Verbreitung von Weltbildern

Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » So 19. Jul 2009, 19:34

Nun müssen wir die gesamte Sache noch irgendwie aus dem Verhältnis zweier Menschen zueinander lösen und auf das Helferverhältnis zwischen dem, der duch die Verbreitung seines Weltbildes zu helfen gewillt ist, und der von jener Hilfe angezielten Teilmenge an Individuen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Pia Hut » Di 21. Jul 2009, 18:17

Jeder führe sich vor Augen, daß die Natur “in das menschliche Herz jene wundersame Anlage pflanzte,
vermöge welcher das Leiden des einen vom andern mitempfunden wird.”
“Sobald dieses Mitleid rege wird, liegt mir das Wohl und Wehe des andern unmittelbar am Herzen, ganz in derselben Art, wenn auch nicht stets in demselben Grade, wie sonst allein das meinige: also ist jetzt der Unterschied zwischen ihm und mir
kein absoluter mehr.” Im Mitempfinden überschreite ich die Grenzen der eigenen Person. “Wir sehen in jenem Vorgang die Scheidewand,
die nach dem Lichte der Natur (wie alte Theologen die Vernunft nennen) Wesen von Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht-Ich gewissemaßen zum Ich geworden.” Schopenhauer

Ich habe zwar auch an einigen Ecken beim Schopenhauer rumzumäkeln, aber in dieser Hinsicht überzeugt er mich schon irgendwie. Ich habe mal einen wissenschaftlichen Bericht gelesen (leider finde ich ihn nicht mehr, ich mein es war im Zusammenhang mit den Spiegelneuronen), da wurde die Behauptung aufgestellt, dass Mensch erst in der Pubertät die Fähigkeit zum Mitempfinden mit anderen Menschen entwickelt. Sich mit Tieren zu identifizieren kann man angeblich schon im Kleinkindalter zuwege bringen.
Mir scheinen Jugendliche auch immer von einer sehr viel stärkeren Sensibilität gekennzeichnet als die meisten Erwachsenen. Ich vermute das in diesem Alter das dringend angestrebte „Coolsein“ - also eine Art von Gefühlskälte zu entwickeln - sich der erschreckenden Erfahrung der Jugendlichen mit dieser aufkommenden Empathie verdankt und dem gleichzeitigen Wissen, dass in einer Konkurrenzgesellschaft das Mitleid eine Schwäche ist.
Zum Sturz in den Liebeskummer noch soviel: mag die Freundin eine Weile leiden, wenn sie sich den Luxus praktisch leisten kann. Ich frag mich nur zu welchem Zwecke? Damit meine ich gewiss nicht man müsse jedes Leid/Unbequemlichkeit vermeiden. Selbstgewählte Askese oder riskante Sportarten ergeben für mich z.B. durchaus einen Sinn. Nur das Versinken in der Innenschau führt in der Haltung zu dem außen meist zu recht unerquicklichen Übergängen, die andere oft auszubaden haben.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon stine » Di 21. Jul 2009, 18:32

Hallo Pia, ich hatte mal eine Freundin, die dauerhaft unglücklich verliebt war. Immer und immer wieder wählte sie so, dass es schon von Beginn an, anscheinend für jeden, nur für sie selbst nicht, erkenntlich war, dass es nicht passen konnte und so litt sie, in Echtzeit gemessen, mehr, als sie in einer Beziehung genießen konnte. Wie ich heute weiß, war sie damals schon Depressionsgefährdet und die Krankheit ist schließlich auch ganz ausgebrochen. Ich konnte ihr aber schon damals mit keinerlei Mitfühlen oder Ratschlägen helfen, es war immer aussichtslos. Heute denke ich, sie wollte einfach leiden. Alles in ihr war aufgrund der Krankheit darauf ausgelegt und so suchte sie in allem solange, bis sie fand, was sie unglücklich machen musste. Erst dann war, so konnte man vermuten, das Ziel erreicht.
Kein Wunder auch, dass es niemand mit ihr lange aushielt.

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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Nanna » Di 21. Jul 2009, 18:58

Danke erstmal für das Lob für meinen Schreibstil, Pia, es freut mich natürlich sehr, wenn ich meinen Anspruch, verständlich zu schreiben, anscheinend auch sichtbar machen kann. :-)


Zu deinen Einwänden:

Pia Hut hat geschrieben:Nana, du selbst sprichst von dem alten Problem zwischen kollektiven Nutzen und individuellem Nutzen. Wenn ich deine Texte lese, dann habe ich den Eindruck, dass du diese beiden Seiten sich irgendwie naturwüchsig widersprechen siehst. Davon bin ich keineswegs überzeugt. Alle deine Beispiele leben von einer herrschenden Gesellschaftsordnung in welcher diese beiden Seiten nicht zueinander passen wollen. Dein Geschichts- und Gesellschaftsbild (und entschuldige wenn ich jetzt etwas überzeichne) erinnert mich ein wenig an einen historischen Determinismus indem „Mensch“ immer nur den Strömungen seiner Zeit hinterher rennen kann – ein Bild in dem Gesellschaft und geschichtliche Entwicklung als eine Art notwendiger Naturerscheinung gefasst sind, an die man sich, denn es wäre ja blöd sich gegen Naturgesetze zu vergreifen, nur bestmöglich anpassen kann.


