Lieber Lumen, Arathas hat es im Grunde schon vorweggenommen:
Ich verstehe langsam immer weniger, welche praktischen Implikationen deine Ausführungen überhaupt haben sollen.
Patrick Bahners, der Chefredakteur der FAZ, hat gestern in der ZEIT in einem Interview ein paar sehr vernünftige Sachen gesagt (ZEIT No. 8 2011, S.50). Ich kann nicht allem zustimmen, aber ein Absatz, den er fallen gelassen hat, steht ganz exemplarisch für das, was ich an deinen Beiträgen nicht verstehe (Unterstreichungen von mir):
"
ZEIT: Selbst Frau Merkel sagt, der Multikulturalismus sei gescheitert.
Bahners: Wenn man eine solche Extremposition wie Frau Merkel einnimmt -
was ist dann der nächste Schritt? Bildungspolitiker wollen eine Imam-Ausbildung an deutschen Universitäten organisieren. Aber es wird Jahrzehnte dauern, bis die Erfolge greifen. Was machen wir in der Zwischenzeit, wenn Politiker so einer fanatischen Rhetorik wie der eines Ralph Giordano auch nur ein Gran korrekter Analyse bescheinigen? Die islamkritische [analog zu unserer Diskussion: religionskritische] Rhetorik hat eine Schärfe erreicht, dass man sich fragt:
Was soll ganz praktisch daraus folgen? Wenn das Publikum bei den Lesungen von Sarrazin fordert, "Wer hier nicht hinpasst, der soll gehen", dann gibt es heute schon riesigen Applaus."
Bitte sage mir doch: Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Du formulierst jede Menge Anklagen, Vorwürfe, zählst Verbrechen der Religionsgeschichte aus, aber ich kann - vielleicht habe ich ja nur schlecht gelesen? - mich an keinen einzigen Satz von dir erinnern, in dem du konkret Handlungsmaximen für Religiöse im Besonderen und die Gesellschaft im Allgemeinen eingefordert hast. Du trittst wahnsinnig anklagend auf, aber nirgendwo wird deutlich, wohin diese Anklage führen soll.
Ich appelliere außerdem an dich, lass doch mal einen Augenblick diese ganzen Definitionen beiseite, wer nun ein Christ ist und wer nicht. Diese ganzen Definitionen sind doch ein luftleeres Theoriegewichse, warum sollte diesen Definitionen mehr objektive Richtigkeit zufallen, als den Dogmen der Kirche? Die Christen haben festgelegt, dass sie sich Christen nennen wollen, sie haben die Inhalte ihres Glaubens beliebig und willkürlich festgelegt, wenn sie ihn nun genauso beliebig und willkürlich ändern wollen, dann ist es deren Sache. Damit man objektiv festlegen könnte, wer ein Christ ist, müsste Gott existieren!
Natürlich ist es inkonsistent, wenn sich Christen plötzlich nicht mehr an ihre Standarddefinition halten, aber wir brauchen doch keine atheistische Inquisition, die die Christen in wahre Christen und Ketzer aufteilt. Und als gemeinsam akzeptierte Arbeitsgrundlage für unsere Diskussion hier scheint deine Definition von Christentum nicht so recht eine Mehrheit zu finden, da kannst du noch so viele Belege und Autoritäten zitieren, die es in dieser Angelegenheit anders halten. Ein Atom kann man empirisch umreißen und dann hat man eine Definition eines konstanten Untersuchungsgegenstandes. Aber die Religiösen? Die denken sich andauernd etwas neues aus. Von mir aus sprich von "den Christen, die Christen im Sinne der Definition XY sind", das ist zwar rhetorisch weniger sparsam, hat aber dafür einen klar umrissenen Aussagegehalt und du musst nicht anderen Leuten dauernd eines draufgeben, weil sie deine Kategorisierungen nicht teilen.
Denn wozu ist das zielführend? Kann es sein, dass du das schon selbst nicht mehr so genau weißt, dass du dich im Zuge einer konstanten einseitigen Berieselung mit Hitchens und Konsorten (die lautstark lauter Dinge sagen, die du wahrscheinlich eh schon zu wissen glaubtest, nur noch eloquenter und überspitzter formuliert) langsam selbst radikalisiert hast? Ich überlege das, weil ich das bei mir selbst ein bisschen so erlebt habe. Als ich damals Dawkins gelesen hatte, war ich ziemlich wütend auf Religion, ich habe einige Bekannte sogar ziemlich übel vergrault, weil ich eine Diskussion über Religion völlig aus dem Ruder habe laufen lassen, da ich unbedingt wollte, dass alle anderen Religion auch genauso dämonisieren wie ich. Ich konnte es überhaupt nicht akzeptieren in diesem Moment, dass sich nicht alle lückenlos auf meine Seite geschlagen und die Front gegen den Feind geschlossen haben. Dafür schäme ich mich heute richtig, weil das ein Moment von der Art war, der in o.g. Interview von Bahners sehr treffend als "Entzivilisierung" bezeichnet wird. Kann es sein, dass du vor lauter Hitchensvideos schon so vollgesogen bist von der Wut auf die Religion und ihre bedauerlichen schlechten Nebeneffekte, dass du irgendwann aus dem Blick verloren hast, was du eigentlich als erstrebenswertes Zusammenleben in dieser Gesellschaft ansiehst? Nur so ein Gedanke, weil's für mich eben sehr danach klingt.
Vielleicht kannst du ja im Mindesten diese Fragen beantworten:
- Was müssten die Religiösen konkret tun, damit du zufrieden wärst?
- Was müssten wir hier tun, damit du zufrieden wärst?
- Ist Religion, als solche (das sind, für dich nochmal betont, nicht nur das Christentum und die anderen abrahamitischen Religionen), nun grundsätzlich, das heißt immer und ausnahmslos, gefährlich?
Bring doch mal bitte ein bisschen Licht ins Dunkel, das wäre richtig bright.