Die Lehre des Materialismus

Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon El Schwalmo » Mi 28. Jan 2009, 22:42

Myron hat geschrieben:[ ... ]

Danke für die Ausführungen, meine Frage zu 'Feld' war eher rhetorisch und sollte andeuten, dass es für Esoteriker durchaus Möglichkeiten gibt, von 'feinstofflich' zu schwafeln, weil die Auffassung des Aufbaus von 'Gas' kein Argument dagegen darstellt. Denk nur an Begriffe wie 'morphogenetisches Feld'.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Was mich an Überlegungen, wie Du sie dargestellt hast, immer amüsiert, ist, wie wir Menschen immer wieder auf der Basis dessen, was gerade bekannt war, ein philosophisches Weltbild gebastelt und als gültig verkauft haben. Denk mal an Kant, der von Newton die absolute Zeit und den absoluten Raum übernahm. Wenn Kant heute leben würde, würde er seine Kategorien anders basteln.

Auch wenn sich unsere Vorstellung von den Bausteinen der Wirklichkeit gewandelt hat, und wir unter Atomen nicht mehr so etwas wie winzige Steinchen verstehen, ist die eigentliche Grundidee des Materialismus seit 2.500 Jahren gleich geblieben:

Das scheint mir kein Argument zu sein. Eher ein Spiegeln der Methodik der Gegenseite: wie kriege ich das, was ich schon immer geglaubt habe, durch das bestätigt, was gerade aktuell ist.

Myron hat geschrieben:Die dynamische Materie, die materiellen Prozesse sind die produktive Basis der Realität, von der alle Phänomene, insbesondere alle psychischen, hinsichtlich ihres Werdens und Seins abhängig sind.

Wobei 'abhängig von' durchaus nicht 'vollständig verursacht durch' bedeuten muss ;->

Denk an Eccles mit dem selbstbewussten Geist, der die materiellen Prozesse der neuronalen Module als produktive Basis verwendet und von deren Funktion druchaus psychische Prozesse abhängig sind.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon El Schwalmo » Mi 28. Jan 2009, 22:47

Myron hat geschrieben:Allerdings ist die Frage, welche empirischen Entdeckungen überhaupt als Falsifikatoren des Naturalismus bzw. Materialismus/Physikalismus gelten würden, nicht leicht zu beantworten. Denn hinter jeden noch so wundersam scheinenden Vorkommnis könnten ja ganz natürliche Dinge, Vorgänge und Gesetze stecken, die wir nicht kennen.
Nur dann, wenn wir naturwissenschaftlich allwissend wären, könnten wir eindeutig entscheiden, ob sich um ein natürliches oder ein übernatürliches Phänomen handelt.

Du weißt sicher, was Menschen 'von der anderen Feldpostennummer' nun sagen: 'Wow, eine perfekte Immunisierungsstrategie!'.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon Myron » Mi 28. Jan 2009, 23:09

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Die dynamische Materie, die materiellen Prozesse sind die produktive Basis der Realität, von der alle Phänomene, insbesondere alle psychischen, hinsichtlich ihres Werdens und Seins abhängig sind.

Wobei 'abhängig von' durchaus nicht 'vollständig verursacht durch' bedeuten muss.


Muss nicht, aber aus materialistischer Sicht ist genau dies der Fall.

"Materialism — in philosophy, the view that all facts (including facts about the human mind and will and the course of human history) are causally dependent upon physical processes, or even reducible to them."
————————————
"Materialismus — die philosophische Ansicht, dass alle Tatsachen (einschließlich der Tatsachen über den menschlichen Geist und Willen sowie den Verlauf der Menschheitsgeschichte) von physischen Prozessen kausal abhängig sind oder sogar darauf reduziert werden können."


(J. J. C. Smart: "Materialism." In Encyclopaedia Britannica [Ultimate Reference Suite 2005 DVD])

Das heißt, die psychischen Phänomene sind von den physischen insgesamt sowohl entstehungs-, wandlungs- als auch seinsabhängig.
(Und psychische Substanzen im Sinne des Descartes'schen Dualismus gibt es dem Materialismus nach eh nicht.)
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon Myron » Mi 28. Jan 2009, 23:26

El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt sicher, was Menschen 'von der anderen Feldpostennummer' nun sagen: 'Wow, eine perfekte Immunisierungsstrategie!'.


