ujmp hat geschrieben:Die "Gründe" die jetzt die nächsten Wochen diskutiert werden, sind keine Gründe, weil sie keine Vorhersage eines solchen Ereignisses erlauben. Wir können es nunmal nicht aushalten, dass es Dinge gibt, die außerhalb unserer Kontrolle liegen.
Sofern wir über die insinsische Motivation des Täters sprechen, gebe ich dir absolut recht. Bei der weiteren Betrachtung müssen wir uns aber schon fragen, was sonst so alles eine Rolle gespielt hat. Denn es hat die Tat sicherlich begünstigt, dass Fremdenhass unter dem pseudosachlichen Label der "Islamkritik" in den letzten Jahren geadelt wurde, dass billige Parolen, reißerische Schlagworte und einfache Antworten auf komplexe Probleme viel zu selten gebrandmarkt werden, sondern selbst von gebildeten Personen nachgebetet werden, dass es einem um den Verstand im Lande angst und bange werden kann. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass Vorfälle wie der in Norwegen sonst vor allem aus den USA bekannt sind (Oklahomattentat, Militias, überdurchschnittliche viele Amokläufe, Gewalt im Zusammenhang mit radikalen religiösen Gruppierungen), wo liberales Waffenrecht, eine gesellschaftlich hohe Toleranz gegenüber religiösen Utopien und eine entsprechend hohe Dichte an unbehindert agierenden Heils- und Unheilspredigern eine gefährliche Mischung ergeben.
Andere technische Fragen, wie die schlechte Ausrüstung der norwegischen Antiterroreinheit, die keinen geeigneten Hubschrauber hatte (Norwegen ist ein Land mit verdammt langen Wegen und vielen hohen Bergen), müssen durchaus auch Beachtung finden. Wäre die Tat verhidnert worden, wäre auch dies ein Signal gewesen und hätte negative Effekte abgefangen, denn es ist ja nicht zu unterschätzen, was diese Tat jetzt wieder auf Jahrzehnte hinaus anrichtet. Der Täter selbst bezog sich unter anderem auf das Oklahoma-Attentat, das schon eine Weile her ist und selbst nach Jahrhunderten bieten manche Terrorakte noch Inspiration für verwirrte Naturen, wie z.B. die peinliche Ikonisierung der Guy Fawkes Night unter manchen Anarchisten der Netzgemeinde (mit Umweg über den Film "V for Vendetta") zeigt. ujump mag zwar Recht haben, dass spätere Attentate sich nicht ursächlich auf Oklahoma oder Utøya zurückführen lassen werden, trotzdem dürfte ersichtlich sein, dass mit der Zahl an Vorbildern auch die Zahl der Nachahmer steigt (wie der sogenannte Werther-Effekt bei Suiziden zeigt: Es besteht zwischen Zahl, Ort und Methode von Suiziden eine Korrelation mit Medienberichten, die über Suizide berichten, weshalb über Suizide in vielen Medien seit den 90ern nicht mehr berichtet wird; die Berichterstattung ist nicht Ursache der Suizide, aber sie senkt im statistischen Mittel offenbar die Hemmschwelle für Suizide im Allgemeinen und für eine bestimmte, den berichteten Fällen ähnliche Art von Suiziden im Speziellen.)
Randbeobachtung:
Da gehe ich heute z.B. in die Uni und hoffe, wenigstens dort von allzu geistlosen Kommentaren verschont zu werden, aber nein, ein durchaus gebildeter und intelligenter Kommilitone erzählt mir allen Ernstes, dass die Bilderbuchverrücktheit des Utøyaattentäters ja schon wieder verdächtig sei. Ich konnte ihn noch abwürgen, bevor die Worte "Verschwörung" und "Geheimdienst" fielen.
Irgendeine Geheimorganisation muss offensichtlich einen Vernunftabsauger entwickelt haben und setzt ihn jetzt heimlich an meiner Uni ein...