Epistemischer und doxastischer Agnostizismus

Epistemischer und doxastischer Agnostizismus

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 12:41

El Schwalmo hat geschrieben:Aber Agnostizismus ist eine epistemische Position.


Nicht nur, denn die Ausdrücke "Agnostizismus" und "Agnostiker" werden bekanntlich auch so gebraucht, dass damit eine doxastische Position gemeint ist, nämlich die Glaubens- oder Urteilsenthaltung. (Ein Agnostiker im doxastischen Sinne glaubt in Bezug auf die Aussage A weder, dass A, noch, dass nicht-A.)
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 12:42

disillusioned hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:für mich als Agnostiker stellt sich dieses Problem nicht. Aber Agnostizismus ist eine epistemische Position. Ich lebe als A-Theist in dem Sinn, den Du beschrieben hast.

Ich habe irgendwo mal die Selbstbezeichnung "agnostischer Atheist" gelesen

ich bezeichne mich üblicherweise als atheistischer (pragmatisch) Agnostiker (epistemisch).

disillusioned hat geschrieben:(ich weiß nicht mehr wo oder von wem) und finde diese eigentlich recht sinnvoll, da darin sowohl die epistemologische als auch die "praktische" Seite der Fragestellung beantwortet wird, auch wenn manchen diese Bezeichnung zunächst widersprüchlich erscheint.

Eben.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 12:43

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Aber Agnostizismus ist eine epistemische Position.

Nicht nur, denn die Ausdrücke "Agnostizismus" und "Agnostiker" werden bekanntlich auch so gebraucht, dass damit eine doxastische Position gemeint ist, nämlich die Glaubensenthaltung. (Ein Agnostiker im doxastischen Sinne glaubt in Bezug auf die Aussage A weder, dass A, noch, dass nicht-A.)

stimmt. Und was interessiert das einen epistemischen Agnostiker?
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 12:46

Myron hat geschrieben:
jollyana hat geschrieben:Für mich ist Atheismus einfach A-Theismus, also nicht der Glaube an Gottes Nichtexistenz, sondern der Nichtglaube an seine Existenz. Eigentlich sollte man immer diese ursprüngliche Definition benutzen, weil man sonst ständig mit diesem "Atheismus ist auch ein Glaube"-Argument konfrontiert wird. Ich muss mir auch nicht anhören dass mein Nichtglaube an Nikolaus auch ein Glaube an seine Nichtexistenz ist.


In der Öffentlichkeit und in den Medien wird so gut wie nie zwischen dem negativem und dem positivem Atheismus unterschieden.
Wenn vom Atheismus die Rede ist, dann ist damit praktisch immer der positive Atheismus gemeint, d.i. die Leugnung der Existenz Gottes bzw. von Göttern, der Glaube an die Nichtexistenz Gottes bzw. von Göttern.
Der positive Atheismus ist in der Tat ein Glaube, während der bloße Nichttheismus/Nontheismus, d.i. der negative Atheismus, keiner ist, wobei allerdings auch dieser, falls er ein reflektierter Nichttheismus ist, einen Glauben beinhaltet, nämlich, den Glauben an die Nichtexistenz von (objektiven, rationalen) Gründen für den Glauben an die Existenz Gottes bzw. von Göttern. Dieser Punkt wird gerne übersehen, vor allem auch von den Nichttheisten selbst.

als Agnostiker finde ich 'negativer Atheismus' immer etwas amüsant. Nur um sich als 'Atheist' bezeichnen zu können, verwendet man anstelle von 'Agnostiker' einen qualifizierten Begriff.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 12:54

disillusioned hat geschrieben:Ich habe irgendwo mal die Selbstbezeichnung "agnostischer Atheist" gelesen(ich weiß nicht mehr wo oder von wem) und finde diese eigentlich recht sinnvoll, da darin sowohl die epistemologische als auch die "praktische" Seite der Fragestellung beantwortet wird, auch wenn manchen diese Bezeichnung zunächst widersprüchlich erscheint.


Die ganze Sache ist etwas verwirrend, denn mit "agnostischer Atheist" kann ein sowohl wissens- als auch glaubensagnostischer negativer Atheist gemeint sein (d.i. ein Agnostiker im üblichen Sinn) oder ein wissensagnostischer positiver Atheist (der glaubt, dass die Wahrscheinlichkeit der Nichtexistenz von Göttern sehr hoch, aber nicht gleich 1 ist).
Diese Verwirrung rührt daher, dass die Ausdrücke "Agnostizismus" und "Agnostiker" einerseits im epistemischen Sinn (bezogen auf Wissen) und andererseits im doxastischen Sinn (bezogen auf Glauben, Meinen) verwendet werden.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 13:01

El Schwalmo hat geschrieben:Und was interessiert das einen epistemischen Agnostiker?


Auch ein epistemischer Agnostiker sollte sich für den tatsächlichen Sprachgebrauch interessieren, der eben auch einen doxastischen Sinn vorsieht. Denn wenn er das nicht tut, sind Missverständnisse vorprogrammiert.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 13:04

El Schwalmo hat geschrieben:Als Agnostiker finde ich 'negativer Atheismus' immer etwas amüsant.


Diese Unterscheidung ist sehr wichtig.

El Schwalmo hat geschrieben:Nur um sich als 'Atheist' bezeichnen zu können, verwendet man anstelle von 'Agnostiker' einen qualifizierten Begriff.


Nicht alle Nichttheisten/Nontheisten, d.i. negative Atheisten, sind (doxastische) Agnostiker. Denn auch die positiven Atheisten sind Nichttheisten!
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 13:11

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Und was interessiert das einen epistemischen Agnostiker?