Nun, ich dachte, ich hätte das Problem schon anhand des Verkehrsbeispiels ausreichend erläutert. Ich stütze mich dabei auf Erkenntnisse des Physikers und Verkehrsforschers Prof. Schreckenbergs (Uni Duisburg-Essen), dieses geschilderte Beispiel ist also durchaus empirisch belegt. In der Tat gibt es viele Situationen, eine ganze Reihe davon völlig alltäglich, beispielsweise eben das Verhalten im Straßenverkehr, wo Einzelne sich Vorteile verschaffen können, wenn sie gegen Regeln verstoßen, die die Mehrheit der Gesellschaft einhält. Dies geht oftmals zum Nachteil der anderen Personen. Solche Situationen haben die Form des Gefangenendilemmas (ein spieltheoretisches Dilemma, das eine Situation beschreibt, wo ein Einzelner auf Kosten der Gruppe Vorteile haben kann, wo aber das Inkaufnehmen eines kleinen Nachteils aber auch einen großen Nutzen für die Gruppe haben kann).
Jeder kennt solche Situationen aus dem Alltag, wo er sich dann sagt "Naja, solange nur ich es mache / nicht mache, ist es ja nicht schlimm", wobei jedem klar ist, dass irgendjemand sein Versäumnis letztlich ausbaden muss, und wenn es nur die Finanzierung eines Straßenkehrers für achtlos fallengelassenen Müll ist. Solange nur einzelne Personen ihren Müll durch die Gegend werfen, haben sie einen Vorteil davon (Energieersparnis, da sie keinen Mülleimer suchen müssen), wenn alle es machen würden, wäre es ein unhaltbarer Zustand. Meist bildet sich ein Gleichgewicht zwischen beiden Gruppen, wo der Zustand der Straßen bzw. die Reinigungskosten von der öffentlichen Meinung als noch tolerabel angesehen werden. Der Knackpunkt: Letztlich sind beide Wünsche, "Müll leicht loswerden" und "saubere Straßen", individuelle und kollektive Interessen. Ein Individuum kann aber durch sein Abweichen vom common sense sowohl "Müll sehr leicht loswerden" und trotzdem "saubere Straßen" erhalten, maximiert also seinen Nutzen auf Kosten der anderen Individuen oder anders gesagt des Kollektivs.
Dass Menschen zu solchem Verhalten neigen, kann man auch in kulturunabhängigen Kooperationsspielen nachweisen (wo sich religiöse Menschen übrigens genauso egoistisch verhalten, wie andere, nur so als kleiner Seitenhieb ;-) ). Interessanterweise ändert sich das schlagartig, wenn der Spielmodus so angelegt ist, dass es die Möglichkeit gibt, Kollektivschädlinge zu bestrafen. In dem Fall nehmen fast alle anderen Spieler sogar Nachteile in Kauf, um den Abweichler zur Räson zu bringen. Man muss also gezielt gegen den Grundsatz der totalen persönlichen Freiheit in Jarls möglicher Gesellschaft verstoßen, um den kollektiven Nutzen zu erhöhen. Eine uneingeschränkte Kooperation wäre zwar in vielen Spielen für alle am nützlichsten, wird aber nicht praktiziert, weil die Menschen sich gegenseitig misstrauen oder Vorteile auf Kosten des Kollektivs herausschlagen wollen, auch, weil wir Menschen nunmal zu Nullsummenspielen neigen.

Kurz gesagt: In einer kooperativen Gesellschaft gibt es immer einen Konflikt zwischen individueller und kollektiver Nutzenmaximierung, einfach, weil die Möglichkeit, auf Kosten anderer zu profitieren, existiert und man die auch nicht so einfach wegdefinieren kann. Der Konflikt ist logisch unauflösbar, kann aber durch totale Gleichschaltung der Individuen umgangen werden, nur ist das wohl nicht das, was uns da so vorschwebt.

Und ja, ich halte die Natur für eine deterministische oder zumindest überwiegend deterministische Maschine, da die Effekte der Quantenebene relativ wenig Einfluss auf die makroskopische Welt nehmen können (habe die Frage mal einem Physiker gestellt, der meinte, dass chaostheoretische Fälle, wo der winzige Quanteneffekt eine größere makroskopische Entwicklung auslösen kann, sehr sehr unwahrscheinlich sind), zu der auch unsere Denkprozesse gehören. Insofern halte ich auch die menschliche Entwicklung für eine überwiegend von Umweltbedingungen determinierte Entwicklung, wobei Ideen natürlich auch ein einwirkender Faktor sind, der berücksichtigt werden muss. (Gesellschaftlich relevante) Ideen und Umweltbedingungen stehen also allermindestens in einem dialektischen Verhältnis.
Ob die Entstehung von Ideen im Individuum selbst eventuell einen höheren Grad an Freiheit hat oder ob sie wie das Erreichen von Bedeutung auf der kollektiven Ebene stark von den historischen Umständen abhängig sind, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Das zugehörige Beispiel wäre z.B., ob Marx seine sozialistischen Ideen in jeder beliebigen historischen Situation haben konnte und sie da nur nicht beachtet worden wäre, oder ob er auch die Idee an sich nur in der jeweils einzigartigen historischen Situation haben konnte. Er selbst hätte wohl zweiteres favorisiert, ich habe selber, wie gesagt, keine Ahnung.

Übrigens auch interessant ist das Arrow-Theorem. Es besagt, dass es in demokratischen Gesellschaften in den meisten Fällen unmöglich ist, eine kollektive Wertrangordnung aus den Wertrangordnungen der Individuen abzuleiten. Man kann mathematisch zeigen, dass dies zu logischen Widersprüchen führt. Natürlich hat das nicht direkt mit dem Thema zu tun, aber ich nehme es als weiteres Indiz dafür, dass die Individualebene mit ihren vielfältigen Einzelinteressen prinzipiell in einem Spannungsverhältnis zu den weitgehend egalitären Kollektivinteressen steht.

