Fragen zum Kategorischen Imperativ

Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Di 27. Sep 2011, 17:52

Wenn ich das richtig sehe, ist Kant ja in unserer Gesellschaft nicht ohne Einfluss. Sein "kategorischer Imperativ" wird oft genannt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich den richtig verstehe. Und da wollte ich mal fragen, ob jemand von euch da Auskunft geben kann.

Eine Formulierung wäre (laut Wikipedia): "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde."

Diese Regel wird, wiederum laut Wikipedia so angewendet: "Wer wissen will, ob eine beabsichtigte, ausgeführt werdende oder schon geschehene Handlung moralisch richtig ist, muss die jeweilige Handlungsbeschreibung durch Abstraktion von den involvierten Personen in eine allgemeine Regel verwandeln und dann beurteilen, ob er die Anwendung dieser Regel denken oder wollen kann (z.B. auch unter dem Gesichtspunkt des Eigeninteresses). Unmoralische Handlungen erkennt man so an einer Form von Widersprüchlichkeit"

Ein konkretes Beispiel: ich habe Durst auf eine Cola. Ich überprüfe also die Handlung "einen Liter Cola am Stück trinken" mit Hilfe des Kategorischen Imperativs.

Konkrete Handlung wäre also: einen Liter Cola am Stück trinken
Allgemeine Regel wäre beispielsweise: Trinke Cola bis du keinen Durst mehr verspürst.
Beurteilung der Regel: Ich will nicht, dass das allgemeines Gesetz wird, da ich vermute, dass nicht alle Menschen Cola so gerne mögen wie ich, vielmehr lieber Tee oder sonstige merkwürdige Getränke bevorzugen.
Folgerung: da meine Maxime besser kein allgemeines Gesetz wird, ist meine Handlung "einen Liter Cola am Stück trinken" moralisch also nicht richtig.

Kapier ich nicht. Wieso ist Cola trinken unmoralisch? Spinnt Kant?
Für jede erhellende Stellungnahme wäre ich ungeheuer dankbar.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Lumen » Di 27. Sep 2011, 20:30

Die Regel wird kein Zwang, sondern ein "es ist erlaubt". Weiterhin wird die so geschaffene Regel dennoch angewendet, als ob man sie durchsetzen müßte. Wenn du selbst Cola trinken wolltest, wäre das in Ordnung und wenn ujmp das auch machen würde, ginge das auch. Aber z.B. andere zum Cola trinken zwingen ginge nicht, du würdest nicht wollen, das jemand dich zwingt (da es als allgemeine Regel/Maxime zu testen ist).

Ist Cola trinken moralisch ok?
Was wäre wenn jeder diese Handlung ausführe würde?
Ist das Ergebnis auch im (abstrahierten) Eigeninteresse?
Wird die Regel unsinnig/widersprüchlich? (bedenke: Eigentum wegnehmen als Maxime)


Es läuft auf die Goldene Regel hinaus :)
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Di 27. Sep 2011, 21:56

ganimed hat geschrieben:Kapier ich nicht. Wieso ist Cola trinken unmoralisch? Spinnt Kant?
Für jede erhellende Stellungnahme wäre ich ungeheuer dankbar.

Vielleicht ist es einfacher zu verstehen, wenn man die fiktive Regel so umformulierte: "(Immer) Wenn du durfst verspürst, musst du einen Liter (d.h. exakt diese Menge) Cola (d.h. kein Wasser, Tee, etc.) trinken."

Natürlich wäre es unmoralisch, aus deinem situativen Wunsch, eine große Menge eines bestimmten Getränks zu trinken, eine allgemeine allgemeinverbindliche Regel abzuleiten. Die angemessene Maxime wäre dagegen wohl "Wenn du Durst hast, darfst du soviel trinken, wie du willst, bis dein Durst gestillt ist."
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Mi 28. Sep 2011, 17:48

Lumen hat geschrieben:Die Regel wird kein Zwang, sondern ein "es ist erlaubt". Weiterhin wird die so geschaffene Regel dennoch angewendet, als ob man sie durchsetzen müßte.

