Der Naturalisten Spiritualität

Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon mat-in » So 23. Dez 2012, 09:04

Vollbreit hat geschrieben:Die Verstärkung von Weltbildern, Glaubenssätzen usw., meinst Du die geschieht beim Atheisten-Stammtisch in Gütersloh nicht, wenn man den ganzen Abend Witze über Priester, UFOs und Globuli macht?
Natürlic passiert das. Das passiert sogar jedes mal wenn ich bei google "Vatikan" eintippe für meine eigene kleine Welt und wenn du das gleiche Wort suchst für deine eigene kleine Welt. Denn wir werden da andere Suchergebnisse bekommen, da google für uns vorsortiert, was wir beim letzten Mal geclickt haben und diesmal clicken könnten. Ich sehe da zwei entscheidende Punkte:
1) nicht in seiner eigenen kleinen Welt sitzen bleiben und sicher sein, daß sie genau so ist, wie man sie sieht / präsentiert bekommt (also sich zum Beispiel mal auf was anderes einlassen. Hexenstammtisch, keltische Jahresendfeier, was Über astralreisen lesen, ... aber dabei auch denken! Ja, ich habe den "ganzen Mist" mit gemacht - und zum Teil erst danach bemerkt was es für ein Mist ist).
2) Leuten die mit ihrer eigenen kleinen Welt an der Realität anecken oder gewaltätig werden zu zeigen, daß da was verbogen ist, das nicht verbogen sein sollte. Auch wenn jemand - in seiner eigenen kleinen Welt denkt, daß die Schmerzen terminaler Krebsleiden einen näher zu Gott bringen und deswegen dem Patienten Schmerzmittel vorenthält, muß man - nach um Objektivität bemühter Betrachtung - sagen dürfen: "sag mal spinnst du? hier leidet jemand! du Unmensch!". Das Mutter-T hier in ihrer eigenen Welt ganz konsequent gehandelt hat, macht es nicht besser. Mit der Ausrede kann man auch alles (Neo)Nazi verhalten (muß die Keule auspacken, brauche ein deutliches Beispiel, sorry) rechtfertigen, denn in deren kleiner Welt handeln sie auch konsequent...

Vollbreit hat geschrieben:Skepsis in allen Lebenslagen und um ihrer selbst willen, ist das ein Fortschritt oder eine Krankheit? Hm?
Man sollte nie "um der Skepsis willen" skeptisch sein. Es geht dabei nie darum, zu zerstören, sondern zu etwas besserem zu finden, mit dem einzigen Werkzeug das wir dafür haben: unserem Verstand. Nur so kommt es zu Fortschritt, sonst würden wir immer noch in der Felshöhle sitzen und für einen Blitzschlag beten weil unser Feuer aus ist. Die Krankheit ist, daß zu vernachlässigen.

Vollbreit hat geschrieben:Ob mir nun jemand sagt, er habe Kontakt zu astralen Wesenheiten oder das seien alles nur Hirnzustände ändert doch nichts am Wesentlichen, dem eigenen Erleben, was man entweder hat oder nicht hat.
Nein, der entscheidende Unterschied ist hier die Existenz dieser Wesen. Es ist ja nicht abzustreiten, daß die Person das subjektiv genau so erlebt und es so real für sie ist wie jede andere Sinneswahrnehmung. Es leiten sich jedoch vollkommen andere Konsequenzen daraus ab, das wird spätestens klar wenn diese Person dir berichtet das die Wesenheiten dies Befehlen oder sich das von dir wünschen...

Vollbreit hat geschrieben:Mit großer Sicherheit kann sich ein geschickter Täuscher als großer Erleuchteter ausgeben, aber was soll's? Es geht ja nicht darum jemandem zu folgen, sondern selbst Befreiung zu finden und letztlich kann sich jeder nur selbst verarschen.
Auf einer persönlichen Ebene ist es mir vollkommen egal, ob jemand im LSD Trip auf seiner Rauhfasertapete den Bauplan des Universums entdeckt, sich im Gruppenkurs mit Räucherstäbchen und Atemübungen abschießt, mit einem Glas Rotwein zu den Sternen schaut und seufzt oder sich von UFOS retten lassen will, weil am 21.12.12 die Welt untergeht (sitzen die Spinner eigentlich immer noch auf dem Berg?)... aber: so funktioniert das nicht. Wir leben in einer vernetzten Welt und haben alle miteinander zu tun. Und wenn der LSD abhängige (ist jetzt nicht die klassische Droge für Beschaffungskriminalität) bei mir einbricht, die Yogagruppe das politische Ziel verfolgt Yoga für alle Deutschen zur Pflicht zu machen und der UFO-gläubige mir in der Bäckerei was ins Brot mischt, was zwar giftig ist, aber (und in seiner Welt das kleinere Übel) dazu führt, das auch ich gerettet werde, dann stimmt ganz, ganz gewaltig was nicht.

