Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

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Beitragvon Vollbreit » Do 8. Nov 2012, 17:55

Ich habe gerade einen schönen Artikel gefunden, der an die Diskussion von Zappa und mir anschließt:
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/02/ ... ewusstsein.

Darin geht es um die Frage, was das Ich ist, ob es das überhaupt gibt und wie die verschiedenen Vertreter verschiedener Disziplinen dazu stehen.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon ganimed » Mo 19. Nov 2012, 22:15

Interessanter Artikel, in dem für mein Gefühl der Wissenschaft schön viel Raum und den Philosophen angenehm wenig Raum eingeräumt wird.

Das wenige was über die philosophischen Einwände gebracht wird, missfällt mir dann prompt:

    "Der Hirnforscher Michael Gazzaniga sieht das ähnlich. Zwar hält er wie Metzinger das Selbst für eine Illusion, derer wir uns nur deshalb nicht bewusst würden, weil wir ständig eine Storyline für unser Leben zusammenwebten. Dennoch erteilt er jeder Art von Neurodeterminismus eine Absage. Nicht allein das Gehirn bestimme über unser Bewusstsein, sondern umgekehrt würden auch »Bewusstsein und Geist, die von physikalischen Prozessen im Gehirn auf eine spezifische Weise hervorgebracht werden, ihrerseits dieses Gehirn bestimmen«. Anders ausgedrückt: »Das Gehirn wird vom Geist bestimmt, den es selbst hervorbringt.«

    Deshalb bleibe es trotz aller Einblicke der modernen Wissenschaft dabei, dass wir »als Individuen für unsere Handlungen selbst verantwortlich« seien."

Dem ersten Absatz kann ich fast zustimmen. Völlig unlogisch, wie man aber von der Feststellung - das Selbst gibt es nicht und alle Einflussfaktoren sind überall verteilt, sogar außerhalb eines Menschen - zu der Schlußfolgerung kommt, dass wir für unsere Handlungen selbst verantwortlich seien. Dieses "selbst" gibt es doch gerade eben nicht. Philosophen sind schon ein komisches Völkchen. Und manche Hirnforscher spinnen nicht minder.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Vollbreit » Di 20. Nov 2012, 00:07

Ich sehe gerade nicht, wo ein neuer Aufguss der Willensfreiheitsdiskussion hinführen soll.
Ich denke, der mit Abstand Kompetenteste zu dem Thema ist Agent und da es zwischen euch gut läuft (und er es war, der mich "bekehrt" hat) ist es sicher sinnvoller, wenn Du das mit ihm zu klären versuchst.

Wobei mich natürlich nach wie vor interessieren würde, welche Änderung Du in Deinem Leben auf die Erkenntnis kein Ich zu sein oder zu haben, zurückführen würdest.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon AgentProvocateur » Di 20. Nov 2012, 02:17

ganimed hat geschrieben:Dem ersten Absatz kann ich fast zustimmen. Völlig unlogisch, wie man aber von der Feststellung - das Selbst gibt es nicht und alle Einflussfaktoren sind überall verteilt, sogar außerhalb eines Menschen - zu der Schlußfolgerung kommt, dass wir für unsere Handlungen selbst verantwortlich seien. Dieses "selbst" gibt es doch gerade eben nicht.

Man unterscheidet normalerweise sehr wohl zwischen der Substantivierung "das Selbst" und den Wörtchen "selbst/selber".

Die Substantivierung "das Selbst" oder besser "mein Selbst" kenne ich in der Alltagssprache nur mit einer ironischen Konnotation. In letzter Zeit ist es mir öfter über den Weg gelaufen, und zwar immer mit so: "mein früheres Selbst" ("hat das und das gemacht, geglaubt" etc.). Es ist dann so eine Art Selbst-Distanzierung, aber eben ein bisschen ironisch gemeint. Nun habe ich in im letzten Satz das Wort "selbst" selber verwendet. Und in dem wiederum letzten Satz das Wort "selber".

"Ich selber/selbst" ist mE eigentlich unverzichtbar, es ist eine Referenz auf sich selbst, zurück auf sich selbst. So, als ob man mit dem Finger auf sich zeigte. Und dies halte ich für einen wertvollen Bestandteil der Sprache; die wäre mE viel ärmer, wenn es diese Möglichkeit der Referenz auf sich selber nicht gäbe. Wie sollte man auch "ich rasiere mich immer selbst" ausdrücken ohne das kleine Wörtchen "selbst"? Genau genommen könnte man zwar meinen, dass "ich rasiere mich immer" dasselbe ausdrückt, aber "selbst" ist mE in diesem Satz durchaus eine Zusatzinformation, sie teilt mit, wer hier rasiert.

Mein mittlerer Sohn hatte übrigens eine Phase, (mit ca. 2 Jahren), als er noch nicht richtig sprechen konnte, da sagte er sehr oft, wenn man etwas für ihn machen wollte: "iche, [sein Name], selber", (was soviel bedeutete wie: "ich will und kann das selber machen").
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Myron » Di 20. Nov 2012, 04:38

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Substantivierung "das Selbst" oder besser "mein Selbst" kenne ich in der Alltagssprache nur mit einer ironischen Konnotation. In letzter Zeit ist es mir öfter über den Weg gelaufen, und zwar immer mit so: "mein früheres Selbst" ("hat das und das gemacht, geglaubt" etc.). Es ist dann so eine Art Selbst-Distanzierung, aber eben ein bisschen ironisch gemeint. Nun habe ich in im letzten Satz das Wort "selbst" selber verwendet. Und in dem wiederum letzten Satz das Wort "selber".


