichen Infekt eines Kindes antibiotisch behandeln? "Ehrlichkeit" als absoluten Wert? Muss ich dann den wohlmeinenden Freiheitskämpfer an die Folterer des Regimes ausliefern, wen ich nach dessen Versteck gefragt werde?

Nein @stine, es gibt keine absoluten Werte und Tugenden, das sind nur Leitlinien. Entscheidend ist im Fall der gute Wille und der gesunde Menschenverstand. Abgesehen davon haben Werte natürlich eine Leitfunktion. Davon abgesehen halte ich es eher mit Leibnitz als mit Sartre: Der Wille zählt und nicht nur das Ergebnis.

Zum Sakrament der Ehe: Es gibt lebenslange monogame Beziehungen schon bei den Reptilien, da müsse sich monotheistisch angehauchten Hominiden nun wirklich nichts drauf einbilden :mg:
Benutzeravatar
Zappa
 
Beiträge: 1416
Registriert: Mi 29. Jul 2009, 19:20

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Lumen » Fr 10. Feb 2012, 21:36

Ich habe nach wie vor arge Probleme mit den Begriffspaaren "christlichen Werte" oder auch "christliche Nächstenliebe". Während ich einsehen kann, dass es bestimmte Ideale natürlich auch innerhalb der christlichen Religion gibt, und diese angestrebbar sein könnten, kann ich sie (1) nicht in tatsächlicher Form erkennen und (2) nicht einsehen, wie es sein kann, dass quasi "gutes Benehmen" ohne konkrete Belege religiöser Motivation fast automatisch ebendiesen angeblichen "christlichen Werten" zugeschrieben wird.

Im (1) Fall ist es bedingt durch die Geschichte schon ein starkes Stück, wie vor allem in Deutschland, dem Kernland der brutalsten und widerwärtigsten Form der katholischen Ausbeutung, dem Kernland der protestantischen Reformation, einem Kernland der christlichen Religionskriege, dem Kernland der Hexenverfolgungen, dem Kernland der religiös motivierten Dämonisierung der Juden allen Ernstes von "christlichen Werten" gesprochen werden kann—das ist derartig grotesk, dass ich mir das nur durch Pagageien erklären kann, die diese Begriffe unreflektiert weitertragen und die in Wahrheit auf inter-religiöse Wunschvorstellungen rekurrieren. Ich fordere dazu auf, diese Begriffe zu hinterfragen, da sie auch eine moralische Überlegenheit von Christen (was eigentlich absolut grotesk ist!) suggerieren.

Fall (2) liegt offenbar an dualistischen religiösen Vorstellungen, die es ermöglichen, Ereignisse selektiv jeweils in "gute Kategorie" und "schlechte Kategorie" einzuordnen. In gleicher Manier, wie sich manche Menschen erdreisten die Bibel als moralische Quelle heranzuziehen, indem einfach eben vage passende Aussagen zitiert werden (und das Grauen meisterhaft unter den Tisch gekehrt wird), so werden auch Handlungen einfach als christlich deklariert, wenn es möglich erscheint.

Dies sind Beispiele für einen Kampf um Interpretationshoheit, den die Christen (und ihre Papageien, wie z.B. Kurbjuweit vom Spiegel) noch für sich entscheiden, solange keiner widerspricht und mit derlei Begriffen nicht sorgfältiger umgegangen wird.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Nanna » Fr 10. Feb 2012, 23:04

laie hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:das berüchtigte "Naturrecht"
Ich dachte, die Menschenrechte selbst beruhen zu einem großen Teil auf eben dieser Rechtsvorstellung. Nein?

