Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 24. Jan 2009, 00:54

ganimed hat geschrieben:Übrigens: Mir erscheint diese Argumentation zwar sehr logisch, aber wenn sie das wirklich wäre, hätte ich wenigstens einen einzigen Menschen bisher damit überzeugen müssen. Habe ich aber nicht. Ich bin also immer noch auf der Suche, nach den Fehlern in meiner Denke. Also bitte, keine Zurückhaltung. Sagt mir, wo ich mich irre.

Das Lustige an Deinem Freiheitsverständnis ist ja folgendes: demnach wäre es theoretisch möglich, einen Roboter zu bauen, der "wirklich frei" wäre. Man müsste ihm nur einen echten Zufallsgenerator einbauen (hier mal angenommen, das wäre möglich), der dann also prinzipiell unberechenbar agieren würde und der, wegen Deiner Definition nur aufgrund dieser prinzipiellen Unberechenbarkeit "frei" wäre. Ich meine aber, dass diese Auffassung vielleicht nicht so besonders viel allgemeine Zustimmung fände und vielleicht doch eher auf Unverständnis ob Deiner Prämisse stoßen würde.

Vielleicht ist ja Freiheit gar nicht von prinzipieller Unberechenbarkeit abhängig. Und auch nicht vom Determinismus. Im allgemeinen Verständnis. Wäre mal eine Überlegung wert.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Myron » Sa 24. Jan 2009, 00:59

ostfriese hat geschrieben:Auch mir gefiel der Aufsatz von MSS, insbesondere seine Ermunterung, von den überholten Konzepten 'gut', 'böse' und 'Schuld' Abschied zu nehmen, da sie uns aus ethischer und psychohygienischer Sicht nur schaden.


Naiv gefragt: Wie könnte man normative Ethik ohne die zentralen Kategorien <gut> und <schlecht>/<böse> betreiben?
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 01:18

AgentProvocateur hat geschrieben:Nur kommt man eben bei dieser Begründung unweigerlich wieder auf das Problem, dass, wenn man nicht steuern kann, auch seine Begründungen nicht steuern kann und also sich diese Begründung selber aufhebt. Aus diesem Dilemma gibt es mE keinen Ausweg.

Was ist mit einem Navigationssystem in deinem Auto? Dieses System ist ein Computerprogramm, dass dir nach festen Regeln und gemäß seinem Kartenmaterial sagt: "jetzt bitte links".
Du fragst den Computer: "Wieso? Ich bitte um eine Begründung."
Der Computer antwortet: "Weil in meinen Karten dort eine Straße entlang führt, deren Nutzung die Entfernung minimiert."
Und dann antwortest du wirklich "hey, Moment mal, du bist nur ein Programm, du kannst nicht wirklich steuern, was du sagst. Also muss deine Begründung auch falsch sein!"

Ich finde, das von dir skozzierte Dilemma existiert nicht. Mein Hirn arbeitet und seine Aussagen und Begründungen heben sich nicht deswegen auf, weil meine "Ich-Illusion" sie nicht steuern konnte. Steuerungsfähigkeit ist keine notwendige Voraussetzung für gute Begründungen. Für Willkür und Unlogik schon eher.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mit deinem Freiheitsbegriff kann ich rein gar nichts anfangen.

Das wäre ein Hinweis darauf, was mit meinem Mr. X-Beispiel aus meinem letzten Beitrag nicht stimmt. Die Definition "Freiheit = Akausalität" ist offenbar nicht akzeptabel für dich. So ganz verstehe ich nur noch nicht deinen Gegenentwurf:
AgentProvocateur hat geschrieben:Für mich ist Freiheit aber etwas Graduelles. Menschen zum Beispiel, die eine höhere Fähigkeit zur Erkenntnis und Einsicht haben als andere, sind deswegen mAn freier als diejenigen, die diese Fähigkeit weniger besitzen.

Freiheit = Lernfähigkeit und Einsichtsfähigkeit? Wieso das denn?
Wenn mir jemand Pistole auf die Brust setzt, und von mir verlangt, auf einem Bein zu hüpfen. Wird meine Entscheidung dadurch freier, dass ich die Notwendigkeit zum Hüpfen sehr schnell einsehe und gut erkenne?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun ja, wenn es Dir aber nur darum geht, festzustellen, dass Menschen Teil der Natur sind und nicht außerhalb stehen können: das ist auch meiner Ansicht nach natürlich richtig. Warum aber sollte nun daraus folgen, dass es keine Steuerungsmöglichkeiten und demnach keine Verantwortung mehr geben kann?

