Was kommt, wenn Familie geht?

Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon stine » Di 2. Apr 2013, 14:27

Interessanter Artikel von Birgit Kelle zum Thema:

http://www.freiewelt.net/blog-5199/was-kommt%2C-wenn-familie-geht%3F.html

Und warum wieder ausgerechnet hier, bei den Brights reingestellt?
Weil Wissenschaft nicht alles ist und viele junge Menschen heute verunsichert werden, was ihre Lebensgestaltung angeht.
Wer Religion als Kulturgut ablehnt, muss nicht zwangsläufig im Gegenzug staatliche Zwänge anerkennen.

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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Zappa » Di 2. Apr 2013, 17:00

Ich lese grade Ralf Dahrendorf: "Der Wiederbeginn der Geschichte" (Aufsatzsammlung). Er geht in dem Aufsatz "Die offene Gesellschaft und ihre Ängste" auf ein ähnliches Problem ein. Nach Dahrendorf brauchen Menschen so was wie Sinn und Bindungen, er nennt das "Ligaturen" (und behauptet, dass diser Begriff auch in dem Wort ReLigion vorkommt, wovon ich nicht so überzeugt bin). Den stiftet aber kaum die offene Gesellschaft, noch Wissenschaften, sondern Familie, Gruppen, Regionen, Traditionen und eben auch Religionen. Er sieht den deutschen Verfassungspatriotismus noch am ehesten als einen Versuch an der offenen Gesellschaft so was wie einen Sinn zu geben, sieht aber ein, dass vielen Menschen das nicht reichen wird. Dahrendorf sagt zwar das er - als Intellektueller - mit einem solchen Zustand der "Sinnfreiheit" gut leben kann, stellt aber zugleich einen hübschen Vergleich zur "Unmusikalität" Webers in Bezug auf Religiosität auf. Andere Menschen haben da diesbezüglich offenbar einen anderen Draht, ein anderes Bedürfnis. Da dieses Suchen nach Bindungen eine soziologische Konstante darstellt, darf man sie nicht negieren oder ignorieren.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Vollbreit » Di 2. Apr 2013, 18:15

Vielleicht ist das hier ein halbwegs adäquater Ersatz:
http://www.zeit.de/2013/14/Gemeinschaft ... ettansicht
Irgendwas in der Art wird kommen (müssen).
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Darth Nefarius » Di 2. Apr 2013, 21:44

stine hat geschrieben:Interessanter Artikel von Birgit Kelle zum Thema:

http://www.freiewelt.net/blog-5199/was-kommt%2C-wenn-familie-geht%3F.html

Diese Frau kritisiert nur das, was sie nicht versteht. Offensichtlich hat sie genug Zeit und folglich auch Geld, um sich ausreichend um sich auch noch um mehrere Kinder zu kümmern. Nach ihrer unrealistischen Einschätzung wäre wohl jede Familie zu so einer Erziehung in der Lage. Aber der Staat lässt zurecht die wertvollste Ressoucre nicht verwahrlosen und eine genormte Erziehung (die auch schon wesentlich individueller ist als in anderen Zeiten und/oder in anderen Ländern, also stellt euch nicht so an!) ist besser als gar keine. Ich kann gut verstehen, wieso die staatliche Unterstützung manchmal notwendig ist. Es ist ein Trugschluss anzunehmen, dass die staatliche Erziehung immer für alle lediglich eine minderwertige Option sei, oft ist sie die bessere.
Nebenbei muss eine Familie nicht groß sein, um möglichst viel Empathie erfahren zu lassen. Ehrlich gesagt wundere ich mich oft über die extrem selektive Empathie der angeblich sozialsten Mitmenschen. Sie mögen gern von Moral, Menschenwürde und -rechten reden, betrachten sich als Philanthropen. Aber ihr Horizont der Empathie scheint oft nicht weiter zu reichen als über die Haustür, das eigene Dorf, das eigene Land. Und selbst dann wird unmenschlich priorisiert. Es bleibt mir ewig im Gedächtnis, wie Deutschlands Nachrichten ausflippten, weil 20 betrunkene auf der Loveparade zu Tode getrampelt wurden, während zeitgleich in Pakistan wohl tausende wegen Flutkatastrophen ihr Leben verloren haben und das kaum Beachtung fand. Vielleicht hilft gerade eine staatlichere Erziehung den Menschen zum globalen Wesen zu erziehen und nicht nur als Katholik, Nordfriesen, Deutschen oder sonstwas, wie es in den Familien ohne Staat oft laufen würde.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Gandalf » Do 4. Apr 2013, 06:42

Darth Nefarius hat geschrieben: Vielleicht hilft gerade eine staatlichere Erziehung den Menschen zum globalen Wesen zu erziehen und nicht nur als Katholik, Nordfriesen, Deutschen oder sonstwas, wie es in den Familien ohne Staat oft laufen würde.


Wie Staaten Menschen "zu globalen Menschen" erziehen wollen oder wollten, sah/ sieht man in Nordkorea, Kambodscha, China, DDR, Hiltlerdeutschland- und sonstigen faschistoiden Ideologien. Aber auch bei uns heute schreitet die Entmündigung immer weiter fort, indem z.B. von Partiefunktionären und totalitären Spinnern behautpet wird, dass der Staat besser erziehen könne, als intakte Familien. Von mir aus können Ideologen an sich selbst versuchen - aber ohne mein (Steuer) Geld!
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Gandalf » Do 4. Apr 2013, 06:48

stine hat geschrieben:Interessanter Artikel von Birgit Kelle zum Thema:

http://www.freiewelt.net/blog-5199/was-kommt%2C-wenn-familie-geht%3F.html

Und warum wieder ausgerechnet hier, bei den Brights reingestellt?
Weil Wissenschaft nicht alles ist und viele junge Menschen heute verunsichert werden, was ihre Lebensgestaltung angeht.
Wer Religion als Kulturgut ablehnt, muss nicht zwangsläufig im Gegenzug staatliche Zwänge anerkennen.



Dazu vlt. eine 'zum Thema Atheismus/Brights passende Studie' zu Hilfsbereitschaft ("Wollen") - und Moral ("Tun"), - die imho auf den ersten Blick was anderes zeigt, was in der Überschrift steht und was der Journalist wohl verstanden zu haben glaubt.

http://www.wissenrockt.de/2012/05/01/at ... ige-26717/

Denn mit "Mitleid haben", ist noch niemandem geholfen - im Gegenteil
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Nanna » Do 4. Apr 2013, 09:42

Gandalf hat geschrieben:Aber auch bei uns heute schreitet die Entmündigung immer weiter fort, indem z.B. von Partiefunktionären und totalitären Spinnern behautpet wird, dass der Staat besser erziehen könne, als intakte Familien.