Naja, was heißt "beruhen auf"? Natürlich werden sie gemeinhin so begründet, das heißt aber nicht, dass sie nicht auch anders begründet werden können. Ich persönlich würde es bevorzugen, sich im Rahmen eines Diskurses auf diese Rechte zu einigen. Das Naturrecht hat ja nun durchaus Konsistenzprobleme bei einer schlüssigen Begründung. Man darf dabei die Entstehungsgeschichte der Menschenrechtsidee nicht außer Acht lassen: Wie viele moderne Entwicklungen haben die Menschenrechte ihre historische Wurzel im Westfälischen Frieden, der eine Reaktion auf den völlig durchgeknallten dreißigjährigen Religionskrieg war. Die Lehre daraus waren die ersten Ideen in Richtung Religionsfreiheit und Nichteinmischungsprinzip in innere Angelegenheiten zwischen den Ländern. Nächste Station waren dann die amerikanische Unabhängigkeit und die französische Revolution, die sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, Woodrows Selbstbestimmungsrecht der Völker und schließlich die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Das Naturrecht, mit der vieles in dieser Melange begründet wird, hat seine Wurzeln eben auch in der Gedankenwelt des letzten Jahrtausends, wo theistische Begründungen einfach alles überlagern. In meinen Augen ist das Naturrecht ein Durchgangsstadium, bei dem versucht wird, eine theistische Herleitung zu säkularisieren. Ich bin nicht dagegen, dass das so gehandhabt wird, schließlich scheinen "Menschen wie du" (ich meine jetzt den advocatus diaboli in dir ;-)), die irgendwie Sehnsucht nach transzendenten Autoritäten haben, das irgendwie zu brauchen. Wenn die Naturrechtsidee hilft, für religiöse Menschen Anschluss an eine säkulare, universalistische Norm wie die Menschenrechte zu halten, dann soll sie von mir aus in der Welt bleiben. Aber wenn wir alle mal soweit sind, dass wir uns, wie du schreibst, "pluralistisch" an die Sollens-Frage annähern können, und ich denke, zumindest in Europa sind wir schonmal auf einem guten Weg dahin, dann sollten dem Diskurs und der Deliberation der Vorrang gegeben werden, die bieten einfach mehr Stringenz und Legitimität, ohne dass man sich in irgendwelchen Metaphysikereien verstricken muss. Ich glaube, viele Menschen auf der Welt wären schon heute willens und fähig, der Idee der Menschenrechte aus freien Stücken zuzustimmen, einfach weil sie für kooperativ denkende Menschen völlig naheliegend erscheint.

laie hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: ... weltanschaulich neutrale Kindergärten zu betreiben, die außer einem fairen, respektvollen Miteinander überhaupt keine "Werte" antrainieren.
Warum sollte ich dies wollen? :devil:

Weil du Respekt vor der freien Persönlichkeitsentfaltung der Kinder hast beispielsweise. Kinder wollen lernen, dazugehören, anerkannt werden, lieben, geliebt werden, die Spielregeln verstehen. Dafür brauchen sie zuallererst mal gute Vorbilder, da sie ja doch das meiste durch Nachahmen lernen. Sicherlich brauchen sie auch mal Anleitung und eine Bremse, wenn sie über die Stränge schlagen, aber die fällt ja schon wieder unter das Erlernen von Respekt für die Grenzen Anderer. Ich halte nichts davon, Kindern einen rigiden Katalog an Sekundärtugenden einzuprügeln.
Falls du als advocatus diaboli nun dazu nicht in der Lage oder nicht Willens wärst, diese Argumentation zu akzeptieren, nun, dann muss ich eben entweder versuchen, Dritte zu überzeugen oder mich vorerst damit begnügen, nur meine eigenen potentiellen Kinder so zu erziehen. Von den alternativen Entwicklungen eines gescheiterten Diskurses möchte ich jetzt mal gar nicht sprechen...

stine hat geschrieben:Ich will damit sagen, statt "die Werte" immer pauschal zu verurteilen, lasst uns mal die Werte genauer unter die Lupe nehmen und feststellen, welche davon überhaupt nicht in ein humanistisches Weltbild passen - und welche vielleicht noch dem naturalistischen Weltbild entsprechen. Die ordentliche Versorgung des eigenen Nachwuchses jedenfalls sollte beim Naturalismus noch dazugehören - kann jedoch beim Humanismus schon wieder die Einschränkung der persönlichen Freiheit des Verantwortlichen bedeuten.

Der Naturalismus beinhaltet kein Sollen-System. Du kannst Ethiken formulieren, die konform sind, mit dem Naturalismus, also die Forderung erfüllen, dass sie in ihrer Begründungsstruktur nicht auf transzendente Autoritäten oder übernatürliche Eingebungen abheben, aber du kannst nicht aus dem Naturalismus Ethik ableiten, nichtmal sowas, wie die Versorgung des Nachwuchses. Der Naturalismus sagt nur aus, dass alles, was passiert, Bestandteil eines natürlichen energetisch-materiellen Systems ist, und in dem können sowohl Nachkommen versorgt, als auch nicht versorgt werden.
Genau deshalb bin ich ja so ein Fan von Diskurs und gewissen funktionsorientierten Theorien wie dem Utilitarismus (wobei der Utilitarismus auch ein gefährliches Spielzeug sein kann), weil da rein innerweltliche Abwägungen den Ausschlag geben und man sich nicht mit höheren Mächten aufhält. Der Nachteil von Diskursethik ist halt, dass sie schwer durchzuführen ist (weshalb ich funktional orientierte Ideen zur Ergänzung empfehle) und dass die Teilnehmer schon eine gewisse Kooperationsfähigkeit mitbringen müssen; genau die muss eben schon im Kindergartenalter trainiert werden, damit man später möglichst gut miteinander auskommt.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon fritz-ferdinand » Sa 11. Feb 2012, 10:09