Pia Hut hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Was deine utopische Gesellschaft angeht, ist sie natürlich nicht undenkbar, aber da Kooperation den Menschen überhaupt erst möglich und groß gemacht hat, halte ich sie trotzdem für eine sehr theoretische Angelegenheit.


Wie kommt eigentlich diese „aber“ zustande. Ich kann nicht erkennen, dass sich Jarl in irgendeiner Form gegen Kooperation von Menschen ausgesprochen hätte.

[...]

Mir selbst scheint es wichtig sich in seinen Urteilen aus der eigenen gesellschaftlichen Befangenheit zu lösen, und das geht nur, in dem man quasi von außen auf Gesellschaft blickt - das weiß ich jetzt auch nicht besser zu beschreiben - insofern trifft Jarls „utopische Gesellschaft“ (auch wenn das die Sache nicht so ganz trifft) bei mir durchaus auf fruchtbaren Boden. Ich sehe auch nicht, wieso das theoretischer sein soll als deine Überlegungen. Und ich habe so meine Zweifel, was dein „denkbar“ angeht, mir kommt das eher so vor, als sei es vielen warum auch immer „undenkbar“…(soviel vorläufig dazu.)


Wie oben gezeigt, setzt Kooperation die bereitwillige oder erzwungene - meist eine Mischung aus beiden mit einem klar vorhandenen Zwangsanteil - Einschränkung von persönlicher Freiheit, im Falle der Erzwungenheit auch der persönlichen Verantwortung voraus. Wenn jeder nur seinen Interessen nachgeht, frage ich mich, was dies für Babys, Kranke und Greise bedeutet, die sich nicht selbst helfen können, von denen die Gesellschaft als Kollektiv aber profitieren kann. Maximale persönliche Freiheit schließt ja ein, dass man sich nicht gewzungen fühlen muss, diesen Menschen zu helfen, könnte also von einem Teil der Gesellschaft gar nicht erst geduldet werden und würde entsprechend sanktioniert. Es wäre natürlich möglich, die Gesellschaft aufzuspalten in einen Teil, der unter kooperativen Einschränkungen leben will und einen, der maximale Freiheit erleben will, dafür dann aber im Krankheitsfall auch auf sein Glück zählen muss, ob gerade jemand Lust hat, ihm zu helfen. Man kann eine Gesellschafsvorstellung in dieser Richtung übrigens sogar wählen.
Gar nicht erst erwähnen müssen sollte ich eigentlich das Problem derer, die für ein Leben in maximaler Freiheit und Selbstverantwortung nicht die ausreichende Intelligenz besitzen oder durch psychische Störungen nicht in der Lage sind, ihre Situation zu meistern.
Ich vertraue für meinen Teil darauf, dass es durchaus seinen evolutionären Sinn hat, dass die Art und Weise, wie Gesellschaften sich [unter bestimmten Umweltbedingungen] organisieren, sich unter'm Strich doch weltweit im Groben sehr ähnelt. Es muss also gewisse Erfolgsmuster für Gesellschaften geben und totale Freiheit scheint nach derzeitigem Stand nicht dazuzugehören. Die scheint mir auch eher für einen homo oeconomicus geeignet, nicht für ein emotionales und soziales Wesen, wie es der Mensch ist.

Wenn du das noch weiter diskutieren möchtest, wäre es vielleicht sinnvoll, einen eigenen Thread zum Thema Libertarismus aufzumachen. Ich kann dir aber gleich sagen, dass, wenn man libertäre Systeme simuliert, sich fast immer in kürzester Zeit totalitäre Systeme etablieren und zwar sogar dann, wenn man, wie beispielsweise bei Hoppe, privatwirtschaftlich organsierte Systeme zur Gewährleistung von Sicherheit installiert (übrigens, einer meiner Dozenten erzählte in einem Seminar, Hoppe habe ihm gegenüber mal geäußert, dass er in seinem eigenen extrem-libertären System lieber nicht leben wolle; anscheinend ist ihm auch selbst der Hang solcher Systeme zum Umschlagen in Totalitarismus durchaus bewusst).

So, und jetzt kritisiert mich, ;-)
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon stine » Di 21. Jul 2009, 20:27

Danke für den Link!
Was es nicht alles gibt. Sowas halte ich normalerweise für Satire.

Deiner ausführlichen Schilderung möchte ich übrigens zustimmen.

LG stine
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mi 22. Jul 2009, 13:18

Pia Hut hat geschrieben:Jeder führe sich vor Augen, daß die Natur “in das menschliche Herz jene wundersame Anlage pflanzte,
vermöge welcher das Leiden des einen vom andern mitempfunden wird.”
“Sobald dieses Mitleid rege wird, liegt mir das Wohl und Wehe des andern unmittelbar am Herzen, ganz in derselben Art, wenn auch nicht stets in demselben Grade, wie sonst allein das meinige: also ist jetzt der Unterschied zwischen ihm und mir
kein absoluter mehr.” Im Mitempfinden überschreite ich die Grenzen der eigenen Person. “Wir sehen in jenem Vorgang die Scheidewand,
die nach dem Lichte der Natur (wie alte Theologen die Vernunft nennen) Wesen von Wesen trennt, aufgehoben und das Nicht-Ich gewissemaßen zum Ich geworden.” Schopenhauer


