ostfriese hat geschrieben:Mal ernsthaft: Ich würde die Schüler tatsächlich mal einen Aufsatz schreiben lassen zu der Frage, warum ihrer Meinung nach Evolution im Biologie-Unterricht ausführlich behandelt und nicht als wissenschaftshistorisches Kuriosum in Geschichte nur kurz gestreift wird.
okay, ich spiele mal den ‚advocatus diaboli‘. Denk‘ daran, Christoph Heilig, der den Blog ‚Evolution und Schöpfung‘ betreibt, ist 17 Jahre alt. Der dürfte in der Lage sein, das, was ich nun schreibe, ebenfalls zu leisten. Zudem ist der in ein Netzwerk eingebunden, das ihm notfalls mit Informationen versorgt.
Ich würde schreiben, dass Evolution in so gut wie allen Bundesländern nur noch in den Abschlussklassen vorkommt. In der Mittelstufe wurde Evolution ganz gestrichen. Falls in Hessen beispielsweise ein Schüler ein Gymnasium besucht und nach der 10 mit einem Realschul-Abschluss abgeht, hat er in der Schule niemals Evolution als Thema gehabt. Zudem fällt in den Abschlussklassen immer viel Unterricht aus. Das letzte Halbjahr im Gymnasium ist eh nur halb so lang wie üblich, und es wird nur eine Klausur geschrieben. Evolution wird daher viel weniger ausführlich behandelt als andere Themen im Unterricht, was den tatsächlichen Stellenwert im Curriculum zeigt. (BTW, als ich vor gut 20 Jahren anfing, zu unterrichten, wurde Evolution noch in zwei Jahrgangsstufen unterrichtet, ein Halbjahr wurde also gestrichen).
Zudem würde ich mich fragen, welche Bedeutung Evolution denn wirklich in der Forschung und im Alltag spielt. Ich würde Lehrbücher (Biochemie, Molekularbiologie, Ökologie und so weiter) daraufhin untersuchen, welche Rolle Evolution darin konkret zukommt. Vor allem würde ich nachfragen, welche Bedeutung die Erkenntnisse, die man so gewonnen hat, tatsächlich spielen. Meist wird Züchtung, eventuell sogar Gentechnik, angeführt. Das ist ein hervorragendes Indiz pro ID, denn hier zeigt sich, wie leicht etwas durch Intelligenz erreicht werden kann, was durch ungelenkte Mechanismen praktisch nicht funktionieren kann (zumindest konnte noch niemand zeigen, dass das wirklich funktioniert). Oft findet man auch Beispiele aus der Medizin, vor allem Resistenzen. Das ist keine Evolution im Sinne von ‚from fish to gish‘ oder ‚von der Amöbe zu Goethe‘, denn das ist bestenfalls Mikroevolution. Meist sind das dann sogar Defektmutanten, die in Abwesenheit des Antibiotikums sofort der Selektion durch den Wildtyp zum Opfer fallen würden. Wenn ein Antibiotikum beispielsweise deshalb nicht mehr in die Zelle eindringen kann, weil ein Membranprotein nicht mehr funktioniert, ist das kein Hinweis darauf, wie durch Mutation und Selektion ein solches Protein entstehen konnte.
ostfriese hat geschrieben:Weiterhin würde mich interessieren, ob sie auch in Bezug auf andere in der Schule vermittelte Theorien Zweifel an deren Richtigkeit hegen -- und wenn ja, warum.
Dazu würde ich als Schüler, der an einen Gott glaubt, schreiben, dass ich darüber noch nicht so intensiv nachgedacht hätte, weil mir in anderen Fächern niemand unterstellen möchte, dass meine Religion durch die fachwissenschaftlichen Inhalte ein Problem hätte. Nur in Evolution gibt es Lehrer, die meinen, die Erkenntnisse würden gegen Design oder einen Schöpfer sprechen. Das stimmt aber gar nicht. Als ID-Vertreter gehe ich von einer alten Erde aus, selbstverständlich erkenne ich Evolution in dem Rahmen an, der nachgewiesen werden kann. Auch mit einer Deszendenz habe ich kein Problem. Aber es gibt viele Strukturen, deren Evolution nach den üblichen Evolutionsmechanismen noch(?) nicht erklärbar ist, wenn man sich nicht mit darwinian stories zufrieden gibt. Ganz im Gegenteil: je mehr man weiß, desto klarer wird, welches Ausmaß an Komplexität wir vollkommen unterschätzt haben.