Das verstehe ich nicht. Gilt meine Maxime nun für alle oder nicht? Und wenn sie für alle gilt, würden sich dann nicht alle daran halten müssen? Denn das heißt für mich zumindest "Maxime". Wieso ist aber die Regel dann kein Zwang?

Lumen hat geschrieben:Was wäre wenn jeder diese Handlung ausführe würde? Ist das Ergebnis auch im (abstrahierten) Eigeninteresse?

Wenn alle Cola tränken, dann gäbe es viel zu wenig Cola auf dieser Welt. Ein ganz normales Ressourcenproblem, das man vermutlich bei fast allen "was wäre wenn alle das so machten" bekommt. Und weil es für so etwas kaum jemals genug Ressourcen gibt, folgt dann daraus, dass fast alle meine Handlungen moralisch falsch sind?

Lumen hat geschrieben:Es läuft auf die Goldene Regel hinaus

Ich hätte gedacht, die goldene Regel vertritt eher die Richtung des Utilitarismus, wo gefragt wird, welche Auswirkung mein Cola trinken auf andere hat, und ob ich diese Auswirkungen auch am eigenen Leibe zu spüren bereit wäre. Dahingegen fragt der Kategorische Imperativ nach der Absicht, die hinter der Handlung steht (wenn ich Wikipedia da richtig verstehe). Aber welche Absicht soll ich beim Cola trinken schon haben? Meinen Durst zu löschen natürlich.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Mi 28. Sep 2011, 17:53

Nanna hat geschrieben:Die angemessene Maxime wäre dagegen wohl "Wenn du Durst hast, darfst du soviel trinken, wie du willst, bis dein Durst gestillt ist."

Oder ist die angemessene Maxime "Wenn du Durst hast, darfst du soviel Cola trinken, wie du willst, bis dein Durst gestillt ist" ? Oder gibt es etwa keine Möglichkeit mit dem Kategorischen Imperativ zu überprüfen, welche Getränke zu trinken moralisch ok ist? Muss man seine Maximenformulierung wirklich so lange verbiegen und verallgemeinern, bis man das Ergebnis "moralisch richtig" bekommt? Das wäre ja ein recht sinnloser Test.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Sep 2011, 18:46

ganimed hat geschrieben:Allgemeine Regel wäre beispielsweise: Trinke Cola bis du keinen Durst mehr verspürst.

[...]

Kapier ich nicht. Wieso ist Cola trinken unmoralisch? Spinnt Kant?

Nach Kant ist Deine Regel: "wenn Du Durst hast, dann musst Du soviel Cola trinken, bis Du keinen Durst mehr verspürst" unmoralisch.

Ich halte Deine Regel auch für unmoralisch.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » Mi 28. Sep 2011, 20:22

Warum einfach, wenn's auch umständlich geht?

Ich halte Kants Kategorischen Imperativ von jeher für zu sperrig und unnötig kompliziert und bevorzuge das gute alte deutsche Sprichwort:

Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu!

... oder besser positiv, auf Englisch:

Do as you would be done by!

Diese Sprüche sind älter als Kants Kategorischer Imperativ und auch älter als jede Religion. Sie sind eine Universalie der Menschheit!

Wenn du also einen Liter Cola in einem Zug saufen willst und du schadest niemandem (außer dir selbst) damit, nur zu!

Du bist alt genug, das selbst zu entscheiden!

Gruß Gernot
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Mi 28. Sep 2011, 21:27

Gernot Back hat geschrieben:Warum einfach, wenn's auch umständlich geht?