Auch ein epistemischer Agnostiker sollte sich für den tatsächlichen Sprachgebrauch interessieren, der eben auch einen doxastischen Sinn vorsieht. Denn wenn er das nicht tut, sind Missverständnisse vorprogrammiert.

die spannende Frage ist, was hier 'tatsächlicher Sprachgebrauch' ist. Das scheint mir in Richtung 'herrschende Meinung' bei Juristens zu gehen.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 13:26

El Schwalmo hat geschrieben:die spannende Frage ist, was hier 'tatsächlicher Sprachgebrauch' ist. Das scheint mir in Richtung 'herrschende Meinung' bei Juristens zu gehen.


Die meisten Menschen verstehen unter einem Agnostiker einen doxastischen Agnostiker, d.h. jemanden, der sich in Bezug auf eine Aussage A, insbesondere in Bezug auf die Aussage "Gott existiert" bzw. "Götter existieren", des Glaubens/Meinens/Urteilens enthält. Das ist eine sprachpraktische Tatsache!
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 13:45

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:die spannende Frage ist, was hier 'tatsächlicher Sprachgebrauch' ist. Das scheint mir in Richtung 'herrschende Meinung' bei Juristens zu gehen.


Die meisten Menschen verstehen unter einem Agnostiker einen doxastischen Agnostiker, d.h. jemanden, der sich in Bezug auf eine Aussage A, insbesondere in Bezug auf die Aussage "Gott existiert" bzw. "Götter existieren", des Glaubens/Meinens/Urteilens enthält. Das ist eine sprachpraktische Tatsache!

ich gehe mal davon aus, dass ein Konversationslexion sich an die 'meisten Menschen' richtet:

Anonymus (1979) 'Neues grosses Volkslexikon. Erster Band' München, Taschenbuch Verlag, S. 51f

Agnostizismus [griech.], die Lehre, daß man von einem absoluten Sein oder Gott nichts wissen könne und daher die Frage nach seinem Dasein unentschieden lassen müsse. Anhänger des A. waren u. a. Comte, Spencer, F. A. Lange.

Da hast Du doch Beides: eine Enthaltung, aber epistemisch begründet. In meinen Augen ist die epistemische Komponente die relevantere, denn wie sollte man sonst die Enthaltung begründen?
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 13:49

Myron hat geschrieben:Die ganze Sache ist etwas verwirrend, denn mit "agnostischer Atheist" kann ein sowohl wissens- als auch glaubensagnostischer negativer Atheist gemeint sein (d.i. ein Agnostiker im üblichen Sinn) oder ein wissensagnostischer positiver Atheist (der glaubt, dass die Wahrscheinlichkeit der Nichtexistenz von Göttern sehr hoch, aber nicht gleich 1 ist).

wird es klarer, wenn man sich als 'atheistischer (pragmatisch) Agnostiker (epistemisch)' bezeichnet?
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon Myron » Sa 5. Jul 2008, 13:53

El Schwalmo hat geschrieben:Anonymus (1979) 'Neues grosses Volkslexikon. Erster Band' München, Taschenbuch Verlag, S. 51f

Agnostizismus [griech.], die Lehre, daß man von einem absoluten Sein oder Gott nichts wissen könne und daher die Frage nach seinem Dasein unentschieden lassen müsse. Anhänger des A. waren u. a. Comte, Spencer, F. A. Lange.

Da hast Du doch Beides: eine Enthaltung, aber epistemisch begründet. In meinen Augen ist die epistemische Komponente die relevantere, denn wie sollte man sonst die Enthaltung begründen?


Völlig d'accord. Ein nachdenkender (doxastischer) Agnostiker wird seine Glaubensenthaltung epistemisch begründen.
Die Begründung kann jedoch unterschiedlich ausfallen:

1. Es kann grundsätzlich keine Beweise geben, die für oder gegen die Existenz Gottes bzw. von Göttern sprechen.
2. Es könnte Beweise geben, die für oder gegen die Existenz Gottes bzw. von Göttern sprechen, aber de facto gibt es keine.
3. Es gibt sowohl Beweise, die für die Existenz Gottes bzw. von Göttern sprechen, als auch Beweise, die gegen die Existenz Gottes bzw. von Göttern sprechen; aber diese heben sich gegenseitig vollständig auf.
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon El Schwalmo » Sa 5. Jul 2008, 14:36

Myron hat geschrieben:Völlig d'accord. Ein nachdenkender (doxastischer) Agnostiker wird seine Glaubensenthaltung epistemisch begründen.
Die Begründung kann jedoch unterschiedlich ausfallen:
[ ... ]

nur so nebenbei: gehört das noch zu dem, über das wir uns gerade unterhalten?
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Re: Dawkins vs. Lennox

Beitragvon stine » Sa 5. Jul 2008, 16:01

Myron hat geschrieben:Die ganze Sache ist etwas verwirrend, denn mit "agnostischer Atheist" kann ein sowohl wissens- als auch glaubensagnostischer negativer Atheist gemeint sein (d.i. ein Agnostiker im üblichen Sinn) oder ein wissensagnostischer positiver Atheist (der glaubt, dass die Wahrscheinlichkeit der Nichtexistenz von Göttern sehr hoch, aber nicht gleich 1 ist).
Diese Verwirrung rührt daher, dass die Ausdrücke "Agnostizismus" und "Agnostiker" einerseits im epistemischen Sinn (bezogen auf Wissen) und andererseits im doxastischen Sinn (bezogen auf Glauben, Meinen) verwendet werden.
:mg:
Wie immer: Präzise verbalisiert!

Die meisten Menschen "da draußen" glauben oder sie glauben nicht.
Ein Atheist ist ein Ungläubiger, egal ob negativ oder posiotv oder neutral oder epistemisch.

LG stine
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