Belege für exakt diese Behauptung!
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Darth Nefarius » Do 4. Apr 2013, 10:35

Gandalf hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben: Vielleicht hilft gerade eine staatlichere Erziehung den Menschen zum globalen Wesen zu erziehen und nicht nur als Katholik, Nordfriesen, Deutschen oder sonstwas, wie es in den Familien ohne Staat oft laufen würde.


Wie Staaten Menschen "zu globalen Menschen" erziehen wollen oder wollten, sah/ sieht man in Nordkorea, Kambodscha, China, DDR, Hiltlerdeutschland- und sonstigen faschistoiden Ideologien.

...ebenso wie in den faschistodien Ideologien des heutigen Europas wie Frankreich, Deutschland...
Ja, grundsätzlich ist doch jeder Staat ohnehin faschistoid, ist es nicht deiner Meinung nach so? Staatliche Betreuung ist eine wichtige Alternative, die Freiheiten für Familien lässt, ihr Leben zu gestalten und den Kindern ermöglicht, auf einem gleich guten Niveau ins Leben einzusteigen. Was ist an Kindergärten und Ganztagsschulen faschistoid wenn sie das übernehmen, wozu die Eltern vielleicht nicht in der Lage sind?
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Do 4. Apr 2013, 13:47

Darth Nefarius hat geschrieben:...ebenso wie in den faschistodien Ideologien des heutigen Europas wie Frankreich, Deutschland...

Gibt schon Entwicklungen, die ich sehr bedenklich finde. In Frankreich bleiben Freiheitsberaubung, Folter durch Schlafentzug und Androhung weitaus schlimmerer Dinger straflos, wenn die Opfer dem dortigen Untermenschentum angehören (Unternehmer oder Manager, die ein Fabrik zumachen wollen oder müssen). In einem Rechtsstaat müsste eine Organisation (in diesem Fall eine Gewerkschaft), deren Chef derartiges äußert, als kriminell eingestuft und verboten werden, sowie die Täter strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, mal ganz abgesehen davon, dass die Staatsmacht, die vorgibt Leib und Leben zu schützen in solchen Situationen tatenlos zusieht, weil die Vertreter die Aktionen gut und richtig finden.

Darth Nefarius hat geschrieben: Staatliche Betreuung ist eine wichtige Alternative, die Freiheiten für Familien lässt, ihr Leben zu gestalten und den Kindern ermöglicht, auf einem gleich guten Niveau ins Leben einzusteigen. Was ist an Kindergärten und Ganztagsschulen faschistoid wenn sie das übernehmen, wozu die Eltern vielleicht nicht in der Lage sind?

Staatliche Betreuung bedeutet vor allem Externalisierung von Kosten. Du verlangst, dass andre deine bevorzugte Lebensart über ihre Steuergelder subventionieren müssen. Und ich bin skeptisch, wer darüber befinden darf, ob Eltern "nicht in der Lage sind" ihre Kinder selbst zu erziehen. Diese Fähigkeit wird hierzulande ja schon aberkannt, wenn Eltern sich weigern ihr Kind in die zugeteilte Sprengelschule zu nötigen, weil ihr Kind dort von Mitschülern (seltener auch Lehrern) massiver psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist, zu deren Eindämmung sich die dafür eigentlich Zuständigen leider viel zu selten berufen fühlen, wenn sie nicht gar selber munter mitwirken. Diese Form des Zwangs zur physischen Anwesenheit im staatlichen Unterrichtsvollzug wurde in den 1930ern eingeführt und passt auch bestens in den Geist der damaligen Zeit. Diese besonders repressive Form teilt die BRD nur mit einer Handvoll Diktaturen wie Nordkorea. In andren Ländern ist es zwar umständlich und bürokratisch, aber immerhin möglich seine Kinder selbst zu unterrichten, oder falls man sich das leisten kann, von Privatlehrern zu Hause unterrichten zu lassen.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Zappa » Do 4. Apr 2013, 17:50

provinzler hat geschrieben: Staatliche Betreuung bedeutet vor allem Externalisierung von Kosten. Du verlangst, dass andre deine bevorzugte Lebensart über ihre Steuergelder subventionieren müssen.


Ja und?

Das ist doch das normalste von der Welt, dass in einer Gesellschaft irgendwie ein Konsens oder zumindest eine Mehrheitsmeinung (unter Berücksichtigung wichtiger Minderheitenrechte) darüber gefunden wird, wie Lebensbedingungen zu gestalten sind. Dazu gehört eine Infrastruktur und z.B. auch gewisse Ausgaben für Bildung und Kinderbetreuung. Da sich der Markt für alles was keinen Gewinn abwirft einen feuchten Kehricht interessiert, wird so was über Steuern finanziert. So funktionieren nun mal größere Gemeinschaften. Wo ist denn das Problem?

Alle anderen Vergleiche (faschistoide, BRD und Nordkorea) sind natürlich vollkommen albern und nicht mein (Erregungs)Niveau.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Do 4. Apr 2013, 18:43

Zappa hat geschrieben:Ja und?
Das ist doch das normalste von der Welt, dass in einer Gesellschaft irgendwie ein Konsens oder zumindest eine Mehrheitsmeinung (unter Berücksichtigung wichtiger Minderheitenrechte) darüber gefunden wird, wie Lebensbedingungen zu gestalten sind. Dazu gehört eine Infrastruktur und z.B. auch gewisse Ausgaben für Bildung und Kinderbetreuung. Da sich der Markt für alles was keinen Gewinn abwirft einen feuchten Kehricht interessiert, wird so was über Steuern finanziert. So funktionieren nun mal größere Gemeinschaften. Wo ist denn das Problem?