Ich würde auch eher dem Utilitarismus folgen und die von dir angebotenen einfachen Regeln beherzigen wollen. Aber unabhängig davon muss es doch möglich sein, den ollen Kant irgendwie zu verstehen, wenn man ihm auch nicht alles glauben will. Aber es scheint doch gar nicht so einfach zu sein, den Kategorischen Imperativ wirklich mal im praktischen Beispiel anzuwenden.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Sep 2011, 21:51

Gernot Back hat geschrieben:Warum einfach, wenn's auch umständlich geht?

Ich halte Kants Kategorischen Imperativ von jeher für zu sperrig und unnötig kompliziert und bevorzuge das gute alte deutsche Sprichwort:

Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu!

Siehe dazu dort.

Der Unterschied ist:

- die goldene Regel gilt nur für Unterlassungen
- ist nur auf den Handelnden selber bezogen (siehe das Beispiel von Kant: der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will)

Der kategorische Imperativ mag nicht in allen Fällen erfolgreich anzuwenden sein, ist jedoch umfassender als die goldene Regel.

Und wenn den jemand so interpretiert: "ich habe Durst und ich mag Cola und ich will Cola trinken und wenn ich Cola trinke, dann ist mein Durst weg, also müssen alle Cola trinken, wenn sie Durst haben, so viel Cola, bis ihr Durst weg ist" dann ist dem wohl nicht zu helfen, denn das ist total unlogisch. Logisch wäre folgende Regel: "wenn Du Durst hast und Cola magst und soviel Cola trinken willst, bis Dein Durst weg ist, dann darfst Du das tun".
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Lumen » Mi 28. Sep 2011, 22:35

ganimed hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Die Regel wird kein Zwang, sondern ein "es ist erlaubt". Weiterhin wird die so geschaffene Regel dennoch angewendet, als ob man sie durchsetzen müßte.

Das verstehe ich nicht. Gilt meine Maxime nun für alle oder nicht? Und wenn sie für alle gilt, würden sich dann nicht alle daran halten müssen? Denn das heißt für mich zumindest "Maxime". Wieso ist aber die Regel dann kein Zwang?


Ich sehe den Imperativ zunächst als ein Lackmus-Test für moralische Handlungen. Diese Handlung wird nicht zum Gesetz! Genausowenig wie durch die Goldene Regel (tue keinem an …) validierte Handlung "darf man Kirschen essen?" nicht gleich zum Zwang für alle werden würde.

Maxime bedeutet hier: zum "Testen" der Regel TUT MAN SO, als WÜRDE die Regel allgemeingültig (hier: was wäre, wenn jeder Kirschen essen würde / Hey! Und jetzt alle: Kirschen essen!). Es interiessert dabei nicht, ob die Durchführung praktisch, logistisch usw. möglich ist.

Nehmen wir stehlen. Würde jeder jeden beklauen, wäre der "Sinn" (nämlich sich zu bereichern) ad absurdum geführt. Würde ich hingegen "darf ich andere Menschen töten" testen, würde jeder jeden töten—und ich würde hypothetisch auch getötet werden (da die Handlung für einen Moment als Maxime "Ok. Jeder tötetet jetzt mal jeden" getestet wird).
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 28. Sep 2011, 23:24

Lumen hat geschrieben:Ich sehe den Imperativ zunächst als ein Lackmus-Test für moralische Handlungen. Diese Handlung wird nicht zum Gesetz!

Sie wird nicht gleich zum Gesetz, aber es ist gefordert, dass, wenn sie zum Gesetz würde, man das akzeptieren können sollen müsste.

Man kann aus: "ich mag Cola, ich will jetzt Cola trinken, weil ich Durst habe" jedoch mitnichten dies ableiten: REGEL: "alle, also auch die, die keine Cola mögen oder die, die zwar Cola mögen, aber jetzt keine trinken wollen, müssen das tun, wenn sie Durst haben".

Wichtige Rahmenbedingungen ("ich mag Cola, ich will jetzt Cola trinken") werden von der Regel nicht berücksichtigt.