Wie definierst du hier den Begriff "Steuerungsmöglichkeit"? Nenn bitte auch mal ein Beispiel. Am besten ein simples mit einer A-B-Entscheidung.
Für mich heißt "Steuerungsmöglichkeit": ich hätte auch anders können. Aber das hätte ich nur können, wenn ich nicht 100% von kausalen Ursachen abhängig gewesen wäre. Aber dafür bräuchte ich wiederum Akausalität. Und die sehe ich in der Natur nicht.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Myron » Sa 24. Jan 2009, 01:19

"'Free Will' is a philosophical term of art for a particular sort of capacity of rational agents to choose a course of action from among various alternatives. Which sort is the free will sort is what all the fuss is about."

"'Freier Wille' ist ein philosophischer Fachausdruck für eine besondere, von rationalen Akteuren besessene Art von Fähigkeit, eine Handlungsweise unter verschiedenen Alternativen auszuwählen. Welche Art die Willensfreiheits-Art ist, darum dreht sich der ganze Streit."

[© meine Übers.]

(http://plato.stanford.edu/entries/freewill)
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 01:27

AgentProvocateur hat geschrieben:Das Lustige an Deinem Freiheitsverständnis ist ja folgendes: demnach wäre es theoretisch möglich, einen Roboter zu bauen, der "wirklich frei" wäre. Man müsste ihm nur einen echten Zufallsgenerator einbauen (hier mal angenommen, das wäre möglich), der dann also prinzipiell unberechenbar agieren würde und der, wegen Deiner Definition nur aufgrund dieser prinzipiellen Unberechenbarkeit "frei" wäre.

Eine interessante Folgerung. Das hatte ich noch nicht auf dem Schirm, aber es stimmt. Das wäre das in der Tat ein freier Roboter. Bei den Zufallsgeneratoren gäbe ich mich sogar mit unechten zufrieden, sagen wir welche mit Quantenunschärfe oder was man da machen kann. Aber es stimmt, ein Roboter ist insofern viel eher frei als ein Mensch.
Ein Argument gegen meinen Freiheitsbegriff wäre das aber nur dann, wenn man wie selbstverständlich annähme, dass Menschen immer mehr können müssen als Roboter bzw. immer freier sein müssen als sie. Aber nach meinem Freiheitsbegriff folgt ja auch, dass Willensfreiheit unberechenbare Monster erzeugte. Vielleicht ist es also ganz gut, wenn wir die Ehre der Freiheit den Robotern überlassen.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 01:39

Myron zitierte: "'Freier Wille' ist ein philosophischer Fachausdruck für eine besondere, von rationalen Akteuren besessene Art von Fähigkeit, eine Handlungsweise unter verschiedenen Alternativen auszuwählen. Welche Art die Willensfreiheits-Art ist, darum dreht sich der ganze Streit."

Wenn ich das richtig verstehe, ist hier die Aussage, dass man die Frage der Willensfreiheit auf die Frage nach einer freien Entscheidung reduzieren kann. Das Beispiel mit einer A-B-Entscheidung wäre also passend. Jetzt müssen wir uns also nur noch auf einen Freiheitsbegriff einigen.

Myron hat geschrieben:Naiv gefragt: Wie könnte man normative Ethik ohne die zentralen Kategorien <gut> und <schlecht>/<böse> betreiben?

Ich würde denken: kann man nicht. Aber man kann die Begriffe "gut" und "schlecht" anders definieren. Juristisch gesehen (diese Diskussion klang hier irgendwo schon mal an) wäre aus den neuen Hirnforschungserkenntnissen vielleicht zu folgern, dass "schlecht" eben ganz pragmatisch mit gesellschaftlichen Argumenten bewertet wird. "Schlecht = geringe Sozialverträglichkeit" beispielsweise.
Es gäbe dann keine bösen Menschen mehr, sondern nur noch sozial nicht tolerierbare. Die würde man pragmatisch wegschließen, um die Gesellschaft zu schützen. Sie hätten im Gefängnis keine "Schuld" abzusitzen, sondern müssten einfach nur davor bewahrt werden, weiteren Schaden anzurichten (oder sie sitzen ein, um die Rachegefühle ihrer Opfer zu befriedigen oder aus anderen, subtileren gesellschaftlichen Gründen). Die idealistische, ethische "Verantwortung" des Menschen als theoretischen Konstrukt hätte dann ausgedient. Das einzige Ideal wäre dann nur noch das möglichst reibungslose Zusammenleben.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Myron » Sa 24. Jan 2009, 02:43

Siehe auch den Eintrag in Eislers Wörterbuch: Willensfreiheit
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 03:39

Ah da steht's ja. :^^: Danke, Myron, für den erhellenden Hinweis auf Eislers Wörterbuch.

    "1) metaphysisch, die Freiheit (s. d.), Unabhängigkeit des Willens von jedweder zwingenden, beeinflussenden Kausalität überhaupt"
Ich hätte es nicht besser formulieren können.