Es gibt Philosophen, die die Frage nach dem Selbst sehr ernst nehmen:

– "The Oxford Handbook of the Self": http://ukcatalogue.oup.com/product/9780199548019.do

– Galen Strawson, "Selves": http://ukcatalogue.oup.com/product/9780198250067.do

– Galen Strawson, "The Self": http://www.imprint.co.uk/strawson.htm (vollständiger Text)
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Vollbreit » Di 20. Nov 2012, 15:26

@ ganimed:

Um mich zu korrigieren: Es ist natürlich nicht die Willensfreiheitsdiskussion, die hier im Zentrum steht, sondern die Diskussion um ein Ich oder Selbst, auch wenn beides oft zusammen auftritt.

Die Frage ist ja, was eigentlich gemeint ist, wenn man von einem Ich/Selbst redet oder ihm die Existenz abspricht.

Was genau leugnet jemand, der sagt, dass es ein Selbst nicht gibt?
Im Grunde wird ja damit gesagt, was Buddhisten seit 2500 Jahren sagen (aber, dass es auch da Korrekturen gibt, wird gerne übersehen), dass nämlich das Ich keine feste, unveränderliche Entität ist, sondern, ein Bündel von Eigenschaft (bei den Buddhisten Skandhas genannt), deren wesen die stete Veränderung ist. Und so ist es auch bei der Hirnforschung. Man sieht die Areale interagieren, aber niemanden, der das steuert, man sieht das Orchester bei der Arbeit, aber der Dirigent fehlt.

Es war dann Nagarjuna, der bemerkte, dass es widersprüchlich ist, jemandem Übungen zur Ichüberwindung aufzutragen, wenn da wirklich niemand ist, der davon angesprochen werden kann, also, der übt.

Blenden wir in unsere Zeit, ist es der Widerspruch, dass man niemanden überzeugen kann (von den Ergebnissen der Hirnforschung), den es nicht gibt. Wird also aus dem eher aktiven und bewussten Vorgang des Überzeugens ein Umprogrammieren durch Konditionierung. Ist am Ende auch schwierig bis unhaltbar, will ich aber nicht vertiefen.

Philosophen meinen nun eher, dass es da etwas gibt, was Argumente verarbeitet (nicht nur Reize) und sich überzeugen lässt (nicht nur auf Lohn und Strafe oder Verstärkung reagiert) und sie stellen sich das nicht als Gespenst vor. Wie sie sich das vorstellen, ist je nach Schule verschieden.

Ich sehe auch den ganz praktischen Sinn nicht, den es hat, wenn man an jede „Ich“ oder „mich“ oder „selbst“ Formulierung den Zusatz hängt „Die Illusion meines Hirn, die ein Ich/Selbst produziert“, weil da überhaupt nichts ändert. Meine Ich-Illusion hat Durst, geht ins Kino, ist traurig. Wo ist der Unterschied?

Die Frage die wissenschaftlich relevant ist, ist die, der empirischen Verifikation.
D.h. gibt es ein empirisches Ich, das man erfahren, beschreiben und herzeigen kann.
Und man kann, die Psychologie tut das andauernd.

Und da gibt es das Spektrum vom Ichverlust über die Ich-Schwäche bis zum starken und gesunden ist.
Theoretisch beschrieben und empirisch überprüfbar, z.B. durch das strukturelle Interview.
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=& ... OJgiLL9JGg
Eine Selbstrepräsentanz, die ihre Absichten und Ziele halbwegs kohärent formulieren kann, die sich und andere psychisch unterscheiden kann und deren Motive selbstständig sind, in dem Sinne, dass man die Kontrolle über die eigenen Gliedmaßen, Gefühle und Gedanken hat.

Die psychotische Variante sieht so aus, dass jemand die Beine nicht mehr bewegen kann und sagt: „Das ist der Nachrichtensprecher, der sendet geheimen Strahlen aus, die mich lähmen.“ Oder eben die berüchtigten imperativen inneren Stimmen die sagen: „Töte Onkel Dittmayer!“
Das ist schon gravierend und man macht einige Wirbel darum, doch eigentlich hat sich nur etwas desorganisiert, was gar nicht existiert. Da Neurologen und Psychiater ja eng verwandt sind, würde mich interessieren, wie sie diesen Widerspruch auflösen, einen wegzusperren, der kein Ich hat und denselben Zustand zum Normalfall auszurufen…

Kurz und gut, ich habe eigentlich gar kein Problem damit, wenn Hirnforscher behaupten, dass es ein Ich, als einen festen, dauerhaft lokalisierbaren und unveränderlichen neurologischen Kern im Gehirn nicht gibt, ich habe aber ein großes Problem damit, dass diese Ansicht nun allen und allem übergestülpt werden soll und irgendwie „richtiger“ sein sollte, als andere. Wieso denn? Weil das Verfahren indirekter ist.

Psychologen meinen damit eine Instanz, die ich oben skizzenhaft beschrieben habe, warum sollte deren Definition weniger wert sein, wo aus der doch sehr viel Gravierendes und für das Leben Relevantes daraus folgt. Allein der Unterschied zwischen einem gesunden Ich und einer Identitätsdiffusion ist außerordentlich wichtig und hat Konsequenzen für alle gravierenden Bereiche des Lebens. Und man kann es testen, also „sehen“.

Und natürlich habe auch die Philosophen ihre Berechtigung, selbst Descartes. Einfach zu sagen, ja, das ist ja dualistisch, ist billig. Herzeigen zu können und begründen zu können, wo sich Descartes tatsächlich geirrt hat und wo nicht, macht den Unterschied aus.

Was ist denn falsch am phänomenologischen Ich? In meiner Welt ist es immer noch so, dass es einen Jemand braucht, der etwas von sich und der Welt wissen will, um Forschung zu betreiben. Vor aller systematischen Forschung – und alles andere ist keine Wissenschaft – kommt das bewusste verstehen Wollen.
Oder meinst Du, dass ein Hirn, wenn es nur komplex genug ist, ganz von selbst beginnt Mikroskope zu bauen?
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon ganimed » Di 20. Nov 2012, 21:53

AgentProvocateur hat geschrieben:Man unterscheidet normalerweise sehr wohl zwischen der Substantivierung "das Selbst" und den Wörtchen "selbst/selber".