Die Naturwissenschaftler unternehmen ja alles, um ihr Wissen über die Natur zu vervollständigen und damit allwissend zu werden. Dass sie ihr großes Ziel tatsächlich irgendwann erreicht haben werden, ist jedoch aus praktischen Gründen so gut wie ausgeschlossen, was man den Wissenschaftler aber wohl kaum vorwerfen kann, oder?

Wenn naturwissenschaftliche Allwissenheit utopisch ist, dann könnte man den Naturalismus schon gegen mögliche Falsifikatoren immunisieren, indem man sich bei allem, was übernatürlich scheint, auf unbekannte natürliche Ursachen beruft.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon El Schwalmo » Mi 28. Jan 2009, 23:30

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Die dynamische Materie, die materiellen Prozesse sind die produktive Basis der Realität, von der alle Phänomene, insbesondere alle psychischen, hinsichtlich ihres Werdens und Seins abhängig sind.

Wobei 'abhängig von' durchaus nicht 'vollständig verursacht durch' bedeuten muss.

Muss nicht, aber aus materialistischer Sicht ist genau dies der Fall.

Thead 1: was vertritt die materialistische Sicht

Thread 2: stimmt das?

Thread 1 ist langweilig, Du kannst davon ausgehen, dass ich die von Dir zitierten Texte mit Interesse lese, mir darin aber mit Ausnahme der Formulierung nichts Neues geboten wird.

Thread 2 war mein Punkt.

Im Kontext mit dem, was ich weiter oben zu 'rationaler Diskurs' geschrieben habe.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon El Schwalmo » Mi 28. Jan 2009, 23:37

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Du weißt sicher, was Menschen 'von der anderen Feldpostennummer' nun sagen: 'Wow, eine perfekte Immunisierungsstrategie!'.

Die Naturwissenschaftler unternehmen ja alles, um ihr Wissen über die Natur zu vervollständigen und damit allwissend zu werden. Dass sie ihr großes Ziel tatsächlich irgendwann erreicht haben werden, ist jedoch aus praktischen Gründen so gut wie ausgeschlossen, was man den Wissenschaftler aber wohl kaum vorwerfen kann, oder?

die spannende Frage ist, wie wir bis dahin mit Menschen umgehen, die einen Supranaturalismus vertreten.

Aus deren Sicht ist das, was Du dargestellt hast, das 'Apfelbaum im Garten-Argument'. Du schnallst Dir einen Rucksack um und kletterst auf den Apfelbaum im Garten. Jeder kleine Schritt bringt Dich dem großen Ziel 'bemannte Raumfahrt' näher. Du hast sogar Proviant dabei.

Bei den unteren Ästen kannst Du möglicherweise gar nicht entscheiden, ob Du das 'große Ziel' erreichen wirst, aber bisher sah es Erfolg versprechend aus.

Myron hat geschrieben:Wenn naturwissenschaftliche Allwissenheit utopisch ist, dann könnte man den Naturalismus schon gegen mögliche Falsifikatoren immunisieren, indem man sich bei allem, was übernatürlich scheint, auf unbekannte natürliche Ursachen beruft.

Womit wir wieder beim rationalen Diskurs sind. Genauer, bei der Frage, ob man daraus eine gültige Ontologie gewinnen kann.

Nebenbei, 'scheint' immunisiert durchaus.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon Myron » Do 29. Jan 2009, 05:56

El Schwalmo hat geschrieben:Thead 1: was vertritt die materialistische Sicht
Thread 2: stimmt das?
Thread 1 ist langweilig, Du kannst davon ausgehen, dass ich die von Dir zitierten Texte mit Interesse lese, mir darin aber mit Ausnahme der Formulierung nichts Neues geboten wird.
Thread 2 war mein Punkt.


Was spricht für die Wahrheit des Materialismus?

Apriorische Gründe: Der (substanz-)monistische Materialismus ist konsistenter, kohärenter und plausibler als der (substanz-)dualistische Antimaterialismus (*, wodurch sein Erklärungswert größer ist als derjenige der Alternative. Er ist die bessere Theorie bzw. Theoriengruppe, und das ist ein vernünftiger Grund, an seine Wahrheit zu glauben.