    "2) ethisch, die Fähigkeit, sinnliche und andere Triebe durch vernünftig- ethische, soziale Motive zu beherrschen, äußeren und inneren Verlockungen, Anreizungen, Regungen zu widerstehen"
Hier geht es wohl um niedere Triebe gegen das höhere, edlere Rationaldenken. Im Lichte der evolutionären Psychologie, wie mir scheint, eine nicht immer ganz zweifelsfreie Bewertung und Einteilung in "niedrig" und "hoch". Also ist mit (2) einfach nur die Fähigkeit zu dominanter Rationalität gemeint, und damit die relative "Freiheit" vom emotionalen Rest des Hirns? Also ich weiß nicht, das würde ich dann halt "Rationalität" nennen und nicht "Freiheit".

    "3) psychologisch, die Fähigkeit des selbständigen, persönlichen, überlegten besonnenen Wollens und Handelns und die dadurch bedingte Unabhängigkeit von äußeren und inneren »zufälligen« Momentanreizen (Wahlfreiheit)."
Ist hier einfach nur Sturheit gemeint? Oder Beharrlichkeit? Dass man sich in seinem langfristigeren Wollen nicht von kurzfristigen Momentreizen abbringen lässt? Also ich weiß nicht, das würde ich dann halt "Beharrlichkeit" nennen und nicht "Freiheit".
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 24. Jan 2009, 15:04

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Das Lustige an Deinem Freiheitsverständnis ist ja folgendes: demnach wäre es theoretisch möglich, einen Roboter zu bauen, der "wirklich frei" wäre. Man müsste ihm nur einen echten Zufallsgenerator einbauen (hier mal angenommen, das wäre möglich), der dann also prinzipiell unberechenbar agieren würde und der, wegen Deiner Definition nur aufgrund dieser prinzipiellen Unberechenbarkeit "frei" wäre.

Eine interessante Folgerung. Das hatte ich noch nicht auf dem Schirm, aber es stimmt. Das wäre das in der Tat ein freier Roboter. Bei den Zufallsgeneratoren gäbe ich mich sogar mit unechten zufrieden, sagen wir welche mit Quantenunschärfe oder was man da machen kann. Aber es stimmt, ein Roboter ist insofern viel eher frei als ein Mensch.
Ein Argument gegen meinen Freiheitsbegriff wäre das aber nur dann, wenn man wie selbstverständlich annähme, dass Menschen immer mehr können müssen als Roboter bzw. immer freier sein müssen als sie.

Letzteres verstehe ich nicht. Es spielt doch erst mal keine Rolle, ob wir einen Roboter betrachten oder einen Menschen mit eingebautem echten Zufallsgenerator.

Man kann jetzt fragen, inwieweit diese Deine Definition von Freiheit wohl dem Verständnis von anderen entspricht. Und da bin ich mir ziemlich sicher, dass Du keine große Übereinstimmung für die Aussage: "ein Roboter (oder auch ein Mensch), dem ein echter Zufallsgenerator eingebaut wurde, der also immer rein zufällig agiert, ist viel eher frei als ein normaler Mensch." finden wirst. Das kannst Du ja einfach mal in Deiner Umgebung testen.

Nach meinem Freiheitsverständnis jedenfalls wäre ein solcher Mensch (oder Roboter) gänzlich unfrei, also ganz im Gegenteil zu Deiner Auffassung. Frei nenne ich ein Wesen dann, wenn es a) die Fähigkeiten zum Erkennen, zum Verstehen, zum Abwägen, zum Bewerten, zum Reflektieren hat und b) die Ergebnisse dieser Überlegungen auch in die Tat umsetzen kann. Und dies ist mE immer etwas Graduelles, d.h. "absolute Freiheit" kann es nicht geben. Man kann also immer danach streben, seine Freiheit zu erhöhen.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon stine » Sa 24. Jan 2009, 15:54

Ich habe gerade meinen Mann gefragt, ob wir einen freien Willen haben oder nicht.
Seine umfassende philosophische Antwort im Vorübergehen: "Ne".
Nun ja. Jetzt dürfte jedenfalls klar sein, warum ich lieber in einem Forum diskutiere. :mg:
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Sa 24. Jan 2009, 17:16

AgentProvocateur hat geschrieben:Frei nenne ich ein Wesen dann, wenn es a) die Fähigkeiten zum Erkennen, zum Verstehen, zum Abwägen, zum Bewerten, zum Reflektieren hat und b) die Ergebnisse dieser Überlegungen auch in die Tat umsetzen kann.

Dank Myrons beherztem Eingreifen in die Runde kann ich jetzt auf Eislers Wörterbuch verweisen und deine Definition irgendwie als Mischung aus (2) und (3) einordnen. (Willensfreiheit)

Ist für mich insofern beruhigend, als ich mir damit erklären kann, wieso wir so verschiedene Ansichten haben. Haben wir offenbar gar nicht. Wir haben wohl nur verschiedene Freiheitsbegriffe verwendet.