Danke für deine Hinweise. Im Artikel heißt es, das Selbst sei eine Illusion. Dort steht nirgendwo, dass es das Selbst gar nicht gäbe. Da habe ich also falsch interpretiert in der Hitze des Gefechts. Das Selbst gibt es. Es ist nur kein fester, unveränderlicher Kern im Gehirn, sondern ein veränderliches und auch von äußeren Faktoren wie sozialen Interaktionen abhängiges Konstrukt unseres Gehirns.
Je nachdem wie sehr man den Aspekt der äußeren Faktoren betont, würde man wohl folgern, dass der Mensch nicht vollständig verantwortlich für sein Selbst ist, zumindest nicht für alle Aspekte des Selbst. Insofern könnte man auch Zweifel daran bekommen, ob das Individuum wirklich und vollständig für seine Handlungen verantwortlich ist. Aber ich muss zugeben, zwingend ist das nicht. Meine zwingenden Argumente habe ich alle schon in einer der letzten Mammut-Diskussionen über das Thema verschossen.

Vollbreit hat geschrieben:Was ist denn falsch am phänomenologischen Ich?

Eigentlich erstmal nichts, das muss ich einräumen. Das Ich gibt es. Aber wenn es stimmt was die Hirnforscher sagen, dass dieses Ich eine konstruierte Illusion des Gehirns ist, dann hat das schon Folgen. Das Ich fühlt sich ja so an (bzw. die Illusion besteht darin), dass man eine feste Identität hat, sich nicht ändert im Kern und charakteristische Eigenschaften besitzt (Interessen, Erfahrungen, Ansichten, Charakter, Werte, ...). Aber all das ist eben mehr oder weniger falsch. Unsere Identität ist nicht fest, sie ändert sich über die Lebenszeit, nach einschneidenen Erlebnissen, unmerklich über lange Zeiträume, biologisch geplant durch Reifungs- oder Umbauprozesse (Altersphasen) oder durch Krankheiten bzw. Hirnoperationen. Und unsere Interessen, Erfahrungen, Ansichten, Charakter und Werte sind nicht in Stein gemeißelt.
Nun ist aber ein definiertes, relativ festes und wiedererkennbares Ich die Grundlage für Begriffe wie Verantwortung, Entscheidungsfreiheit etc. Und diese Grundlage ist zumindest in Frage gestellt. Ich sehe da also schon gewaltigen Reformierungsbedarf, was das Selbstverständnis des Menschen angeht.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon AgentProvocateur » Di 20. Nov 2012, 22:41

Myron hat geschrieben:Es gibt Philosophen, die die Frage nach dem Selbst sehr ernst nehmen:

[...]

– Galen Strawson, "The Self": http://www.imprint.co.uk/strawson.htm (vollständiger Text)

Aaron Sloman - [The Self - A bogus concept]

Ist eine Antwort auf Galen Strawson, die mit meiner Ansicht viel besser übereinstimmt als die von Galen Strawson.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon AgentProvocateur » Di 20. Nov 2012, 22:54

ganimed hat geschrieben:Je nachdem wie sehr man den Aspekt der äußeren Faktoren betont, würde man wohl folgern, dass der Mensch nicht vollständig verantwortlich für sein Selbst ist, zumindest nicht für alle Aspekte des Selbst. Insofern könnte man auch Zweifel daran bekommen, ob das Individuum wirklich und vollständig für seine Handlungen verantwortlich ist.

Habe mal Deinen Diskussions"trick" hier farblich markiert. Wer vertritt denn sowas? Das wäre wohl die Frage, die erst mal zu klären wäre.

Nur für diejenigen, die meinten, dass "unsere Interessen, Erfahrungen, Ansichten, Charakter und Werte [...] in Stein gemeißelt" seien und die meinen, dass dies notwendige Voraussetzung für gerechtfertigte Verantwortungszuweisung und für gerechtfertigte Annahme von Entscheidungsfreiheit sei, ändert sich was. Gäbe es aber keine solchen, änderte sich für niemanden etwas.

(Allerdings: eine gewisse Kontinuität (in den Interessen, Ansichten, dem Charakter, den für sich anerkannten Werten) ist auch meiner Ansicht nach Voraussetzung für gerechtfertigte Verantwortungszuweisung und für gerechtfertigte Annahme von Entscheidungsfreiheit. Das ist aber durchaus etwas anderes als "in Stein gemeißelt/unveränderlich/statisch".)

Mal 'ne Frage: siehst Du Dich selber eigentlich so? Als in Stein gemeißelter/unveränderlicher Charakter? Oder meinst Du lediglich, dass andere (die meisten anderen) Leute sich so sehen, Du hingegen insofern eine Ausnahme seiest? Falls so: wie kommst Du darauf, worauf begründet sich dann diese Deine Annahme, woraus leitest Du die ab?
Zuletzt geändert von AgentProvocateur am Di 20. Nov 2012, 23:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Vollbreit » Di 20. Nov 2012, 23:07

ganimed hat geschrieben:Aber wenn es stimmt was die Hirnforscher sagen, dass dieses Ich eine konstruierte Illusion des Gehirns ist, dann hat das schon Folgen.


Und genau die würden mich interessieren. Welche siehst Du da?

ganimed hat geschrieben:Das Ich fühlt sich ja so an (bzw. die Illusion besteht darin), dass man eine feste Identität hat, sich nicht ändert im Kern und charakteristische Eigenschaften besitzt (Interessen, Erfahrungen, Ansichten, Charakter, Werte, ...). Aber all das ist eben mehr oder weniger falsch.


Ich glaube nicht, dass Du irgendjemanden findest, der ein Foto seiner Einschulung in der Hand hält und sagt, dass er genau so ist, wie am Tag der Einschulung, nur die Hosengröße hätte sich geändert.

ganimed hat geschrieben:Unsere Identität ist nicht fest, sie ändert sich über die Lebenszeit, nach einschneidenen Erlebnissen, unmerklich über lange Zeiträume, biologisch geplant durch Reifungs- oder Umbauprozesse (Altersphasen) oder durch Krankheiten bzw. Hirnoperationen. Und unsere Interessen, Erfahrungen, Ansichten, Charakter und Werte sind nicht in Stein gemeißelt.