(Mal abgesehen davon, das manchen Leuten wirklich geholfen werden muß, weil man z.B. von der Tarot-Telefonhotline oder anderen Veransteltungen abhängig werden kann)
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Zappa » So 23. Dez 2012, 09:15

@Vollbreit: Mein Problem mit der Mystik ist, dass der Mystiker sich für zu wichtig nimmt. Natürlich sind alle "rationalen Gedanken" immer auch zutiefst emotional durchtränkt und natürlich gehören spirituelle oder mystische Erfahrungen auch zu unserer emotionalen Seite unseres Weltbildes, aber "emotionales Schauen" taugt eben nicht wirklich als Erkenntnismodell. Denn dann sind die Dinge irgendwann anscheinend eben "so ... wie wir denken". Und im nächsten Moment halt anders und wenn mir jemand mit einer Sonde mein Gehirn stimuliert, dann entstehen völlig neue Welten (Matrix lässt grüßen) in die ich dann vollkommen eintauche.

Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass es Dinge außer mir gibt und ich bin über meine eigene, armselige, emotionale Beziehung hinaus an Ihnen interessiert. Ich finde es hat sich bewährt überindividuell an die Dinge heranzugehen: In Gesellschaft, sprachlich, nun letztendlich auch mit wissenschaftlichen Methoden. Dabei kommt viel mehr raus, als mit einer mystisch-emotionallen Herangehensweise, obwohl die als Grundlage immer in uns mitschwingt.

Ist vielleicht alles nicht so gut ausformuliert, ich hoffe aber, dass klar war, was ich sagen wollte. Mystik ist für mich eine recht individuelle, idiosynkratische und hoch fehlerhafte Art "Erkenntnis" zu gewinnen und letztendlich deswegen für mich nicht so spannend. Da bin ich mit @Lumen einer Meinung: Das kann nur Privatsache sein.

Natürlich ist es spannend auch private Ansichten anderer zu erfahren, die private Weltinterpretation anderer zu erfahren, die Dinge also mal mit anderen Augen zu sehen. Das geschieht z.b. künstlerisch. So entstehen zwar wesentliche Teile unserer Weltanschauung. Nur wird die Welt dadurch lediglich jeweils anders interpretiert (und das methodisch bedingt auch noch ziemlich beliebig, wenn auch glücklicherweise durch zunehmende kulturelle Tradition und gegenseitige Kontrolle dies immer weniger), neues Wissen wird dadurch nicht generiert.
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Vollbreit » So 23. Dez 2012, 13:42

mat-in hat geschrieben:Natürlic passiert das. Das passiert sogar jedes mal wenn ich bei google "Vatikan" eintippe für meine eigene kleine Welt und wenn du das gleiche Wort suchst für deine eigene kleine Welt. Denn wir werden da andere Suchergebnisse bekommen, da google für uns vorsortiert, was wir beim letzten Mal geclickt haben und diesmal clicken könnten.


Ja.

mat-in hat geschrieben:Ich sehe da zwei entscheidende Punkte:
1) nicht in seiner eigenen kleinen Welt sitzen bleiben und sicher sein, daß sie genau so ist, wie man sie sieht / präsentiert bekommt (also sich zum Beispiel mal auf was anderes einlassen. Hexenstammtisch, keltische Jahresendfeier, was Über astralreisen lesen, ... aber dabei auch denken! Ja, ich habe den "ganzen Mist" mit gemacht - und zum Teil erst danach bemerkt was es für ein Mist ist).


Ich denke mal, dass der eine oder andere hier merkwürdige Erfahrungen in seiner Jugend gemacht haben wird und jeder interpretiert kritische Distanz unterschiedlich weitreichend.

mat-in hat geschrieben:2) Leuten die mit ihrer eigenen kleinen Welt an der Realität anecken oder gewaltätig werden zu zeigen, daß da was verbogen ist, das nicht verbogen sein sollte. Auch wenn jemand - in seiner eigenen kleinen Welt denkt, daß die Schmerzen terminaler Krebsleiden einen näher zu Gott bringen und deswegen dem Patienten Schmerzmittel vorenthält, muß man - nach um Objektivität bemühter Betrachtung - sagen dürfen: "sag mal spinnst du? hier leidet jemand! du Unmensch!".


Ja, natürlich. Inzwischen ist das sogar in der Ärzteschaft angekommen. Die letzte Wahl hat immer der Patient, sollte zumindest so sein.

mat-in hat geschrieben:Das Mutter-T hier in ihrer eigenen Welt ganz konsequent gehandelt hat, macht es nicht besser. Mit der Ausrede kann man auch alles (Neo)Nazi verhalten (muß die Keule auspacken, brauche ein deutliches Beispiel, sorry) rechtfertigen, denn in deren kleiner Welt handeln sie auch konsequent...


Das ist ja alles schön und gut, aber ich rede nicht darüber.
Das ist so anstrengend. Man will über Mystik reden und wird mit Hexentanz, Neonazis und Ufoglauben zugeschüttet.

mat-in hat geschrieben:Man sollte nie "um der Skepsis willen" skeptisch sein. Es geht dabei nie darum, zu zerstören, sondern zu etwas besserem zu finden, mit dem einzigen Werkzeug das wir dafür haben: unserem Verstand. Nur so kommt es zu Fortschritt, sonst würden wir immer noch in der Felshöhle sitzen und für einen Blitzschlag beten weil unser Feuer aus ist. Die Krankheit ist, daß zu vernachlässigen.


