Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon ujmp » So 21. Nov 2010, 17:19

donquijote hat geschrieben:Stört man sich daran - und an der fatalen Folgewirkung, dass Menschen umso weniger Kinder hinterlassen, je mehr sie kulturell an sie weitergeben könnten (siehe z. B. die bedenkliche Tabelle im Wikipediaartikel über The Bell Curve) - dann gilt man für die gleichen Menschen, die angeblich ach so kritisch dem Neoliberalismus gegenüberstehen, als Eugeniker oder gar als Sozialdarwinist.

Das Thema hatten wir hier schon mal. Ist es nicht einfach so, dass sich Intelligenz als Selektionsnachteil herausstellt, wenn sich die Intelligenteren nicht reproduzieren? Jetzt gibt es Leute, die meinen, man müsste zu den zahlreichen wirtschaftlichen Vorteilen, die die "Leistungsträger" genießen aufgrund - ähm ... des glücklichen Zufalls - , intellligenter zu sein, noch weitere Vorteile hinzufügen und ihnen auch noch die Aufzucht von Nachkommen schmackhafter machen. Das scheint mir ein absurder Gedanke zu sein! Man muss sie doch bloß darauf aufmerksam machen, dass sie nur eine Gesellschaft ausnutzen können, die funktioniert - dann geben sie sich auch Mühe.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon donquijote » So 21. Nov 2010, 18:09

ujmp hat geschrieben: Jetzt gibt es Leute, die meinen, man müsste zu den zahlreichen wirtschaftlichen Vorteilen, die die "Leistungsträger" genießen aufgrund - ähm ... des glücklichen Zufalls - , intellligenter zu sein, noch weitere Vorteile hinzufügen und ihnen auch noch die Aufzucht von Nachkommen schmackhafter machen. Das scheint mir ein absurder Gedanke zu sein! Man muss sie doch bloß darauf aufmerksam machen, dass sie nur eine Gesellschaft ausnutzen können, die funktioniert - dann geben sie sich auch Mühe.


Seit wann nutzt eine Ärztin, die eine 8 Stunden währende Gehirnoperation an einem Unfallopfer durchführt, die Gesellschaft aus? Und wieso tut dies ein Wissenschaftler, der überall auf der Welt über Artenvielfalt und globale Erwärmung forscht?

Im Laufe der Zeit hat bei den sozialen Aufgaben eine immer stärkere Arbeitsteilung gefunden. Mittlerweile gibt es zig Tausend Berufe mit unterschiedlichen Anforderungen. Lediglich bei der Nachwuchsarbeit bestand über Millionen Jahre hinweg eine sexuelle Arbeitsteilung: Männer übernahmen das Gros der sozialen Aufgaben, Frauen die Nachwuchsarbeit.

Wenn nun auch Frauen um soziale Aufgaben wetteifern, dann wird man die gleiche Differenzierung auch bei der Nachwuchsarbeit einführen müssen. Mit Ausnutzen hat das nichts zu tun, lediglich mit einer anderen und angemessenen Verteilung von gesellschaftlich notwendigen Aufgaben.

Wer das noch immer nicht kapiert, sollte meiner Meinung nach Spargelstecher werden.

Wir haben seit einiger Zeit die Gleichberechtigung der Geschlechter. Wenn ich dieses Gerede vom Selektionsnachteil der Intelligenz höre, ohne dass dabei überlegt wird, ob dies vielleicht eine Nebenwirkung der Gleichberechtigung sein könnte, dann muss ich leider auch sagen: Die Darwinsche Evolutionstheorie bzw. ihre moderne Variante, die Synthetische Evolutionstheorie sind falsch. Sie verderben mit ihren engen Paradigmen das Denken. Sie lassen Schlüsse zu, die sich bei näherem Hinsehen als Unfug erweisen.

Man tut hier tatsächlich so, als könne man die 2 Millionen Jahre währende sexuelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern mal eben aufheben und das Ergebnis dann mit den Begriffen der Darwinschen Selektionstheorie interpretieren. Unglaublich!
Benutzeravatar
donquijote
 
Beiträge: 184
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 21:40

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon stine » So 21. Nov 2010, 20:08

donquijote hat geschrieben:2 Millionen Jahre währende sexuelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern
Das war vermutlich sinnvoll und wäre es wahrscheinlich immer noch, wenn man endlich aufhören würde beim Thema Gleichberechtigung lediglich das Arbeitsrecht zu betrachten.
Der Mensch als Mann und Frau ist gleicherechtigt, doch einige natürliche Vorgänge sind geschlechterspezifisch und damit nicht übertragbar; dazu gehört das Kinder gebären und die Prägefase im Kleinkinderalter. Man kann heute sehr genau feststellen, dass eine zu frühe Abgabe der Kinder in soziale Einrichtungen der gesunden Entwicklung schadet. Verlassensängste und mangelndes Selbstbewusstsein sind nur ein kleiner Teil später auftretender Folgen.