stine hat geschrieben:
fritz-ferdinand hat geschrieben:Trägt jeder Mensch seine eigene Ethik in sich, kann er, falls es ihn denn danach drängt, diese auch aus sich herauslocken, d.h. in gedankliche Form abbilden.
Die "eigene Ethik" halte ich für ein Gerücht. Alles was man herauslockt sind Kindheit und Erziehung (10. Feb 2012)
...
LG stine

Ganz im Gegenteil: die eigene Ethik ist kein Gerücht, sondern unvermeidlich. JEDER handelt nach seiner eigenen Ethik, in mehr oder minder großen Teilen sogar unbewußt.

Mein Ansatz hier ist, nicht im Voraus seine eigene Ethik aus irgendwelchen philosophischen Systemen heraus zu entwickeln, und dann versuchen, sein Leben danach zu gestalten, sondern die FAKTISCHE Ethik, nach der ich REAL die ganze Zeit handle, (auto-)empirisch zu untersuchen und in Gedanken und Worte zu fassen, und danach zu schauen, welche Teile davon ich bei Licht betrachtet in Ordnung emfinde (ehrliche eigene Empfindung als Meßinstrument für gut und böse!) oder nicht. Ich bin davon überzeugt, dass wenn man sich mal klarmacht, nach welchen Leitlinien man TATSÄCHLICH lebt, man durchaus so manche unangenehme Überraschung erleben kann.

NATÜRLICH fließt da die Kindheit und Erziehung mit ein, UND mein Arbeitsleben, UND meine Umgang, UND vielleicht der ein oder andere Schock, wenn ich mal im Urlaub in einen Slum der Dritten Welt geraten bin, oder so. Und mein Charakter (selbstbewußt, ängstlich, spontan, überlegt), und das was ich gelesen habe usw. Und all das in der Zeit und der gesellschaftlichen Umwelt, in der ich lebe. All das prägt mein ethisches Empfinden. Es geht genau nicht darum, die individuellen Einflüße auszuschließen und ein zeitloses ethisches System für alle zu finden. Es geht darum FESTZUSTELLEN, welche reale, konkrete und individuelle Ethik sich durch diese ganze Mischung IN MIR entwickelt hat, und sie dann mit meinem ehrlichen EMPFINDEN von gut und böse, das sich ebenfalls aus dieser Mischung heraus entwickelt hat, für mich und nur für mich zu BEWERTEN. Im Prinzip macht das jeder irgendwie, sei es nun bewußt oder unbewußt.

So eine individuelle, faktische Ethik ist deswegen auch wahrscheinlich kein konsistentes System, und sicher im Vergleich zwischen einzelnen Lebensbereichen widersprüchlich (z.B. Verhaltensmuster im Autoverkehr, Verhaltensmuster in der Verwandtschaft, Verhaltensmuster zu Kunden). Das ist doch kein Grund, sie nicht einmal z.B. aufzuschreiben, und an einzelnen z.B. erfolgversprechenden Punkten ins Bessere zu revidieren, auch ohne gleich alles konsistent und unmenschlich perfekt machen zu wollen. Besser als ein starres archaisches "heiliges" System zu adoptieren (oder widerpruchslos zuzulassen, dass es indoktriniert wird) und die Gedankengänge und Handlungsweisen, die dazu nicht passen, ungesunderweise zu verbiegen oder ganz zu verdrängen.

PS: Das Gute an dieser Sache ist, dass sie praktisch jeder, der das will, auch ohne profunde geisteswissenschaftliche Ausbildung durchführen kann :/
fritz-ferdinand
 
Beiträge: 62
Registriert: Mo 17. Aug 2009, 13:34
Wohnort: Pfalz

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Feb 2012, 10:32

Es wird immer wieder gerne Ethik und Moral verwechselt.
Schon die Moral muss kein metaphysisches System sein, sondern kann durchaus dem Diskurs entwachsen
Wenn Kinder einer Schule sich gegenseitig Regel für ihr Verhalten in der Schule geben, ist das ein moralisches System.