(* insbesondere aufgrund der Annahme der kausalen Geschlossenheit und Einheitlichkeit des natürlichen Weltsystems)

Aposteriorische Gründe: Der monistische Materialismus steht mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich besser im Einklang als der dualistische Antimaterialismus. Ja, man kann sogar mit Recht sagen, dass jene empirischen Erkenntnisse den Materialismus stärken, während sie den Antimaterialismus schwächen.

El Schwalmo hat geschrieben:Im Kontext mit dem, was ich weiter oben zu 'rationaler Diskurs' geschrieben habe:
"Was mich an Überlegungen, wie Du sie dargestellt hast, immer amüsiert, ist, wie wir Menschen immer wieder auf der Basis dessen, was gerade bekannt war, ein philosophisches Weltbild gebastelt und als gültig verkauft haben."


Der metaphysische Materialismus/Physikalismus ist so allgemein formuliert (siehe LINK), dass er mit jeder erdenklichen physikalischen Theorie vereinbar ist.
Die Materialisten/Physikalisten wollen als Metaphysiker der Physik ja keine Konkurrenz machen, indem sie ihr direkt ins wissenschaftliche Handwerk pfuschen.

"Materialist metaphysicians want to side with physics, but not to take sides within physics."
————————————
"Materialistische Metaphysiker wollen auf der Seite der Physik stehen, aber sich nicht auf eine bestimmte Seite innerhalb der Physik schlagen."

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "New Work for a Theory of Universals." in David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 8-55. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 37+)

El Schwalmo hat geschrieben:Mir wird immer klarer, dass es letztlich nicht um Ontologie, sondern um rationalen Diskurs geht.


Diesen Satz verstehe ich nicht.

El Schwalmo hat geschrieben:Menschen wie wir vertreten ein Weltbild, das mit dem, was man rational rechtfertigen kann, begründet wird. In diesem Rahmen kann man von 'gültig' oder 'ungültig' mit Anspruch auf Geltung sprechen.


Gut, in der Metaphysik und der Philosophie im Allgemeinen geht es nicht um zweifelsfreies Wissen, sondern um mehr oder weniger vernünftigen Glauben.

El Schwalmo hat geschrieben:Uns trennt möglicherweise, dass ich das als zeitkernig gültig ansehe, während Du einen Schritt weiter gehst.


Hm ..., ich weiß nicht genau, was du damit meinst.
Ich glaube zwar an die Wahrheit des Materialismus, aber ich behaupte nicht, mit Sicherheit zu wissen, dass er wahr ist. Das heißt, in meiner weltanschaulichen Überzeugung ist durchaus ein Schuss Agnostizismus enthalten.
Ob die Materialisten oder die Antimaterialisten recht haben, hängt aber nicht von unserer Willkür ab, sondern von objektiven Tatsachen. Die eine Partei hat de facto recht und die andere unrecht, auch wenn wir niemals endgültig feststellen können, wer recht hat und wer nicht. Denn die Wahrheit besteht nicht bloß "zeitkernig", sondern ewig. :^^:
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon El Schwalmo » Sa 31. Jan 2009, 10:37

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Thead 1: was vertritt die materialistische Sicht
Thread 2: stimmt das?
Thread 1 ist langweilig, Du kannst davon ausgehen, dass ich die von Dir zitierten Texte mit Interesse lese, mir darin aber mit Ausnahme der Formulierung nichts Neues geboten wird.
Thread 2 war mein Punkt.


Was spricht für die Wahrheit des Materialismus?

ich plädiere dafür, in derartigen Diskussion auf den Begriff 'wahr' zu verzichten, da er mangels Nachweismöglichkeit zu einem nicht erreichbaren Ideal verkommt.

Myron hat geschrieben:Apriorische Gründe: Der (substanz-)monistische Materialismus ist konsistenter, kohärenter und plausibler als der (substanz-)dualistische Antimaterialismus (*, wodurch sein Erklärungswert größer ist als derjenige der Alternative. Er ist die bessere Theorie bzw. Theoriengruppe, und das ist ein vernünftiger Grund, an seine Wahrheit zu glauben.

Okay, das zu glauben macht Sinn.