Wenn ich Singer richtig verstehe, bezieht er sich auch wohl eher auf die Willensfreiheit im Sinne der metaphysischen Definition, also das mit der Kausalität und dass die Neuronen determiniert sind. Aber Singer muss ja nicht notwendigerweise Thema der Diskussion sein.

Jetzt müsste man also nur noch überlegen, über welchen Freiheitsbegriff wir weiter reden wollen, wenn wir weiter reden wollen. Mich würde die Frage interessieren, wieso (2) und (3) und damit dein Freiheitsbegriff überhaupt gefühlsmäßig etwas mit Freiheit zu tun hat. Freiheit wovon? Und wieso gerade davon?
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Pia Hut » So 25. Jan 2009, 15:36

ganimed hat geschrieben:Das nenne ich sekundäre Argumente. Auch letztens einmal im Radio eine Sendung (SWR2 Aula, glaube ich) wo jemand der aktuellen Hirnforschung vor allem vorwarf, laut zu sein und sich eigentlich ganz alter Argumente zu bedienen. Wenn du oder andere Kritiker anfangen, lediglich sekundäre Argumente vorzubringen, nicht mehr Kritik an den Aussagen, sondern nur noch an ihrer Form oder den Motiven oder der Person Singers zu üben


Auch ich halte sehr viel von wissenschaftlicher Redlichkeit und würde wie du die Methode kritisieren einen Gedanken nicht zur Kenntnis zu nehmen, indem man ihm unredliche Motive unterstellt.

Wenn du bei mir gelesen hast, ich wollte Singer unlautere Motive unterschieben, dann habe ich es offenbar noch nicht klar genug ausgedrückt. Ich bin gerne bereit ihm die edelsten Motive zu zubilligen (um die geht es mir nämlich nicht), vermutlich war er selbst über die Popularität seines Gedankens überrascht und hat aus der Quantität dann auch auf ihre Qualität geschlossen. Und ich kann hier schon aus Platzgründen (da bräuchte ich schon etliche Seiten) seinem Denken nicht annähernd gerecht werden. Ich würde auch niemals sagen, man solle eine Sache deshalb nicht verfolgen, weil sie nicht neu sondern ein „alter Hut“ ist. Hinweisen würde ich deshalb darauf, weil, wer will schon ständig das Rad neu erfinden, man kann ja auch mal aus alten Fehlern lernen. Für alle die sich auch schon mal intensiver in den Geisteswissenschaften rumgetrieben haben, ist die Sache nicht neu, auch das ist Empirie. Es erscheint einem dann jedoch als ein gewisses Rätsel, als ein Phänomen. Warum erhält dieser Gedanke wieder solche Aufmerksamkeit? Und darum geht es wohl auch etwas in dem Artikel den agentprovokateur zuletzt verlinkt hat, den ich aber erst angefangen habe zu lesen.

Bei dir ganimed erscheint es mir so und dafür steht m. E. auch dein Folgebeispiel (aber wer wollte eigentlich und warum ganimed töten?), dass wenn man sagt, dies ist es nicht, dann schließt du auf das genaue Gegenteil. (mir scheinen es falsche Gegensätze zu sein) Es klingt mir sehr nach einer binären Logik, die man z.B. fürs Programmieren unbedingt beherrschen muss. Überträgt man dieses logische Kategorien jedoch auf eine andere Wissenschaftsdisziplin, sagen wir die Biologie tut man ihr damit keinen Gefallen. Auch sie hat ihre Instrumente, benötigt Schematas, katalogisert, kategorisiert. Und vermutlich ist es so, dass wenn man ein bislang wichtiges Instrument für das Denken ankratzt, es dann so scheinen mag, als werde alles negiert auf was ich mich je verlassen habe, aber es geht doch vielmehr darum das Schema zu modifizieren, immer weiter zu verbessern. Und keine Wissenschaft kann im Sinne des Erkenntnisfortschrittes ohne die Kategorien wahr und falsch auskommen. Sie muss ihre Erkenntnisse so lange für wahr halten, bis sie ausreichend Anhaltspunkte dafür hat, dass sie ihre Ergebnisse modifizieren muss.

Und was ich beim Fortgang der Debatte jetzt nicht mehr ganz verstehe. Beginnt naturwissenschaftliches Denken denn mit Definitionen, ich meinte immer sie kämen quasi erst am Ende raus?
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » So 25. Jan 2009, 21:58

Pia Hut hat geschrieben:Bei dir ganimed erscheint es mir so und dafür steht m. E. auch dein Folgebeispiel (aber wer wollte eigentlich und warum ganimed töten?), dass wenn man sagt, dies ist es nicht, dann schließt du auf das genaue Gegenteil.