Wenn nun eine Mehrheit dafür wäre, dass du jeden Sonntag in die Kirche gehen und dafür auch noch bezahlen musst, hättest du damit ein Problem?
Ich musste viele Jahre lang, fünf Tage die Woche in einer Anstalt verbringen, in der man behauptete mich zu bilden, in Wirklichkeit aber jeglichen geistigen Fortschritt, der weiter als der Zentralplan reichte, zu sabotieren suchte (schon allein indem man meine Anwesenheit erzwang und Fremdbeschäftigung bekämpfte) und mir nebenbei täglich das Leben zur Hölle machte. Und einem Teil dieser Peiniger, den Unterrichtsvollzugsbeamten, darf ich dann auch noch eine fette Pension mitbezahlen.
Aber für die Anbeter des "größeren Gesellschaftswohls" sind Leute wie ich halt bedauerliche Einzelfälle. So wie halt im Mittelalter das Schicksal der "Hexen" den meisten am Arsch vorbeiging.
Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass das Leben so unfair ist.
Aber ich bin nicht bereit mich selbst derart zu erniedrigen, auch noch das Loblied für diese Schinder zu singen.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Nanna » Do 4. Apr 2013, 18:51

Deine Einstellung zum Staat hat sehr spezifisch mit deinen Schulerfahrungen zu tun. Mir tut das persönlich leid, aber in dem Punkt ist dir etwas die Perspektive verloren gegangen. Du gehst nämlich davon aus, dass ein simples Abschaffen bestimmter staatsbürgerlicher Verpflichtungen die Lösung des Problems ist, was aber letztlich nur ein sehr partikularistisches Denken ist. Mag sein, dass es in deinem individuellen Fall sogar geholfen hätte (dass die Unterrichtsqualität maßgeblich von der Qualität der Lehrkräfte abhängt ist bekannt und da hast du großes Pech gehabt, wie es aussieht), das heißt aber nicht, dass du deshalb automatisch von dir auf die Gesellschaft schließen kannst. Und es heißt auch nicht, dich als bedauerlichen Einzelfall wegzueuphemisieren. Das Bildungssystem hat gravierende Schwächen, die aber nicht durch seine Abschaffung gelöst werden können.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Do 4. Apr 2013, 19:52

Nanna hat geschrieben:Deine Einstellung zum Staat hat sehr spezifisch mit deinen Schulerfahrungen zu tun. Mir tut das persönlich leid, aber in dem Punkt ist dir etwas die Perspektive verloren gegangen.
Du gehst nämlich davon aus, dass ein simples Abschaffen bestimmter staatsbürgerlicher Verpflichtungen die Lösung des Problems ist, was aber letztlich nur ein sehr partikularistisches Denken ist.

Ob ich die Perspektive verloren habe? Ich würde sagen, ich habe die ganze Veranstaltung halt aus einem ganz andren Blickwinkel kennen gelernt. Ich hab sehr früh lernen müssen, dass das Leben nicht fair ist, und das eigene Schicksal den allermeisten Menschen völlig am Arsch vorbeigeht. Das war immer so, das ist so, und wird auch immer so sein. Und aus dieser Erfahrung heraus sehe ich halt auch diese ganze Veranstaltung namens Staat oder wie mans neuerdings gern nennt "Gesellschaft" halt mit deutlich weniger Idealismus. Sicher ist man immer nur im jeweiligen "Mainstream", die Unterschiede liegen allenfalls im Ausmaß der Ausgrenzung der Ränder, die menschliche Natur scheint das nicht anders zuzulassen. Du hattest ja selbst schon mal angemerkt, dass Ausgrenzung ein wichtiges Mittel ist, um den Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken. Was die Schulklasse im Kleinen, ist der Staat im Großen. Selbst der Meinungsbildungsprozess läuft erstaunlich ähnlich. Die gruppendynamischen Phänomene sind diesselben. Als Außenseiter wird man geduldet, wenn die Gruppe auf einen angewiesen ist. Ist das vorbei, ist man wieder der Fußabtreter. Nochmals: Ich mache mir keine Illusionen, dass das jemals anders sein wird. ICh werde mich aber nicht so weit erniedrigen, dass gutzufinden.

Nanna hat geschrieben: Mag sein, dass es in deinem individuellen Fall sogar geholfen hätte (dass die Unterrichtsqualität maßgeblich von der Qualität der Lehrkräfte abhängt ist bekannt und da hast du großes Pech gehabt, wie es aussieht),

Die fachliche Qualität der Lehrkräfte meinte ich gar nicht. Dass ein Klassenverband, dessen unterer Rand wohl so einen IQ von ca 100 hat (50% Gymnasiasten), oder 70 aufweist (Grundschule) ein sehr weites Spektrum an Lerngeschwindigkeiten aufweist, ist in meinen Augen eine Trivialität. Dieses Problem ist in der Logik des gegenwärtigen Systems nicht auflösbar. Im Ergebnis orientiert sich halt dann das Tempo am unteren Mittelfeld, schließlich brauchen wir ja hohe Abiturientenquoten :irre: und in der Grundschule darf "keiner zurückbleiben". Aus meiner Sicht hilft nur eine größere Ausdifferenzierung und mehr Wahlmöglichkeiten. Stattdessen geht der Trend zu noch mehr Mittelmaßorientierung. Das ist mal das eine Thema.

Das andre Thema ist die menschliche Dimension, dass manche sogenannte Pädagogen massives Mobbing nicht mal erkennen, wenn es direkt vor ihrer Nase passiert, solang das Opfer sich nicht umbringt oder Amok läuft (dann sind natürlich wieder alle furchtbar geschockt und schuld sind Ballerspiele und die Schützenvereine). Einige wenige entblöden nicht, den Betroffenen zu unterstellen, sie würden das Mobbing ja bewusst provozieren um im Rampenlicht zu stehen (gehts noch? :irre: ), oder machen sogar munter mit. Die meisten wollen möglichst wenig Ärger und irgendwie die Zeit bis zur Pension rüberbringen (was angesichts der langsamen Bürokratiemühlen in gewissem Ausmaß sogar nachvollziehbar ist), und ein paar wenige unternehmen was und spielen Don Quijote, reiben sich dabei aber auch selber ziemlich auf, weil sie Teile der Kollegen gegen sich aufbringen.



Nanna hat geschrieben: das heißt aber nicht, dass du deshalb automatisch von dir auf die Gesellschaft schließen kannst. Und es heißt auch nicht, dich als bedauerlichen Einzelfall wegzueuphemisieren. Das Bildungssystem hat gravierende Schwächen, die aber nicht durch seine Abschaffung gelöst werden können.

Ich wäre schon froh wenn "die Gesellschaft" nicht immer von sich auf mich schließen würde und verzichten würde mir ständig das als Lösung aufzudrücken was sie für das Beste hält (bzw. wenigstens das Ausmaß dessen drastisch reduzieren würde).
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Nanna » Fr 5. Apr 2013, 02:58

provinzler hat geschrieben:Ich hab sehr früh lernen müssen, dass das Leben nicht fair ist, und das eigene Schicksal den allermeisten Menschen völlig am Arsch vorbeigeht. Das war immer so, das ist so, und wird auch immer so sein.