Wenn man beispielsweise analysiert, was Dawkins schreibt, stellt man schnell fest, dass das, was funktioniert, nicht darwinistisch ist, und dass das, was darwinistisch ist, nicht funktionieren kann. Ich habe daher gar nichts gegen Evolution, sondern dagegen, dass mir erzählt werden soll, es sei nachgewiesen, Evolution sei naturalistisch verlaufen oder gar, dass eine Evolution eine Widerlegung meines Gottes sei.
Wie sich diese Argumentation durch einen Erwachsenen anliest, der seine Hausaufgaben gemacht hat, habe ich auf meinem Blog dargestellt.
ostfriese hat geschrieben:Schließlich: Dass für Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie in der Schule keine Zeit bleibt, kommt der Wahrheit leider gefährlich nahe und ist hoch bedenklich. Wenn die Schüler das ihnen vermittelte Wissen nicht aus Einsicht in die Methoden und Bedingungen zugrundeliegender Erkenntnisgewinnungsprozesse übernehmen, sondern nur aus opportunem Glauben an die Autorität des Lehrplans oder Prüfers, bleibt ihre gesamte Weltsicht naiv. Und dementsprechend anfällig dafür, alsbald von der nächsten Autorität über den Haufen geworfen zu werden.
Stimmt. Und noch schlimmer wird es, wenn sie in der Schule lernen, dass nachgewiesen ist, dass Evolution naturalistisch verläuft und ihnen die üblichen Beispiele gelehrt werden. Sollten sie dann auf einen etwas gebildeteren Evolutionsgegner treffen, werden sie eine herbe Enttäuschung erleben.
Neulich wollte jemand auf der Basis dessen, was er aus Dawkins und Publikationen wie Spektrum der Wissenschaften gelernt hat, gegen einen Kreationisten antreten, indem er eine Evolutionsreihe aufzeigt, ein Beispiel für Dystelie bringt und noch einige weitere HighLights präsentiert. Er war sehr frustriert, als ich ihm anhand von ID-‘Fach‘literatur zeigte, was diese Menschen schon so alles zu den Beispielen geschrieben hatten, die ihm vorschwebten, und wie komplex die Diskussion wird, wenn man sich auf diese Fakten-Ebene einlässt. Nur nebenbei: dieser Kollege hat ein abgeschlossenes Biologie-Studium hinter sich.
Zurzeit haben wir noch den Vorteil, dass unsere Auffassung von Wissenschaft den Standard darstellt. Ich denke ein wenig ‚auf Vorrat‘ und überlege, was passieren würde, wenn der GAU eintritt: man muss Evolution in einem herrschaftsfreien Diskurs gegen religiös motivierte Gegner verteidigen, die ihre Hausaufgaben in Wissenschaftstheorie gemacht haben. Das könnte beispielsweise passieren, falls die RKK entdecken würde, dass sie ‚eigentlich‘ auch ID vertritt. Diese Diskussionen könnten für uns sehr frustrierend werden. Wir könnten vermutlich problemlos Evolution als historische Tatsache aufzeigen und für Deszendenz überzeugende Indizien präsentieren. Aber ich sehe keine Chance, rational aufzuzeigen, nach welchen Mechanismen diese Evolution verlief. Die Frage ist oft nicht, ob diese Mechanismen wirken, sondern deren Reichweite. Und hier wissen wir oft einfach noch nicht, was funktioniert und was nicht.
Einen Atheismus auf die Ergebnisse der Evolutionsforschung zu gründen bedeutet auf Sand zu bauen. Wir schließen einen Designer methodisch aus, denn sonst würde Naturwissenschaft nicht funktionieren. Aber daraus abzuleiten, dass Evolution ohne einen Designer überhaupt funktioniert, ist nicht möglich. Das müsste man konkret zeigen. Zurzeit kann das noch niemand. Daher ist die einzig intellektuell redliche Auffassung, auf der soliden Basis des methodischen Naturalismus weiter zu forschen. Alle Indizien sprechen für eine Evolution, welche Kräfte diese letztendlich bewirken ist eine offene Frage, die intensiv erforscht wird.