Dass du gerade DAS bei Schopenhauer glaubst, verwundert mich!
Schopenhauer, der ja sonst ein Nierenprüfer sondergleichen ist, bleibt hier, beim Mitleiden, schon bei der naiven Erfahrung stehen. Es ist gerade das Entscheidende seiner Philosophie, dass man die naive Erfahrung, die Erlebnisse, zum Ausgangspunkt des Denkens nimmt, und nicht eben willkürlich gewählte Begriffe, was seine Art des Philosophierens sehr nah an die Wissenschaft bringt, welche ja auch das Anschauliche zum Ausgangspunkt nimmt (bis zu einem gewissen Grade; heute ist es doch sehr modern geworden im Sinne Hobbes zu forschen to know a thing, is to know how to use it - sonst würde man sich keine Gedanken über die Relativität von Raum und Zeit machen! und auch Schopnehauer hätte es wenig interessiert, da es so wenig mit der Erfahrung zu tun hat.)
Jedenfalls prüft Schopenhauer seine Erfahrung, die er mit der Mitempfindung hat, nicht weiter; so ist es leicht nachzuvollziehen; aber man sollte vermuten, dass Schopnehauer an jenem Punkte unfrei wurde in seinem Denken, weil er einer Ethik bedurfte, weil seiner Philosophie die praktische Seite nicht fehlen durfte; und er somit befangen wurde, die Mitempfindung zu prüfen. Seine Sicht auf das Mitempfinden ist keine philosophische. Ich finde auch ganz und gar nicht, dass die Umsetzung seiner Mitleidsethik ein Beitrag zur Verbesserung der Menschheit sein würde.
Du kannst doch einmal verscuchen, ein Stück von dieser naiven Erfahrung, in die philosophische Besonnenheit hinüberzuleiten. Ich denke da z.B. gerade an das Kopieren der Körperhaltung bei gegenseitiger Anziehung...

Pia Hut hat geschrieben:Nur das Versinken in der Innenschau führt in der Haltung zu dem außen meist zu recht unerquicklichen Übergängen, die andere oft auszubaden haben.


Und da kann man ja ansetzen, was du da über das Nicht-Ich und Ich sagtest: will man gemäß der Mitleidsethik morlaisch gut handeln, so muss man die Leiden des anderen so sehen, wie als wären es die eigenen; es verhilft also zu einer Verdoppelung des Leidens, wo es doch gerade lindernd ist, sich selber und sein Leiden objektiv zu nehmen; sich mal von außen betrachten; und nicht, wie Schopenhauer es als gut befindet, ds Leiden das anderen sogar noch subjektiv nehmen! Dann lieber noch die Freuden des anderen subjektiv nehmen!

Aber ich will nicht leugnen - man kann eben durch die Mitempfindung fast schon die empirische Erfahrung verdoppeln.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Mi 22. Jul 2009, 18:20

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:... zur Verbesserung der Menschheit sein würde.


Wann glaubst du denn, dass ein Gedankengut die Menschheit verbessern könnte. Wäre eine Verbesserung nicht immer dazu verdammt prinzipiell subjektiv zu sein? Mit dem Gedankengut ist es ähnlich wie mit der Politik. Es geht um Ego-Ziele und Ego-Gesellschaften z.B. Nationalismus als Gedankengut oder sozialwirtschaftliches Denken. Selbst die Freidenkermoral dient hauptsächlich den Freidenkern.

Aber was soll denn bitte eine Gesamtverbesserung bringen und wie wäre so etwas zu beweisen? Ist eine Aussage bezüglich Verbesserung durch ein Gedankengut, nicht etwa sehr gewagt und hochmütig und ideologisch und verlogen, grundsätzlich?

Nanna hat geschrieben: anscheinend ist ihm auch selbst der Hang solcher Systeme zum Umschlagen in Totalitarismus durchaus bewusst).

Ich habe doch schon immer gesagt, dass ein gewollt anarchistisches System in eine Diktatur umschlagen wird, zumindest wäre das rein rational logisch so. Es kann natürlich immer anders werden.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » Mi 22. Jul 2009, 18:50

xander1 hat geschrieben:
Jarl Gullkrølla hat geschrieben:... zur Verbesserung der Menschheit sein würde.


Ist eine Aussage bezüglich Verbesserung durch ein Gedankengut, nicht etwa sehr gewagt und hochmütig und ideologisch und verlogen, grundsätzlich?


Vom Standpunkt des jeweiligen Gedankengutes aus... nie! :-)
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Do 23. Jul 2009, 13:49

Auf diese Art hast du dich ja schön herausgeredet. Das würde dann sogar stimmen, aber lassen wir mal diesen Zusatz weg, also das vom Standpunkt aus gesehen etc.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Pia Hut » Do 23. Jul 2009, 20:12

nana: Auf den Vorschlag mit dem ExtraThread würde ich gerne eingehen, aber ich werde das vorläufig vertagen, weil ich nicht sehe, ob ich in den nächsten 1-2 Monaten überhaupt Zeit finde hier etwas zu verfolgen bzw. zu schreiben. Ich würde es auch nicht unter dem Stichwort Libertarismus thematisieren. Der Schimäre Freiheit gedanklich hinterher zu jagen, ist nicht mein Anliegen. Ich bräuchte jetzt mindestens 5 Seiten um mein Problem dabei zu erläutern. Schmidt Salomon scheint mir an dem Problem auch dran zu sein, seine Lösung, mit der ich allerdings nicht richtig einig werde, ist die Begrifflichkeit der Freiheit in real und illusorisch aufzuteilen. Falls es dich interessiert, dann hier nachzulesen: http://fowid.de/fileadmin/textarchiv/Fr ... 2007-1.pdf