Ich kann noch nicht genau folgen. Was meinst du mit "dies ist es nicht" ? Oder anders gefragt: was ist nochmal genau deine Position bei der Willensfreiheitsfrage? :^^:

Willst du vielleicht auf die Graduellität, auf die Graustufen hinaus? Der Mensch hätte zwar keinen wirklich freien Willen, aber ganz unfrei ist er auch nicht? In diesem Fall kämen wir mit den Begriffen "frei" und "unfrei" wohl nicht richtig weiter. Da fehlte uns dann das schwammige "ein wenig frei".

Wie wäre es, wenn wir das Problem dann auf die Kausalität zurückführen. Wenn du dem Argument folgen würdest, dass "Willensfreiheit = Freiheit von Ursachen" ist (zumindest bei der metaphysischen Freiheitsdefinition). Dann könnte man "ein wenig frei" also übersetzen in "nur wenig Akausalität". Das hieße meinetwegen: Mr. X entscheidet sich für "A" zu 95% aus verschiedenen Gründen (das wäre der unfreie Anteil) und zu 5% einfach so ohne Grund (das wäre dann der Freiheitsanteil). Mein Problem mit dieser Teil-Freiheit wäre nur, woher denn auch nur 5% Akausalität kommen sollen und wie man die nachweisen sollte. Wenn man die 95% Ursachen sieht, was bringt einen Beobachter dazu, die restlichen 5% Freiheit zu attestieren? Was sollen die 5% dann noch erklären? Wozu bräuchte man also die Hypothese der Teilfreiheit überhaupt?

Und ich als Determinist sehe in unserem gesamten Universum nicht einmal 1% Akausalität, geschweige denn 5%. Was wäre also das Argument dafür, dass es diese teilweise Willensfreiheit gibt?

Pia Hut hat geschrieben:Und was ich beim Fortgang der Debatte jetzt nicht mehr ganz verstehe. Beginnt naturwissenschaftliches Denken denn mit Definitionen, ich meinte immer sie kämen quasi erst am Ende raus?

Ich sehe es so, dass die Wissenschaftler eigentlich auch schon fertig waren und bereits nach Hause gehen wollten. Die Hirnforscher meine ich. Erklären uns im Hinausgehen noch kurz, dass jetzt klar sei, dass der Mensch also doch nicht über einen freien Willen verfügte. Ich vermute, der Kuddelmuddel mit den mindestens 3 Freiheitsdefinitionen entstand mehr oder weniger erst bei der Debatte über die Richtigkeit dieser Ausgangsbehauptung. Wenn alle Philosophen vernünftig wären und den Ergebnissen der Hirnforscher einfach nur zustimmen könnten, hätten man sich vermutlich wirklich einige Definitionsarbeit sparen können. :^^:

Pia Hut hat geschrieben:Es erscheint einem dann jedoch als ein gewisses Rätsel, als ein Phänomen. Warum erhält dieser Gedanke wieder solche Aufmerksamkeit?

Die Frage scheint berechtigt. Wenn die Frage nach der Willensfreiheit schon seit Jahrhunderten diskutiert wird, wieso ausgerechnet jetzt die Aufmerksamkeit? Wieso melden sich die Hirnforscher gerade jetzt?
Wenn ich die Hirnforscher richtig verstehe (Manfred Spitzer erklärt das recht oft und wiederholt in seinen Sendungen), hängt das mit dem technischen Fortschritt, vor allem den bildgebenden Verfahren zusammen. Lebende, wache Person in den Scanner legen und sie kontrollierten Experimenten unterziehen und ihnen dann beim Denken zusehen können. Ich glaube, man sieht allerdings nicht viel mehr als das allgemeine Aktivierungspotenzial im Hirn, also in welcher Gegend ist besonders viel Aktivität. Aber immerhin, mit geschickten Experimenten kann man damit offenbar eine ganze Menge Neues über das Hirn lernen. Und diese neue Technik gibt es erst seit 20 oder so Jahren. Was also ist so unplausibel daran, dass die Ergebnisse aus diesen Experimenten, wenn sie sich auf die alte Frage der Willensfreiheit beziehen, die Diskussion beleben? Neue Beweisstücke, also wird der Fall vor Gericht nochmal aufgerollt. Ich jedenfalls kann daran nichts Merkwürdiges oder Phänomenales finden.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon AgentProvocateur » Mo 26. Jan 2009, 01:58

ganimed hat geschrieben: Mich würde die Frage interessieren, wieso (2) und (3) und damit dein Freiheitsbegriff überhaupt gefühlsmäßig etwas mit Freiheit zu tun hat. Freiheit wovon? Und wieso gerade davon?