Teils teils. Unser Temperament ist vergleichsweise unveränderlich. Unsere Fähigkeit Affekte zu kontrollieren bleibt recht stabil. Ich denke, es ist eine bunte Mischung.

ganimed hat geschrieben:Nun ist aber ein definiertes, relativ festes und wiedererkennbares Ich die Grundlage für Begriffe wie Verantwortung, Entscheidungsfreiheit etc.


Nein, eigentlich nicht. Inwiefern meinst Du das?

ganimed hat geschrieben:Und diese Grundlage ist zumindest in Frage gestellt. Ich sehe da also schon gewaltigen Reformierungsbedarf, was das Selbstverständnis des Menschen angeht.


Worin, in welche Richtung geht der?
Ich sehe wirklich rein gar nichts, was direkt aus dieser Erkenntnis folgt.
Das ist ja gerade das große Problem, was ich sehe.
Bei den Buddhisten resultieren aus der Erkenntnis haufenweise Übungen.
Aber was resultiert aus dem angeblich nicht vorhandenen Ich, von dem die Hirnforscher reden?
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Myron » Di 20. Nov 2012, 23:46

AgentProvocateur hat geschrieben:Ist eine Antwort auf Galen Strawson, die mit meiner Ansicht viel besser übereinstimmt als die von Galen Strawson.


Ich betrachte den Begriff des Selbstes nicht als einen Unbegriff. Die Frage nach dem Selbst ist die Frage nach dem Ich, dem Subjekt.

Ich: http://www.textlog.de/3995.html

"Ich ist der Ausdruck der Selbstunterscheidung eines lebenden Subjekts von anderen Subjekten und den Objekten (Nicht-Ichs), also der Beziehung von Erlebnissen auf das Subjekt als deren Eigner, Träger, konstanten Faktor. Das Ich ist das Identische, Permanierende, die Einheit eines lebenden, bewußten Wesens.…"

Ich: http://www.textlog.de/1679.html

"…Durch den Leib treten wir in Erscheinung, orientieren wir uns im Räume, treten wir mit der Welt in Wechselwirkung und vergewissern wir uns, ob wir wachen oder träumen. Er ist der Sitz unserer Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen. Das individuelle Ich ist also in erster Linie das leibliche Ich. - Allmählich aber lernt der Mensch, daß sein Ich nicht mit dem Leibe identisch sei. Denn dieser kann sehr wohl verletzt oder verstümmelt werden, ohne daß jenes sich dadurch ändert, und jenes kann an Tiefe, Umfang und Klarheit zunehmen, während der Leib verfällt.…"

"A self is certainly—essentially—a subject of experience, and it's certainly—essentially—not the same thing as a human being as a whole. I take these two claims to be true by definition. Some say that the only thing that is legitimately called 'the subject of experience' is the human being considered as a whole. One must reject this view if one holds that there are such things as selves. A self is some sort of inner conscious presence that is not the same thing as a human being considered as a whole, it if is anything at all."

(Strawson, Galen. Selves: An Essay in Revisionary Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2009. p. 8)

Das ist ein entscheidender Punkt in der Diskussion! Man beachte dabei, dass sich Strawson als Materialist bezeichnet und unter vom Leib/Körper/Organismus als Ganzem verschiedenen Ichs/Selbsten/Subjekten keineswegs unkörperlich-unstoffliche Seelen oder Geister in Sinne des Substanzdualismus versteht.

Subjekt: http://www.textlog.de/5137.html
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Myron » Di 20. Nov 2012, 23:58

Myron hat geschrieben:– "The Oxford Handbook of the Self": http://ukcatalogue.oup.com/product/9780199548019.do
– Galen Strawson, "Selves": http://ukcatalogue.oup.com/product/9780198250067.do
– Galen Strawson, "The Self": http://www.imprint.co.uk/strawson.htm (vollständiger Text)


Eine Besprechung des erstgenannten Buches: http://ndpr.nd.edu/news/32491-the-oxfor ... -the-self/

"Galen Strawson also rejects the idea that the self is an illusion or fiction. He thinks that "experience is impossible without an experiencer [what he calls a "minimal subject"]" (p. 253, brackets added). While talk of an "experiencer" may suggest a thing, object, or substance of some kind, Strawson distances himself from any such ontological commitment. Indeed, he accepts that all things, objects, and substances are best thought of as processes. A thing, object, or substance, he proposes, is just for a unity of a certain kind to obtain -- "a strong activity-unity" without any implication of intentional agency. Since he further assumes that physicalism (every concrete phenomenon in this universe is physical) is true, the minimal subject must be physical. Here, he cautions that we should not contrast the physical with what is experiential and seek to reduce experience to some non-experiential account or eliminate it entirely. Instead, he takes a more expansive view of the physical to include what it is like to experience things: "there must be more to the physical than we thought, for experience is real and must be wholly physical if materialism is true" (p. 257).
Strawson's "minimal subject" is indeed minimal. Whereas Cassam, Bermudez, Legrand, Tsakiris, and Henry and Thompson view the body as constitutive of the self, Strawson's minimal subject is constituted only by experience and thus exists only when there is experiencing. There is no subject that continues to exist when there is no experience, e.g., when a human being is asleep or unconscious. Moreover, the subject has no dispositional being; it is only "live" when it is experiencing. It thus exists episodically for some short amount of time. Finally, there is no reason to identify a minimal subject at one time with a minimal subject at a later time."


Für Strawson ist ein Minimalsubjekt also ein psychophysischer Prozess ("Prozess-Objekt") in einem Organismus, der von darin stattfindenden physiophysischen, neurophysiologischen Prozessen erzeugt und aufrechterhalten wird.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 21. Nov 2012, 00:54

Myron hat geschrieben:Ich betrachte den Begriff des Selbstes nicht als einen Unbegriff. Die Frage nach dem Selbst ist die Frage nach dem Ich, dem Subjekt.