Deine systemische Evolutionstheorie der Superorganismen, die längst die Herrschaft auf der Erde übernommen haben :winkgrin: , kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber mit der Anerkennung der Familienarbeit gehe ich mit dir konform. Sie ist wichtiger denn je!

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon ujmp » Mo 22. Nov 2010, 08:02

donquijote hat geschrieben:
Seit wann nutzt eine Ärztin, die eine 8 Stunden währende Gehirnoperation an einem Unfallopfer durchführt, die Gesellschaft aus? Und wieso tut dies ein Wissenschaftler, der überall auf der Welt über Artenvielfalt und globale Erwärmung forscht?

Man muss den Wert einer Arbeit beziffern, um ihn zu beurteilen. Wenn man das versucht, stellt man fest, dass er willkürlich festgelegt ist, er beruht nur auf Gewohnheit. Der Wissenschaftler hat einen sehr angenehmen Job. Als Akademiker hat er deshalb eine um einiges höhere Lebenserwartung . Auf der anderen Seite kann man sich von aufgespießten Schmetterlingen nicht ernähren. Das geht energetisch nicht, weil man beim herumspringen mit dem Fangnetz mehr Kalorien verbraucht, als so ein Ding enthält. Er ist also existentiell auf jemanden angewiesen, der in der Zwischenzeit das Feld bestellt, die Schweine füttert und Brennholz für den kalten Winter sammelt. Er ist als Individuum beziffert also eine nicht lebensfähige Null.

Und mein Hausarzt mach sich mit Unfallopfern nicht die Finger schmutzig.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon donquijote » Mo 22. Nov 2010, 13:18

ujmp hat geschrieben: Wenn man das versucht, stellt man fest, dass er willkürlich festgelegt ist, er beruht nur auf Gewohnheit. Der Wissenschaftler hat einen sehr angenehmen Job. Als Akademiker hat er deshalb eine um einiges höhere Lebenserwartung . Auf der anderen Seite kann man sich von aufgespießten Schmetterlingen nicht ernähren. Das geht energetisch nicht, weil man beim herumspringen mit dem Fangnetz mehr Kalorien verbraucht, als so ein Ding enthält. Er ist also existentiell auf jemanden angewiesen, der in der Zwischenzeit das Feld bestellt, die Schweine füttert und Brennholz für den kalten Winter sammelt. Er ist als Individuum beziffert also eine nicht lebensfähige Null.


Damit fällst du auf ein sozialwissenschaftliches Niveau zurück, welches weit vor Emile Durkheim vorgelegen hat. Von Individualisierung und Arbeitsteilung hast du wohl noch nie etwas gehört. Und von Marktwirtschaft sowieso nicht.

Ich seh schon, da macht es keinen Sinn weiterzudiskutieren.
Benutzeravatar
donquijote
 
Beiträge: 184
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 21:40

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon Lumen » Di 23. Nov 2010, 21:31

Grade Frontal21, Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen bei jungen Akademikern um 70+% angestiegen bei den unter 30 Jährigen. Verantwortlich, die Wirtschaft, die den Kündigungsschutz durch die Hintertür aushebelt (genauer, dank der Politik die diese Hintertür wissentlich geschaffen hat). Davor ein Beitrag über das Ausbeuten von Leiharbeiten. Im Spiegel ein Beitrag wie Siemens und die Deutsche Bank den Staat um dreistellige Millionenbeiträge betrogen haben, dazu wie die Banken es gerne hätten, dass der Steuerzahler für Irland aufkommen soll (das sich wiederum in die Situation durch die niedrigsten Steuern Europas manövriert hat, wovon *Bingo* wieder die Wirtschaft profitierte). Mit Blindheit lässt sich schon nicht mehr erklären, warum da ein paar Schlucker ins Visier genommen werden. Und der Spiegel ist nun wirklich nicht (mehr) die Speerspitze der Kritiker.