Nein.
Die Gleichung, dass der Verstand in jeder Lebenslage gut ist und „das Gefühl“ (um das es bei der Mystik überhaupt nicht geht!) in jeder Lebenslage schlecht, ist ohnehin nicht richtig. Man kann den Verstand genauso überreißen und fruchtlos und destruktiv gebrauchen wie ein reines Fühlen naiv sein kann. Grübelzwang, Paranoia und Endlösung sind auch Produkte eines durchgedrehten Verstandes.


mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ob mir nun jemand sagt, er habe Kontakt zu astralen Wesenheiten oder das seien alles nur Hirnzustände ändert doch nichts am Wesentlichen, dem eigenen Erleben, was man entweder hat oder nicht hat.
Nein, der entscheidende Unterschied ist hier die Existenz dieser Wesen. Es ist ja nicht abzustreiten, daß die Person das subjektiv genau so erlebt und es so real für sie ist wie jede andere Sinneswahrnehmung. Es leiten sich jedoch vollkommen andere Konsequenzen daraus ab, das wird spätestens klar wenn diese Person dir berichtet das die Wesenheiten dies Befehlen oder sich das von dir wünschen...


Imperative Stimmen, die als reale Außenwelt interpretiert werden, gelten als hartes Indiz für eine psychotische Episode. Aber warum sollten Menschen, die sich bewusst auf so einen Weg machen, das nicht differenzieren können. Was genau der Anteil von Innen und Außen ist, ist ja schon im normalen Leben schwer zu trennen. Ob jemand bei einer Bemerkung hämisch grinst oder freundlich lächelt ist eben auch oft genug eine Zutat von Innen.

Das Problem bei solchen Diskussionen ist im Grunde immer wieder, dass Skeptiker meinen, jeder der kein Skeptiker wäre, könne das kleine 1x1 nicht und sei grenzenlos naiv oder wenn nicht, dann ganz und gar gerissen. Etwas Drittes gibt es gar nicht. Das ist eben die kleine Welt in der man dann selbst köchelt. Organisierte Skeptiker, sind ja in der harten Variante vermutlich sehr nahe an psychischen Erkrankungen, mit allem was dazu gehört.
Dass sie sich gegenüber bestimmten Dingen überlegen und immun fühlen, heißt ja nun nichts.
Die Strukturen bishin zur buchstabengetreuen Gläubigkeit sind ja nun überall dieselben, nur weil man die Vorzeichen wechselt, heißt das erst mal gar nichts. Das muss man natürlich wissen und den meisten Skeptikern fehlt dieses Wissen und eklatanter Weise, die prosten sich beim neuesten Witzchen über Kornkreise zu. Sollen sie, aber strukturell ist das kein Unterschied.

Sozialartbeiter waren ja auch immer wieder überrascht, dass viele Neonazis, die sie mit erheblicher Mühe „umgedreht“ haben, sich nach kurzer Zeit in der extremen Linken wiedergefunden haben, kurz die Einstellung um 180° wechselten, aber strukturell dasselbe Leben führten. Die sind keinen Schritt weiter gekommen.

mat-in hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Mit großer Sicherheit kann sich ein geschickter Täuscher als großer Erleuchteter ausgeben, aber was soll's? Es geht ja nicht darum jemandem zu folgen, sondern selbst Befreiung zu finden und letztlich kann sich jeder nur selbst verarschen.
Auf einer persönlichen Ebene ist es mir vollkommen egal, ob jemand im LSD Trip auf seiner Rauhfasertapete den Bauplan des Universums entdeckt, sich im Gruppenkurs mit Räucherstäbchen und Atemübungen abschießt, mit einem Glas Rotwein zu den Sternen schaut und seufzt oder sich von UFOS retten lassen will, weil am 21.12.12 die Welt untergeht (sitzen die Spinner eigentlich immer noch auf dem Berg?)... aber: so funktioniert das nicht. Wir leben in einer vernetzten Welt und haben alle miteinander zu tun.


Nö. Das beste Gegenargument hast Du Dir oben selbst gegeben. Wir leben in einer immer fragmentierteren Welt, in der sogar die personalisierten Suchanfragen uns immer mehr vom anderen trennen. Die verbindenden Elemente komme uns immer mehr abhanden. Wir könnten zwar, theoretisch, aber praktisch eben nicht.

mat-in hat geschrieben:Und wenn der LSD abhängige (ist jetzt nicht die klassische Droge für Beschaffungskriminalität) bei mir einbricht, die Yogagruppe das politische Ziel verfolgt Yoga für alle Deutschen zur Pflicht zu machen und der UFO-gläubige mir in der Bäckerei was ins Brot mischt, was zwar giftig ist, aber (und in seiner Welt das kleinere Übel) dazu führt, das auch ich gerettet werde, dann stimmt ganz, ganz gewaltig was nicht.