Ich: http://www.textlog.de/3995.html

"Ich ist der Ausdruck der Selbstunterscheidung eines lebenden Subjekts von anderen Subjekten und den Objekten (Nicht-Ichs), also der Beziehung von Erlebnissen auf das Subjekt als deren Eigner, Träger, konstanten Faktor. Das Ich ist das Identische, Permanierende, die Einheit eines lebenden, bewußten Wesens.…"

Ich: http://www.textlog.de/1679.html

"…Durch den Leib treten wir in Erscheinung, orientieren wir uns im Räume, treten wir mit der Welt in Wechselwirkung und vergewissern wir uns, ob wir wachen oder träumen. Er ist der Sitz unserer Vorstellungen, Gefühle und Bestrebungen. Das individuelle Ich ist also in erster Linie das leibliche Ich. - Allmählich aber lernt der Mensch, daß sein Ich nicht mit dem Leibe identisch sei. Denn dieser kann sehr wohl verletzt oder verstümmelt werden, ohne daß jenes sich dadurch ändert, und jenes kann an Tiefe, Umfang und Klarheit zunehmen, während der Leib verfällt.…" [...] (Strawson, Galen. Selves: An Essay in Revisionary Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2009. p. 8)
Das ist ein entscheidender Punkt in der Diskussion! Man beachte dabei, dass sich Strawson als Materialist bezeichnet und unter vom Leib/Körper/Organismus als Ganzem verschiedenen Ichs/Selbsten/Subjekten keineswegs unkörperlich-unstoffliche Seelen oder Geister in Sinne des Substanzdualismus versteht.

Ich bin nun der Letzte, der hinter jedem Sandkorn einen verkappten Substanz-Dualisten vermuten und wittern würde und ich habe auch keinerlei grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber Philosophie. Außerdem halte ich es für völlig falsch, ein Subjekt als Illusion seiner selbst anzusehen, ich halte das vielmehr für einen performativen Selbst-Widerspruch und daher für nicht weiter bedenkbar, weil in sich völlig unsinnig.

Dennoch aber halte ich es mehr mit dem von mir verlinkten Text als mit Strawsons Ausführungen:

He [Galen Strawson] discusses the claim that

....the mental self is ordinarily conceived or experienced as:

(1) a thing, in some robust sense

(2) a mental thing, in some sense

(3,4) a single thing that is single both synchronically considered and diachronically
considered

(5) ontically distinct from all other things

(6) a subject of experience, a conscious feeler and thinker

(7) an agent

(8) a thing that has a certain character or personality

Ich habe wie Sloman gleichermaßen Probleme mit den Punkten (2) und (5). Wenn wir die wegließen, dann hätte ich kein Problem mehr damit, dann könnte ich dem bedenkenlos zustimmen.

Und damit: "Für Strawson ist ein Minimalsubjekt also ein psychophysischer Prozess ("Prozess-Objekt") in einem Organismus, der von darin stattfindenden physiophysischen, neurophysiologischen Prozessen erzeugt und aufrechterhalten wird." habe ich auch kein Problem.

Allerdings meine ich, dass das Alltagskonzept davon, wie man sich selber sieht, sehr viel vielschichtiger ist, als das, was Galen Strawson meint, herauskristallisiert zu haben. Dazu fand ich übrigens dieses Papier sehr erhellend.

Extrem kurze Zusammenfassung: es gibt gemeinhin drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:

1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")

Diese drei Konzepte schließen sich nun aber nicht aus, sondern werden, je nach Kontext, (die Autoren nennen es 'zoom-in' und 'zoom-out'), von ein- und derselben Person angewendet, sind also kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch.

Das deckt sich übrigens ziemlich gut mit dem, wie ich mich (auch schon vorher) sehe und gesehen habe. Als ich das gelesen habe, dachte ich bei mir: "ja, so ist es, das trifft es".
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Myron » Mi 21. Nov 2012, 01:47

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich bin nun der Letzte, der hinter jedem Sandkorn einen verkappten Substanz-Dualisten vermuten und wittern würde und ich habe auch keinerlei grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber Philosophie. Außerdem halte ich es für völlig falsch, ein Subjekt als Illusion seiner selbst anzusehen, ich halte das vielmehr für einen performativen Selbst-Widerspruch und daher für nicht weiter bedenkbar, weil in sich völlig unsinnig.
Dennoch aber halte ich es mehr mit dem von mir verlinkten Text als mit Strawsons Ausführungen:

He [Galen Strawson] discusses the claim that

....the mental self is ordinarily conceived or experienced as:

(1) a thing, in some robust sense

(2) a mental thing, in some sense

(3,4) a single thing that is single both synchronically considered and diachronically
considered

(5) ontically distinct from all other things

(6) a subject of experience, a conscious feeler and thinker

(7) an agent

(8) a thing that has a certain character or personality

Ich habe wie Sloman gleichermaßen Probleme mit den Punkten (2) und (5). Wenn wir die wegließen, dann hätte ich kein Problem mehr damit, dann könnte ich dem bedenkenlos zustimmen.


Das Originalzitat:

"In ordinary human self-experience, I propose, the self is figured as something that is

First and foremost, a subject of experience, a conscious feeler and thinker. I'll call this first experience-structuring mental element 'SUBJECT'.

Second, it's figured as a thing of some sort, in at least the sense that it's figured as something that has properties and is not itself merely a property of something else. Retaining the valuable vagueness of 'thing', I'll call this experience-determining element 'THING'.

Third, it's figured as something mental. By this—nb [nota bene]—I mean only and simply that it's considered as something mentally propertied, something that has mental being, whatever else is true of it ('MENTAL').