Gerade eben der letzte Satz des o.g. Beitrags: "… wenn es doch schiefgeht, haftet doch der Steuerzahler", also was Chomsky 1996, nunmehr vor 14 Jahren, beschrieben hat. Und doch tun alle überrascht, sonst könnten diese Sendungen (Medien allgemein) ja mal erwähnen, das es im Prinzip immer so läuft.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon stine » Mi 24. Nov 2010, 08:18

Dass manches im Argen liegt ist schon richtig, aber Sendungen wie Frontal 21 oder der Spiegel leben auch von einseitiger Berichterstattung. Man sollte sich das nicht antun, ohne nicht wenigstens einmal die Gegenseite gehört zu haben. (Financial Times oder Frankfurter Allgemeine).
Prinzipiell gehörten die Banken unter mehr Kontrolle, aber da sind mächtige Geldströme am Laufen und die Kontrolleure freuen sich mit...

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon Lumen » Mi 24. Nov 2010, 11:21

stine hat geschrieben:Man sollte sich das nicht antun, ohne nicht wenigstens einmal die Gegenseite gehört zu haben. (Financial Times oder Frankfurter Allgemeine).


Ja, die kommen auch langsam dahinter (»Längst hat die Finanzwelt die Politik fest im Griff.« — no shit, Sherlock?). Müssen sie ja auch, wenn sie überleben wollen. BILD macht den Leuten mehr Spaß, Blogger sind authentischer und Wikileaks enthüllt mehr. Das wird den Journalisten derweil aufgefallen sein.

Außerdem, die »Gegenseite« ist der Tenor der meisten anderen Medien, da kommt auf Seite 1 irgendein Florida-Hans-Peter, aber dubiose Aktivitäten um dreistellige Millionenbeträge werden dezent klein irgendwo abgedruckt, wenn überhaupt.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon stine » Mi 24. Nov 2010, 13:43

Es ist halt so: Eine Sendung wie Frontal21 zeigt mit dem Zeigefinger auf die bösen Verdiener und die bösen Verdiener zeigen auf die bösen Sozialisten. Es gibt keine wirklich neutrale Berichterstattung.
Dass Geldströme inzwischen weltweit unterwegs sind und hinter dem Geld eigentlich gar nichts mehr steht, keine Dienstleistung, keine Immobilie und kein Unternehmen, das interessiert inzwischen niemanden mehr, außer @Gandalf vielleicht.
Es hilft ja nichts, wenn man die Situation erkannt hat, es hülfe nur, künftig untereinander Dienstleistungen zu tauschen und die Kapitalisten auf ihren Milliarden sitzen zu lassen. Sollen sie doch schauen, ob sie ihr wertloses Geld dann noch in Dienstleistung tauschen können.

Wenn die Putze künftig für ihre Arbeit ein kleines Grundstück fordert...
Die Argentinier haben schon in den 90ern gezeigt, wie man mit Inflation umgeht.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon Lumen » Mi 24. Nov 2010, 15:09

stine hat geschrieben:Es ist halt so: Eine Sendung wie Frontal21 zeigt mit dem Zeigefinger auf die bösen Verdiener und die bösen Verdiener zeigen auf die bösen Sozialisten. Es gibt keine wirklich neutrale Berichterstattung.


Neutral nicht, aber aus anderen Gründen. Media Control — kann ich sehr empfehlen. Übrigens keine böse Verschwörungstheorie, sondern recht klar nachvollziehbare Gründe, die dafür sorgen, dass Medien nicht wirklich neutral sein können (unter anderem Abhängigkeit von der Wirtschaft durch Anzeigen, Kosten für Recherche vs. leicht verfügbare PR usw.). Wie immer bei Chomsky mit einem Haufen an Quellen und Nachweisen.

Berichterstattung über Florida-Klaus-Peter oder einer bildungsfernen Familie ist nicht dasselbe wie das Aufdecken von — nennen wir es beim Namen — Betrug in Millionen- und Milliardenhöhe. Da wird mittlerweile sonnenklar mit Steuergeld Glückspiel betrieben, aber der Herr im Anzug hat immernoch seine Aura der Seriosität. Die Unternehmen haben auf der grünen Insel alles mitgenommen was es mitzunehmen gab, Steuern waren niedrig und ideale Bedigungen. Nun kann man ein paar andere Töpfe anzapfen. Stine zahlt gerne, echauffiert sich aber über ein paar zahnlose Asoziale, die halb im Suff die Frühaufsteher in der BILD verhöhnen. Die einen lassen das Geld für sich arbeiten, und genießen ihre Lebenszeit, die andern gammeln in einer namenlosen Siedlung vor sich hin und verqualmen und versaufen ihr Leben. Auf der einen Seite geht es um den vielleicht Betrug einzelner, die ein bischen Extra für sich rausschlagen, auf der anderen Seite wird massiv das Geld von der Allgemeinheit abgezogen und in Luxus oder virtuelle Zahlen auf irgendwelche Konten investiert.