Auf das „empirisch belegte“ regiere ich etwas allergisch. Ich hatte selbst beruflich ziemlich viel mit statistischen Auswertungen zu tun und weiß wie leicht es ist, Sozialdaten für eine bestimmte Anschauung sprechen zu lassen und das wird auch in Expertenkreisen betrieben. Aber meine Erfahrungen sollen dich jetzt nicht überzeugen. Falls das bei dir nicht sowieso nur eine Floskel war, sondern dein Respekt vor der Empirie noch echt ist, empfehle ich Judith Rich Harris (die hatte Julia in einem anderen Threat empfohlen und ich bin zwar selbst erst im ersten Drittel des Buches angekommen, aber bis dahin nimmt sie recht überzeugend die empirischen Kalauer der Sozialforschung auseinander.) Der deutsche Buchtitel „Ist Erziehung sinnlos?“ klingt zwar wie ein Erziehungsratgeber aber es geht - sehr verkürzt ausgedrückt - um das menschliche Verhalten in Gruppen (auch den Klassiker von Gustav Le Brun „Psychologie der Massen“ ist in diesem Zusammenhang recht interessant). Und ich denke beides gehört ja schon zum eigentlichen Thema dieses Threats.

Beeindruckt hat mich bei Harris - immerhin ein 38er Jahrgang - dass sie nach Jahrzehnten in denen auch sie Jüngerin der wissenschaftlichen Sozialexperten war, eine „Vogelperspektive“ (ihr eigener Ausdruck) hinbekommt und ihre alten Anschauungen über den Haufen wirft. Einer ihrer schlichten Gedanke dazu, warum sich eigentlich absurde Forschungsanstrengungen über Jahrzehnte halten können war der: es liegt am Berufsprinzip - gibt der Forscher zu, dass seine Forschungsrichtung sinnlos ist, ist er seinen Job los. Und liegt das jetzt an der Menschennatur oder könnte das vielleicht auch an der Organisationsform liegen in der er steckt und wo ihm nur eine sehr eigentümliche Wahl zu treffen bleibt?

Dein Verkehrsbeispiel wollte ich allerdings jetzt vom Phänomen her gar nicht bestreiten. Aber du nimmst das Verhalten von Menschen in bestimmten gesellschaftlichen Situationen und erklärst es zu ihrer Allgemeinnatur. Warum verstößt man denn gegen Verkehrsregeln, weil man z. B. rechtzeitig bei der Arbeit sein muss u. der plötzliche Stau es einem verdammt schwer macht. Und wenn man dann dem Chef erzählt, man hätte ja nur Rücksicht auf die anderen Autofahrer genommen, wird man ausgelacht. Und dass jeder glaubt, er mache es nur alleine, scheint mir eher ein nachträgliches Gewissenspflaster, eigentlich weiß man doch, dass es allen anderen auch so geht. Es liegt nicht daran, dass man das Halten an geeignete gemeinsame Regeln nicht einsehen könnte. Es liegt an den widersprüchlichen Regeln die ständige Interessenskonflikte provozieren.
Das Gefangendilemma ist auch nur ein solches, weil es im Ausgangspunkt schon so konstruiert ist, dass die zwei Menschen keine Chance bekommen es so zu lösen, dass keiner von beiden einen Schaden davonträgt. Es verläuft vermutlich schon deutlich anders je nach Kenntnis und Freundschaft zu dem anderen Menschen.

Zu Jarl: Der Sache mit der „naiven Erfahrung“ kann ich nicht wirklich widersprechen. Die Sache mit dem doppelten Leid ist mir auch völlig klar, weder ich noch ein anderer hat etwas von meinem Mitleiden - dem Mitfreuen gebe ich rationell eindeutig den Vorzug. Und wenn ich mich irgendwo im Verdacht einer Macke habe, dann hier. Falls du also noch ein paar Argumente zur Rationalisierung hast, dann nur zu. Es ist ziemlich lästig sich wegen einer Doku über einen bolivianischen Minenarbeiter wegzuflennen. (vermutlich blamiere ich mich gerade ziemlich). Ich empöre mich dabei gegen seine Lebensumstände, die Ausweglosigkeit der Situation, die dem Menschen keine Handlungsoption mehr offen lässt, um etwas zu ändern.
Bislang meine ich, dass es am menschlichen Vorstellungsvermögen liegt, was mir da einen Streich spielt. Zwei Grundannahmen spielen dabei auch eine Rolle. 1. Weder Schicksal noch höherer Sinn des Lebens will mir einleuchten, die Reichhaltigkeit des Lebens ist mir Sinn genug (u. ich vermute auch, dass sich eine Sinnsuche überhaupt aus der Furcht vor der eigenen Endlichkeit speist). 2. Ich weiß außerdem um die Existenz des Zufalls, der auch nicht gerade leicht zu akzeptieren ist.
Es verdankt sich nur einem Zufall, dass ich selbst nicht in die Lebensumstände dieses Bolivianers hineingeboren wurde, meine Chancen nicht auch in so eine Situation zu geraten stehen sicher nicht so schlecht. Doch die massenhafte Verbreitung solcher Lebenszustände für andere Menschen auf diesem Erdball, wollen mich einfach nicht kalt lassen.
Die Taktik des Wegschauens wirkt bei mir auch immer nur sehr kurzzeitig, dann holt mich Neugier oder Wissenshunger wieder zurück.