Fourth and fifth, it's figured as something single ('SINGLE'), both when considered 'synchronically' or at any given particular time ('SINGLE_S') and when considered 'diachronically' as something with some sort of temporal extension ('SINGLE_D'). I'll use the simple form 'SINGLE' when there's no need to be more specific, and I'll standardly use 'PERSISTING' rather than 'SINGLE_D' to mark the fact that the self, in being figured as diachronically single, is standardly figured as something that has relatively long-term singleness or continuity through time ('relatively' is intentionally vague).

Sixth, it's figured as an agent, as an intentional agent ('AGENT').

Seventh, it's figured as something that has a certain character or personality ('PERSONALITY').

Eighth, it's figured as something distinct from, in the sense of not identical with, the organism considered as a whole, the whole human being ('DISTINCT').

This, I propose, is the basic framework of the ordinary human sense/experience/conception of the self. These are the eight key elements that structure the sense of the self in ordinary unreflective self-experience.
The proposal may be thought to be too strong (it's not clear that PERSONALITY should be included). There are various close interdependencies between the elements, and there is a redundancy in the list (the first entails the third, for example). Nevertheless, it provides a base and a target. I don't think it omits anything essential, even if it includes things that aren't essential. I'm going to assume that this is so, but it won't matter much if I'm wrong, for a framework of this kind can be helpful in articulating thought about the self even if it isn't complete. If an omission is identified, it can simply be added to the existing framework and dealt with in turn."


(Strawson, Galen. Selves: An Essay in Revisionary Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2009. p. 46)

AgentProvocateur hat geschrieben:Und damit: "Für Strawson ist ein Minimalsubjekt also ein psychophysischer Prozess ("Prozess-Objekt") in einem Organismus, der von darin stattfindenden physiophysischen, neurophysiologischen Prozessen erzeugt und aufrechterhalten wird." habe ich auch kein Problem.
Allerdings meine ich, dass das Alltagskonzept davon, wie man sich selber sieht, sehr viel vielschichtiger ist, als das, was Galen Strawson meint, herauskristallisiert zu haben. Dazu fand ich übrigens dieses Papier sehr erhellend.

Extrem kurze Zusammenfassung: es gibt gemeinhin drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:

1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")

Diese drei Konzepte schließen sich nun aber nicht aus, sondern werden, je nach Kontext, (die Autoren nennen es 'zoom-in' und 'zoom-out'), von ein- und derselben Person angewendet, sind also kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch.
Das deckt sich übrigens ziemlich gut mit dem, wie ich mich (auch schon vorher) sehe und gesehen habe. Als ich das gelesen habe, dachte ich bei mir: "ja, so ist es, das trifft es".


Strawsons Analysen und Argumentationen in seinem 400-seitigen Buch Selves sind sehr subtil und differenziert. So unterscheidet er beispielsweise zwischen drei verschiedenen Bezugsgegenständen des Personalpronomens "ich":

Bild

(Strawson, Galen. Selves: An Essay in Revisionary Metaphysics. Oxford: Oxford University Press, 2009. p. 336)
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Myron » Mi 21. Nov 2012, 02:16

AgentProvocateur hat geschrieben:Dazu fand ich übrigens dieses Papier sehr erhellend.
Extrem kurze Zusammenfassung: es gibt gemeinhin drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:
1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")


Hier überlappen die Frage nach dem Ich/Selbst/Subjekt und die Frage nach der persönlichen Identität.

1 entspricht der materialistischen/korporalistischen/animalistischen Theorie des Ichs/Selbstes/Subjektes: Menschliche Ichs/Selbste/Subjekte sind (selbst-)bewussstseinsbegabte tierische Körper, d.i. menschliche Tiere.

2 entspricht der Hume'schen Bündeltheorie:

"I may venture to affirm of the rest of mankind, that they are nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement. Our eyes cannot turn in their sockets without varying our perceptions. Our thought is still more variable than our sight; and all our other senses and faculties contribute to this change; nor is there any single power of the soul, which remains unalterably the same, perhaps for one moment. The mind is a kind of theatre, where several perceptions successively make their appearance; pass, re-pass, glide away, and mingle in an infinite variety of postures and situations. There is properly no simplicity in it at one time, nor identity in different; whatever natural propension we may have to imagine that simplicity and identity. The comparison of the theatre must not mislead us. They are the successive perceptions only, that constitute the mind; nor have we the most distant notion of the place, where these scenes are represented, or of the materials, of which it is compos'd."

(Hume, David. Treatise of Human Nature. 1739. Bk. 1, pt. IV, sec. VI)

"Mind, Bundle Theory of. This theory owes its name to Hume, who described the self or person (which he assumed to be the mind) as 'nothing but a bundle or collection of different perceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement' (A Treatise of Human Nature I, IV, §VI). The theory begins by denying Descartes' Second Meditation view that experiences belong to an immaterial soul; its distinguishing feature is its attempt to account for the unity of a single mind by employing only relations among the experiences themselves rather than their attribution to an independently persisting subject. The usual objection to the bundle theory is that no relations adequate to the task can be found. But empirical work suggests that the task itself may be illusory. Many bundle theorists follow Hume in taking their topic to be personal identity. But the theory can be disentangled from this additional burden."

("Mind, Bundle Theory of." In The Shorter Routledge Encyclopedia of Philosophy, edited by Edward Craig, 674-675. London: Routledge, 2005.)