Ethische Systeme sind viel flexibler, weil sie nicht sagen „Du sollst…“ und „Du darfst/sollst nicht…“, sondern abstrakte Leiltinien vorgeben, wir der größte Nutzen für die größte Zahl oder ob man wollen kann (Utilitarimus), dass die Intention meiner eigenen Handlung zum Vorbild für andere Menschen werden kann (kategorischer Imperativ). Das kann man nicht nur interpretieren, das muss man interpretieren, natürlich vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen.

fritz-ferdinand hat geschrieben: Es geht darum FESTZUSTELLEN, welche reale, konkrete und individuelle Ethik sich durch diese ganze Mischung IN MIR entwickelt hat, und sie dann mit meinem ehrlichen EMPFINDEN von gut und böse, das sich ebenfalls aus dieser Mischung heraus entwickelt hat, für mich und nur für mich zu BEWERTEN. Im Prinzip macht das jeder irgendwie, sei es nun bewußt oder unbewußt.


Das ist Reflexion und ein lobenswertes Vorgehen.
Jemand der systematisch die Moralentwicklung strukturell abgeklopft hat und viel beachtet wurde war Lawrence Kohlberg, das könnte Dich vielleicht interessieren: http://de.wikipedia.org/wiki/Stufentheo ... Verhaltens

Für das Thema ist er m.E. deshalb interessant, weil er zeigen kann, dass eine Stufe des buchstäblichen Glaubens immer nötig ist und immer auch überwunden werden kann, durch Reflexion. Was ein gefährlicher Irrtum ist, ist der Glaube, sich Stufen ersparen zu können und gleich mit Kants Moral zu beginnen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon laie » Sa 11. Feb 2012, 11:31

@Nanna,

ich sehe keine allzu grosse Kluft zwischen unseren Ansichten. Wichtigste Übereinstimmung ist die Einsicht, daß Ethik auf Dialog beruht. Daß dieser Dialog die Freiheit der Teilnehmer voraussetzt ist evident; gezwungener Dialog ist kein Dialog.

Die Vorstellung von Person als "Mensch in Dialog" ist selbst eine zentrale christliche Idee. Es ist die Idee der Trinität, die wesenhafte Beziehung der der drei göttlichen Personen. Ich und Du und Wir sind grundsätzlich aufeinander bezogen und ohne diesen Bezug nicht verstehbar. Wir sind das, was wir sind, durch andere. Gleichzeitig aber sind wir nicht die anderen. Der Mensch, so hat es Reinhard Kardinal Marx jüngst formuliert, "ist Selbstand in Relation" (Marx 2008, Kapital: 59)

Den anderen als freien Dialogpartner anzustreben ist eo ipso ein guter Schritt. Daß dies keineswegs immer explizit mit dem Hinweis auf den christlichen Gott erfolgen muss, zeigen die Projekte christlicher caritativer Organisationen in vielen Ländern dieser Erde, auch muslimischen oder hinduistischen. Der Erfolg der Kirche und des Christentums beruht nicht zuletzt darauf, daß sie den Menschen als freien Dialogpartner anstrebt. Aber man sollte sich darüber klar sein, daß dieser Personenbegriff seinen Ursprung in einer Differenzierung mit Plato hat. Und diese Differenzierung wurde erreicht mit einem terminus technicus, der Trinität.
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon stine » Sa 11. Feb 2012, 13:06

laie hat geschrieben:Den anderen als freien Dialogpartner anzustreben ist eo ipso ein guter Schritt. Daß dies keineswegs immer explizit mit dem Hinweis auf den christlichen Gott erfolgen muss, zeigen die Projekte christlicher caritativer Organisationen in vielen Ländern dieser Erde, auch muslimischen oder hinduistischen. Der Erfolg der Kirche und des Christentums beruht nicht zuletzt darauf, daß sie den Menschen als freien Dialogpartner anstrebt.

Das erzähl mal denen, die vom mittelalterlichen Strukturen nicht lassen können.
Kirche hat Vergangenheit - Ja, freilich - alle Länder dieser Welt haben eine Vergangenheit - ob rühmlich oder unrühmlich, aber es muss erlaubt sein, sich weiter zu entwickeln.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Missiopnierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon laie » Sa 11. Feb 2012, 17:23

Richtig Stine. Gibt es eine christliche Ethik? Was hat diese, was andere nicht haben? Darüber kann man gewiss streiten. Was es aber gibt, ist eine christliche Vorstellung von Person.