Die Freiheit des Menschen besteht mAn darin, äußere (und evtl. auch innere) Begrenzungen bzw. Zwänge erkennen und sich daraufhin darüber hinwegsetzen zu können. Also nicht ohnmächtiger Spielball des Schicksals zu sein, nur ein unbeteiligter Zuschauer seiner selbst, sondern aktives und gestaltendes Wesen, das seine Zukunft (zum Teil) planen, steuern und bestimmen kann. Es ist also eher eine "Freiheit zu" (positive Freiheit) als eine "Freiheit von" (negative Freiheit) und kann daher von Vorneherein nichts Absolutes sein.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon stine » Mo 26. Jan 2009, 07:47

Ich denke, dass hier verschiedene Dinge miteinander verwechselt werden.
Testergebnisse hirnwissenschaftlicher Forschungen zeigten, dass die Tätigkeit des Armhebens (zB) lange vor dem Armheben schon in einem Hirnbereich messbar war, ohne dass der so Vermessene schon den Gedanken an das Armheben verschwendet hätte. Daraus schloß man, dass das Armheben vom Hirn geplant war, lange bevor der Probant das eigentlich (selbst) vorhatte.
Das schließt aber mE nur auf die Tatsache, dass viele Dinge in und an unserem Körper von Reflexen gesteuert sind. Wir reagieren, ohne dies auf die Schnelle beeinflussen zu können. Aber wenn wir uns Zeit geben und das "bewußte" Denken zwischenschalten, dann kann man sehr wohl frei steuern. Akausal ist das zwar auch nicht, weil der Grund nämlich die Zuwiderhandlung selbst ist, aber gesteuert und frei entschieden ist das trotzdem.
Also dieser Graubereich den Pia meint, sehe ich schon auch.
Ich kann mein Leben bewußt oder gesteuert leben. Das hängt immer davon ab, wie viel Energie ich aufwenden möchte.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Mo 26. Jan 2009, 20:58

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Freiheit des Menschen besteht mAn darin, äußere (und evtl. auch innere) Begrenzungen bzw. Zwänge erkennen und sich daraufhin darüber hinwegsetzen zu können.

Das würde ich aber doch als "Freiheit von etwas" ansehen. Die Freiheit von Zwängen. Wenn man welche erkennt, schwupps, einfach darüber hinwegsetzen. Das wäre tatsächlich so etwas wie Freiheit. Nur die Zwänge wären dann nicht wirklich Zwänge. Insofern habe ich mit dieser Definition Probleme. Wenn man sich über Zwänge und Begrenzungen hinweg setzen konnte, dann waren es ja offensichtlich nicht wirklich welche, sondern nur Hindernisse.

AgentProvocateur hat geschrieben:Also nicht ohnmächtiger Spielball des Schicksals zu sein, nur ein unbeteiligter Zuschauer seiner selbst, sondern aktives und gestaltendes Wesen, das seine Zukunft (zum Teil) planen, steuern und bestimmen kann.

Um seine Zukunft selbst bestimmen zu können, müsste man sich im metaphysischen Sinn wenigstens bei einigen Entscheidungen frei bzw. unabhängig von einer äußeren Ursache machen können. Und das kann ich mir nicht so recht vorstellen. Siehst du hier keinen Widerspruch zur Kausalität?
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon ganimed » Mo 26. Jan 2009, 21:13

stine hat geschrieben:Ich denke, dass hier verschiedene Dinge miteinander verwechselt werden.
Testergebnisse hirnwissenschaftlicher Forschungen zeigten, dass die Tätigkeit des Armhebens (zB) lange vor dem Armheben schon in einem Hirnbereich messbar war, ohne dass der so Vermessene schon den Gedanken an das Armheben verschwendet hätte. Daraus schloß man, dass das Armheben vom Hirn geplant war, lange bevor der Probant das eigentlich (selbst) vorhatte.
Das schließt aber mE nur auf die Tatsache, dass viele Dinge in und an unserem Körper von Reflexen gesteuert sind.

Glaubst du wirklich, dass Hirnforscher wie Singer diese Hirnforschungsexperimente in so simpler Weise falsch verstanden haben und seitdem Unsinn reden? Ich gebe dir recht, dass man aus dem von dir genannten Test tatsächlich erstmal nur schließen kann, dass Teile der Entscheidung zum Arm heben unbewusst entschieden werden. Wobei dieser spezielle Test ja angeblich noch relativ umstritten ist, wie ich hier im Thread las.
Aber abgesehen von der Frage, was ist bewusst und was ist unbewusst entschieden: das Wesentliche ist doch, wie entschieden wird (egal ob unbewusst oder bewusst). Es wird mit Neuronen entschieden, in Abwägungsprozessen, mit Aktivierungspotentialen bis sich ein stabiles Muster gebildet hat. So jedenfalls verstehe ich Singers Ausführungen ohne das selber auch nur annähernd im Detail zu überblicken. Klar scheint mir nur zu sein: Neuronen feuern nach biochemischen Regeln. Kein Neuron sagt sich plötzlich: "weißt du was? Heute feuere ich mal wie ich will" Jeder feuert, sobald irgendwelche Eingangssynapsen irgendwelche Werte überschreiten oder wie auch immer da genau die Mechanismen sind. Und das gilt eben auch für alle bewussten Vorgänge. Auch da wird nur gefeuert und neuronal gemustert. Das ist eben auch ein Ergebnis der Scannerbeobachtungen: auch bewusste Gedanken und Überlegungen sind im Scanner als neuronale Aktivität sichtbar.

stine hat geschrieben:Aber wenn wir uns Zeit geben und das "bewußte" Denken zwischenschalten, dann kann man sehr wohl frei steuern.