Selbst wenn jemand Cola absolut lieben würde, würde er diese Regel noch nicht mal für sich akzeptieren, (denn das hieße, er müsste auch dann Cola trinken, wenn er mal keine Lust darauf hat), geschweige denn, dass er sie als allgemeine Regel akzeptieren würde, (die gälte dann ja auch für seine Kinder, Freunde etc., die evtl. keine Cola mögen).

Und außerdem, falls man diese Regel als allgemeingültig akzeptieren würde, dann müsste man auch anstatt Cola jedes beliebige andere Getränk einsetzen können, falls das irgendwann mal jemand trinken möchte. Die Regel müsste also verallgemeinert so lauten: "alle, also auch die, die kein X mögen oder die, die zwar X mögen, aber jetzt X nicht trinken wollen, müssen X trinken, bis ihr Durst gestillt ist".

Und offensichtlich wäre eine solche Regel logisch widersprüchlich. Ich kann nicht sowohl auschließlich Cola als auch auschließlich Bier und auschließlich Wasser und auschließlich Tee und auschließlich Kaffee und auschließlich Whisky und auschließlich Wein und auschließlich Fanta etc. pp. trinken, bis mein Durst gestillt ist.

Also kann man daraus: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde." nicht die o.g. Regel erstellen. Dies kann schlicht keine allgemeingültige Regel sein: "wenn Du Durst hast, dann musst Du Cola trinken, bis Du nicht mehr durstig bist".

Und aus all dem folgt: der kategorische Imperativ ist im Cola-Beispiel sehr wohl anwendbar. Nämlich so: die Regel "wenn Du Durst hast, dann musst Du Cola trinken, bis Du nicht mehr durstig bist" ist unmoralisch.

Daraus folgt aber selbstverständlich nicht, dass Cola-Trinken unmoralisch wäre. Um hier eine Regel, die allgemeines Gesetz werden könnte, zu erstellen, sollten schlicht die Rahmenbedinungen berücksichtigt werden.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon mat-in » Do 29. Sep 2011, 15:01

Genau das ist der Punkt. Es geht nicht darum, daß dann alle nach der "Regel" leben, sondern das die "erlaubniss" Regel für alle gilt und gut ist für die Gruppe.

Wenn ich cola trinke, kann ich das machen, weil es auch nicht schlecht wäre, wenn alle anderen auch Cola trinken. (jetzt mal Karies und Übergewicht ignoriert).

Wenn ich jemanden erwürge (und mag mir noch so danach sein), mache ich das nicht, weil es nicht gut wäre wenn jeder nach belieben andere Leute erwürgen würde.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Gernot Back » Do 29. Sep 2011, 19:25

AgentProvocateur hat geschrieben:
Gernot Back hat geschrieben:Was du nicht willst, das man dir tu, das füg' auch keinem anderen zu!

Siehe dazu dort.

Der Unterschied ist:

- die goldene Regel gilt nur für Unterlassungen
- ist nur auf den Handelnden selber bezogen (siehe das Beispiel von Kant: der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will)



Das halte ich für absoluten Kappes! Ich kann immer noch nicht nachvollziehen, inwiefern Kants aufgedunsenes Geschwafel der in jedem Kulturkreis klar und einfach verständlichen, positiv formulierten Regel "Do as you would be done by" überlegen sein sollte.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon ganimed » Do 29. Sep 2011, 19:49

AgentProvocateur hat geschrieben:der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will

Verstehe ich nicht. Der Richter will doch Gerechtigkeit, also würde er auch wollen, dass er verknackt wird wenn er etwas ausgefressen hat. Ich würde mir also vorstellen, dass der Angeklagte gar kein Argument hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:Logisch wäre folgende Regel: "wenn Du Durst hast und Cola magst und soviel Cola trinken willst, bis Dein Durst weg ist, dann darfst Du das tun".