Da habe ich kein Verständnis, auch als sogenannter Besserverdiener.
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon stine » Mi 24. Nov 2010, 16:23

Lumen hat geschrieben:Stine zahlt gerne, echauffiert sich aber über ein paar zahnlose Asoziale, die halb im Suff die Frühaufsteher in der BILD verhöhnen.
Wo sagte ich das? :o0:

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon Zappa » Mi 24. Nov 2010, 17:13

Lumen hat geschrieben: Berichterstattung über Florida-Klaus-Peter oder einer bildungsfernen Familie ist nicht dasselbe wie das Aufdecken von — nennen wir es beim Namen — Betrug in Millionen- und Milliardenhöhe. Da wird mittlerweile sonnenklar mit Steuergeld Glückspiel betrieben, aber der Herr im Anzug hat immernoch seine Aura der Seriosität.


So ganz ist es ja nun auch nicht, wobei ich Dir in der Tendenz zustimme. Im Falle Florida-Klaus-Peter ist halt ziemlich klar, dass sich hier jemand auf Kosten der Allgemeinheit einen faulen Lenz macht. Davon lebt die Story, jeder kann sich hier relativ klar eine Meinung bilden. Obwohl der Einzelfall sicherlich wirkliche, winzige Peanuts darstellt, gibt es - zumindest in meiner evtl. verzerrten Sich der Dinge - hunderttausende Florida-Klaus-Peters und da macht es dann einfach die Masse. Abgesehen davon würde ich die einfache proletarische Ethik ala "Gutes Geld für gute Arbeit" nicht so ohne weiteres in die Tonne treten. Die Leute regen sich zu Recht über solche Nassauer auf, finde ich.

Zum zweiten Punkt: Natürlich gibt es Nieten in Nadelstreifen und Nassauerei auf allerhöchstem Investmentbankerniveau, hier sind die Zusammenhänge allerdings sehr kompliziert und nicht immer so einfach zu vermitteln. Spekulation z.B. ist ein ganz wichtiges Schmiermittel um die Wirtschaft im Gang zu halten. Die bösen Spekulanten sind es ja grade, die in Krisensituationen hohe Risiken eingehen und z.B. die Einzigen sind, die unter solchen Rahmenbedingungen überhaupt noch Investments machen. Da ist es zumindest für mich schwer zu unterscheiden, was nicht mehr tolerable Profitgier und grade noch sinnvoller Anreiz für hohes Risiko ist. Abgesehen davon, dass ich selber ein böser Spekulant bin, weil ich Geld in einem Fond investiert habe (hab allerdings schon mehrfach überlegt dass sein zu lassen).
Benutzeravatar
Zappa
 
Beiträge: 1416
Registriert: Mi 29. Jul 2009, 19:20

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon donquijote » Mi 24. Nov 2010, 18:46

stine hat geschrieben: Wo sagte ich das? :o0:


Das musst du nicht sagen. Es reicht, wenn andere denken, du könntest es gesagt haben. Das ist genauso schlimm (und real), als hättest du es gesagt, selbst wenn du es nie gesagt haben solltest.
Benutzeravatar
donquijote
 
Beiträge: 184
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 21:40

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon Lumen » Do 25. Nov 2010, 02:08

Nö. Genausowenig wie ich Sozialist oder auch nur Links bin. Hier Arbeitslose, da gewisse Gruppierungen die den Staat ausbeuten sind keine gleichwertigen Positionen die man etwa aus Fairness gleichmäßig kritisieren müsste.

WALL OF TEXT!

Trick 1: das Märchen von der Leistung, auch als Variante »American Dream« bekannt. Es ist die Geschichte, die davon erzählt, wie ein armer Bursche, eine arme Stieftochter, also jemand vom Schicksal gebeutelt durch gerade gefragte Tugenden zu einem erfüllten, glücklichen Leben kommen kann. Früher hielt man viel von Tapferkeit und Mut, heute ist die Leistung gefragt. Wer viel leistet, der lebt glücklich bis an Ende seiner Tage. Muss man erklären, warum das Blödsinn ist?