PS: Hier liegt vermutlich auch mein Problem mit Nietzsche begraben, so etwa ab der „fröhlichen Wissenschaft“ springt mich sein persönliches Leid zu sehr an.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Fr 24. Jul 2009, 19:44

@Jarl: Ich habe die nächsten 2 Monate viel Zeit. Welches Buch von Nietzsche sollte ich dann mal anlesen?

@Pia Hut: Welches Leid von Nietzsche aus der fröhlichen Wissenschaft gibt es da zu bemerken?

Wenn hier viele gegen das Mitleiden schreiben, dann kann ich rational gesehen für die einzelnen Argumentationen zustimmen. Trotzdem bin ich nicht gegen Mitleidsmoralen. Mitleid muss nicht prinzipiell konstruktive Lösungen verhindern bezügliche emotionaler Problemsituationen. Mitleid kann auch einfach bedeuten, dass Menschen Wärme geben, wie das dann auch immer aussehen mag. Ich denke dass es auch ebenso viele pro-Argumente gibt für Mitleids-Ethik. Letztendlich bleibt es eine Alternative auf die man ggf. zurückgreifen kann, die aber nicht an erster Stelle stehen sollte. Denn im heutigen modernen Leben gibt es nicht so viel Leid wie zu Zeiten von Jesus.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Pia Hut » Sa 25. Jul 2009, 11:34

Das Gedankengut des „späten“ Nietzsche ist mir vermutlich genauso zuwider wie dir Xander. Dennoch finde ich es ziemlich schade deswegen den kompletten Nietzsche auf den Müll zu werfen. (Gibt es denn wirklich nur die Alternative ob man für oder gegen einen bestimmten Autor ist?) Du weißt vermutlich auch, dass das Individuum Nietzsche sich jahrelang an einer Krankheit abgekämpft hat, die immer schwerer wurde. In der „fröhlichen Wissenschaft“ ist mir bei ihm zum ersten Mal die Taktik „aus der Not eine Tugend zu machen“ ins Auge gesprungen. Der große Denker hat mich da halt gedauert, aber dass macht den Inhalt der darauf folgenden Übergänge deswegen auch nicht besser. Ich meine von da ab habe er vor der Krankheit resigniert, er suchte nun ihr einen höheren Sinn abzugewinnen. Theoretisch hat er dafür den Kniff angewendet, das Leid zu verherrlichen als Bewährungsprobe für den Heroen in Gestalt seiner Herrenmenschen.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon folgsam » Sa 25. Jul 2009, 11:42

Ich hab keine Lust auf Nietzsche Streitereien, möchte aber anmerken dass ich Nietzsche einfach ganz anders verstanden habe.

Punkt.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 25. Jul 2009, 12:56

Naja solche Sprüche: "Die Frau soll nicht denken und nicht lenken" kommen vom späten Nietzsche und das fand ich dann doch zu weit gehend. Ich sehe das auch so wie @Pia Hut. Ich habe jetzt die fröhliche Wissenschaft bis mehr als zur Hälfte gelesen und ich muss sagen, dass es zwar einiges an Weisheit ist, die man vorfindet, jedoch aber nicht mehr so in dem Maß wie beim Zarathustra, dafür aber sehr viel klarer.

Ich finde es schon beachtlich, dass das Mitleid so schlecht gemacht wird bei Nietzsche. Ich denke, dass es verschiedene Arten von Mitleid gibt. Und christliche Orden haben durch ihre Lebensanschauung schon vielen Kranken geholfen. Ich finde es sogar auf der einen Seite sehr hochmütig gegen Mitleid zu sein, denn jeder hat seine Wehwechen, was zwar nicht gleich zu Mitleid führen muss, aber unsere Welt ist nunmal nicht perfekt und es zeugt doch von erwachsener Reife, nicht kalt, bzw. cool wie die Jugend zu sein, sondern offen zu sein für eine Welt die nicht nur Freud sondern auch Leid schafft.

Ich denke, dass Menschen die Mitleid zumindest empfinden können, auch weniger zum Sadismus neigen. Sadismus ist mir ein viel größerer graus, nicht aus rationalen gründen, sondern aus emotionalen. Natürlich kann Sadismus auch eine natürliche Funktion haben. Aber wer tendiert denn eher zum Sadismus? Erwachsene oder Jugendliche und Kinder?

Fürsorge zeigen ist ein Zeichen von Reife. Und Reife kommt manchmal aus Schmerz. Nietzsches Philosophie ist gezielt einseitig, etwas für Jugendliche.

http://de.wikipedia.org/wiki/Mitleid der Punkt unter Nietzsche. Nietzsche hat nicht ganz unrecht. Ohne Mitleid gäbe es aber keine Linderung des Leides durch andere. Gäbe es dann überhaupt Schmerzmittel? Mitleid ist egoistisch, aber eine Mitleidsethik ist das widerum nicht. Das steht auch nicht da. Einseitige Philosophie.

Eine Ethik die sich gegen Mitleid wendet, führt zu einer Gesellschaft, in der jeder gesund zu sein hat und bloß keinen leidvollen Anblick haben darf. Nur glückliche Menschen sehen wollen und Spaß haben. Im Extremfall sperrt man alle unglücklichen Menschen weg oder noch extremer im III Reich: Man bringt geistig behinderte Menschen um.