Der Knackpunkt scheint mir der Erklärungswert zu sein. Selbst die deutschen Kreationisten sehen das inzwischen ein und reden immer von 'Ursprungsfragen', denn hier hört die Erklärung auf. Woher kommt der Urknall? Ob man nun noch einen Gott davorschaltet oder nicht, eine Erklärung scheint mir in beiden Fällen nicht vorzuliegen.

Myron hat geschrieben:(* insbesondere aufgrund der Annahme der kausalen Geschlossenheit und Einheitlichkeit des natürlichen Weltsystems)

Nun ja, eine Annahme würde ich nicht als Qualitätsmerkmal werten. Bestenfalls die empirische Bestätigung, dass eine Annahme sinnvoll war.

Myron hat geschrieben:Aposteriorische Gründe: Der monistische Materialismus steht mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erheblich besser im Einklang als der dualistische Antimaterialismus. Ja, man kann sogar mit Recht sagen, dass jene empirischen Erkenntnisse den Materialismus stärken, während sie den Antimaterialismus schwächen.

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wie sagte jemand mal so schön: 'Spielt Schiller im Wallenstein mit?'. Wir erforschen in diesem Weltbild Sekundärursachen. Hier ist auch der methodologische Naturalismus das Mittel der Wahl und wird auch beispielsweise von Evolutionsgegnern meist anerkannt ('instrumental science'). Anders sieht es bei den 'Ursprungsfragen' aus. Behe beispielsweise erkennt Deszendenz an und fragt nach den Mechanismen der Entstehung (in Kreationistenkreisen 'historical science'). Behe macht sehr plausibel deutlich, dass die methodisch naturalistische Erforschung des Funktionierens eines Systems kein Argument für dessen naturalistische Genese darstellt. Aus dem Funktionieren des Naturalismus in diesem Kontext folgt noch lange nicht, dass das ein Beleg für den Materialismus ist.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Im Kontext mit dem, was ich weiter oben zu 'rationaler Diskurs' geschrieben habe:
"Was mich an Überlegungen, wie Du sie dargestellt hast, immer amüsiert, ist, wie wir Menschen immer wieder auf der Basis dessen, was gerade bekannt war, ein philosophisches Weltbild gebastelt und als gültig verkauft haben."

Der metaphysische Materialismus/Physikalismus ist so allgemein formuliert (siehe LINK), dass er mit jeder erdenklichen physikalischen Theorie vereinbar ist.

Eben. Geht auch in Richtung 'Immunisierung'.

Myron hat geschrieben:Die Materialisten/Physikalisten wollen als Metaphysiker der Physik ja keine Konkurrenz machen, indem sie ihr direkt ins wissenschaftliche Handwerk pfuschen.

"Materialist metaphysicians want to side with physics, but not to take sides within physics."
————————————
"Materialistische Metaphysiker wollen auf der Seite der Physik stehen, aber sich nicht auf eine bestimmte Seite innerhalb der Physik schlagen."

[© meine Übers.]

(Lewis, David. "New Work for a Theory of Universals." in David Lewis, Papers in Metaphysics and Epistemology, 8-55. Cambridge: Cambridge University Press, 1999. p. 37+)

Solange sie nicht den Versuch machen, der Physik vorzuschreiben, dass es jenseits des Materialismus nichts mehr gäbe, ist das okay. Sollten die Physiker (die Zahl Schöpfungsläubiger ist dort viel höher als bei Evolutionsbiologens) irgendwann mal in Richtung Deismus abwandern, können sich die Materialisten ja immer noch anpassen.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Mir wird immer klarer, dass es letztlich nicht um Ontologie, sondern um rationalen Diskurs geht.

Diesen Satz verstehe ich nicht.

Nun, von Versuchen, die Wahrheit eines Weltbildes zu beweisen, hat man sich längst verabschiedet. Man kann daher 'nur' noch in Richtung 'was ist sinnvoller, konsistenter, erklärungsmächtiger ...' argumentieren, und daraus Regeln eines rationalen Diskurses ableiten. Es gibt nun Autoren wie Bunge oder Mahner, die aus diesen Regeln eine Ontologie ableiten, genauer, sich überlegen, wie denn wohl eine Welt aussehen müsste, die so gebaut ist, dass diese Regeln funktionieren ('the world's furniture'). Die Ontologie ist hier sozusagen sekundär, im Gegensatz zu der 'klassischen' Variante.