3 entspricht demjenigen, das man als Substratum- oder Substanz-Theorie des Ichs/Selbstes/Subjektes bezeichnen kann: Ichs/Selbste/Subjekte sind keine reinen Erlebnisströme im Hume'schen Sinne, sondern substanzielle Erlebnisträger: Der Erleber ist von seinem Erleben, seinen Erlebnissen verschieden, d.h. er ist nicht auf seine psychischen Eigenschaften reduzierbar, sondern ein Eigenschaftsträger, der selbst keine Eigenschaft und auch kein Eigenschaftsbündel ist.
Als substanzielle Subjekte kommen theoretisch sowohl Körper/Organismen als auch Seelen infrage.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Vollbreit » Mi 21. Nov 2012, 12:31

AgentProvocateur hat geschrieben:Extrem kurze Zusammenfassung: es gibt gemeinhin drei unterschiedliche Konzepte vom Selbst:

1. Das Köperkonzept ("ich bin mein Körper")
2. Das psychologische Konzept ("ich bin meine Erinnerungen, Weltanschauung, Überlegungen etc.")
3. Das externe Konzept ("ich bin nicht Gedanken, ich bin nicht Handlung, ich bin nicht Gefühle, ich bin etwas, das denkt, handelt und fühlt")

Diese drei Konzepte schließen sich nun aber nicht aus, sondern werden, je nach Kontext, (die Autoren nennen es 'zoom-in' und 'zoom-out'), von ein- und derselben Person angewendet, sind also kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch.

Das deckt sich übrigens ziemlich gut mit dem, wie ich mich (auch schon vorher) sehe und gesehen habe. Als ich das gelesen habe, dachte ich bei mir: "ja, so ist es, das trifft es".


Ich sehe es auch so wie Agent, dass man keines dieser drei Konzepte begründet zurückweisen kann und dass sie einander überlappen.

Ebenso ist es m.E. möglich das phänomenologische Ich (sich ganz, bzw. als Einheit zu erleben – ich erlebe mich ja nicht zerteilt, selbst wenn ich geistig diesen Konzepten folgen kann) und seine erkenntnistheoretischen Wurzeln, die individuierenden Blicke der anderen (Habermas), den Gebrauch einer öffentlichen Sprache (Wittgenstein), das Du- oder Welterleben aus dem ein Subjekt immer nur logisch folgen kann (Kant, Heidegger, Peter Strawson) zugleich anzuerkennen.
Ich erlebe immer nur mich und meine Welt, kann aber logisch schließen, keine Monade zu sein.
Das ist m.E. kein Widerspruch.

Das externe Konzept fällt, so weit ich da sehe, mit dem zusammen, was in der Spiritualität Zeugenbewusstsein oder einfach Zeuge genannt wird. Eine irgendwie reflexiv Instanz, die wahrnimmt, dass sie wahrnimmt, einen Körper, Emotionen und Gedanken hat, ohne ausschließlich dies zu sein und ist, wie Myron schon anmerkte, mit dem Seelenbegriff kompatibel.

Ist das einfach nur eine mental-reflexive Instanz, wobei man ja auch wahrnehmen kann, dass man reflexiv denkt und was wäre dann das? Oder ist es so, dass jede Abstraktionsstufe, wenn sie erreicht ist, eine neue Instanz generiert, so dass sich jede Entitität oder Substanz am Ende totläuft?
Was bliebe? Der Abbruch, Wahnsinn, Erleuchtung?

Diese Frage, „Wer bin ich?“, aber auch die Zen-Koans, sind ja so gestrickt, dass man (das rein mentale Konzept eines Ich) durchdreht, verbunden mit der Hoffnung dass dann etwas Neues zum Vorschein kommt, offenes Gewahrsein oder das Durchschreiten des torlosen Tors.

In welcher Weise hat das, was dort erscheint noch de Qualität eines Ich oder Selbst?
Kann man sie je alle (die Konzepte des Ich) ganz überwinden?
Was würde eine Seele vom Ich unterscheiden?
Muss zum Denken ein Erleben treten?
Kommt man aus dem Zirkel, dass zum Erleben immer ein minimales Subjektsein gehört, jemals raus?
Wer würde ich sein, wenn das wegfallen würde? Wäre das nur vorbewusstes nichtintegriertes Aufflackern bestimmter Sinneseindrücke? Oder lässt sich ein gleichberechtigtes Kommen und Gehen diverser Eindrücke, die nicht mehr nach einer „Adresse“ mit einer empfundenen Kontinuität des Seins verbinden? Was meint ihr?
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon AgentProvocateur » Do 22. Nov 2012, 01:25

Myron hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:[...]

Hier überlappen die Frage nach dem Ich/Selbst/Subjekt und die Frage nach der persönlichen Identität.

1 entspricht der materialistischen/korporalistischen/animalistischen Theorie des Ichs/Selbstes/Subjektes: [...]
2 entspricht der Hume'schen Bündeltheorie: [...]
3 entspricht demjenigen, das man als Substratum- oder Substanz-Theorie des Ichs/Selbstes/Subjektes bezeichnen kann:[...]

Ja, aber nochmal anders gesagt: der wesentliche Punkt und für mich die neue Erkenntnis, das Aha-Erlebnis, bei dieser X-Phi-Untersuchung war dieser: diese 3 Konzepte werden, je nach Kontext, von ein- und derselben Person auf sich selber angewendet. Man kann also nicht streng unterscheiden zwischen Person A, die nur Ansicht 1 anhängt, Person B, die nur Ansicht 2 anhängt und Person C, die nur Ansicht 3 anhängt. Es ist also nicht so, dass man auf eine der drei Ansichten festgelegt wäre, sondern diese je nach Kontext variieren kann und das sinnvollerweise.

Mal zwei ad hoc-Beispiele: wenn mich jemand fragte, was ich nächste Woche tun werde, dann könnte ich z.B. sagen: "ich fahre nach Hamburg". In dem Kontext würde ich also die Position #1 einnehmen. Aber wenn ich überlegte, was gestern schief gelaufen ist, warum ich gestern so schlecht ankam, dann würde ich Position #3 einnehmen, mich von mir selber distanzieren und mich von außen betrachten und so mein gestriges Verhalten analysieren und einordnen können, es wäre dann nicht hilfreich, wenn ich dann Position #1 oder #2 einnehmen würde.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Dissidenkt » So 25. Nov 2012, 16:37

Schöner Artikel! Danke für den Link, den hab ich in der ZEIT offenbar übersehen.

