El Schwalmo hat geschrieben:ich plädiere dafür, in derartigen Diskussion auf den Begriff 'wahr' zu verzichten, da er mangels Nachweismöglichkeit zu einem nicht erreichbaren Ideal verkommt.
Ich plädiere dagegen, denn was uns am meisten interessiert, ist ja die Frage, was wahr ist und was nicht.
El Schwalmo hat geschrieben:Okay, das zu glauben macht Sinn.
Es geht ja darum, ob der materialistische/naturalistische oder antimaterialistische/supernaturalistische Glaube der vernünftigere ist. Und der Grad an Vernünftigkeit eines Glaubens hängt mit der Stärke der Gründe zusammen, die für ihn bzw. gegen den gegensätzlichen Glauben sprechen.
El Schwalmo hat geschrieben:Der Knackpunkt scheint mir der Erklärungswert zu sein. Selbst die deutschen Kreationisten sehen das inzwischen ein und reden immer von 'Ursprungsfragen', denn hier hört die Erklärung auf.
Wo die empirischen naturwissenschaftlichen Erklärungen (derzeit) aufhören, dort beginnt die gute alte naturphilosophische Spekulation. Und hier gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von atheistischen Vorschlägen.
(Siehe:
"Why this universe: Towards a taxonomy of possible explanations" (pdf))
El Schwalmo hat geschrieben:Myron hat geschrieben:(* insbesondere aufgrund der Annahme der kausalen Geschlossenheit und Einheitlichkeit des natürlichen Weltsystems)
Nun ja, eine
Annahme würde ich nicht als Qualitätsmerkmal werten. Bestenfalls die empirische Bestätigung, dass eine Annahme sinnvoll war.
Dass es keine nichtphysischen Kausalkräfte gibt, die im raumzeitlichen Kausalnexus eine Rolle spielen, hat sich naturwissenschaftlich bestätigt. Nichts deutet auf das Vorhandensein irgendwelcher hyperphysischen Geistes- oder Lebenskräfte hin.
El Schwalmo hat geschrieben:Wir erforschen in diesem Weltbild Sekundärursachen.
Ist das so?
Was spricht dafür, dass es hinter den angeblichen "Sekundärursachen" eine oder mehrere "Primärursachen" (gar transzendente) gibt?
El Schwalmo hat geschrieben:Hier ist auch der methodologische Naturalismus das Mittel der Wahl und wird auch beispielsweise von Evolutionsgegnern meist anerkannt ('instrumental science'). Anders sieht es bei den 'Ursprungsfragen' aus. Behe beispielsweise erkennt Deszendenz an und fragt nach den Mechanismen der Entstehung (in Kreationistenkreisen 'historical science'). Behe macht sehr plausibel deutlich, dass die methodisch naturalistische Erforschung des Funktionierens eines Systems kein Argument für dessen naturalistische Genese darstellt. Aus dem Funktionieren des Naturalismus in diesem Kontext folgt noch lange nicht, dass das ein Beleg für den Materialismus ist.
Das alte deistische Bild von Gott als dem Uhrmacher, der seine Uhren nach Herstellung aufzieht und danach nicht mehr in deren mechanische Funktionsabläufe eingreift.
Aber ist Behe nicht Theist und glaubt an die Lehre von der
creatio continua (d.i. die Lehre, dass Gott das Universum nach dem ersten Schöpfungsakt zu jedem Zeitpunkt danach aktiv "im Sein erhält", sodass jede natürliche Ursache per se bloß eine Sekundärursache ist)?
Die Naturwissenschaft bestätigt den Materialismus insbesondere im Hinblick auf das Geist-Körper-Verhältnis. Die Setzung von Geistern und Seelen als selbstständigen Wesen erscheint im Lichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse immer unglaubwürdiger, ja, man kann inzwischen sogar sagen, dass sie so gut wie widerlegt ist.
El Schwalmo hat geschrieben:Myron hat geschrieben:Der metaphysische Materialismus/Physikalismus ist so allgemein formuliert (siehe
LINK), dass er mit jeder erdenklichen physikalischen Theorie vereinbar ist.
Eben. Geht auch in Richtung 'Immunisierung'.
Sehe ich nicht so. Denn es gibt ja einen möglichen Falsifikator des Materialismus, nämlich den wissenschaftlichen Nachweis immaterieller Substanzen, insbesondere solcher mit psychischen Eigenschaften.
El Schwalmo hat geschrieben:Solange sie nicht den Versuch machen, der Physik vorzuschreiben, dass es jenseits des Materialismus nichts mehr gäbe, ist das okay. Sollten die Physiker (die Zahl Schöpfungsläubiger ist dort viel höher als bei Evolutionsbiologens) irgendwann mal in Richtung Deismus abwandern, können sich die Materialisten ja immer noch anpassen.