Du gehst den anderen Weg im Gegensatz zu Nanna. Der hat die Maxime solange verallgemeinert, bis sie niemandem mehr weh tut. Du spezialisierst sie solange, bis sie niemandem mehr weh tut. Und du scheinst es insbesondere nur deshalb "logisch" zu nennen, weil die Maxime von allen getragen werden kann. Aber wie gesagt, was ist denn das für eine Prüfung, durch die man kaum jemals fallen kann? Oder fällt dir eine Handlung ein, für deren Maxime es nicht irgendeine funktionierende Verallgemeinerung oder Spezialisierung gibt? Nehmen wir als Extrembeispiel die Handlung "meinen Nachbarn töten". Die für mich naheliegende und deshalb logische Maxime wäre: "töte deinen Nachbarn". Die würde durchfallen, weil sie besser kein Gesetz würde. Du und Nanna sagen nun, das sei Quatsch und man darf an der Maxime drehen wie man will. Also drehe ich: "töte deinen Nachbarn, wenn du es willst, du nichts anderes vor hast, er selber in Wirklichkeit damit sehr einverstanden ist und niemand anderes ein moralisches Recht hat, dagegen auch nur das geringste zu sagen." Diese Maxime könnte man für alle gelten lassen, mit Ach und Krach zumindest. Was mache ich also bei der Anwendung der Kategorischen Imperativs falsch?
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Do 29. Sep 2011, 21:07

ganimed hat geschrieben:Wenn ich das richtig sehe, ist Kant ja in unserer Gesellschaft nicht ohne Einfluss. Sein "kategorischer Imperativ" wird oft genannt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich den richtig verstehe. Und da wollte ich mal fragen, ob jemand von euch da Auskunft geben kann.


Imperativ:
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon AgentProvocateur » Do 29. Sep 2011, 21:25

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will

Verstehe ich nicht. Der Richter will doch Gerechtigkeit, also würde er auch wollen, dass er verknackt wird wenn er etwas ausgefressen hat.

So eine Verallgemeinerung gibt die Goldene Regel nicht her, das ist eben der Unterschied zum KI. Wenn der Richer nicht verknackt werden will, dann darf er den Angeklagten nicht verknacken.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Logisch wäre folgende Regel: "wenn Du Durst hast und Cola magst und soviel Cola trinken willst, bis Dein Durst weg ist, dann darfst Du das tun".

Du gehst den anderen Weg im Gegensatz zu Nanna. Der hat die Maxime solange verallgemeinert, bis sie niemandem mehr weh tut. Du spezialisierst sie solange, bis sie niemandem mehr weh tut. Und du scheinst es insbesondere nur deshalb "logisch" zu nennen, weil die Maxime von allen getragen werden kann.

Aber Du willst Cola trinken, Dir schmeckt Cola. Du würdest es nicht wollen, wenn jemand Dir vorschriebe, immer, wenn Du Durst hast, z.B. Kamillentee trinken zu müssen, nur weil der jemand anderem schmeckt.

Also kannst Du keine allgemeine Regel: "Du musst immer Cola trinken, wenn Du Durst hast" aufstellen, denn ein anderer kann ebenso mit derselben Berechtigung wie Du die Regel "Du musst immer Kamillentee trinken, wenn Du Durst hast" aufstellen.

Und diese beiden Regeln sind zwar gleichermaßen hergeleitet, aber nicht kompatibel, widersprechen sich, können nicht gleichzeitig eingehalten werden.

Außerdem ist völlig unklar, wie Du von "Ich will Cola trinken. Darf ich Cola trinken?" auf "Jeder muss Cola trinken" kommst.

Naheliegend wäre doch wohl eher: "Jeder, der will, darf Cola trinken". Nicht?

Aber wenn Du mal erklären kannst, wie man von "ich will, darf ich?" auf "wenn ich will und darf, dann müssen alle" kommst...?

Wenn Du fragst: "ist es moralisch erlaubt, meinen Nachbarn umzubringen?" dann fragst Du doch damit auch nicht: "ist es moralisch geboten / verpflichtend, seinen Nachbarn umzubringen?"