Inhaltlich bin ich 100% bei Metzinger und leite meine Sichtweise von einem Gedankenspiel ab, das so ähnlich auch in dem Text angesprochen wurde:

»Ein Kind, das auf einer isolierten Insel ohne sozialen Kontakt aufwachsen würde, hätte als Erwachsener nicht mehr Geist als ein Affe. Wir Menschen sind dafür gemacht, die Köpfe zusammenzustecken.«

Mal abgesehen davon, dass ein Säugling ohne Pflege und Zuwendung nicht überlebensfähig wäre, stellen wir uns mal vor, dies wäre doch der Fall.
Ein Säugling - nennen wir ihn Mogli - wird kurz nach der Geburt im Dschungel ausgesetzt und wächst ohne jegliche Bezugsperson auf. Neben ihm steht ein Füllhorn mit Milch und anderen nötigen Nahrungsmitteln und jegliche Gefahrenquelle für sein Leben und Gesundheit seien ausgeschlossen.

Wie würde er sich entwickeln?

Wie im Text richtig beschrieben, hätte er nicht mehr Geist, als ein Affe. Er wäre tatsächlich mehr oder weniger pure Wahrnehmung ohne jede Reflektion oder gar Sprache. Er hätte keinerlei Begriffe für "sich" und seine Umwelt und nur eine vage rein intuitive und emotionale Vorstellung von sich selbst, die er selbstverständlich in keinster Weise artikulieren könnte. Er könnte sich im Spiegel oder einer Wasseroberfläche erkennen ohne intellektuell den Vorgang der Selbsterkenntnis zu begreifen. Er könnte nicht einmal mit sich selbst sprechen und somit keinerlei Gedanken hegen, die über Wahrnehmung und Gefühle hinausgingen.

Es wäre also auch als Erwachsener ein ausgesprochenes mickriges, rudimentäres "Selbst" auf dem Niveau von Menschenaffen oder Elstern.

Sein Zwillingsbruder dagegen, der von Eltern in einer Gesellschaft großgezogen wurde, würde sich vollkommen anders entwickeln. Er entspräche weitestgehend unserer eigenen Persönlichkeit mit allen Fähigkeiten zur Selbsterkenntnis und Reflektion.

Was bedeutet das?

Das bedeutet nichts anderes, als das unser "Selbst" nicht einmal 1% unseres Seins ausmacht. Dieses 1% besteht wiederum aus unserer genetischen Disposition, unseren neuronalen, emotionalen und hormonellen Grundeigenschaften, auf die wir keinerlei Einfluss haben, die uns von Geburt an mitgegeben sind.

99% dessen, was wir sind, ist ein Produkt unserer Sozialisation und der Interaktion mit unserer Umwelt.

Man kann dieses Produkt aus 1% biologischer Basis und 99% gesellschaftlicher Sozialisation "Selbst" oder "Ich" nennen. Man sollte sich aber klar sein, dass dieses "Ich" in keinster Weise unabhängig, autark oder losgelöst von der Umwelt ist, sondern dass wir zu jeder Zeit und zu 100% auf Einflüssen beruhen, mit denen wir ständig in Wechselwirkung stehen.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon ujmp » So 25. Nov 2012, 17:30

Das ist pure Spekulation, so einfach kann man solche Schlüsse nicht ziehen. Man kann nämlich z.B. umgedreht aus einem Affen durch Sozialisation keinen Menschen machen. Das menschliche Gehirn hat nicht nur eine andere Größe sonden offenbar auch eine andere Struktur, denn Menschen die an Mikrozephalie leiden haben zwar u.U. ein Gehirn, dass nicht größer ist als das eines Menschenaffen, sie sind aber trotzdem fähig Sprache u.v.m. zu lernen, was man Affen nicht beibringen kann.

Es wird m.E. umgedreht sein: 99 % unseres Geistes ist angeboren. Man kann z.B. Nachweisen, dass Säuglinge Personen von Gegenständen unterscheiden können, dass sie bis Drei zählen können, dass sie ein gewisses "Verständnis" von physikalischer Korrektheit haben, u.v.m. Es gibt sogenannte präverbale Begriffe. M.E. können wir über diese angeborene Begriffswelt auch nicht wirklich hinauskommen, wir können sie lediglich differenzieren. Eine Sprache gibt den Dingen nur Namen, aber wie wir die Dinge wahrnehmen und verstehen, ist weitesgehend angeboren.
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Re: Ich und Wir, Sprache und Gehirn und so

Beitragvon Dissidenkt » Di 27. Nov 2012, 23:41

ujmp hat geschrieben:Das ist pure Spekulation, so einfach kann man solche Schlüsse nicht ziehen. Man kann nämlich z.B. umgedreht aus einem Affen durch Sozialisation keinen Menschen machen. Das menschliche Gehirn hat nicht nur eine andere Größe sonden offenbar auch eine andere Struktur, denn Menschen die an Mikrozephalie leiden haben zwar u.U. ein Gehirn, dass nicht größer ist als das eines Menschenaffen, sie sind aber trotzdem fähig Sprache u.v.m. zu lernen, was man Affen nicht beibringen kann.....


Mit Spekulation hat das rein gar nichts zu tun. Das sind simple Fakten. Es gibt im übrigen vergleichbare Fälle von wilden Kindern, die unter Tieren aufwuchsen, auf allen vieren liefen und auch als sie in menschliche Obhut kamen, nur schwer und sehr bedingt umzuerziehen waren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kamala_und_Amala

Alle Menschen haben eine gemeinsame biologische und genetische Basis, die aber von der späteren Persönlichkeit allenfalls 1% ausmacht.
Nehme ich einen Säugling aus Deutschland und einen aus Afghanistan und vertausche diese, so werden sich beide zu 99% angepasst an ihre Umwelt entwickeln. Das bisschen Veranlagung, dass sich in Temperament oder gesundheitlicher Verfassung ausdrückt, wird in der gesellschaftlichen Prägung, die Sprache und Denken bestimmt, kaum ausfindig zu machen sein.
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