Und für wie realistisch hältst Du Dein Szenario?



mat-in hat geschrieben:(Mal abgesehen davon, das manchen Leuten wirklich geholfen werden muß, weil man z.B. von der Tarot-Telefonhotline oder anderen Veransteltungen abhängig werden kann)


Muss den 100.000 Toten, die jährlich an einer Sepsis im Krankenhaus verrecken, eigentlich auch geholfen werden? Und das ist kein Phantasieszenario.
Oder aus der Psychobranche: Vor einigen Jahren ging eine Diskussion durch die Republik. Bert Hellinger, der Typ mit dem Familienstellen – nein, ich bin kein sonderlicher Fan davon - hatte eine Patientin die einen Tag nach so einer Sitzung Selbstmord beging. Schlimm genug, wenn so etwas passiert. Der eigentliche Skandal ist, die Suggestion, in normalen Psychiatrien oder unter „guter“ Behandlung würde so etwas nicht passieren. Es passiert, 1000fach, nur wird darüber nicht berichtet, das ist keinen Reißer wert, ist eben so, passiert manchmal, Pech gehabt.

Wie gesagt, mehr Differenzierung täte gut, auf allen Seiten.
Inzwischen ist das ja auch zu einem guten Teil so, diese Extremistenkämpfe sind Schnee von gestern, aber ich denke mal an den harten Enden ist das immer noch der Fall und man sollte in jedem Fall aufpassen, dass man da nicht hängen bleibt.
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Vollbreit » So 23. Dez 2012, 13:45

Zappa hat geschrieben:@Vollbreit: Mein Problem mit der Mystik ist, dass der Mystiker sich für zu wichtig nimmt. Natürlich sind alle "rationalen Gedanken" immer auch zutiefst emotional durchtränkt und natürlich gehören spirituelle oder mystische Erfahrungen auch zu unserer emotionalen Seite unseres Weltbildes, aber "emotionales Schauen" taugt eben nicht wirklich als Erkenntnismodell.


Du machst den kardinalen Fehler, den ungefähr alle manchen, wenn sie meinen über Mystik zu reden: Du bist der Auffassung Mystik sei eine Identifizierung mit Gefühl, Intuition, weiblicher Seite, Ganzheitsempfinden, mal von allem loslassen, alles etwas schwärmerisch, weich und warm und so weiter.

Mystik ist, da, wo sie den Namen verdient, eigentlich immer eine Technik. Mystik ist die Erfahrung bestimmter Ebenen, oft auf dem Boden systematischen Trainings, manchmal aber auch auf dem Boden bestimmter spontaner, oft nicht steuerbarer Erfahrungen. Nur, ist das der seltenere Weg.
Die zentrale Übung ist meistens eine Form absichtsloser Meditation, die das Ziel hat nicht einen Zustand der Schläfrigkeit sondern des Überwachseins zu erzeugen.

Und es geht eben nicht um eine Identifikation mit den Emotionen, sondern ganz im Gegenteil darum, sich von diesen Emotionen zu distanzieren, zu entidentifizieren. Das geht auf die Art, dass man sich hinsetzt oder -legt, das Bewusstsein mit einer simplen monotonen Tätigkeit beschäftihgt hält, so was wie Atemzüge zählen und dann …. nichts mehr macht, abwartet.
Was nun passiert ist einfach, dass die Gewohnheiten sich ausbreiten: Man wird unruhig. Einige die ich kenne, sind nach 10 Minuten ruhig sitzen stark gestresst, habe klätschnasse Hände und sind völlig aufgewühlt.
Man braucht ne Zeit, bis der Geist zur Ruhe kommt. Es schießen immer wieder die Gedanken quer und aus Gewohnheit folgt man diesen Gedanken, verliert sich in ihnen. Nix Wildes, Alltagsgdanken, habe ich jetzt auch mein Handy ausgemacht, man ist genervt von Ticken der Uhr, plant den nächsten Einkauf und wenn man dann merkt, dass man von 1 bis 10 zählen und dann wieder bei 1 beginnen sollte und bei 34 gelandet ist, dann merkt man selbst, dass die Gedanken einen wieder entführt haben und man setzt sich wieder aufrecht hin, beginnt erneut bei 1 mit dem Einatmen, atmet mit der 2 aus, beim nächsten Einatmen zählt man 3 und so weiter und kann schauen, wann man wieder „entführt“ wurde, nicht von Außerirdischen, von den eigenen Gedanken.