Diese zynische Haltung hilft aber niemanden und die Beobachtung ist auch nicht richtig, nicht in dieser Absolutheit jedenfalls. Es ist auch kaum zu übersehen, dass die Erwartungshaltung, die sich bei dir offenbar schon früh eingeprägt hat (und wir wissen, wie prägend die kindlichen Erfahrungen sind), deine heutigen Ansichten stark beeinflusst. Und so verständlich das ist, so unangebracht ist prinzipielles, ausnahmsloses Misstrauen jedem Kollektiv gegenüber.

provinzler hat geschrieben:Und aus dieser Erfahrung heraus sehe ich halt auch diese ganze Veranstaltung namens Staat oder wie mans neuerdings gern nennt "Gesellschaft" halt mit deutlich weniger Idealismus. Sicher ist man immer nur im jeweiligen "Mainstream", die Unterschiede liegen allenfalls im Ausmaß der Ausgrenzung der Ränder, die menschliche Natur scheint das nicht anders zuzulassen. Du hattest ja selbst schon mal angemerkt, dass Ausgrenzung ein wichtiges Mittel ist, um den Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken. Was die Schulklasse im Kleinen, ist der Staat im Großen. Selbst der Meinungsbildungsprozess läuft erstaunlich ähnlich. Die gruppendynamischen Phänomene sind diesselben. Als Außenseiter wird man geduldet, wenn die Gruppe auf einen angewiesen ist. Ist das vorbei, ist man wieder der Fußabtreter. Nochmals: Ich mache mir keine Illusionen, dass das jemals anders sein wird. ICh werde mich aber nicht so weit erniedrigen, dass gutzufinden.

Das deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen. Toleranz ist in größeren Gruppen möglich, erfordert aber, dass eine Reihe von Vorbedingungen erfüllt sind. Das sind kulturelle (ist Ausgrenzung geduldet, wird sie vielleicht gar gezielt anerzogen?), ökonomische (gibt es eine massive Benachteiligung Einzelner? Werden für Benachteiligungen plausible Erklärungen angeboten?) und auch individuelle. Ein Meinungsbildungsprozess läuft eben nicht überall gleich, auch wenn viele Muster sich wiederholen. Gesellschaften und Gruppen können aber reifen und sich Toleranz und Respekt für Andere aneignen.
Und dann dient der Staat ja auch gerade dazu, diejenigen in Schach zu halten, die dazu von alleine nicht in der Lage sind.

Der Staat und die Gesellschaft sind übrigens nicht dasselbe. Der Staat sind, so wie wir es hier verwenden, der Staatsapparat und die Regierung, die Gesellschaft ist die nicht-hierarchische, netzwerksartige Struktur, die die Bürger miteinander bilden.

provinzler hat geschrieben:Die fachliche Qualität der Lehrkräfte meinte ich gar nicht. [...] Das andre Thema ist die menschliche Dimension, dass manche sogenannte Pädagogen massives Mobbing nicht mal erkennen, wenn es direkt vor ihrer Nase passiert,...

Ich denke, dass das sehr wohl unter die fachliche Qualifikation fällt, solche Entwicklungen und Vorfälle erkennen und kontern zu können. Dass es da teils erhebliche Defizite bei manchen Lehrern gibt, ist bekannt und es tut mir leid, dass du das Pech hattest, an so jemanden zu geraten. Gerade da sollten wir aber über das eigentliche Problem reden (Mobbing erkennen und vermeiden ist als Fähigkeit zu wenig verbreitet) und nicht so tun, als würde die Tatsache, dass Lehrer sich im Staatsdienst befinden, dafür strukturell verantwortlich sein. Auch in Privatschulen passiert das ja, also sollte die Frage eher lauten: Wie bauen wir das Lehrer-Schüler-Verhältnis so auf, dass es funktioniert und solche Vorfälle auf ein Minimum reduziert?

provinzler hat geschrieben:Ich wäre schon froh wenn "die Gesellschaft" nicht immer von sich auf mich schließen würde und verzichten würde mir ständig das als Lösung aufzudrücken was sie für das Beste hält (bzw. wenigstens das Ausmaß dessen drastisch reduzieren würde).

Naja, deswegen handeln wir ja als Gesellschaft die Grenzen der individuellen Freiheit immer wieder neu aus. Es ist aber auch so, dass u.U. für die Gesamtgesellschaft etwas gut sein kann, was den Individuen, oder zumindest manchen, zuwiderläuft (Rationalitätenfalle, dazu habe ich mich ja schon öfter eingehend geäußert). Da entstehen logische Widersprüche, die sich nicht befriedigend auflösen lassen und wo beide, Kollektiv und Individuum, selten ihr Optimum erreichen. Ist übrigens in der neueren politischen Philosophie eines der heißen Themen, wie Partikularismen und Universalismus sich zueinander verhalten und verhalten sollten.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Fr 5. Apr 2013, 13:06

Nanna hat geschrieben:Diese zynische Haltung hilft aber niemanden und die Beobachtung ist auch nicht richtig, nicht in dieser Absolutheit jedenfalls. Es ist auch kaum zu übersehen, dass die Erwartungshaltung, die sich bei dir offenbar schon früh eingeprägt hat (und wir wissen, wie prägend die kindlichen Erfahrungen sind), deine heutigen Ansichten stark beeinflusst. Und so verständlich das ist, so unangebracht ist prinzipielles, ausnahmsloses Misstrauen jedem Kollektiv gegenüber.

Menschen, die einem helfen, wenns einem richtig dreckig geht, gibts ganz ganz wenige. Nicht umsonst gibts den Spruch, erst in der Not erkennt man seine wahren Freunde. Bist du einmal in der Fußabtreterrolle gelandet, dann wirst du recht schnell von einer ganzen Reihe von Illusionen über das Phänomen Mitmensch befreit. Für jemanden, der dieser Erfahrung nie ausgesetzt war, sicherlich nicht so leicht zu begreifen.

Nanna hat geschrieben:Naja, deswegen handeln wir ja als Gesellschaft die Grenzen der individuellen Freiheit immer wieder neu aus.

"Wir" handeln aus? Mich hat nie jemand gefragt. Mir werden nur ständig neue Einschränkungen vorgesetzt. Und sag mir jetzt bitte nicht, ein Kreuzl auf nem Wunschzettel wär eine ernsthafte Verhandlungsbeteiligung.