Der einen transzendenten Gott setzende Deismus ist grundsätzlich nicht Materialismus-kompatibel.
(Auch die Annahme eines abstrakten "Logos", d.h. von unpersönlichen Naturgesetzen, die schon vor dem materiellen Universum existiert haben, verträgt sich nicht mit dem Materialismus.)
El Schwalmo hat geschrieben:Nun, von Versuchen, die Wahrheit eines Weltbildes zu beweisen, hat man sich längst verabschiedet. Man kann daher 'nur' noch in Richtung 'was ist sinnvoller, konsistenter, erklärungsmächtiger ...' argumentieren, und daraus Regeln eines rationalen Diskurses ableiten.
Gut, aber die Wahrheit ist und bleibt das eigentliche Ziel.
Wie sicher wir sein können, sie tatsächlich erreicht zu haben, ist freilich eine andere Frage. Wie David Armstrong betont, in der Praxis sollten wir nie den Sinn für den Unterschied zwischen echtem Wissen und mehr oder weniger vernünftigem Glauben verlieren:
"[I]t seems desirable in philosopy and elsewhere that we should retain a feeling for where there really is knowledge and where there is only more or less rational belief."(Armstrong, D. M.
Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 35)
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn nun aber jemand partout an das herzallerliebste Jesulein oder einen Gott anderer Provenienz glauben möchte, hat er durchaus Möglichkeiten, das so zu tun, dass man ihm argumentativ nicht ans Leder kann, weil es ja nicht mehr innerhalb des rationalen Diskurs verhandelbar ist.
Jeder Glaube, auch jeder metaphysische, ist rational kritisierbar.
El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man nun die Regeln des rationalen Diskurses für alle Diskurse verbindlich machen kann, haben wir 'gewonnen'. Ich sehe aber, dass gerade dies angezweifelt wird. Schwer, darüber im Rahmen dieser Regeln zu argumentieren.
Den relativistischen Fluchtversuch der Religiösen in einen Pluralismus von inkommensurablen "Diskursuniversen" oder "Sprachspielen" versuche ich zu verhindern.
El Schwalmo hat geschrieben:Und die Regeln des rationalen Diskurses bestimmen, was 'vernünftig' ist.
"Metaphysicians should not expect any certainties in their inquiries. One day, perhaps, the subject will be transformed, but for the present the philosopher can do no more than survey the field as conscientiously as he or she can, taking note of the opinions and arguments of predecessors and contemporaries, and then make a fallible judgment arrived at and backed up as rationally as he or she knows how."(Armstrong, D. M.
Universals: An Opinionated Introduction. Boulder, CO: Westview, 1989. p. 135)
El Schwalmo hat geschrieben:Eben. Aber was haben wir davon, wenn wir sie nicht erkennen können? Genauer, wenn wir nicht wissen, ob ein Satz, den wir formuliert haben, wahr ist.
Sollen wir etwa nichts glauben, wovon wir nicht mit Sicherheit wissen, dass es wahr ist? Bist du für einen totalen Agnostizismus?
Damit können und wollen die Menschen aber nicht leben, oder?
El Schwalmo hat geschrieben:Sollte ein deistisches Wesen die Welt geschaffen haben und auch ab und an mal, gut versteckt im 'Zufallsrauschen', in den Gang der Dinge eingreifen, hätten wir Materialisten Unrecht, aber auch so gut wie jede Religion, die bisher formuliert wurde.
Wie gesagt, ein persönlicher deistischer Gott wäre ein "Falschmacher" des Materialismus und des Naturalismus.
El Schwalmo hat geschrieben:Viele Ergebnisse der Naturwissenschaften sind nur zeitkernig gültig. Du musst nur mal in alte Bücher schauen, was von 'der Wissenschaft' schon alles mit Anspruch auf Geltung vertreten wurde.
Eine naturwissenschaftliche Theorie ist entweder immer schon wahr oder immer schon falsch gewesen. Was sich natürlich ändern kann, ist ihr Rechtfertigungsgrad in Relation zu den gegebenen empirischen Indizien.
Der "pessimistischen Metainduktion" zufolge lässt sich aus dem Umstand, dass sich die meisten oder (fast) alle wissenschaftlichen Theorien der Vergangenheit inzwischen als falsch herausgestellt haben, schließen, dass höchstwahrscheinlich auch die meisten oder (fast) alle wissenschaftlichen Theorien der Gegenwart irgendwann in der Zukunft ihre Rechtfertigung, ihre "zeitkernige Gültigkeit" verlieren werden.
Gewiss, dies ist möglich, doch ist es auch sehr wahrscheinlich?
(Im Falle der darwinistischen Evolutionstheorie halte ich es beispielsweise für sehr unwahrscheinlich.)