Das ist aber nicht alles, denn man entidentifiziert sich ebenso von den eigenen Gefühlen. Und da geht man genauso vor. Die Technik ist immer dieselbe: Aufmerksam bleiben, wach bleiben, bewusst bleiben. Hinschauen. Hinschauen, ohne zu manipulieren. Hinschauen wie der Atem fließt, wo ich ihn fühle, hinschauen, welche Gedanken hochkommen, ohne ihnen größere Beachtung zu schenken, sondern nur den Prozess des Entstehens und Vergehens beobachten. Alles was kommt, geht auch wieder, auch Emotionen. Vielleicht ist man traurig, vielleicht wütend, vielleicht beglückt und euphorisch, vielleicht hat man religiöse Empfindungen, oft genug langweilt man sich und egal was für eine Emotion, für ein Gefühl, für eine Intuition auftaucht … man lässt sich auch hier, nach Möglichkeit, nicht mitreißen und wenn es heute nicht klappt, dann versucht man es beim nächsten Mal. Distanz zu den eigenen Emotionen, Distanz zu den eigenen Gedanken ist das Zauberwort. Entidentifikation und zwar mit allem, von dem ich überzeugt bin, dass es mich ausmacht.
Und dann schauen was passiert, was bleibt, oder was neu auftaucht.
Dieses ganze Gefasel von: Es gibt kein Ich oder meinetwegen Shunyata ist wirklich nur Gerede, wenn nicht eine Erfahrung auf der Habenseite steht. Dann bleibt es bloßer Glaube und dann ist die Mystik auch nichts anderes, als jedes andere Glaubenssystem, also die Skeptikerbude, der Esozirkel, der Marxismus oder die katholische Kirche.
Und bis sich die Gedanken mal legen, bis man sich in der eigene Innenwelt auskennt, bis man die Distanz aufbauen kann, den Dschungel durchkämmt und eigene Trampelpfade errichtet hat und an innere Wegmarken kommt, die erstaunlich ähnlich bei allen sind, bis dahin ist es ein weiter Weg... in aller Regel. Es gibt wie überall Superbegabte oder ein paar Unfälle, so weiß ich das einschätzen kann ist das absolut real und authentisch, aber man kann es nicht erzwingen. Und der solide Weg ist lang, zäh und einsam. Da ist kein großer Platz für Schwärmerei.


Zappa hat geschrieben:Denn dann sind die Dinge irgendwann anscheinend eben "so ... wie wir denken". Und im nächsten Moment halt anders und wenn mir jemand mit einer Sonde mein Gehirn stimuliert, dann entstehen völlig neue Welten (Matrix lässt grüßen) in die ich dann vollkommen eintauche.


Ja.
Und? Was heißt das dann, im Bezug auf die Mystik?

Zappa hat geschrieben:Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass es Dinge außer mir gibt und ich bin über meine eigene, armselige, emotionale Beziehung hinaus an Ihnen interessiert. Ich finde es hat sich bewährt überindividuell an die Dinge heranzugehen: In Gesellschaft, sprachlich, nun letztendlich auch mit wissenschaftlichen Methoden. Dabei kommt viel mehr raus, als mit einer mystisch-emotionallen Herangehensweise, obwohl die als Grundlage immer in uns mitschwingt.


Wie ich zu erklären versuchte, ist der mystische Weg explizit nichtemotional.


Zappa hat geschrieben:Ist vielleicht alles nicht so gut ausformuliert, ich hoffe aber, dass klar war, was ich sagen wollte. Mystik ist für mich eine recht individuelle, idiosynkratische und hoch fehlerhafte Art "Erkenntnis" zu gewinnen und letztendlich deswegen für mich nicht so spannend. Da bin ich mit @Lumen einer Meinung: Das kann nur Privatsache sein.


Privatsache, ja und nein.
Ist Logik nun öffentlich oder Privat?
Prinzipiell öffentlich, aber wenn Du die Spielregeln nicht kennst oder anwenden kannst, ist für Dich der Zugang verborgen, obwohl er da ist. Aber da man sich auch über inneres Erleben austauschen kann: Hunger, Trauer, Triumph, Langeweile, wie es ist einen dreidimensionalen Würfel im Geiste zu drehen, wie viele Striche man imaginieren kann, wie lange es gelingt von 1 bis 10 zu zählen, ohne sich zu verzählen, warum sollte man da nicht weitergehen können?
Mystik ist einfach die Erfahrung, dass es typische innere Wegmarken gibt, an denen man vorbeikommt. Es ist kein Wunder, dass Du, wenn Du 2 Tage nichts trinkst Durst haben wirst und ohne hellsehen zu können, weiß ich mit großer Sicherheit, was Deine ersten Erlebnisse beim Zazen sein werden (oder waren), ganz einfach weil die bei jedem sehr ähnlich sind.
Auch wie sich Deine Gedanken verhalten, wenn Du regelmäßig meditierst, wird nicht anders sein als beim Buddha, bei Lumen oder bei mir. Der Inhalt, okay, aber die Struktur.... große Ähnlichkeit.

Ich bin auch absolut sicher, dass jeder hier im Forum Arten der Ichlosigkeit beschreiben kann, ob es 30 Kilometer Autobahn sind die fehlen, ob einen ein Film oder ein Gespräch absorbiert eine konzentrierte Tätigkeit oder das Wischen der Kellertreppe, jeder kennt das.
Mystiker schauen halt etwas genauer hin und differenzieren da verschieden Eindrücke, aber das ist keine Zauberei sondern nur Bewusstheit und Wachheit.

Zappa hat geschrieben:Natürlich ist es spannend auch private Ansichten anderer zu erfahren, die private Weltinterpretation anderer zu erfahren, die Dinge also mal mit anderen Augen zu sehen. Das geschieht z.b. künstlerisch. So entstehen zwar wesentliche Teile unserer Weltanschauung. Nur wird die Welt dadurch lediglich jeweils anders interpretiert (und das methodisch bedingt auch noch ziemlich beliebig, wenn auch glücklicherweise durch zunehmende kulturelle Tradition und gegenseitige Kontrolle dies immer weniger), neues Wissen wird dadurch nicht generiert.