Nanna]
Es ist aber auch so, dass u.U. für die Gesamtgesellschaft etwas gut sein kann, was den Individuen, oder zumindest manchen, zuwiderläuft (Rationalitätenfalle, dazu habe ich mich ja schon öfter eingehend geäußert).
[/quote]
Du bist nichts, dein Volk ist alles. Nur schöner verpackt.

[quote="Nanna hat geschrieben:
Ist übrigens in der neueren politischen Philosophie eines der heißen Themen, wie Partikularismen und Universalismus sich zueinander verhalten und verhalten sollten.

Ich glaube kaum, dass die Philosophie da in ihrem Elfenbeinturm eine ernsthafte Rolle spielt. Gesellschaften haben ob groß oder klein, immer nach dem gleichen Grundmuster funktioniert. Was verschieden ist, sind die Kriterien anhand derer man zur Unperson wird, und wie weit die Gesellschaft in ihrer Ausgrenzung geht (also "nur" soziale Ächtung, oder im Extremfall physische Vernichtung). Das ändert sich immer mal wieder, aber die Grundmuster bleiben erhalten.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Nanna » Fr 5. Apr 2013, 13:45

provinzler hat geschrieben:Menschen, die einem helfen, wenns einem richtig dreckig geht, gibts ganz ganz wenige. Nicht umsonst gibts den Spruch, erst in der Not erkennt man seine wahren Freunde. Bist du einmal in der Fußabtreterrolle gelandet, dann wirst du recht schnell von einer ganzen Reihe von Illusionen über das Phänomen Mitmensch befreit. Für jemanden, der dieser Erfahrung nie ausgesetzt war, sicherlich nicht so leicht zu begreifen.

Es ist kaum möglich, hierzu irgendetwas zu sagen, ohne die genaueren Umstände deiner (damaligen) Situation zu kennen und ich werde dich auch nicht bitten, die hier im Forum auszubreiten.

Ansonsten halte dich bitte zurück mit Mutmaßungen über meine Erfahrungen. Ich bin auch durch eine harte Schule des Lebens gegangen und habe Erfahrungen mit äußerst unmenschlichem Verhalten gemacht. Ich lasse mir davon aber meinen Platz in der Gesellschaft nicht wegnehmen und ich werde mich auch nicht daran beteiligen, das Projekt friedliche, respektvolle und pluralistische Gesellschaft kaputt zu reden. Natürlich muss sich jeder, insbesondere diejenigen, die etwas Hirn im Kopf haben, ziemlich anstrengen, damit das funktioniert. Aber ich bin überzeugt, dass gesellschaftliche Weiterentwicklung möglich ist, fühle mich dabei auch von der Geschichte (und meinen Vergleichen mit anderen Kulturen aus erster Hand) bestätigt und werde mich dafür einsetzen, ganz ohne überzogene Erwartungen, aber mit Entschlossenheit. Aufgeben ist für mich keine Option.

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Naja, deswegen handeln wir ja als Gesellschaft die Grenzen der individuellen Freiheit immer wieder neu aus.

"Wir" handeln aus? Mich hat nie jemand gefragt. Mir werden nur ständig neue Einschränkungen vorgesetzt. Und sag mir jetzt bitte nicht, ein Kreuzl auf nem Wunschzettel wär eine ernsthafte Verhandlungsbeteiligung.

Es ist eine, aber eine sehr kleine - bestreitet keiner. Nicht jeder hat denselben Zugang zum öffentlichen Diskurs, was meines Erachtens auch richtig so ist, weil nicht jeder einen produktiven Beitrag zur Diskussion leisten kann (einfach mal Videos von Piratenparteitagen ansehen, da sieht man das öffentliche Philosophieren des Volkes über die res publica in seiner ganzen Pracht...). Für jemanden mit deinen intellektuellen Fähigkeiten gibt es aber viele Möglichkeiten, sich zu beteiligen, über Arbeit in Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kommentare und Leserbriefe, Teilnahme an politischen Veranstaltungen oder an Protest und natürlich auch einfach über dein persönliches Verhalten im Alltag. Wenn du unhöfliches Verhalten dir gegenüber nicht tolerierst, trägst du dein 80millionstel Schärflein dazu bei, dass sich eine höflichere Kultur ausbreitet (Achte auch mal auf die Kleinigkeiten. In London steht man ordentlich am Bus an und verhält sich einigermaßen höflich, in Kairo rempelt man sich irgendwie in den Zug hinein und hat eigene Waggons für die Frauen, damit die nicht belästigt werden; Sorry, aber ich sehe da massive Unterschiede im Umgang miteinander, auch wenn das nur ein kleines, sozial sehr ritualisiertes Beispiel ist.). Es sind Veränderungen möglich, sonst hätte es seit den ersten Tagen der Kultur nie einen Kulturwandel geben können.

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Es ist aber auch so, dass u.U. für die Gesamtgesellschaft etwas gut sein kann, was den Individuen, oder zumindest manchen, zuwiderläuft (Rationalitätenfalle, dazu habe ich mich ja schon öfter eingehend geäußert).

Du bist nichts, dein Volk ist alles. Nur schöner verpackt.

Quatsch, du lebst im individualistischsten Zeitalter der Geschichte mit einem historischen Maximum an persönlicher Wahlfreiheit. Dass diese Grenzen hat, ist normal, aber wenn du zwischen Nazideutschland und der heutigen BRD keinen Unterschied zu versehen vermagst, ist die Diskussion hier nur mäßig zielführend.

provinzler hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Ist übrigens in der neueren politischen Philosophie eines der heißen Themen, wie Partikularismen und Universalismus sich zueinander verhalten und verhalten sollten.

Ich glaube kaum, dass die Philosophie da in ihrem Elfenbeinturm eine ernsthafte Rolle spielt. Gesellschaften haben ob groß oder klein, immer nach dem gleichen Grundmuster funktioniert. Was verschieden ist, sind die Kriterien anhand derer man zur Unperson wird, und wie weit die Gesellschaft in ihrer Ausgrenzung geht (also "nur" soziale Ächtung, oder im Extremfall physische Vernichtung). Das ändert sich immer mal wieder, aber die Grundmuster bleiben erhalten.