Oder?
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Nanna » Do 29. Sep 2011, 23:26

Gernot Back hat geschrieben:Das halte ich für absoluten Kappes! Ich kann immer noch nicht nachvollziehen, inwiefern Kants aufgedunsenes Geschwafel der in jedem Kulturkreis klar und einfach verständlichen, positiv formulierten Regel "Do as you would be done by" überlegen sein sollte.

Ja, nur wessen Problem ist das? Kants sicherlich nicht. Es geht hier ja darum, eine normative Regel formallogisch korrekt und anderen Regeln möglichst überlegen aufzustellen, nicht darum, sich eine "catchy phrase" für Leute auszudenken, die mehr "street smart" denn "book smart" sind (Verzeihung für die Anglizismen, aber mir fallen gerade keine deutschen Äquivalente ein, die das so auf den Punkt bringen). Wissenschaft ist dazu da, Aussagen zu treffen, die denen, die mit Hilfe des "gesunden Menschenverstandes" erdacht werden, überlegen sind. Für den banalen Alltagsgebrauch mag die Goldene Regel ja herhalten, weil jeder intuitiv die wichtigsten Ausnahmeregeln kennt, aber sobald man etwas tiefer einsteigt, geht es halt so einfach nicht mehr. Das Universum wird nunmal nicht in simpel geliefert, sorry.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:der Angeklagte könnte vom Richter verlangen, nicht verknackt zu werden, wenn der Richter nicht verknackt werden will

Verstehe ich nicht. Der Richter will doch Gerechtigkeit, also würde er auch wollen, dass er verknackt wird wenn er etwas ausgefressen hat. Ich würde mir also vorstellen, dass der Angeklagte gar kein Argument hat.

Zu viele implizite Annahmen. Woher weißt du, dass der Richter Gerechtigkeit will? Was ist Gerechtigkeit (merke: noch sind ja gar keine moralischen Verhaltensregeln formuliert, genau das wollen wir ja erst noch tun!)? Was hat der angenommene Wunsch des Richters mit genau der Situation zu tun, die wir betrachten, nämlich dem Augenblick des Richterspruchs? Und warum sollte der Angeklagte die Behauptung des Richters, dass dieser Gerechtigkeit wolle, akzeptieren (das ist ja eine Sache, die der Richter einzig und allein mit sich selbst ausgemacht hat, für den Angeklagten sind die Motive des Richters irrelevant)?

Vielleicht trägt dieser fiktive Dialog zur Verständlichkeit bei:
Richter: "Ich verurteile Sie zu einem Jahr Gefängnis wegen Diebstahls."
Angeklagter: "Mit welchem Recht, das über das Recht des Stärkeren hinausgeht, rechtfertigen Sie diesen Richterspruch?"
Richter: "Es gilt: 'Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu!' Sie wollen vermutlich auch nicht, dass jemand von Ihnen stiehlt, also ist es dieser Regel nach unmoralisch, wenn Sie von anderen stehlen!"
Angeklagter: "Völlig richtig. Ich erkenne an, dass mein Diebstahl nach dieser Regel unmoralisch war."
Richter: "Dann wäre das ja geklärt und wir können die Sitzung schließen."
Angeklagter: "Nein, ganz im Gegenteil. Sie haben mir soeben die Freiheit geschenkt, wenn Sie sich an diese Regel (und NUR diese Regel) halten. Da Sie nicht eingesperrt werden wollen, dürfen Sie mich auch nicht einsperren."
Richter: "Aber Sie haben unmoralisch gehandelt!"
Angeklagter "Ja, das bestreite ich nicht. Wenn Sie mich aber einsperren, handeln Sie der Goldenen Regel folgend genau wie ich: Sie tun einem anderen Menschen etwas an, was Sie selbst nicht erleiden wollen. Der Kontext tut nichts zur Sache, davon erwähnt die Regel nämlich nichts. Wenn Sie die Regel formallogisch korrekt interpretieren, ist Ihr Richterspruch im selben Maße unmoralisch, wie mein Diebstahl. Genausowenig, wie meine Beweggründe für den Diebstahl von der Goldenen Regel erfasst und ggf. entschuldigt werden, werden Ihre Beweggründe für die Verurteilung von der Goldenen Regel erfasst. Ihr Urteil ist in sich widersprüchlich. Reductio ad absurdum!"
Richter: "..."