Jeder Vorstoß generiert neues Wissen, daran kann doch wohl kaum ein Zweifel bestehen.
Ob man zum Mars gelangt oder einen inneren Weg abschreitet, ist dabei kein großer Unterschied.
Entscheidend ist halbwegs zu wissen, was man wofür einsetzen kann.
Da gibt es dann eine Reihe alberner Vorwürfe, die, wenn man kritisieren würde, dass man sich mit einer Luftpumpe nicht die Zähen putzen kann, sofort an den Absender zurückgingen, wenn einer sagt, Philosophen hätten noch was erfunden wie ein Flugzeug, Religion sein kein Erkenntnismittel und Mystik würde kein neues Wissen generieren, irgendwie noch den Anspruch von Originalität reklamieren.
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon stine » Mo 24. Dez 2012, 13:01

Vollbreit hat geschrieben:...beim Zazen...

Wie bitte?
Meintest du Zahnarzt oder sowas?

:ka: stine
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Vollbreit » Mo 24. Dez 2012, 13:43

http://de.wikipedia.org/wiki/Zazen

Gesprochen Sasen, nich zazzen. Sie sasen herum und machten nix.

Kennst Du den Witz, wo sich zwei Mütter treffen?
"Mein Julian meditiert jetzt."
"Na besser, als wenn er rumsitzt und nichts tut."
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Vollbreit » Di 25. Dez 2012, 11:01

Wenn man Zen als Weg ohne Ziel ansehen kann, wobei das mit dem „kein Ziel haben“ anfangs oft nicht geglaubt wird, ist das buddhistische Gegenprogramm sozusagen Dzogchen.
Man könnte etwas pointiert sagen: Ein Ziel ohne Weg, wobei das mit dem Ziel auch schon wieder nicht so ganz richtig ist, denn das Ziel um das es geht, ist immer schon da.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dzogchen

Das worum es geht, Erleuchtung, wird nicht als Ergebnis systematischer Übung angesehen, sondern als ein spontanes Erwachen, das buchstäblich in jedem Moment möglich ist. Und um den Moment geht es. Es gibt immer wieder schöne Erzählungen aus der Dzogchen Tradition, in der ein Schüler mit seinem Meister nachts allein auf einen Berg geht – und der Schüler weiß, es ist die Nacht seiner Einweihung, eine für ihn emotional hochaufgeladene Situation – und als es zum Finale kommt, sagt der Lehrer: „Siehst du die Sterne? Hörst du da hinten die Hunde bellen? Das ist es.“

Enttäuschend? Vielleicht, vielleicht auch öffnend. Es geht darum alle Projektionen die man an Erleuchtetsein geheftet hat, loszuwerden. Aber es ist nicht nur ein Psychotrick, sondern es ist wirklich das, worum es geht. Das muss man annehmen können.

Aus dem Zen kennen wir ähnliche Geschichten. Der Zen-Meister stirbt, ist im Kreise seiner begabtesten Schüler, lässt sich kurz vorm Tod noch eine Schale Milch reichen und verkündet mit letzter Lebenskraft die Essenz, wie die Schüler hoffen, seiner Lehre: „Die Milch war gut.“

Enttäuschend? Das ist die Essenz. Es geht einfach um diesen Moment, ihn zu erleben. Nur dieser Augenblick, ihn gilt es zu erleben und in ihm liegt alles, was man braucht. Und dieser Augenblick ist, in aller Regel, wie man im Zen immer wieder betont, nichts Besonderes. „Was ist Erleuchtung?“ „Geh weiter.“ Das ist keine patzige Verweigerung der Antwort, das ist die Antwort. Bei aller formalen Strenge, die es im Zen gibt, ist das Ziel nie im Ritual zu erstarren, sondern im Gegenteil, neue, kreative Ansätze zu finden. Nicht festhalten, weiter gehen.

Aber, dass Erleuchtung im Jetzt zu finden ist, dazu brauchen wir nicht in den fernen Osten zu blicken, auch Meister Eckhart würde uns das sagen können. Und wie im Mahamudra, einer Eliterichtung des Buddhismus finden wir auch bei Eckhart dieselbe Botschaft.
Es ist die allereinfachste Tätigkeit nicht geringer, als das scheinbar Größte und Innerlichkeit nicht wertvoller als Äußerlichkeit, wie uns Eckhart in der Predigt über Martha nahebringen will.

Damit ist er genauso den Projektionen auf der Spur, wie der Osten.
Erleuchtung kann, gemäß der inneren Logik des Buddhismus nichts sein, was es zu erreichen gibt.
Denn alles was entsteht, vergeht. Würden wir Erleuchtung erlangen können, in dem Sinne, dass etwas dazukommt, würde es etwas Entstandenes sein und also wieder vergehen. Und je mehr wir es festhalten wollen, umso mehr Leid würde es erzeugen.