Natürlich funktionieren Populationen einer Art innerhalb eines bestimmten Rahmens nur nach bestimmten Mustern. Das gibt es biologische, physiologische und bei großen Gesellschaften vor allem logistische und andere organisationstechnische Grenzen. Der Mensch hat aber derart viele Variationsmöglichkeiten, dass auch Gesellschaften mit einem hohen Maß an Respekt und individueller Freiheit möglich sind. Und ja, die Philosophie spielt eine viel größere Rolle, als du denkst, wenn auch nicht kurzfristig. Aber langfristig definiert sie, was die Grenzen des Denkbaren und (moralisch) Undenkbaren sind. Der Holocaust wäre nicht möglich gewesen, wäre dem nicht ein ganzes Jahrhundert an geistiger Entwicklung in Richtung Rationalisierung bei den industriellen und logistischen Methoden (Menschen als Nummern) und ein Wandel in der Selbstbetrachtung des Menschen (Rassentheorien) vorausgegangen.

Du hast schon eine sehr zynische, verschlossene Haltung der Gesellschaft gegenüber. Irgendwann wird die eigene Erwartungshaltung da halt auch eine selbsterfüllende Prophezeihung.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 5. Apr 2013, 21:46

provinzler hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben:...ebenso wie in den faschistodien Ideologien des heutigen Europas wie Frankreich, Deutschland...

Gibt schon Entwicklungen, die ich sehr bedenklich finde. In Frankreich bleiben Freiheitsberaubung, Folter durch Schlafentzug und Androhung weitaus schlimmerer Dinger straflos, wenn die Opfer dem dortigen Untermenschentum angehören (Unternehmer oder Manager, die ein Fabrik zumachen wollen oder müssen). In einem Rechtsstaat müsste eine Organisation (in diesem Fall eine Gewerkschaft), deren Chef derartiges äußert, als kriminell eingestuft und verboten werden, sowie die Täter strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, mal ganz abgesehen davon, dass die Staatsmacht, die vorgibt Leib und Leben zu schützen in solchen Situationen tatenlos zusieht, weil die Vertreter die Aktionen gut und richtig finden.

Klar ist Frankreich in sowas ausbaufähig, aber dennoch ist es weltweit einer der Vorzeigestaaten und ein Ursprungsland was Demokratie angeht. Eine Heile-Welt-Demokratie gibt es nicht, das liegt aber am grundsätzlichen Konzept welches eine Mischform verschiedener effizienterer Regierungsformen ist, die jedoch einzeln wesentlich anfälliger für Missbrauch und Korruption sind als der Hybride, den wir aktuell in Europa zurecht bevorzugen. Es ist etwas anderes Missstände zu kritisieren als zwischendurch alles faschistoid zu bezeichnen, was nicht Anarchismus bedeutet und sich dann jeder Diskussion zu entziehen, nachdem man sein Feuer gelegt hat.
provinzler hat geschrieben:Staatliche Betreuung bedeutet vor allem Externalisierung von Kosten.

Klingt mir nach Liberalisierung der Familien wie die Liberalisierung der Märkte. Das bedeutet konsequent gedacht, dass man einen Großteil an Verwahrlosung überlässt, um keine kollektive Verantwortung zu übernehmen. Diese "Kosten" sind eine sinnvolle Investition in den wichtigsten Rohstoff: Nachwuchs.
provinzler hat geschrieben: Du verlangst, dass andre deine bevorzugte Lebensart über ihre Steuergelder subventionieren müssen.

Als ob ich der Schmarotzer wäre, den die anderen bezahlen müssten! Ich selbt bin auch bereit einen Teil der Kosten zu tragen, sobald ich ein Einkommen außer Bafög habe. Ich verlange gar nichts, habe nicht die Position etwas zu verlangen - stelle aber fest, dass es ein zu großes Risiko bedeutet, die Kinder ihren Familien zu überlassen und die wenigsten wohl ein derart komfortables Berufsleben haben, sich einerseits Kinder zu leisten und andererseits auch noch ihre Erziehung zu übernehmen.
Es kommt mir vor, als seien die Linken mit denen ich immer diskutiere grundsätzlich irgendwelche weltfremden Idealisten, die nie arbeiten mussten oder müssen und sich deswegen gar nicht vorstellen können, dass manche gar keine Zeit/kein Geld oder beides nicht haben, um für eine Familie unabhängig vom Staat zu sorgen.
provinzler hat geschrieben:Und ich bin skeptisch, wer darüber befinden darf, ob Eltern "nicht in der Lage sind" ihre Kinder selbst zu erziehen.

Die Daten einer Bevölkerung sprechen für sich. Selbst einer Gesellschaft wie dieser, der es so gut geht, scheint sich immer weniger Nachwuchs leisten zu wollen (vielleicht weil sie es oft auch nicht können?!). Die geburtenreichen Länder hingegen haben zwar viel Nachwuchs, allerdings weniger Lebensqualität (und damit weniger Aussicht auf eine gute Erziehung, ein gutes Leben). Die meisten Menschen müssen noch arbeiten, um für sich und vielleicht sogar eine Familie zu sorgen. Das bedeutet, dass sie "nicht in der Lage" sind, ihre Kinder selbst zu erziehen. Soll nicht nur bedeuten, dass der Inhalt der Erziehung unter Umständen unangebracht ist, sondern dass selbst bei Wille und Kompetenz schlichtweg die Zeit fehlen kann. Ist das so schwierig nachzuvollziehen für euch?
Diese Form des Zwangs zur physischen Anwesenheit im staatlichen Unterrichtsvollzug wurde in den 1930ern eingeführt und passt auch bestens in den Geist der damaligen Zeit. Diese besonders repressive Form teilt die BRD nur mit einer Handvoll Diktaturen wie Nordkorea. In andren Ländern ist es zwar umständlich und bürokratisch, aber immerhin möglich seine Kinder selbst zu unterrichten, oder falls man sich das leisten kann, von Privatlehrern zu Hause unterrichten zu lassen.

OK, bei so einer Aussage lohnt es sich nicht, mit dir sachlich zu reden.
Zappa hat geschrieben:Alle anderen Vergleiche (faschistoide, BRD und Nordkorea) sind natürlich vollkommen albern und nicht mein (Erregungs)Niveau.

:applaus:
provinzler hat geschrieben:Wenn nun eine Mehrheit dafür wäre, dass du jeden Sonntag in die Kirche gehen und dafür auch noch bezahlen musst, hättest du damit ein Problem?