Wenn man uns Zeit lässt zum bewussten Denken, dann können wir Dinge bewusst steuern, ja. Aber eben nicht frei. Weil wird das bewusste Denken und Überlegen ebenfalls mit Neuronen machen, mit ganz normalen Hirnzellen. Deshalb ist auch das bewusste Denken nur eine Folge von biochemischen Prozessen, die ihre Ursache letztlich in irgendwelchen Eingangssignalen von außen haben.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Myron » Mo 26. Jan 2009, 21:23

ganimed hat geschrieben:Aber man kann die Begriffe "gut" und "schlecht" anders definieren. Juristisch gesehen (diese Diskussion klang hier irgendwo schon mal an) wäre aus den neuen Hirnforschungserkenntnissen vielleicht zu folgern, dass "schlecht" eben ganz pragmatisch mit gesellschaftlichen Argumenten bewertet wird. "Schlecht = geringe Sozialverträglichkeit" beispielsweise.
Es gäbe dann keine bösen Menschen mehr, sondern nur noch sozial nicht tolerierbare.


Der ethische Naturalismus versucht die Kategorien <gut> und <schlecht>/<böse> zu "naturalisieren", d.h. er versucht, moralische Tatsachen und Eigenschaften mit natürlichen Tatsachen und Eigenschaften gleichzusetzen.
Siehe: http://plato.stanford.edu/entries/naturalism-moral
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon Myron » Mo 26. Jan 2009, 21:25

"Freiheit" in Eislers Wörterbuch.

"FREIHEIT [Lfg. 4,1], f. libertas. der älteste und schönste ausdruck für diesen begrif war der sinnliche freihals, collum liberum, ein hals, der kein joch auf sich trägt"
(Grimmsches Wörterbuch)

Der Freie ist also der nicht Unterjochte, und der frei Handelnde entsprechend derjenige, der sich nicht dem Joch der Fremdbestimmung beugen muss.
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Re: Willensfreiheit bei Schmidt-Salomon

Beitragvon HF******* » Mo 26. Jan 2009, 22:55

@Stine: Schönes Singer-Zitat! (Aber die richtige Quelle?).

@Piat Hut: Ich zitier mich mal selbst, auch wenn ich es bestimmt schon öfter geschrieben habe:
Willensfreiheit und Kausalitätsgesetz
Versteht man den Geist als etwas physisches, dann muss auch er dem Kausalgesetz unterworfen sein. Wir wehren uns gerade aus diesem Grunde nur zu gern gegen das Kausalgesetz, weil wir doch unseren eigenen Geist als frei empfinden. Das liegt allerdings daran, dass wir die Ursachen für unsere jeweiligen Gedanken grundsätzlich nicht intuitiv wahrnehmen können: Wir können die Ursachen unserer Gedanken nicht fühlen. Bei genauer Überlegung kommt man zu dem Ergebnis, das ein Mensch mit einem akausalem Willen wahnsinnig wäre: Wenn der als frei empfundene Wille akausal wäre, dann würde es weder einen Grund geben, dass der Wille gleich bleibt, noch würde es einen Grund geben, dass er sich ändert. Die Frage nach dem Grund würde sich ja verbieten. Die Meinung wäre also irgendwie im Sinne des echten Zufalls, erst recht nicht abhängig von guten Gründen... Es gibt Menschen, deren Willen nicht von den Ursachen bestimmt wird, wie dies bei gesunden Menschen der Fall ist, sondern von anderen Ursachen. Diese Menschen denken nicht akausal, aber sie sind in schwerstem Maße schwachsinnig. Der Schwachsinn eines akausalen echt zufälligen Willens würde deren Lebensunfähigkeit um ein vielfaches übersteigen. Die Intelligenz wäre gleich Null. Das gilt zumindest, wenn die Akausalität der empfundenen Freiheit des Willens entsprechen würde. In diesem Fall würde sich ein Mensch nicht oft eine geladene, entsicherte Pistole an den Kopf halten können, ohne abzudrücken, wenn eben diese Freiheit echt zufällig wäre.