Ehtik der Schwachen gegenüber einer Ethik der Starken. Das ist doch Nietzsches Thema. Schön, dass ich durch ihn dazugelernt habe, aber er war es doch der diese Unterscheidung eingeführt hat. Dürfte es nach Nietzsche überhaupt einen Sozialstaat geben?
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon folgsam » Sa 25. Jul 2009, 13:54

Nietzsches totale Verneinung des Mitleids hat einen ganz einfachen, recht rationalen Hintergrund: Das größte Ziel des Menschen sollte es sein, die Freude/das Glück auf der Welt zu mehren und das Leiden abzuschaffen.

Wer mit-leidet, schafft das Leid nicht ab, er vergrößert es. Wer sein Herz panzert und trotzdem daran wirkt, dass Leid der Welt zu verringern, kann Groß genannt werden.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Sa 25. Jul 2009, 14:24

folgsam hat geschrieben:Wer mit-leidet, schafft das Leid nicht ab, er vergrößert es. Wer sein Herz panzert und trotzdem daran wirkt, dass Leid der Welt zu verringern, kann Groß genannt werden.


Ja, aber so schreibt das Nietzsche nicht. Mitleid heißt doch nicht, dass man wirklich Mitleid empfindet. Mitleid kann auch rational sein, ohne Mitleid zu fühlen. Und das ist die Mitleidsethik. Aber das schreibt Nietzsche nicht.

Tatsächlich verbreitet die Kirche immer wieder das Mitleiden in einem unerträglichen Maß und zwar das des Jesus und noch mehr. Aber das hat manipulative Gründe. Aber ist Nietzsche weniger manipulativ? Naja er hat eine Manipulationsethik, die er nur anders nennt. Eigentlich haben Christen auch eine Manipulationsethik, sonst wär das Christentum nicht fundamental. Die Kirche erhöht das Leid, um es zu senken. Das ist schon verrückt. Tatsächlich hat das mitleidsethische Christentum mehr Leid erzeugt, als andere weniger mitleidsethische Instanzen. Das ist genauso verrückt. Anscheinend wird einem durch die ganze Mitleidsthematik erst bewusst, welcher Drang (zumindest damals) das Leid erzeugt. Also bemächtigte man sich dem Leid. Das ist die ganze Weisheit. Macht durch Leid, Macht durch Mitleidsethik, verrückt. So funktioniert Religion und jedes Gedankengut: Es gibt ein Thema das rituell wiederholt wird, und die Menschen machen etwas draus. Die einen denken die jeweilige Lehre wird ausgeführt und halten zur Lehre als helfe sie ihnen, die anderen Nutzen die Weisheit umgekehrt weil sie schlauer sind.

Und da sind wir wieder beim Thema. Denn das ist auch ein Grund, warum Weltbilder verbreitet werden, wegen der Weisheit in Zielrichtung und in umgekehrter Zielrichtung, wegen der Bewusstheit um Lebensumstände und der Gutgläubigkeit und Cleverness. Es hat immer etwas mit dem Austricksen des Verstandes von anderen und sich selbst zu tun.

Weltbilder sind immer das: "Ich rede es mir ein bis ich es glaube" Man hat ja sonst nichts zu tun. So ist das mit dem christlichen Glauben wie auch mit dem Naturalismus. Es hilft schon, wofür auch immer, aber irgendwas bringts bestimmt. Es ist ja "etwas". Und "etwas" ist besser als "nichts". OK und hiermit drifte ich wieder in einen Nihilismus, der alle Weltbilder verneint.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Nanna » Sa 25. Jul 2009, 22:32

Ich habe Nietsche nicht gelesen. Vielleicht verstehe ich daher nicht, dass das Mitleid eine so zentrale Rolle spielt. Für mich wäre der entscheidende Punkt die Empathie, also das Mitfühlen, nicht das Mitleiden - Spiegelneuronen und so. Wir Menschen regulieren unsere soziale Kommunikation ja enorm darüber, dass wir unsere Gefühle ein Stück weit einander angleichen und versuchen, uns gegenseitig zu verstehen. Vielleicht wäre davon auszugehen ein sinnvollerer Denkansatz?
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon Jarl Gullkrølla » So 26. Jul 2009, 17:36

Das ist weit ausgeführt in der Philosophie des derzeit in Dresden wohnhaften Hermann Schmitz; aber noch viel eindringlicher und, was mir gefällt weniger phämenologisch, bei Ludwig Klages. Allerdings ist die Lehre vom Ausdruck, auf die dies alles hinausläift (ich erwähne nur das Neuro-Linguistical Programming) ein sehr umfassendes Feld; und von dort auszugehen, um zu erklären, inwiefern Menschen Weltbilder nicht nur verbreiten, um ihrer Eitelkeit zu fröhnen, sondern auch um "Menschen helfen zu wollen" (was dann vielleicht nich unselten wieder zur Eitelkeit führt) - wäre vielleicht eher Stoff für eine umfassende philosophische Theorie. Ich will behaupten, dass die Umschreibung einer solchen "empathischen Grundlage zur garantiert schonenden und menschfreundlichen Verbreitung von Weltbildern" nicht von mehr als zwei Menschen in Zusammenarbiet erschaffen werden kann.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » So 26. Jul 2009, 21:13