Ich bin Materialist eben deshalb, weil Naturwissenschaften funktionieren. Erklärungen sind naturalistisch, oder sie sind keine. Geister werden methodisch ausgeklammert (was als Corollar dazu führt, dass man sich darüber keine Gedanken mehr macht, denn man kann aus den Ergebnissen keine Schlüsse über etwas ableiten, was man ausgeklammert hat, ein Argument ist bestenfalls, dass man ohne zusätzliche immateriellen Entitäten auskommt, weil man alles naturalistisch erklärt hat, aber ich sehe auch nicht ansatzweise einen Hinweis darauf). Wenn nun aber jemand partout an das herzallerliebste Jesulein oder einen Gott anderer Provenienz glauben möchte, hat er durchaus Möglichkeiten, das so zu tun, dass man ihm argumentativ nicht ans Leder kann, weil es ja nicht mehr innerhalb des rationalen Diskurs verhandelbar ist.

Wenn man nun die Regeln des rationalen Diskurses für alle Diskurse verbindlich machen kann, haben wir 'gewonnen'. Ich sehe aber, dass gerade dies angezweifelt wird. Schwer, darüber im Rahmen dieser Regeln zu argumentieren.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Menschen wie wir vertreten ein Weltbild, das mit dem, was man rational rechtfertigen kann, begründet wird. In diesem Rahmen kann man von 'gültig' oder 'ungültig' mit Anspruch auf Geltung sprechen.

Gut, in der Metaphysik und der Philosophie im Allgemeinen geht es nicht um zweifelsfreies Wissen, sondern um mehr oder weniger vernünftigen Glauben.

Okay. Und die Regeln des rationalen Diskurses bestimmen, was 'vernünftig' ist.

Myron hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Uns trennt möglicherweise, dass ich das als zeitkernig gültig ansehe, während Du einen Schritt weiter gehst.

Hm ..., ich weiß nicht genau, was du damit meinst.
Ich glaube zwar an die Wahrheit des Materialismus, aber ich behaupte nicht, mit Sicherheit zu wissen, dass er wahr ist. Das heißt, in meiner weltanschaulichen Überzeugung ist durchaus ein Schuss Agnostizismus enthalten.
Ob die Materialisten oder die Antimaterialisten recht haben, hängt aber nicht von unserer Willkür ab, sondern von objektiven Tatsachen. Die eine Partei hat de facto recht und die andere unrecht, auch wenn wir niemals endgültig feststellen können, wer recht hat und wer nicht. Denn die Wahrheit besteht nicht bloß "zeitkernig", sondern ewig. : ^^:

Eben. Aber was haben wir davon, wenn wir sie nicht erkennen können? Genauer, wenn wir nicht wissen, ob ein Satz, den wir formuliert haben, wahr ist.

Sollte ein deistisches Wesen die Welt geschaffen haben und auch ab und an mal, gut versteckt im 'Zufallsrauschen', in den Gang der Dinge eingreifen, hätten wir Materialisten Unrecht, aber auch so gut wie jede Religion, die bisher formuliert wurde.

Viele Ergebnisse der Naturwissenschaften sind nur zeitkernig gültig. Du musst nur mal in alte Bücher schauen, was von 'der Wissenschaft' schon alles mit Anspruch auf Geltung vertreten wurde. Wenn ich nur an mein Leben denke: mit dem, was mir im mündlichen Abitur in Biologie eine gute Note eingebracht hatte, würde ich heute durchfallen. Nicht, weil ich die Frage ('Wie ist die Informationsübertragung im Genom von Eukaryonten organisiert?') mit meinen damaligen Kenntnissen nicht beantworten könnte, sondern weil das, was 'damals' in den Lehrbüchern stand, nach dem, was in den heutigen steht, schlicht falsch ist.
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon Myron » Sa 31. Jan 2009, 23:05

El Schwalmo hat geschrieben:ich plädiere dafür, in derartigen Diskussion auf den Begriff 'wahr' zu verzichten, da er mangels Nachweismöglichkeit zu einem nicht erreichbaren Ideal verkommt.