Genau das ist aber die Diagnose des Buddha gewesen, dass das Leid an unseren Anhaftungen liegt.
Ob wir nun daran anhaften, viel Geld und Ruhm zu ernten oder auf einem anderen spirituellen Trip sind, es bleibt derselbe leiderzeugende Kram, mit dem Nachteil, dass man sich noch viel mehr einreden kann, wenn man meint ein spirituelles Leben zu führen. Die Buddhanatur muss also immer schon da sein, wir müssen sie nur erkennen.

Die Lösung liegt im Jetzt. Tatsächlich ist die Welt so, wie wir denken, schriebt Trungpa, klar, wir empfinden sie so. Welt zu erleben ist unsere Projektion. Jeder sieht, was er sieht und jeder sieht, wie er gestrickt ist.
Welt oder Umwelt als Spiegel, ein großes Thema, ein selten verstandenes.

Um die Luft aus diesen, aus all diesen Projektionen zu lassen, genügt es im Jetzt zu sein.
Was fehlt denn genau jetzt, genau in diesem Moment? Die Meisten würden wohl sagen, dass genau jetzt, eigentlich nichts fehlt, aber... und dann geht es los. Die Gesundheit, das Geld, die Lebenssituation und so weiter. Die Antwort der Mystiker wäre das Angebot, genau jetzt wieder in den Moment zu kommen. Befürchtungen, Ängste und Projektionen oder das Hängen an Vergangenem, das sind genau jene Projektionen in die es einen mit Macht zurückdrängt.
Eigenartigerweise will das Ich von seinen Projektionen und von seinem Leid nicht loslassen.
Nach Ansicht vieler Mystiker ist das Ich dazu auch nicht in der Lage, denn Ich bedeutet immer auch Identifikation mit Gewesenem. Mystik bedeutet Ichtod, bedeutet Entidentifikation mit den Gedanken, den Gefühlen, dem Körper. Mystiker sind zutiefst überzeugt, dass der Ichtod nicht ein Verlust ist, sondern die größte Bereicherung, die man überhaupt erfahren kann, die letztendliche Befreiung.

Persönlich bin ich der Auffassung, dass der Begriff der Ichüberwindung oder des Ichtods einer Nachbesserung bedarf, denn ganz ohne Ichempfinden, geht es nicht.
Die radikale Deutung, wer kein Ich mehr hat, dürfe auch nichts mehr für sich tun, also so eine Art Selbstgeißelung, ist dem Osten eher fremd. Die sympathische Variante dort heißt Leid zu verringern wo immer man es findet und wenn mein Magen entsetzlich knurrt, ist der einfachste Weg, etwas zu essen um ein Stück Leid aus der Welt zu schaffen.
Ichtod, das heißt wohl eher, der Verzicht auf Egodominanz: meine Bedürfnisse sind nicht die ersten die erfüllt werden müssen. Ich muss mich nicht aus Prinzip durchsetzen.
Diese Variante könnte beständiger sein.
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon Lumen » Di 25. Dez 2012, 16:11

Kennt ihr den Diskordianismus? Die einen sagen, Diskordianismus sei eine fortgeschrittene Religion, die sich als Witz ausgibt. Die anderen halten dagegen es handele sich um einen fortgeschrittenen Witz, der sich als Religion ausgebe. Faktisch gesehen ist es eine Zen-artige Philosophie oder Parodie, mit der griechischen Göttin Eris (römisch: Discordia) als Maskottchen. Sie warf den sprichwörtlichen goldenen Zankapfel mit der Aufschrift "für die Schönste" auf einer Hochzeit zwischen zwei Göttinnen und wurde so zum Sinnbild für die Zwietracht. Interessanterweise steckt in der Geschichte um Eris selbst sehr viel Weisheit. Solange jede Göttin glaubte, sie sei die schönste, solange die Illusion bestand, gab es Frieden. Der Apfel zerstört die Illusion in Form einer Objektivität, die den Frieden zerriss. Wäre ich gläubig, wäre Eris die Göttin meiner Wahl. Sie wäre aus meiner Sicht auch die ideale Schutzpatronin der Demokratie. Es steckt noch viel mehr Wahrheit in der Geschichte, als es den Anschein macht, besonders auf Religion, Mystik oder auch Spiritualität bezogen. Auf das, was Vollbreit ausführt. Was wäre, wenn Gott hinter dem Vorhang hervor käme und alle wären zwangsläufig enttäuscht. Nichts Wirkliches kann mit einer eingebildeten, fast gegenstandslosen Illusion mithalten und die meisten Gläubigen werden daneben liegen.

Der Diskordianismus fügt dem Zen noch eine Selbstreferenz hinzu, die auch Douglas Hofstadter entzückt hätte. Die Absurdität des Zen wird auf die Lehre selbst angewendet. Es gibt zentrale Dogmen, die aber jeder sofort verletzen soll. Oder paradoxe Aussagen wie: "Es ist einem Diskordianier nicht gestattet, zu glauben, was er liest". Der Punkt ist: Diskordianismus baut ein mentales Labyrinth auf, in dem sich Leute durchaus verlieren können, wenn sie es zu ernst nehmen. Diskordianimus spielt fortwährend mit der Doppeldeutigkeit und Selbstreferenz, fügt Humor hinzu um es interessant zu halten, ist mal komplett albern und platt, dann wieder sehr weise.