Es ist schon verdammt kurios, dass Nietzsche so sehr gegen eine Mitleidsethik Stimmung gemacht hat. Was bringt das denn? Was hat er denn davon? Will er damit einfach nur stark wirken? Ist das denn Stärke, rücksichtslos zu sein? Ich meine man muss deshalb nicht rücksichtslos sein, aber prinzipiell darf man dann rücksichtslos sein. Es kommt doch niemand an und fragt nach Mitleid. So kann Nietzsche die Mitleidsethik nicht sauer aufgestoßen sein. Aber wer gegen Mitleid redet macht zumindest den Eindruck von Erhabenheit und ohne Schwäche zu sein. Aus diesem Blickwinken könnte man fast meinen, dass Humanismus eine Schwäche darstellen könnte. Dann geht es nicht nur um Mitleid. Dann wäre Liebe auch eine Schwäche und manch menschliche Bedürfnisse. Aber in welcher Situation ist denn die Mitleidsethik hinderlich? Wieso muss einem die Mitleidsethik überhaupt interessieren und das ist auch einer der kuriosen Punkte bei Nietzsche. Im Prinzip geht es ihm doch nur um eine Art der Selbstbehauptung vor dem Leser. Ständig versucht sich Nietzsche beim Leser krampfhaft zu profilieren. In einem Internetforum hätte Nietzsche damit nicht so leichtes Spiel andere Personen oder Gruppen zu diffamieren, um mal wieder wie oft zu zeigen wie toll man eigentlich ist. Ja Nietzsche, du beeindruckst mich ungemein.

Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Hermann Schmitz; Ludwig Klages.

Ich habe mal eine ganze Weile gegoogelt, aber nichts gefunden zum Thema Mitleid und den beiden.
Jarl Gullkrølla hat geschrieben:(ich erwähne nur das Neuro-Linguistical Programming)

Ja, einer dieser unwissenschaftlichen, billigen Versuche als Manipulationslehre. Ich weiß aber nicht was das NLP hier für eine Bedeutung haben soll.
Jarl Gullkrølla hat geschrieben:wäre vielleicht eher Stoff für eine umfassende philosophische Theorie.

+Gähhn+, nee das glaub ich nicht.
Jarl Gullkrølla hat geschrieben:Ich will behaupten, dass die Umschreibung einer solchen "empathischen Grundlage zur garantiert schonenden und menschfreundlichen Verbreitung von Weltbildern" nicht von mehr als zwei Menschen in Zusammenarbiet erschaffen werden kann.

Ja, etwas zu behaupten tut nicht weh. Ich bezweifle allerdings dass du das auch nur irgendwie beweisen kannst oder anders untermauern könntest.
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Re: Verbreitung von Weltbildern

Beitragvon xander1 » Mo 27. Jul 2009, 17:19

Nietzsche, solche Texte von ihm
Vorbereitende Menschen. - Ich begrüsse alle Anzeichen dafür, dass ein männlicheres, ein kriegerisches Zeitalter anhebt, das vor allem die Tapferkeit wieder zu Ehren bringen wird! Denn es soll einem noch höheren Zeitalter den Weg bahnen und die Kraft einsammeln, welche jenes einmal nöthig haben wird, - jenes Zeitalter, das den Heroismus in die Erkenntniss trägt und Kriege führt um der Gedanken und ihrer Folgen willen. Dazu bedarf es für jetzt vieler vorbereitender tapferer Menschen, welche doch nicht aus dem Nichts entspringen können - und ebensowenig aus dem Sand und Schleim der jetzigen Civilisation und Grossstadt-Bildung: Menschen, welche es verstehen, schweigend, einsam, entschlossen, in unsichtbarer Thätigkeit zufrieden und beständig zu sein: Menschen, die mit innerlichem Hange an allen Dingen nach dem suchen, was an ihnen zu überwinden ist: Menschen, denen Heiterkeit, Geduld, Schlichtheit und Verachtung der grossen Eitelkeiten ebenso zu eigen ist, als Grossmuth im Siege und Nachsicht gegen die kleinen Eitelkeiten aller Besiegten: Menschen mit einem scharfen und freien Urtheile über alle Sieger und über den Antheil des Zufalls an jedem Siege und Ruhme: Menschen mit eigenen Festen, eigenen Werktagen, eigenen Trauerzeiten, gewohnt und sicher im Befehlen und gleich bereit, wo es gilt, zu gehorchen, im Einen wie im Anderen gleich stolz, gleich ihrer eigenen Sache dienend: gefährdetere Menschen, fruchtbarere Menschen, glücklichere Menschen! Denn, glaubt es mir! - das Geheimniss, um die grösste Fruchtbarkeit und den grössten Genuss vom Dasein einzuernten, heisst: gefährlich leben! Baut eure Städte an den Vesuv! Schickt eure Schiffe in unerforschte Meere! Lebt im Kriege mit Euresgleichen und mit euch selber! Seid Räuber und Eroberer, so lange ihr nicht Herrscher und Besitzer sein könnt, ihr Erkennenden! Die Zeit geht bald vorbei, wo es euch genug sein durfte, gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben! Endlich wird die Erkenntniss die Hand nach dem ausstrecken, was ihr gebührt: - sie wird herrschen und besitzen wollen, und ihr mit ihr!


Ihm gehts nicht mal um Nationalstolz und sowas. Ihm gehts um Härte und Gewalt und Mitleidlosigkeit. Gewalt und Zerstörung als Mittel zum Zweck. Es geht weniger um Früchte zum Ernten durch die Gewalt, sondern um das wehrhaft sein, der Zerstörung alles Schwachens und der Stärkung aller Starken.

O wie männlich und erhaben wirkt Nietzsche auf einmal.
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