Ich plädiere dagegen, denn was uns am meisten interessiert, ist ja die Frage, was wahr ist und was nicht.

El Schwalmo hat geschrieben:Okay, das zu glauben macht Sinn.


Es geht ja darum, ob der materialistische/naturalistische oder antimaterialistische/supernaturalistische Glaube der vernünftigere ist. Und der Grad an Vernünftigkeit eines Glaubens hängt mit der Stärke der Gründe zusammen, die für ihn bzw. gegen den gegensätzlichen Glauben sprechen.

El Schwalmo hat geschrieben:Der Knackpunkt scheint mir der Erklärungswert zu sein. Selbst die deutschen Kreationisten sehen das inzwischen ein und reden immer von 'Ursprungsfragen', denn hier hört die Erklärung auf.


Wo die empirischen naturwissenschaftlichen Erklärungen (derzeit) aufhören, dort beginnt die gute alte naturphilosophische Spekulation. Und hier gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von atheistischen Vorschlägen.
(Siehe: "Why this universe: Towards a taxonomy of possible explanations" (pdf))

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:(* insbesondere aufgrund der Annahme der kausalen Geschlossenheit und Einheitlichkeit des natürlichen Weltsystems)

Nun ja, eine Annahme würde ich nicht als Qualitätsmerkmal werten. Bestenfalls die empirische Bestätigung, dass eine Annahme sinnvoll war.


Dass es keine nichtphysischen Kausalkräfte gibt, die im raumzeitlichen Kausalnexus eine Rolle spielen, hat sich naturwissenschaftlich bestätigt. Nichts deutet auf das Vorhandensein irgendwelcher hyperphysischen Geistes- oder Lebenskräfte hin.

El Schwalmo hat geschrieben:Wir erforschen in diesem Weltbild Sekundärursachen.


Ist das so?
Was spricht dafür, dass es hinter den angeblichen "Sekundärursachen" eine oder mehrere "Primärursachen" (gar transzendente) gibt?

El Schwalmo hat geschrieben:Hier ist auch der methodologische Naturalismus das Mittel der Wahl und wird auch beispielsweise von Evolutionsgegnern meist anerkannt ('instrumental science'). Anders sieht es bei den 'Ursprungsfragen' aus. Behe beispielsweise erkennt Deszendenz an und fragt nach den Mechanismen der Entstehung (in Kreationistenkreisen 'historical science'). Behe macht sehr plausibel deutlich, dass die methodisch naturalistische Erforschung des Funktionierens eines Systems kein Argument für dessen naturalistische Genese darstellt. Aus dem Funktionieren des Naturalismus in diesem Kontext folgt noch lange nicht, dass das ein Beleg für den Materialismus ist.


Das alte deistische Bild von Gott als dem Uhrmacher, der seine Uhren nach Herstellung aufzieht und danach nicht mehr in deren mechanische Funktionsabläufe eingreift.
Aber ist Behe nicht Theist und glaubt an die Lehre von der creatio continua (d.i. die Lehre, dass Gott das Universum nach dem ersten Schöpfungsakt zu jedem Zeitpunkt danach aktiv "im Sein erhält", sodass jede natürliche Ursache per se bloß eine Sekundärursache ist)?

Die Naturwissenschaft bestätigt den Materialismus insbesondere im Hinblick auf das Geist-Körper-Verhältnis. Die Setzung von Geistern und Seelen als selbstständigen Wesen erscheint im Lichte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse immer unglaubwürdiger, ja, man kann inzwischen sogar sagen, dass sie so gut wie widerlegt ist.

El Schwalmo hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:Der metaphysische Materialismus/Physikalismus ist so allgemein formuliert (siehe LINK), dass er mit jeder erdenklichen physikalischen Theorie vereinbar ist.

Eben. Geht auch in Richtung 'Immunisierung'.


Sehe ich nicht so. Denn es gibt ja einen möglichen Falsifikator des Materialismus, nämlich den wissenschaftlichen Nachweis immaterieller Substanzen, insbesondere solcher mit psychischen Eigenschaften.

El Schwalmo hat geschrieben:Solange sie nicht den Versuch machen, der Physik vorzuschreiben, dass es jenseits des Materialismus nichts mehr gäbe, ist das okay. Sollten die Physiker (die Zahl Schöpfungsläubiger ist dort viel höher als bei Evolutionsbiologens) irgendwann mal in Richtung Deismus abwandern, können sich die Materialisten ja immer noch anpassen.


Der einen transzendenten Gott setzende Deismus ist grundsätzlich nicht Materialismus-kompatibel.
(Auch die Annahme eines abstrakten "Logos", d.h. von unpersönlichen Naturgesetzen, die schon vor dem materiellen Universum existiert haben, verträgt sich nicht mit dem Materialismus.)

El Schwalmo hat geschrieben:Nun, von Versuchen, die Wahrheit eines Weltbildes zu beweisen, hat man sich längst verabschiedet. Man kann daher 'nur' noch in Richtung 'was ist sinnvoller, konsistenter, erklärungsmächtiger ...' argumentieren, und daraus Regeln eines rationalen Diskurses ableiten.


Gut, aber die Wahrheit ist und bleibt das eigentliche Ziel.
Wie sicher wir sein können, sie tatsächlich erreicht zu haben, ist freilich eine andere Frage. Wie David Armstrong betont, in der Praxis sollten wir nie den Sinn für den Unterschied zwischen echtem Wissen und mehr oder weniger vernünftigem Glauben verlieren:

"[I]t seems desirable in philosopy and elsewhere that we should retain a feeling for where there really is knowledge and where there is only more or less rational belief."

(Armstrong, D. M. Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 35)

El Schwalmo hat geschrieben:Wenn nun aber jemand partout an das herzallerliebste Jesulein oder einen Gott anderer Provenienz glauben möchte, hat er durchaus Möglichkeiten, das so zu tun, dass man ihm argumentativ nicht ans Leder kann, weil es ja nicht mehr innerhalb des rationalen Diskurs verhandelbar ist.


Jeder Glaube, auch jeder metaphysische, ist rational kritisierbar.

El Schwalmo hat geschrieben:Wenn man nun die Regeln des rationalen Diskurses für alle Diskurse verbindlich machen kann, haben wir 'gewonnen'. Ich sehe aber, dass gerade dies angezweifelt wird. Schwer, darüber im Rahmen dieser Regeln zu argumentieren.


Den relativistischen Fluchtversuch der Religiösen in einen Pluralismus von inkommensurablen "Diskursuniversen" oder "Sprachspielen" versuche ich zu verhindern.

El Schwalmo hat geschrieben:Und die Regeln des rationalen Diskurses bestimmen, was 'vernünftig' ist.


"Metaphysicians should not expect any certainties in their inquiries. One day, perhaps, the subject will be transformed, but for the present the philosopher can do no more than survey the field as conscientiously as he or she can, taking note of the opinions and arguments of predecessors and contemporaries, and then make a fallible judgment arrived at and backed up as rationally as he or she knows how."

(Armstrong, D. M. Universals: An Opinionated Introduction. Boulder, CO: Westview, 1989. p. 135)

El Schwalmo hat geschrieben:Eben. Aber was haben wir davon, wenn wir sie nicht erkennen können? Genauer, wenn wir nicht wissen, ob ein Satz, den wir formuliert haben, wahr ist.


Sollen wir etwa nichts glauben, wovon wir nicht mit Sicherheit wissen, dass es wahr ist? Bist du für einen totalen Agnostizismus?
Damit können und wollen die Menschen aber nicht leben, oder?

El Schwalmo hat geschrieben:Sollte ein deistisches Wesen die Welt geschaffen haben und auch ab und an mal, gut versteckt im 'Zufallsrauschen', in den Gang der Dinge eingreifen, hätten wir Materialisten Unrecht, aber auch so gut wie jede Religion, die bisher formuliert wurde.


Wie gesagt, ein persönlicher deistischer Gott wäre ein "Falschmacher" des Materialismus und des Naturalismus.

El Schwalmo hat geschrieben:Viele Ergebnisse der Naturwissenschaften sind nur zeitkernig gültig. Du musst nur mal in alte Bücher schauen, was von 'der Wissenschaft' schon alles mit Anspruch auf Geltung vertreten wurde.