In der Kirche wird man nicht zum nützlichen Mitglied der Gesellschaft ausgebildet, du bekommst keine Sprachkenntnisse, kein Wissen um die Naturwissenschaftten, keine Geschichtlichen Informationen und Fakten überliefert. Selbst ich mit meinem Abitur und meiner weiteren Ausbildung bezweifle, dass ich ausgewogen und alleine meine Kinder erziehen könnte. Es ist unrealistisch in allen relevanten Bereichen des Lebens so ausgebildet zu sein, dass man noch andere so erziehen könnte.
provinzler hat geschrieben:Ich musste viele Jahre lang, fünf Tage die Woche in einer Anstalt verbringen, in der man behauptete mich zu bilden, in Wirklichkeit aber jeglichen geistigen Fortschritt, der weiter als der Zentralplan reichte, zu sabotieren suchte (schon allein indem man meine Anwesenheit erzwang und Fremdbeschäftigung bekämpfte) und mir nebenbei täglich das Leben zur Hölle machte. Und einem Teil dieser Peiniger, den Unterrichtsvollzugsbeamten, darf ich dann auch noch eine fette Pension mitbezahlen.

Oh, da muss ich aber :( :( :(
Ich wette, dass deine Schulzeit nicht halb so schlimm war wie meine, nicht halb so brutal, nicht halb so erniedrigend, so nervig. Aber es hat mich gestärkt und das war immer noch besser als zu verwahrlosen. Hätten meine Eltern meine Ausbildung übernommen, könnte ich wohl keinen einzigen korrekten Satz deutsch rausbringen!
provinzler hat geschrieben:Aber für die Anbeter des "größeren Gesellschaftswohls" sind Leute wie ich halt bedauerliche Einzelfälle. So wie halt im Mittelalter das Schicksal der "Hexen" den meisten am Arsch vorbeiging.
Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass das Leben so unfair ist.
Aber ich bin nicht bereit mich selbst derart zu erniedrigen, auch noch das Loblied für diese Schinder zu singen.

Ja, für dich wäre die Welt wohl in Ordnung, würde der Staat für solche wie dich ein Klassenzimmer mit 3 Lehrern bereitstellen, nicht wahr? Und wenn nicht - naja, soll jeder selbst sehen, wo er bleibt, oder? Wenns im Geldbeutel fehlt, was solls?
provinzler hat geschrieben:Ob ich die Perspektive verloren habe? Ich würde sagen, ich habe die ganze Veranstaltung halt aus einem ganz andren Blickwinkel kennen gelernt.

Das Zentrum der Welt: provizler.
Hier waren wohl alle auf einer staatlichen Schule, du bist uns in nichts voraus (zumindest gehe ich mal davon aus).
provinzler hat geschrieben:Ich hab sehr früh lernen müssen, dass das Leben nicht fair ist, und das eigene Schicksal den allermeisten Menschen völlig am Arsch vorbeigeht. Das war immer so, das ist so, und wird auch immer so sein. Und aus dieser Erfahrung heraus sehe ich halt auch diese ganze Veranstaltung namens Staat oder wie mans neuerdings gern nennt "Gesellschaft" halt mit deutlich weniger Idealismus.

Ohne Zentralisierung im Staat würde eine Gesellschaft sich die Eier kraueln und dahinvegitieren. Die widerwertigen Ausprägungen des Föderalismus sind schon schlimm genug, da diverse Organe wie die Polizei sich schlichtweg nicht absprechen und dann häufen sich Verbrechen wie des NSU oder von professionellen Einbrechern, die nur das Bundesland wechseln müssen, um den labilen Staat zu überfordern. Und da soll irgendein Kommunensystem die Lösung sein? Nur das ist nicht faschistoid?
Die menschliche Natur ist egoistisch, kein Zweifel, aber auf dieser Grundlage ist eine staatliche Demokratie die beste Organisationsform.
provinzler hat geschrieben:Im Ergebnis orientiert sich halt dann das Tempo am unteren Mittelfeld, schließlich brauchen wir ja hohe Abiturientenquoten :irre: und in der Grundschule darf "keiner zurückbleiben". Aus meiner Sicht hilft nur eine größere Ausdifferenzierung und mehr Wahlmöglichkeiten. Stattdessen geht der Trend zu noch mehr Mittelmaßorientierung. Das ist mal das eine Thema.

Also, du erkennst den offensichtlichen Widerspruch in deinen Forderungen nicht? Einerseits bist du beleidigt, weil du in einer wie auch immer gearteten Minderheit ausgestoßen wirst, forderst jedoch gleichzeitig, nicht die Dummen mitzuschleppen, um auch sie zu bilden? Was hättest du gefordert, wenn du einer der Lerngestörten wärst (oder ist da der Konjunktiv falsch?)?
provinzler hat geschrieben:Das andre Thema ist die menschliche Dimension, dass manche sogenannte Pädagogen massives Mobbing nicht mal erkennen, wenn es direkt vor ihrer Nase passiert, solang das Opfer sich nicht umbringt oder Amok läuft (dann sind natürlich wieder alle furchtbar geschockt und schuld sind Ballerspiele und die Schützenvereine).

Da bin ich dir mal wieder eine Erfahrung voraus: Manche Lehrer betreiben sogar auch Mobbing, du hattest Glück.
Es gibt leider keine leichte Lösung für dieses Problem, es erfordert immer von dir Anstrengung, aber ausgeliefert bist du deinen Peinigern nie. Man muss nur die Stärke finden, ihnen entgegenzutreten.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Fr 5. Apr 2013, 22:22

Tja, halt doch wieder die alte Leier. Stell dich nicht so an, wird schon nicht so schlimm gewesen sein, selber schuld, wir wissen besser was für dich gut ist, du bist nichts dein Volk ist alles. Aber hatte auch eigentlich nix andres erwartet...
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon provinzler » Fr 5. Apr 2013, 22:59

Nanna hat geschrieben:Es ist kaum möglich, hierzu irgendetwas zu sagen, ohne die genaueren Umstände deiner (damaligen) Situation zu kennen und ich werde dich auch nicht bitten, die hier im Forum auszubreiten.

Hatte auch nicht die Absicht das in ausführlicher Form, als bereits geschehen, hier auszubreiten.

Nanna hat geschrieben:Es ist eine, aber eine sehr kleine - bestreitet keiner.

Finde immer lustig, wen das von Leuten angeführt wird, denen das Risiko am Roulettetisch mit maximal 1:37 zu hoch ist.
Homöopathie arbeitet dagegen ja mit Hochkonzentrationen.