Eigentlich wird alles überspitzt, was eine Religion ausmacht. Es sind einige absurde oder widersprüchliche Elemente nötig ("Dreifaltigkeit"), eine fortwährende Beschäftigung mit der Lehre ("Koscher Essen", "mehrmals täglich Beten"), ein paar Weisheiten oder erzählenswerte Elemente (Geschichten, oder Witze) und heraus kommt eine virale Idee, die sich selbst im Verstand behält, weil sie zwischen Akzeptanz, Zweifel und Unverständnis oszilliert. Eine Gehirndroge, die sich im Fusselsieb des Geistes festsetzt, oder im blinden Fleck des Verstandes einnistest—je nachdem welche Metapher einem gefällt.

Zen, wie auch der Diskordinaimus ist auf eine gewisse Weise un/absichtlich clever: Der Baum der Erkenntnis wird mitten in den Garten der spielenden Kinder gestellt und dann wird gesagt: "Kinder, ihr dürft auf keinen Fall von diesen Äpfeln essen!". Das ist wie kleinen Kindern zu sagen: "Diese geheimnisvolle Schublade dort, da ist nichts interessantes drin, ihr würdet enttäuscht sein." Also "Reverse Psychology".

Jetzt kann man noch eine Kette drauflegen, und Alan Turing einbeziehen. Der Mensch kann intuitiv "sehen", wenn die Schlussregel einer Operation nicht erreichbar ist. Die Religion verlässt sich darauf, Gedankengebäude zu bauen, die keine Schlussregel haben, und dann Menschen durch Erziehung zum "ernst nehmen" zwingen. Der Betroffene kann dann nicht mehr aus der mentalen Operation ausbrechen, sein Gehirn hat sich gleichsam "aufgehängt" und rattert fortwährend die Widersprüche durch, auf der Suche nach der "Wahrheit". Die Wahrheit liegt aber nicht innerhalb der Endlosschleife, sondern außerhalb. Jemand muss das Prinzip durchschauen, und somit die Schleife selbst "sehen", als ob man seinen eigenen Task-Manager öffnet und die Prozesse beobachtet. Etwas, was gemeinhin in der Meditation passieren sollte. Wenn die Mediation und das Nachdenken selbst Teil der Schleife ist, bleibt der Gläubige in ihr gefangen. Meine Hypothese sehe ich darin bestätigt, dass das Heilige stets ernst genommen werden will.

Wenn es "nur" darum ginge, den eigenen Task-Manager der laufenden Prozesse zu betrachten, wenn Zen in Wirklichkeit "nicht der Rede wert", weil es mehr ein subversives Spiel ist, wozu ist dann all das Brimborium um die Mystik da? Wozu braucht es all die Gelehrten, die mentale Fallen aufstellen, damit sich Menschen, die es (leider) zu ernst nehmen darin verheddern? Diese Leute sollten Diskordianismus für ihr mentales Immunsystem studieren, denn es wirkt wie eine kräftige Impfung.

Pragmatischer geht es David Allen mit seinen Tipps zu "Getting Stuff Done" an. Auch er geht von einem impliziten Task-Manager im Gehirn aus, den wir durch Nichtigkeiten belasten. Irgendwie muss unser Gehirn ja wissen, dass wir noch ein Geschenk für den Geburtstag nächste Woche kaufen müssen, und es muss uns fortwährend daran erinnern. Folglich muss dieser Gedanke "im Hintergrund" herumschwirren, und uns auch bei der Mediation nerven. Sein praktischer Tipp lautet dann: wir müssen ein Ordnungssystem haben, dem wir tief vertrauen, sodass unser Gehirn gewillt ist, den Prozess zu killen, sobald er übertragen (statt erfüllt) ist. Also, wenn wir beispielsweise unserem Kalender im Handy vertrauen, dass er uns rechtzeitig erinnert, dann haben wir auch mehr RAM für wichtigere Sachen übrig.

Da manche sich sicher fragen, was die Moral der Geschichte bei allem ist? Ich glaube Mystik und Spiritualität ist reiner Nebel, wie Zappa und mat-in glaube ich in effizienteren Worten bereits verdeutlicht haben. Ich fügte dem noch hinzu, dass fast alles eine Reflexionsfläche sein kann. Tarot, Bibel, Sternenbilder, Diskordianismus, Zen, Mathematik, Kunst, Musik sind gewisser Weise Strukturen, auf die wir unsern Geist loslassen können, der sich darin dann Zusammenhänge, Einsichten, Erkenntnisse oder Weisheiten sucht. Der Trick besteht nur darin, die seltsamsten Schleifen wieder verlassen zu können. Wer es nicht kann, sollte es üben. Ob die Mystik die übergeordnete, oder untergeordnete Schleife ist—wer weiß das schon :^^:
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Re: Der Naturalisten Spiritualität

Beitragvon fopa » Di 25. Dez 2012, 19:32

Lumen hat geschrieben:Kennt ihr den Diskordianismus?
Ich hatte irgendwann mal davon gehört, mich aber nie damit beschäftigt. Klingt jedenfalls klasse. Danke für den Hinweis! :up:
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