Den Mensch als freier Dialogpartner anzustreben, ist eng verbunden mit den "christlichen" Werte, wie sie sich aus der Negation der 7 Todsünden ergeben. Man kann sicher bei dem einen oder anderen dieser Werte diskutieren. Fest steht für mich aber, daß der Naturalismus hier nichts entgegenzusetzen hat. Was auch? Egoistische Gene, Überlebensmaschinen und Auslese? Damit gewinnt man keinen Menschen. Und da, wo der Atheismus human auftritt, kleidet er sich in christliche Gewänder...
laie
 
Beiträge: 615
Registriert: Di 13. Apr 2010, 16:33

Re: Missionierung in deutschen Kindergärten

Beitragvon Nanna » Sa 11. Feb 2012, 18:00

laie hat geschrieben:ich sehe keine allzu grosse Kluft zwischen unseren Ansichten. Wichtigste Übereinstimmung ist die Einsicht, daß Ethik auf Dialog beruht. Daß dieser Dialog die Freiheit der Teilnehmer voraussetzt ist evident; gezwungener Dialog ist kein Dialog.

Das ist doch schonmal eine gute Basis.

laie hat geschrieben:Die Vorstellung von Person als "Mensch in Dialog" ist selbst eine zentrale christliche Idee. Es ist die Idee der Trinität, die wesenhafte Beziehung der der drei göttlichen Personen. Ich und Du und Wir sind grundsätzlich aufeinander bezogen und ohne diesen Bezug nicht verstehbar. Wir sind das, was wir sind, durch andere. Gleichzeitig aber sind wir nicht die anderen. Der Mensch, so hat es Reinhard Kardinal Marx jüngst formuliert, "ist Selbstand in Relation" (Marx 2008, Kapital: 59)

Puh... ich würde jetzt mal so aus der Hüfte geschossen sagen, dass du dich da weit aus dem Fenster lehnst, dass es aber schwierig sein wird, das nachzuweisen. Das Christentum hat sich im Laufe seiner 2000-jährigen Geschichte als einer der saugfähigsten ideologischen Schwämmer erwiesen, hat es fertiggebracht, Anschlussstellen an so ziemlich alle politischen Strömungen und Ideale zu finden, hat sich in so viele Strömungen aufgespalten, dass es mittlerweile schwierig ist, zu widerlegen, dass etwas nicht eine zentrale christliche Idee ist, weil du sicher irgendjemanden aus dem Hut zaubern können wirst, der dir einen fast beliebigen Standpunkt als zentral christlich bestätigt.
Was einfacher zu überprüfen wäre, ist allerdings, ob die Idee genuin christlichen Ursprungs ist. Da habe ich meine Zweifel, weil das Christentum dem modernen Diskurs eigentlich schon länger ziemlich hinterherläuft. Insofern bin ich mir nicht ganz sicher, ob diese Analogie zur Trinität wirklich in der Intention der frühchristlichen Denker lag oder ob das etwas ist, was man später, als die Idee des Diskurses schon längst im Raum stand, einfach hineininterpretiert hat (siehe generell zu solchen Fragen Hobsbawm & Ranger: "The Invention of Tradition", Cambridge University Press 1983, und http://de.wikipedia.org/wiki/Erfundene_Tradition)

laie hat geschrieben:Der Erfolg der Kirche und des Christentums beruht nicht zuletzt darauf, daß sie den Menschen als freien Dialogpartner anstrebt. Aber man sollte sich darüber klar sein, daß dieser Personenbegriff seinen Ursprung in einer Differenzierung mit Plato hat. Und diese Differenzierung wurde erreicht mit einem terminus technicus, der Trinität.

Ja, die Kirche lässt tatsächlich bei schwierigen Entscheidungen dem Individuum seine Gewissens- und damit auch eine gewisse Entscheidungsfreiheit. Das erkenne ich an. Ob der Erfolg des Christentums daran aber wirklich hängt, möchte ich jetzt mal dahingestellt lassen. Wie wir z.B. am Islam sehen können, sind Religionen, die sich viel mehr über die korrekte Einhaltung von Riten definieren, durchaus auch erfolgreich; oder der Hinduismus, in dessen Spektrum es so ziemlich alles an philosphischen Vorstellungen gibt, die die religiöse Welt kennt. Der Erfolg des Christentums hängt sicherlich an einem großen Konglomerat an Gründen und historischen Gegebenheiten, Entwicklungen und Zufällen. Das Streben zum freien dialogführenden Menschen als Erfolgsmotor zu beschreiben, erscheint mir schon weit hergeholt, genauso wie die Herleitung durch die Trinität.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

VorherigeNächste

Zurück zu Gesellschaft & Politik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste