Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Fr 2. Jan 2009, 02:14

Die Ablehnung des Substanzdualismus gehört wesentlich zum Naturalismus. Jener behauptet die Existenz zweier fundamentaler Arten von Substanzen (im metaphysischen, nicht im chemischen Sinn!).
Eine metaphysische Substanz ist ein konkretes, wandlungsfähiges, nicht ereignishaftes Einzelding, das der Besitzer von Eigenschaften ist, aber nicht selbst als Eigenschaft besessen wird.

1. Materielle/Physische Substanzen, d.i. Körper (im weitesten Sinne)
2. Immaterielle/Nichtphysische/Psychische/Sprituelle/Mentale Substanzen, d.i. Geister, Seelen (z.B. Götter, Engel)

Mir scheint, dass viele Naturalisten sich nicht wirklich darüber im Klaren sind, was genau das ist, dessen Existenz sie verneinen.
Hier also zwei Erklärungen, die eine älteren und die andere neueren Datums:
(Wie ihr erkennen werdet, entspricht die philosophische Auffassung von Geistern und Seelen nicht unbedingt den "vulgären", folkloristisch-mythischen Vorstellungen, denen nach Geistern und Seelen doch gewisse physikalische Eigenschaften zugeschrieben werden, vor allem ein Aufenthaltsort im Raum, innerhalb dessen sie sich bewegen können.)

"The idea of an immaterial substance, as it is defined by metaphysicians, is intirely a modern thing, and is still unknown to the vulgar. The original, and still prevailing idea concerning a soul or a spirit, is that of a kind of attenuated aerial substance, of a more subtle nature than gross bodies, which have weight, and make a sensible resistance when they are pushed against, or struck at." (p. 72)

"A spirit, then, or an immaterial substance, in the modern strict use of the term, signifies a substance that has no extension of any kind, nor any thing of the vis inertiae that belongs to matter. It has neither length, breadth, nor thickness; so that it occupies no portion of space; on which account, the most rigorous metaphysicians say, that it bears no sort of relation to space, any more than sound does to the eye, or light to the ear. In fact, therefore, spirit and space have nothing to do with one another, and it is even improper to say, that an immaterial being exists in space, or that it resides in one place more than in another; for, properly speaking, it is no where, but has a mode of existence that cannot be expressed by any phraseology appropriated to the modes in which matter exists. Even these spiritual and intellectual beings themselves have no idea of the manner in which they exist, at least while they are confined by gross matter.
(...) Others, however, I believe, considering that, though mathematical points occupy no real portion of space, they are capable of bearing some relation to it, by being fixed in this or that place, at certain distances from each other, are willing to allow that spirits also may be said to be in one place in preference to another; and consequently, that they are a capable of changing place, and of moving hither and thither, together with the body to which they belong. But this is not the opinion that seems to prevail in general; since it supposes spirit to have, at least, one property in common with matter, whereas a being strictly immaterial (which, in terms, implies a negation of all the properties of matter) ought not to have any thing in comon with it.
Besides, a mathematical point is, in fact, no substance at all, being the mere limit, or termination of a body, or the place in void space where a body is terminated, or may be supposed to be so. Mere points, mere lines, or mere surfaces are alike the mere boundaries of material substances, and may not improperly be called their properties, necessarily entering into the definition of particular bodies, and consequently bear no sort of relation to what is immaterial. And therefore, the consistent immaterialist has justly disclaimed this idea.
Indeed, it is evident, that if nothing but immaterial substances, or pure intelligences, had existed, the very idea of place or space, could not have occurred to us. And an idea, that an immaterial being could never have acquired without having an idea of body, or matter, cannot belong to itself, but to matter only. Consequently, according to the strict and only consistent system of immateriality, a spirit is properly no where, and altogether incapable of local motion, though it has an arbitrary connection with a body, that is confined to a particular place, and is capable of moving from one place to another. This, therefore, being the only consistent notion of an immaterial substance, and every thing short of it being mere materialism, it is to the consideration of this idea, that I shall here confine myself."
(pp. 74-6)


"Die Idee einer immateriellen Substanz ist, wie sie von Metaphysikern definiert wird, zur Gänze eine moderne Sache und dem einfachen Volk unbekannt. Eine Seele oder einen Geist betreffend, ist die ursprüngliche und immer noch vorherrschende Idee die einer Art verdünnten, luftigen Stoffes, der von feinerer Beschaffenheit ist als grobe Körper, welche ein Gewicht haben und einen spürbaren Widerstand leisten, wenn sie gestoßen werden oder etwas gegen sie schlägt." (S. 72)

"Dem modernen, strengen Sprachgebrauch gemäß bezeichnen die Ausdrücke 'Geist' und 'immaterielle Substanz' eine Substanz, welche keinerlei Ausdehnung hat und auch nichts von dem der Materie eignenden Beharrungsvermögen ('vis inertiae'). Sie besitzt weder Länge, Breite noch Dicke, sodass sie keinen Teil des Raumes besetzt. Deswegen sagen die gründlichsten Metaphysiker, dass sie zum Raum genauso wenig in irgendeiner Beziehung stehe wie der Schall zum Auge oder das Licht zum Ohr. Folglich haben Geist und Raum nichts miteinander zu tun, und es ist sogar unrichtig zu sagen, dass ein immaterielles Wesen im Raum existiere, oder dass es sich an einem bestimmten Ort und nicht an irgendeinem anderen aufhalte; denn, genau genommen, befindet es sich nirgendwo. Seine Seinsweise kann nicht mittels des auf die Seinsweisen der Materie zugeschnittenen Wortschatzes beschrieben werden. Sogar diese spirituellen und intellektuellen Wesen selbst haben keine Vorstellung von der Art und Weise ihrer Existenz, zumindest nicht während sie von grober Materie umschlossen sind.
(...) Andere jedoch, glaube ich, die bedenken, dass mathematische Punkte zwar keinen realen Teil des Raumes besetzen, aber imstande sind, in einer bestimmten Beziehung dazu zu stehen, indem sie an diesem oder jenem Ort in bestimmten Abständen voneinander festsitzen, sind gewillt zuzulassen, dass man von Geistern sagen kann, dass sie sich vorzugsweise an einem bestimmten Ort und nicht an einem anderen befänden, und dass sie somit fähig wären, den Ort zu wechseln und sich zusammen mit dem Körper, zu dem sie gehören, hin und her zu bewegen. Aber dies ist nicht die Meinung, die allgemein vorzuherrschen scheint, da sie annimmt, dass ein Geist zumindest eine Eigenschaft mit der Materie teilt, wohingegen ein Wesen, das im strengen Sinne des Wortes immateriell ist (was eine Verneinung aller Eigenschaften der Materie impliziert), damit nichts gemeinsam haben sollte.
Außerdem ist ein mathematischer Punkt in Wahrheit überhaupt keine Substanz, sondern bloß die Grenze, das Ende des Körpers, oder der Ort im leeren Raum, wo ein Körper endet beziehungsweise wo man annehmen kann, dass er endet. Bloße Punkte, bloße Linien oder bloße Oberflächen sind gleichermaßen bloße Begrenzungen materieller Substanzen und können richtigerweise als deren Eigenschaften bezeichnet werden, welche notwendigerweise in die Definition einzelner Körper eingehen und somit in keinerlei Beziehung zum Immateriellen stehen. Und folglich hat der konsistente Immaterialist zu Recht von dieser Idee Abstand genommen. In der Tat ist es offensichtlich, dass wenn nichts außer immateriellen Substanzen oder reinen Geistwesen existiert hätte, uns allein die Idee von Ort und Raum niemals in den Sinn gekommen wäre. Und eine Idee, die sich ein immaterielles Wesen niemals hätte aneignen können, ohne eine Idee von Körper oder Materie zu haben, kann nicht zu sich selbst, sondern nur zur Materie gehören. Dem entsprechend, ist ein Geist der strengen und einzigen konsistenten Theorie der Immaterialität nach eigentlich nirgendwo und zu örtlicher Bewegung ganz und gar unfähig, auch wenn er zufälligerweise mit einem Körper verbunden ist, der sich an einem bestimmten Ort befindet und imstande ist, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen. Da dies also der einzige konsistente Begriff einer immateriellen Substanz ist, und alle Abweichungen davon lediglich dem Materialismus gleichkommen, werde ich mich hier auf die Erörterung dieser Idee beschränken."
(pp. 74-6)
[© meine Übers.]

(Priestley, Joseph. Disquisitions Relating to Matter and Spirit. 2nd ed. London: J. Johnson, 1782.)



"What is a purely spiritual being or soul? We propose the following initial characterization:

(5D1) x is a soul =df. (i) x is a substance, and (ii) x is unlocated, and (iii) x is capable of consciousness.
(...)
Clauses (i) and (ii) of (5D1), which together say that a soul is an unlocated substance, entail that a soul is unextended. Being unextended and being unlocated are not equivalent. For example, Boscovichian point-particles are unextended but located; and places (other than points) are extended but unlocated. Finally, point-positions are neither extended nor located. In other words, to be located is to occupy or be in a place. Although a place is unlocated, a place is not a substance.
It is not possible for a spiritual substance to be spatially extended, and it is a necessary truth that whatever is spatially extended is physical. Thus, a 'ghost' that literally possesses spatial extension does not count as a soul. It would be either an exotic type of physical entity, or else a subtle type of physical stuff. (An extended but massless particle in physics is an example of an 'exotic' physical entity, whereas a gas or plasma is a case of a 'subtle' type of physical stuff.) It is arguable that there could be a substance that is conscious and unextended, but occupies a point of space. It can be further argued that such an entity is a soul or spirit. However, it is not obvious that either of these are genuine possibilities. But, even if there could be an unextended spiritual substance occupying a point of space, it would not be a purely spiritual being. That is, it would not be wholly outside of the physical world, inasmuch as it would occupy a point of space. When traditional Western theism affirms the existence of God, angels, and so forth, it is affirming the existence of purely spiritual beings, and this is what we mean by the term 'soul' or 'spirit'. For the foregoing reasons, we regard unlocatedness as a logically necessary condition of being a soul, as specified in clause (ii) of (5D1).
Finally, in clause (iii) of (5D1), we require that a soul be capable of consciousness. Descartes seems to hold that a soul is and must be conscious at every moment that it exists. However, perhaps there could be a soul that is unconscious for a time. Clause (iii) of (5D1) is compatible with this possibility. On the other hand, this clause is also logically consistent with what appears to be Descartes's overall position on souls, which, as we have indicated, is that any soul would be essentially conscious. Thus, if Descartes is right, then there being a soul that is capable of consciousness entails that this soul is conscious. And, of course, if a soul is conscious, then it must be capable of consciousness. Therefore, on Cartesian assumptions, consciousness and the capacity for consciousness are equivalent. It follows that clause (iii) of (5D1) is logically compatible with Descartes's view that a soul is conscious at every moment of its existence."



"Was ist ein rein geistiges (spirituelles) Wesen oder eine Seele? Wir schlagen die folgende erste Charakterisierung vor:

(5D1) x ist eine Seele =df. (i) x ist eine Substanz [d.i. ein konkretes, (relativ) selbstständiges Einzelwesen], und (ii) x ist unverortet [d.i. ortlos, nirgendwo befindlich], und (iii) x ist bewusstseinsfähig.

(...)
Die Sätze (i) und (ii), welche besagen, dass eine Seele eine unverortete Substanz ist, bedeuten auch, dass eine Seele unausgedehnt [d.i. 0-dimensional] ist. Die Prädikate 'ist unausgedehnt' und 'ist unverortet' sind nicht äquivalent [d.h. sie haben nicht denselben Umfang]. Zum Beispiel sind Boskovic'sche Punktteilchen unausgedehnt aber verortet; und Orte (anders als Punkte) sind ausgedehnt, aber unverortet. Und schließlich sind Punktstellen weder ausgedehnt noch verortet. Mit anderen Worten, verortet sein heißt einen Ort besetzen oder an einem Ort sein. Obwohl ein Ort unverortet ist, ist ein Ort keine Substanz.
Es ist nicht möglich, dass eine spirituelle Substanz räumlich ausgedehnt ist, und es ist eine notwendige Wahrheit, dass alles räumlich Ausgedehnte physisch ist. Demnach ist ein 'Gespenst', das im wörtlichen Sinn eine räumliche Ausdehnung besitzt, nicht als eine Seele anzusehen. Es wäre entweder ein exotischer Typ von physischer Entität oder ein subtiler Typ von physischem Stoff. (Ein ausgedehntes, aber masseloses Teilchen in der Physik ist ein Beispiel einer 'exotischen' physischen Entität, wohingegen ein Gas oder ein Plasma ein Fall eines 'subtilen' Typs von physischem Stoff ist.) Man kann den Standpunkt vertreten, dass es eine Substanz geben könnte, die bei Bewusstsein und unausgedehnt ist, aber einen Raumpunkt besetzt. Des Weiteren kann argumentiert werden, dass eine solche Entität eine Seele oder ein Geist wäre. Es ist jedoch nicht offensichtlich, dass es sich dabei um echte Möglichkeiten handelt. Aber selbst wenn es eine unausgedehnte spirituelle Substanz geben könnte, die einen Raumpunkt einnimmt, so wäre diese kein rein geistiges Wesen. Das heißt, sie befände sich insoweit nicht gänzlich außerhalb der physischen Welt, als sie einen Raumpunkt einnimmt. Wenn der traditionelle westliche Theismus die Existenz Gottes, von Engeln usw. bejaht, dann bejaht er die Existenz rein geistiger Wesen, und auf solche beziehen wir uns mit den Wörter 'Seele' oder 'Geist'. Aus den besagten Gründen betrachten wir Unverortetheit als eine logische notwendige Bedingung fürs Seelesein, wie im Satz (ii) von (5D1) angegeben.
Als Letztes setzen wir fest, dass eine Seele bewusstseinsfähig ist. Descartes scheint der Auffassung zu sein, dass eine Seele in jedem Moment ihrer Existenz bei Bewusstsein ist und sein muss. Es könnte jedoch vielleicht eine Seele geben, die zeitweilig bewusstlos ist. Der Satz (iii) von (5D1) ist mit dieser Möglichkeit vereinbar. Andererseits verträgt sich dieser Satz logisch auch mit demjenigen, das Descartes' allgemeine Auffassung von Seelen zu sein scheint. Wie schon angedeutet, besteht diese darin, dass jede Seele wesensnotwendig bei Bewusstsein ist. Falls Descartes recht hat, dann bringt es das Dasein einer bewusstseinsfähigen Seele mit sich, dass diese Seele bei Bewusstsein ist. Und wenn eine Seele bei Bewusstsein ist ist, dann muss sie natürlich bewussteinsfähig sein. Folglich entsprechen das Bewusstsein und die Bewusstseinsfähigkeit einander, wenn man von den cartesianischen Annahmen ausgeht. Daraus ergibt sich, dass sich der Satz (iii) von (5D1) logisch mit Descartes' Ansicht verträgt, dass eine Seele in jedem Moment ihrer Existenz bei Bewusstsein ist."

[© meine Übers.]

(Hoffman, Joshua, and Gary S. Rosenkrantz. Substance among Other Categories. Cambridge: Cambridge University Press, 1994. pp. 145-147)


Ich fasse zusammen:

Im streng philosophischen Sinne ist eine immaterielle/spirituelle Substanz eine konkrete Entität, die

(i) körperlos-stofflos, unkörperlich-unstofflich, aus nichts bestehend oder zusammengesetzt (und damit gestaltlos!)

(ii) räumlich unausgedehnt, 0-dimensional

(iii) außerräumlich/außerraumzeitlich, nirgendwo befindlich, ortlos (und damit bewegungsunfähig!)

ist und

(iv) Bewusstsein und geistig-seelische Eigenschaften besitzt.



(Anmerkung: Die Punkte (i)-(iii) treffen auch auf abstrakte Entitäten zu. Abstrakte Entitäten sind somit auch immaterielle Entitäten, aber keine immateriellen Substanzen, weil Substanzen per definitionem konkrete Entitäten sind, die sich von abstrakten Entitäten vor allem darin unterscheiden, dass ihnen kausale Potenz, sprich Wirkungsfähigkeit [und auch Wirkungsempfänglichkeit] zugeschrieben wird. Abstrakta verursachen, bewirken hingegen selbst gar nichts.)

[Persönliche Anmerkung: Ich bin der Meinung, dass der oben dargelegte Begriff einer immateriellen Substanz widersinnig ist und es somit nichts geben könnte, das darunter fällt.

"[W]enn man erstens behauptet, dass Wesen, die weder Körper noch Teile haben, Substanzen seien, so sagt man etwas Unbegreifliches, nämlich dass Dinge, die nichts sind, Substanzen seien. Zweitens: Zu behaupten, dass es Wesen gäbe, ja sogar Substanzen, die rein geistig und gänzlich frei von jeglicher Materie und Ausdehnung seien, heißt lügen und ohne Notwendigkeit und Begründung Dinge erahnen und vermuten, die man nicht versteht und nicht begreift, ja die man gar nicht verstehen und begreifen kann, da keiner sich eine Idee von diesen sogenannten Wesen und Substanzen zu bilden imstande ist, von denen man vorgibt, dass sie der Materie und der Ausdehnung gänzlich enthoben seien."
(Meslier, Jean. Das Testament des Abbé Meslier: Die Grundschrift der modernen Religionskritik. 1729 (vollendet). Hrsg. Hartmut Krauss. 2. Aufl. Osnabrück: Hintergrund, 2005 (Nachdruck d. 1. Aufl., Suhrkamp, 1976). Kap. LXX, S. 353f.)]
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ganimed » Fr 2. Jan 2009, 14:00

Wenn ich mich mit einem Dualisten zoffen müsste, dann würde ich argumentativ wohl einfach nur seine Grundannahme, dass es eine immaterielle Seite geben müsse, in Frage stellen und als völlig unbegründet zurück weisen. Egal welche Eigenschaften die immaterielle Substanz hat oder wie genau sie definiert ist.

Ich als Monist verstehe nämlich bereits den Ansatz der immateriellen Substanz noch nicht so ganz. Wieso dürfen immaterielle und materielle Substanz keine Eigenschaften gemeinsam haben? Wieso müssen sie sich ausschließen? Ist da ein verkappter Hang zur Symmetrie und vereinfachenden Ästhetik am Werk? Das kommt mir genau so unsinnig, willkürlich und unbegründet vor wie überhaupt die ganze Idee mit der immateriellen Substanz.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Mo 5. Jan 2009, 18:32

Zunächst mal: Ich bin Naturalist, aber ich verneine nicht die Existenz von "Geist". Ich halte "Geist" für eine emergente Eigenschaft komplexer neuronaler Systeme und die zugehörigen materiellen Strukturen für prinzipiell identifizierbar.

Wenn ein Dualist meint, "Geist" unbedingt so explizieren zu müssen, dass die Behauptung seiner Existenz prinzipiell unkritisierbar bleibt, dann schafft er sich ohne Not ein Kommunikationsproblem. Wir können dann allenfalls ahnen, wovon er redet. Und keineswegs besser ergeht es Leuten, die vorgeben, ihn verstanden zu haben -- da bin ich mir ziemlich sicher! :^^:
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Mo 5. Jan 2009, 21:25

ostfriese hat geschrieben:Zunächst mal: Ich bin Naturalist, aber ich verneine nicht die Existenz von "Geist". Ich halte "Geist" für eine emergente Eigenschaft komplexer neuronaler Systeme und die zugehörigen materiellen Strukturen für prinzipiell identifizierbar.


Die Verneinung der Existenz von Geistern und Seelen als selbstständigen Wesen stellt keine Verneinung von Geist und Seele als des Inbegriffs aller geistig-seelischen Eigenschaften eines körperlichen Wesens dar.
Das heißt, die Ablehnung des Substanzdualismus muss nicht mit der Ablehnung des Eigenschaftsdualismus einhergehen.
(Die Attribute einer Substanz sind selbst keine Substanzen.)
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Di 6. Jan 2009, 16:47

Myron hat geschrieben:Mir scheint, dass viele Naturalisten sich nicht wirklich darüber im Klaren sind, was genau das ist, dessen Existenz sie verneinen.

Meine Bemerkung bezog sich auf diesen Satz von Dir. Er war den langen Ausführungen in Deinem Beitrag vorangestellt, und so entstand der Eindruck, als seien diese geeignet, die vermeintlich fehlende Klarheit herbeizuführen.

Wie sich dann jedoch herausstellte, existiert keine verstehbare Explikation von Geist jenseits der Eigenschaft, die wir Naturalisten bestimmten realen Systemen zuordnen. Der metaphysische Substanzbegriff ist jenseits unserer Vorstellung von Materie jedenfalls vollkommen unverständlich, also kann es auch keine Klarheit darüber geben, welche Art von "Geist" (als "Substanz") wir für nichtexistent halten.

Dafür gibt es umso mehr Klarheit darüber, über welche Art von "Geist" (als Eigenschaft) man einzig vernünftig diskutieren kann. Hierauf wollte ich hingewiesen haben.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon lorenz » Do 8. Jan 2009, 12:13

Der "metaphysische Substanzbegriff" scheint mir sowas wie "substanzlose Substanz" beinhalten zu wollen. Ein dünnes Süppchen... "Die Tat des Tempels ist das Dastehen." (Heidegger) Die Tat blödsinniger Begriffe ist erstmal auch das Dastehen. Und die Tat wirrer Philosophen scheint das Hinschreiben solcher Begriffe zu sein.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Do 8. Jan 2009, 18:00

lorenz hat geschrieben:Der "metaphysische Substanzbegriff" scheint mir sowas wie "substanzlose Substanz" beinhalten zu wollen.

"Be-inhalt-en" ist in diesem Zusammenhang schon eine gewagte Metapher... :mg:
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Do 8. Jan 2009, 19:46

ostfriese hat geschrieben:Der metaphysische Substanzbegriff ist jenseits unserer Vorstellung von Materie jedenfalls vollkommen unverständlich, also kann es auch keine Klarheit darüber geben, welche Art von "Geist" (als "Substanz") wir für nichtexistent halten.


Ich habe den Begriff einer immateriellen Substanz ja oben expliziert, was es einem schon ermöglichen sollte, sich für oder gegen die Existenz bzw. die Möglichkeit der Existenz derartiger Wesen zu entscheiden.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Do 8. Jan 2009, 20:06

lorenz hat geschrieben:Der "metaphysische Substanzbegriff" scheint mir sowas wie "substanzlose Substanz" beinhalten zu wollen. Ein dünnes Süppchen... "Die Tat des Tempels ist das Dastehen." (Heidegger) Die Tat blödsinniger Begriffe ist erstmal auch das Dastehen. Und die Tat wirrer Philosophen scheint das Hinschreiben solcher Begriffe zu sein.


Der philosophische Substanzbegriff hat zwar eine komplexe Geschichte, aber "blödsinnig" ist er nicht.

" im philosophischen sinne, der dem ursprunge des wortes und begriffes gemäsz auch im dt. am ältesten und am breitesten entwickelt ist, bedeutet substanz das den wechselnden phänomenen 'unterliegende', das als beharrlich, zugleich meist als träger der eigenschaften, als selbständig für sich seiendes gedacht wird."
(Grimmsches Wörterbuch)

Eine Substanz ist also ein konkretes, (relativ) selbstständiges Einzelwesen, das nicht ereignishaft, sondern (relativ) dauerhaft ist.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Do 8. Jan 2009, 21:09

Myron hat geschrieben:" im philosophischen sinne, der dem ursprunge des wortes und begriffes gemäsz auch im dt. am ältesten und am breitesten entwickelt ist, bedeutet substanz das den wechselnden phänomenen 'unterliegende', das als beharrlich, zugleich meist als träger der eigenschaften, als selbständig für sich seiendes gedacht wird."
(Grimmsches Wörterbuch)

Eine Substanz ist also ein konkretes, (relativ) selbstständiges Einzelwesen, das nicht ereignishaft, sondern (relativ) dauerhaft ist.

Und wir wüssten bei aller mühseligen Wortklauberei immer noch nicht, wovon hier die Rede ist, wenn wir nicht unsere Vorstellung von "Materie" im Hinterkopf hätten...

Der metaphysische Substanzbegriff abstrahiert ohne Anlass von den Eigenschaften der Materie. Sprachliche Kategorien haben normalerweise mehr als einen Repräsentanten, und man reichert den Substanzbegriff keineswegs an, indem man einfach einen zweiten Repräsentanten postuliert, den man prinzipiell nicht dingfest machen kann.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon stine » Do 8. Jan 2009, 22:36

Myron hat geschrieben:Die Verneinung der Existenz von Geistern und Seelen als selbstständigen Wesen stellt keine Verneinung von Geist und Seele als des Inbegriffs aller geistig-seelischen Eigenschaften eines körperlichen Wesens dar.
Das heißt, die Ablehnung des Substanzdualismus muss nicht mit der Ablehnung des Eigenschaftsdualismus einhergehen.
(Die Attribute einer Substanz sind selbst keine Substanzen.)

Materie von "Geist" zu unterscheiden ergibt gerade in einem Computerforum einen tieferen Sinn: Denn sind wir hier nicht alle nur "Geister"?
Keine irreführende, körperliche Materie lässt das Bild eines Forummitglieds entstehen, sondern nur der geistige Austausch ergibt das Bild. Der innere Mensch wird hier zur äußeren Erscheinung.
Was macht nun den Schwerpunkt eines Menschen aus? Seine Materie oder sein Geist?
Sehen wir hier also nur die Eigenschaften verschiedener, computersüchtiger Materien?
Nur so am Rande...
LG stine
Zuletzt geändert von stine am Do 8. Jan 2009, 22:53, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Do 8. Jan 2009, 22:46

ostfriese hat geschrieben:Der metaphysische Substanzbegriff abstrahiert ohne Anlass von den Eigenschaften der Materie.


Wenn das Merkmal der Materialität von vornherein in den Substanzbegriff eingebaut wird, dann ist eine immaterielle Substanz freilich per definitionem ein Ding der Unmöglichkeit.
Man kann jedoch behaupten, dass immaterielle Substanzen ontologisch unmöglich seien, auch wenn man sie nicht per definitionem zu etwas Unmöglichem macht.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Do 8. Jan 2009, 23:32

stine hat geschrieben:Denn sind wir hier nicht alle nur "Geister"?

Nee, wir "sind" "hier" gar nicht. Auf materiellen Servern liegen die materiellen Codes für unsere in Schriftsymbolen materialisierten Gedanken. Gedanken aber sind ereignishaft, sind also nicht das, was Myron mit dem Geist als Substanz expliziert hat.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Do 8. Jan 2009, 23:57

Myron hat geschrieben:Man kann jedoch behaupten, dass immaterielle Substanzen ontologisch unmöglich seien, auch wenn man sie nicht per definitionem zu etwas Unmöglichem macht.

Diese Behauptung wäre aber wiederum erst dann verständlich, wenn man wenigstens den Hauch eines Schimmers davon hätte, was eine "immaterielle Substanz" sein könnte (wenn sie nicht unmöglich wäre^^). Aber uns fehlt hierfür jede blasse Ahnung. Das änderte sich frühestens, wenn wir eine immaterielle Substanz tatsächlich entdeckten, also einen zweiten Repräsentanten der Kategorie "Substanz". Und dann wäre die Behauptung dummerweise falsch. Also wüsste ich niemanden, der Interesse daran haben könnte, sie ernsthaft zu vertreten...

Wir Naturalisten sollten es jedenfalls nicht tun, denn das entspräche nicht etwa nur dem Betreten äußerst dünnen Eises, sondern vielmehr dem Versuch, über sommerliches Wasser zu laufen.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Fr 9. Jan 2009, 01:15

ostfriese hat geschrieben:Diese Behauptung wäre aber wiederum erst dann verständlich, wenn man wenigstens den Hauch eines Schimmers davon hätte, was eine "immaterielle Substanz" sein könnte (wenn sie nicht unmöglich wäre^^).


Ich muss mich deutlicher ausdrücken:
Auch ich bin der Meinung, dass der Begriff <immaterielle Substanz> aufgrund der Ungereimtheit seiner Merkmalszusammensetzung eigentlich ein Unbegriff ist. (Das obige Meslier-Zitat habe ich ja nicht rein zufällig angefügt.)
Die Behauptung, dass es keine immateriellen Substanzen gebe und auch nicht geben könne, kann genau damit begründet werden, dass unter einen Unbegriff (d.h. unter einen fehlerhaften, widerspruchsvollen, unsinnigen Begriff) keine wirklichen Gegenstände fallen können.
Damit würde der Supernaturalismus zu einer apriorischen Falschheit und der Naturalismus entsprechenderweise zu einer apriorischen Wahrheit.

Die supernaturalistischen Philosophen und insbesondere die Theologen bestreiten natürlich, dass <immaterielle Substanz> ein Unbegriff ist. In ihren Augen handelt es sich dabei durchaus um einen in sich stimmigen Begriff.
Es kommt nun darauf an, ob man als Naturalist ihnen diesen Begriff großzügigerweise als Nichtunbegriff durchgehen lässt oder nicht. Wenn ja, dann kann man den Naturalismus nur als eine unnotwendige (kontingente), aber nicht als eine notwendige Wahrheit verteidigen.
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Fr 9. Jan 2009, 01:40

Noch ein Zitat, diesmal von Thomas Hobbes:

"Denn wer aus irgendeiner Wirkung, die er stattfinden sieht, auf ihre nächste und unmittelbare Ursache schließen sollte und von dort aus auf die Ursache dieser Ursache und sich gründlich in das Studium von Ursachen vertieft, wird endlich zu dem Schluss kommen, dass es (wie selbst die heidnischen Philosophen zugaben) eine erste bewegende Triebkraft geben muss, das heißt eine erste und ewige Ursache aller Dinge. Und das meinen die Menschen mit dem Namen 'Gott', und all dies ohne einen Gedanken an ihr Schicksal; denn die Sorge darum veranlasst sie, sich zu fürchten, und hindert sie an der Suche nach den Ursachen anderer Dinge und gibt ihnen dadurch Gelegenheit, so viele Götter zu erfinden, wie es Menschen gibt, die sie erfinden.
Und was Materie oder Substanz der so eingebildeten Urheber betrifft, so konnten sie durch natürliche Meditation auf keine andere Auffasssung kommen, als dass die Seele des Menschen aus derselben Substanz bestünde wie das, was einem Schlafenden im Traum oder einem Wachenden im Spiegel erscheint, was die Menschen, nicht wissend, dass solche Erscheinungen nichts anderes sind als Geschöpfe ihrer Einbildung, für wirkliche und äußere Substanzen halten und daher Geister nennen, wie die Römer sie 'imagines' und 'umbrae' nannten und für Geister hielten, das heißt für ätherische Körper; und jene unsichtbaren Urheber, die sie fürchteten, hileten sie für ihnen gleich, nur dass sie nach Belieben erscheinen und verschwinden konnten. Aber die Meinung, dass solche Geister unkörperlich oder immateriell seien, konnte nie jemandem von Natur aus in den Sinn kommen; denn die Menschen mögen zwar Wörter von gegensätzlicher Bedeutung zusammensetzen wie 'Geist' und 'unkörperlich', doch sie können nie die Vorstellung von irgendetwas haben, was dem entspricht. Und Menschen, die durch eigene Meditation zur Anerkennung eines unendlichen, allmächtigen und ewigen Gottes gelangen, bekennen daher lieber, dass er unbegreiflich und jenseits ihres Verständnisses ist, als dass sie seine Natur mit 'unkörperlicher Geist' definieren und dann bekennen, ihre Definition sei unverständlich; oder wenn sie ihm solch eine Benennung geben, geschieht es nicht dogmatisch mit der Absicht, die göttliche Natur verständlich zu machen, sondern andächtig, um ihn mit Attributen zu ehren, deren Bedeutung so weit wie möglich von der Grobheit sichtbarer Körper entfernt ist."


(Hobbes, Thomas. Leviathan. 1651. Hrsg. Hermann Klenner, Übers. Jutta Schlösser. Hamburg: Meiner, 1996. Kap. XII, S. 90f.)


Hier das entsprechende Originalzitat:

"For he that, from any effect he seeth come to pass, should reason to the next and immediate cause thereof, and from thence to the cause of that cause, and plunge himself profoundly in the pursuit of causes, shall at last come to this, that there must be (as even the heathen philosophers confessed) one First Mover; that is, a first and an eternal cause of all things; which is that which men mean by the name of God: and all this without thought of their fortune, the solicitude whereof both inclines to fear and hinders them from the search of the causes of other things; and thereby gives occasion of feigning of as many gods as there be men that feign them.
And for the matter, or substance, of the invisible agents, so fancied, they could not by natural cogitation fall upon any other concept but that it was the same with that of the soul of man; and that the soul of man was of the same substance with that which appeareth in a dream to one that sleepeth; or in a looking-glass to one that is awake; which, men not knowing that such apparitions are nothing else but creatures of the fancy, think to be real and external substances, and therefore call them ghosts; as the Latins called them imagines and umbrae and thought them spirits (that is, thin aerial bodies), and those invisible agents, which they feared, to be like them, save that they appear and vanish when they please. But the opinion that such spirits were incorporeal, or immaterial, could never enter into the mind of any man by nature; because, though men may put together words of contradictory signification, as spirit and incorporeal, yet they can never have the imagination of anything answering to them: and therefore, men that by their own meditation arrive to the acknowledgement of one infinite, omnipotent, and eternal God choose rather to confess He is incomprehensible and above their understanding than to define His nature by spirit incorporeal, and then confess their definition to be unintelligible: or if they give him such a title, it is not dogmatically, with intention to make the Divine Nature understood, but piously, to honour Him with attributes of significations as remote as they can from the grossness of bodies visible."
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Fr 9. Jan 2009, 01:44

Und auch Albert Einstein, ein Mann, dem wohl niemand Begriffsstutzigkeit nachsagt, tat sich mit der Idee einer spirituellen/immateriellen [* Substanz offensichtlich schwer:

"Da unsere seelischen Erlebnisse in Reproduktionen und Kombinationen sinnlicher Eindrücke bestehen, so scheint mir die Konzeption einer Seele ohne Körper leer und nichtssagend."

(Einstein, Albert. "Letter from February 5, 1921." Quoted in German in: Dukas, Helen, and Banesh Hoffmann, eds. Albert Einstein—The Human Side: New Glimpses from his Archives. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1979. p. 132)


[* Anmerkung: Da Substanzen per definitionem konkrete (aber nicht unbedingt raumzeitliche) Objekte sind, gelten abstrakte Objekte prinzipiell als Nichtsubstanzen, sodass die Begriffe <immaterielle S.> und <spirituelle S.> bedeutungsgleich sind. Wäre dem nicht so, dann bestünde zwischen (abstrakten) immateriellen S.en ohne psychische Eigenschaften (z.B. Mengen, Zahlen) und (konkreten) immateriellen S.en mit psychischen Eigenschaften (= spirituelle S.en; Seelen, Geister) ein Unterschied.]
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon Myron » Fr 9. Jan 2009, 03:55

Myron hat geschrieben:Ich fasse zusammen:

Im streng philosophischen Sinne ist eine immaterielle/spirituelle Substanz eine konkrete Entität, die

(i) körperlos-stofflos, unkörperlich-unstofflich, aus nichts bestehend oder zusammengesetzt (und damit gestaltlos!)

(ii) räumlich unausgedehnt, 0-dimensional

(iii) außerräumlich/außerraumzeitlich, nirgendwo befindlich, ortlos (und damit bewegungsunfähig!)

ist und

(iv) Bewusstsein und geistig-seelische Eigenschaften besitzt.



Ich bin auf etwas gestoßen:

"We remind the reader that zero-dimensional means 'spatial, but lacking extension'; hence, a soul is not zero-dimensional, but lacking spatial dimensionality altogether."

"Wir erinnern die Leserin/den Leser daran, dass 'nulldimensional' 'räumlich, aber ohne Ausdehnung' bedeutet; von daher ist eine Seele nicht nulldimensional, sondern ihr fehlt jegliche räumliche Dimensionalität."

[© meine Übers.]

(Hoffman, Joshua, and Gary S. Rosenkrantz. Substance among Other Categories. Cambridge: Cambridge University Press, 1994. p. 28)

Hm, das "räumlich" in "räumlich, aber ohne Ausdehnung" ist ja wohl nur als "im Raum" zu verstehen.
Eine nulldimensionale Sache wäre damit eine im Raum befindliche, ausdehnungslose Sache.
Cartesianische Seelen sind zwar ausdehnungslos, aber sie befinden sich nicht im Raum.
Folglich sind sie nicht einmal nulldimensional, sondern sozusagen adimensional.
Dagegen ist beispielsweise ein Raumpunkt nulldimensional, weil er sowohl ausdehnungslos als auch im Raum befindlich (d.h. ein metrisch bestimmbarer Teil eines räumlichen Koordinatensystems) ist.
Entsprechenderweise müssten dann aber auch alle punktgroßen Seelen, die sich im Raum befinden, d.h. die darin einen Ort haben, als nulldimensional bezeichnet werden.
Seelen sind also je nachdem, ob sie sich im Raum befinden oder nicht, entweder nulldimensional oder adimensional.
Hoffman und Rosenkrantz nach sind Seelen per definitionem nirgendwo und damit adimensional.
Wer die Argumentation der beiden Herren überzeugend findet, der kann in meiner obigen Beschreibung in Punkt (ii) gerne "0-dimensional" durch "adimensional" ersetzen.
(Wer zwischen den Begriffen <Nulldimensionalität> und <Adimensionalität> unterscheidet, der unterscheidet logischerweise auch zwischen den Begriffen <Ausdehnungslosigkeit> und <Dimensionslosigkeit>. Denn dann sind "0-dimensional" und "keinerlei Dimension habend" bzw. "extensionslos" und "dimensionslos" keine Synonyme!)
Räumlich unausgedehnt sind immaterielle Substanzen auf jeden Fall, gleichgültig ob sie im Raum einen (punktgroßen) Ort besetzen oder nicht.
(Apropos, von einem nulldimensionalen Raumpunkt—falls es derartige Sachen überhaupt gibt—kann man nicht sagen, er hätte einen Ort im Raum, da er ja selbst ein Ort des Raumes ist. Von einer punktgroßen Seele, die einen solchen Raumpunkt besetzt, könnte man dies hingegen durchaus sagen.)


P.S.:
Unscholastisch betrachtet, scheint die feinsinnige Unterscheidung zwischen "dimensionslos" und "extensionslos" aber wohl auf den rein nominellen Unterschied zwischen einem Mann hinauszulaufen, der kein Geld auf seinem Bankkonto hat, und einem, der 0 Euro auf seinem Bankkonto hat.
Tja, lieber ein Vermögen in Höhe von 0 Euro als überhaupt keines! ;-)
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon stine » Fr 9. Jan 2009, 15:54

Auszüge aus einem Brief von Antoine de Saint-Exupéry:

"...Mann kann nicht mehr Leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe...
Es gilt wieder zu entdecken, daß es ein Leben des Geistes gibt,
das noch höher steht als das Leben der Vernunft und das allein den Menschen zu befriedigen vermag...

Leben heißt langsam Geborenwerden.
Es wäre allzu bequem, fixfertige Seelen auszuleihen"


Das Wesen eines Menschen ist Seele. Immateriell aber substantiell.
Das Wesentliche ist unsichtbar, aber spürbar.

LG stine
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Re: Was eine immaterielle/spirituelle Substanz ist

Beitragvon ostfriese » Fr 9. Jan 2009, 17:51

Myron, damit Du nicht denkst, dass ich das alles für selbstverständlich halte, möchte ich Dir endlich mal wieder herzlich danken für Deine unermüdliche philosophische Fleißarbeit. Du bist der beste Philosophielehrer, den man sich vorstellen kann, denn Dein Unterricht ist sozusagen "vollständig interaktiv", maßgeschneidert, hoch informativ, abwechslungsreich, intellektuell herausfordernd und dann auch noch kostenlos. Besser geht's einfach nicht -- fast zu schön, um wahr zu sein!!!

Zu Hobbes: Offenbar dachte er bezüglich der Unvorstellbarkeit immaterieller Substanzen ähnlich wie ich:
Hobbes hat geschrieben:Aber die Meinung, dass solche Geister unkörperlich oder immateriell seien, konnte nie jemandem von Natur aus in den Sinn kommen; denn die Menschen mögen zwar Wörter von gegensätzlicher Bedeutung zusammensetzen wie 'Geist' und 'unkörperlich', doch sie können nie die Vorstellung von irgendetwas haben, was dem entspricht.

Und auch seine Erklärung, warum Menschen ihr Gottesbild jenseits jedes Verdachtes auf Körperlichkeit konstruieren, gefällt mir.

Zu Einstein: Da hab ich wohl einen weiteren prominenten Gewährsmann. :^^:

Zu Myron^^:
Myron hat geschrieben:Die Behauptung, dass es keine immateriellen Substanzen gebe und auch nicht geben könne, kann genau damit begründet werden, dass unter einen Unbegriff (d.h. unter einen fehlerhaften, widerspruchsvollen, unsinnigen Begriff) keine wirklichen Gegenstände fallen können.
Damit würde der Supernaturalismus zu einer apriorischen Falschheit und der Naturalismus entsprechenderweise zu einer apriorischen Wahrheit.

Ach, daher weht der Wind! ;-)

Aber um die innere Widersprüchlichkeit eines (synthetischen!) Begriffs zu beweisen, muss man sich über seine Bedeutung (bzw. die der zur Explikation bemühten Prädikate) doch zunächst im Klaren sein (was ja gerade nicht der Fall ist). Es sei denn, man könnte bereits auf rein analytischem Wege, ohne Ansehen der Prädikate, eine strukturelle Widersprüchlichkeit ausmachen. Aber genau das ist ja durch die Abstraktion des Substanz-Begriffs vom Materie-Begriff sorgsam vermieden.

Und deshalb müssen wir die Hoffnung auf apriorische Wahrheit des Naturalismus wohl begraben!

Myron hat geschrieben:Anmerkung: Da Substanzen per definitionem konkrete (aber nicht unbedingt raumzeitliche) Objekte sind, gelten abstrakte Objekte prinzipiell als Nichtsubstanzen, sodass die Begriffe <immaterielle S.> und <spirituelle S.> bedeutungsgleich sind. Wäre dem nicht so, dann bestünde zwischen (abstrakten) immateriellen S.en ohne psychische Eigenschaften (z.B. Mengen, Zahlen) und (konkreten) immateriellen S.en mit psychischen Eigenschaften (= spirituelle S.en; Seelen, Geister) ein Unterschied.

Da hab ich ein Verständnisproblem. Wenn Substanzen per definitionem konkret sind, kann es doch gar keine abstrakten Substanzen geben (von denen im zweiten Satz die Rede ist), und alle abstrakten Objekte müssten als Nichtsubstanzen gelten (wie Du im ersten Satz ja selbst schreibst). Welche der Prämissen aus dem ersten Satz wirfst Du mit "Wäre dem nicht so" über Bord, und woraus leitest Du dann den erwähnten Unterschied ab?

Unscholastisch betrachtet, scheint die feinsinnige Unterscheidung zwischen "dimensionslos" und "extensionslos" aber wohl auf den rein nominellen Unterschied zwischen einem Mann hinauszulaufen, der kein Geld auf seinem Bankkonto hat, und einem, der 0 Euro auf seinem Bankkonto hat.

Dimensionalität ist ein Prädikat, das man bestimmten mathematischen Strukturen (Räumen) zuordnen kann. Räume sind Mengen, und ihre Teilmengen sind das, was sich in den Räumen befindet. Dimensionslose Objekte sind keine Teilmengen von Räumen, nulldimensionale Objekte dagegen schon (in einem affinen Raum wären das, wie Du bereits erklärt hast, extensionslose Punkte). Da es in der Welt da draußen keine unräumlichen Strukturen gibt, mit denen wir "dimensionslose Objekte" vergleichen und als isomorph identifizieren könnten, kennen wir sie zwar als abstrakte mathematische Konzepte, können davon aber keine konkrete Vorstellung haben.

Der akademische Verweis auf den feinen Unterschied zwischen 'dimensionslos' und 'extensionslos' hilft also beim Verständnis "immaterieller Substanzen" kein Stück weiter. Soll er ja auch gar nicht: Den Substanzdualisten ist es schließlich lieber, wenn ihre Position unverständlich und damit unkritisierbar bleibt.
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