Trick 2: das Herstellen einer Art Peergroup. Der Unternehmer, vom Malermeister mit 3 Angestellten bis Mega-Konzern seien irgendwie eine Gruppe und hätten gemeinsame Interessen gegen eine geldgierige, sich organisierende Belegschaft durchzusetzen (oder sonst welche nennenswerten gemeinsamen Interessen). Müssten die Mega-Konzerne offen eine Partei aufstellen, bekämen sie nicht genug Stimmen zusammen. Schöner Nebeneffekt, das Image vom ehrbaren Kaufmann kann genutzt werden.

Trick 3: die Story vom faulen Arbeitslosen in der Morgenpost. Ein sehr effektiver, reißerischer Aufreger. Es sind etwa 5% aller Arbeitslosen, allesamt machtlose, harmlose Personen. 95% aller Arbeitslosen wollen eine Arbeit, etwa die Hälfte ist nur übergangsweise arbeitslos. Zudem ist der Pott, aus dem das bezahlt wird, eigens dafür angelegt worden. Es ist demnach prinzipiell egal, wie groß er ist.

Trick 4: Themenauswahl und Präsentation. Was ist also nun bei der anderen Seite? Bei der Steuerverschwendung und der Selbstbedienung im großen Stil könnte man auch titeln: diese Bank hat alles, was ihre Familie jemals an Steuern gezahlt hat an diesen Herren überwiesen. Stattdessen wird die Politik für den angeblichen Aufschwung gefeiert. Nur komisch, noch vor kurzem hatten selbst erzkonservative Blätter die Fehlstarts der Koalition in Serie bemäkelt. Sehr mirakulös (siehe auch Trick 7) — Michael Glos kann sich gewiss neben Ludwig Erhard einreihen, oder etwa nicht? ;)

Trick 5: Alles nur Einzelfälle. Als die Skandale von Telekom und VW Tagesthemen waren, wurden sie umgehend zu Einzelfällen deklariert. Wir hatten dann nochmal Siemens, diverse Banken, Lidl, wieder Deutsche Bank, Finanzwelt usw. bei der Leichtfertigkeit mancher Schlagzeile könnte man längst titeln: Sie werden am laufenden Band betrogen und ausgenommen, hier nun die Fälle der 23. Woche.

Trick 6: Panikmache, zum Beispiel hier. Mappus warnt vor einer "Dagegen Republik", ergo die Leute sollen die Abzockerei einfach hinnehmen. Das das Atom-Thema nicht so locker durchgeht, ist und war gemeinhin bekannt.

Trick 7: Shootingstar. Shootingstar. Shootingstar. Shootingstar. Shootingstar. Unheimlich, oder? (für die Klickfaulen, jeder Link führt zu einer anderen namhaften Zeitung). Zu diesem Zeitpunkt hatte Guttenberg quasi noch überhaupt nichts gemacht.

Trick 8: Vertarnen von Interessen. Da gibt es beispielsweise Instrumente wie das Astroturfing oder der Einsatz von Schills. Es gibt da einige sympathische Vereine wie zum Beispiel die INSM, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, siehe auch Quellen und Kritik dort. Ein schöner Bericht zur 5. Gewalt von Deutschland-Radio, hier. Schöner Bericht in Bild und Ton auch die BRD = Bertelsmann Stiftung Deutschland, schönes Beispiel auch für die Umverteilung.

Trick 9: Das Märchen von den Freien Märkten. Es wird behauptet, Wettbewerb sei etwas gutes. Man wolle den Wettbewerb fördern. Kein Unternehmer, der sie noch beisammen hat, will freiwillig Wettbewerb. Die Parteien die den Wettbewerb besonders gerne betonen sind paradoxerweise auch die wirtschaftsnächsten. Wäre es wirklich so, dann würden die Parteien Kartellamt und Bundesrechnungshof verstärken, was beides absolut nicht im Sinne der Wirtschaft ist. Ob Strom-Markt, Meisterbrief oder Liberalisierung beim Verkauf von Pharmazeutika, immer wenn es drauf ankam, war die Wettbewerbspartei FDP komischerweise dagegen. In Nachbarländern kann man Kopfschmerztabletten im Supermarkt kaufen oder leicht online Medikamente bestellen, auch kann die Pharmaindustrie dort nicht einfach Fantasiepreise verlangen. Warum können Krankenkassen, Bürger usw die Medikamente nicht einfach da einkaufen, wo sie sie am günstigsten bekommen? Etwaige Kritiker, wie Sawicki wurden, welch Wunder, von der FDP entsorgt.