Eine naturwissenschaftliche Theorie ist entweder immer schon wahr oder immer schon falsch gewesen. Was sich natürlich ändern kann, ist ihr Rechtfertigungsgrad in Relation zu den gegebenen empirischen Indizien.
Der "pessimistischen Metainduktion" zufolge lässt sich aus dem Umstand, dass sich die meisten oder (fast) alle wissenschaftlichen Theorien der Vergangenheit inzwischen als falsch herausgestellt haben, schließen, dass höchstwahrscheinlich auch die meisten oder (fast) alle wissenschaftlichen Theorien der Gegenwart irgendwann in der Zukunft ihre Rechtfertigung, ihre "zeitkernige Gültigkeit" verlieren werden.
Gewiss, dies ist möglich, doch ist es auch sehr wahrscheinlich?
(Im Falle der darwinistischen Evolutionstheorie halte ich es beispielsweise für sehr unwahrscheinlich.)
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon stine » So 1. Feb 2009, 12:36

Die Idee des Materialismus überzeugt mich irgendwie, schon deshalb, weil sie nichts beinhaltet, was nicht logisch nachvollziehbar wäre.

Wenn wir nun aber einen Schritt weiter gehen und genau wie der Cartesianer La Mettrie (zB) konsequent schlußfolgern und behaupten, daß der Mensch also nur eine Maschine ist und „das Denken“ als Eigenschaften der Materie bezeichnen, was hätten wir davon?
Wo ist der Gewinn?
Ich denke auch, dass wenn eine Maschine darüber zu philosophieren beginnt, welchen Zweck und welche Ursachen ihrer zugrunde liegen, ist sie dann immer noch eine Maschine? Spätestens hier ist doch etwas passiert, was im puren Materialismus nicht mehr vorgesehen war.
Da hat sich doch etwas verselbstständigt, oder nicht?

Spätestens hier könnte man doch naiverweise auch sagen, die "beseelte" Materie ist eine nicht logisch erklärbare Mutation.
LG stine
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Re: Die Lehre des Materialismus

Beitragvon Myron » Mo 2. Feb 2009, 02:08

stine hat geschrieben:Wenn wir nun aber einen Schritt weiter gehen und genau wie der Cartesianer La Mettrie ...


La Mettrie war im Hinblick auf das Geist-Körper-Verhältnis vielmehr Anti-Cartesianer.

"Descartes und alle Cartesianer, zu denen man früher auch die Anhänger Malebranches zählte, haben denselben Fehler begangen. Sie haben im Menschen zwei verschiedene Substanzen angenommen, als ob sie diese gesehen und genau gezählt hätten."

(La Mettrie, Julien Offray de. Der Mensch eine Maschine. 1748. Übers. Th. Lücke. Stuttgart: Reclam, 2001. S. 17)

stine hat geschrieben:... (zB) konsequent schlußfolgern und behaupten, daß der Mensch also nur eine Maschine ist und „das Denken“ als Eigenschaften der Materie bezeichnen, was hätten wir davon? Wo ist der Gewinn?

Für einen Philosophen ist ein Stück Wahrheit der größte Gewinn. :^^:

stine hat geschrieben:Ich denke auch, dass wenn eine Maschine darüber zu philosophieren beginnt, welchen Zweck und welche Ursachen ihrer zugrunde liegen, ist sie dann immer noch eine Maschine? Spätestens hier ist doch etwas passiert, was im puren Materialismus nicht mehr vorgesehen war.


Ein lebender Organismus ist natürlich keine simple mechanische Maschine. Von den hochkomplexen neurophysiologischen Prozessen, die dem Bewusstsein zugrunde liegen, hatte La Mettrie zu seiner Zeit noch keine Ahnung.

stine hat geschrieben:Spätestens hier könnte man doch naiverweise auch sagen, die "beseelte" Materie ist eine nicht logisch erklärbare Mutation.
LG stine


"There is no reason why a physical system such as a human or animal organism should not have states that are qualitative, subjective, and intentional."

"Es gibt keinen Grund, weshalb ein physisches System wie ein menschlicher oder tierischer Organismus keine Zustände haben sollte, die qualitativ, subjektiv und intentional sind."
[© meine Übers.]

(Searle, John R. Mind: A Brief Introduction. New York: Oxford University Press, 2004. p. 118)
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