Nehmen wir einmal an, dass unsere Empfindung der Willensfreiheit nicht die Freiheit abbildet, die wir haben, sondern dass die Akausalität im Rahmen zahlreicher festgelegter Parameter nur einen sehr kleinen Bereich betrifft:
Dann könnte bei dem Pistolenbeispiel auch einen Einfluss haben, dass man ein glückliches Leben führt, das Leben genießen möchte, dass ein Schuss vielleicht schief gehen könnte und man große Schmerzen erleidet: Wenn aber auch in diesem Fall das Hirn die Entscheidung letztendlich wie ein echter Zufallsgenerator auswerfen würde, deren Wahrscheinlichkeit lediglich besonders gering wäre, dann bräuchte ein Mensch statistisch gesehen eben nur oft genug an das Abdrücken zu denken, um es letztendlich auch zu tun. Die statistische Unwahrscheinlichkeit würde sogar besagen, dass sich auch ein glücklicher, zufriedener Mensch, der Schmerzen und den Tod fürchtet, gleich beim ersten mal abdrücken könnte, ohne dass sich die Frage nach dem „Warum“ stellen würde, es wäre eben ein statistisches Ereignis, dass zwar unwahrscheinlich wäre, aber eben durchaus möglich.

Die Schlussfolgerung von empfundener Willensfreiheit auf den Indeterminismus wäre in diesem Fall nicht zulässig. Der Behauptung würden sich verschiedene Fragen anschließen, weshalb Akausalität ausgerechnet im Gehirn stattfinden sollte, obwohl diese außerhalb des Gehirns nicht feststellbar ist und weshalb solche Gehirne nicht ausgestorben sind, denn ein vollständig kausales Gehirn ohne Wahnsinns-Restrisiko bei jedem Gedanken(!) wäre einem akausalen Hirn in der Evolution in jedem Falle überlegen.



Zwar lässt sich sagen, dass der Mensch sich planend dafür entscheiden kann, später bestimmte Willensentscheidungen zu treffen und diese dann auch umsetzt: Das ändert jedoch nichts daran, dass am Ende der Kette solcher geplanten Entscheidungen immer eine Entscheidung zu diesem Plan stehen muss, die selbst den oben genannten Grundsätzen wiederum unterliegt. Die Verantwortung im ursprünglichen Sinne kann hierdurch also nicht gerettet werden.

Möglicherweise ist dem Menschen ein psychischer Schutzmechanismus im „Betriebssystem“ des Gehirns angeboren, der uns von Kindesbeinen an unseren Geist als „frei“ sehen lässt, auch wenn dies letztendlich unlogisch ist. Warum ein solcher Mechanismus nützlich sein kann, müssten Psychologen beantworten. Es besteht wohl weitgehende Einigkeit, dass dieser Gedanke zunächst „Stress“ verursacht.

Zusammenfassen lässt sich die ganze Thematik etwa folgendermaßen:
Der Mensch empfindet sich als frei, er ist subjektiv frei - das gilt einerseits, weil er nicht die Bedingungen und Ursachen seines Willens abschätzen kann, andererseits aber auch, weil er die Folgen seines Willens und seiner Handlungen nicht präziese vorhersagen kann, sondern nur statistische Erfahrungswerte verwenden kann. Das ändert nichts an dem Umstand, dass objektiv jede Willensentscheidung durch Ursachen bestimmt wird. Die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus bezeichnet man als Kompatibilismus.


Indeterminismus und Willensfreiheit schließen sich aus. :selbstmord:

Handlungsfreiheit ist, tun zu können, was man tun will.
Willensfreiheit ist, wenn man wollen darf, was man will?

Ich würde sagen, dass mehr dazu gehört: Man spricht nur von Willensfreiheit, wenn die Willensbildung über das Bewusstsein erfolgt und unabhängig von Drogen und Manipulation ist. Die Ursachen für die jeweilige Willensentscheidung müssen gewissermaßen schon länger im Gehirn vorhanden sein und dürfen dort nicht zielgerichtet von anderen Menschen verankert worden sein (wobei es sich eigentlich auch nicht anders verhält, wenn die Gedanken zufällig dort verankert werden...). Je mehr wir uns der Ursachen unserer eigenen Willensentscheidungen bewusst werden und je mehr wir diese mit dem Bewusstsein weiter verarbeiten können, umso freier werden wir, umso mehr sind wir mit der jeweiligen Entscheidung identisch… je mehr eine Entscheidung in unserer längerfristigen Beschaffenheit angelegt ist als in kurzfristiger Einwirkung von außen, umso freier empfinden wir sie auch bei rückwirkender Betrachtung.
(Ich frage mich gerade, ob das nebenbei auch noch glücklich macht...)

Die grundsätzliche Betrachtung von Kausalität oder Indeterminismus ist für den Begriff der Freiheit nicht wirklich relevant.
Die Frage, ob es überhaupt Ursachen für eine Willensentscheidung gibt, stellt sich für eine wissenschaftliche Betrachtung nicht so ohne weiteres.
HF*******
 
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