Trick 10: PR/Marketingbegriffe.: Der Exportweltmeister. Der Begriff scheint in Mode gekommen zu sein, als auch gerade die positive Fußball-Weltmeisterschaftsstimmung das Land erfasst hat. Weltmeister klingt seitdem sehr positiv. Nur: was hat Joe Ordinary davon, wenn eine Firma mehr Waren ins Ausland verkauft? Ist es wirklich eine gute Nachricht, Exportweltmeister zu sein? Steckt vielleicht ein Trick dahinter?

Chomsky hat geschrieben:If Ford Motor Company takes parts made in Indiana and moves them across the border to Mexico [...] and then sent back to, say, Illinois for value-added, that's called "exports and imports." [...] So, how big an element is that? Well, about fifty percent of U.S. trade. So about fifty percent of what's called U.S. trade is actually internal to individual corporations.


Oder das »Vertrauen« von Banken. Vertrauen ist wichtig, Vertrauen fördern ist eine schöne Sache. Achso, die Banken vertrauen sich nicht mehr. Na dann. Da kann man denen ja ein paar Milliarden hinterlegen, vielleicht gehen sie auch mal ein Eis essen. Nicht zu vergessen: Support Iowa (Propaganda).

Man sollte nicht den Fehler machen, eine politische Ausrichtung mit den entsprechenden Parteien gleichzusetzen und bei Kritik an ebendiesen Parteien dann zu unterstellen, man gehöre dem »Feindeslager« an. Ich finde die Linken auch nicht »besser«, aber harmloser und zur Zeit noch weniger durchtrieben. Sie haben traditionell nicht die Verflechtungen in die Wirtschaft hinein und sind damit weniger in Filz und Skandale dieser Art verwickelt (deshalb werden ihre Positionen aber nicht richtiger). Aber wie in den USA können sich Parteien, die erwiesenermaßen nur den Top 5% dienen nur dann halten, wenn sie möglichst viel Propaganda und Meinungsmache betreiben und auf Ignoranz oder Dummheit der Wähler setzen. Die Taktik der CDU ist zum Beispiel seit Kohl die Sedierung, die Merkel zur Meisterschaft gebracht hat.

Zappa hat geschrieben:Da ist es zumindest für mich schwer zu unterscheiden, was nicht mehr tolerable Profitgier und grade noch sinnvoller Anreiz für hohes Risiko ist. Abgesehen davon, dass ich selber ein böser Spekulant bin, weil ich Geld in einem Fond investiert habe (hab allerdings schon mehrfach überlegt dass sein zu lassen).


Ich würde sagen, du fällst unter Trick 2. Die großen Spekulanten gehen kein Risiko ein.
Zuletzt geändert von 1von6,5Milliarden am Do 25. Nov 2010, 15:22, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: Link korrigiert, 1v6,5M
Benutzeravatar
Lumen
 
Beiträge: 1133
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 01:53

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon stine » Do 25. Nov 2010, 08:11

Das schnelle Geld der Spekulation zerstört den freien Markt. Der Mensch (verallgemeinert) ist eben ein egoistischer, zielstrebiger Gewinnemacher mit persönlichem Hang zur Machtergreifung.
Wer da nicht mitmachen kann und aufgeben muss, hat für sich entdeckt, den Mächtigen durch Kritik zu schwächen. Der moralische Fingerzeig der Schwachen ist aber imgrunde auch nur eine Form sich noch mächtiger über den Mächtigen zu stellen.

Der freie Markt, das Unternehmertum, funktionierte dann zu aller Zufriedenheit, wenn gefestigte Charaktere ihre Fähigkeiten zum Allgemeinwohl aktivierten.
Ohne ethische Grundlage wird das aber nichts.

LG stine
Benutzeravatar
stine
 
Beiträge: 8022
Registriert: Do 27. Sep 2007, 08:47

Re: Warum sind Bevölkerungsthemen kein Thema?

Beitragvon donquijote » Do 25. Nov 2010, 12:39

stine hat geschrieben:Ohne ethische Grundlage wird das aber nichts.


Das ist richtig.

Wobei sich fragt, wo diese ethische Grundlage herkommen soll, wenn ein Großteil der Unternehmen nicht mehr gefestigten Unternehmerpersönlichkeiten, sondern an maximalem Profit interessierten, häufig wechselnden Investoren gehört, und die Unternehmen von deren austauschbaren Angestellten (sprich Managern) geführt werden.
Benutzeravatar
donquijote
 
Beiträge: 184
Registriert: Sa 30. Okt 2010, 21:40

Vorherige

Zurück zu Gesellschaft & Politik

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 3 Gäste