Nanna hat geschrieben: Für jemanden mit deinen intellektuellen Fähigkeiten gibt es aber viele Möglichkeiten, sich zu beteiligen, über Arbeit in Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kommentare und Leserbriefe, Teilnahme an politischen Veranstaltungen oder an Protest und natürlich auch einfach über dein persönliches Verhalten im Alltag.

Nun abgesehen von meinen Kommentaren hier und anderswo, nutze ich die letzte Option. Ich bin mir allerdings im Klaren darüber, dass es vergleichsweise wenige interessieren wird. Ich schaffe ich es damit, mit den Leuten in meinem Umfeld auf friedlicher Basis auszukommen, mit einigen wenigen auch noch mehr, und dem Rest gehe ich so gut es geht aus dem Weg.


Nanna hat geschrieben:Quatsch, du lebst im individualistischsten Zeitalter der Geschichte mit einem historischen Maximum an persönlicher Wahlfreiheit.

"Denn seit diesem Tag gehör ich nicht mehr zur Norm, denn ich trag jetzt die Nonkonformistenuniform"(Reinhard Mey)

Ja ich kann im Supermarkt zwischen 25 verschiedenen Erdbeerjoghurts auswählen. Aber schon in der Frage, wie ich gern für mein Alter vorsorgen möchte, werde ich entmündigt.

Nanna hat geschrieben: Dass diese Grenzen hat, ist normal, aber wenn du zwischen Nazideutschland und der heutigen BRD keinen Unterschied zu versehen vermagst, ist die Diskussion hier nur mäßig zielführend.

ICh dachte eigentlich klar und deutlich zum Ausdruck gebracht zu haben, dass sich in Ausmaß und Methodik der Ausgrenzung Unterschiede ergeben.

Nanna hat geschrieben: Der Holocaust wäre nicht möglich gewesen, wäre dem nicht ein ganzes Jahrhundert an geistiger Entwicklung in Richtung Rationalisierung bei den industriellen und logistischen Methoden (Menschen als Nummern) und ein Wandel in der Selbstbetrachtung des Menschen (Rassentheorien) vorausgegangen.

Die Schoah stand am Ende einer langen Kette von Entscheidungen, die aus der ideologischen und politischpragmatischen Perspektive für sich genommen aus Sicht der Entscheider zum jeweiligen Zeitpunkte alle "alternativlos" waren. Die von dir genannten Aspekte waren zwar notwendige aber keineswegs hinreichende Bedingungen

Nanna hat geschrieben:
Du hast schon eine sehr zynische, verschlossene Haltung der Gesellschaft gegenüber. Irgendwann wird die eigene Erwartungshaltung da halt auch eine selbsterfüllende Prophezeihung.

Für mich gibt es keine Gesellschaft, sondern nur Menschen. Und mit denen komme ich im Einzelfall durchaus ganz gut aus. Meistens dienen Forderungen, die im "Namen der Gesellschaft" daherkommen, ledglich der Befriedigung ganz egoistischer Bedürfnisse.
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Re: Was kommt, wenn Familie geht?

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 6. Apr 2013, 12:04

provinzler hat geschrieben:Tja, halt doch wieder die alte Leier. Stell dich nicht so an, wird schon nicht so schlimm gewesen sein, selber schuld, wir wissen besser was für dich gut ist, du bist nichts dein Volk ist alles. Aber hatte auch eigentlich nix andres erwartet...

Das mit dem Volk ist Unsinn. Ich bin weder Patriot noch Altruist. Es geht nur um die praktische Erwägung, wie man sich in einer Gesellschaft verhält. Und nur weil etwas fehlerhaft funktioniert ist es nicht nutzlos. Dein Herz kann viele Probleme bereiten, würdest du aber ohne es funktionieren? Es kann doch nicht so schwierig sein zu erkennen, was mehr Nutzen als Schaden bringt. Und ja, du musst klarkommen. Dein wehleidiges Getue ist nichtmal Resignation. Wäre das der fall würdest du nicht so offensichtlich um Mitleid und Zustimmung betteln, sondern dich den Fakten und den Argumenten stellen. Mir ist jedenfalls nicht klar, worauf du ansonsten hinauswollen würdest, da du dich einer Diskussion entziehst, sobald dir jemand, dem es dreckiger ging als dir, sagt, du sollst dich nicht so anstellen.
Nanna hat geschrieben:Der Holocaust wäre nicht möglich gewesen, wäre dem nicht ein ganzes Jahrhundert an geistiger Entwicklung in Richtung Rationalisierung bei den industriellen und logistischen Methoden (Menschen als Nummern) und ein Wandel in der Selbstbetrachtung des Menschen (Rassentheorien) vorausgegangen.

Riesenblödsinn. Was ist an systematischem Mord an einem Teil der Bevölkerung rational und logisch? Das ist Verschwendung an Ressorucen, macht sich nicht gut im Ausland und wurde unnötig grausam und pervers durchgeführt. Von der Planung, der Argumentation bis zur Ausführung ist nichts an diesem Ereignis rational oder logisch (außer dass ein mental labiles Volk gerade wegen ihrer Minderwertigkeitskomplexe unbedingt einen Sündenbock brauchte und es sich besonders leicht gemacht hat, einen mit den größten Komplexen auch noch zum fast alleinigen Verantwortlichen zu erklären. Es ist eine logische Konsequenz einer langen Geschichte, aber ergibt sich nicht primär aus der Industrialisierung oder einer imaginären Rationalisierung).
provinzler hat geschrieben: Und mit denen komme ich im Einzelfall durchaus ganz gut aus. Meistens dienen Forderungen, die im "Namen der Gesellschaft" daherkommen, ledglich der Befriedigung ganz egoistischer Bedürfnisse.

Was für eine Riesenerkenntnis. :erschreckt:
Trotzdem bedeutet Kooperation zwangsläufig Bildung von Gruppen, Gesellschaften. Das drückt sich durch einen Konsenswillen der Gruppe aus. Du kannst es Schwarmintelligenz nennen, die dem Menschen in dieser Ausprägung seinen großen Vorteil verschafft. Die Befriedigung egoistischer Bedürfnisse ist nicht zu verachten, da sie eine Verhandlungsbasis ermöglicht. Altruisten vielleicht nicht mit sich verhandeln und stellen in Form von Terroristen und Selbstmordattentätern deswegen eine große Bedrohung dar, sofern man eine sanfte Definition von Altruismus überhaupt zulässt und den Begriff nicht ohnehin als widersprüchlich einstuft.
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