Es zeigt sich: Damit die Goldene Regel im Falle von Befehlen, Bestrafungen etc. Gültigkeit behält, sind zusätzliche Annahmen nötig. Aus der Goldenen Regel allein geht eben z.B. nicht hervor, worin sich Kidnapping und Strafvollzug unterscheiden sollen.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Fr 30. Sep 2011, 17:22

AgentProvocateur hat geschrieben:- die goldene Regel gilt nur für Unterlassungen


Das stimmt nicht: Wenn du willst, dass dir in der Situation S jemand hilft, dann hilf auch du jemandem, der sich in der Situation S befindet!

THE GOLDEN RULE: http://www.iep.utm.edu/goldrule/
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Fr 30. Sep 2011, 17:35

ganimed hat geschrieben:Folgerung: da meine Maxime besser kein allgemeines Gesetz wird, ist meine Handlung "einen Liter Cola am Stück trinken" moralisch also nicht richtig.
Kapier ich nicht. Wieso ist Cola trinken unmoralisch? Spinnt Kant?


Zur Durstlöschung einen Liter Cola zu trinken ist erlaubt und weder geboten noch verboten. Natürlich gibt es kein allgemeines Gebot, das da lautet: Lösche deinen Durst mit einem Liter Cola! Unter bestimmten Umständen kann es aber ein "Ratschlag der Klugheit" sein zu sagen: Trinke (hier und jetzt) besser keinen ganzen Liter Cola zur Durstlöschung! Ein "Gebot (Gesetz) der Sittlichkeit" ist das dann aber nicht.
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Re: Fragen zum Kategorischen Imperativ

Beitragvon Myron » Fr 30. Sep 2011, 18:05

Nanna hat geschrieben:Vielleicht trägt dieser fiktive Dialog zur Verständlichkeit bei:
Richter: "Ich verurteile Sie zu einem Jahr Gefängnis wegen Diebstahls."
Angeklagter: "Mit welchem Recht, das über das Recht des Stärkeren hinausgeht, rechtfertigen Sie diesen Richterspruch?"
Richter: "Es gilt: 'Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem andern zu!' Sie wollen vermutlich auch nicht, dass jemand von Ihnen stiehlt, also ist es dieser Regel nach unmoralisch, wenn Sie von anderen stehlen!"
Angeklagter: "Völlig richtig. Ich erkenne an, dass mein Diebstahl nach dieser Regel unmoralisch war."
Richter: "Dann wäre das ja geklärt und wir können die Sitzung schließen."
Angeklagter: "Nein, ganz im Gegenteil. Sie haben mir soeben die Freiheit geschenkt, wenn Sie sich an diese Regel (und NUR diese Regel) halten. Da Sie nicht eingesperrt werden wollen, dürfen Sie mich auch nicht einsperren."
Richter: "Aber Sie haben unmoralisch gehandelt!"
Angeklagter "Ja, das bestreite ich nicht. Wenn Sie mich aber einsperren, handeln Sie der Goldenen Regel folgend genau wie ich: Sie tun einem anderen Menschen etwas an, was Sie selbst nicht erleiden wollen.…"
Richter: "..."


Der Richter sollte antworten: "Wenn ich das gleiche Verbrechen begangen hätte wie Sie, dann würde ich es gutheißen, wenn mir ein anderer Richter die gleiche Strafe auferlegte wie ich Ihnen. Ich würde zwar nicht gerne ins Gefängnis gehen, aber meine Freiheitsstrafe als eine gerechte Strafe hinnehmen und ertragen."
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